Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Rolle die Ideologie in der Erklärung von Täterschaft spielt. Dabei wird untersucht, inwieweit Ideologien Einfluss auf das soziale Umfeld nehmen und welches Konfliktpotenzial Ideologien aufweisen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Internalisierung von Ideologien
3. Ideologien als Einflussfaktor auf das soziale Umfeld
4. Aus Ideologien resultierendes Konfliktpotential
5. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Vor 75 Jahren befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz in Polen. Dieses galt als das größte Vernichtungslager, das die Nationalsozialisten errichteten1. Während des Holocausts kamen sechs Millionen Juden durch systematische Ermordung ums Leben. Um derartige Verbrechen gegen Minderheiten verhindern und bestrafen zu können, beschlossen die Vereinten Nationen (UN) 1948 die UN-Völkermordkonvention, in der die Tatbestandsmerkmale für einen Genozid festgelegt wurden.
Ein Genozid oder Völkermord besteht aus einer „Handlungen], die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören [..]"2. Zu den Handlungen zählen beispielsweise die „Tötung von Mitgliedern der Gruppe [oder die] Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe"3. D ie Besonderheit des Völkermordes zeigt sich in der Absicht des Täters, die Zerstörung einer Gruppe als primäres Ziel zu haben. Um juristisch von Täterschaft innerhalb eines Völkermordes sprechen zu können, muss eine Abgrenzung zu Taten getroffen werden, die außerhalb von Völkermorden ausgeführt werden. Sowohl beim Begehen einer Tat im Völkermord als auch außerhalb dessen muss ein „actus reus", also die praktische Ausführung der Tat, vorliegen4. Ferner handelt der Täter in der Regel mit einer intrinsischen Absicht, der sogenannten „mens rea". Dem Täter ist bewusst, dass er mit seiner praktischen Ausübung dem Opfer Schaden zufügt und nimmt dies willentlich in Kauf. Für die Täterschaft in einem Völkermord benötigt es folglich ein Alleinstellungsmerkmal. Dafür muss aus juristischer Perspektive neben dem „actus reus" und dem „mens rea" außerdem der „dolus specialis", also die spezielle Absicht eine Gruppe zu zerstören, vorliegen5. Erst dann kann juristisch gesehen Täterschaft im Rahmen eines Genozids vorliegen. Diese Definition findet im Rahmen dieser Arbeit Anwendung.
Nachdem Täterschaft im Völkermord definitorisch festgelegt wurde, stellt sich die Frage, mit welchen Motivationen Täter handeln. Gemäß dem Modell von W illiams6 gibt es diverse Beweggründe, die dazu führen, dass sich Akteure am Genozid beteiligen. Dabei spielen neben Sadismus, Selbstinteresse, Zwang oder Angst auch weitere Aspekte eine entscheidende Rolle. Neben den genannten Beweggründen stellt I deologie einen ebenfalls bedeutenden Einflussfaktor auf das Individuum dar. Die Rolle der Ideologie wird in dieser Arbeit analysiert.
Daraus lässt sich folgende Forschungsfrage ableiten: Welche Rolle (wenn überhaupt) spielen Ideologien in der Erklärung von Täterschaft? Diese Fragestellung wird deskriptiv anhand aktuellster Literatur erarbeitet.7
Für die Analyse dieser Fragestellung gliedert sich die Arbeit in fünf Kapitel. Das erste Kapitel beinhaltet eine Herleitung zum Thema, eine juristische Definition von Täterschaft sowie den Kapitelüberblick. Im zweiten Kapitel folgt die Darstellung der Internalisierung von Ideologien. In diesem Kapitel wird beschrieben, wie Individuen Ideologien verinnerlichen. Im dritten Kapitel wird aufgezeigt, wie Ideologien einen sozialen Rahmen bilden können und wie dieser Rahmen das Individuum in seinem Handeln beeinflussen kann. Im vierten Kapitel geht es um die Auswirkung von Ideologien auf das Konfliktpotential. Zur Veranschaulichung der Auswirkungen von Ideologien wird die Entstehung des Holocaust grob umrissen. Im fünften Kapitel folgt die Zusammenfassung der Ergebnisse sowie ein Ausblick für weitere Forschungsmöglichkeiten.
2. Internalisierung von Ideologien
Bezogen auf die Forschungsfrage lässt sich der potenzielle Einfluss von Ideologien auf die Erklärung von Täterschaft auf zwei E benen betrachten. D afür wird in der Arbeit zuerst die E bene des Individuums betrachtet, also inwieweit Ideologien das Handeln des Einzelnen beeinflussen können. Daraufhin wird der Einfluss von Ideologien auf das soziale Umfeld dargestellt. Für die Analyse werden Ideologien folgendermaßen definiert: „jene Systeme politischen Denkens, lose oder starr, absichtlich oder unabsichtlich, durch die Einzelpersonen und Gruppen ein Verständnis der politischen Welt konstruieren, die sie oder diejenigen, die ihre Gedanken beschäftigen, bewohnen, und dann nach diesem Verständnis handeln".8
Diese Definition wurde gewählt, da sie sehr weit auszulegen ist und damit die Kernbedeutung von Ideologien wiedergibt. Denn „Ideologien sind nicht einfach idealistische politische Programme, die mit einer blinden Missachtung strategischer Interessen verfolgt werden, sondern prägen das Verständnis der Akteure von Sicherheit, Strategie und Machtpolitik"9. Außerdem kann durch die breite Definition gewährleistet werden, dass Ideologien als wechselseitiger Faktor betrachtet werden. Ideologien stehen damit nicht mit Normen, Identitäten und anderen Rahmenbedingungen im Widerspruch, sondern diese bedingen sich gegenseitig.10
Betrachtet man den Einflusses von Ideologien auf das Individuum spielt die Internalisierung der ideologischen Werte und Gedanken eine entscheidende Rolle. Diese ideologischen Werte, Gedanken, Präferenzen und Wahrnehmungen beeinflussen das Handeln des Individuums. Je nachdem wie stark das Individuum diese ideologischen Elemente verinnerlicht hat, handelt es nach den vorgegebenen Werten. D ies kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen. Auf dieser I deologie basiert folglich die gesamte Wahrnehmung des Individuums. Diese Internalisierung der Ideologie kann anhand von zwei verschiedenen Aneignungsmustern erklärt werden.11
Das erste Aneignungsmuster, welches die Internalisierung einer Ideologie beschreiben kann, ist die Hingabe des Individuums zu den Werten der Ideologie. Diese Ausprägung muss nicht im extremen Maße gegeben sein, denn auch dezente Formen der Hingabe können dazu führen, dass das Individuum auf Basis der Ideologie unbewusst handelt12. Dieser Sachverhalt, dass nahezu jeder Bürger Gedanken besitzt und Werten folgt, die sich zumindest grob mit den Werten von Ideologien decken, wurde von politischen P sychologen herausgearbeitet13. W ie stark ein I ndividuum sich einer Ideologie hingibt, kann anhand der Taten bemessen werden. Oft ist Irrationalität ein Indikator dafür, dass ein Individuum auf Basis einer Ideologie gehandelt hat14. Die Irrationalität lässt sich am Beispiel des Islamischen Staats darstellen. Die fehlende Bereitschaft, Kooperationen einzugehen, die Brutalität sowie die strikte Auslegung des Korans brachten dem IS Nachteile bei der Okkupation von Territorien. Trotz dessen hielten die Anhänger des IS an dieser Vorgehensweise fest. Dieses irrationale Verhalten ist auf die starke Hingabe zu ideologischen Werten zurückzuführen.15
Das zweite Aneignungsmuster von Ideologien ist die Annahme von vorherrschenden Ideologien. Bei der Annahme akzeptieren die Individuen die Werte und Normen der Ideologie, folgen diesen aber nicht aus einer selbst entwickelten Hingabe. Zur Veranschaulichung können als Beispiel die Rekruten dschihadistischer Organisationen dienen. Diese treten in der Regel solchen Terrororganisationen bei, da sie sich entweder anderweitig nicht repräsentiert fühlen oder Teil einer solchen Bewegung sein möchten. Die Beweggründe als solche müssen erstmal nichts mit der Ideologie der Terrororganisation zutun haben. Erst auf Grundlage dessen fangen sie an, die Ideologie anzunehmen16. Neben dieser Annahme von Werte innerhalb einer Organisation, spielen Freunde eine ebenso entscheidende Rolle. Viele Individuen übernehmen Ideologien aus extremen Gruppierungen eher deshalb, weil eine Freundin oder ein Freund dieser Gruppierung beigetreten ist. Die Sympathie gilt dabei zuerst der befreundeten Person.17
Sobald ein Individuum die Ideologie angenommen hat, gelten die damit verbundenen Werte als verinnerlicht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet unterscheiden sich das Muster der Hingabe sowie das Muster der Annahme nicht. Der Unterschied zeigt sich erst in den Handlungsmustern des Individuums. Denn „[e]s ist wahrscheinlich, dass Individuen, die ideologische Komponenten annehmen, daher ausgeprägte Verhaltenseigenschaften aufweisen und sich gegenüber ideologischen Kompromissen oder Abweichungen als toleranter erweisen als Individuen, die sich z.B. wirklich verpflichtet fühlen oder eine schwächere ideologische Loyalität angesichts persönlicher Frustration oder Konfliktversagen an den Tag legen"18. Individuen die ideologische Werte lediglich angenommen haben, sind demnach meist liberaler in der Ausübung der ideologische Normen.
Angesicht der Forschungsfrage, welche Rolle Ideologien in der Erklärung von Täterschaft spielen, zeigt dieses Kapitel, dass Ideologien einen starken Einfluss auf das Handeln des Individuums haben können. Folglich können Ideologien Täterschaft entstehen lassen.
3. Ideologien als Einflussfaktor auf das soziale Umfeld
Neben dem Einfluss von Ideologien auf das Individuum spielt das soziale Umfeld eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung, ob Ideologien eine Rolle in der Täterschaft spielen. Denn ein Individuum kann nicht nur durch seine intrinsisch motivierte Ideologie zum Täter werden, sondern auch durch die ideologische Beeinflussung durch das soziale Umfeld. Im Rahmen des sozialen Umfelds spricht man ebenso von der Makroebene, die auf das Individuum wirkt. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein Genozid ein soziales Phänomen ist, spielt die Makroebene eine herausragende Rolle. Denn erst durch das Interagieren von vielen Individuen können Völkermorde entstehen. Innerhalb dieser sozialen Bewegung spielt der Staat meist eine entscheidende Rolle, indem der Sicherheitsapparat des Staates maßgeblich zum Völkermord beiträgt.19
Der Staat schafft - um die Individuen von seiner Ideologie zu überzeugen - einen ideologischen Rahmen. Hierbei existieren verschiedene Ansätze, welche Faktoren den ideologische Rahmen beeinflussen. Gemäß mancher Autoren entsteht ein solcher Rahmen durch starke politische Akteure oder einflussreiche Netzwerke. Diese können durch ihren Einfluss die eigenen internalisierten Ideologien verbreiten und damit einen ideologischen Rahmen schaffen20. Den Einfluss von Ideologien auf das soziale Umfeld allein auf einflussreiche Netzwerke und Akteure zu beschränken wäre jedoch unzureichend. Deshalb spielt gemäß anderer Autoren die Dynamik von Ideologien eine ebenso entscheidende Rolle. Denn Ideologien können dynamisch sich selbst erstarkend wirken. Dies kann geschehen, wenn Akteure einer Ideologie folgen, weil sie glauben, dass andere Akteure dieser Ideologie ebenfalls folgen. Diese Dynamik entsteht auch dann, wenn die anderen Akteure möglicherweise gar nicht an diese Ideologie glauben. Hierbei entsteht durch das soziale Gefüge eine sich mehr und mehr implementierende Ideologie, die nicht mehr mit dem Grad der Verinnerlichung der Ideologie selbst einhergeht.21
Um die Auswirkung vom sozialen Umfeld auf das Individuum bemessen zu können, existieren zwei Ansätze zur Erklärung. Als erstes lässt sich die Konformität eines Individuums in der sozialen Gruppe als Faktor benennen. Also „die weithin erforschte Tendenz von Individuen, sich - oft unreflektiert - an Erwartungen an ein Verhalten zu halten, das durch Gruppendruck, Anweisungen von Behörden, organisatorische Routinen oder ähnliche soziale Einflüsse erzeugt wird"22. Das bedeutet, dass ein Individuum eine Ideologie nicht unbedingt internalisiert haben muss, das E rgebnis einer H andlung aber dem entspricht, was die Ideologie vorgibt. Ein Individuum kann also andere Beweggründe haben aber das Resultat einer Handlung basiert auf der zugrundeliegenden Ideologie23. Besonders im Rahmen der Täterschaft stellt dieser S achverhalt einen herausragendes Argument dar. Z war können T äter aufgrund anderer Motive handeln - z.B. aus Eigeninteresse - aber das Ergebnis der Handlung basiert auf der vorherrschenden Ideologie.
[...]
1 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Konzentrationslager (KZ). 16.02.2020. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/161333/konzentrationslager-kz. Stand: 18.02.2020.
2 Vereinte Nationen: Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. 1948.
3 ebd.
4 Vgl. J anine Natalya Clark: Elucidating the Dolus Specialis: An Analysis of ICTY Jurisprudence on Genocidal Intent. In: Criminal Law Forum 26 (2015), S. 497-531.
5 Vgl. ebd. S. 500.
6 Siehe Timothy Williams: The Complexity of Evil: a Multi-Faceted Approach to Genocide Perpetration. In: Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 3 (2014), S. 71-98.
7 Siehe z.B. Jonathan Leader Maynard: Ideology and armed conflict. In: Journal of Peace Research 56 (2019), S. 635-649. Oder: Timothy Williams und Dominik Pfeiffer: U npacking the Mind of Evil: A Sociological Perspective on the Role of Intent and Motivations in Genocide. In: Genocide Studies and Prevention 11 (2017), S. 72-87.
8 Michael Freeden: Ideologies and political theory. A conceptual approach. Oxford. 1996. S. 3.
9 Leader Maynard, Ideology and armed conflict.
10 Vgl. J. Christopher Cohrs: Ideological Bases of Violent Conflict. 2012. S. 54-56.
11 Vgl. Leader Maynard, Ideology and armed conflict. S. 5.
12 Vgl. Cohrs, Ideological Bases of Violent Conflict. S. 56.
13 Siehe z.B: John T. Jost, Christopher M. Federico und J aime L. Napier: Political ideology: its structure, functions, and elective affinities. In: Annual review of psychology 60 (2009), S. 307-337.
14 Vgl. Leader Maynard, Ideology and armed conflict. S. 6.
15 Vgl. Daniel Byman: Understanding the Islamic State—A Review Essay. In: International Security 40 (2016), S. 127-165.
16 Vgl. Peter Neumann: The trouble with radicalization. In: International Affairs 89 (2013), S. 873-893.
17 Vgl. Scott Atran: Who becomes a terrorist today? In: Perspectives on Terrorism 2 (2008), S. 3-10.
18 Leader Maynard, Ideology and armed conflict. S. 6-7. Basierend auf: Ben Oppenheim, Abbey Steele, Juan F. Vargas und Michael Weintraub: True Believers, Deserters, and Traitors. In: Journal of Conflict Resolution 59 (2015), S. 794-823.
19 Vgl. Williams, Pfeiffer, Unpacking the Mind of Evil: A Sociological Perspective on the Role of Intent and Motivations in Genocide.
20 S iehe z.B.: S tefano Costalli und A ndrea R uggeri: Costalli, Stefano & A ndrea R uggeri (2017) Emotions, ideologies, and violent political mobilization. In: Political Science & Politics 50 (2017), S. 923-927.
21 Vgl. Russell Hardin: The crippled epistemology of extremism. In: Albert Breton (Hrsg.): Political extremism and rationality. Cambridge 2002, S. 3-22.
22 Leader Maynard, Ideology and armed conflict. Basierend auf: Herbert C. Kelman und V. Lee Hamilton: Crimes of obedience. Toward a social psychology of authority and responsibility. New Haven. 1989.
23 Vgl. ebd. S. 7.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2020, Welche Rolle spielen Ideologien in der Erklärung von Täterschaft?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/912904
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