Die wohl wichtigste Maxime des kompositorischen Tuns in der Zeit des Wiener Klassizismus: Einheit in der Mannigfaltigkeit. Es wird versucht, dies in der Analyse der Gestaltung eines Sonatenthemas zu verifizieren. Unter Zuhilfenahme der damaligen "Grammatik" der Musiksprache wird am Anfangsthema von MOZARTs KV 457 (der "TRATTNERN-Sonate") dessen musikalische Formulierungskunst aufgezeigt.
Manfred Schwenkglenks
EINHEIT IN DER MANNIGFALTIGKEIT –
MOZARTS KOMPOSITIONSWEISE IM HAUPTTHEMA DES ERSTEN
STÜCKS1) AUS DER KLAVIERSONATE C-MOLL KV 457
Materialaufriß für die exemplarische Vorführung einer ausführlichen musikalischen Analyse in der
gymnasialen Oberstufe2)
Vorbemerkung3):
Ähnlich wie ein sprachlich formulierter Satz aus seinen Bestandteilen Subjekt, Prädikat, Objekt, Adverbiale etc. besteht, sowie in Satzteile wie Haupt- und Nebensätze, Relativsatz, Einfügung usw. unterteilt werden kann, läßt sich ein musikalisches Thema oder Melodie aus der MOZART-Zeit betrachten. Nach Heinrich Christoph KOCH ist ein musikalischer "Satz" (im engen Sinne) "jedes einzelne Glied eines Tonstückes, welches an und für sich selbst einen vollständigen (sic!) Sinn bezeichnet". "Satz" (in erweitertem Sinne, auch als „interpunktischer Hauptteil“ bezeichnet) ist als ein Oberbegriff anzusehen, der unterteilt wird in "Absätze" und einen (z.B. eine Sonatenexposition beschließenden) Schlußsatz, der stets mit einer Kadenz beendigt wird. Immer dann, wenn der Zuhörer eine "Fortsetzung" erwartet, ist ein "Absatz" gegeben, der - ebenso wie der Schlußsatz - eine bestimmte Endigungsformel aufweist. Bei kurzen Musikstücken, wie etwa Menuetten, ist die Erwartung einer Fortsetzung natürlich anders gelagert als z.B. bei Sonatenstücken, wo man ja nicht gleich nach der Vorstellung des Hauptthemas das Ende gesetzt haben will.
Kein Dichter oder Schreiber wird sich allerdings mit so einfach gestalteten Gebilden begnügen. So ist, wie in der Sprache, der musikalische Satz erweiterbar. Er kann aus mehreren Satzteilen bestehen, die z.T. einander sehr ähnlich sind; die Trennstellen können unterschiedlich stark empfunden werden, ähnlich beispielsweise dem Semikolon im Gegensatz zum Komma.
[Der Satzteil selbst muß aus mindestens zwei Worten (in der Musik Motiv, Einfall, Gedanke) bestehen, und jedes Motiv muß, um sinnfällig zu sein, wenigstens zwei Töne haben (die rhythmisch-metrisch einzuordnen sind), wie auch das Wort i.d.R. zum Minimum aus zwei Buchstaben zusammengesetzt ist.]
Die Interpunktion der Sätze erfolgt durch verschiedene Schlußbildungen der Teile. Hiernach wird unterschieden - vereinfacht gesprochen - zwischen einem "Komma" (einer Endung auf meist unbetontem Taktteil, nach der damaligen Nomenklatur als "Absatz" bezeichnet), sowie einer stets betont endenden Kadenz (V - I), wobei die betonte Finalis der Melodie durch Verzierungen oder Vorhaltsbildungen hinausgeschoben oder "verschleiert" werden kann.
[...]
1) Nomenklatur "Stück" siehe Briefe MOZARTs (z.B. den vom 9.7.78 aus Paris) oder: Leop.MOZARTs Violinschule (z.B. 12.Hauptstück, Augsb.1756) oder: H.Chr.KOCH Lexikon ("Sonate", Ffm.1802). Leider hat nach Auffassung des Verfassers der "Satz" - Begriff im Laufe des 19.Jh. eher zu Verwirrungen beigetragen, wie im übrigen viele anderen moderneren Begriffe auch (beispielsweise "Periode"; s.u.). Die Frage ist, ob die heute gängige Titulierung nicht eher dazu geeignet erscheint, den Gedankengang des Komponisten, den er beim Erstellen seines Werks verfolgt haben mag und den man den Schülern ja plausibel zu machen versucht, mißzudeuten, als ihn durch den Gebrauch der zeitgenössischen Terminologie als musikalische Denkweise verständlich zu machen. Weiteres hierzu siehe Fußnote 3.
2) Der Text entstand im Zusammenhang einer Anwendungsaufgabe in einer Klausur Klasse 12 GK nach Behandlung der MOZARTschen "Jupiter"-Sinfonie. Der Aufgabentext lautete: "Noten- und Hörbeispiel: MOZART, Klaviersonate c-moll, Hauptthema des ersten Stücks. Analysieren Sie den Aufbau dieses Themas, indem Sie auf dem Notenblatt die einzelnen Thementeile kennzeichnen und beschreiben." Zum Erwartungshorizont ist anzumerken, daß man von Schülern der Klassenstufe 12 wohl kaum eine Analyse der vorliegenden Art verlangen kann. Man kann aber bei der Klausurbesprechung in ähnlicher Weise das Thema erläutern; i.d.R. sind die Schüler hiervon beeindruckt.
3) nach der zeitgenössischen Theorie des Oberösterreichers Joseph RIEPEL (1709-82), ausgeführt in "Anfangsgründe zur musikalischen Setzkunst...", Teil 2: "Grundregeln zur Tonordnung insgemein", Frankfurt/Leipzig 1755 (das Buch war im Besitz Leopold MOZARTs, und nach diesem hat er wohl seinem Sohn Wolfgang das Komponieren beigebracht). Die Ausführungen hierzu hat der Verfasser anläßlich einer Fortbildungsveranstaltung für Musikfachlehrer an Gymnasien, die am 16.9.1988 mit den Dozenten Prof. Dr. Heinrich DEPPERT und Dr. Wolfgang BUDDAY an der Musikhochschule Stuttgart stattfand, kennengelernt. Die inhaltlichen Ergänzungen, die bei der Erstellung dieser Analyse darüber hinaus vonnöten waren, sind Wolfgang BUDDAYs Dissertation "Grundlagen musikalischer Formen der Wiener Klassik" (Kassel/Basel/London 1983) entnommen. Der Verfasser hat nunmehr die Erfahrung gemacht, daß bereits Mittelstufenschüler mit der RIEPELschen Theorie sehr gut zurecht kommen (sie haben sogar nach dem RIEPELschen Muster eigene Menuette stilecht komponiert). Es ist allerdings zu ergänzen, daß die hier dargestellte Analogiesetzung von sprachlichem und musikalischem Satzbau in dieser Stringenz von der zeitgenössischen Theorie (H.CH.KOCH/J.RIEPEL u.a.) nicht gebraucht wurde und wahrscheinlich so auch nicht intendiert war. Sie tut aber der Sache selbst keinen Abbruch und vermag andererseits – da sie an der Begrifflichkeit anknüpft, mit denen die Gymnasiasten durch den Deutsch- und Fremdsprachenunterricht vertraut sind – das Verständnis dieser Musik durchaus zu fördern.
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