Verstummen, Schweigen und Stille sind Phänomene, die in der Literatur seit Ovid einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Die Thematisierung der Sprache findet sich auch im Werk Franz Kafkas kontinuierlich verarbeitet. Funktion und Wirkung von Verstummen, Stille und Reartikulation bei Kafka wurde für dessen Romane erschöpfend untersucht. Diese Arbeit soll, in zwei relativ kurzen Texten Kafkas, Ähnlichem im Zuge des Seminars „Vom Verstummen zum Reartikulieren“, nachgehen.
Allein der Titel des ersten Textes „Das Schweigen der Sirenen“ legt die Idee nahe- nicht nur ob der ausdrücklichen Erwähnung des Schweigens an sich, sondern auch wegen der Verwurzelung des Stoffes in der griechischen Mythologie. Möglicher Ausgangspunkt allen Verstummens, Schweigens und Reartikulierens nämlich ist die grausame Geschichte der Philomele in Ovids „Metamorphosen“. Hierauf gründet sich der Ansatz, das Verstummen der Sirenen im Text zu analysieren, seine Wirkung und die Frage nach einer Reartikulation der Sirenen aufzuwerfen.
„Die Verwandlung“ Kafkas lässt sich ebenso in mit dem Thema des Seminars verbinden: Erneut kann man im wortwörtlichen Sinne bleiben, Die Verwandlung als Anspielung von Ovids Metamorphosen, dem Zyklus in dem der Philomele-Mythos sich einreiht, ist assoziativ denkbar, wenn auch Beispielweise Hartmut Binder „keinerlei“1 direkte Verbindung herstellen will.2 Auch hier ist ein Verstummen des Protagonisten zu beobachten, zudem findet der bewusste Versuch statt, den Sprachverlust durch Reartikulation auf physischer Ebene zu kompensieren. Der Umfang dieses Abschnittes ist größer, als der der Sirenen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass auch der Textumfang der Verwandlung ungleich größer ist.
Zuletzt findet sich als Ausblick aus „Die Verwandlung“ eine weitere Art der Reartikulation der Kafkarezeption an sich: Peter Kuper verfasste, ähnlich wie Robert Crumb mit „Introducing Kafka“3, eine Comicversion des literarischen Textes. Über Kafkas literarisches Schaffen hinaus entsteht eine neuerliche Reartikulation in Form eines Medienwechsels, der nicht unerwähnt bleiben soll. Allerdings beschränkt sich der kurze Zusatz auf die Untersuchung der Rede des Herrn Samsa und die Darstellung derselben im Comic.
Inhalt
1 Einleitung
2 Das Schweigen der Sirenen
2.1 Die Sirenen der griechischen Mythologie
2.2 Die Sirenen Kafkas
2.3 Das Verstummen der Sirenen
2.3.1 Der Grund des Verstummens
2.3.2 Funktion des Schweigens im Text
2.3.3 Reartikulation der Sirenen
3 Die Verwandlung
3.1 Das Verstummen des Herr Samsa
3.2 Reartikulation Samsas und Wirkung
4 Ausblick: The Metamorphosis
5 Schlusswort
6 Literatur
1 Einleitung
Verstummen, Schweigen und Stille sind Phänomene, die in der Literatur seit Ovid einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Die Thematisierung der Sprache findet sich auch im Werk Franz Kafkas kontinuierlich verarbeitet. Funktion und Wirkung von Verstummen, Stille und Reartikulation bei Kafka wurde für dessen Romane erschöpfend untersucht. Diese Arbeit soll, in zwei relativ kurzen Texten Kafkas, Ähnlichem im Zuge des Seminars „Vom Verstummen zum Reartikulieren“, nachgehen.
Allein der Titel des ersten Textes „Das Schweigen der Sirenen“ legt die Idee nahe- nicht nur ob der ausdrücklichen Erwähnung des Schweigens an sich, sondern auch wegen der Verwurzelung des Stoffes in der griechischen Mythologie. Möglicher Ausgangspunkt allen Verstummens, Schweigens und Reartikulierens nämlich ist die grausame Geschichte der Philomele in Ovids „Metamorphosen“. Hierauf gründet sich der Ansatz, das Verstummen der Sirenen im Text zu analysieren, seine Wirkung und die Frage nach einer Reartikulation der Sirenen aufzuwerfen.
„Die Verwandlung“ Kafkas lässt sich ebenso in mit dem Thema des Seminars verbinden: Erneut kann man im wortwörtlichen Sinne bleiben, Die Verwandlung als Anspielung von Ovids Metamorphosen, dem Zyklus in dem der Philomele-Mythos sich einreiht, ist assoziativ denkbar, wenn auch Beispielweise Hartmut Binder „keinerlei“[1] direkte Verbindung herstellen will.[2] Auch hier ist ein Verstummen des Protagonisten zu beobachten, zudem findet der bewusste Versuch statt, den Sprachverlust durch Reartikulation auf physischer Ebene zu kompensieren. Der Umfang dieses Abschnittes ist größer, als der der Sirenen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass auch der Textumfang der Verwandlung ungleich größer ist.
Zuletzt findet sich als Ausblick aus „Die Verwandlung“ eine weitere Art der Reartikulation der Kafkarezeption an sich: Peter Kuper verfasste, ähnlich wie Robert Crumb mit „Introducing Kafka“[3], eine Comicversion des literarischen Textes. Über Kafkas literarisches Schaffen hinaus entsteht eine neuerliche Reartikulation in Form eines Medienwechsels, der nicht unerwähnt bleiben soll. Allerdings beschränkt sich der kurze Zusatz auf die Untersuchung der Rede des Herrn Samsa und die Darstellung derselben im Comic.
2 Das Schweigen der Sirenen
Die kurze Erzählung stammt aus dem Nachlass Kafkas und wurde erst nach seinem Tod von Max Brod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ohne Titel wurde sie am 23. 10. 1917 von Kafka in das „Dritte Oktavenheft“ eingetragen und 1931 unter dem Titel Max Brods „Das Schweigen der Sirenen“ von Ludwig Dietz erstveröffentlicht (vgl. KSE, S.404)[4]
2.1 Die Sirenen der griechischen Mythologie
Der griechische Mythos der Sirenen zeichnet sie meist als vogelverwandte Geschöpfe mit menschenähnlichem Kopf und Krallen, die bis hin zu Löwenpfoten gesteigert werden, um die Verwandtschaft zwischen Sphinx und Sirene zu unterstreichen. Nicht selten werden sie mit Instrumenten gezeigt, zu denen sie singen und so auch die Nähe zu den Musen verdeutlichen. Ihr Gesang soll die Insel der Sirenen passierende Seefahrer in den Tod locken, kein Sterblicher darf ihnen entkommen.[5]
Von der bezaubernden Verführung der Sirenen berichtet auch Odysseus in Homers Erzählung. Von der Göttin Kirke gewarnt, soll Odysseus gleich zweierlei Unmenschliches vollbringen: Die Ohren seiner Gefährten mit Wachs versiegelt, will er die Insel der Sirenen, die auf einer Wiese aus Menschengebein ruhen, kreuzen, ohne seine Mannschaft an sie zu verlieren. Ihm selbst soll gewährt werden, den Stimmen der Sirenen zu lauschen. An einen Schiffsmast gebunden erfährt er die unwiderstehliche Wirkung des Gesanges und bedeutet den Gefährten, seine Fesseln zu lösen. Auf vorheriges Geheiß schnüren diese ihn umso fester, sodass er dem geweckten Verlangen nicht nachgeben kann. Es gelingt Odysseus das Unmögliche. Unbeschadet passiert er die Insel der Sirenen und hat als einziger Sterblicher ihrem süßen Gesang gelauscht, ohne ihm nachzugeben.[6]
2.2 Die Sirenen Kafkas
Die „Variation“[7] des Sirenenmythos bei Kafka weicht in vielerlei Hinsicht vom ursprünglichen Text Homers ab. Nicht zuletzt ist Kafkas Bild der Sirenen ein anderes, spricht er in einem Brief doch von
„verführerischen Nachtstimmen, die Sirenen haben auch so gesungen, man tut ihnen unrecht, wenn man glaubt, dass sie verführen wollten, sie wussten, dass sie Krallen hatten und einen unfruchtbaren Schoß, darüber klagten sie laut, sie konnten nichts dafür, dass die Klage so schön klang“[8].
Die Sirenen erscheinen, anders als bei Homer, nicht als bös willige Verführerinnen, sondern vielmehr als Opfer ihrer selbst, als Opfer der Schönheit ihrer Klage. Kafka geht von gepeinigten Kreaturen aus, von unschuldig zur Verführung verdammten. Den vorsätzlichen Willen an sich spricht Kafka ihnen ab, wenn er in seinem Sirenentext schreibt „Hätten die Sirenen ein Bewußtsein, sie wären damals vernichtet worden“ (KSE, S.305).
Der Bezug zum Mythos der Sirenen zeigt sich schon hier verändert, die Figuren des Homerschen Epos deutet Kafka um, die Verführerinnen verlassen ihren, durch den Mythos vorgegebenen, Rahmen.
Kafkas „stummes Schlachtgeschrei gegen den Mythos“[9] verlautet bereits im ersten Wort: Der Text soll einen „Beweis“ (KSE, S.304) erbringen. Ein „subjektlos unvollständige[r] Eingangssatz“[10] stellt dem Mythos der Sirenen gleich zu Beginn das dazu dialektische logos eines Beweises gegenüber. So wird einerseits der Erzählung Homers ein Wahrheitsgehalt „unterstellt“[11] und dennoch die Dominanz und Überlegenheit des logos „in Zweifel gezogen, wenn es der mythischen Erzählung bedarf, um seine These zu beweisen“[12]. Schon der Beginn des Textes kündigt eine Art Dekonstruktionsarbeit am Mythos Homers an, die sich auch in anderen Elementen zeigt.
Denn der „Beweis dessen, dass auch unzulängliche, ja kindische Mittel zur Rettung dienen können“ (KSE, S.304) baut nicht nur das Spannungsverhältnis mythos/logos auf, sondern grenzt sich zugleich auch in der Perspektive von Homers Erzählung ab. Während Homer Odysseus selbst seine Abenteuer berichten lässt und stets ein „wir“[13] alle Aktionen bewirkt, wählt Kafka eine übergeordnete Ebene. Diese Erzählinstanz bleibt in ihren Äußerungen jedoch nicht so „ bestimmt “[14], wie es der „Beweis“ (KSE, S.304) suggerieren will. Sie Stellt ihre „eigene Behauptung in Frage“[15], wann immer sie eine solche aufstellt. Statt des persönlichen wir steht eine anonyme Instanz, die jedoch nicht in erster Linie zur logischen Kontinuität und Konsistenz des Textes beiträgt sondern „an die Stelle der Er-fahrung das Ver-fahren rückt“[16].
Unabhängig von diesen Spannungsfeldern verändert Kafka den Mythos in weiteren signifikanten Stellen:
Kafkas Odysseus wird nicht vor dem Verführungspotenzial des Sirenengesanges gewarnt. Das Wissen darum wird vorausgesetzt und so „stopfte sich Odysseus Wachs in die Ohren“ (KSE, S.304), um dem Gesang zu entgehen. Doch nicht nur die Bekanntheit der Wirkung von Sirenengesang wird hier selbstverständlich angenommen, sondern zugleich auch die Kenntnis um die Mittel zur Rettung, Ketten und Wachs, und deren Unwirksamkeit. Aus nicht erwähnten Gründen schützt Odysseus sich vor etwas, von dem „in der ganzen Welt bekannt“ (KSE, ebd.) war, dass es mit solcherlei Mitteln nicht zu bezwingen sei. Die ausdrückliche Motivation des Odysseus, sich den Sirenen zu nähern, wird ebenso ausgespart wie die Herkunft seines Wissens um die Sirenen und die sie umgebende Gefahr.
Weiter lässt sich Odysseus zwar „am Mast festschmieden“ (KSE, ebd.), doch weder die Gefährten, die ihm diesen Dienst tun, noch das Schiff, auf dem Odysseus die Insel umfahren soll, werden , wie schon bezüglich seiner Motivation, erwähnt. Noch bevor das Schweigen der Sirenen selbst thematisiert wird, schweigt der Text. Ähnlich der Voraussetzung, dass Kafkas Odysseus von den Sirenen weiß, steht die Annahme des Textes, durch Kenntnis des Homerschen Epos, das Bild eines Schiffes mitsamt Mannschaft zu projezieren ohne ausdrückliche Benennung desselben. Die dabei, durch Auslassen des Gefolges des Odysseus, fehlende „Herr-Knecht-Dialektik“[17] wird zunächst nicht augenfällig und erst im Hinblick auf die Selbstschutzmaßnahmen deutlicher.
Denn den Schutz vor den Sirenen doppelt der Text Kafkas: Odysseus belässt es nicht dabei, sich von Unerwähnten an den Mast „festschmieden“ (KSE, ebd.) zu lassen, statt nur zu fesseln und so mit dem Mast nahezu zu verschmelzen. Sondern er gibt sich selbst zusätzlich „Wachs in die Ohren“ (KSE, ebd.), um die Verlockungen der Sirenen nicht hören zu müssen, statt wie bei Homer auf den fraglichen Genuss des Sirenengesanges zu bestehen. Das bemerkenswerte Übermaß an Schutzmaßnahmen birgt das „geheime Eingeständnis“[18] in den Zauber des Gesanges, die Macht des Mythos. Aber die fehlende Trennung der Protagonisten in Odysseus und seine Mannschaft zeigt auch, wie die „Spaltung zwischen Genuss und Arbeit“[19] zusammengezogen und uns „Innere des Odysseus“[20] verlagert wird. Durch diese Verinnerlichung liegt der Schluss nahe, dass die Doppelung der Schutzmaßnahmen nicht nur zum äußeren Schutz dient, sondern „auch jenseits des Gesanges vom Begehren des Odysseus herrührt“[21]. So entfernt sich der Text Kafkas zwar formal stark von Homer, doch durch das indirekte Eingeständnis von einer Sehnsucht nach dem Gesang der Sirenen, nähert sich der Text Homers Odysseus wieder stark an.
2.3 Das Verstummen der Sirenen
Eine andere wesentliche Veränderung des Homertextes allerdings ist zur Thematik des Verstummens besonders reizvoll. „Der Sang der Sirenen“ (KSE, S.304) bleibt auch bei Kafka alles durchdringend und „die Leidenschaft der Verführten hätten mehr als Ketten und Mast gesprengt“ (KSE, ebd.). Dem zu entkommen nennt der Text „zwar nicht geschehen, aber vielleicht denkbar“ (KSE, S.305), doch die „noch schrecklichere Waffe“ (KSE, ebd.) und Neuerung Kafkas ist das Schweigen. Es kommt zur Potenzierung der Macht der Sirenen, indem sie eben nicht tun, worin ihre vermeintliche Macht liegt.
Odysseus schützt sich vor ihrem Gesang mit einer „Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten“ (KSE, ebd.), den Mitteln, die im Beweis als „unzulängliche, ja kindische“ (KSE, S.304) genannt werden. Damit folgt er der Erwartungshaltung, die Sirenen würden Singen mit einem Kalkül, sich eben dagegen zu verwehren und geht auf die „Kommunikationsbedingungen“[22] scheinbar ein. Sein Verhalten mimt die logische Reaktion, auf die erwartet Aktion der Sirenen. Er wähnt die Gefahr gebannt, möglicher Weise, ohne zu wissen, dass er „sich täuscht, in seinem Täuschungsversuch“[23]. Durch ihr Schweigen aber wird die Kommunikation zwischen Sirenen und Odysseus widersinnig: Odysseus kann „nicht nicht auf sie reagieren“[24], jedoch auch nicht „in einer angebrachten (nichtparadoxen) Weise“[25]. Dem Schweigen der Sirenen kann nichts entgegenzusetzen sein, als das Trugbild, vor ihrem Gesang geschützt zu sein und ihr Schweigen nicht zu hören. Während der Odysseus Homers „immerhin noch gehört hat“[26], geschieht es bei Kafka, dass er „glaubte, sie sängen, und nur er sei behütet, es zu hören“ (KSE, S.305). Odysseus antwortet der widersprüchlichen Kommunikation der Sirenen „mit einer Paradoxie: dem Überhören des Schweigens“[27]. In Gewisser Weise muss das, dem Text folgend, seine Rettung sein, denn hätten sie gesungen, so hätte er in der aus Überwindung der Sirenen „folgenden, alles fortreißenden Überhebung“ (KSE, ebd.) ihnen doch verfallen müssen. Doch auch das Schweigen der Sirenen ist „eine Falle“[28], deren Umgehung durch Odysseus erst im Anhang voll klar wird.
2.3.1 Der Grund des Verstummens
Der Grund für das Verstummen der Sirenen bleibt offen. Ob sie „glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen“ (KSE, ebd.) oder ob sie gar das Bild der „Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus […] allen Gesang vergessen ließ“ (KSE, ebd.) wird im Text nicht aufgelöst. Die Erzählinstanz stellt sich selbst einmal mehr in Frage, nicht nur, weil der Anlass des Schweigens ungeklärt bleibt, sondern auch, weil die genannten Alternativen doch eines voraussetzen: Nämlich das Bewusstsein, wen die Sirenen vor sich haben und damit das bewusste Suchen nach einer Möglichkeit, ihn zu verführen. Oder aber das Vergessen um den Gesang beim Anblick des Odysseus, den sie dann ausdrücklich hätten als „Odysseus“ wahrnehmen müssen, seinen „Anblick der Glückseligkeit im Gesicht“ (KSE, S.305) oder gar „den Abglanz vom großen Augenpaar“ (KSE, ebd.) . Doch genau dieses Bewusstsein und Wissen wird ihnen abgesprochen, denn „hätten die Sirenen ein Bewusstsein, sie wären damals vernichtet worden“ (KSE, ebd.). Der Text verweigert konsequent die Quelle des Verstummens der Sirenen. Wenn ihr Schweigen als potenzierte Machtausübung beschrieben wird, so sollten es nach gängiger Logik auch einen triftigen Grund dafür geben, wenn auch der Text ihn verschweigt.
2.3.2 Funktion des Schweigens im Text
Dieses Schweigen des Textes öffnet jedoch im Anhang eine mögliche Auflösung der Frage, wie Odysseus das Unmenschliche schaffen und den Sirenen entkommen konnte. Kein Sterblicher flieht den Gesang der Sirenen, besonders nicht mit den banalen Mitteln des Odysseus. Denn selbst bei Erfolg der unzureichenden Schutzmaßnahmen würde die Euphorie des Sterblichen, die Sirenen besiegt zu haben, ihn doch eben jenen verfallen lassen. Nur durch das Schweigen der Sirenen, in dem Odysseus den Gesang zu hören glaubt, wirken die „Mittelchen“ (KSE, S.304), die es „Odysseus gestatten, das Schweigen der Sirenen zu überhören“[29].
Diese Auflösung sei laut Text eine, die „mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist“ (KSE, S.305). Wenn das scheinbar naive Unwissen des Odysseus seine Rettung war, so besteht die Möglichkeit, dass die scheinbar missratene List, sich des Gesanges zu erwehren, eine kalkulierte war. Innerhalb der paradoxen Kommunikation zwischen beiden Seiten können die Sirenen nicht mehr „ausmachen, ob er ihr Schweigen als Schweigen `hört` oder als ein Nichthören ihres Gesanges auffasst“[30]. Der Beweis Kafkas „hält den Listenreichen für listenreicher, seine Weise den Mythos aufzuklären, für radikaler“[31], womit aber auch die Möglichkeit „zwischen Sein und Schein, zwischen Täuschung und Wahrheit unterscheiden zu können“[32] endgültig negiert wird.
Das Schweigen bleibt ungeklärt, doch die „tödliche Gefahr dieser Kommunikation“[33] ist nicht gebannt, man kann „nicht nicht kommunizieren“[34]
2.3.3 Reartikulation der Sirenen
Hier scheinen die „Grenzen der Erzählbarkeit erreicht, an denen der Erzähler in „ Beweisnot “[35] geraten muss. Doch mit den Grenzen verbaler Kommunikation in „doppelsinnige[m] Schweigen“[36] ist auch die Ebene visueller Wahrnehmung erreicht. Zwar hört Odysseus das Schweigen der Sirenen nicht. Doch glaubt er mit „eingebildeter Deutlichkeit“[37], sie zu hören, weil er sie sieht. Der Mythos der „Macht der Sirenen gründet in der Erwartung seiner Tödlichkeit“[38] ebenso wie in der Erwartung des Gesanges selbst- nicht aber des Schweigens. Odysseus sieht „die Wendungen ihrer Hälse, das tiefe Atmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund“ (KSE, ebd.) und projeziert darin die „Arien, die ungehört um ihn verklangen“ (KSE, ebd.). Im Verwirrspiel der täuschenden Verständigung missdeutet Odysseus scheinbar die Körpersprache der Sirenen, entsprechen sie doch der „Bildtradition der lockenden, sinnlichen Frau“[39]. Es werden „die sichtbaren Zeichen auf unhörbar gewordene Stimmen bezogen“[40].und so die Kommunikation zwischen den Sirenen und Odysseus nur akustisch unterbrochen war. Ihr „Schweigen absorbiert und neutralisiert allen Sinn“[41], sodass das Spiel zwischen Erwartung, getäuschter Erwartung, Erwiderung und missgedeuteter Erwiderung bleibt. So ungeklärt das Verstummen der Sirenen also sein mag, so wenig wirkt es sich auf das Wechselspiel der Mitteilung zwischen ihnen und Odysseus aus. Sie verstummen nicht endgültig, sondern können sich durch ihre physische Präsenz nach wie vor einer Artikulation sicher sein. Ob nun mit Bewusstsein oder ohne, so kommt die visuelle Nachricht der „Wendungen ihrer Hälse“ (KSE, S.305) doch beim Empfänger an. So paradox sie schweigend verschickt werden, werden sie auch von einem Odysseus empfangen, der Ohren hat „ um nichts zu hören “[42].
Erst wenn die Sirenen dem „in die Ferne gerichteten“ (KSE, ebd.) Blick des Odysseus entrückt werden, „wusste er nichts mehr von ihnen“ (KSE, ebd.). In dem Moment, als die Sirenen „förmlich vor seiner Entschlossenheit“ (KSE, ebd.) verschwinden, ist Odysseus ihnen „am nächsten“ (KSE, ebd.), ohne es zu wissen. Uns ichtbar und un hörbar für Odysseus bleiben die Sirenen zurück. Sie trachten nicht mehr nach dem Leben des Helden, sondern danach, „den Abglanz vom großen Augenpaar des Odysseus so lange als möglich“ (KSE, ebd.) zu erhaschen.
In der Verlagerung der Kommunikation ins Nonverbale geschieht also auch eine Verlagerung der Machtverhältnisse: Nicht mehr nur die näher rückenden Sirenen „-schöner als jemals-„ (KSE, ebd.) sind Verlockung für Odysseus. Jetzt sind es die Sirenen „für die der entkommende Odysseus immer ferner rückt und dadurch immer verlockender wird“[43]. Odysseus flieht nicht mehr vor den Sirenen, er „macht sich selbst zu Gegenstand des Begehrens“[44]. Durch die Widersprüchlichkeit, innerhalb derer Odysseus agiert, hat er „die Struktur der Verführung unter der Hand verkehrt“[45]. Den Anhang berücksichtigend wappnet sich der Odysseus Kafkas scheinbar gegen den Gesang der Sirenen, doch nur dieser Scheinschutz ermöglicht es ihm, das Schweigen zu überhören und zu entkommen. Währenddessen locken die Sirenen, deren Gesang unwiderstehlich ist, mit noch mächtigerer Waffe, ihrem Schweigen und müssen Odysseus dennoch und gerade deshalb unbeschadet ziehen lassen.
Aus der Potenzierung der Macht der Sirenen in ihrem Schweigen führt der Text in eine Arbeit am Mythos durch „Variation von Verführung und Entzug“[46], durch paradoxe Kommunikation, durch doppelte Täuschung und doppeltes Schweigen. Eine Auflösung der Dialektik verweigert der Text, indem er sich ausschweigt und dennoch die Unmöglichkeit eines Nichtkommunizierens aufzeigt[47]
3 Die Verwandlung
Der Entstehungszeitraum des Textes lässt sich in Kafkas Briefen an Felice Bauer vom 18.11.1012 bis 6./.7.12.1912 datieren.[48] Die Erstveröffentlichung der „kleinen Geschichte“[49] fand im Rahmen der Monatsschrift „Die weißen Blätter“ herausgegeben von René Schickele 1915 statt (vgl. KSE, S.397.).
3.1 Das Verstummen des Herr Samsa
Der Titel des Textes „Die Verwandlung“, die Kafka so „qualvoll und ekelhaft“[50] war, bezieht sich nur zum Teil auf den Protagonisten der Erzählung. Tatsächlich wird hier nicht in der Gesamtheit von der langsamen Veränderung Gregor Samsas gesprochen[51]. Es werden vielmehr die „katastrophalen Konsequenzen derselben“[52] und damit eng verbunden vor allem von der Veränderung des Verhaltens der Familienmitglieder dargestellt. Zum Thema des Verstummens ist der angedeutete Prozess des Stimmverlustes des Gregor Samsa und seine Wirkung signifikant.
Samsa erwacht „eines Morgens aus unruhigen Träumen“ (KSE, S.56) und findet sich vollkommen verwandelt wieder. Körperlich ist die Verwandlung Samsas bereits fast vollendet, doch eine psychische Verwandlung hat hier noch nicht sichtbar stattgefunden: Im Körper eines „ungeheueren Ungeziefer[s]“ (KSE, ebd.) drehen sich seine Gedanken noch um die Arbeit als Reisender, seine Verpflichtung als Familienversorger und nicht zuletzt den Unmut über das späte Erwachen. „Samsas physische Verwandlung umgibt ein immer noch menschliches Selbstbewusstsein“[53], als er seiner Mutter auf deren Weckversuch antwortet.
Die antwortende Stimme war zwar „unverkennbar seine frühere“ (KSE, S.58), doch mit Schrecken muss Samsa nun auch stimmliche Veränderungen an sich bemerken: Ein „von unten her, […] nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen“ (KSE, ebd.) beginnt, Samsas Rede zu unterwandern. Diese Verwandlung lässt seine Worte nur gerade einen Moment deutlich erscheinen, „um sie im Nachklang derart zu zerstören, dass man nicht wusste, ob man recht gehört hatte“ (KSE, ebd.). Zwar war die „Veränderung in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu merken“ (KSE, ebd.), doch bereits hier verstummt Samsa zusehends. Statt der geplant ausholenden Antwort für die Mutter, beschränkt er sich auf einen kurzen Satz, auch auf Drängen von Vater und Schwester antwortet er nur kurz angebunden und bemüht deutlich, während er zuletzt auf die leise Bitte der Schwester nur noch gedanklich, nicht aber verbal reagiert (vgl. KSE, ebd.). Ähnlich seiner Reaktion über die körperliche Verwandlung scheint Samsa nicht in Panik zu verfallen. Er nimmt den Stimmverlust, gleichbedeutend mit dem Verlust der Kommunikation mit seiner Familie und der Tatsache, dass die „ unmittelbare Kundgabe seelischer Regungen“[54] so unmöglich wird, hin und minimiert seine Mitteilungsversuche. Das Verstummen des Herrn Samsa nimmt zwar im Text eine Sonderrolle ein, da „zoologische Verwandlungsprozesse“[55] ansonsten „freilich gerade ausgespart“[56] bleiben, der Sprachverlust aber geschildert wird. Samsa selbst allerdings scheint dem keinerlei übergeordnete Bedeutung zuzumessen und versucht sich schlicht dem Fortgang anzupassen.
[...]
[1] Binder, Hartmut: Kafka Kommentar. Zu sämtlichen Erzählungen. Winkler: München 1975. S.156.
[2] Friedmann Harzer stellt „Die Verwandlung“ hingegen in Verbindung mit Ovid. Harzer, Friedmann: Erzählte Verwandlung. Eine Poetik epischer Metamorphosen. Ovid – Kafka – Ransmayr. In: Studien zur deutschen Literatur. Hrsg. Von Wilfried Barner u.a.. Band 157. Niemeyer: Tübingen 2000.
[3] Vgl. Mairowitz, David Zane und Crumb, Robert: Introducing Kafka. Totem Books: New York 1993. Allerdings werden hier u.a. auch Biographie, andere Texte und Aufsätze Kafkas aufgearbeitet.
[4] Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen. Hg. von Paul Raabe. Fischer: Frankfurt 1970.
[5] Vgl. Keréyi, Karl: Die Mythologie der Griechen. Die Götter- und Menschengeschichten. Mit 66 Illustrationen nach Vasenbildern. Rhein: Zürich 1951. S.59ff.
[6] Vgl. Homer: Odyssee. In der Übertragung von Johann Heinrich Voß. Patmos/Albatros: Düsseldorf 2009. S.165ff.
[7] Krusche, Dietrich: Kafka und Kafka-Deutung. Die problematisierte Interaktion. Fink: München 1974. S.94.
[8] Kafka, Franz: Briefe 1902-1924. In: Gesammelte Werke. Hrsg. Von Max Brodt. Fischer: Frankfurt 1955. S.362.
[9] Adorno, Theodor W.: Aufzeichnungen zu Kafka. In: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Suhrkamp: Frankfurt 1969. S.332.
[10] Samuel, Günther: Schrift-Körper in tonloser Fernsicht. Kafkas Sirenen-Text. In: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre. 40. Jahrgang. Hg. Von Heinz Rölleke. Bouvier: Bonn 1990. S.50.
[11] Samuel (1990), S.51.
[12] Ebd.
[13] Vgl. Homer (2009), S. 165ff.
[14] Samuel (1990), S.55.
[15] Ebd.
[16] Samuel (1990), S.52.
[17] Rath (1986), S.88.
[18] Samuel (1990), S.55.
[19] Rath, Norbert: Mythos-Auflösung. Kafkas Das Schweigen der Sirenen. In: Zerstörung, Rettung der Mythos durch Licht. Hg. Von Christa Bürger. Suhrkamp: Frankfurt 1986. S.88.
[20] ebd.
[21] ebd.
[22] Rath (!986), S.92.
[23] Nibberig, Christiaan L. Hart: Rhetorik des Schweigens. Versuch über den Schatten literarischer Rede. Suhrkamp: Frankfurt 1981. S.192.
[24] Watzlawick, Paul u.a (1974), S.195f.
[25] Watzlawick, Paul u.a (1974), S.195f.
[26] Wimmer, Michael: Verstimmte Ohren und unerhörte Stimmen. Phänomene der Taubheit: Schweigen, Sprachlosigkeit, Stille. In: Das Schwinden der Sinne. Hrsg. Von Dietmar Kamper und Christoph Wulf. Suhrkamp: Frankfurt 1984. S.119.
[27] Rath (1986): S.92.
[28] Rath (1986), S.93.
[29] Rath (1986), S.92.
[30] Rath (1986), S.95.
[31] Nibberig (1981), S.191.
[32] Kremer, Detlef: Kafka. Die Erotik des Schreibens. Schreiben als Lebensentzug. Athenäum: Frankfurt 1989. S.9.
[33] Nibberig (1981), S.191.
[34] Watzlawick, Paul u.a.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Huber: Bern 1974. S.53.
[35] Samuel (1990), S.57.
[36] Rath (1986), S.95.
[37] Samuel (1990), S.59.
[38] Nibberig (1981),S.191.
[39] Kremer (1989), S.11.
[40] Ebd.
[41] Wimmer (1984), S.116.
[42] Wimmer (1984), S.17.
[43] Rath (1986), S.89.
[44] Kremer (1989), S.10.
[45] Kremer (1989), S.13.
[46] Kremer (1989), S.8.
[47] Vgl. Watzlawick 1974), S.50ff.
[48] Vgl. Kafka, Franz: Briefe an Felice. Und andere Korrespondenzen aus der Verlobungszeit. Hg. von Erich Heller und Jürgen Born. In: Franz Kafka. Gesammelte Werke. Hg. von Max Brod. Fischer: Frankfurt 1967. S.102ff.
[49] Ebd.
[50] Kafka (1967), S.67.
[51] Es gibt, neben der stimmlichen Veränderung allerdings durchaus erwähne, körperliche Veränderungen des Herr Samsa, wie die Verschlechterung seiner Sehkraft (vgl. KSE, S.76.).
[52] Harzer (2000), S.129.
[53] Harzer (2000), S.129.
[54] Schubiger, Jürg: Franz Kafka. Die Verwandlung. Eine Interpretation. Atlantis: Zürich 1969. S.66.
[55] Harzer (2000), S.137.
[56] Ebd.
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