Man kennt es - überall in der Stadt und auf dem Land begegnet man Menschen, die sich durch Kopfhörer und lauter Musik hermetisch gegen die Außenwelt abriegeln. Musiksoziologisch betrachtet diese Arbeit die Frage, welche Wirkung Mp3-Player, Walkman und Co. auf den Alltag, bzw. vor allem auf die Alltagskommunikation haben. Ist die neue Technik also Fluch oder Bereicherung?
Inhaltsverzeichnis
Gliederung
1. Einleitung
2. Kurze Geschichte der transportablen Medien
3. Moderne Medien - Mittel zur Identitätsbildung
4. Soziale Interaktion
5. Der Soundtrack für den Alltag
6. Veränderung der Wahrnehmung
7. Verselbstständigung der Musik
8. Zusammenfassung
9. Verzeichnis
1. Einleitung
„ Sind Walkman-H ö rer Menschen? Verlieren sie den Kontakt zur Realit ä t? Sind Walkman-H ö rer psychotisch oder schizophren? “ 1 , diese und andere Fragen wurden in den achtziger Jahren Jugendlichen zwischen 18 und 22 Jahren von der Zeitschrift „Nouvelle Observateur“ gestellt. Obwohl heute Fragen wohl anders formuliert würden, wird an ihnen doch einiges deutlich. So die Forschungsmethodik in der Soziologie, bzw. Musiksoziologie und -psychologie. Die Basis meiner Arbeit bilden empirische Studien zu bestimmten Fragestellungen. Hierzu wurden meist Jugendliche2 befragt und ihre Antworten von den Forschenden thematisch interpretiert. Hier wiederum zeigt sich die Schwierigkeit des Faches Musiksoziologie: ein Großteil der Forschungen basiert auf Befragungen. Doch bereits im Moment der Befragungen spielen ungemein viele Faktoren auf die Antworten mit ein: in welchem Verhältnis steht der Interviewer zum Intervieweten, sind noch andere Menschen anwesend, ist den Befragten klar, um welche Art von Befragung es sich handelt und wie die Antworten verarbeitet werden? Ist die Atmosphäre im Befragungsraum angenehm oder angespannt? Wie repräsentativ ist der Befragte für das Thema, wird seine persönliche Historie berücksichtigt? Also bereits in der Befragungssituation liegen „Quellen“ zur Missdeutung der Antworten. Dann werden die Antworten durch den Forschenden interpretiert und in diesem nächsten Schritt liegen nun wieder mögliche Fehlerquellen, je nachdem, wie die vorher erwähnten Fehlermöglichkeiten berücksichtigt und reflektiert werden. Diese Befragungen werden nun zu Beweisen zu Rate gezogen, wenn es darum geht, die eigene Theorie zu bestätigen oder zu dementieren, bzw. auch um überhaupt verallgemeinernde Theorien aufzustellen.
Die Soziologie erscheint somit anfälliger für Fehldeutungen und subjektiver als jede andere Wissenschaft, was in der Natur der Sache liegt: schließlich macht der Mensch sich selbst und seine Interaktionen mit der Umwelt zum „Objekt“ der Betrachtungen. Da er jedoch selbst stets Teil der Menschheit sein wird, kann er sich nicht selbst zum Gegenüber machen, „objektiv“ von oben auf die Menschheit blicken, sondern eben immer nur Teilaspekte mehr oder weniger gut durchleuchten können.
Deshalb legte ich Wert auf möglichst breit gefächertes Material, das ich meinen Ausführungen zu Grunde lege und orientierte mich häufig weniger an den geschlussfolgerten Theorien und Folgen der jeweiligen empirischen Studie, da diese häufig meiner Kritik, bzw. dem Vergleich mit anderen Studien nicht standhalten konnte, sich aber vor allem nie hundertprozentig mit meinem Thema der neuen transportablen Musikabspielgeräten und ihrer Wirkung befasste, weshalb ich in manchen Werken lediglich die konkrete Befragung mit ihren Antworten zur Unterstützung meiner Thesen heranzog..
Im Fach Musiksoziologie sind möglichst aktuelle Untersuchungen von größter Bedeutung, da sich soziale Strukturen in stetiger Entwicklung und wechselseitiger Beeinflussung mit der Umwelt und jeglichem Fortschritt befinden, dennoch wählte ich bewusst teilweise auch ältere Studien, um das unterschiedliche Bild von technischen Medien in verschiedenen Phasen der Entwicklung dieser Technologien zu reflektieren.
Meine Arbeit widmet sich nun, unter Einfluss meiner persönlichen Erfahrungen und vielen Gesprächen in meinem Bekanntenkreis, der Wirkung transportabler Musikabspielgeräte auf das Verhalten in der Öffentlichkeit. Spielen sich reine Abkapselungsprozesse ab oder existiert doch eine Form der Kommunikation? Wie wird die Wahrnehmung beeinflusst und was ergibt sich daraus für die Funktion der gehörten Musik?
2. Eine kurze Geschichte der transportablen Medien
Die Geschichte des Walkman beginnt im Jahre 1978 bei „Sony“ in Tokio, wo versucht wurde, einen kleinen transportablen Kassettenrecorder, zunächst vor allem für journalistische Kreise interessant, zu kreieren, doch gelang es aus Platzgründen nicht, eine Aufnahmefunktion einzubauen und so galt des Gerät als gescheiterte Fehlentwicklung, die als völlig unverkäuflich galt. Eines Tages jedoch erschien zufällig der „Sony“-Gründer Masaru Ibuka in der Abteilung „Tonbandgeräte“ und fand den vermeintlichen Flop, hatte jedoch sofort die Idee, dieses kleine Gerät mit gerade neu entwickelten leichten Kopfhörern zu kombinieren und erzielte in seiner Firma damit zunächst Unglauben3: „ Nein, niemand h ä tte sich je tr ä umen lassen, dass ein Kopfh ö rer einmal als fester Bestandteil zu einem Tonbandger ä t geh ö ren w ü rde. “ 4 Der erste Walkman „TPS-L 2“, mit reiner Musikabspielfunktion war für 165 Dollar zu erwerben und wurde trotz anfänglicher Zweifel ein Riesenerfolg.
Zur Erfindung des Walkman gibt es jedoch auch noch eine andere Version: so kam es 1982 zu einem Patentstreit zwischen „Sony“ und dem Berliner Andreas Pavel, der erklärte, bereits 1972 ein ähnliches Gerät entwickelt zu haben, den „Stereobelt“.
Nach dem eingetretenen Erfolg des „Kassettenrecorders für unterwegs“ ist alles weitere nur eine Frage der Zeit und des technischen Fortschritts. Immer kleiner und leichter sollten die Geräte werden, mit immer besserem Klang und wachsendem Bedienkomfort. Vom Discman über Minidisc-Player oder den heute weit verbreiteten Mp3-Playern war es eine zeitlich kurze Strecke.
Bereits 1981 stellten „Sony“ und „Philipps“ die erste „Compact Disc“ vor, 1984 brachte „Sony“ den ersten Discman heraus, 1992 erschien der erste Minidisc-Player, wiederum von „Sony“, seit 1997 wurde das Mp3-Format öffentlich zugänglich5 und heute hat bereits jedes Handy, neben Diktiergerätfunktion, Fotoapparat und Videokamera, einen involvierten Mp3-Player eingebaut.
3. Moderne Medien - Mittel zur Identitätsbildung
In einer Zeit, in der in Deutschland nahezu alle Kinder und Jugendlichen mit einem Fernsehgerät, diversen Radios und anderen Wiedergabegeräten aufwachsen6, gilt es als absolut normal, medientechnisch auf dem neusten Stand zu sein. Das „ Streben nach qualitativer Verbesserung des Ger ä teparks “ 7 wird von den Eltern übernommen, meist ohne hinterfragt zu werden. Hierbei werden die Geräte nicht mehr von allen Familienmitgliedern benutzt, wie bspw. noch in den technikeuphorischen 50er und 60er Jahren, in denen sich die ganze Familie vor einem Fernsehgerät traf8, sondern jeder wünscht sich sein eigenes Gerät. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen gilt der eigene Fernsehapparat, der eigene Computer oder eben der eigene Discman als Ausdruck der Autonomie und Anerkennung der eigenen Person, stellt also ein wichtiges Hilfsmittel beim Abnabeln von der Familie dar. „ Medienbesitz bedeutet ferner Zunahme an Kompetenz (Entwicklung eigenen Umgangs mit Ger ä ten, Genres, Inhalten, Botschaften) sowie an Autonomie (Entwicklung von Vorlieben, Geschmacksentscheidungen). 9
Der Besitz von Medien ist also mittlerweile fundamental für die Entwicklung der Selbstständigkeit von Jugendlichen, und ist stark in die Sozialisierungsprozesse integriert.
Sozialisation wird gern in Selbst- und Fremdsozialisation geteilt, wobei eine solche Trennung überhaupt nicht eindeutig zu machen ist, da der Mensch sich stets in sozialer Interaktion befindet, gibt es im Grunde keine reine Selbstsozialisation und folgerichtig auch keine reine Fremdsozialisation. Die Begriffe sollen in diesem Zusammenhang eher die dominante Beeinflussung aufzeigen.
Auf den ersten Blick scheint es sich hier ausschließlich um Fremdsozialisationsprozesse10 zu handeln, konsumiert man doch Informationen über die Form der Ein-Weg-Kommunikation der Medien. Der Interpret agiert, der Hörer rezipiert. Auf actio folgt unabhängig von der reactio des Konsumenten eine neue vorbestimmte, festgelegte und durchkalkulierte actio, während der Hörer f ü r sich stets aufs Neue reagiert. Beim Hören über Kopfhörer tritt sehr deutlich in den Vordergrund, dass der Rezipient allein rezipiert, da ja außer ihm niemand das Gehörte wahrnimmt. Seine Reaktionen sind also mehr oder weniger durch die Musik beeinflusst, die jedoch für keinen anderen nachzuvollziehen ist, was bspw. beim gemeinsamen Fernsehen der Fall wäre. Die Musik trifft den Rezipienten in einer Situation, in der er meist unmittelbar hört, da er sich vordergründig in einem öffentlichen Raum, bspw. einem Wartezimmer, dem Straßenverkehr etc., befindet und diesem einen Großteil seiner Aufmerksamkeit zukommen lassen muss. Er reflektiert daher vermutlich weniger und somit ist es prinzipiell einfacher, ihn mit diversen ungefilterten Botschaften unterbewusst zu erreichen. Damit ist der Weg gebahnt, für eine identifikatorische Wahrnehmung, wobei die „persona“11, also der Interpret, ohne weiteres in den Alltag überführt wird. Er stellt einen „Begleiter auf allen Wegen“ dar, der jegliche Alltagssituation kommentiert. Für Adorno wäre genau an dieser Stelle der Ansatzpunkt, Ideologien zu vermitteln und den einzelnen durch die Massenkultur zu verblenden.12
Betrachtet man allerdings diese Problematik auch von der anderen Seite, trägt das transportable Medium auch immens zur so genannten Selbstsozialisation bei. Der Rezipient, sofern er nicht Radio hört, wählt sich sein Programm selbst. Beim Discman wählt sein preferiertes Album oder stellt sich auch die CD selbst zusammen, bei Mp3-Playern ergibt es sich fast von selbst, nur die Musik auf das Gerät zu laden, die man auch wirklich hören will. So wie bereits zu Zeiten des Walkmans Mixtapes kreiert wurden, die der jeweiligen Stimmung Ausdruck verleihen sollten, tut die „Shuffle“-Funktion heute ihr Übriges. Überhaupt geht der „Trend“ in eigentlich allen modernen Medien zu einer großen Selbstbestimmung über13. Man kann bei Radiosendern anrufen oder im Internet abstimmen, welche Lieder gespielt werden sollen, auf so genannten „Second-Life“ Seiten im Internet, wie „www.blog.de oder www.studiverzeichnis.de, ist es nahezu jedem möglich, sich selbst im Internet darzustellen, also ist es nur logisch, dass dies auch bei der Musikwahl der Fall ist.
Von Vorteil ist hierbei selbstredend der Kopfhörer, durch den es vermeidbar ist, sich mit anderen über die gewählte Musik, die Lautstärke oder Zusammenstellung auseinander zu setzen. Man kann dies als ein Bekräftigen der Geschmacksvorlieben werten, da man zwar nach wie vor auch von außen beeinflusst wird, denn wählen kann man schließlich nur innerhalb einer vorgegebenen Auswahl14, doch kann man sie in Ruhe hören und beurteilen, was beim lauten Hören oft schwieriger ist, da man dort den Kommentaren der Eltern oder Freunde kaum entfliehen kann, noch bevor man eigentlich selbst eine Meinung dazu gefunden hat.
Man schafft sich jedoch nicht nur eine eigene Medienwelt, sondern präsentiert diese zu einem bestimmten Zeitpunkt vor anderen Gleichaltrigen, der Peer-Group. Hier tritt neben der oben genannten Funktion solcher mobilen Abspielgeräte plötzlich das Gerät an sich in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es dient als Statussymbol vor anderen. Desto neuerer, kleiner, komfortabler, schöner und funktionaler das Gerät ist, desto größeren Eindruck macht es auf die Clique. So, wie schließlich für viele das eigene Auto, vor allem in ländlichen Gegenden, wo das Auto nicht nur ein Fahrzeug, sondern die Freiheit schlechthin bedeutet, da man plötzlich dahin fahren kann, wo „etwas los“ ist und es deshalb pedantisch gepflegt und aufgerüstet wird, funktioniert auch der Discman oder das Handy mit integriertem Mp3-Player.
Bereits im frühsten Kindesalter richten sich die Medien mit Tausenden von Werbespots an die Jüngsten der Gesellschaft, denn sie gelten als die „zahlungskräftigsten“ und die hoffentlich kaufstarke Zukunft.15 Und das Einkaufen entwickelt sich immer mehr zur Freizeitgestaltung. Man geht „Shoppen“ in „Einkaufsgalerien“, die die Fußgängerzonen jeder größeren Stadt ausfüllen und das städtetypische, charakteristische der Innenstadt immer weiter verschwinden lassen. Dabei ist Kaufen nicht mehr allein das Decken eines Bedarfs, sondern wird selbst zum Erlebnis.
„ Konsum ist Autosuggestion gegen Bares “ 16, die notwendig ist, um sich der von außen gegebenen Identitätsvorlagen zu bedienen, da das Gefühl vorherrscht, sich ansonsten nicht mehr behaupten zu können. Nur als Teil einer bestimmten Marke, ist man Teil einer bestimmten Gruppe, die so nach außen ihre Zusammengehörigkeit präsentiert und davon sind technische Geräte schon lange nicht mehr ausgenommen. Desto besser der Computer, der Discman oder das Handy mit integriertem Mp3-Player, desto bedeutender und „stärker“ die besitzende Person.
Laut Steinle und Wippermann17 sind die Jugendlichen nicht konsumorient wegen ihres Materialismus, sondern da sie in den westlichen Wohlstandsgesellschaften über immer größere Geldbeträge verfügen können. „ An der Welt des Konsums teilhaben, ist Folge ihrer gr öß eren Autonomie und zugleich Best ä tigung ihrer Autonomie. “ 18
Und eben darum geht es, ein autonom denkendes und handelndes Individuum zu werden, in einer Konsumgesellschaft erfolgt dies eben durch Teilhabe am Konsum.
[...]
1 Vgl.: Peter Kemper, „ Media Mobilis “ , S. 265.
2 Der Begriff bezieht sich hier auf eine Altersgruppe von 13-30 Jahren aus verschiedenen sozialen Schichten.
3 Vgl.ebd. S. 270-272.
4 Takichi Tsekua, „Sony“-Produktleiter, in Peter Kemper, „ Media Mobilis “ , S. 271.
5 Vgl. hierzu: http://www.tonaufzeichnung.de
6 Vgl. hierzu: Jürgen Barthelmes und Ekkehard Sander, „ Medien in Familie und Peer-group “ , S. 64ff.
7 Vgl. ebd. S. 64.
8 Vgl. hierzu: „ 50 Jahre Shell Jugendstudie “ , S. 74 und 91.
9 Jürgen Barthelmes und Ekkehard Sander, „ Medien in Familie und Peer-group “ , S. 65.
10 Tiefer weisende Informationen zur umstrittenen Selbst- und Fremdsozialisation liefert bspw.: Angela Keppler, Interaktion ohne reales Gegen ü ber. Zur Wahrnehmung medialer Akteure im Fernsehen.
11 Lat. persona, „Charakter, Rolle“, von der „Maske des Schauspielers“ abgeleitet, bezeichnet in der Musiksoziologie in den Sozialisierungsprozessen die in den Medien erzeugte Figur des „Stars“, die häufig eine Projektionsfläche für Identifikationsprozesse liefert Vgl. hierzu: Etymologisches W ö rterbuch der deutschen Sprache.
12 Für Adorno stellt Kunst einen „Überbau“ im neomarxistischen Sinne dar, der dazu angelegt ist, die Menschen zu verblenden und sie ideologisch zu prägen. vgl. hierzu: Theodor W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, S. 14.
13 Eine Analyse der heutigen Generation, der so genannten Netzwerkkinder liefert unterhaltsam Andreas Steinle und Peter Wippermann, Die neue Moral der Netzwerkkinder. Trendbuch Generationen.
14 Es handelt sich also um ein Zusammenspiel von Entwicklungs- und Sozialisationsprozessen im Sinne: H. Gembris, und H. Rösing, Musikalische Sozialisation, S. 349.
15 Vgl. hierzu: Andreas Steinle und Peter Wippermann, „ Die neue Moral der Netzwerkkinder “ , S. 103.
16 Ebd. S. 102.
17 Ebd. S. 104.
18 Vgl. ebd. S. 104-105.
- Quote paper
- Sina Schmidt (Author), 2007, "Öffentliche Einsamkeit" - Die Wirkung transportabler Musikabspielgeräte auf den Alltag, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69488
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