Ziel dieser Arbeit ist es, den Stellenwert der geschlechtergerechten Sprache bei luxemburgischen Grundschullehrkräften aus dem Zyklus 4 zu ermitteln. Dazu werden die theoretischen Grundlagen und die Entwicklung der geschlechtergerechten Sprache in den letzten Jahrzehnten erläutert. Verschiedene Möglichkeiten der nominalen Personenreferenz werden beschrieben und anhand von Studien analysiert. Darüber hinaus werden der aktuelle Forschungsstand und die Relevanz geschlechtergerechter Sprache im Schulunterricht untersucht. Die Befragung von fünf luxemburgischen Lehrkräften soll Aufschluss darüber geben, wie diese zur inklusiven Sprachvermittlung stehen und inwieweit sie bereits geschlechtergerechte Sprache im Unterricht verwenden.
Im deutschsprachigen Raum wird mittlerweile in vielen Bereichen eine geschlechtergerechte Sprache verwendet: sowohl mündlich im Radio oder in der Tagesschau im Fernsehen als auch durch die schriftliche Verankerung im Rechtschreibwörterbuch Duden. Daraus lässt sich schließen, dass die geschlechtergerechte Sprache nicht mehr als akademisches Randthema zu betrachten ist. Vielmehr ist die inklusive Sprache "in der Mitte der Gesellschaft angekommen". Gendern ist im weitesten Sinne ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung, sprich die gleiche und gerechte Behandlung von Männern und Frauen im Sprachgebrauch, zu erreichen. Gendern bedeutet demnach die Implementierung einer geschlechtergerechten Sprache. Die deutsche Sprache lässt auf vielfältige Weise und häufig ohne großen Aufwand eine sprachliche Gleichbehandlung von Personen jeglicher Geschlechtsidentität zu. Einheitliche Regeln existieren aktuell jedoch noch nicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Arbeit liegen keine Studien zur Beurteilung von geschlechtergerechter Sprache durch luxemburgische Lehrkräfte oder zu deren Einbezug in den Sprachunterricht vor. In der vorliegenden Arbeit wird aber auf eine Studie zurückgegriffen, die Sylvie Kerger und Laurence Brasseur 2021 zu den Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern für luxemburgische Grundschulen durchgeführt haben.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Politischer und legaler Rahmen
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Sprachliche Grundlagen
3.1.1 Definition von Geschlecht
3.1.2 Einordnung in den Zusammenhang der feministischen Diskussion
3.1.3 Definition geschlechtergerechter Sprache
3.1.4 Problematische Umsetzung der geschlechtergerechten Sprache im Alltag
3.2 Möglichkeiten zur nominalen Personenreferenz im Deutschen
3.2.1 Generisches Maskulinum
3.2.2 Generisches Femininum
3.2.3 Doppelnennung
3.2.4 Unterstrich
3.2.5 Klammerschreibweise
3.2.6 Binnen-I
3.2.7 Genderstern
3.2.8 Verwendung genderneutraler Begriffe
3.2.9 Substantivierte Adjektive und Partizipien
3.2.10 Sachbezeichnungen
3.2.11 Geschlechtsneutrale Ausdrücke
3.2.12 Kurzwörter
3.2.13 Direkte Rede
3.2.14 Mithilfe eines Adjektivs umformulieren
3.2.15 Mit dem Passiv oder mit ,wir‘ umschreiben
3.2.16 Relativsätzen bilden
3.2.17 Zwischenfazit
3.3 Geschlechtergerechte Sprache im Deutschunterricht
3.3.1 Relevanz geschlechtergerechter Sprache im Unterricht
3.3.2 Aktueller Forschungsstand
4 Methodologie
4.1 Forschungsansatz
4.1.1 Qualitatives Vorgehen
4.1.2 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
4.2 Methoden der Datenerhebung
4.2.1 Stichprobe
4.2.2 Ablauf der Datenerhebung
4.2.3 Interview
4.3 Methoden der Datenanalyse
4.3.1 Codierung und Kategorienbildung
4.3.2 Ethikrichtlinien
5 Daten
5.1 Dokumentation und Darstellung
5.1.1 Geschlechtergerechte Sprache: Verständnis, private Verwendung von Personenbezeichnungen, Bewusstsein durch öffentliche Berichterstattung und Thematisierung im Studium
5.1.2 Integration von geschlechtergerechter Sprache im Unterricht
5.1.3 Herausforderungen im Unterricht
5.2 Analyse und Interpretation
6 Diskussion und Limitationen in Bezug auf die Forschungsfrage
7 Persönliches Fazit und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
9.1 Leitfadeninterview
9.2 Antrag auf Genehmigung der Forschungsarbeit und Datenerhebung für die Bachelorarbeit
9.3 Informationsblatt für Lehrerinnen und Lehrer
9.4 Einwilligungsbestätigung der Teilnehmerinnen
9.5 Informationsbestätigung des Studierenden
9.6 Interviewtranskriptionen und Codierung
9.7 Interviewkategorisierung
Zusammenfassung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Stellenwert der geschlechtergerechten Sprache bei luxemburgischen Grundschullehrkräften aus dem Zyklus 4 zu ermitteln. Dazu werden die theoretischen Grundlagen und die Entwicklung der geschlechtergerechten Sprache in den letzten Jahrzehnten erläutert. Verschiedene Möglichkeiten der nominalen Personenreferenz werden beschrieben und anhand von Studien analysiert. Darüber hinaus werden der aktuelle Forschungsstand und die Relevanz geschlechtergerechter Sprache im Schulunterricht untersucht. Die Befragung von fünf luxemburgischen Lehrkräften soll Aufschluss darüber geben, wie diese zur inklusiven Sprachvermittlung stehen und inwieweit sie bereits geschlechtergerechte Sprache im Unterricht verwenden.
Schlüsselwörter: Generisches Maskulinum, Stellenwert
Geschlechtergerechte Sprache, luxemburgische Grundschullehrkräfte, Entwicklung der Sprache
Résumé
Le but de ce travail est de déterminer l'importance du langage inclusif en matière de genre auprès des enseignants du cycle 4 de l'école primaire luxembourgeoise. Pour ce faire, les bases théoriques et l'évolution du langage inclusif durant les dernières décennies seront expliqués. Différentes possibilités de référence nominale à la personne seront décrites et analysées à l'aide d'études. En outre, l'état actuel de la recherche et la pertinence du langage inclusif dans l'enseignement seront examinés. L'interrogation de cinq enseignants luxembourgeois permettra de déterminer leur position par rapport à l'enseignement inclusif de la langue et dans quelle mesure ils utilisent déjà un langage inclusif en classe.
Mots-clefs: Masculin générique, rôle, égalité des sexes, enseignants du primaire luxembourgeois, évolution de la langue
Danksagungen
Ich möchte mich ganz herzlich bei Allen bedanken, die mich bei der Erstellung meiner Bachelorarbeit unterstützt haben. Ein besonderer Dank gilt meiner Tutorin, die mich mit ihrer fachlichen Kompetenz bei der Erstellung dieser Arbeit begleitet hat. Sie war stets bereit, meine Fragen zu beantworten und mir wertvolle Tipps zu geben.
Mein Dank gilt auch den Lehrkräften, die sich bereit erklärt haben, an meinen Interviews teilzunehmen. Ohne ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen und Meinungen mit mir zu teilen, hätte ich diese Arbeit nicht realisieren können.
Zuletzt möchte ich meinen Eltern und meiner Freundin danken, die mich während meines Studiums stets unterstützt und gefördert haben. Ihre Unterstützung und ihr Vertrauen haben mich motiviert, diese Arbeit fertigzustellen.
Anm. der Red.: Die Unterpunkte 9.2, 9.3, 9.4, 9.5 und 9.6 wurden aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
1 Einleitung
Im deutschsprachigen Raum wird mittlerweile in vielen Bereichen eine geschlechtergerechte Sprache verwendet: sowohl mündlich im Radio oder in der Tagesschau im Fernsehen als auch durch die schriftliche Verankerung im Rechtschreibwörterbuch Duden. Daraus lässt sich schließen, dass die geschlechtergerechte Sprache nicht mehr als akademisches Randthema zu betrachten ist. Vielmehr ist die inklusive Sprache „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ (Lautenschläger, 2020, S. 34). Gendern ist im weitesten Sinne ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung, sprich die gleiche und gerechte Behandlung von Männern und Frauen im Sprachgebrauch, zu erreichen. Gendern bedeutet demnach die Implementierung einer geschlechtergerechten Sprache (Diewald & Steinhauer, 2017). Die deutsche Sprache lässt auf vielfältige Weise und häufig ohne großen Aufwand eine sprachliche Gleichbehandlung von Personen jeglicher Geschlechtsidentität zu. Einheitliche Regeln existieren aktuell jedoch noch nicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Arbeit liegen keine Studien zur Beurteilung von geschlechtergerechter Sprache durch luxemburgische Lehrkräfte oder zu deren Einbezug in den Sprachunterricht vor. In der vorliegenden Arbeit wird aber auf eine Studie zurückgegriffen, die Sylvie Kerger und Laurence Brasseur 2021 zu den Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern für luxemburgische Grundschulen durchgeführt haben. Ziel der Untersuchung war es, die Geschlechterdarstellungen in Schulbüchern für luxemburgische Grundschulen zu erfassen und zu analysieren. Darin wurde festgestellt, dass überwiegend neutrale Sprachformen wie ,Kinder', ,Menschen', ,Leute', ,Lehrkräfte' oder ,Schulkinder' in den Schulbüchern verwendet werden. Am zweithäufigsten wurde das generische Maskulinum benutzt und am seltensten die Doppelnennung. Die Feststellung, dass Frauen häufig nicht direkt angesprochen werden, sondern immer nur ,mitgemeint' sind, ist insofern von Relevanz, als die Schulbücher auf diese Weise den Eindruck erwecken, sie seien eher an Jungen als an Mädchen gerichtet. Zudem stellte sich im Rahmen der Untersuchung heraus, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums häufig nicht eindeutig zu erkennen war, ob sich das männliche Genus tatsächlich nur auf Männer bezog oder ob es in der generischen Bedeutung verwendet wurde. Im folgenden Jahr hat das CET (Centre pour l'égalité de traitement) gemeinsam mit dem CID Fraen an Gender (Centre d'information et de documentation) und dem CNFL (Conseil National des Femmes du Luxembourg) einen Leitfaden für den korrekten Gebrauch einer geschlechtergerechten Sprache veröffentlicht. Dieser soll der Orientierung dienen, um Menschen, die sich inklusiv ausdrücken möchten, zu unterstützen und ihnen Lösungswege aufzuzeigen. Um Verständnisschwierigkeiten im Deutschunterricht vorzubeugen, sollte eine geschlechtergerechte Sprache jedoch Teil des Lehrplans sein, wenn die Schule als Fundament einer jeden Gesellschaft und nicht als geschlechtsneutraler Raum verstanden werden soll. Noch heute werden hier jedoch, bewusst oder unbewusst, Geschlechterstereotype vermittelt und gelebt. Damit Schulen einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter leisten und zu mehr Chancengerechtigkeit für Mädchen und Jungen beitragen können, ist Genderkompetenz erforderlich. Nicht nur Schüler und Schülerinnen, sondern auch Lehrkräfte und Schulleitungen sollten für vielfältige Lebensweisen und diskriminierungsarme Sprache sensibilisiert werden. Auf diese Weise wird verhindert, dass den Kindern vorgeschriebene Rollen aufgedrängt werden, die zur Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch ein Recht auf eine freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit hat, was durch Sprache nicht verhindert werden sollte. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, zu ermitteln, welchen Stellenwert geschlechtergerechte Sprache bei luxemburgischen Grundschullehrkräften einnimmt, sowie ihre Bewertung zum Diskurs zu erheben. Hierfür werde ich mich zunächst mit den theoretischen Grundlagen beschäftigen sowie mit der Entwicklung der geschlechtergerechten Sprache über die letzten Jahrzehnte. Auf dieser Basis werden die verschiedenen Möglichkeiten zur nominalen Personenreferenz beschrieben und es wird mithilfe von Studien analysiert, ob sie sich für eine geschlechtergerechte Sprachverwendung eignen. Daran schließt sich eine Recherche zum aktuellen Forschungsstand und zur Relevanz geschlechtergerechter Sprache im Schulunterricht an. Durch die Befragung soll ermittelt werden, wie die Lehrpersonen zur Vermittlung inklusiver Sprache stehen und in welchem Umfang geschlechtergerechte Sprache bereits Teil ihres Unterrichts ist. Letzten Endes habe ich mich nicht nur aufgrund mangelnder Studien dazu entschlossen, meine Bachelorarbeit zum Anwendungsgrad geschlechtergerechter Sprache bei luxemburgischen Lehrkräften zu schreiben, sondern auch aufgrund meines langjährigen Interesses an der Geschlechter(un)gerechtigkeit. Die zentrale Forschungsfrage, die es zu beantworten gilt, lautet damit: Inwieweit hat eine geschlechtergerechte Sprache Einzug in den Schulunterricht bei luxemburgischen Grundschullehrkräften aus dem Zyklus 4 gefunden?
2 Politischer und legaler Rahmen
Das Großherzogtum Luxemburg ist im Jahr 1960 als Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) der ,Convention concernant la lutte contre la discrimination dans le domaine de l'enseignement' beigetreten. Diese internationale, multilaterale Konvention hat zum Ziel, Chancengleichheit zu fördern und Diskriminierung im Bereich der Bildung zu bekämpfen. Es ist das erste rechtsverbindliche internationale Instrument, das sich vollständig dem Recht auf Bildung widmet. Im Unterschied zu mehreren anderen Verträgen im Bereich der Menschenrechte lässt sie keine Vorbehalte zu, was bedeutet, dass die Staaten, die sie ratifizieren, nicht beschließen können, bestimmte Aspekte oder Bestimmungen von der Rechtswirkung der Konvention auszuschließen. Bis heute haben 107 Staaten dieses Übereinkommen ratifiziert (UNESCO, 2022). Des Weiteren haben die Vereinten Nationen 1979 mittels dem „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ Folgendes festgelegt: die Beseitigung stereotyper Vorstellungen von der Rolle des Mannes und der Frau auf allen Ebenen durch die Überarbeitung von Schulbüchern und Lehrplänen und die Anpassung der Lehrmethoden. Im Schulunterricht sollen demnach keine Geschlechterrollen-Stereotype vermittelt werden (Vereinte Nationen, 1981). Außerdem wurde 1990 durch die UNESCO in Artikel 3 der ,Déclaration mondiale sur l'éducation pour tous' festgelegt, dass die der Konvention beigetretenen Staaten verbindlich aufgefordert sind, im Bereich der Bildung alle Stereotypen in Bezug auf das Geschlecht zu eliminieren (UNESCO, 1990). Darüber hinaus hat Luxemburg eine Reihe internationaler Konventionen unterzeichnet, durch die es sich zur Einhaltung der Rechte der LGBTIQ+ Menschen verpflichtet. Die Abkürzung LGBTIQ+ ist ein Akronym für ,Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual and Queer'. Das Pluszeichen bezieht alles im Spektrum von Sexualität und Geschlecht ein, das sich (noch) nicht durch Buchstaben und Worte erklären lässt (Service de Coordination de la Recherche et de l'Innovation pédagogiques et technologiques, 2022). Beispielsweise ist Luxemburg seit 2015 Teil des Netzwerks der europäischen staatlichen Kontaktstellen für LGBTIQ+ Belange beim Europarat. Ansonsten fördert das Großherzogtum die Rechte von LGBTIQ+ Personen, indem es jedes Jahr aufs Neue die jeweilige IDAHOT-Erklärung (International Day against Homophobia, Transphobia and Biphobia) unterzeichnet sowie 2016 den Aufruf der UNESCO an die Bildungsministerien zum Handeln für eine inklusive und gerechte Bildung erneuert hat. Allerdings ist nicht nur durch internationale Regelungen und Konventionen festgelegt, dass es aufgrund des Geschlechts keine Diskriminierung geben darf, laut dem luxemburgischen Schulgesetz ist es auch die Aufgabe der Schule, die Gleichstellung der Geschlechter zu vermitteln. So heißt es in Artikel 3 des Schulgesetzes ,Loi du 6 février 2009 relative à l'obligation scolaire', das 2009 in Kraft trat : „Elle l'éduque aux valeurs éthiques fondées sur la Déclaration universelle des droits de l'homme et l'amène à respecter l'égalité entre les filles et les garçons.“ Ob die Botschaft der Geschlechtergleichstellung im Sprachunterricht effektiv transportiert wird oder ob die luxemburgischen Lehrkräfte (unbewusst) Geschlechterrollen-Stereotype vermitteln, wird in dieser Arbeit analysiert. Im Sommer 2021 haben Bildungsminister Claude Meisch und die Ministerin für Chancengleichheit, Taina Bofferding, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz einen Leitfaden für Unterrichtsmaterialien und Schulbücher für die Grundschule und den Sekundärunterricht vorgestellt. Schulbücher und Unterrichtsmaterialien vermitteln im Verständnis der Regierung den Kindern demnach nicht nur Fachwissen, sondern auch Werte und eine bestimmte Kultur. Die in den Schulbüchern verbreiteten Geschlechterstereotypen wirken sich nachweislich auf das Verhalten von Jungen und Mädchen aus. Da sie wie eine psychologische Barriere wirken, können sie junge Menschen bei der Wahl ihres Berufes, ihres Studiums und sogar ihrer Freizeitaktivitäten beeinflussen. Der verfasste Leitfaden soll dazu beitragen, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Gleichstellung der Geschlechter durch alle Bürger im täglichen Miteinander auch effektiv umgesetzt werden (Ministère de l'Éducation nationale, de l'Enfance et de la Jeunesse, 2021). Wie durch die Forschung belegt werden konnte, beeinflusst das Geschlecht in der Sprache die geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen der Menschen. Beispielweise wird durch die Verwendung von Paarformen (im Vergleich zu generischen Maskulinum) die mentale Einbeziehung von Frauen verstärkt. Zudem geht aus der Studie von Vervecken et al. hervor, dass die ,Feminisierung' stereotyper Männerberufe dazu führt, dass die Kinder sich besser vorstellen können, in den jeweils weiblich oder männlich besetzten Berufen zu arbeiten und diese Tätigkeiten für das jeweils andere Geschlecht damit zugänglicher werden. Mädchen ziehen damit beispielsweise vermehrt in Erwägung, ihren Dienst im Militär zu leisten und Jungen beginnen tendenziell häufiger mit einer Ausbildung zum Erzieher (Vervecken et al., 2013). Die Ministerin für Chancengleichheit erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Kinder sich frei entfalten und ihre Berufswahl nach ihren Begabungen und Interessen und nicht nach gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbildern ausrichten sollten. Angesichts der Tatsache, dass in den meisten Sprachen das grammatikalische Geschlecht verwendet wird und die sprachlichen Mittel zur Verfügung stehen, um explizit beide Geschlechter von Berufstätigen zu benennen, könnte eine Sprachreform in den jeweiligen Ländern dazu beitragen, den Fachkräftemangel in traditionell männlichen Berufen langfristig zu verringern, indem kleinen Kindern die Überzeugung vermittelt wird, dass jeder Mensch unabhängig von seinem Geschlecht jeden Beruf ausüben kann (Ministère de l'Éducation nationale, de l'Enfance et de la Jeunesse, 2021). Laut dem Bildungsminister besteht der Hauptauftrag des Bildungssystems darin, jedem jungen Menschen, unabhängig von seinem sprachlichen oder kulturellen Umfeld oder seinem Sexus, die bestmöglichen Erfolgschancen zu bieten. Für Taina Bofferding soll der Leitfaden dabei helfen, sexistischen Verhaltensweisen vorzubeugen, Diskriminierungen zu vermeiden und Geschlechterstereotype zu erkennen. Dabei gilt es für sie insbesondere, ein Bewusstsein für die Bilder zu entwickeln, die in den Medien und vor allem in sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok vermittelt werden und die die (Selbst-)Wahrnehmung von Männern und Frauen und jene von ihrer Rolle in der Gesellschaft nachhaltig beeinflussen. Diese Darstellungen zu verstehen und analysieren zu können, ist ein Schlüsselelement, um eine echte Gleichstellung der Geschlechter im Alltag zu ermöglichen. Damit Männer und Frauen in der Gesellschaft gleichgestellt sein können, ist es zunächst notwendig, zu erkennen, dass Ungleichheiten existieren und dass es im Interesse von allen ist, diese zu beseitigen. Um die Reflexion und den Diskurs in der Gesellschaft im Interesse der Gleichstellung aller Geschlechter anzuregen, hat das Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern in den vergangenen Jahren Materialien wie den "MEGAKatalog" mit seinem Angebot an interaktiven Workshops, "Pixi-Bücher", die Broschüre "We are equal", Online-Videos zum Thema, sowie die Website "rockmega.lu" entwickelt. Claude Meisch verweist in der betreffenden Pressekonferenz jedoch darauf, dass dieser sprachliche Wandel, bedingt durch die Mehrsprachigkeit im Land, Zeit in Anspruch nehmen werde (Ministère de l'Éducation nationale, de l'Enfance et de la Jeunesse, 2021). Das CET, das CID Fraen an Gender und das CNFL haben dieses Jahr (2022) zudem die Broschüre „S'exprimer sans discriminer, Guide pratique pour un language inclusif“ (Commission consultative des Droits de l'Homme du Grand-Duché de Luxembourg, 2022) veröffentlicht. Diese ist als Leitfaden zu verstehen, der Menschen, die sich inklusiv äußern möchten, Unterstützung bietet und ihnen Wege und Lösungen aufzeigen soll. Aktuell ist eine Arbeitsgruppe damit befasst, einen entsprechenden Leitfaden für das Deutsche zu entwickeln. Für das Luxemburgische gilt, dass derzeit (noch) keine offiziellen Richtlinien für eine geschlechtsspezifische oder geschlechtersensible Sprache existieren.
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Sprachliche Grundlagen
3.1.1 Definition von Geschlecht
Der Begriff ,Geschlecht' hat vier unterschiedliche Bedeutungen. Zunächst wird auf der sprachlichen Ebene zwischen dem grammatikalischen und dem semantischen Geschlecht differenziert. Des Weiteren gibt es das biologische Geschlecht, auch ,Sexus' genannt, sowie das soziale Geschlecht, das auch als ,Gender' bezeichnet wird. Im Folgenden sollen die einzelnen Aspekte näher beleuchtet werden: Beim grammatikalischen Geschlecht (1) wird zwischen dem Maskulinum (dem Mann), dem Femininum (der Frau) und dem Neutrum (dem Kind) unterschieden. Im hier gewählten Beispiel stimmen das grammatikalische und das biologische Geschlecht überein, was jedoch nicht immer der Fall sein muss. Zahlreiche Substantive, die in der Grammatik ein Geschlecht besitzen, haben in Wirklichkeit keines. Beispielsweise heißt es ,die Brücke', obwohl Verbindungswege weder weiblich noch männlich sein können. Das semantische Geschlecht (2) nimmt auf Personenbezeichnungen Bezug, die inhaltlich auf ein Geschlecht verweisen. So enthält das Substantiv ,Schwester' das Merkmal ,weiblich', das Substantiv ,Bruder' hingegen das Merkmal ,männlich'. Das biologische Geschlecht (3) steht von Geburt an fest im Personalausweis, gilt für Menschen und Tiere und wird für Personenbezeichnungen vorwiegend auch in der Grammatik verwendet (beispielsweise: der Fremde oder die Fremde). Oft stimmt das biologische Geschlecht mit dem sozialen überein. Es kommt jedoch auch vor, dass sich ein Mensch nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde, oder dass sich die Person gar keinem Geschlecht oder aber beiden zugehörig fühlt. Das soziale Geschlecht (4) ist eng mit gesellschaftlichen Rollen und sozialen Eigenschaften verbunden; so wird Frauen unter anderem nachgesagt, sie seien kommunikativ, während Männer als eher wortkarg gelten. Überdies existieren verschiedene Stereotype über Frauen und Männer. Verbreitet ist beispielsweise die Ansicht, Frauen hätten Freude daran, Kleidung einzukaufen, während von Männern behauptet wird, dass sie ihre Zeit lieber im Baumarkt verbrächten (Diewald & Steinhauer, 2019). Von wissenschaftlichem Interesse ist, ob die Verwendung von generisch maskulinen Personenbezeichnungen im Vergleich zu inklusiver Sprache zu einer geringeren mentalen Darstellung von Frauen führt. In Bezug auf die Sprachwissenschaft stellt sich die Frage, ob Genus und Sexus unabhängig voneinander betrachtet werden können oder ob das grammatische Geschlecht Assoziationen zum biologischen Geschlecht hervorruft (Stahlberg & Sczesny, 2001).
3.1.2 Einordnung in den Zusammenhang der feministischen Diskussion
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich im Kontext feministischer Gesellschaftsströmungen eine öffentliche Diskussion um geschlechtergerechte Sprache entwickelt, bei der es grundlegend um die Chancengleichheit von Männern und Frauen geht. Die feministische Sprachforschung setzt sich zum Ziel, auf die Entstehung und die Aufrechterhaltung von Geschlechterungleichheiten durch Sprachgebrauch aufmerksam zu machen und sich dagegen einzusetzen. Feministische Sprachkritik hat also das Bestreben, durch das Erneuern sprachlicher Normen und Gebrauchsgewohnheiten einen emanzipatorischen Wandel zu bewirken und geht von der Annahme aus, dass Veränderungen in der Sprache einen Wandel im Denken bewirken können. Es besteht also eine Wechselwirkung zwischen Sprache und Wirklichkeit: Letztere wird durch Sprache beeinflusst, doch gilt dies auch umgekehrt. Dennoch wird auch in der feministischen Linguistik nicht immer richtig erkannt, dass im binären System nicht alle Geschlechter erfasst werden. Auf diese Weise profitieren Menschen, die nicht Teil des binären Systems sind, nur wenig von der sprachlichen Sichtbarmachung der Frauen. Diese Personen werden somit auch in greifbarer Zukunft sprachlich nicht sichtbarer werden (Litosseliti, 2006).
3.1.3 Definition geschlechtergerechter Sprache
In der feministischen Linguistik wird eine geschlechter- bzw. genderneutrale, gendergerechte und gendersensible Sprache gefordert. Nicht immer lassen sich die Begriffe klar voneinander unterscheiden. Beispielsweise werden Gender und Geschlecht (fälschlicherweise) regelmäßig synonym verwendet. Bei der geschlechtergerechten Sprache wird jedoch von einer binären Geschlechterordnung ausgegangen, während die ,gendergerechte Sprache' über diese binäre Geschlechterordnung hinausgeht. Dennoch lassen sich in der Wissenschaft unterschiedliche Definitionen für geschlechtergerechte Sprache finden. Nicht immer wird (noch) eine binäre Geschlechterordnung als Ausgangspunkt angenommen, es gibt bereits Ansätze, die darüber hinaus gehen. In der vorliegenden Arbeit wird geschlechtergerechte Sprache definiert als „Sprachform, bei welcher alle Geschlechter gleichgestellt sind“. Unter Gendern wird somit die Anwendung geschlechtergerechter Sprache verstanden (Diewald & Steinhauer, 2019, S. 13). Geschlechtergerechte Sprache stellt eine Form des Respekts dar, die jeden Menschen wertschätzt, unabhängig von seinem Geschlecht. Ergänzend fungiert sie als Instrument, um strukturelle Probleme zu kommunizieren (Krome, 2020, S. 31). Damit wird dem Menschen eine gewisse Verantwortung zugewiesen, die von manchen Mitmenschen ggf. als herausfordernd empfunden wird. Das ist möglicherweise dadurch zu begründen, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung noch keine einheitlichen Regeln veröffentlicht hat und es somit keine legale Basis gibt, um bspw. das Binnen-I zu verwenden. Diewald und Steinhauer (2019) empfehlen deshalb, zu „versuchen, situationsangemessen und sachangemessen, d. h. inhaltlich korrekt, verständlich und ansprechend den Grundsatz der geschlechtergerechten Sprache im eigenen Sprechen und Schreiben umzusetzen“ (S. 9). Um eine sprachliche Gleichberechtigung aller Geschlechter zu erreichen, wird also eine kreative Umsetzung der Sprache angestrebt. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich geschlechtergerecht auszudrücken. Allerdings haben sich nicht alle Optionen im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt, was sich damit erklären lässt, dass manche einen tiefen Eingriff in das Sprachsystem erfordern. Bei der Umsetzung der geschlechtergerechten Sprache ist also Kreativität erforderlich, wobei zugleich die Anerkennung durch eine Mehrheit der Gesellschaft unerlässlich ist, um entsprechende Formen im Sprachgebrauch zu etablieren (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.1.4 Problematische Umsetzung der geschlechtergerechten Sprache im Alltag
Selten hat eine gesellschaftliche und politische Diskussion so emotionale Reaktionen hervorgerufen wie die Kontroverse um geschlechtergerechte Sprache. Zumindest in einem Punkt scheint in den demokratisch lebenden Gesellschaften jedoch Einigkeit zu bestehen: Männer und Frauen sollten gleichgestellt sein. Die Diskussion betrifft also vielmehr die konkrete Umsetzung dieser (sprachlichen) Gleichstellung als die Frage, ob alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten. In den vergangenen Jahren wurden in der deutschen Sprache zahlreiche, zum Teil konkurrierende Hilfsmittel etabliert: der Gender-Unterstrich, der Gender-Stern, der Gender-Doppelpunkt und die Doppelnennung - um nur einige Beispiele aufzuführen. Die Vielzahl der Möglichkeiten mag für manche Menschen abschreckend wirken, auch weil die Resultate in sprachlicher Hinsicht manchmal als stilistisch ungünstig gelten. Diese Ansicht vertritt auch der Rat für deutsche Rechtschreibung, der bisher keine Empfehlung für die Umsetzung einer geschlechtergerechten Sprache aussprechen will. Josef Lange, der Vorsitzende des Rates, sagte dem Deutschlandfunk, dass dies eine Aufgabe sei, die von der Gesellschaft übernommen werden müsse und nicht allein durch eine Reform der Rechtschreibung gelöst werden könne (UEPO, 2021). Zumindest in Bezug auf die Schriftsprache wird es also möglicherweise noch einige Zeit dauern, bis sich das Gendern tatsächlich im Alltag der Menschen etabliert hat (Poulakos, 2022).
3.2 Möglichkeiten zur nominalen Personenreferenz im Deutschen
Personenbezeichnungen spielen eine wichtige Rolle bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache. Obwohl es laut dem Rat für deutsche Rechtschreibung keine eindeutige Tendenz gibt, welche Methode am besten geeignet ist, um geschlechtergerechte Sprache zu formulieren, hat dieser Kriterien zusammengestellt, an denen die Eignung geschlechtergerechter Sprache gemessen werden kann. Diese Kriterien beinhalten Verständlichkeit, Lesbarkeit, Vorlesbarkeit, grammatische Korrektheit, Eindeutigkeit und Rechtssicherheit (Gfds, 2020).
Im Folgenden werden bestimmte Wortformen sowie Wortgruppen zur Bezeichnung von Personen genannt und auf ihr Potenzial für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch hin überprüft.
3.2.1 Generisches Maskulinum
Das generische Maskulinum ist seit den 1970er-Jahren ein Streitgegenstand in der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache. Es kommt dann zum Einsatz, wenn (1) auf Menschen mit unbekanntem Geschlecht referiert wird, (2) das Geschlecht als irrelevant angesehen wird oder (3) eine allgemeine Aussage gemacht wird (Braun et al., 1998, S. 265). In solchen Fällen wird das Maskulinum geschlechtsabstrahierend und generalisierend benutzt. Soll beispielsweise auf eine Gruppe von Schülern, bestehend aus Jungen und Mädchen, referiert werden, kann die maskuline Pluralform ,die Schüler' verwendet werden. In dem Satz ,In der Schule sollten Schüler, die immer zu spät zum Unterricht erscheinen, bestraft werden', handelt es sich demnach um eine generische Referenz, mit der nicht nur männliche Schüler angesprochen werden. Vielmehr hat ,die Schüler' hier zwei Bedeutungen: Entweder es sind ausschließlich männliche Personen gemeint (geschlechtsspezifisch) oder alle Geschlechter sind eingeschlossen (geschlechtsindifferent). Bei allgemeingültigen Aussagen wie auch bei Bezugnahme auf ,gemischte Gruppen', also solchen, die Personen unterschiedlichen Geschlechts umfassen, stellt sich die Frage, welche sprachliche Form gewählt werden sollte. In den meisten Fällen kommt dann das grammatikalische Geschlecht Maskulinum zum Einsatz. Somit wird die Bezeichnung für männliche Personen als die Hauptform und als korrekter sprachlicher Ausdruck auch für gemischte Gruppen verstanden, was bedeutet, dass weibliche Personen lediglich ,mitgemeint' sind. Dies hat Folgen, die inzwischen als diskriminierend und benachteiligend gegenüber Frauen erkannt worden sind. Die Konsequenz ist hier zum einen, dass die maskuline Form bei geschlechtsdifferenzierenden Personenbezeichnungen nicht als geschlechtsneutrale Form fungiert, und zum anderen, dass der Begriff „generisches Maskulinum“ formal unzutreffend sowie irreführend ist, da daraus nicht eindeutig hervorgeht, wer gemeint ist. Diese Mehrdeutigkeit und die damit verbundene offenkundige Benachteiligung von Frauen ließen sich als Gründe dafür anführen, das generische Maskulinum für ungeeignet zu halten und es nicht mehr zu verwenden (Diewald & Steinhauer, 2019). Hierzu ein Beispiel: Ein Vater und sein Sohn sind mit dem Auto unterwegs. Sie haben einen folgenschweren Unfall, bei dem der Vater auf der Stelle verstirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem es einen Chefchirurgen gibt, der ein bekannter Spezialist für Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist bereit, als der Chefarzt kommt, blass wird und sagt: "Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“ (Goethe Institut, 2017). Ein solches Beispiel lebt durch den überraschenden Widerspruch zwischen der zunächst vermuteten generischen Bedeutung und der späteren Erkenntnis aus dem sprachlichen Kontext, dass die maskuline Form geschlechtsspezifisch verwendet wird. In den 1970er Jahren wurde im englischsprachigen Raum die Interpretation des generischen Maskulinums untersucht. Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden Texte im generischen Maskulinum vorgelegt und sie sollten die beschriebenen Personen benennen, Bilder von ihnen zeichnen oder beantworten, ob sich der Text auf eine Frau beziehen könnte. Kontrollgruppen erhielten Texte, in denen statt des generischen "he" beispielsweise "he" or "she" oder "they" verwendet wurde. Die Ergebnisse waren eindeutig: Im Englischen löste das generische Maskulinum überwiegend die Assoziation "männlich" aus. Die anderen Schreibweisen waren zwar nicht immer völlig geschlechtsneutral, ließen aber eher die Assoziation zu, dass eine Frau damit bezeichnet sein könnte (Stahlberg & Sczesny, 2001).
3.2.2 Generisches Femininum
Das Konzept des generischen Femininums wurde von der feministischen Linguistin Luise F. Pusch eingeführt. Es entspricht dem weiblichen Äquivalent zum generischen Maskulinum (Pusch, 1984). Das generische Femininum bezeichnet weibliche Personen und gemischtgeschlechtliche Personengruppen im verallgemeinernden Sinne. Ein bekannter Werbeslogan würde dann beispielsweise nicht mehr ,Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker' heißen, sondern ,Fragen Sie Ihre Ärztin oder Apothekerin'. So wie das generische Maskulinum gemäß der üblichen Argumentation auch die weiblichen Ärzte und Apotheker ansprechen soll, verwenden Personen, die das generische Femininum befürworten, dieses Argument in umgekehrter Weise. Laut der Forschung von Pusch (1990) handelt es sich beim generischen Femininum „in erster Linie um eine politische Antwort auf ein politisches Problem“ (S. 93). Mithilfe des generischen Femininums soll die Aufmerksamkeit der Menschen auf die androzentristische Ausrichtung der deutschen Sprache gelenkt werden, nach der das männliche Geschlecht systematisch als Mittelpunkt, Norm und Maßstab betrachtet wird (Diewald & Steinhauer, 2019). Die Verwendung des generischen Femininums empfiehlt sich daher insbesondere in Kontexten, „in denen eine implizite männliche Norm besteht, die nun sprachlich irritiert werden soll“ (AG Feministisch Sprachhandeln 2014/2015, S. 26). In anderen Worten besteht der Zweck des generischen Femininums darin, zu provozieren und die Debatte, um geschlechtergerechte Sprache zu befeuern (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.3 Doppelnennung
Die offenkundige und höflichste Variante der sprachlichen Gleichstellung ist die Doppelnennung mittels femininer und maskuliner Formen, durch die explizit die männlichen und weiblichen Menschen angesprochen werden (Diewald & Steinhauer, 2019). Studien von Braun et al. (1998) deuten darauf hin, dass die Beidnennung zu einer stärkeren mentalen Einbeziehung von Frauen führt. Klein (2004) stellt außerdem fest, dass eine ausführliche Beidnennung dazu beitragen kann, die Vernachlässigung des Frauenanteils in Personengruppen abzuschwächen. Das lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: „Die Studentinnen und Studenten sind gebeten, während der Vorlesungen Notizen zu nehmen“. In der Regel wird die männliche Form zuerst genannt, wobei es ebenso möglich ist, mit der femininen Form zu beginnen. Die Doppelnennung bietet sich besonders in Situationen an, in denen es zwar um Männer und Frauen geht, Letztere aber seltener vorzufinden sind und daher gezielt angesprochen werden sollen. Bei Ausschreibungen für Berufe, die nach wie vor meistens männlich besetzt sind, erscheint es ebenfalls sinnvoll, die Doppelnennung zu verwenden. Dieses Prinzip gilt auch umgekehrt, zum Beispiel für den Beruf des Erziehers. Die Doppelnennung hat jedoch zwei Nachteile: Erstens wird hierfür mehr Platz benötigt, was etwa bei einer Begrenzung der Wortanzahl in bestimmten Textformaten, wie in Zeitungsartikeln, ein Problem darstellen kann. Zweitens kann die Doppelnennung in gesprochener Sprache auf Dauer hinderlich wirken, weil in kurzen Intervallen immer wieder beide Formen statt einer erwähnt werden (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.4 Unterstrich
Eine weitere Möglichkeit für eine geschlechtergerechte Ausdrucksweise ist der Unterstrich, der im folgenden Beispiel verwendet wird: ,Die Schüler_innen haben zum Mittagessen Spaghetti gegessen'. Hierbei wird der Unterstrich zwischen den zwei geschlechtsspezifischen Wortendungen
positioniert. Dabei ist es nicht möglich, mit dem Unterstrich zu gendern, wenn die männliche und die weibliche Form eines Wortes nicht den gleichen Wortstamm haben, wie es beispielsweise bei ,Koch' und ,Köchin' der Fall ist. Im amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung ist der Unterstrich innerhalb der Wortform hierfür daher nicht vorgesehen (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.5 Klammerschreibweise
Die Klammerschreibweise ist eine verkürzte Variante der Doppelnennung. Ein Beispiel für Erstere wäre: ,Die Schüler(innen) haben heute Nachmittag den Bus nach Hause verpasst, weil sie zu lange zum Einräumen gebraucht haben.' Diese Schreibform bezieht die weibliche Form mit ein, ohne dass beide Geschlechter einzeln aufgeführt werden müssen. Die Einklammerung der femininen Endung wird jedoch von der feministischen Sprachcommunity häufig abgelehnt - mit dem Argument, dass die Klammerschreibweise den Eindruck erweckt, die feminine Form sei zweitrangig und weniger zentral, weil der eingeklammerte Bestandteil weggelassen werden könne, womit nur die maskuline Form übrigbliebe. Dies wiederum verletzt, so diese Position, den Anspruch der sprachlichen Gleichbehandlung, der dem geschlechtergerechten Formulieren zugrunde liegt (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.6 Binnen-I
Das große ,I' im Wortinneren wird auch als ,Binnen-I' oder ,Binnenmajuskel' bezeichnet. Ein Beispielsatz könnte lauten: ,Die Schülerinnen waren wegen des morgigen Ausfluges aufgeregt und konnten sich im Unterricht nicht konzentrieren.' Das Binnen-I hat den Vorteil, dass auf den ersten Blick deutlich wird, dass sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind, und es trotzdem persönlicher wirkt als etwa neutrale Ausdrücke wie ,Schülerschaft' (Diewald & Steinhauer, 2019). Der Nachteil des Binnen-Is besteht darin, dass das Verwenden der Singularform zu Pronominal- und Artikelsplitting sowie zu sprachlich komplizierten Sätzen führt. Zur Veranschaulichung 26
kann folgendes Beispiel dienen: „Der/die fleißige SchülerIn, der/die den Unterricht besucht, sollte seine/ihre Hausaufgaben machen.“ (Lutjeharms, 2004) Ferner sind in den offiziellen Rechtschreibregeln auch keine Binnengroßbuchstaben vorgesehen. Bezüglich des Binnen-Is wird zudem kritisiert, dass es nicht ausgesprochen werden kann. Dieses Problem kann umgegangen werden, indem beim Sprechen die Doppelform, die gemeint ist, aufgelöst wird; im vorliegenden Beispiel in ,Schülerinnen und Schüler'. Das entspricht dem Umgang mit Abkürzungen, die beim Sprechen ebenfalls vollständig genannt werden: So wird bei ,Hbf.' zum Beispiel nicht nur die Buchstabenfolge vorgelesen, sondern das Wort ,Hauptbahnhof' gesprochen. Die Schreibform mit dem Binnen-I kann also als eine Art Sparschreibung für die ausführliche Variante der Doppelnennung betrachtet werden (Diewald & Steinhauer, 2019). Hornscheidt (2012) schlägt als eine weitere Option zur Aussprache des Binnen-I einen Glottisschlag vor dem Binnen-I vor. Das Binnen-I war einer der ersten weiter verbreiteten und öffentlich wahrgenommenen Versuche in den 1980er-Jahren, Sprache genderinklusiv zu gestalten (Diewald & Steinhauer, 2019). Es gibt Untersuchungen von Stahlberg und Sczesny (2001), die darauf hindeuten, dass die Verwendung des Binnen-I zu einer mentalen Darstellung führen kann, die von Frauen dominiert wird. Dies bedeutet, dass eine ausgewogene Abbildung der Geschlechter durch das Binnen-I möglicherweise nicht erreicht wird. Aus heutiger Perspektive ist das Binnen-I als nicht mehr zeitgemäß zu betrachten, denn es repräsentiert lediglich zwei Gender. Alle anderen Personen, also auch Menschen mit dem Geschlechtseintrag ,divers' und solche ohne Gendereintrag, werden damit ausgeschlossen (Hornscheidt & Sammla, 2021). Dieses Problem besteht jedoch auch bei der Doppelnennung, die insbesondere bei den Lehrpersonen aus meinem Umkreis beliebt ist. Pusch (2016) empfiehlt daher, das Binnen-I durch ein Ausrufezeichen zu ersetzen, um alle Geschlechter einzubeziehen. Dieser Ansatz wurde bisher jedoch nicht von der Allgemeinheit aufgegriffen (Kotthoff & Nübling 2018).
3.2.7 Genderstern
Beim Genderstern wird ein Stern, auch Asterisk genannt, anstelle des großen ,I' vor die feminine Endung gesetzt. Ein Beispielsatz könnte lauten: ,Die Schüler*innen zogen ihre Pantoffeln an, bevor sie das Klassenzimmer betraten.' Um das Gendersternchen auszusprechen, wird eine kurze Sprechpause gemacht, die auch als ,Glottisschlag' bezeichnet wird. In den letzten Jahren, seit die Medien zunehmend von Transgender- und Intersexualitätsdiskussionen geprägt sind, findet der Asterisk vermehrt Verwendung - und zwar nicht mehr nur wie ursprünglich im akademischen Umfeld. Mit dem Sternchen soll die Aufmerksamkeit auf den Umstand gelenkt werden, dass es mehr Kategorien als nur die traditionellen von ,männlich' und ,weiblich' gibt. Wie aber bereits beim Unterstrich oder bei der Klammerschreibweise steht diese Lösung nicht im Einklang mit der amtlichen Orthografie (Diewald & Steinhauer, 2019). Die UnterstützerInnen des Gendersternchens vertreten die Ansicht, dass viele Menschen in ihrem täglichen Sprachgebrauch bereits den Glottisschlag nutzen, es aber möglicherweise nicht bewusst wahrnehmen. Die BefürworterInnen weisen auch darauf hin, dass es beim Lesen von geschlechtergerechten Texten keine Schwierigkeiten gibt. Eine Studie, in der verschiedene Gruppen Beipackzettel von Medikamenten in generischem Maskulinum, geschlechtergerechter Sprache und neutraler Sprache gelesen haben, hat ergeben, dass den Teilnehmerinnen kein Unterschied aufgefallen ist. Aus diesem Ergebnis folgern die Befürworterinnen, dass es sich nur um eine Gewöhnungssache handelt, geschlechtergerecht zu sprechen (Stahlberg & Sczesny, 2001). Die Verfechter*innen der geschlechtergerechten Sprache argumentieren zudem, dass sich die deutsche Sprache im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder verändert hat. Sie sehen das Gendersternchen als Teil dieses Veränderungsprozesses (Vervecken & Hannover, 2015).
3.2.8 Verwendung genderneutraler Begriffe
Im Alltag erweist es sich häufig am unkompliziertesten, genderneutrale Begriffe oder synonyme Ausdrücke zu wählen, wie im folgenden Beispiel: ,Die Schülerschaft hat sich heute im Amphitheater versammelt, um dem Direktor bei seiner Rede zum Jahresbeginn zuzuhören.' Mittlerweile haben sich verschiedene Ersatzformen etabliert, durch die sich Doppelnennungen und unästhetische Klammerschreibweisen umgehen lassen. Zudem wird diese Schreibweise den unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten gerecht, indem die Festlegung auf nur zwei Geschlechter vermieden wird. Umformulierungen sind meist das geeignetste Mittel, um einen Text geschlechtergerecht zu gestalten, sie erfordern jedoch auch die größte Kreativität. Die Verwendung genderneutraler Begriffe gilt der Definition nach als geschlechtergerecht. Kritiker dieser Schreibweise argumentieren, dass die Genderneutralisierung dem Anspruch der Geschlechterrepräsentation nicht gerecht wird. Diewald und Steinhauer (2017) finden es beispielsweise notwendig, dass Frauen explizit genannt werden, damit diese in der mentalen Repräsentation der Menschen ihren Platz bestätigen.
Im folgenden Abschnitt werden einige Beispiele für Ersatzformen und Umformulierungen erläutert.
3.2.9 Substantivierte Adjektive und Partizipien
Sofern mehrere Personen, sowohl Männer als auch Frauen, angesprochen werden sollen, bietet es sich an, substantivierte Adjektive oder Partizipien zu verwenden, wie im folgenden Beispiel: „Die Lernenden haben heute im Bewegungsunterricht einen neuen Tanz kennengelernt.“ „Bei Personenbezeichnungen im Plural, die substantivierte Adjektive oder Partizipien sind, fällt die Unterscheidung eines Genus weg: Diese Wortarten bezeichnen das Genus nur mit Artikelwörtern, die im Plural für alle Genera gleich sind. Damit ist im Plural das grammatikalische Genus automatisch neutralisiert und die Personenbezeichnungen sind damit genderneutral.“
(Diewald & Steinhauer, 2019, S. 54) Bei substantivierten Partizipien oder Adjektiven wird im Singular das Genus lediglich durch den Artikel erkennbar: der oder die Kranke. Im Plural gibt es hingegen keinen Unterschied: die Kranken (Gfds, 2020).
3.2.10 Sachbezeichnungen
Eine weitere Möglichkeit, Ersatzformen zu finden, ist die Verwendung einer Sachbezeichnung, wie im folgenden Beispiel: ,Die Schülerschaft hat? im Unterricht nicht zugehört'. Diese können z.B. auf -ung, -kraft, -schaft usw. enden (Gfds, 2020). Sachbezeichnungen erscheinen somit geeignet, um geschlechterspezifische Ausdrücke zu vermeiden. Sie bergen jedoch das Risiko, dass Textpassagen unpersönlich wirken, da der Aspekt des Handelns in den Hintergrund tritt (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.11 Geschlechtsneutrale Ausdrücke
Es gibt bestimmte Personenbezeichnungen, die generisch sind und somit für beide Geschlechter verwendet werden können, ohne dass eine weibliche Endung notwendig ist (Gfds, 2020). Geschlechtsindifferente Substantive eignen sich ebenfalls als Ersatzform für geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen. Ein Beispielsatz hierfür wäre: „Die Menschen gehen von Montag bis Freitag in die Schule.“ Unter diese Kategorie fallen auch sämtliche Bezeichnungen, bei denen das natürliche Geschlecht nicht gezwungenermaßen dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) entspricht. Vielmehr werden automatisch beide Geschlechter bezeichnet und es sind keine Ableitungen möglich. Diese Kategorie von Ausdrücken meint stets Männer wie Frauen, wobei sie in der Einzahl wie in der Mehrzahl verwendet, werden können (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.12 Kurzwörter
Eine andere Möglichkeit besteht in der Bildung von Kurzwörtern. Diese haben den Vorteil, dass sie sowohl für maskuline als auch für feminine Langformen gelten. Zudem lassen sich auf diese Weise Sparschreibungen 30 oder Doppelformen vermeiden. Es könnte etwa heißen: „Die SuS warteten darauf, dass es endlich klingelt, um in die Pause zu gehen.“ Kurzwörter sind eine geeignete Alternative, um geschlechtsspezifische Ausdrücke zu vermeiden, wobei sie nicht in jeder Textsorte kommunikativ angemessen erscheinen. Oft sind Kurzformen eher umgangssprachlich geprägt und werden daher nur in bestimmten Kontexten verwendet (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.13 Direkte Rede
Eine weitere Möglichkeit der Umformulierung besteht darin, Personen im Text direkt ansprechen, um die Notwendigkeit einer Gendermarkierung zu vermeiden. Ein Beispielsatz könnte wie folgt lauten: ,Ihr sollt mich nicht unterbrechen, wenn ich mit euch rede!' Dies ist in formalen Situationen eine praktikable Lösung, wenn es unbedeutend ist, ob eine Frau oder ein Mann angesprochen wird (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.14 Mithilfe eines Adjektivs umformulieren
Aus Substantiven lassen sich gewöhnlich Adjektive ableiten. So auch bei vielen Personenbezeichnungen, die dadurch ihrer
Geschlechtskennzeichnung beraubt werden (Gfds, 2020). Besonders dann, wenn die maskulinen Formen in der Funktion eines Attributs auftauchen (Rat des Lehrers), ist das Ersetzen durch ein Adjektivattribut oft nicht problematisch. Beispielsweise kann dann von einem ,schulischen Rat' gesprochen werden. Zudem kann auch ein Partizip in der adjektivischen Funktion eines Attributs verwendet werden (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.15 Mit dem Passiv oder mit ,wir‘ umschreiben
Durch die Verwendung von Passivkonstruktionen kann man Personen in einem Text vermeiden. Allerdings kann es in manchen Fällen, um Missverständnisse zu vermeiden, notwendig sein, die handelnde Person zu benennen (Gfds, 2020). In manchen Kontexten bietet es sich an, das Passiv und unpersönliche Konstruktionen oder aber die allumfassende Wir-Form 31
zu nutzen. Allerdings muss deutlich werden, an welche Person sich die Aussage richtet, weil das Subjekt stets wechselt. Anstelle des Satzes ,Die Schüler müssen Folgendes tun' könnte die Formulierung ,Es muss Folgendes beachtet werden' gewählt werden (Diewald & Steinhauer, 2019).
3.2.16 Relativsätzen bilden
Eine andere Lösung liegt in der Bildung von Relativsätzen. Diese erfordern zwar mehr Wörter, können aber auflockernd wirken und bieten sich als stilistische Abwechslung an. Anstelle der Formulierung ,alle Schüler' könnte auf ,alle, die teilnahmen' zurückgegriffen werden (Diewald & Steinhauer, 2019). Eine weitere Möglichkeit, um geschlechtergerecht zu formulieren, ist der Einsatz von Relativsätzen mit dem geschlechtsneutralen Pronomen "wer" (abhängig von der Textsorte), da es sich dabei um ein Pronomen handelt, das kein bestimmtes Geschlecht impliziert (Gfds, 2020).
3.2.17 Zwischenfazit
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass es im Deutschen zahlreiche Möglichkeiten gibt, um auf Personen zu referieren. Die Personenbezeichnungen entwickeln sich in ihrer Deutung sowie in ihrer Verwendung stets weiter. In der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache scheint aktuell jedoch noch kein gesellschaftlicher Konsens erreicht. So gibt es starke Befürworter*innen sowie zahlreiche Kritiker*innen, die eine derartige Sprachentwicklung skeptisch beurteilen oder sogar unmissverständlich ablehnen. Dabei ist es belegte psycholinguistische Realität, dass das generische Maskulinum bei den meisten Menschen überwiegend das Attribut männlich hervorruft (Dittmann, 2002, S. 64). Dennoch „liegt auch heute noch das Gewicht gerade beim Sprechen auf dem generischen Maskulinum“ (Moghaddam, 2010, S. 293). In der Regel werden die Konsequenzen von den Benutzer*innen dieser Form nicht bemerkt oder als unbedeutend abgetan. Jede Form der Personenbezeichnung hat ihre Vorteile und Nachteile. Es ist zum jetzigen Stand also nicht möglich, eine spezifische geschlechtergerechte Personenreferenz hervorzuheben oder zu empfehlen. Für Menschen, die die offiziellen Rechtschreib- und Orthografieregeln respektieren müssen, ist die ausführliche Doppelnennung oder die Nutzung der neutralen Begriffe jedoch empfehlenswert. Allen weiteren Personen steht die kreative Verwendung aller Varianten frei. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, um geschlechtergerechte Sprache umzusetzen, sind mittlerweile überall im Alltag vorzufinden. Sogar etliche Lehranstalten und öffentliche Einrichtungen haben eigene Grundsätze für geschlechtergerechte Sprache formuliert. Des Weiteren wird verstärkt auch in den Digital- wie in den Printmedien auf geschlechtergerechte Sprache zurückgegriffen. Das lässt sich als Beleg dafür verstehen, dass das Thema „inzwischen fest in vielen Lebensbereichen verankert ist“ (Baumann & Meinunger, 2017, S. 20). Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Einführung einer geschlechtergerechten Sprache im Deutschunterricht an den luxemburgischen Grundschulen eine Notwendigkeit.
3.3 Geschlechtergerechte Sprache im Deutschunterricht
3.3.1 Relevanz geschlechtergerechter Sprache im Unterricht
Da Formen von geschlechtergerechter Sprache zunehmend häufig in der Lebenswelt der Schüler*innen vorkommen, müssen sie auch im Unterricht behandelt werden - insbesondere, weil das generische Maskulinum als überholt betrachtet werden kann. Die Aufgabe, Sprache zu reflektieren, gehört zu den Bildungsstandards und wird im luxemburgischen Lehrplan in allen Altersstufen aufgegriffen (Ministère de l'Éducation nationale, de l'Enfance et de la Jeunesse, 2011).
Es lässt sich also ohne Weiteres in den Lehrplan integrieren, wenn diese Fragen im Unterricht behandelt werden. Eine Lehrkraft kann das Thema der geschlechtergerechten Sprache auf vielfältige Art und Weise im Unterricht aufgreifen, unabhängig von der eigenen Bewertung. Im Deutsch- oder auch im Geschichtsunterricht und in den sozialwissenschaftlichen Fächern können gemeinsam mit den Kindern verschiedene Fragen zu diesem Thema behandelt werden. Beispiele hierfür wären: „Warum hat die deutsche Sprache lange Zeit fast nur männliche Berufsbezeichnungen gekannt?“ „Warum war das so?“ „Weshalb haben sich im Verlauf der Zeit noch andere Formen entwickelt?“ „Was ist meine Meinung dazu?“ „Was bedeutet es, wenn von ,Bauarbeiter*innen' - mit einer Pause gesprochen - oder nur von ,Bauarbeitern' oder ,Bauarbeiterinnen' - ohne Pause - die Rede ist?" Es erscheint notwendig, dass sich alle für die Schulbildung in Verantwortung stehenden Entscheidungsträger darauf einigen, sämtliche Formen von Diskriminierung im Sprachgebrauch zu vermeiden und im gleichen Zug zu überlegen, wie alle Geschlechter sprachlich sichtbar gemacht werden können. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, die*den Einzelne*n entscheiden zu lassen, welche Personenbezeichnung sie oder er fürs Gendern wählen möchte. Als zukünftige Lehrperson ist mir bewusst, dass die Unterrichtszeit begrenzt ist. Es ist also wesentlich, vorher abzuwägen, welche Themen in welcher Tiefe behandelt werden sollen. In meinem Unterricht würde ich wahrscheinlich auf die Doppelnennung oder genderneutrale Begriffe zurückgreifen. Die Doppelnennung hat den Vorteil, dass sie explizit auf beide Geschlechter referiert und die Texte nur unbedeutend länger werden. Zudem können dadurch die Regeln der deutschen Rechtschreibung respektiert werden. Insbesondere für Kinder, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, ist die Doppelnennung empfehlenswert, weil ein ähnliches Wort wiederholt werden muss. Ich bin mir aber der Tatsache bewusst, dass die Doppelnennung, im Gegensatz zum Genderstern, nicht auch jene Menschen miteinschließt, die sich beispielsweise weder als Frau noch als Mann empfinden. In der aktuellen Zeit unterliegt die Sprache jedoch einem starken Wandel, bei dem innerhalb der Sprachgemeinschaft unterschiedliche Formen der gendergerechten Sprache ausprobiert werden. Schlussendlich wird sich im Alltag entscheiden, welche Form sich durchsetzt.
Im schriftlichen wie auch im mündlichen Sprachgebrauch sind es vorwiegend die jüngeren Menschen, die auf das Gendern Wert legen. Allerdings besteht bei Schreibweisen mit Genderstern oder anderen geschlechtergerechten Ausdrucksformen die Gefahr, dass sie in Klausuren als Fehler gelten, da nach der aktuellen Rechtschreibordnung bisher keine Schreibweisen mit dem Genderstern vorgesehen sind (Jahn, 2022). Dennoch zeigt sich der Deutsche Rechtschreibrat überzeugt, dass allen Personen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll, wobei beispielsweise geschlechtsneutrale Schreibweisen wie ,Lehrkräfte' oder ,Studierende' vorgeschlagen werden.
Die deutsche Sprache bietet also zahlreiche Möglichkeiten, sich geschlechtergerecht auszudrücken, jedoch gibt es keine Norm. Laut Duden gelten im amtlichen Regelwerk aktuell folgende geschlechtergerechte Personenbezeichnungen als zulässig: die Doppelnennung maskuliner und femininer Formen sowie die schriftliche Kurzform der Doppelnennung mit Schrägstrich und Ergänzungsstrich oder mit Klammern. Folgende Schreibweisen sind aber derzeit noch nicht vom amtlichen Regelwerk abgedeckt: der Genderstern (Asterisk), das Binnen-I (wortinterne Großschreibung), das Gender-Gap (Unterstrich oder Doppelpunkt) sowie der Schrägstrich ohne Ergänzungsstrich („Duden | Geschlechtergerechter Sprachgebrauch“, o. D.).
3.3.2 Aktueller Forschungsstand
An dieser Stelle ist auf die Studie von Sylvie Kerger und Laurence Brasseur aus dem Jahr 2021 zu verweisen, die sich mit der Geschlechterdarstellung in den luxemburgischen Grundschulbüchern auseinandersetzt. Diese Arbeiten zeigen, dass die Bücher einen verzerrten Eindruck von Männern und Frauen vermitteln. So wurde festgestellt, dass in den Texten und Illustrationen der Unterrichtsmaterialien stets männliche Figuren dominieren, was bedeutet, dass in den Schulbüchern die Geschlechtervielfalt nicht adäquat widergespiegelt wird. Hierbei muss
jedoch angemerkt werden, dass im Vergleich zu früheren Lehrwerken ein Fortschritt festgestellt werden konnte, nicht nur was die Sprache angeht, sondern auch in Bezug auf die Häufigkeit der Darstellung von weiblichen oder männlichen Personen. Wenig bis keine Forschung gibt es bisher zum Einbezug geschlechtergerechter Sprache im Deutschunterricht. Erste Untersuchungen lieferten Peuschel und Schmidt (2021), die zukünftige Lehrer*innen nach ihrer Meinung zu geschlechtergerechter Sprache befragt haben sowie danach, ob sie die jeweiligen Personenbezeichnungen im Kontext ihrer Studien und in den Praktika verwenden. Dabei wurde herausgefunden, dass die Lernenden den einzelnen Formen geschlechtergerechter Personenbezeichnungen weitgehend kritisch oder bestenfalls uninteressiert gegenüberstehen. Im Kontext der psychologischen Wissenschaft wurde zudem aufgezeigt, dass die mentale Repräsentation von Menschen durch das Verwenden maskuliner Formen beeinflusst wird. Zuhörer*innen und Leser*innen assoziieren diese Formulierungen in der Regel mit dem männlichen Geschlecht (Stahlberg et al., 2007). Daraus ergibt sich ein Ungleichgewicht mit weitreichenden Folgen hinsichtlich der mentalen Repräsentation von Männern und Frauen. In einem Experiment wurden die Teilnehmer*innen gefragt, welche Menschen sie für geeignet hielten, um ein politisches Amt zu tragen. Im Ergebnis konnte nachgewiesen werden, dass häufiger männliche Politiker genannt wurden, wenn die Frage im generischen Maskulinum formuliert wird (,Präsident‘) als in der Doppelnennung (,Präsident/Präsidentin‘) (Stahlberg & Sczesny, 2001). In einem anderen Experiment wurden männlich dominierte Berufe durch die maskuline Form bezeichnet (z. B. ,Astronaut') anstatt durch Doppelnennung (z. B. ,Astronaut und Astronautin'). Daraus folgte, dass sich die Mädchen allgemein als weniger erfolgreich einschätzten. Generell wurde festgestellt, dass die Kinder die meist männlich besetzten Berufe für leichter erlernbar und weniger schwierig in der Ausübung hielten, wenn die Berufe geschlechtergerecht formuliert waren. Dieses Verhalten lässt sich unter Umständen dadurch erklären, dass die Kleinkinder bereits in der Vorschule lernen, Aufgaben, den Männer typischerweise nachgehen, als schwieriger einzuschätzen. Nach wie vor entscheiden sich an vielen Orten der Welt Jungen nachweislich häufiger für Berufe aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Diese vorwiegend männlich besetzten Berufe gelten als essenziell für die Gesellschaft und in der Ausübung als komplex. Dementsprechend fehlt es vielen Mädchen an Selbstvertrauen, um diese Berufe zu erlernen. Die Forscher Vervecken und Hannover (2013) haben durch ihre Studie gezeigt, dass die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache das Selbstvertrauen von Kindern stärkt, um in traditionellen Männerberufen erfolgreich zu sein. Lehrkräfte und Ausbildende können dazu beitragen, mehr junge Menschen für eine Karriere in diesen Berufen zu motivieren, indem sie konsequent geschlechtergerechte Sprachformen anwenden.
Schlussfolgernd werden also die Vorstellungen der Schüler und Schülerinnen über Berufe und ihren möglichen späteren Berufserfolg sowie ihr Selbstbild, aber auch das Bild, das sie sich von anderen machen, durch die Sprache beeinflusst.
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass Kinder in ihren ersten Lebensjahren Geschlechterrollen kaum wahrnehmen. Das geschieht erst später im Kindergarten und noch stärker in der Grundschule (Kubandt, 2017).
In einer Studie wurde erforscht, ob die Wahrnehmung der Geschlechterzusammensetzung von Gruppen davon abhängt, ob diese im generischen Maskulinum oder in einer geschlechtergerechten Schreibweise bezeichnet werden. Sowohl männliche als auch weibliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer lasen einen Zeitungsartikel über einen wissenschaftlichen Kongress. Die männlichen Teilnehmer wurden durch die Sprachversion nicht beeinflusst, wenn es darum ging, den Anteil der weiblichen Kongressteilnehmer einzuschätzen. Die weiblichen Teilnehmerinnen nannten jedoch einen signifikant höheren Anteil von weiblichen Kongressteilnehmerinnen, wenn die Beidnennung oder eine neutrale Formulierung anstelle des generischen Maskulinums verwendet wurde (Stahlberg & Sczesny, 2001).
Ähnlich wie im Englischen kann die Verwendung des generischen Maskulinums im Deutschen dazu führen, dass Frauen nicht ausreichend gedanklich berücksichtigt oder repräsentiert werden. Trotz der oben genannten Forschungsergebnisse bleibt die geschlechtergerechte Sprache ein umstrittenes Thema, wie das folgende Beispiel verdeutlicht.
An einer Schule in Dresden im Bundesland Sachsen wurde 2021 das Lehren der geschlechtergerechten Sprache in Form von Sonderzeichen wie Doppelpunkt oder Asterisk durch das Kultusministerium verboten. Die Verantwortlichen im Ministerium begründeten diesen Schritt mit der Tatsache, dass Sonderzeichen im Inneren des Wortes nicht dem aktuellen amtlichen Regelwerk entsprechen würden. Das Regelwerk gilt als Grundlage der deutschen Orthografie und wird ständig vom Rat für deutsche Rechtschreibung angepasst. Dieser ist dafür zuständig, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung aufrechtzuerhalten und das zugrunde liegende/als Referenz dienende Wörterbuch zu vervollständigen. Andere geschlechtergerechte Schreibweisen wie die Paarform oder geschlechtsneutrale Formulierungen sind wiederum laut Kultusministerium zulässig. Gendergerechte Sprache ist in Deutschland präsenter als zum Beispiel in Luxemburg, insbesondere in den Medien. Die öffentlichen Sender (z. B. das ZDF) gendern zum Teil durchgängig in ihren ausgestrahlten Sendungen. Zudem haben manche öffentliche Institutionen bereits zahlreiche Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache veröffentlicht. Vor allem junge Menschen haben das Gendern in ihre Sprache integriert. Da das Thema jedoch kontrovers diskutiert wird, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, wie der beschriebene Vorfall in Sachsen zeigt.
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- Quote paper
- Anonymous,, 2023, Geschlechtergerechte Sprache. Anwendung im Zyklus 4 an luxemburgischen Grundschulen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1369531
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