Eine gerechte und für alle Mitglieder akzeptable Gesellschaftsform – wie ist sie möglich? Nach welchem Muster soll eine Gesellschaft allgemein strukturiert sein und wie sollen im Besonderen soziale Institutionen organisiert sein, damit es eine solche Gesellschaftsform geben kann? Diese Grundfragen der politischen Philosophie versucht John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit (1975) und den darauf aufbauenden Werken zu lösen. Gegenstand der Gerechtigkeit ist bei Rawls die Grundstruktur der Gesellschaft, welche definiert ist durch „die Art, wie die wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen Grundrechte und -pflichten und die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit verteilen“ (1975: 23).
Die Basis einer politischen Gerechtigkeitskonzeption muss laut Rawls ein Gesellschaftsvertrag sein. Dies begründet er damit, dass ein Unterwerfen unter bestimmte Mechanismen oder soziale Institutionen nur fair sein kann, wenn sich die Betroffenen theore-tisch auf die Prinzipien geeinigt hätten, nach denen sie handeln sollen (Rawls 1975: 28, 33).
In dieser Arbeit sollen vor allem die weiblichen Betroffenen im Vordergrund stehen. Sie werden vertreten durch eine Vielzahl feministischer Autorinnen, die bezweifeln, ob die von Rawls konzipierte Gerechtigkeit als Fairness sowie die durch diese Gerechtigkeitskonzeption wohlgeordnete Gesellschaft aus weiblicher Perspektive uneingeschränkt annehmbar ist. Ist diese Theorie annehmbar, wenn man von einer spezifisch männlichen und weiblichen Moral ausgeht? Gewährt Rawls einer weiblichen Moral, die angeblich mehr auf Gemeinschafts- als auf Gerechtigkeitswerten basiert, genügend Raum? Beachtet er in ausreichendem Maße konkrete weibliche moralische Erfahrungen und Dilemmata bei der Aufstellung von Prinzipien, die auf die Grundstruktur der Gesellschaft angewandt werden sollen? Spiegelt sich in der von einem Mann verfassten Konzeption von moralischen Subjekten eine typisch männliche Auffassung von Rationalität wider? Welchen Bezug nimmt Rawls’ Theorie zur realen Benachteiligung von Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären, besonders im privaten Bereich? Rechtfertigt der Rawlssche Liberalismus eine atomistische Gesellschaft ohne Solidarität, einhergehend mit Situationen der Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Ungleichheit in Bezug auf die Geschlechter?
Allgemein gesprochen: Kann der universale Anspruch der Rawlsschen Theorie feministischer Kritik standhalten?
Diese Fragen werden in dieser Arbeit beantwortet werden.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Die These von den zwei Moralen
- 1. Geschlechtsspezifische Moral und ihre Bedeutung für soziale Gemeinschaften
- 2. Kritische Einordnung der These von den zwei Moralen
- III. Vernachlässigung der „weiblichen Stimme“ in Rawls' Urzustand?
- 1. Eine hypothetische Versammlung vernünftiger, aneinander desinteressierter Wesen...
- 2. Feministische Kritik an Rawls' Konzeption des Urzustands
- 2.1 Helds Plädoyer für die Einbeziehung der weiblichen moralischen Erfahrungswelt
- 2.2 Benhabibs Plädoyer für die Einbeziehung der „konkreten Anderen“ im Urzustand
- 3. Replik auf die feministische Kritik auf epistemologischer Ebene
- 3.1 Der Urzustand als Gedankenexperiment....
- 3.2 Gegen ein Lüften des Schleiers in Sachen Geschlecht
- 3.3 Rawls' Urzustandsubjekte: egoistisch und altruistisch zugleich?
- 4. Replik auf die feministische Kritik auf normativer Ebene
- 4.1 Unterschiedliche Motivationen in Urzustand und wohlgeordneter Gesellschaft
- 4.2 Abgrenzung und Zusammenspiel von Rationalität und Vernunft
- IV. Rawls' Liberalismus – Atomismus pur plus Unterdrückung der Frau?
- 1. Politischer Liberalismus à la Rawls
- 2. Feministische Kritik an Rawls' politischem Liberalismus
- 2.1 Ohne Fürsorgeethik keine Solidargemeinschaft
- 2.2 Gerechtigkeit innerhalb der sozialen Institution der Familie
- 3. Replik auf feministische Kritik am Rawlsschen Liberalismus
- 3.1 Autonomie als Selbstbestimmung, Individualismus als Chance
- 3.2 Vorzüge eines Vorrangs des Rechten vor dem Guten
- 3.3 Interdependenz, gegenseitige Achtung und Besorgnis – auch bei Rawls
- 3.4 Gerechtigkeit durch Rawls' Prinzipien – auch innerhalb der Familie?
- V. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit befasst sich mit der Frage, ob John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit aus feministischer Perspektive als uneingeschränkt annehmbar betrachtet werden kann. Im Zentrum steht die Kritik an Rawls' Konzeption des Urzustands und seines Liberalismus, die als spezifisch männlich und die „weibliche Stimme“ vernachlässigend kritisiert werden.
- Geschlechtsspezifische Moral: Die Arbeit analysiert die These von Carol Gilligan, die von einer typisch weiblichen Moral der Fürsorge und einer typisch männlichen Moral der Gerechtigkeit ausgeht.
- Rawls' Urzustand: Die Arbeit untersucht, ob Rawls' Konzeption des Urzustands, in dem sich rationale Akteure auf Prinzipien der Gerechtigkeit einigen, die weibliche moralische Erfahrungswelt ausreichend berücksichtigt.
- Feministische Kritik an Rawls' Liberalismus: Die Arbeit analysiert, ob Rawls' Liberalismus, der auf Autonomie und Individualismus setzt, zu einer atomistischen Gesellschaft ohne Solidarität führt und die traditionelle Unterdrückung von Frauen im privaten Bereich reproduziert.
- Rawls' Gerechtigkeitsprinzipien: Die Arbeit diskutiert, ob Rawls' Prinzipien der Gerechtigkeit auch innerhalb der Familie gelten können, und ob sie die spezifischen Herausforderungen und Ungleichheiten im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigen.
- Moralische Subjekte: Die Arbeit beleuchtet, ob Rawls' Konzeption des moralischen Subjekts, das als rational und auf Eigeninteresse fokussiert dargestellt wird, eine typisch männliche Sichtweise widerspiegelt und die spezifischen Erfahrungen und Bedürfnisse von Frauen ignoriert.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die grundlegende Fragestellung der Arbeit vor: Kann Rawls' Theorie der Gerechtigkeit feministischer Kritik standhalten? Kapitel II präsentiert die These von Carol Gilligan von den zwei Moralen, die von einer typisch weiblichen Moral der Fürsorge und einer typisch männlichen Moral der Gerechtigkeit ausgeht. Kapitel III diskutiert die feministische Kritik an Rawls' Konzeption des Urzustands und seiner Definition der moralischen Subjekte. Kapitel IV analysiert die feministische Kritik an Rawls' Liberalismus und der durch diesen wohlgeordneten Gesellschaft.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen John Rawls, Gerechtigkeitstheorie, feministische Kritik, Geschlechtsspezifische Moral, Urzustand, Liberalismus, Fürsorgeethik, Solidarität, Familie, Autonomie, Individualismus, moralische Subjekte, Rationalität, Erfahrungswelt, Geschlechtergerechtigkeit.
- Citar trabajo
- Carolin Duss (Autor), 2009, Gerechtigkeit als Fairness – reine Männersache?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145579
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