Konsumgenossenschaften gelten heute in Deutschland als eine gescheiterte Unternehmensform des Lebensmittelhandels. Ihr Schicksal wird dabei in der Regel mit dem skandalumwitterten Untergang des Frankfurter ´co op-Konzerns` Ende der 80er Jahre gleichgesetzt. Noch häufiger dürften die Konsumgenossenschaften unter den heutigen Deutschen allerdings gänzlich unbekannt sein. In den Supermärkten der co op-AG, die Mitte der siebziger Jahre das Erbe eines großen Teils der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung antrat, hatte deren Geschichte, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, tatsächlich keine sichtbaren Spuren mehr hinterlassen. ´Co op` erschien den meisten Verbrauchern daher als ein ganz ´normales` Unternehmen ohne genossenschaftliche Vorgeschichte.
Verblaßt ist weitgehend die Erinnerung an die ursprünglichen Ziele und Ideale, die der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung Leben eingehaucht hatten und die ihr Wesen bestimmten. Dieses Wesen ist durch die nüchterne juristische Definition der Konsumgenossenschaften als „Vereine zum gemeinschaftlichen Einkauf von Lebens- oder Wirtschaftsbedürfnissen im großen und Ablaß im kleinen“ nur sehr unzureichend umschrieben. Hinzugefügt werden muß insbesondere, daß Konsumgenossenschaften einst als Selbsthilfe-Initiativen von Verbrauchern angesichts eines überteuerten und qualitativ schlechten Lebensmittelangebots entstanden sind und daß ihre Entwicklung nicht bei der Errichtung verbrauchereigener Lebensmittelgeschäfte Halt machte, sondern eigene Produktionsbetriebe der Konsumenten-Genossen miteinschloß.
Der Charakter dieser Genossenschaftsform, ihre Entstehung, historische Entwicklung (in Deutschland) und schließlich ihr (zumindest vorübergehendes) Scheitern wird in der vorliegenden Arbeit ausführlich behandelt. Zudem befasst sich der Autor mit möglichen Zukunftsperspektiven der Konsumgenossenschaften.
Inhaltsverzeichnis
Teil I: Die Idee der Genossenschaft
1. Historische Entstehungsursachen der modernen Genossenschaft
2. Kollektive Selbsthilfe versus Fremdhilfe
3. Der Idealtypus der Genossenschaft
3.1. Freiwilligkeit
3.2. Das Förderungsprinzip
3.3. Das Identitätsprinzip
3.4. Die Genossenschaft als Sozialgemeinschaft
3.5. Das Demokratieprinzip
3.6. Selbstverwaltung und Selbstverantwortung
3.7. Nicht geschlossene Mitgliederzahl
3.8. Genossenschaften und Wirtschaftssystem
4. Die Genossenschaftsidee und ihre historischen Wurzeln in verschiedenen sozialen Schichten
4.1. Städtische Arbeiter und Genossenschaft
4.1.1. Arbeiter und Produktivgenossenschaft
4.1.2. Arbeiter und Konsumgenossenschaft
4.2. Selbständige Handwerker und Genossenschaft
4.3. Bauern und Genossenschaft
5. Eine grobe Kategorisierung von Genossenschaftsarten
5.1. Vollgenossenschaften und hilfswirtschaftliche Genossenschaften
5.2. Unternehmens- und Haushaltsgenossenschaften
5.3. Verkäufer-und Käufergenossenschaften
Teil II: Konsumgenossenschaftliche Ziel- und Strategievorstellungen
1. Allgemeine konsumgenossenschaftliche Ziele
2. Die Rochdaler Grundsätze
2.1. Offene Mitgliedschaft
2.2. Das Rückvergütungsprinzip
3. Gesamtgesellschaftliche Konsumgenossenschaftskonzeptionen
3.1. Eduard Pfeiffer
3.2. Heinrich Kaufmann
3.3. Konsumgenossenschaftliche Eigenproduktion versus Produktivgenossenschaften
3.4. Peter Schlack
4. Konsumgenossenschaften und erwerbswirtschaftliche Konkurrenz
5. Das Nichtmitgliedergeschäft
Teil III: Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung
1. Vereinzelte konsumgenossenschaftliche Gründungen (1850 - 1864)
2. Die Entwicklung zur Konsumgenossenschaftsbewegung (1864 - 1903)
3. Die ´Ära Heinrich Kaufmann` (1903 - 1933)
4. Die nationalsozialistische Zerschlagung der Konsumgenossenschaften
5. Die Wiederaufbauphase nach dem 2. Weltkrieg (1945 - 1960)
6. Die konsumgenossenschaftliche Krise und der Weg zur co op AG
7. Das Schicksal der co op AG
8. Die Reste der Konsumgenossenschaftsbewegung
Teil IV: Ursachen für den Bedeutungsverlust der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung
1. Der organisatorische Wandel 1967 - 1974
2. Der Verfall der genossenschaftlichen Demokratie
3. Gemeinwirtschaftliches Selbstverständnis
4. Das Nichtmitgliedergeschäft
5. Die veränderte Konkurrenzsituation
6. Rechtliche Begrenzungen konsumgenossenschaftlicher Entwicklung
7. Das Verschwinden traditioneller Zielgruppen
8. Zusammenfassung der Ergebnisse
Teil V: Zukunftsperspektiven der Konsumgenossenschaften in Deutschland
1. Die internationale Bedeutung der Konsumgenossenschaften
2. Die Rolle als Marktgegengewicht
3. Zukunftsperspektiven im ´Öko-Bereich`
4. Marktnischen für Konsumgenossenschaften
4.1. Neue Dorf-Konsumgenossenschaften
4.2. ´Internet-Shopping` und neue Dienstleistungen
5. Die Eigenkapitalausstattung
6. Schlußbemerkungen
Literaturverzeichnis
Vorbemerkungen
Konsumgenossenschaften gelten heute in Deutschland häufig als eine gescheiterte Unternehmensform des Lebensmittelhandels. Ihr Schicksal wird dabei in der Regel mit dem skandalumwitterten Untergang des Frankfurter ´co op-Konzerns` Ende der 80er Jahre gleichgesetzt.
Noch häufiger dürften die Konsumgenossenschaften unter den heutigen Deutschen allerdings gänzlich unbekannt sein. In den Supermärkten der co op-AG, die Mitte der siebziger Jahre das Erbe eines großen Teils der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung antrat, hatte deren Geschichte, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, tatsächlich keine sichtbaren Spuren mehr hinterlassen. ´Co op` erschien den meisten Verbrauchern daher als ein ganz ´normales` Unternehmen ohne genossenschaftliche Vorgeschichte.
Verblaßt ist weitgehend die Erinnerung an die ursprünglichen Ziele und Ideale, die der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung Leben eingehaucht hatten und die ihr Wesen bestimmten. Dieses Wesen ist durch die nüchterne juristische Definition der Konsumgenossenschaften als „Vereine zum gemeinschaftlichen Einkauf von Lebens- oder Wirtschaftsbedürfnissen im großen und Ablaß im kleinen“ nur sehr unzureichend umschrieben.[1] Hinzugefügt werden muß insbesondere, daß Konsumgenossenschaften einst als Selbsthilfe -Initiativen von Verbrauchern angesichts eines überteuerten und qualitativ schlechten Lebensmittelangebots entstanden sind und daß ihre Entwicklung nicht bei der Errichtung verbrauchereigener Lebensmittelgeschäfte Halt machte, sondern eigene Produktionsbetriebe der Konsumenten-Genossen miteinschloß.
Da sich ihre Mitgliedschaft mit der Zeit immer mehr aus Arbeitern zusammensetzte, sind die Konsumgenossenschaften vor allem während der Zeit der Weimarer Republik zu einem Teil der deutschen Arbeiterbewegung geworden, zu einem Teil allerdings, der eigenständige sozialreformerische Ziele verfolgte:
Die Genossenschaftsläden und genossenschaftlichen Produktionsbetriebe sollten nicht zu bloßen Abbildern bestehender Unternehmensformen, sondern zu einer grundlegenden Alternative zum gegebenen kapitalistischen, profitorientierten Produktions- und Distributionssystem werden. Neben öffentlichen und privatwirtschaftlich-kapitalistischen Unternehmen sollte sich die neue privatwirtschaftlich-genossenschaftliche Unternehmensform etablieren.
Der ´alternative` Charakter dieser Genossenschaften wird in der vorliegenden Arbeit ausführlich behandelt; nur soviel sei eingangs bereits erwähnt:
Die Konsumgenossenschaften wollten der privatwirtschaftlich-kapitalistischen Wirtschaftsweise, die im folgenden als Erwerbswirtschaft bezeichnet wird, eine durch völlig andere Prämissen geprägte Wirtschaftsweise entgegensetzen: die sogenannte „Bedarfsdeckungswirtschaft“.[2]
Während die wirtschaftlichen Aktivitäten erwerbswirtschaftlicher Unternehmen vor allem von den Zielen der Gewinnmaximierung zugunsten der Träger des Unternehmenskapitals geprägt werden[3], sollte es bei der Bedarfsdeckungswirtschaft nicht auf eine möglichst hohe Kapitalrendite ankommen, sondern auf die Bereitstellung bestimmter Güter oder Dienstleistungen zur Bedarfsdeckung der Genossenschaftsmitglieder.
Der Idealzustand einer solchen Bedarfsdeckungswirtschaft wäre ein Wirtschaftssystem, in dem ein großer Teil der gesellschaftlichen Produktion und Distribution von Konsumgenossenschaften betrieben würde, die nicht durch die Profitinteressen von Kapitaleignern zentral dominiert, sondern durch die Verbraucherinteressen ihrer Mitglieder demokratisch gelenkt würden.
Eine Utopie - sicher - aber eine Utopie, die nicht nur als Theorie in den Büchern verstaubte, nicht nur das ewige ´Prinzip Hoffnung` nährte, sondern als ´hohes Endziel` einen Weg markierte, der von Menschen auch in der Praxis weit gegangen wurde.
In der Weimarer Republik hatten die Konsumgenossenschaften zeitweise mehr als vier Millionen Mitglieder; gut ein Viertel aller deutschen Haushalte war damit in Konsumgenossenschaften organisiert.[4] Diese imponierenden Erfolge sollen nicht über gewisse Schattenseiten hinwegtäuschen, z.B. die schon damals meist defizitäre Verwirklichung des basisdemokratischen Anspruchs. Dennoch kann das damalige Beispiel der Konsumgenossenschaften als Beweis dafür gelten, daß eine effektive Bedarfsdeckung großer Bevölkerungsgruppen auch ohne die Motivation des Profitstrebens möglich ist.
Man mag einwenden, daß in der heutigen Massenproduktions- und Überflußgesellschaft das Bedarfsdeckungsprinzip der Konsumgenossenschaften keine Rolle mehr spiele, daß vielmehr einzig der Bedarf an Arbeitsplätzen gedeckt werden müsse, weil damit auch der Schlüssel zur Befriedigung aller anderen Bedürfnisse bereitgestellt werde.
Bei dieser Position wird allerdings übersehen, daß heute viele Verbraucher das Warenangebot der Wirtschaft - und hier besonders das Lebensmittelangebot - nicht mehr einfach fraglos ´schlucken`. Das Bewußtsein für Umweltschutz und gesunde Ernährung hat unter den Konsumenten zugenommen und damit die Überzeugung, daß ein verändertes Konsumverhalten für die Zukunft der Menschen ein mindestens genauso existentielles Erfordernis darstellt wie die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit.
Es gibt heute ein weit verbreitetes Mißtrauen von Verbrauchern gegenüber Lebensmittelproduzenten und -händlern, ein Mißtrauen, das durch Ereignisse wie den BSE-Skandal oder die klammheimliche Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel zusätzlich genährt wird. Dieses Mißtrauen bezieht sich auf die ökologischen (und sozialen) Herstellungsbedingungen sowie auf die Qualität des Produktangebots. Konsequente Umweltschutzmaßnahmen und verläßliche Qualitätsstandards gehören heute einfach zu einer optimalen Bedarfsdeckung der Verbraucher, scheitern aber bei vielen erwerbswirtschaftlichen Unternehmen immer wieder an der Dominanz kurzfristiger Profitmaximierungsinteressen.
Soviel zum aktuellen Hintergrund, vor dem in der vorliegenden Arbeit die Frage nach den Zukunftsperspektiven von Konsumgenossenschaften erörtert wird (Teil V). Der Verfasser beschränkt sich dabei auf die Konsumgenossenschaften in Deutschland und befaßt sich zuvor ausführlich mit deren Geschichte und den Ursachen für ihr weitgehendes Scheitern nach dem 2. Weltkrieg (Teil III und IV). Zunächst aber sollen die ´Idee der Genossenschaft` im allgemeinen und die speziellen Eigenschaften und Ziele der Konsumgenossenschaften im besonderen analysiert werden (Teil I und II). Da die Idee der Genossenschaft unauflösbar mit den genossenschaftlichen Pionierleistungen der Praxis verwoben ist, bietet Teil I gleichzeitig einen historischen Überblick über die Entstehung der vielfältigen Genossenschaftsbewegungen im 19. Jahrhundert. Dieser Überblick soll auch eine theoretische Einordnung des konsumgenossenschaftlichen Phänomens in den Gesamtzusammenhang des modernen Genossenschaftsspektrums erleichtern, ein Vorhaben, das am Ende von Teil I in eine grobe Kategorisierung der unterschiedlichen Genossenschaftsarten einmündet.
Der Begriff der „modernen“ Genossenschaft wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Grünfeld verwandt, der damit die auf freiwilliger Basis gegründeten Genossenschaften charakterisierte, die im Zuge der industriellen Revolution entstanden sind.[5]
Teil I: Die Idee der Genossenschaft
1. Historische Entstehungsursachen der modernen Genossenschaft
Die ersten modernen Genossenschaften waren Kinder der Not - und zwar einer „marktbedingten Not“.[6]
Sie entstanden in größerer Zahl etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Folge gewaltiger gesellschaftlicher Umbrüche in Europa. Gemeint ist die Auflösung der relativ starren, ständisch geprägten Wirtschaftsordnung und der allmähliche Übergang zu kapitalistischen Industriegesellschaften mit kaum regulierter freier Konkurrenzwirtschaft.
Die wirtschaftlichen Aktivitäten der im Mittelalter entstandenen Standesgesellschaften spielten sich im wesentlichen in den feudalistisch verfassten Dorfgemeinden und in den Handwerkszünften und Kaufmannsgilden ab. Es gab damals kein Recht auf freie Wahl der Berufstätigkeit und , damit zusammenhängend, auch keinen freien Gütermarkt. Das Recht zur Ausübung eines selbständigen Gewerbes stand nur den Mitgliedern der Zünfte und Gilden frei, die Mitgliedschaft konnte jedoch verwehrt werden. Auf diese Weise konnten die ´Insider` den Umfang der Produktionstätigkeiten in ihrem jeweiligen Gewerbe kontrollieren. Die Zahl der Meister, Gesellen und Lehrlinge war ebenso fest geregelt wie die Verkaufspreise der Produkte.[7] Die damalige Wirtschaftsordnung enthielt also Elemente einer - lokal begrenzten - Produktionsplanung, die dem Schutz der Zunft- und Gildemitglieder vor ruinösem Wettbewerb diente. Diese Schutzprivilegien zerbröckelten durch das allmähliche Eindringen eines freien Marktes in die Lebenswelt der wirtschaftenden Menschen.
Unter den selbständigen Handwerkern und Bauern gerieten damals viele in existenzbedrohende Notlagen. In der neuen Welt der unregulierten Investitionsgüter- und Konsumgütermärkte waren sie der Konkurrenz der Großerzeuger nicht mehr gewachsen. Vielen blieb nur der Weg in die Proletarisierung, also der soziale Abstieg in den neuen vierten Stand - die „Schicht der Fabrikarbeiter“.[8]
Es waren zumeist die blanke materielle Not, die Verzweiflung über den gesellschaftlichen Abstieg und ein Gefühl der Ohnmacht und Schutzlosigkeit, die einerseits Handwerker und Bauern, andererseits aber auch Fabrikarbeiter auf den Weg der Genossenschaft führten.
2. Kollektive Selbsthilfe versus Fremdhilfe
Bei der Gründung einer Genossenschaft schließen sich wirtschaftlich Schwache freiwillig zusammen und versuchen, mit einem gemeinsamen Geschäftsbetrieb ihre Existenz zu sichern und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Das erste Problem ist dabei die übliche Kapitalarmut der Genossen, die sich theoretisch auf zwei verschiedenen Wegen überwinden läßt:
Der Gedanke der kollektiven Selbsthilfe beinhaltet, daß die Genossen das notwendige Gründungskapital selbst zusammensparen; die vielen, individuell kärglichen finanziellen Mittel sollen sich auf diese Weise zu einem ansehnlichen Kapital addieren.
Kollektive Selbsthilfe bedeutet gegenseitige, solidarische Hilfe[9] aus eigener Kraft, ohne staatliche Unterstützung und „leistungsfremde Fürsorge“.[10] Solidarität schließt dabei die Wahrung des Eigennutzes ausdrücklich mit ein. Nur weil die Bündelung materieller und personeller Ressourcen den einzelnen Genossenschaftsmitgliedern auch individuelle Vorteile verspricht, kommt es überhaupt zu Genossenschaftsgründungen. Die Verbesserung der Lebensbedingungen aus eigener Kraft, die Emanzipation von staatlicher Fürsorge oder privater Wohltätigkeit soll dabei die Selbstachtung und positive Persönlichkeitsentwicklung der Genossenschafter fördern.
Demgegenüber steht die Gründung von Genossenschaften durch Fremdhilfe, insbesondere durch Staatshilfe, wie sie besonders im Zusammenhang mit der Gründung von Produktivgenossenschaften z.B. von den frühen Sozialisten des 19. Jahrhunderts häufig gefordert wurde.[11] Fremdhilfe bedeutet hier in der Regel Hilfe zur Selbsthife; die Genossenschaftsmitglieder führen ihren Betrieb also dennoch in Eigenregie. Je mehr die Fremdförderung aber dahin tendiert, die betriebliche Entscheidungsautonomie der Genossen einzuschränken, umso weniger kann ein solches Unternehmen noch als Genossenschaft bezeichnet werden.
3. Der Idealtypus der Genossenschaft
Die Darstellung genossenschaftlicher Ideen beziehungsweise der Geschichte dieser Ideen nimmt in der umfangreichen Genossenschaftsliteratur einen breiten Raum ein. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte und Gewichtungen der einzelnen Autoren, lassen sich dennoch eine Reihe von Faktoren extrahieren, die immer wieder als wesentliche Merkmale von Genossenschaften genannt werden. Durch das Zusammentragen dieser Faktoren soll im folgenden ein Idealtypus der Genossenschaft konstruiert werden, der als ideelles Leitbild genossenschaftlicher Aktivitäten zu verstehen ist. Ein solcher Idealtypus ist von der genossenschaftlichen Realgeschichte scharf zu trennen. Real existierende Genossenschaften und der genossenschaftliche Idealtypus müssen wechselseitig immer wieder aneinander gemessen, Übereinstimmungen und Differenzen müssen analysiert werden. Ein in der Rechtsform der Genossenschaft eingetragenes Unternehmen muß sich in der Praxis nicht unbedingt ´genossenschaftlich` verhalten, umgekehrt kann z.B. ein Unternehmen in der Rechtsform der ´GmbH` intern durchaus genossenschaftlich verfaßt sein.[12] Wann immer daher im folgenden ohne weitere Erläuterungen von Genossenschaften die Rede ist, ist damit nicht die rechtliche, sondern die wirtschaftlich-soziologische Sinnebene dieses Begriffes gemeint.
3.1. Freiwilligkeit
Freiwilligkeit des Zusammenschlusses ist ein durchgängiges Merkmal aller Genossenschaften. Zwangsgemeinschaften dagegen widersprechen dem Prinzip der Genossenschaft.
Die eingezahlten Geschäftsguthaben werden grundsätzlich zurückerstattet, wenn Mitglieder ihren Austritt aus der Genossenschaft erklären.
3.2. Das Förderungsprinzip
Nach § 1 des deutschen Genossenschaftsgesetzes sind Genossenschaften Personenvereinigungen von nicht geschlossener Mitgliederzahl zur Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels eines gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes. Förderungsleistungen sind nicht immer nur rein materieller, sondern häufig auch immaterieller Natur: von Bildungsangeboten, betriebswirtschaftlichen oder juristischen Beratungsdiensten bis hin zu Freizeitangeboten für die Mitglieder.
Genossenschaftliche Leistungen beschränken sich jedoch oft nicht nur auf die Mitglieder einer Genossenschaft. Die meisten Genossenschaften betreiben im Laufe der Zeit auch Geschäfte mit Nicht-Mitgliedern; manche sehen ihren Hauptzweck sogar sehr allgemein in der Förderung eines - wie auch immer definierten - gesellschaftlichen Gemeinwohls. So betrachteten sich die deutschen Konsumgenossenschaften nach dem zweiten Weltkrieg in zunehmenden Maße als Organisationen, die gemeinnützig zum Wohle der Gesamtheit aller Verbraucher agieren.
Die Mitgliederförderung nimmt je nach Art der Genossenschaft unterschiedliche Formen an. So fördert z.B. die Kreditgenossenschaft ihre Mitglieder durch die Vermittlung günstiger Kredite, während die Mitgliederförderung der Produktivgenossenschaft in der Schaffung von Arbeitsplätzen mit guten Arbeits- und Lohnbedingungen besteht.
Die Art ihrer Förderungsleistungen unterscheidet Genossenschaften grundsätzlich von Kapitalgesellschaften wie etwa den Aktiengesellschaften. Die Aktiengesellschaft ´fördert` ihre Aktionäre durch die Ausschüttung von Gewinnen. Bei der Genossenschaft stehen dagegen nicht die erwirtschafteten Überschüsse, sondern die vom genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb produzierten oder bereitgestellten Sachgüter und Dienstleistungen im Mittelpunkt der Mitgliederförderung.[13] Zweck einer Genossenschaft ist also nicht in erster Linie die Erwirtschaftung eines möglichst hohen Gewinns (Erwerbswirtschaft), sondern die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen für die Mitglieder zu möglichst optimalen Preis-Leistungs-Relationen (Bedarfsdeckungswirtschaft).[14]
Das heißt natürlich nicht, daß Genossenschaften nicht auch Gewinne erwirtschaften können, die an die Mitglieder ausgeschüttet werden. Dies kann - wie bei einer Aktiengesellschaft - in Form einer Dividende auf die eingezahlten Geschäftsanteile geschehen. Die idealtypische Genossenschaft praktiziert jedoch stattdessen - oder doch zumindest zusätzlich - eine Form der Gewinnausschüttung, die der Kapitalgesellschaft fremd ist. Die Mitglieder werden nicht proportional zur Höhe ihrer Geschäftsanteile, sondern „nach Maßgabe ihres Geschäftsverkehrs mit der Genossenschaft“ gefördert.[15] Das bedeutet, daß auszuschüttende Überschüsse nicht etwa gleichmäßig auf alle Mitglieder verteilt werden, sondern entsprechend des Umfanges, in dem die Genossenschaft jeweils in Anspruch genommen wurde (Ein Sonderfall ist in dieser Beziehung die Produktivgenossenschaft, bei der die Mitglieder ja keine Geschäfte mit der Genossenschaft tätigen, sondern in ihr beschäftigt sind).
Ein solches Verteilungsprinzip ist als ´gerecht` zu beurteilen, wenn man bedenkt, daß die Mitglieder einer Genossenschaft nicht so sehr „kapitalmäßig“, sondern vielmehr „sachlich“, durch ihre Geschäftstätigkeiten mit der Genossenschaft, zu deren Erfolg beitragen.[16]
Das beschriebene Ausschüttungsprinzip hat im Prinzip keinerlei Relevanz, wenn die Genossenschaft keine Überschüsse erwirtschaftet, sondern kostendeckend arbeitet. Für die Konsumgenossenschaften hat es dagegen in Form der sogenannten ´Rückvergütung` eine zentrale Bedeutung erlangt (vgl. S. 39 ff.).
3.3. Das Identitätsprinzip
Das sogenannte Identitätsprinzip stellt sich bei verschiedenen Genossenschaftstypen in unterschiedlicher Form dar. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies:
In den Produktivgenossenschaften, „in denen jeder Beschäftigte Teilhaber und jeder Teilhaber beschäftigt ist“[17], sind die Arbeiter gemeinsam ihre eigenen Unternehmer. Sie sind damit keine Lohnarbeiter mehr, sondern können die gesamten Erlöse des Betriebes, soweit sie nicht reinvestiert werden, untereinander aufteilen. In den Konsumgenossenschaften stellen die gemeinsamen Geschäftsbetriebe dagegen nur „Hilfsunternehmen für die Hauswirtschaft der Mitglieder“ dar.[18] Verbraucher organisieren den gemeinsamen Großeinkauf von Konsumgütern und werden dadurch zu ihren eigenen Einzelhändlern oder sogar Großhändlern. Hier werden gegensätzliche Interessen von Händlern und Konsumenten aufgehoben, nicht aber unbedingt - wie bei der Produktivgenossenschaft - der Gegensatz von Kapital und Arbeit. Beschäftigte von Konsumgenossenschaften müssen daher keine Genossenschaftsmitglieder sein und können auch als Lohnarbeiter angestellt werden. Das gilt auch für die Kreditgenossenschaften, bei denen das Identitätsprinzip darin besteht, daß die Genossenschafter zu ihren eigenen Kreditgebern werden.
Die Rohstoffgenossenschaften der Handwerker dagegen sind Beispiele für Genossenschaften, bei denen jedes Mitglied einen selbständigen Individualbetrieb führt. Die Genossenschaft übt hier nur eine Teilfunktion der Betriebe - den Einkauf von Rohstoffen - aus, um die Kostenvorteile des Großeinkaufs zu realisieren. Das Identitätsprinzip bedeutet hier, daß die Mitglieder gleichzeitig Unternehmer und Kunden der Genossenschaft sind.
An all diesen Beispielen zeigt sich, daß im genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb immer „zwei normalerweise durch den Markt getrennte Rollen im Interesse der Schwächeren zu einer Organisation“ zusammengefaßt sind.[19]
3.4. Die Genossenschaft als Sozialgemeinschaft
Genossenschaften sind keine bloßen Investitionsobjekte voneinander isolierter Kapitalanleger, sondern müssen von menschlichen Gemeinschaften getragen werden:
„Zu jeder Genossenschaft gehört eine gewisse Menge Gleichgesinnter, damit sie sozial eine Gemeinschaft sein kann, und daß wirtschaftlich in ihr eine gewisse ´Mengenhaftigkeit` und Gleichartigkeit des Bedarfs als Grundlage für ihren geschäftlichen Erfolg gegeben ist.“[20]
Erst die Existenz eines sozialen Zusammengehörigkeitsgefühls macht es überhaupt sinnvoll, von den Genossenschaften als ´sozialen Bewegungen` zu sprechen, statt nur von einer weiteren wirtschaftlichen Organisationsform neben der Aktiengesellschaft, GmbH etc.[21] Auch Werte wie „Gemeinschaftsverpflichtung“ und „genossenschaftliche Treue“ sind nur vor diesem geistigen Hintergrund zu verstehen.[22] In der Genossenschaft soll das Individuum zwar „für die Gemeinschaft wirken und leben, aber nicht in ihr aufgehen.“[23] Das bedeutet, daß der einzelne Genosse seine persönlichen Interessen nicht für die Gemeinschaft aufgibt, sondern gerade mit deren Hilfe verwirklicht. Wendt zufolge ist das Spannungsverhältnis von „Individuum und Gesellschaft, von Freiheit und Bindung (...) gerade im Genossenschaftsgedanken so gelöst, wie es dem natürlichen menschlichen Wesen entspricht“.[24]
Wichtig für jede Genossenschaft ist der Zusammenhalt ihrer Mitglieder durch gemeinsame Werte und Normen, durch ein Wir-Gefühl, also kurzum: durch den ´Genossenschaftsgeist`. Entschwindet dieser, so geht viel von dem besonderen Charakter der Wirtschaftsform ´Genossenschaft` verloren.
3.5. Das Demokratieprinzip
Die genossenschaftliche Organisationsstruktur gleicht auf den ersten Blick derjenigen der Aktiengesellschaft. Das Gesetz schreibt die Bildung eines Vorstandes und eines Aufsichtsrates sowie als weiteres Organ die Generalversammlung vor, die - wie die Jahreshauptversammlung einer Aktiengesellschaft - nur mindestens einmal pro Jahr stattfinden muß.
Dennoch verstehen sich Genossenschaften als demokratische Wirtschaftsunternehmen. Dies findet seinen Ausdruck besonders im sogenannten „Ein Genosse-Eine Stimme-Prinzip“.[25] Anders als bei Kapitalgesellschaften hat in der Generalversammlung nämlich jeder Genosse - unabhängig von der Höhe seines Geschäftsguthabens - die gleichen Mitsprache- und Abstimmungsrechte.[26] Worüber die Genossen mitsprechen und abstimmen dürfen, ist jedoch in der Realität von Genossenschaft zu Genossenschaft sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht z.B. von kleineren handwerklichen Produktivgenossenschaften mit basisdemokratischen Entscheidungsprozessen bis zu riesigen Konsum- oder Kreditgenossenschaften mit Hunderttausenden von Mitgliedern, in denen das einzelne Mitglied nicht mal mehr den Vorstand und Aufsichtsrat direkt wählt, geschweige denn unternehmerische Entscheidungsfragen mitdiskutiert. Diese Beispiele zeigen zwar reale Tendenzen auf, sollen jedoch nicht unterstellen, daß kleinere Genossenschaften generell demokratisch, Großgenossenschaften dagegen generell eher undemokratisch sein müssen.
Die bisherigen Ausführungen zum idealtypischen Wesen der Genossenschaft können mit der berühmten Genossenschaftsdefinition von Georg Draheim zusammengefaßt werden: „Genossenschaften sind Unternehmungen, deren Träger als zwischenmenschlich verbundene Individuen freiwillig eine Personenvereinigung = Gruppe im soziologischen Sinne bilden und gleichzeitig als Wirtschaftsbetriebe einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten, dessen Anteilskapital und dessen Verwaltungsorgane nur auf den nach Köpfen abstimmenden Mitgliedern beruhen und dessen maßgebende Aufgabe darin besteht, bestimmte, unmittelbar aus den Mitgliederwirtschaften erwachsende Bedürfnisse möglichst vorteilhaft für diese zu befriedigen.“[27]
3.6. Selbstverwaltung und Selbstverantwortung
Zu den genossenschaftlichen Prinzipien gehört auch Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
Selbstverwaltung heißt, daß die Verwaltungstätigkeiten in einer Genossenschaft so weit wie möglich von Genossenschaftsmitgliedern ausgeübt werden; in den Vorstand und Aufsichtsrat dürfen nur Genossenschafter gewählt werden.[28] Das bedeutet aber nicht immer auch uneingeschränkte Autonomie lokaler Genossenschaften. Im Zuge der genossenschaftlichen Verbundbildung können Entscheidungsbefugnisse auch auf genossenschaftliche Zentralinstanzen übergehen.
Selbstverantwortung bedeutet vor allem, daß die Mitglieder für Verbindlichkeiten ihrer Genossenschaften haften, zumindest in Höhe ihrer eingezahlten Geschäftsanteile. Eine solche beschränkte Haftpflicht ist in Deutschland erst durch das 1889 geänderte Genossenschaftsgesetz möglich. Bis dahin hafteten die Mitglieder von Genossenschaften auch mit ihrem gesamten Privatvermögen.[29]
3.7. Nicht geschlossene Mitgliederzahl
§ 1 des deutschen Genossenschaftsgesetzes definiert die Genossenschaft als „Personenvereinigung mit nicht geschlossener Mitgliederzahl“. Hierin drückt sich aus, daß Genossenschaften normalerweise der Neuaufnahme weiterer Mitglieder prinzipiell aufgeschlossen gegenüberstehen. Von einer weitgehend bedingungslosen - nur an die Zeichnung eines Geschäftsanteils gekoppelten - Zugangsoffenheit kann jedoch nur bei einigen Genossenschaftsarten gesprochen werden, insbesondere bei der Konsumgenossenschaft. Die Mitgliedschaft in den Genossenschaften der Selbständigen setzt dagegen z.B. den Besitz eines eigenen Betriebes voraus. Auch in der Geschichte der Produktivgenossenschaften zeigt sich immer wieder das Phänomen der Genossenschaftssperrung für weitere Mitglieder (vgl. v. a. S. 36 ff.).
3.8. Genossenschaften und Wirtschaftssystem
Die Genossenschaften in ihrer Gesamtheit sind „keinem geschichtlichen Wirtschaftssystem wesensmäßig zuzuordnen“.[30] Als freie, autonome Unternehmen konkurrieren sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen mit anderen Unternehmensformen und stehen daher fern dem Sozialismus in seiner zentral-verwaltungswirtschaftlichen Variante. Als demokratisch strukturierte Gruppenwirtschaften unterscheiden sie sich bereits organisatorisch grundlegend von kapitalistischen Erwerbsunternehmen, ferner durch eine völlig andere Zwecksetzung: die Gütererzeugnisse der Genossenschaften dienen direkt der Bedarfsdeckung ihrer Mitglieder und keinesfalls - auch nicht indirekt - der Gewinnmaximierung der Genossenschaften. Allen Genossenschaften gemeinsam ist das Bestreben, bestimmte Fehlentwicklungen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zu korrigieren. Sie wirken als Marktgegengewicht gegen Monopolisierungs-, beziehungsweise Oligopolisierungserscheinungen durch kapitalistische Großunternehmen. Die wirtschaftlich Schwachen werden konkurrenzfähig, indem sie selbst großunternehmerisch tätig werden.
Bei den unterschiedlichen Genossenschaften gibt es allerdings Differenzen bezüglich der genossenschaftlichen Fernziele. Zwei grundsätzlich verschiedene Positionen sind hier zu unterscheiden:
1) Die Genossenschaft als Instrument zur „Reform des bestehenden Marktes“, zur Existenzsicherung der wirtschaftlich Schwachen innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems.[31]
2) Die Genossenschaft als Instrument zur Überwindung des bestehenden erwerbs-wirtschaftlichen Konkurrenzsystems mittels einer allmählichen Vergenossenschaftlichung des gesamten Wirtschaftssystems.[32]
Im Bereich der Konsumgenossenschaften ist die erste dieser Positionen maßgeblich von Peter Schlack, die zweite vor allem von Heinrich Kaufmann vertreten worden (vgl. Teil II).
4. Die Genossenschaftsidee und ihre historischen Wurzeln in verschiedenen sozialen Schichten
4.1. Städtische Arbeiter und Genossenschaft
Die Schicht der städtischen Arbeiter bestand lange Zeit vor allem aus unselbständigen Handwerksgesellen und -lehrlingen. Wo die Industrialisierung voranschritt, wurde sie jedoch immer mehr durch Fabrikarbeiter geprägt. Die Arbeiter des 19. Jahrhunderts erhielten in der Regel sehr niedrige Löhne, arbeiteten ohne Kündigungsschutz unter katastrophalen Arbeitsbedingungen und lebten in ärmlichsten Verhältnissen. Mangels eigener Produktionsmittel waren sie aber zum Verkauf ihrer Arbeitskraft an Produktionsmittelbesitzer gezwungen.
Man kann daher wohl unterstellen, daß Arbeitervorstellungen von einer Verbesserung ihrer Lebenslage immer auch auf folgenden Bedürfnissen basierten: Dem Wunsch nach einem gesicherten Arbeitsplatz, guten Arbeitsbedingungen, ausreichendem Lohn, sowie billigem und gutem Lebensmittel- und Wohnraumangebot. Berücksichtigt man diese Bedürfnisstruktur, so erscheinen die Produktivgenossenschaft und die Konsum-, Bau- und Wohnungsgenossenschaft als die geeignetesten Organisationsformen der genossenschaftliche Selbsthilfe von Arbeitern.
4.1.1. Arbeiter und Produktivgenossenschaft
Als „Begründer der Arbeiterproduktivgenossenschaft“[33] kann der Franzose Philippe J. B. Buchez (1791 - 1868) bezeichnet werden. Seine Aufforderung zur Gründung von Selbsthilfe-Genossenschaften richtete er aber nicht an Fabrikarbeiter, sondern an die Arbeiter des Handwerks und hier insbesondere an solche „die nicht Massenprodukte herstellen, die maschinenmäßig gemacht werden können: Tischler, Schneider, Kunstdrechsler, Setzer u. s. w.“[34] „Handwerker, deren Kapital Geschicklichkeit ist“[35], sollten also in eigenen Betrieben ihrer Arbeitslosigkeit oder der Ausbeutung durch die selbständigen Handwerksmeister entkommen. In Buchez` Ideen vermischen sich religiöse und sozialistische Elemente. Die genossenschaftliche Gemeinschaft sollte wie eine ´Bruderschaft` funktionieren[36], in der der Einzelne auf persönlichen Besitz weitgehend verzichtet, zugunsten eines unteilbaren und unveräußerlichen Gemeinschaftskapitals[37], von dem auch spätere Generationen noch profitieren sollten. Der Anteil der Überschüsse, der den Arbeitern
zum Leben blieb, sollte allerdings nach Leistungen und Fähigkeiten unterschiedlich hoch ausfallen.[38]
1832 half Buchez beim Aufbau einer Produktivgenossenschaft von Tischlern in Paris, die jedoch sehr bald scheiterte, während andere Experimente in dieser Richtung zum Teil erfolgreicher verliefen.[39] Der große Praxisdurchbruch gelang Buchez` Genossenschaften allerdings nie und zwar nicht nur wegen ihrer eingeschränkten Zielgruppe. Buchez` Ideal der brüderschaftlichen Genossenschaft entsprach auch nicht den realen Verhaltensweisen der Arbeiter. Vereinzelt kam es sogar zur Aufteilung des ´unteilbaren` Gemeinschaftskapitals und relativ erfolgreiche Genossenschaften stellten lieber Lohnarbeiter ein, anstatt neue Mitglieder aufzunehmen.[40]
Während Buchez kein grundsätzlicher Gegner der freien Konkurrenz war, betrachtete sein Landsmann Louis Blanc (1813 - 1882) diese als das Hauptübel seiner Zeit.[41] Seine genossenschaftlichen Vorstellungen veröffentlichte er 1839 in der Schrift „Organisation du Travail“. Blanc wandte sich nicht an Handwerker, sondern an die Arbeiter der Großindustrie, denen er jedoch nicht zur genossenschaftlichen Selbsthilfe riet. Stattdessen setzte sein genossenschaftliches System die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse voraus: Der Staat sollte als „Bankier der Armen“ eine Kreditbank gründen und mit deren Mitteln „Genossenschaftswerkstätten“ (ateliers sociaux) finanzieren.[42] Deren Satzungen sollten ebenso wie die Leiter der Werkstätten von der Volksversammlung beschlossen werden.[43] Blancs ateliers sociaux sind also nicht im Sinne des genossenschaftlichen Selbstverwaltungsprinzips konstruiert.
Die Genossenschaftswerkstätten sollten ferner nicht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen miteinander konkurrieren, sondern sich gegenseitig solidarische Unterstützung leisten.[44]
Nach der französischen Februarrevolution 1848 und der Ausrufung der Republik, konnte Blanc zunächst hoffen, seine Ideen in die Tat umsetzen zu können. Als Mitglied der sozialdemokratischen Partei trat er als Arbeitsminister in die provisorische Regierung ein, die er jedoch nach der Wahl zur Nationalversammlung im April wieder verlassen mußte. Von der siegreichen bürgerlichen Regierung wurde er als Verschwörer verfolgt und mußte ins Exil flüchten. Trotz ihrer zunehmend reaktionären Politik stellte die Regierung im Juli 1848 noch drei Millionen Francs für die Gründung von etwa 30 ateliers sociaux zur Verfügung.[45] Diese Summe war jedoch im Vergleich zu Blancs Plänen lächerlich gering. Bei den ateliers handelte es sich um handwerkliche, aber auch um einige industrielle Genossenschaften. Letztere waren jedoch nur da zeitweise erfolgreich, wo sie nicht demokratisch organisiert, sondern von einem „patron“ geführt wurden.[46] 1863 waren von diesen Genossenschaften bis auf drei alle gescheitert.[47]
Auch in Deutschland muß die Geschichte der Produktivgenossenschaften als entmutigend bezeichnet werden. Erste Versuche in dieser Richtung gehen auf das Engagement der ´ Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbrüderung` zurück, die sich während der 1848er Revolution unter der Führung von Stephan Born in Berlin gegründet hatte. Dabei handelte es sich um eine Vereinigung der ´Arbeiterelite`- Handwerksgesellen und qualifizierte Fabrikarbeiter[48] - deren „Sozialisierungskonzeption (...) darauf zielt[e], die gesamte Wirtschaft über ein sich ausbreitendes System von Produktiv- und Konsumgenossenschaften sowie Assoziationskassen derart zu verändern, daß kein „arbeitsloses Einkommen“ mehr an Kapitalisten jeder Art (gewerbliche Unternehmer, Händler und Bankiers) zu zahlen sei“.[49]
Die Finanzierung dieser Vorstellungen sollte durch Einzahlungen der Arbeiter in Assoziationskassen erfolgen, daneben sollte auch der Staat Kredite gewähren, vor allem aber Produktionsaufträge erteilen und Absatzhilfe leisten.[50]
Nach dem Scheitern der Revolution wurde die Arbeiterverbrüderung schließlich 1854 im Zuge der Reaktion verboten.[51]
Nachdem politische Verfolgungen dieser Art seit den 1860er Jahren allmählich abnahmen, blieben die Gründungszahlen für Produktivgenossenschaften dennoch gering. Häntschke sprach für die Zeit von 1862 - 1894 von „322 gewerblichen Produktivgenossenschaften“, von denen sich „213 aufgelöst“ hätten.[52] Von den im Jahre 1894 verbliebenen 109 Produktivgenossenschaften waren jedoch nur 34 Handwerker- und Arbeitergenossenschaften. In 42 Fällen handelte es sich dagegen um Gemeinschaftsbetriebe selbständiger Unternehmer, 31 gehörten zu Konsumgenossenschaften (besonders Bäckereien) und zwei waren Wohlfahrtsgenossenschaften.[53] Seit den 1890er Jahren hat die Bedeutung der Produktivgenossenschaften sogar noch erheblich abgenommen.
Die erwähnten Produktivgenossenschaften waren Selbsthilfe-Genossenschaften, häufig aus gewerkschaftichen Zusammenhängen entstanden. In ihnen organisierten sich meistens Textilarbeiter, Tischler, Schneider, Zigarren- oder Bauarbeiter. Es handelte sich dabei um Gewerbe, die nur relativ geringe Kapitalinvestitionen erforderten.[54] Industrielle Selbsthilfe-Genossenschaften der Fabrikarbeiter gab es dagegen nicht.
Als Hauptgründe für die Mißerfolge der meisten durch Selbsthilfe entstandenen Produktivgenossenschaften nannte Webb-Potter drei Gründe: zum einen natürlich der Mangel an Kapital, zum anderen der Mangel an Absatz und Disziplin.[55]
Die Produktivgenossenschaften mußten die von ihnen produzierten Waren in Konkurrenz zu kapitalstarken erwerbswirtschaftlichen Unternehmen absetzen. Im Bürgertum galt es aber häufig als kompromittierend, bei Arbeitergenossenschaften einzukaufen. Von den französischen Produktivgenossenschaften berichtete Oppenheimer 1896, daß sie ihre Waren häufig nur an solidarische Arbeiter und hier besonders an andere Genossenschafter absetzen konnten.[56]
Ein großes Problem seien zudem mangelnde kaufmännische Fähigkeiten und überhaupt ein Mangel an innerbetrieblicher Disziplin gewesen.[57] Eine wirtschaftlich effiziente Balance zwischen den Ansprüchen genossenschaftlicher Demokratie und den in größeren Betrieben dennoch notwendigen Führungsstrukturen konnte offenbar zumeist nicht gefunden werden. Die wenigen erfolgreichen Produktivgenossenschaften haben sich dagegen nach Oppenheimer in der Regel vom genossenschaftlichen Identitätsprinzip abgewandt. Da sie neue Mitglieder nicht gleichberechtigt an den Früchten ihrer oft entbehrungsreichen genossenschaftlichen Aufbauarbeit partizipieren lassen wollten, haben sie stattdessen Lohnarbeiter angestellt und sich Stück für Stück in ganz normale erwerbswirtschaftliche Unternehmen verwandelt.[58] In diesen Fällen ist die genossenschaftliche Selbsthilfe zwar für einzelne Arbeiter durchaus erfolgreich verlaufen, hat aber keine grundsätzliche Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse einleiten können.
Trotz der vielen Mißerfolge spielte die Produktivgenossenschaft in den Zukunftshoffnungen der deutschen Arbeiterbewegung lange Zeit eine herausragende Rolle. Allerdings nicht als Selbsthilfe-, sondern als Fremdhilfe-Genossenschaft, genauer: als Produktivgenossenschaft mit Staatshilfe.
Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang die politische Agitation von Ferdinand Lasalle (1825 - 1864). Lasalle setzte sich mit Hilfe des 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) auf politischem Wege für die Aufhebung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und für die Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts ein. Hierdurch hoffte er die Berücksichtigung von Arbeiterinteressen durch den Staat zu erreichen. Dieser sollte industrielle Produktivgenossenschaften der Fabrikarbeiter fördern, entweder „in Form der unmittelbaren Kredithilfe oder durch Übernahme der Zinsgarantie für die arbeitenden Kapitalien“.[59] Die Rolle des Staates sollte nur die eines Gläubigers sein und nicht auf die Leitung der Produktivgenossenschaften ausgedehnt werden.[60] Dennoch beinhaltet Lasalles Konzeption Elemente einer zentralistischen Wirtschaftsplanung: Durch die Unterstützung nur jeweils einer Produktivgenossenschaft pro Produktionszweig und Stadt sollte die Konkurrenz unter den Genossenschaften vermieden werden.[61]
1864 starb Lasalle durch ein Duell im Alter von nicht einmal 40 Jahren. Innerhalb der deutschen sozialdemokratischen Bewegung hat sein Konzept großer industrieller Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe und seine gleichzeitige Ablehnung der Selbsthilfe-Genossenschaften jedoch zunächst an Bedeutung gewonnen. Auch die um August Bebel und Wilhelm Liebknecht gescharte sogenannte ´Eisenacher Richtung` der Sozialdemokratie, die 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gegründet hatte, forderte im Punkt X. ihres ´Eisenacher Parteiprogramms` Staatskredite für freie Produktivgenossenschaften.[62] Die oft von Partei- oder Gewerkschaftsmitgliedern in Selbsthilfe gegründeten Arbeiter-Produktivgenossenschaften wurden im Gegensatz zur Position des ADAV zunächst begrüßt. Zu Beginn der 1870er Jahre wandelte sich diese ursprüngliche Zustimmung jedoch zu einer zunehmenden Ablehnung, da die ständigen Mißerfolge der Produktivgenossenschaften die Durchführbarkeit dieses sozialdemokratischen Zukunftskonzeptes zu diskreditieren drohten.[63]
1875 vereinigten sich die SDAP und der ADAV zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). In ihrem ´Gothaer Programm` heißt es:
„Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe unter der demokratischen Kontrolle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesamtarbeit entsteht.“[64]
Die Vorstellung, die sozialistische Gesellschaft mittels staatlich geförderter Produktivgenossenschaften ´anbahnen` zu können, ist von Marx 1875 scharf kritisiert worden. Sie sei „würdig der Einbildung Lasalles, daß man mit Staatsanleihen ebensogut eine neue Gesellschaft bauen kann, wie eine neue Eisenbahn!“[65]
Marx` Kritik bezog sich hier nicht auf die Produktivgenossenschaften als solche, sondern auf die Vorstellungen, wie diese eingeführt werden sollten. Er glaubte offenbar nicht daran, daß sich der bürgerliche Staat auf dem Wege der politischen Einflußnahme zum Bankier von Produktivgenossenschaften umwandeln läßt. Im 1894 erschienenen 3. Band des ´Kapitals` äußerte er sich auch skeptisch zur Rolle solcher Produktivgenossenschaften innerhalb eines wirtschaftlichen Systems, in dem ja die Konkurrenzwirtschaft privater Produktionsmittelbesitzer noch nicht aufgehoben wäre. Die „Kooperativfabriken der Arbeiter“ seien zwar „das erste Durchbrechen der alten Form“, müßten jedoch „alle Mängel des bestehenden Systems reproduzieren“.[66]
Marx hielt die Produktivgenossenschaft als Mittel zur Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft für ungeeignet, zumindest wenn nicht zugleich eine grundlegende Umwälzung der Gesellschaft eintritt: ein politischer Machtwechsel durch die Revolution der Arbeiterklasse und die gesamtgesellschaftliche Abschaffung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln.
In den 1890er Jahren, nach der Zeit der Sozialistengesetze (1878 - 1890), fand die marxistische Theorie endgültig Eingang in das neue Parteiprogramm der SAP, die nunmehr SPD hieß.
Damit war ein langwieriger Prozeß abgeschlossen, in dessen Verlauf die Idee der Arbeiter-Produktivgenossenschaft mit Staatshilfe immer mehr von einem konkreten Gegenwartsmodell der Arbeiterbefreiung zu einer abstrakten Zukunftsformel wurde. Während Lasalle kurz vor seinem Tode sogar noch Bismarck in zahlreichen Konferenzen von der Notwendigkeit der Staatskredite für Produktivgenossenschaften zu überzeugen versuchte[67], wurden diese bereits von seinen Nachfolgern im ADAV nur noch in einem demokratischen Zukunftsstaat erwartet.[68] Durch die Fixierung auf die Marxschen Prämissen des Klassenkampfes und der Revolution verschwand die Idee der Produktivgenossenschaft mit Staatshilfe schließlich völlig aus den Parteiprogrammen der Sozialdemokratie, auch wenn sie damit als ein alternatives Sozialisierungsmodell zur zentralen staatlichen Planwirtschaft für die Zeit nach der erfolgreichen sozialistischen Revolution nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde.
4.1.2. Arbeiter und Konsumgenossenschaft
Großbritannien, wo die industrielle Revolution zuerst einsetzte, ist auch das „Mutterland der Konsumgenossenschaftsbewegung“.[69] Von historisch größter Bedeutung ist dabei die 1844 in der nordenglischen Fabrikstadt Rochdale gegründete Konsumgenossenschaft, deren Geschäftsgrundsätze „gewissermaßen zum Grundgesetz der Konsumgenossenschaften in allen Ländern der Welt“ wurden.[70] Die sogenannten ´Rochdaler Pioniere` waren Arbeiter, zumeist Weber, die in den ´vierziger Hungerjahren` bitterste Not litten. Diese Jahre waren geprägt von wirtschaftlicher Depression, einem Überangebot an Arbeitskräften und extremer Nahrungsmittelverteuerung.[71] Die Händler boten zudem häufig minderwertige, gefälschte Ware an oder betrogen mit ihren Gewichten. Die Idee, durch genossenschaftliche Selbsthilfe an existenziell notwendige Bedarfsgüter zu günstigen Preisen und guter Qualität zu kommen, lag damals also nahe. Nach einem gescheiterten Arbeitskampf wurden schließlich gesammelte Streikgelder als erste Einlagen für die Gründung einer Konsumgenossenschaft verwandt.[72] Vom November 1843 bis zum Oktober 1844 hungerten sich die Pioniere durch wöchentliche Beiträge von 2 pence pro Person schließlich ihr genossenschaftliches Gründungskapital von 28 Pfund zusammen, mieteten für drei Jahre das Erdgeschoß eines Lagerhauses und errichteten dort einen Lebensmittelladen, in dem sie anfangs nur kleine Mengen von Mehl, Butter, Zucker und Haferflocken verkauften.[73] Die anfallenden Arbeiten wurden zunächst alle ehrenamtlich geleistet, erst 1848 gab es die ersten bezahlten Angestellten.[74] Die Waren wurden den Genossenschaftsmitgliedern dennoch nicht zu stark verbilligten oder gar zu Großhandels-Einkaufspreisen überlassen, sondern zu den gewöhnlichen Marktpreisen, sofern diese nicht völlig überteuert waren. Wie andere Einzelhändler auch, erwirtschafteten die Pioniere also zunächst einen Gewinn, der dann aber zum Teil an die Mitglieder zurückfloß. Die individuelle Höhe dieser ´Rückvergütung` richtete sich nach der Menge der getätigten Einkäufe im Genossenschaftsladen. Das Prinzip der Rückvergütung ist in seiner Bedeutung für den Erfolg der Rochdaler Genossenschaft kaum zu unterschätzen und wird in Teil II dieser Arbeit zusammen mit den anderen Grundsätzen der Rochdaler Pioniere noch eingehend behandelt.
Rückblickend betrachtete Hasselmann im Jahre 1971 das Fehlen der Rückvergütung als wesentlichen Faktor für das Scheitern britischer Konsumgenossenschaften in der Zeit vor 1844.[75] Sieht man von früheren vereinzelten Gründungen ab, dann geht die erste konsumgenossenschaftliche Bewegung auf den Arzt Dr. William King zurück, der 1827 in Brighton mit der „Co-operative Trading Association“ eine Welle von insgesamt 300 Konsumgenossenschaftsgründungen einleitete, die sich jedoch seit Beginn der 30er Jahre schnell wieder auflösten.[76] Der Grund für das Scheitern ist nach Hasselmann darin zu suchen, daß Kings Genossenschaften ihre Waren zu Marktpreisen verkauften, den Mitgliedern aber weder Rückvergütungen, noch sonst irgendwelche unmittelbar persönlichen Vorteile gewährten.[77] Ihr Zweck lag vielmehr darin, Gelder für die Gründung von Siedlungsgenossenschaften nach dem Vorbild Robert Owens zu sammeln.[78]
Der englische Unternehmer Robert Owen (1771 - 1858) vertrat in seinem 1814 vollendeten Buch „A new view of society“ die Ansicht, daß der soziale Charakter und die Verhaltensweisen des Menschen weder von Natur gegeben noch durch freie Willensentscheidungen bestimmt sind, sondern von den Faktoren ´Erziehung` und ´soziale Umwelt` abhängen.[79] 1799 kaufte er die heruntergewirtschaftete schottische Fabriksiedlung New Lanark samt dazugehöriger Arbeitersiedlung und begann umfangreiche soziale Reformen[80]: Einschränkung der Kinderarbeit, höhere Löhne und kürzere Arbeitzeiten. Außerdem gewährte er den Arbeitern gesündere Wohnungen, eine Kranken- und Invalidenfürsorge sowie unentgeltlichen Unterricht. Im sogenannten ´Village Store` ließ Owen im Großeinkauf besorgte Bedarfsgüter zu billigen Preisen verkaufen; der Gewinn des Geschäftes floß dem Schulbetrieb der Arbeiter zu.[81] Auch wenn die Arbeiter nur Kunden, nicht aber Miteigentümer des ´Village Store` waren, hat dieser durch die Prinzipien der . Barzahlung, der gerechten Preise und guten Qualität, der Alkoholrestriktion und der Förderung von Bildung und Erziehung großen Einfluß auf spätere Konsumgenossenschaften ausgeübt.[82]
New Lanark wurde auch wirtschaftlich ein sehr erfolgreiches Unternehmen, wodurch Owen anfängliche Kritiker und Skeptiker widerlegen konnte.
Doch Owens soziale Experimentierlust war noch lange nicht befriedigt: 1825 gründete er in Indiana/USA die zugangsoffene Gemeinschaftsiedlung ´New Harmony`, in die er Menschen aller Nationen herbeirief, um den Beweis der „Überlegenheit der kooperativen über die getrennte Güterproduktion“zu erbringen.[83] New Harmony war der äußeren Form nach eine Siedlungsgenossenschaft, in der Menschen zusammen lebten, kosumierten und produzierten, letzteres jedoch nicht in industriellen, sondern ausschließlich in landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktionsbereichen. Die Verwaltung der Siedlung oblag allen Mitgliedern über 21 Jahren. Völlig ´ungenossenschaftlich` war dagegen die Tatsache, daß die Gemeinschaftsmitglieder keinerlei Eigenrisiko trugen. Owen finanzierte das Land , die Unterkünfte und Arbeitsstätten, den Kindergarten, die Schule, die öffentliche Bibliothek und vieles mehr aus eigener Tasche. Er veranstaltete außerdem abendliche Feste, Konzerte und Diskussionen.[84] Auf diese Weise entstand eine Umwelt, in der die sozialen Beziehungen der Gemeinschaftsmitglieder mit Hilfe von Erziehung zur ´New Harmony` reifen sollten.
Stattdessen fiel die Gemeinschaft aber bald auseinander. In dem bunt zusammengewürfelten Menschenhaufen fehlten der nötige Gruppenzusammenhalt und anerkannte Führungspersonen;
außerdem mangelte es z. B. an gelernten Arbeitern, am Arbeitswillen und der nötigen Sparsamkeit.[85]
Trotz des Scheiterns von New Harmony hat Owens Wirken großen Einfluß auf die englische Arbeiterbewegung gehabt. Auch viele der Rochdaler Pioniere waren Owenisten, das konsumgenossenschaftliche Ladengeschäft war für sie nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer owenitischen Gemeinschaft.[86] Die Satzung der Pioniere sah z.B. als zukünftiges Ziel den Kauf von Landgütern und die Gründung einer sich selbst erhaltenden Gemeinschaftssiedlung vor.[87] Dem Fernziel wurde aber - anders als bei den Genossenschaften William Kings - nicht die gegenwärtige Mitgliederförderung geopfert. Der Erfolg gab den Rochdaler Pionieren Recht[88]: 1846 war man bereits zum Verkauf von Fleisch übergegangen, 1852 wurde dem Laden eine Schuhmacherei und eine Reparaturwerkstatt angegliedert. Dies war ein erster Übergang zur Eigenproduktion, die in der Folgezeit konsequent weiterentwickelt wurde. 1856 wurde eine eigene Getreidemühle errichtet, der unter anderem eine Schlachterei und eine Baumwollspinnerei folgten. Im Jahre 1850 hatte die Genossenschaft bereits 600 Mitglieder und ein Kapital von 2.299 Pfund, 1864 waren es 4.747 Mitglieder und ein Kapital von 62.000 Pfund. Für das Jahr 1887 nannte Oppenheimer eine Mitgliederzahl von 11.152.[89] Dieser Aufstieg mutet fast wie ein Wunder an, wenn man bedenkt, daß er ausschließlich durch die kollektive Selbsthilfe notleidener Arbeiter zustande kam. Er konnte jedoch von vielen Konsumgenossenschaften in der Welt kopiert werden, die die pragmatischen Geschäftsgrundsätze der Pioniere übernahmen. Durch diese Grundsätze (vgl. S. 36) haben die Rochdaler Pioniere also ihre Vorbildfunktion erlangt; die owenitischen Zukunftsträume spielten dagegen mit der Zeit eine immer geringere Rolle und wurden nach einigen Jahrzehnten schließlich fallengelassen.[90]
In Deutschland, wo sich die Industrialisierung erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich ausbreitete, hat Eduard Pfeiffer 1864 in Stuttgart die erste deutsche Konsumgenossenschaft vom Rochdale-Typus gegründet.[91] Die Beteiligung von Arbeitern an Konsumgenossenschaften hat jedoch erst seit den 1880er und vor allem seit den 1890er Jahren größere Bedeutung erlangt. Dies hängt nicht zuletzt auch mit der Ablehnung der Konsumgenossenschaften durch deutsche Arbeiterführer zusammen.
Lasalle lehnte alle Selbsthilfe-Genossenschaften im allgemeinen und die Konsumgenossenschaften im besonderen ab. Sie könnten zu keiner dauerhaften Lebenslagehebung bei den Arbeitern führen, da der durchschnittliche Arbeitslohn durch das Wirken des sogenannten ´ehernen Lohngesetzes` immer auf die Höhe des existenziell absolut notwendigen Lebensunterhalts beschränkt bleibe.[92] Die Erhöhung der Kaufkraft durch das Wirken von Konsumgenossenschaften müsse langfristig zu einer entsprechenden Lohnsenkung führen, da die erhöhte Lebensqualität bei den Arbeitern zu früheren und häufigeren Eheschließungen und größeren Kinderzahlen führe, wodurch wiederum ein größeres Angebot an Arbeitskräften entstehe. Die Arbeiterschaft könne eine dauerhafte Verbesserung ihrer Situation also nur durch genossenschaftliche Selbstorganisation im Bereich der Produktion erringen. Der zeitbedingt sicher wahre Kern von Lasalles ´ehernem Lohngesetz` soll an dieser Stelle nicht weiter untersucht werden, seine zeitlose Geltung kann aus heutiger Sicht jedoch zurückgewiesen werden. Das sogenannte ´Gesetz` hat Lasalle jedoch zu seiner Ablehnung der Konsumgenossenschaften geführt und in diesem Sinne auch in der deutschen Arbeiterschaft und Sozialdemokratie seine Wirkung gehabt. Dabei hat Lasalle offenbar noch nicht das Beispiel der Rochdaler Pioniere vor Augen gehabt, die ja gerade auch im Bereich der Eigenproduktion sehr erfolgreich waren.
Auch Marx, der immerhin seit 1949 im Londoner Exil lebte und von der britischen Konsumgenossenschaftsbewegung gehört haben mußte, maß dieser nur geringe Bedeutung zu. Sie paßte nicht in seine Revolutionstheorie, nach der die zunehmende Verelendung der Arbeiter im Kapitalismus zur proletarischen Revolution führen müsse.
Beeinflußt zunächst von Lasalle, dann zunehmend von Marx, haben sozialdemokratische Führungskräfte in Deutschland sehr lange an ihrer Ablehnung der Konsumgenossenschaften festgehalten. Erst auf dem SPD-Parteitag 1910 in Magdeburg entschied sich die Partei zu einer Politik der ausdrücklichen Förderung von Konsumgenossenschaften. In der Magdeburger Resolution hieß es: „Durch Einrichtung von Not- und Hilfsfonds für ihre Mitglieder, durch Einwirkung auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeiter jeder Betriebe, deren Abnehmer die Genossenschaften sind, durch Übergang zu Eigenproduktion und durch Erziehung der Arbeiter zur selbständigen Leitung ihrer Angelegenheiten können die Konsumgenossenschaften ein wirksames Mittel zur Unterstützung im Klassenkampfe sein“.[93]
Die SPD hatte damit aber nur sanktioniert, was große Teile der Gewerkschafts- und Parteibasis schon lange praktizierten. Es waren nämlich vor allem Arbeiter, die in den 1890er Jahren und vor allem in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts zu einem großen Aufschwung der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung beigetragen hatten. Die Konsumgenossenschaften waren also de facto neben Partei und Gewerkschaft bereits zur „Dritten Säule der Arbeiterbewegung“[94] geworden, was sich durch ihre Förderung seitens der SPD nunmehr noch verstärkte.
Viele Konsumgenossenschaften haben die Errichtung ihrer Verkaufsläden mit dem Bau von Wohnungen verbunden und übernahmen damit Bauherrn- und Vermieterfunktionen oder sie beteiligten sich an bestehenden Baugenossenschaften.[95].
In ´Bau-Produktivgenossenschaften` schließen sich Bauarbeiter zusammen, um Häuser entweder für den Eigenbedarf oder für den Bedarf Dritter zu bauen. Einseitig konsumgenossenschaftlichen Charakter tragen dagegen Wohnungsgenossenschaften, deren Mitglieder keine Häuser bauen, sondern von ihrer Genossenschaft gekaufte und verwaltete Wohnungen als Mieter nutzen.
Auf die Geschichte der Baugenossenschaften soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Nur soviel sei erwähnt: Genossenschaftliche Selbsthilfe im Bereich des Häuserbaus hatte in Deutschland in den Jahren 1919 - 1922 eine kurze Blütezeit, wurde jedoch schon bald von einem anderen Organisationsprinzip verdrängt: den gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften. Ein Beispiel hierfür sind die von 1919 - 1922 gegründeten insgesamt 235 Bauarbeiter-Produktivgenossenschaften.[96] Wegen der enormen „finanziellen und organisatorischen Anforderungen des Häuserbaus“[97] wurden sie bis etwa 1925 in gemeinwirtschaftliche GmbHs umgewandelt.[98] Deren Gesellschafter - Gewerkschaften, Wohnungsgenossenschaften, sozialdemokratische Institutionen u. a. - sorgten für die Finanzierung der Bauvorhaben und verfügten bei betrieblichen Entscheidungsprozessen über die Hälfte der Stimmen; die Belegschaft somit nur noch über den Rest. Der Zweck dieser sogenannten ´Bauhütten` war nun nicht mehr Mitgliederförderung, sondern Förderung des Allgemeinwohls. Bevor die Bauhüttenbewegung durch die Nazis zerschlagen wurde, war übrigens bereits seit 1924 ein Großkunde für die Bauhütten institutionalisiert worden: Die Deutsche Wohnungsfürsorge A.-G. für Beamte, Angestellte und Arbeiter (DEWOG), Vorläuferin der späteren ´Neuen Heimat GmbH`.
4.2. Selbständige Handwerker und Genossenschaft
Mit dem Siegeszug der industriellen Fabrikproduktion verloren viele selbständige Handwerker ihre Existenzgrundlage. Sie waren der wirtschaftlichen Effizienz der neuen Konkurrenz hoffnungslos unterlegen, sofern es ihnen nicht gelang, ebenfalls an den Vorteilen großbetrieblicher Kostensenkung zu partizipieren. Eben dies erhoffte in Deutschland Hermann Schulze-Delitzsch (1808 - 1883) durch die Gründung handwerklicher Genossenschaften zu erreichen. Schulze-Delitzsch war der erste deutsche Genossenschaftstheoretiker, der auch in der Praxis die Gründung zahlreicher Genossenschaften förderte. Er wollte den handwerklichen Kleinunternehmern im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems ihre Selbständigkeit als Produktionsmittelbesitzer bewahren und damit ihre drohende Proletarisierung verhindern. Schulze-Delitzsch, der zeitweise auch Abgeordneter der liberalen Fortschrittspartei war, lehnte jegliche Staatshilfe kategorisch ab und propagierte Selbsthilfe auf der Basis der individuellen Ersparnisse der Handwerker.
Als Ziel seines mehrstufigen theoretischen Genossenschaftssystems sah Schulze-Delitzsch ursprünglich die Bildung handwerklicher Produktivgenossenschaften vor, also die Zusammenfassung der selbständigen Kleinunternehmen zu gemeinschaftlich betriebenen Großbetrieben.[99] Die hierfür notwendige Solidarität der handwerklichen Kleinmeister sollte zunächst z.B. durch den gemeinsamen Unterhalt von Krankenpflegevereinen, Sterbekassen und Konsumgenossenschaften, vor allem aber durch die Gründung von Kreditgenossenschaften, sowie Rohstoff- und Magazingenossenschaften vorbereitet werden. Während die Kreditgenossenschaften den kleinen Handwerkern die bis dahin weitgehend verschlossene Pforte zum Investitionskapital öffnen sollten, waren die Rohstoffgenossenschaften der Versuch, günstigere Rohstoffpreise durch gemeinsamen Großeinkauf zu erzielen.
Bereits 1849 regte Schulze-Delitzsch in seinem Heimatort Delitzsch die Gründung der ersten beiden Rohstoffgenossenschaften an, eine für Tischler und eine für Schuhmacher.[100]
Neben diesen Einkaufsgenossenschaften plante Schulze-Delitzsch auch Absatzgenossenschaften: In ´Magazingenossenschaften` sollten Handwerker gemeinsame Lager und Verkaufsstellen unterhalten.
Die Idee der Produktivgenossenschaft hat sich im handwerklichen Mittelstand Deutschlands niemals durchsetzen können, Schulze-Delitzsch distanzierte sich später auch zunehmend von ihr.[101] Auch die Zahl der Rohstoff- und Magazingenossenschaften blieb nach Angaben von Eisenberg nur relativ gering.[102] Vor allem die im Geiste Schulze-Delitzsch gegründeten Kreditgenossenschaften waren jedoch sehr erfolgreich und prägen auch in der heutigen Bundsrepublik noch weitgehend das Bild städtischer Genossenschaften.
Die Organisierung von Handwerkern in Kreditgenossenschaften führt jedoch nicht zu gemeinschaftlichen Produktionsformen, sondern berührt nur die Spartätigkeit ihrer privaten Haushalte bzw. die Investitionsmöglichkeiten ihrer selbständigen Betriebe.[103]
Insofern ist die Vergenossenschaftlichung des deutschen Handwerks, im Sinne einer Überwindung selbständiger handwerklicher Kleinstbetriebe zugunsten genossenschaftlicher Zusammenarbeit, im Grunde immer in den Kinderschuhen stecken geblieben.
4.3. Bauern und Genossenschaft
Was für die Handwerker Schulze-Delitzsch, war für die deutschen Bauern Ferdinand Wilhelm Raiffeisen (1818 - 1888). Als Bürgermeister von Weyerbusch im Westerwald (ab 1845), Flammersfeld (ab 1848) und Heddesdorf im Kreise Neuwied (ab 1852) hat Raiffeisen die Probleme der damaligen Bauernschaft aus nächster Nähe miterlebt.[104]
Als eine Folge der Bauernbefreiung mangelte es den Bauern vor allem an barem Geld, da sie Abgaben nicht mehr nur in Form von Naturalleistungen und Frondiensten an den Gutsherrn, sondern zunehmend auch in Geldform (Steuern, Schulgebühren etc.) leisten mußten. Die Bauern, die damals noch einen viel größeren Teil ihrer Bedürfnisse durch Selbstversorgung befriedigen konnten, waren in viel geringerem Maße in das System des geldvermittelten Warenaustauschs eingebunden als dies heute der Fall ist. Die Geldnot wurde jedes Jahr in der Zeit von einer Ernte nur nächsten immer größer und zwang viele Bauern zur Aufnahme von Überbrückungskrediten bei Geldverleihern. Diese Geldverleiher waren jedoch oft Wucherer, die mit betrügerischen Geschäftsmethoden und überzogenen Zinsforderungen so manchen Bauern um Haus und Hof brachten.
Raiffeisen hat seit 1849 in Flammersfeld und später auch in Heddesdorf versucht, die Probleme der Bauern durch die Gründung von Vereinen zu lösen, in denen wohlhabende Bürger mit ihrem Vermögen für aufgenommene Kredite hafteten, die an notleidende Bauern weiterverliehen wurden.[105] Dieses Modell war jedoch auf Dauer nicht erfolgreich.
Beeinflußt durch Schulze-Delitzsch initiierte Raiffeisen daher seit 1862 die Gründung von Spar- und Darlehnsgenossenschaften auf Selbsthilfebasis.[106] Die Darlehnsnehmer mußten Mitglieder der Genossenschaft sein und in dieser einen Geschäftsanteil erworben haben. Die Einführung der Geschäftsanteile akzeptierte Raiffeisen allerdings nur widerwillig, nachdem Schulze-Delitzsch dies unter Berufung auf das Genossenschaftsgesetz gefordert hatte.[107] Raiffeisen wollte ursprünglich, daß die Genossenschaftsbauern, denen es ja gerade an barem Geld mangelte, auschließlich mit ihrem bäuerlichen Besitz für die Verbindlichkeiten ihrer Kreditgenossenschaft haften.
Ländliche Raiffeisen-Genossenschaften sind im Laufe der Zeit überall in Deutschland entstanden. Waren sie anfangs nur Kreditgenossenschaften, so entwickelten sie sich später häufig zu Universalgenossenschaften, in denen z.B. Saatgut gemeinsam eingekauft, Maschinen gemeinsam genutzt, Produkte gemeinsam abgesetzt oder Molkereien gemeinsam betrieben wurden.[108]
5. Eine grobe Kategorisierung von Genossenschaftsarten
Die „Erscheinungsvielfalt der Genossenschaften“ ist nach einem Satz von Engelhardt so groß wie die Vielfältigkeit „menschlicher Bedürfnisse bzw. Motivationen“.[109] Differenziert nach Wirtschaftszweigen unterscheidet Engelhardt z.B. land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Genossenschaften, Bergbaugenossenschaften, Genossenschaften der Energiewirtschaft, industrielle Genossenschaften, Verkehrsgenossenschaften, Handwerks-genossenschaften, Handelsgenossenschaften, Dienstleistungsgenossenschaften, Genossenschaften der freien Berufe, Genossenschaften der Konsumsphäre, Wohnungsbau-genossenschaften, Gesundheitsgenossenschaften, Versicherungsgenossenschaften, Schulgenossenschaften usw. usw.[110]
Eine bessere Übersicht über das ´bunte` Genossenschaftsspektrum kann durch eine grobe Kategorisierung der verschiedenen Genossenschaften mit Hilfe folgender Unterscheidungskriterien erreicht werden:
1) Dem Gegensatz von Vollgenossenschaften und hilfswirtschaftlichen Genossenschaften,
2) dem Gegensatz von Unternehmens- und Haushaltsgenossenschaften und
3) dem Gegensatz von Verkäufer- und Käufergenossenschaften.
Diese Gegensatzpaare repräsentieren allgemeine Genossenschaftsmerkmale, denen sich die in der Realität vorkommenden Genossenschaften zuordnen lassen. Auf diese Weise können im folgenden die Genossenschaften in ein theoretisches Raster eingeordnet und auf einem hohen theoretischen Abstraktionsniveau miteinander verglichen werden. Dadurch wird auch eine allgemeine theoretische Charakterisierung der Konsumgenossenschaften möglich.
[...]
[1] § 1, Absatz 1 (5) des deutschen Genossenschaftsgesetzes (GenG)
[2] Vgl. z.B. Kaufmann, S.12
[3] Vgl. Brambosch, S. 26
[4] Vgl. Weuster, S. 307
[5] Grünfeld, Ernst, Das Genossenschaftswesen, volkswirtschaftlich und soziologisch betrachtet, Halberstadt 1929; zitiert bei Engelhardt (1985), S. 24;
Grünfeld unterschied die „modernen Genossenschaften“ strikt von gruppenwirtschaftlichen Zwangsgemeinschaften wie sie in der gesamten Geschichte der Menschheit vorkommen, z.B. in Form der mittelalterlichen Zünfte und Innungen (vgl. Engelhardt (1985), ebd.).
[6] Oppen, S. 20
[7] Vgl. Ziegenfuß, S. 74
[8] Oppen, S. 20
[9] Vgl. Faust, S. 10
[10] Bock, Cornel J., S. 61
[11] Vgl. das Kapitel „Arbeiter und Produktivgenossenschaft“ (Seite 16 ff.)
[12] In diesem Zusammenhang sei z.B. auf die zahlreichen sogenannten ´selbstverwalteten Betriebe` aus dem alternativen Projektmilieu der Bundesrepublik hingewiesen, die in den seltensten Fällen Genossenschaften im rechtlichen Sinne sind, obwohl in ihnen genossenschaftliche Prinzipien häufig geradezu mustergültig umgesetzt werden.
[13] Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang die Produktivgenossenschaft dar. Ihre Förderungsleistung besteht ganz wesentlich in der Verteilung der nicht reinvestierten Überschüsse an die Mitglieder. Nur sind diese Überschüsse nicht das Resultat der Aneignung fremder Arbeitsleistungen - wie bei der AG - sondern die Früchte der von den Mitgliedern im Genossenschaftsbetrieb geleisteten Arbeit (Identitätsprinzip).
[14] Vgl. z.B. Beuthien, S. 12
[15] Engelhardt (1985), S. 11
[16] Vgl. Trappe, P., Genossenschaften, in: Besters, H./Boesch, E. E. (Hg.), Entwicklungspolitik, Handbuch und Lexikon, zitiert bei: Hettlage, S. 185
[17] Engelhardt (1984), S. 32
[18] Hasselmann, S. 1
[19] Novy, S. 21
[20] Stein, Phillip (1927), in: Hillringhaus, S. 13/14
[21] Vgl. Draheim, S. 18
[22] Bock, Cornel J., S. 52
[23] Faust, S. 11
[24] Wendt, Herbert (1957), in: Hillringhaus, S. 32/33
[25] Beuthien, S. 19
[26] Seit 1974 erlaubt das deutsche Genossenschaftsgesetz auch das Mehrstimmrecht von bis zu drei Stimmen pro Genosse in Abhängigkeit von der Höhe des jeweiligenGeschäftsguthabens (vgl. Hettlage, S. 189 und Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens, S. 18). Pro Person können seitdem mehrere Geschäftsanteile erworben werden; eine Höchstzahl muß in der Genossenschaftssatzung festgelegt werden.
[27] Draheim, Georg, Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1955, S. 16, zitiert bei: Engelhardt (1985), S. 7/8
[28] Vgl. Beuthien, S. 29
[29] Vgl. Staudinger (1908), S. 67
[30] Sombart, zitiert bei: Bock, Cornel J., S. 49
[31] Oppen, S. 21
[32] Vgl. ebd.
[33] Faust, S. 98
[34] Oppenheimer, S. 64
[35] Webb-Potter, Beatrice, Die britische Genossenschaftsbewegung, Deutsche Ausgabe: Leibzig 1893, S.104, zitiert bei Oppenheimer, S. 64
[36] Vgl. Faust, S. 98
[37] Vgl. Schütte, S. 42
[38] Vgl. Faust, S. 99
[39] Vgl Schütte, S. 42
[40] Vgl. ebd.
[41] Vgl. Faust, S. 106
[42] Faust, S. 107
[43] Vgl. Vandervelde; S. 20
[44] Vgl. ebd., S. 21
[45] Schütte, S. 44
[46] Vgl. Schütte, S. 45
[47] Vgl. Vandervelde, S. 26
[48] Vgl. Grebing, S. 45
[49] Eisenberg, S. 26
[50] Vgl. Eisenberg, S. 22 - 24
[51] Eisenberg, S. 121/122;
Bei Eisenberg findet sich auch eine Übersicht über die bis 1854 erfolgten 49 Unternehmensgründungen.
[52] Häntschke, Die gewerblichen Produktivgenossenschaften in Deutschland, Charlottenburg 1894, zitiert bei Oppenheimer, S. 48 (vgl. auch Sperling, S. 30)
[53] Vgl. Oppenheimer, S. 49
[54] Vgl. Sperling, S. 31
[55] Webb-Potter, Beatrice, Die britische Genossenschaftsbewegung, Deutsche Ausgabe: Leibzig 1893, zitiert bei Oppenheimer, S. 52
[56] Vgl. Oppenheimer, S. 58
[57] Vgl. ebd., S. 60
[58] Vgl. ebd., S. 110
[59] Faust, S. 216
[60] Vgl. Faust, S. 219
[61] Vgl. ebd.
[62] Vgl. Eisenberg, S. 55
[63] Vgl. Eisenberg, S. 63
[64] zitiert bei Eisenberg, S. 60
[65] Marx (1875), S. 26
[66] Marx (1894), S. 456
[67] Faust, S. 223/224
[68] Vgl. Eisenberg, S. 52
[69] Hasselmann, S. 14
[70] ebd., S. 20
[71] Vgl. Elsässer (1982), S. 20
[72] Vgl. Novy, S. 18
[73] Vgl. Faust, S. 77;
Faust (S. 76) bezifferte die anfängliche Zahl der Genossenschaftsmitglieder auf 40, Novy (S. 17) dagegen nur auf 28, womit er vermutlich nur den engeren Kreis derjenigen Pioniere meinte, die die Satzung und die Geschäftsgrundsätze der Genossenschaft entworfen haben
[74] Vgl. Novy, S. 19
[75] Vgl. Hasselmann, S. 15;
Das Rückvergütungsprinzip wurde nach Hasselmann (S. 14) bereits 1812 bei einer Konsumgenossenschaft im schottischen Lennoxtown zum ersten Mal angewandt, zunächst aber nicht bei weiteren Genossenschaftsgründungen.
[76] ebd., S. 17
[77] ebd.
[78] ebd., S. 16
[79] Vgl. Jung, S. 32
[80] Vgl. Faust, S. 50
[81] Vgl. ebd., S. 60
[82] Vgl. Ziegenfuß, S. 15
[83] Jung, S. 34
[84] Vgl. Jung, S. 34-36
[85] ebd.
[86] Vgl. Hasselmann, S. 18
[87] Vgl. ebd., S. 19
[88] Vgl. im folgenden: Faust, S. 78 - 80
[89] Vgl. Oppenheimer, S. 22
[90] Vgl. Hasselmann, S. 19
[91] Vgl. Totomianz, S. 155
[92] Vgl. hier und im folgenden: Faust, S. 214/215
[93] zitiert bei Vandervelde, S. 79
[94] Novy, S. 23
[95] Vgl. Novy, S. 49
[96] Vgl. Flieger/Beywl, S. 161
[97] Novy, S. 62
[98] Vgl. im folgenden: Flieger/Beywl, S. 161/162
[99] Vgl. hier und im folgenden: Eisenberg, S. 30
[100] Vgl. Hasselmann, S. 173
[101] Vgl. ebd., S. 177
[102] Vgl. Eisenberg, S. 32
[103] Vgl. ebd.
[104] Vgl. hier und im folgenden: Ziegenfuß, S. 83
[105] Vgl. Schütte, S. 51
[106] Vgl. Faust, S. 263/264
[107] Vgl. hier und im folgenden: Faust, S. 270 - 273
[108] Vgl. Hillringhaus, S. 90 und S. 96
[109] Engelhardt (1985), S. 34/35
[110] Vgl. ebd., S. 28/29
- Quote paper
- Roland Grimm (Author), 1997, Hilfe durch Selbsthilfe - Entwicklung und Zukunftsperspektiven der Konsumgenossenschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164570
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