Eine Tätowierung ist ein mit Farbpigmenten in die Haut gearbeitetes Bild oder Text. „Tätowierung“ - so lautet die Definition des Lexikons der Psychologie (5 Bände, 2000 - 2003) - (ist) die „Gestaltung des Körpers durch Symbole und Ornamente (...). In westlichen Kulturkreisen ist seit Mitte der 80er Jahre eine Zunahme an Tätowierungen zu beobachten, die sich in den 90er Jahren nochmals verstärkt hat: Tätowierungen als Modeerscheinung und/oder Ausdruck eines bestimmten Lebensstils.“
Die Etymologie des Wortes „Tätowierung“ oder „Tattoo“ wird auf das tahitianische Wort „Tatau“ zurückgeführt. Dieses bedeute etwa „Wunden schlagen“ und erinnere an die Geräusche, die während des Tätowierens durch die Schläge auf den Tätowierkamm, dessen Zacken die Farbe unter die Haut brächten, verursacht würden, so Oettermann (1995, 121). Er führt weiter aus, dass sich das Wort „Tatau“ gerade im Englischen durchsetzen konnte, da es in England seit 1644 die gleichlautende Vokabel „Tattoo“ mit ähnlicher Bedeutung gegeben habe. „Tattoo“ finde seinen englischen Ursprung in dem Satz „Doe den taptoe“ und bedeute, was das Schlagen eines bestimmten militärischen Trommelwirbels beschreibe (Oettermann, 1995, 121).
Medizinisch ähneln Tätowierungen leichten Schürfwunden, wobei die Intensität des Schmerzes und der Heilungsprozess mit denen eines Sonnenbrands verglichen werden. Bei großflächigen Tattoos ist es deshalb von Nöten, eine Abheilung der Hautpartien abzuwarten, ehe die Arbeit fertig gestellt werden kann. Die Tätowierung wird mit dem Zeichnen der Umrisse begonnen, um dann später mögliche Farben und Schattierungen aufzufüllen. Das Ergebnis dieser Prozedur macht die nun tätowierte Person zu der Gruppe der Tätowierten zugehörig.
Die Verbreitung von Tätowierungen hat in den letzten 20 Jahren stark zugenommen, und immer mehr Menschen verändern ihr Aussehen durch Tätowierungen dauerhaft, was diese Thematik für die psychologische und soziologische Forschung interessant macht. Allein in Berlin gibt es, laut
Internetauskunft der Gelben Seiten vom 31. August 2005, 42 Tätowierstudios.
Die genaue Zahl tätowierter Menschen in Deutschland ist nicht bekannt, doch meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (2003, Nr. 178/320 D), die Zahl der Tattoo-Träger in Deutschland habe sich seit Mitte der neunziger Jahre verdoppelt. Diese Schätzung stimmt zumindest in der berichteten Tendenz mit den Angaben des Lexikons der Psychologie überein. Etwa 4,2 Millionen Deutsche seien im Jahr 2003 tätowiert gewesen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Tätowierung - Eine soziologische und sozialpsychologische Einordnung
2.1 Die Funktionen der Haut
2.2 Das Prozedere der Tätowierung
2.3 Tätowierung als „Impression Management“ und Kommunikationsmittel - eine sozialpsychologisch- soziologische Sicht
2.4 Tätowierungen als Gegenstand der Literatur
3 Tätowierung als Untersuchungsgegenstand in der bisherigen Forschung
3.1 Lynne Caroll, Roxanne Andersen und Aldis Putnins (2002)
3.2 Douglas Degelman und Nicole Deann Price (2002)
3.3 Andrés Martin (1997)
3.4 Aglaja Stirn (2004)
3.5 Gordon B. Forbes (2001)
3.6 Katherine Irwin (2001)
4 Entwicklung der Fragestellung
4.1 Erläuterung der Interviewfragen
4.2 Der „Interviewrahmen“
4.3 Tabellarische Übersicht der Interviewfragen
5 Untersuchungsmethodik
5.1 Interviewteilnehmer
5.2 Der Interviewablauf
5.3 Der Untersuchungsplan
6 Auswertung der narrativen Interviews
6.1 Persönliche Anmerkungen und Gedächtnisprotokolle zu den Interviews
6.2 Der erste Auswertungsschritt: Die Inhaltskategorien der Antworten
6.2.1 Identität als überragendes Thema
6.2.2 Vorbilder und Identifikation
6.2.3 Die Tätowierung als Ankerfunktion an einen bestimmten ideologischen Ort
6.2.4 Die Ablösung von den Eltern - die Mama Kategorie
6.2.5 Schutz vor anderen - auch als Botschaft an andere und vor dem Altern
6.2.6 Empfundener Schmerz während der Tätowierung
6.2.7 Das Tätowiertwerden hat etwas Symbolisches, das es zu einem „Ritual“ macht
6.2.8 Der Aspekt der Gruppenzugehörigkeit
6.2.9 Persönliche Atmosphäre
6.2.10 Emotionale Nähe zur Tätowierung
6.2.11 Zusammenfassung
6.2.12 Die Experten Kategorie Auftrag
6.3 Der zweite Auswertungsschritt: Die fragezentrierte Analyse der Antworten
6.3.1 Angaben zur ersten Tätowierung
6.3.2 Die Eigenständigkeit der Entscheidung sich tätowieren zu lassen und die Reaktion der näheren Umwelt
6.3.3 Zusammenfassung
6.3.4 Die positive Veränderung des Selbstbildes durch die Tätowierung
6.3.5 Zusammenfassung
6.3.6 Die Wirkung der Tätowierung auf die eigene Körperlichkeit
6.3.7 Zusammenfassung
6.3.8 Ergebnisse der Expertenfragen
6.3.9 Zusammenfassung
7 Vergleich der Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertungsansätze
8 Fazit
8.1 Ergebnis der Arbeit unter Berücksichtigung der Ausgangsfragestellung
8.2 Die Ergebnisse der vorliegenden Studie vor dem Hintergrund der bisherigen Literatur
8.3 Ideen für zukünftige Studien
8.4 Schluss
9 Exkurs
9.1 Darstellung der Tätowierungen in den internationalen Fachmagazinen
9.1.1 Erscheinungsort der Magazine
9.1.2 Tatuajes y Perforaciones
9.1.3 Skin & Ink
9.1.4 Das Tätowiermagazin
9.2 Zusammenfassung
10 Literatur
1 Einleitung
Eine Tätowierung ist ein mit Farbpigmenten in die Haut gearbeitetes Bild oder Text. „Tätowierung“ - so lautet die Definition des Lexikons der Psychologie (5 Bände, 2000 - 2003) - (ist) die „Gestaltung des Körpers durch Symbole und Ornamente (...). In westlichen Kulturkreisen ist seit Mitte der 80er Jahre eine Zunahme an Tätowierungen zu beobachten, die sich in den 90er Jahren nochmals verstärkt hat: Tätowierungen als Modeerscheinung und/oder Ausdruck eines bestimmten Lebensstils.“
Die Etymologie des Wortes „Tätowierung“ oder „Tattoo“ wird auf das tahitianische Wort „Tatau“ zurückgeführt. Dieses bedeute etwa „Wunden schlagen“ und erinnere an die Geräusche, die während des Tätowierens durch die Schläge auf den Tätowierkamm, dessen Zacken die Farbe unter die Haut brächten, verursacht würden, so Oettermann (1995, 121). Er führt weiter aus, dass sich das Wort „Tatau“ gerade im Englischen durchsetzen konnte, da es in England seit 1644 die gleichlautende Vokabel „Tattoo“ mit ähnlicher Bedeutung gegeben habe. „Tattoo“ finde seinen englischen Ursprung in dem Satz „Doe den taptoe“ und bedeute, was das Schlagen eines bestimmten militärischen Trommelwirbels beschreibe (Oettermann, 1995, 121).
Medizinisch ähneln Tätowierungen leichten Schürfwunden, wobei die Intensität des Schmerzes und der Heilungsprozess mit denen eines Sonnenbrands verglichen werden. Bei großflächigen Tattoos ist es deshalb von Nöten, eine Abheilung der Hautpartien abzuwarten, ehe die Arbeit fertig gestellt werden kann. Die Tätowierung wird mit dem Zeichnen der Umrisse begonnen, um dann später mögliche Farben und Schattierungen aufzufüllen. Das Ergebnis dieser Prozedur macht die nun tätowierte Person zu der Gruppe der Tätowierten zugehörig.
Die Verbreitung von Tätowierungen hat in den letzten 20 Jahren stark zugenommen, und immer mehr Menschen verändern ihr Aussehen durch Tätowierungen dauerhaft, was diese Thematik für die psychologische und soziologische Forschung interessant macht. Allein in Berlin gibt es, laut Internetauskunft der Gelben Seiten vom 31. August 2005, 42 Tätowierstudios.1
Die genaue Zahl tätowierter Menschen in Deutschland ist nicht bekannt, doch meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (2003, Nr. 178/320 D), die Zahl der Tattoo-Träger in Deutschland habe sich seit Mitte der neunziger Jahre verdoppelt. Diese Schätzung stimmt zumindest in der berichteten Tendenz mit den Angaben des Lexikons der Psychologie überein. Etwa 4,2 Millionen Deutsche seien im Jahr 2003 tätowiert gewesen. Im Jahr 2005 meldete die Zeitung: „Im Alter zwischen 19 und 24 Jahren tragen fast 30 Prozent [der Deutschen] ein Tattoo.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2005, Nr. 182/32 D, 7).
Tätowiert zu sein bedeutet, sich einer mitunter langwierigen, heißt einer mehrere Sitzungen andauernden und dadurch schmerzhaften Prozedur zu unterziehen, die dazu führt, dass der Körper dauerhaft mit der Tätowierung gezeichnet ist. Wenn der Soziologe Matthias Friedrich in seiner Einleitung schreibt: „Tätowierungen und ihre Träger bilden eine Einheit. Eine sinnvolle wissenschaftliche Beschäftigung mit der Tätowierung muß [...] Hautbild und Träger gleichermaßen erfassen, ist ohne Einbeziehung der Person des Trägers nicht möglich.“ (Friedrich, 1993, 9), so soll versucht werden, auf Fragen zu Tätowierungen nicht mit den häufig verwendeten vorurteilsbeladenen Antwortmustern zu reagieren, die wohl noch häufig dem „Wer sich tätowiert, ist ein Verbrecher oder ein degenerierter Adliger“ (Oettermann, 1996, 14) zu folgen scheinen. Der „Person des Trägers“, den Tätowierten, soll hier der Raum gegeben werden, auf Fragen zu ihren Hautbildern zu antworten, der jenseits einer Fragebogenerhebung liegt.
Dabei wird insbesondere folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Beweggründe geben die Interviewten aus heutiger Sicht für ihren damaligen Entschluss zur permanenten Körperveränderung an? Welche „Bedeutung“ hatte die Tätowierung damals für sie - und hat sich diese Bedeutung im Laufe der Jahre gewandelt? Ist eine mögliche Anziehung zu Symbolen adoleszenter Rebellion einer Hinwendung zu ästhetisch ansprechenden Tätowierungen gewichen?
Die Arbeit gliedert sich in folgende Abschnitte: Zunächst wird in Kapitel 2 der Versuch einer soziologisch und sozialpsychologischen Einordnung von Tätowierungen unternommen. Sodann wird in Kapitel 3 dargestellt, wie und in 5 welchem Umfang Tätowierungen bisher in der Forschung untersucht wurden.
Es folgt die Entwicklung der eigenen Untersuchungsfrage in Kapitel 4, sowie der Untersuchungsmethodik in Kapitel 5. Die Ergebnisse der narrativen Interviews werden in Kapitel 6 dargestellt. In Kapitel 7 folgt ein Vergleich der Auswertungen. Kapitel 8 schließt mit dem Fazit die Arbeit - auch vor dem Hintergrund der bisherigen Literatur - ab. Als Exkurs werden in Kapitel 9 drei Tattoo-Fachmagazine inhaltsanalytisch ausgewertet.
2 Tätowierung - Eine soziologische und sozialpsychologische Einordnung
Die Haut ist „das als Integumentum commune den Körper bedeckende Organ“, schreibt das Roche-Lexikon Medizin (1993, 700), wirksam „als gegen die Umwelt abgrenzendes mechanisches Schutzorgan, als Wärmeschutzorgan [...], als Schutzorgan gegen Bakterien [...] und Strahlen [...], als Energiespeicher [...] u. [...] wichtiges Sinnesorgan [...] sowie Immunorgan.“.
Im Folgenden sollen die Arbeiten des Psychoanalytikers Didier Anzieu sowie des Soziologen und (u.a.) Supervisors Oliver König zur Thematik der menschlichen Haut, ihren Aufgaben und Ausdrucksmöglichkeiten vorgestellt werden.
2.1 Die Funktionen der Haut
Die Haut nimmt als Sinnesorgan Informationen aus der Umwelt und dem eigenen Körper auf. Die menschliche Haut verfügt als Organ über sogenannte Hautsinne wie Schmerz- und Temperaturempfindungen, aber auch über den Druck- oder Tastsinn. Die Druckempfindung entsteht über die mechanische Veränderung der Haut. Der über die Haut empfundene Schmerz wird als Oberflächenschmerz bezeichnet - der des Bewegungsapparats als Tiefenschmerz. Im Gegensatz zu den Fernsinnen Sehen und Hören bezeichnet man - neben dem Geschmackssinn - sogenannte Nahsinne als Sinnesorgane der Haut (Wenninger, 2001).
Der französische Psychoanalytiker Didier Anzieu beschreibt in seinem Konzept des „Haut-Ichs“, wie Säuglinge durch ihre Haut (-Oberfläche) erste Vorstellungen von sich selbst - ihrem Ich - entwickeln. Das Haut-Ich bildet Anzieu zu Folge die Grundlage für das Denken schlechthin. Die Haut des Menschen bietet seiner Meinung nach die erste Möglichkeit zu Abgrenzung von wie zur Kommunikation mit anderen: „[Haut] ist Schutzvorrichtung unserer Individualität sowie erstes Instrument und Ort des Austauschs mit dem Anderen.“ (Anzieu, 1996, 1).
Der Hautkontakt des Säuglings zu seiner Mutter „ist - nicht weniger als der Mund - Ort und primäres Werkzeug der Kommunikation mit dem Anderen und der Entstehung bedeutungsvoller Beziehungen; darüber hinaus bildet sie [die Haut] eine reizaufnehmende Oberfläche, auf der die Zeichen dieser Beziehungen eingetragen werden.“ (Anzieu, 1996, 61). Alle taktilen Erfahrungen des Kindes, so Anzieu, schreiben sich in seine Haut und „spiegeln“ sich dort - die negativen vor allem in Form von „Verletzungen“ , zu denen er Selbstverletzungen, Kratzen und Formen der Dermatitis zählt.
Im Haut-Ich sind die taktilen Spuren der Berührung, der Temperatur, sowie der Sensibilität wie eingeschrieben. Anzieu unterscheidet die Grundlage dieser Hautfunktionen nach ihrer biologischen und sozialen Herkunft: „Biologisch: Ein erstes Abbild der Realität erscheint auf der Haut. Sozial: Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer sozialen Gruppe zeigt sich an Schnitten, Hautritzungen, Bemalungen, Tätowierungen, Schminke, Haarschnitt und deren Doublette: den Kleidern.“ (Anzieu, 1996, 140). Durch das Haut-Ich zeigt Anzieu, dass klinische Erscheinungen wie Masochismus, Hysterie oder Borderline-Symptome aus einem Defizit oder einer Überbetonung bestimmter Funktionen des „Haut-Ichs“ resultieren können.
Der Soziologe Oliver König definiert die Haut ebenso wie Anzieu als Grenze des Menschen zu seiner Umwelt, als Grundlage der eigenen, zumindest biologischen Identität. Diese Grenzfläche vermindert sich sensoriell im Kontakt und in der Berührung mit anderen Personen (Häuten) - der Mensch überwindet Distanz mit Hilfe seiner Haut. Der Autor bezeichnet die Haut folglich als „interaktives Organ“ (König, 1997, 437), das „zum Spiegel der Seele“ wird und innere „Ein-Drücke“ nach außen sichtbar werden lässt.2 An dieser Stelle verweist er auf den fatalen Befund des Nicht-aus-seiner-Haut- Könnens - eine Häutung sei schließlich nur Tieren vorbehalten (siehe hierzu Kap. 7, Stichwort „Tinktur“).
Tabelle 1: Biologische Funktionen der Haut und ihre psychischen Entsprechungen im Haut- Ich. Nach O. König (1997, 441)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das „interaktive Organ“ Haut ist Mittel der (wieder:) „interaktiven“ (König, 1997, 439) Kommunikation, des Agierens und Reagierens zwischen Mutter und Kind. Als Sinnesorgan ist die Haut als einzige überlebenswichtig: „Der Verlust eines größeren Teils der Haut [...], z.B. durch Verbrennung, ist lebensbedrohlich.“ (König, 1997, 440). Die Erfahrungen, die das Kind durch seine Haut macht, schreiben sich ihm ein und dienen ihm als Ausgangspunkt weiterer Entwicklung.
Der heranwachsende Mensch erfährt in seiner Entwicklung die kulturellen Auffassungen über den Einsatz von Körperkontakt, sowie die entsprechenden Regeln von Nähe, Distanz und Intimsphäre. Der direkte „Haut- Kontakt“ des Säuglings wird spätestens während der Adoleszenz zum Kontakt durch Bekleidung, da Nacktheit mit Scham assoziiert wird. In dieser Übergangszeit „wird dem nicht nur durch die Zunahme von Bekleidung, sondern auch durch [...] Tätowieren Ausdruck verliehen, was dem Einzelnen seinen geschlechtlichen Status und seine soziale Zugehörigkeit untilgbar in die Haut einschreibt.“ (König, 1997, 442). Neben dem Aspekt der Zugehörigkeit ist die zunehmende Selbstbestimmung über die eigene Haut wichtige Voraussetzung - gerade für Frauen - zur Erlangung von Autonomie über den Körper (Körperdistanzierung).3
König spricht von der „Rückkehr des Körperlichen“ (König, 1997, 444) in der modernen Gesellschaft. In dieser Form der „Körperkultur“ wird der Körper zum Medium der Selbstdarstellung und seine (unbefleckte, nackte) Haut zum Symbol von Sinnlichkeit. Das Selbstwertgefühl des Einzelnen ist stärker mit den Möglichkeiten der Körperlichkeit - und damit denen der Hautveränderungen - verbunden. Die schmerzhafte Behandlung der Haut beispielsweise durch Tätowieren erkennt der Autor als bizarre und radikale Form der Selbstverletzung zum Zweck der (Selbstvergewisserung der) eigenen Körperlichkeit.
2.2 Das Prozedere der Tätowierung
Tätowierungen vorzunehmen bedeutet, die Haut zu punktieren und gleichzeitig Farbe einzustechen. Durch Spulen der elektrischen Tätowiermaschine wird ein Feld erzeugt, das eine Anzahl feiner, an eine Stange gelöteter Nadeln schnell bewegt, wobei die Geschwindigkeit der Nadeln von der Tätowiermaschine abhängig ist. Die Farbe wird durch die Schnelligkeit der Bewegung in die Haut gestochen, die mit einer Hand gestrafft wird, um sie mit der anderen zu tätowieren.
Bereits 1877 hatte Thomas Alva Edison einen sogenannten „Stencil Pen“, eine Art Prototyp einer Tätowiermaschine, als Patent angemeldet (Oettermann, 1996). Als „stencils“ werden auch heute noch die Vorlagen bezeichnet, die mittels Blaupause auf die Haut „kopiert“ und übertragen werden können, wodurch weniger geübte Tätowierer das „Freihandzeichnen“ vermeiden können. 1891 ließ Samuel O´Reilly den von ihm entwickelten „elektrischen Tätowierapparat“ mit der Bezeichnung „Tattooing Machine“ patentieren (Oettermann, 1996, 18; Schiffmacher & Riemschneider, 2001). Die Technik des Tätowierens an sich hat sich - im Gegensatz zu dem sich im Laufe der Jahre professionalisierten Umgang damit - nicht wesentlich verändert; es sind heute neben der Arbeit mit der elektrischen Tätowiermaschine, bei der Hautritzungen mit einer Tiefe von 0,5 bis einen Millimeter vorgenommen werden können, nach derzeitigem Kenntnisstand drei unterschiedliche Formen des Tätowierens von Hand bekannt (nach Schiffmacher & Riemschneider, 2001):
- Bei den nordamerikanischen Inuit werden Tätowierungen mittels eingefärbter Fäden oder Sehnen, die unter der Haut durchgezogen werden, ausgeführt.4
- In Indochina sowie in Polynesien wird die sogenannte Beitel- oder Kammtechnik des Tatauierens praktiziert: Mit Hilfe eines als Malet bezeichneten Stocks, an dem eine aus Knochen geschliffene Nadelreihe, der Tatauierkamm, befestigt ist, werden mit hoher Geschwindigkeit Muster in die gestraffte Haut gestoßen. Diese Kämme unterschiedlicher Breiten hinterlassen Linienzeichnungen.
- Bei der japanischen Tätowiertechnik Irezumi werden Sätze von gebündelten, an langen Bambusgriffen verankerten, Nadeln verwendet. Je detaillierter die Arbeit ausfallen soll, desto mehr Nadeln werden verwendet.
Neben diesen Techniken ist vor allem in Gefängnissen unter den Inhaftierten die sogenannte Rotationstechnik trotz Verbots weit verbreitet, bei der man sich eines elektrischen Geräts, wie einem Langhaarschneider, bedient, an dem Nadeln zum Tätowieren befestigt werden.
2.3 Tätowierung als „Impression Management“ und Kommunikationsmittel - eine sozialpsychologisch-soziologische Sicht
Oettermann sieht den „Schlüssel zur Tätowierung“ (Oettermann, 1982, 348) in ihrer kommunikativen Funktion, da die Voraussetzungen und die Bestandteile menschlicher Kommunikation keineswegs nur Worte sind, wie Watzlawick feststellte. Vielmehr umfasst Kommunikation jegliche Form paralinguistischer Ausdrucksweisen, also den Tonfall, die Schnelligkeit oder Langsamkeit der Sprache - einschließlich Sprachpausen, jedoch auch jede Form der Körpersprache, wie sie durch Körperhaltung verdeutlicht und mitgeteilt werden kann. Demzufolge ist jede Form von Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Kommunikation und hat Mitteilungscharakter. Nach Watzlawick heißt dies, da Verhalten kein Gegenteil hat: „Man kann sich nicht nicht verhalten.“ (Watzlawick, 2000, 51) - und daraus folgt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Jegliches Verhalten, ob Schweigen oder Sprechen, hat Mitteilungscharakter und beeinflusst andere, die ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren können und somit innerhalb dieser zwischenpersönlichen Situation interagieren.
Tätowierte befinden sich in einem Akt permanenter Kommunikation durch ihre (sichtbaren) Tattoos. Ermacora (1996, 26-27) erkennt in Tätowierungen, deren Motive an der Symbolik fremder Kulturen orientiert sind, den Wunsch, sich des Inhalts dieser Symbole „zu bemächtigen“, um „mit einem modernen Kontext [...] mit anderen Menschen zu kommunizieren.“. Tätowierungen können verschiedene Funktionen nichtsprachlicher Kommunikation übernehmen. Der Mitteilungscharakter einer Tätowierung hängt zum einen von der Körpersprache des Tattoo-Trägers ab, also davon, ob er seine Tattoos gern in der Öffentlichkeit zeigt, um sie als Kommunikationsmittel einsetzen zu können, aber auch von der „Botschaft“, die der „Träger“ vermitteln möchte: „Das heutige Tattoo [ist] das selbst beigebrachte Zeichen einer Handlungs- und Sprachlosigkeit.“ (Schoch 2003, 36). Weniger strikt formuliert es Oettermann: „[Das] Angebot und [der] Wunsch nach einer - offenbar nicht mehr möglichen - und daher vermissten - zwischenmenschlichen Beziehung“ werde durch die Tätowierung „signalisiert“ (Oettermann, 1982, 348).
Menschliches Verhalten und menschliche Kommunikation beinhalten immer auch Selbstdarstellung. Bei fast jeder Interaktion ist menschliches Verhalten als vor allem positives Sich selbst-Darstellen deutbar. Goffman (1988) untersuchte dieses menschliche Verhalten in alltäglichen sozialen Interaktionen. Er verglich Selbstdarstellungsverhalten im Alltagsleben mit dem Rollenspiel von Theaterschauspielern, die für das Publikum versuchen, ihre Rollen authentisch zu erfüllen5.
Schauspieler beschäftigen sich in der Rollendarstellung hauptsächlich damit, das dazugehörige Bühnenspiel zu inszenieren, mit dessen Hilfe sie all ihre, aus eigener Sicht, positiven und liebenswerten Eigenschaften und Fähigkeiten demonstrieren können. Die für die jeweilige Rolle erforderlichen Eigenschaften sind jedoch nicht die des Darstellers. Die gespielte Rolle wird allerdings häufig mit dem Selbst der Person, die sie spielt, gleichgesetzt. Wesentlich ist nun, ob die Eindrücke, die der Darsteller erzeugt, authentisch sind. Es geht demnach für den Schauspieler darum, die Meinungen des Publikums über ihn zu beeinflussen.
Die entsprechende Impression Management-Theorie behandelt die vorteilhafte Selbstdarstellung eines Individuums jenseits theatralischer Vergleiche, und meint den strategischen und taktischen Einsatz der Selbstpräsentation in sozialer Umgebung. Rollenkonforme Selbstdarstellung erfolgt zumeist unkontrolliert, routinemäßig und vom Individuum nicht bewusst inszeniert. Mummendey (1995) unterscheidet innerhalb des Impression Management positive und negative Techniken. Hiernach wird beschrieben, ob sich jemand in für sich vorteilhafter, mitunter erhöhender, vor allem aber sozial gebilligter Weise darstellt oder ob er dabei - z.B. zum Zweck der Provokation - eine unvorteilhafte, auch herabwürdigende und sozial weniger gebilligte Darstellung wählt, wie die der möglichen Provokation durch Tätowierungen. Erstes Ziel des Impression Management ist es zwar, einen positiven Eindruck bei seinem sozialen Umfeld zu hinterlassen, doch wird auch dann Selbstdarstellung betrieben, wenn gar kein Publikum zugegen ist. Dabei geht es darum, dem gewünschten Selbstbild zu entsprechen, da Impression Management in selbstdienlicher Weise betrieben wird. Sei es nun vor anderen oder vor sich selbst: „Wer nicht versucht, seinen Selbstwert zu erhalten und zu mehren und sich gegenüber anderen als möglichst positiv zu präsentieren, gilt zumindest als unangepasst, als nicht ganz normal, wird im Extremfall gar als krank klassifiziert.“ (Mummendey, 2000, 144). Zu den Impression Management-Techniken, deren Merkmale als eher positiv für die eigene Person gewertet werden, zählt vor allem das weit verbreitete
- Eigenwerbung Betreiben (self-promotion).
Die folgenden positiven Selbstdarstellungsweisen enthalten immer auch einen Anteil an self-promotion. Eigenwerbung kann nach Mummendey (1995) als ein zusammenfassendes Konzept vieler weiterer Techniken, wie
- Hohe Ansprüche Signalisieren (entitlements)
- Hohes Selbstwertgefühl Herausstellen (self-enhancement) und Übertreiben (overstatement) verstanden werden. Die Technik der Eigenwerbung zielt vor allem auf die Darstellung persönlicher Fähigkeiten und Leistungen ab6, wobei die Anerkennung der persönlichen Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht. Es geht also weniger darum, sich beliebt zu machen, als vielmehr darum, respektiert zu werden. Zu den eher negativen Selbstdarstellungstechniken zählen unter anderem:
- Entschuldigen, Abstreiten von Verantwortlichkeit (apologies, excuses), Rechtfertigen (justification, accounting), besonders in misslichen Lagen (predicaments)
- Widerrufen, Ableugnen, Dementieren, vorsorglich Abschwächen (disclaimers)
- Sich als unvollkommen darstellen (self-handicapping)
- Untertreibung (understatement)
Alle Techniken gehen meist mit einer misslichen Situation einher, in der dann die einzelnen Techniken angewandt werden. Impression Management- Techniken sollen dazu beitragen, negative Konsequenzen zu mindern - selbst wenn die entschuldigende Person nicht persönlich verantwortlich ist - und lassen diese Person darüber hinaus auch in einem positiveren Licht erscheinen.
Negative Impression Management-Techniken dienen dem Individuum zwar dazu, sich in selbstherabsetzender Weise zu präsentieren, doch werden diese zu Gunsten einer letztendlich positiven Darstellung angewandt. Wie bereits unter self-handicapping beschrieben, bringt eine negative Selbstdarstellung Vorteile, wenn es darum geht, einer Verantwortung für das eigene Handeln zu entgehen. Für Misserfolge, negative Beurteilungen und Bewertungen kann nicht verantwortlich gemacht werden, wer sich zuvor als „handicapped“ präsentierte. Umso besser für den Beeinträchtigten, wenn er trotz seines Handicaps (nicht vorhergesagte) gute „Leistungen“ zu vollbringen mag.
Impression Management-Techniken können von Tätowierten angewendet werden, um beim Gegenüber Empörung oder Abwehr zu erzeugen, wie dies etwa bei bestimmten subkulturellen Gruppen der Fall ist. Daneben können Tätowierungen als permanente Hautveränderung aber auch der Verschönerung des Körpers dienen, was in westlichen Kulturkreisen als Modererscheinung oder auch als Ausdruck eines bestimmten Lebensstils angesehen werden kann. Da Impression Management meist auf adressatenspezifisches Verhalten angelegt ist, kann es dem Tätowierten entweder darum gehen, seine tatsächlichen Eigenschaften zu verschleiern oder sie hervorzuheben, was ihm anderen gegenüber Autorität, Respekt oder zumindest Aufmerksamkeit sichert. In der Konsequenz erschwert Impression Management aber die Beurteilung anderer Menschen, zum einen in Alltagssituationen - was sogenannte Urteilsfehler7 zur Folge haben kann - aber auch in empirischen Studien, wenn Interviewte dazu neigen, dem Forscher vermeintlich erwünschte Antworten zu geben.
2.2 Tätowierungen als Gegenstand der Literatur
Tätowierungen sind das Thema zweier Erzählungen, von denen an dieser Stelle berichtet werden soll. Die Autoren der Texte sind der österreichische Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924), der bekannt ist für seine ahnungsschweren surrealistischen Erzählungen - sowie der Prager Journalist und (Reise-)Autor Egon Erwin Kisch (1885-1948), Verfasser kritischer Reportagen und Erzählungen, der Ausbeutung und Entfremdungsprozesse der modernen Gesellschaft in seinen parteiischen Berichten thematisiert. Ist die Tätowierung in Kafkas Text „In der Strafkolonie“ (1919) lediglich literarisches Thema, so weist Kischs „Meine Tätowierung“ (Neuauflage der gesammelten Werke, 1974) autobiographische - wenn auch selbstironische - Züge auf, denn der Autor war trotz seiner bürgerlichen Herkunft selbst mehrfach tätowiert. Von Christian Schad stammt aus dem Jahr 1928 ein Ölgemälde, das Kisch mit nacktem tätowierten Oberkörper zeigt.
Einem Forschungsreisenden werden in Kafkas „Strafkolonie“, die sich auf einer Tropeninsel befindet, Funktion und Aufgabe einer Hinrichtungsmaschine demonstriert. Der zur Vorführung bestimmte Verurteilte wird auf ein Bett gelegt und soll durch an einer Egge befindliche zahllose kleine Nadeln langsam zu Tode tätowiert werden: „Es darf natürlich keine einfache Schrift sein; sie soll ja nicht sofort töten, sondern durchschnittlich erst in einem Zeitraum von zwölf Stunden.“ (Kafka, 1919, 45); die Tätowiermaschine gerät zur Mordwaffe als „Höllenmaschine der Strafkolonie [...], die auf der Haut des Verurteilten in gotischen Buchstaben den von ihm übertretenen Paragraphen eingraviert, bis er davon stirbt.“ (Anzieu, 1996, 140). Die Schuld des Verurteilten wird an keiner Stelle und von niemandem - nicht einmal vom Verurteilten selbst - in Frage gestellt. Als Strafe wird ihm „Das Gebot, das er übertreten hat [...] auf den Leib geschrieben[...]: Ehre deinen Vorgesetzten!“ (Kafka, 1919, 42). Die Tätowierung verhilft zur Zwangseinschreibung einer neuen Identität des Schuldigen - bei Kafka lediglich als literarisches Stilmittel, bei den (tätowierten Nummern) der Nationalsozialisten bittere Realität8. In beiden Fällen werden den zum Tod Gezeichneten ihre Urteile eingeschrieben in ihre Haut; ihre Körper werden beschriftet.
„Meine Tätowierungen“ hingegen beschreibt auf belustigende Art die Aufeinandertreffen eines tätowierten Mannes mit der Doppelmoral seiner nicht-tätowierten Umgebung: Die Menschen lassen sich Nasen umoperieren, Ohrlöcher stechen und tragen seit ihrer Geburt dasselbe Amulett auf der Haut, doch die Vorstellung, auf ewig tätowiert zu sein, widerstrebt ihnen als guten Christen. Zudem werden die Tätowierungen des Erzählers - natürlich - nicht steril gestochen, schwellen an, da mit Stiefelwichse eingestochen und ziehen fürchterliche Krankheiten nach sich; auch sind sie „garantiert schmerzlos, dachte ich [E. E. Kisch] schmerzlich.“ (Kisch, 1974, 92). Die Motivwahl übernehmen andere (Tätowierer) und der Tätowierte ist der Dumme, der mit den hässlichen Tattoos und dem Spott seiner Mitmenschen leben muss, die sich immer wieder die entzündeten Tätowierungen zeigen lassen möchten (Kisch, 1974, 92).
Oettermann schreibt (in: Schmidt, 1996, 18) über Kischs Einschätzung der damaligen Tätowierer: „Der beste unter ihnen aber war, glaubt man Egon Erwin Kisch, dem selbst über und über tätowierten „Rasenden Reporter“, Lewis Alberts. In Kischs 1930 erschienenem Reportageband „Paradies Amerika“ heißt es: „An Tattooing-Saloons ist in den amerikanischen Häfen wahrhaftig kein Mangel. Aber der beste Tätowierer aller außerchinesischen Häfen ist, man mag sagen was man will, doch Lewis Alberts, 87 Sand Street, Brooklyn. Seine Werke, die nicht in Galerien hängen, sondern, durch alle Poren atmend, die sieben Meere durchfahren, müssen Bewunderung wecken.“.
In den Texten Kafkas und Kischs sind Tätowierungen mit Schmerzen assoziiert. Während die Szenerie bei Kafka gespenstisch ist, erscheint sie durch Kischs Ausdrucksweise eher amüsant. Tätowierungen versprechen in beiden Geschichten Leid, auch wenn sie aus unterschiedlichen Motiven angefertigt werden - das Ergebnis ist erschreckend. Die Darstellung der Tätowierungen ist in beiden Beispielen negativ und dürfte außerdem heute weiterhin der Einstellung der meisten Menschen zu dieser Art der Körperveränderung entsprechen.
3 Tätowierungen als Untersuchungsgegenstand in der Forschung
Bei der Sichtung der „Tätowier-Literatur“ wird schnell deutlich, wie einig sich die Autoren - so unterschiedlich ihre Intentionen über dieses Thema zu forschen auch sein mögen - sind, denn bei aller Vielfältigkeit der Berichte, die gelegentlich [westliche] Missionars-Romantik aufleben lassen (Stirn & Ham 2001), überwiegt doch die Meinung, dass es sich bei Tätowierten um eine psychopathologische Gruppe handelt, die häufig mit Straffälligen gleichgesetzt wird (Putnins, 2002). Stereotype Sichtweisen werden gerade in der amerikanischen und australischen Literatur durch klinische Studien an Rückfälligen (Straffälligen), Jugendlichen und Verhaltensauffälligen (Mädchen) bestätigt, wobei diese Gruppen häufig zusammengefasst untersucht werden: „In der sterilen Praxis eines weiß bekittelten Arztes, die von vornherein nur die Alternative gesund/krank zulässt, erscheinen die Tätowierten als ,Befleckte´. Da sie nicht körperlich krank sind, müssen sie notwendig seelisch krank sein.“ (Oettermann, 1982, 337).
Einig sind sich die Autoren über das Phänomen, das hier zu untersuchen ist, denn: „Tattoos and piercings have become a part of our everyday landscape.“ (Martin, 1997, 860), das Wissenschaftler vermuten lässt, dass „body modification may now be part of the mainstream young adult culture“ (Forbes, 2001, 783). Die Motivationen und Gründe, sich tätowieren zu lassen, gestalten sich da bereits vielschichtiger. Tätowierungen seien weltweit angewandtes Mittel die Persönlichkeit auszuleben (Degelman & Price, 2002). Trotz oder wegen des damit verbundenen Gesundheitsrisikos durch Infektionen oder allergische Reaktionen (Carroll & Anderson, 2002; Stiftung Warentest, 2004; Deutsches Ärzteblatt, 2004) und der Fallberichte zu medizinischen Komplikationen (Stirn, 2004) ließen sich aber nur Angehörige von Subkulturen tätowieren (Putnins, 2002) - obwohl: „Tattoos have become more widespread and acceptable among young people“ (Putnins, 2002, 66). Forbes erkennt die daraus resultierende Schwierigkeit, wenn er schreibt: „When significant numbers of well-educated middle-class people begin to display tattoos or piercings, it becomes difficult to view these modifications as signs of personal or social pathology” (Forbes, 2001, 775).
Die „Tätowierungs- und Piercingwelle“, die über Deutschland „schwappt“, ist einer Studie zu Folge in Zusammenhang mit Modererscheinungen aus dem amerikanischen Raum zu sehen, die den Aspiranten medial vermittelt werden (Stirn, 2004, 45): „Dass dies möglich war, liegt am schwer durchschaubaren Rückkopplungseffekt von Trendsetting und gesellschaftlichem Echo“.
3.1 Lynne Carroll, Roxanne Andersen und Aldis Putnins (2002) - Tätowierungen als selbstgewähltes Signal adoleszenter Subkulturen
In ihrer klinischen Studien gehen Lynne Carroll und Roxanne Andersen davon aus, dass Tätowierungen in Zeiten genereller und zunehmender Entfremdung eine Möglichkeit darstellen, die Kontrolle - vor allem über den eigenen Körper - zu behalten (Carroll & Anderson, 2002). In ihrer Studie wird vom „struggle for identity and control over their [the teenager´s] changing bodies” gesprochen. Carroll und Anderson ließen zu den Hypothesen „Body Art as a Search for the Self“, „Body Art as a Search for Peer Acceptance“ und „Body Art as a Form of Self-Mutilation“ 79 Frauen im Alter von 15 bis 18 Jahren standardisierte Tests wie das „Coopersmith Self-Esteem Inventory“, „Beck Depression Inventory“ und den „State-Trait Anger Expression Inventory“ ausfüllen. Die untersuchte Gruppe von Mädchen befand sich zur Zeit der Erhebung in einem „educational program” für „gefährdete“ Schülerinnen öffentlicher High-Schools, die zu häufig vom Unterricht fern geblieben waren. Als Ergebnisse konnten die Autorinnen festhalten, dass die Anzahl der Tätowierungen in Zusammenhang mit dem „Wut-Potential“ der Mädchen stehe, sich „schlechte Gefühle gegenüber dem eigenen Körper“ mit der Anzahl der Tätowierungen steigerten und das Selbstbewusstsein allgemein sinke, was sie in folgendem Satz zusammenfassten: „These forms of body modification constitute forms of self-mutilation.“ (auf Deutsch: „Diese Körperveränderungen begründen Formen der Selbst-Verstümmelung”) (Carroll & Anderson, 2002, 636).
Ähnlich drastische Schlussfolgerungen zieht Aldis Putnins (2002) in seiner korrelativen Studie an 454 australischen erneut straffälligen Jugendlichen, die er das „Secure Care Psychosocial Screening“ ausfüllen ließ. Putnins fand heraus, dass die Anzahl der Tätowierungen in Zusammenhang mit „substance use“ - Drogenmissbrauch steht: „Young offenders [...] more often had tattoos and more frequently used psychoactive substances […] an association between having tattoos and hostile or aggressive behaviours was found.” (Putnins, 2002, 65). Auf der Suche nach der eigenen Identität gesteht er den straffälligen Jugendlichen zu: „Getting a tattoo could [...] be a badge of membership that projects an image of who they are, of how they want others to see them and what group they belong to. In such cases being tattooed is a reflection rather than a cause of delinquency, though it might further reinforce a delinquent orientation.” (Putnins, 2002, 66). Putnins sieht im Tätowiertsein also keine Ursachen, die Straffälligkeit fördern können. Tätowierungen sind vielmehr Kennzeichen, die eine Gruppenzugehörigkeit widerspiegeln, die ihrerseits allerdings eine kriminelle Orientierung fördern könnten. Er befürchtet, dass Tätowierte durch ihre sichtbaren Tattoos keine feste Anstellung finden könnten, was diese in Verbindung mit Langeweile zu „Regelverstößen“ anleiten könnte. Um besser in die Gemeinschaft zurückzufinden, schlägt er ihnen vor, die als Stigma wirkenden Tätowierungen entfernen zu lassen - um dann darin die Absicht der Selbstbildveränderung zu erkennen: „Tattoo removal [...] could be a way of reinforcing the transformation of self-identity“ (Putnins, 2002, 67). Letztlich spricht er eine Empfehlung zur Entfernung und damit zur Hinwendung zu „sozialen Normen“ aus, zu denen er einen - oberflächlich betrachtet - „Makel losen“ Körper zählt.
3.2 Douglas Degelman und Nicole Deann Price (2002) - Tätowierung vs. Nicht-Tätowierung im Experiment
Die Auswirkungen sichtbarer Tätowierungen auf das Fremdbild untersuchten Douglas Degelman und Nicole Deann Price in ihrer Befragung von 196 Studenten. Sie zeigten ihnen zwei Fotographien einer jungen Frau, die auf einem der Bilder eine Tätowierung auf ihrem Oberarm hatte. Abgesehen von dieser Tätowierung waren die Fotographien identisch. Die Studenten sollten ihr Urteil mit Hilfe von 13 polaren Eigenschaften anhand einer 5-Punkte-Skala angeben. Dabei konnten die Autoren feststellen, dass dem Bild der Frau ohne Tätowierungen alle 13 Eigenschaften positiver zugeschrieben wurden, als dem Bild mit der(selben) tätowierten Frau (Degelman & Price, 2002, 511). Dieses Ergebnis ließ sich auf alle Versuchsteilnehmer übertragen; es konnten keine Unterschiede im Antwortverhalten zwischen Männern und Frauen sowie zwischen tätowierten und nicht tätowierten Teilnehmern gemacht werden.
Obwohl Degelman und Price einräumen, dass dieses Ergebnis nicht verallgemeinert werden könne, da sie lediglich eine Person und eine Tätowierung und deren Wirkung untersuchten, merken sie an, dass davon auszugehen sei, dass durch die Präsenz einer sichtbaren Tätowierung die Möglichkeit einer offenkundig schlechteren Behandlung Tätowierter durch Nicht-Tätowierte anzunehmen ist.
3.3 Andrés Martin (1997) - Tätowierungen als Zeichen der Identitätssuche
Geht diese „schlechte Behandlung“ von den Eltern tätowierter Jugendlicher aus, so sieht Andrés Martin (1997) den „Kliniker“ in einer mediativen Funktion. Er erkennt jugendliche Argumente für Körpermodifikation lediglich als „seperation from the family matrix“ (Martin, 1997, 860) an. Zum besseren Verständnis und zur „vorurteilsfreien“ Kontaktaufnahme mit tätowierten Jugendlichen fasst er deren „psychological underpinnings“ (Martin, 1997, 860) in die Bereiche „Identity and the Adolescent´s Body“, „Incorporation and Ownership“ und „The Quest for Permanence“ zusammen. Nach Martin bieten Tätowierungen Jugendlichen eine Lösung, um aus ihrer Identitätskrise zu finden, da sie Autonomie und Privatheit erzeugten. Auf der Suche nach Individualität seien Heranwachsende somit für alle erkennbar „gezeichnet“ und einzigartig. Diese Grenzziehung weist für den Autor eine Parallele zu dem [sprichwörtlichen] Hinweis „Keep Out“ auf, der an Zimmertüren Jugendlicher zu sehen ist. Die Permanenz von Tätowierungen biete hier Vorzüge, die jedes physischen, weltlichen oder geographischen Wandels trotzen. Martin erkennt hier die Voreiligkeit oder adoleszenten Übereifer „to lay down in ink what is valued and cherished one day but may not necessarily be in the future” (Martin, 1997, 861).
3.4 Aglaja Stirn (2004) - Eine „deutsche Fragebogenerhebung“
Aglaja Stirn veröffentlichte 2004 ihre „Ergebnisse einer ersten deutschen Fragebogenerhebung“; ein unzutreffender Titel, nachdem von Friedrich bereits seit 1993 eine Fragebogenstudie mit dem Titel „Tätowierungen in Deutschland. Eine kultursoziologische Untersuchung der Gegenwart“ vorliegt, die hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird. Stirn, eine Frankfurter Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, hatte auf der Frankfurter Tattoo Convention 2000 den „Frankfurter Tattoo- und Piercing-Fragebogen (FTPF)“ von 104 Besuchern ausfüllen lassen, um Daten zu den Gründen für Körpermodifikationen zu bekommen.
Stirn sieht die große Anzahl tätowierter Menschen in Deutschland als Ausdruck „der zunehmend körperorientiert-narzisstischen Gesellschaft“ (Stirn, 2004, 45), wobei sie Tätowierte auf „die andere“ Seite des gängigen Schönheitsideals stellt und ihnen deshalb höhere „Risikobereitschaftsverhaltensweisen“ (Stirn, 2004, 53) zuschreibt.
Die Mehrzahl der Fragebogenteilnehmer gab an, keine Ablehnung seitens Nicht-Tätowierter erfahren zu haben, viele von ihnen seien jedoch an zu verdeckenden Stellen mit zumeist modischen (also „akzeptierteren“) Motiven tätowiert. Stirn plädiert für eine Honorierung dieser Zurückhaltung seitens der Tätowierten und dafür, dass „moderate Formen von Tätowierungen in heutiger Zeit nicht (mehr) als Ausdruck von Gesellschaftsfeindlichkeit ihrer Träger interpretiert werden sollten.“ (Stirn, 2004, 54). Nach Angabe ihrer Befragten sind die Partner der meisten Befragten ebenfalls tätowiert. Stirn berichtet, die Teilnehmer hätten angegeben, durch die Tätowierungen kein verändertes Schmerzempfinden zu haben, wobei viele dennoch Schmerz während der „Tattoo-Session“ empfunden hätten. Die Autorin schreibt den Interviewten „eine besondere Beziehung zu ihrem Körper“ zu, da sie sich freiwillig einer „schmerzhaften Prozedur unterziehen, um ihre Ziele zu erreichen“ (Stirn, 2004, 55).
80% der von Stirn Befragten gaben an, „eine Art Sammelleidenschaft/Sucht bezüglich weiterer Tattoos/Piercings [zu] verspüren“ (Stirn, 2004, 56). Die Autorin vermutet hier einen Ansatz zur Klärung der „narzisstischen Störung“ (Stirn, 2004, 57), die sie denjenigen Tätowierten unterstellt, die sich neben ihrer „Sammelleidenschaft“ dazu bekannten, nicht mit Geld umgehen zu können. Wenn die gewünschte Befriedigung durch Körperveränderung, die „typisch für die Generation bis 30 Jahre ist“, nicht einsetze, könnten die Befragten nicht aufhören ihre Körper zu modifizieren, was mit der Zeit wirtschaftliche Schwierigkeiten bedeuten könne, so Stirn. Diese durch Tätowierungen und Piercings demonstrierte Körperorientierung der Fragebogenteilnehmer sieht die Autorin jedoch - im Gegensatz zu bisher vorgestellten Autoren - nicht als Indiz für selbst zerstörerisches oder gesellschaftsfeindliches Verhalten, sondern erkennt in der Hinwendung zum Körper als eine identitätsstiftende Wirkung, die sie immerhin als „Form der eigenständigen Körperveränderung und -Gestaltung“ (Stirn, 2004, 57) würdigt.
3.5 Gordon B. Forbes (2001)
Auto- und Hetero-Stereotype Tätowierter und Nicht-Tätowierter In seiner Studie befragte Gordon B. Forbes 341 tätowierte und untätowierte Studenten, um stereotypen Wahrnehmungen über Tätowierte und Gepiercte nachzugehen. Die Versuchsgruppe beantwortete Fragen zu Kindheitserfahrungen und riskantem Verhalten, die sich in den „Big Five personality factors“ u.a. auf Neurotizismus, Extravertiertheit, Offenheit, Kompromissbereitschaft und Gewissenhaftigkeit beziehen. Zusätzlich wurden Gründe, die für oder gegen eine Körperveränderung sprechen, abgefragt und die Wahrnehmung über Menschen mit Tätowierungen/Piercings untersucht. Von den 116 männlichen und 186 weiblichen Interviewten, deren Daten ausgewertet werden konnten, hatten 14,7%, bzw. 21% eine oder mehr Tätowierungen, doch in ihren Angaben über ihre Kindheitserfahrungen und Persönlichkeitsmerkmalen unterschieden sie sich kaum von den „Nicht- Modifizierten“. Trotzdem wurden Tätowierte/Gepiercte von der Gruppe derer, die keinerlei Körperveränderungen hatten, „much different“ (Forbes, 2001, 774) wahrgenommen und sie schrieben ihnen ein „scoring higher on the Neuroticism factor and lower on the factors of Openness, Agreeableness, and Conscientiusness“ (Forbes, 2001, 783) zu.
Die Tätowierten selbst gaben als Grund für ihre Körperveränderung meist an, sie empfänden die Tätowierung als ästhetisch. Die Assoziation von Tätowierungen und Rebellion in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu sozialen Randgruppen sieht Forbes in seiner Studie nicht bestätigt, vielmehr schreibt er: „Most participants viewed their tattoos and piercings as attractive methods of body decoration and valued means of self-expression“ (Forbes, 2001, 784). Ebenso gaben die Antworten seiner Versuchsgruppe keinen Hinweis auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch während der Entstehungsphase der Körperveränderungen. Die meisten der Studenten seien weiterhin mit ihren Tätowierungen zufrieden und dächten nicht daran, sie entfernen zu lassen. Zum Zeitpunkt des Interviews waren viele sicher, dass sie sich wieder für eine Tätowierung entscheiden würden.
Forbes schreibt, dass sich zwar viele der negativen Stereotype über Tätowierte und Gepiercte in seiner Erhebung nicht bestätigen ließen, gibt aber an, dass diese Gruppe durch die Vergleichsgruppe der Nicht-Tätowierten und Nicht-Gepiercten generell schlechter beurteilt werde. Die Grundlage dieser Fremdzuschreibungen sieht er unter anderem in Studien begründet, die Körpermodifizierte immer als Teil einer gesellschaftlichen Randgruppe untersuchten und von den Ergebnissen dieses selektiven Ausschnitts auf die Gesamtbevölkerung schlussfolgerten: „The earlier overwhelmingly negative image of the person with body modification may have never been completely justified and is not an accurate description of contemporary college students with body modifications.“ (Forbes, 2001, 785).
Der Autor bemerkt abschließend, dass Tätowierte und Gepiercte möglicherweise „risikobereiter“ und „weniger konform“ handelten als „NichtModifizierte“, dass beide Gruppen aber aus Familien mit auch sozial ähnlichem Hintergrund stammten. Die Kindheitserfahrungen beider untersuchter Gruppen stimmten überein, beide seien auf ähnliche Weise mit ihrem Körper zufrieden und gäben fast identische Selbstzuschreibungen bei den „Big Five personality factors“ an. Gerade diese Gemeinsamkeiten sieht der Autor als das bemerkenswerte Ergebnis seiner Arbeit.
3.6 Katherine Irwin (2001)
Legitimierung durch Redefinition von „Normalität“ Aufgrund der disziplinären Nähe der vorliegenden Arbeit zur Studie der Soziologin Katherine Irwin soll im Folgenden ausführlicher über deren Ergebnisse berichtet werden.
Irwins Beweggründe, sich mit dem Thema Tätowierungen auseinander zu setzen, unterscheiden sich grundlegend von denen aller bisher vorgestellten Autoren. Irwins „Tattoo-Background“ ist persönlicher Art, denn sie ist mit dem Inhaber eines Tattoo Studios verheiratet. Möglicherweise schließt ihre Zugehörigkeit zu dieser [In-]Group eine pathologisierende Sicht auf die Tätowierten aus.
Die Autorin erkennt in persönlichen Gesprächen mit Tätowierten Legitimationstechniken, die diese in Interaktionen mit Nichttätowierten für ihre Tattoos anwendeten. In ihrer Arbeit (2001) beschreibt sie, wie Tätowierte in Interaktionen mit anderen versuchen, ihre Tätowierungen zu legitimieren und das schlechte „Image“, unter dem Tätowierte „leiden“, zu überwinden, indem sie ihre „Körperkunst“ an „mainstream Werte und Normen“ anpassten - deviantes Verhalten wird im Alltag neu definiert, ohne zugleich einen Statusverlust erleben zu müssen. Es gehe für die Tätowierten nicht darum, ihren beschädigten Status wiederherzustellen, sondern die Tätowierungen von vornherein in das geltende Norm- und Regelsystem einzubauen - einem Statusverlust also vorzubeugen, statt ihm abzuhelfen. Eine quasi vorbeugende Destigmatisierung finde so schon im Vorfeld (der Stigmatisierung) statt, nämlich in dem Moment, indem „middle-class individuals take up particular deviant activities“ (Irwin, 2001, 50). Legitimationstechniken werden von Tätowierten angewendet, um die Akzeptanz der Tätowierungen innerhalb der sozialen Gruppe zu stärken und ihren Status zu behalten. Ebenso wie Rechtfertigen (vgl. hierzu Mummendey, 1995; 2000 oder Kap. 2.3), Herunterreden oder eben Stigma-Management-Techniken (siehe Kap. 2.3) „retten“ diese Techniken Tätowierte vor Sanktionen im Rahmen zwischenmenschlicher Kontakte. Der Unterschied zum „Leben mit dem Stigma“ bestehe nun darin, dass die mit der devianten Tätigkeit (dem Tätowiertwerden) assoziierten Bedeutungen geändert würden.
Irwin merkt an, dass in den 1960ern eine Art „Tattoo renaissance“ (Irwin, 2001, 50) stattgefunden habe (von der im Übrigen auch Oettermann spricht, vgl. 1982, 342), bei der zunehmend „fine artists“ zu professionellen Tätowierern geworden seien, was zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Tätowierungen beigetragen habe: „Many tattooees remarked that their tattoos were ´pieces of art` and that their tattooists were on the same level as fine artists“ (Irwin, 2001, 66). Alle angestellten Tätowierer im Laden ihres Partners hätten eine bis zu zehnjährige Kunstausbildung absolviert, ehe sie als Tätowierer arbeiteten. Außerdem bevorzugten diese „große Arbeiten“ an ihren Kunden, ganze Kunstwerke, bei denen sie „often celebrated clients who received large tattoos“ (Irwin, 2001, 57).
Als Grundlage ihrer Arbeit dienten ihr vor allem die Aussagen der Kunden, die sich zum ersten Mal tätowieren ließen, da sich diese Gruppe mehr Gedanken über die Reaktionen der Außenwelt auf Tätowierungen machten als bereits Tätowierte, so ihr Argument. Da die „Tattoo-Novizen“ vor allem eine Beeinträchtigung der Beziehung zu ihren Eltern fürchteten: „Most could not seperate themselves from wanting to secure approval from parents and appear successful in conventional society“ (Irwin, 2001, 57)9, befragte die Autorin auch deren Eltern. Diese sahen ihren eigenen sozialen Status durch die Tätowierungen ihrer Kinder gemindert und sich selbst als „poor moral guides” für ihre Kinder, die sie nicht vor diesem „Dreck” bewahren konnten: „They [parents] often mentioned that tattoos communicated dirtiness and poor hygiene“ (Irwin, 2001, 58).
Zu Irwins Ergebnissen zählt, dass die Gruppe der „Tattoo-Neulinge“ Legitimationstechniken entwickelte, mit denen sie die positiven Seiten des Tätowiertseins, wie etwa Unabhängigkeit und Autonomie gegenüber Autoritäten verstärkten - gleichzeitig die negativen, wie die Angehörigkeit zur „Unterschicht“ und Kriminalität, verringerten. Zudem übe der schlechte Ruf, den „Tattoo-Neulinge“ mit Tätowierungen verbänden, eine Attraktivität aus, die Irwin folgendermaßen beschreibt: „Many suggested that an intoxicating deviant mystique surrounded this form of body modification“ (Irwin, 2001, 55). Ein Umstand, der mit der Befürchtung korrespondiert, keinerlei finanzielle Unterstützung während der Ausbildung von ihren Eltern zu erhalten: „My tattoos will have to remain a secret until I´m twenty-two“ (Irwin, 2001, 59).
Die befragten Frauen machten sich diese Ablehnung folgendermaßen zu eigen: „Women especially saw tattoos as a sign of liberation and freedom and became tattooed to construct a sense of self outside of conventional ideals of femininity and female beauty [...] they described becoming tattooed as an act of toughness and strength. Tattooed women […] had control over their lives.” (Irwin, 2001, 55). Irwin weist auf den Akt des „empowerment” der von ihr befragten Frauen hin. Diese holten sich ihre Körper mit Hilfe der Tätowierungen aus der Kontrolle ihrer Väter und Partner „zurück”. Da ein tätowierter Frauenkörper keinem Schönheitsideal anderer zu entsprechen habe, hätten diese Frauen die alleinige Macht über ihre Körper zurückverlangt. Oettermann spricht in diesem Zusammenhang von der Tätowierung, die den Körper - ähnlich einem Panzer - schützt vor ungewollten Berührungen, „die keine Berührungen, sondern Eingriffe und Vereinnahmungen sind.“ (Oettermann, 1982, 349).
Einige ihrer Befragten waren auf der Suche nach Anerkennung durch den Tätowierer, die, wie bereits oben erwähnt, Hierarchien unter ihren Kunden bildeten. Privilegiert behandelt wurden jene Kunden, die sich zu einer besonders großen Arbeit entschlossen - eine aus Sicht der Autorin nicht beabsichtigte Bevorzugung: „They inadvertently created a social world in which outsider and insider statuses were drawn according to the size and type of tattoos that clients received“ (Irwin, 2001, 57). Irwins Befragte befürchteten zudem, dass Tätowierungen ihre Selbstdarstellung negativ beeinflussen könnten: „I realized that my ankle would never evoke that same sense of femininity. Sure, in some alterna-crowd it might say ,cool, deviant chick`, but it would never universally communicate ,beauty`. (Irwin, 2001, 60). Irwin meint, dass sobald die Befragten die Konsequenzen erfassten, die eine Tätowierung mit sich bringe, sie ihren einstigen „Tattoo-Eifer“ verlören. Ihr Enthusiasmus sei wie begraben („muddied“10 ).
Die Legitimationstechniken umfassen nach Irwin „using mainstream motivations“, „committing to conventional behavior“, „offering verbal neutralizations“11, sowie „conforming to conventional aesthetics“. Trotz der Anwendung dieser Techniken sahen einige Interviewte ihren sozialen Status durch die Tätowierung „befleckt“: „He made this little joke about me having a little bit of dirt on my ankle.“ (Irwin, 2001, 63). Dabei beziehe sich die Legitimationstechnik der sprachlichen Neutralisierung („offering verbal neutralizations”) auf die Interviewten, die sich häufig für ihre Tätowierungen
[...]
1 www.gelbeseiten.de.
2 Ähnlich argumentieren viele Dermatologen, wenn es um eine Diagnose atopischer Ekzeme geht.
3 Vgl. hierzu Irwins Begriff des „empowerment“, Kap. 3.6.
4 Eine Variante der (unfreiwilligen) Tätowierung, auf ähnlichem Verfahren beruhend, ist die „Schmutztätowierung“, bei der, etwa nach Verkehrsunfällen, Aschepartikel durch Schürfwunden in die Haut dringen.
5 Der englische Originaltitel lautet „The presentation of self in everday life“ (1959), in der deutschen Übersetzung „Wir alle spielen Theater“ (erstmals 1969, hier: 1988).
6 Siehe hierzu die Selbstdarstellung der interviewten Experten, Kap. 6.3.8, Tabelle 26. 14
7 Urteilsfehler sind unbeabsichtigte Begleiterscheinungen menschlicher Informationsverarbeitung, die verzerrte Wahrnehmungen/Interpretationen der Realität bedeuten (vgl. Wenninger, 2001). Siehe hierzu auch Kap. 6.2.
8 Während des Nationalsozialismus erdachten die Faschisten ein entwürdigendes „neues Zeichensystem der Stigmatisierung“ (Oettermann, 1995): Zum einen wurde Gefangenen der Konzentrationslager eine Häftlingsnummer auf das Handgelenk gestochen. Zum anderen ließen sich Soldaten der Waffen-SS ihre Blutgruppe eintätowieren. Daneben berichtet Vespignani (1976) über folgende Perversion: „Es ist die Frau eines der SS-Offiziere, die diese Mode [!] lancierte: jeder tätowierte Gefangene wurde zu ihr gebracht; wenn sie die Tätowierung nach ihrem Geschmack fand, wurde der Gefangene getötet und ihm die Haut abgezogen. Die Haut wurde gegerbt und zu ´Erinnerungsgegenständen` (Lampenschirme, Wandbezüge, Bucheinbände usw.) verarbeitet.“ (83 f.).
9 Vgl. hierzu Martin (1997), 14.
10 Vgl. hierzu Gibson & Sachau (2000): „Sandbagging“ als Selbstdarstellungsform.
11 Mummendey (2000) spricht in diesem Zusammenhang von „verbal understatement“ (untertreiben), das als negative Selbstdarstellungstechnik des self-handicapping angewendet wird. Vgl. Kap. 2.3.
- Arbeit zitieren
- Victoria Groß (Autor:in), 2006, Hautgravuren zur Individualisierung des Körpers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65197
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