Die internationale Forschung zu Pflegekindern, die in der unmittelbaren Vergangenheit an Fahrt aufgenommen hat, ist vielfältig und gewährt unter anderem vertiefte Einblicke in Forschungsbereiche, die die Entwicklung von Pflegekindern in ihren Pflegefamilien, Interventionsmöglichkeiten bei Verhaltens- und Bindungsstörungen der Pflegekinder, Wirkungen von Umgangskontakten, prognostische Entscheidungskriterien für die Rückführung und die Auswahl und Vorbereitung von Pflegeeltern in den Blick nehmen. Empirische Untersuchungen, die das Familienleben in den Pflegefamilien beleuchten und dabei die leiblichen Kinder der Pflegeeltern mit ihren Erfahrungen zu Wort kommen lassen, sind bisher zurückhaltend veröffentlicht worden. Die Ergebnisse geben jedoch Hinweise darauf, dass leibliche Kinder einen wichtigen Beitrag zum Gelingen von Familienpflege leisten und Abbrüchen von Pflegeverhältnissen präventiv entgegenwirken. Bisher wurde dem Einfluss der Familienpflege auf geschwisterliche Beziehungen der leiblichen Kinder in der Literatur wenig Beachtung geschenkt. Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind fünf Pflegefamilien, aus denen neun junge erwachsene, leibliche Kinder, darunter vier Geschwisterpaare in einer Retroperspektive über ihr Zusammenleben mit ihren Pflegegeschwistern berichten. Als Untersuchungsmethode wird ein empirischer Forschungsansatz vorgestellt, der den Zugang zu subjektiven Sichtweisen als Forschungsperspektive gewährt und sich an der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) orientiert. Aus den qualitativen Daten der Interviews wird rekonstruiert, wie die leiblichen Kinder ihr Aufwachsen in der Pflegefamilie erlebten, wie sie mit belastenden Situationen individuell und als biologische Geschwister umgingen und welche Unterstützung sie dabei erfuhren. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass leibliche Kinder trotz schwieriger und traumatischer Ereignisse mit den Pflegekindern als junge Erwachsene eine positive Einstellung zur Familienpflege entwickeln. Dabei wurde im Rahmen der Interviewauswertung festgestellt, dass sie im Zusammenleben mit den Pflegegeschwistern vor allem eine Chance für ihre persönliche Entwicklung sehen. Ein wesentliches Ergebnis war, dass schwierige Phasen in den Familien individuell erlebt und bewältigt werden [...].
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
ABSTRAKT
I. EINLEITUNG
1. Übersehene Akteure der Pflegefamilie
2. Ziele der Arbeit und inhaltliche Gliederung
THEORETISCHER TEIL
II. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
1. Die Familie - Pluralisierte Familien- und Lebensformen heute
2. Hilfen zur Erziehung: Die Familienpflege
3. Die Pflegekinderhilfe
4. Die Pflegefamilie
5. Das Pflegekind
6. Die Herkunftsfamilie
III. STAND DER FORSCHUNG
1. Pflegefamilien in Daten und Zahlen
2. Studien zu leiblichen Kindern in Pflegefamilien
IV. THEORETISCHE GRUNDLAGEN
1. (Pflege-) Familien als soziale Systeme mit Besonderheiten
1.1 Die Familiensystemtheorie
1.2 Die Bindungstheorie
1.3 Pflegefamilien und ihre Besonderheiten
2. Leibliche Kinder in intrafamilialen Spannungsfeldern
2.1 Spannungsfeld: Leibliches Kind - Pflegeeltern
2.2 Spannungsfeld: Leibliches Kind- Pflegekind
3. Zusammenfassung
EMPIRISCHER TEIL
V. QUALITATIVES UNTERSUCHUNGSDESIGN
1. Methodisches Vorgehen zur Datenerhebung
2. Auswahl der Stichprobe
3. Durchführung
4. Auswertung der Daten
VI. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE
VII. DISKUSSION
1. Inhaltliche Diskussion
2. Methodische Diskussion
VIII. IMPLIKATIONEN
1. Empfehlungen für die Praxis der Pflegekinderhilfe
2. Anregungen für die weitere Forschung
IX. FAZIT
Literaturverzeichnis
In dieser Arbeit werden aus Gründen der Gleichberechtigung von Geschlechteridentitäten vorzugsweise geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet. Für Textstellen, wo neutrale Bezeichnungen in der deutschen Sprache fehlen, wird die maskuline Form verwendet, wobei alle anderen Geschlechteridentitäten dabei ausdrücklich mitgemeint werden.
Es wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die in dieser Arbeit verwendeten bildhaften Darstellungen von „Familie“ nur exemplarisch eine mögliche Form von Familie darstellen und moderne vielfältige Lebensgemeinschaften mit diversen Geschlechteridentitäten mit einschließen.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Thomas Plassmann (2020), Titel: Familienmodellhumor
Abb. 2: Junge Menschen in den Hilfen zur Erziehung (2010-2016), Quelle:, Statistisches Bundesamt, verschiedene Jahrgänge (vgl. Fendrich et al. 2018, S. 11)
Abb. 3: Übersicht familien-, gruppen- und einzelfallorientierte Hilfe nach SGB VIII
Abb. 4: Institutionelle Zuständigkeiten für Pflegekinder/Pflegefamilien und Herkunftsfamilien, Strukturerhebung des DJI (DJI/DIJuF 2006), Stichtag 01.01.2006, eigene Darstellung
Abb. 5: Kinder und Jugendliche < 18 Jahre in stationären Hilfen in Deutschland (2008-2017). Quelle: Statistisches Bundesamt - Arbeitsstelle der Kinder- und Jugendhilfe (AKJ Stat)
Abb. 6: Auswirkungen der Familienpflege auf leibliche Kinder (Elternsicht), Poland & Groze (1993, S. 158)
Abb. 7: Kommentare der Kinder (Poland & Groze 1993, S 160-161)
Abb. 8: Hierarchische Ebenen in der Familie (eigene Abb. n. Cierpka, 2008, S. 156)
Abb. 9: Interaktionen in Familiensystemen, n. Reich et al 2002, S. 101, in Anlehnung an Joraschky & Retzlaff 2008, S 344 (eigene Darstellung 2021)
Abb. 10: Grenzen in der Familie, nach Joraschky & Retzlaff 2008, S. 344), (eigene Darstellung 2021)
Abb. 11: Explorationsverhalten ist aktiviert
Abb. 12: Bindungsverhaltenssystem ist aktiviert
Abb. 13: Einflussfaktoren auf das intuitive Elternverhalten, eigene Darstellung n Petermann et al., 2004, S. 333
Abb. 14: Pflegefamilie & Öffentlichkeit, eigene Darstellung (2021)
Abb. 15: Entwicklungsprozesse zu Beginn der Familienpflege, eigene Darstellung n. Ziebertz & Krüger 2008 und Joraschky & Retzlaff 2008
Abb. 16: Entwicklungsprozesse in der Familienpflege, eigene Darstellung (2021), n. Ziebertz & Krüger 2008 und Joraschky & Retzlaff 2008
Abb. 17: Zyklisches Entstehungsmodell einer sicheren Basis in Familien, eigene Darstellung (2021), nach Schofield & Beek (2005) 38 Abb. 18: Leibliche Kinder in intrafamilialen Spannungsfeldern, eigene Darstellung (2021)
Abb. 19: Kategorienschema zur Datenauswertung nach Mayring 2015
Abb. 20: Oberkategorie: Familienentwicklung
Abb. 21: Was macht Eure Familie stark?
Abb. 22: Oberkategorie: Veränderungen in der Familie
Abb. 23: Oberkategorie: Ausübung sozialer Rollen
Abb. 24: Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen
[Anm. d. Redaktion: Die Abbildung 1 ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten.]
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Kriterien der Stichprobenwahl
Tabelle 2: Merkmale der Familien: Institutionelle Anbindung und Pflegeerfahrung
Tabelle 3: Demografische Daten der leiblichen Kinder der Familien FA1-FA5
Tabelle 4: Aneignung sozialer und methodische Kompetenzen
Tabelle 5: Implikation I für die Praxis Sozialer Arbeit
Tabelle 6: Implikation II für die Praxis Sozialer Arbeit
Tabelle 7: Implikation III für die Praxis Sozialer Arbeit
ABSTRAKT
Die internationale Forschung zu Pflegekindern, die in der unmittelbaren Vergangenheit an Fahrt aufgenommen hat, ist vielfältig und gewährt unter anderem vertiefte Einblicke in Forschungsbereiche, die die Entwicklung von Pflegekindern in ihren Pflegefamilien, Interventionsmöglichkeiten bei Verhaltens- und Bindungsstörungen der Pflegekinder, Wirkungen von Umgangskontakten, prognostische Entscheidungskriterien für die Rückführung und die Auswahl und Vorbereitung von Pflegeeltern in den Blick nehmen (vgl. Helming et al. 2010, S. 18). Empirische Untersuchungen, die das Familienleben in den Pflegefamilien beleuchten und dabei die leiblichen Kinder der Pflegeeltern mit ihren Erfahrungen zu Wort kommen lassen, sind bisher zurückhaltend veröffentlicht worden (vgl. Sutton & Stack 2013). Die Ergebnisse geben jedoch Hinweise darauf, dass leibliche Kinder einen wichtigen Beitrag zum Gelingen von Familienpflege leisten und Abbrüchen von Pflegeverhältnissen präventiv entgegenwirken (vgl. Kall- and & Sinkkonen 2001, Rock et al. 2008a, S. 122). Bisher wurde dem Einfluss der Familienpflege auf geschwisterliche Beziehungen der leiblichen Kinder in der Literatur wenig Beachtung geschenkt (vgl. Höjer et al. 2013, S. 17). Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind fünf Pflegefamilien, aus denen neun junge erwachsene, leibliche Kinder, darunter vier Geschwisterpaare in einer Retroperspektive über ihr Zusammenleben mit ihren Pflegegeschwistern berichten. Als Untersuchungsmethode wird ein empirischer Forschungsansatz vorgestellt, der den Zugang zu subjektiven Sichtweisen als Forschungsperspektive gewährt und sich an der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) orientiert. Aus den qualitativen Daten der Interviews wird rekonstruiert, wie die leiblichen Kinder ihr Aufwachsen in der Pflegefamilie erlebten, wie sie mit belastenden Situationen individuell und als biologische Geschwister umgingen und welche Unterstützung sie dabei erfuhren.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass leibliche Kinder trotz schwieriger und traumatischer Ereignisse mit den Pflegekindern als junge Erwachsene eine positive Einstellung zur Familienpflege entwickeln.
Dabei wurde im Rahmen der Interviewauswertung festgestellt, dass sie im Zusammenleben mit den Pflegegeschwistern vor allem eine Chance für ihre persönliche Entwicklung sehen.
Ein wesentliches Ergebnis war, dass schwierige Phasen in den Familien individuell erlebt und bewältigt werden. Vor dem Hintergrund, dass sich für die leiblichen Kinder Familienpflege als ein permanenter Lernprozess darstellt, gelingt dieser einfacher, wenn sie in einer sicheren Eltern-Kind Beziehung auf starke und belastbare Eltern zurückgreifen können und ihre Beziehung zu ihren leiblichen Geschwistern als eine stabile Ressource erleben.
I. EINLEITUNG
1. Übersehene Akteure der Pflegefamilie
Die Jugendämter in Deutschland führten im Jahr 2019 laut dem Statistischen Bundesamt rund 40.900 vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, sogenannte Inobhutnahmen nach §42 SGB VIII durch. Ausgehend von 31.500 Fällen im Jahr 2009 setzen diese Daten mit einer Steigerung von nahezu 30% den bisherigen Aufwärtstrend langfristig gesehen fort (Statistisches Bundesamt 2020a). Die Überforderung eines oder beider Elternteile, Vernachlässigung, Beziehungsprobleme und Anzeichen von körperlichen Misshandlungen sind Hauptgründe, die Interventionen in Familien notwendig werden lassen und nicht alle Jungen und Mädchen können mit familienunterstützenden Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe an den bisherigen Lebensmittelpunkt zurückkehren (Statistisches Bundesamt 2020b). Für 15.362 Kinder und Jugendliche1 wurde daher im Jahr 2019 eine Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach §33 SGB VIII erstmalig gewährt und eine passende Pflegefamilie gesucht, in der sie zeitlich befristet oder auch auf Dauer ein fürsorgliches und entwicklungsförderndes Zuhause finden (Statistisches Bundesamt 2020c).
Bei der Unterbringung eines Kindes in einer fremden Familie spielen viele Aspekte eine bedeutende Rolle: Die zu erfüllenden Aufgaben der Pflegeltern, ebenso die herausfordernde Betreuung von traumatisierten Kindern, wie auch Bindungsschwierigkeiten der Kinder und die Kontaktgestaltung zu der Herkunftsfamilie und vieles mehr.
Wer oder was beeinflusst aber das Leben in der Pflegefamilie, die Entwicklung des Pflegekindes und die Stabilität der Familie?
Aus dem Beziehungsdreieck von Pflegeeltern, Pflegekind und Herkunftseltern ergibt sich so eine Vielschichtigkeit von Pflegeverhältnissen und eine Komplexität von Beziehungen der beteiligten Akteure in ihrer Mehreckskonstellation, die treffend als ein seit Zeitengedenken unbeherrschbares „neuralgisches Problem“ bezeichnet wird (Blandow 1996, S. 56).
Betrachtet man die Haushaltsstrukturen von Pflegefamilien genauer, so stellt man fest, dass ca. 50% der Pflegekinder mit einem oder mehreren leiblichen Kindern der Pflegeeltern zusammen aufwachsen (vgl. Walter 2004, S. 34). Fokussiert man sich auf das oben genannte Beziehungsdreieck werden die in der Familie bereits lebenden Kinder als soziale Akteure ausgeschlossen, obwohl sie es sind, die die Entscheidung ihrer Eltern zur Aufnahme eines Pflegekindes mit allen Konsequenzen mittragen müssen. Sie werden nicht nur Zeuge von veränderten familialen Bedingungen, die die Beziehungsebenen wie auch die Erziehung gleichermaßen betreffen, sondern von ihnen werden aktive Anpassungsleistungen an neue Situationen, die bei schwierigen Pflegeverhältnissen möglicherweise als krisenhaft erlebt werden, gefordert. Sie bauen ge- schwisteranaloge Beziehungen zu den Pflegekindern auf und erleben Trennungserfahrungen, wenn ein Pflegeverhältnis zeitlich befristet z.B. mit einer Rückführung in die Herkunftsfamilie endet. Das innerfamiliale Zusammenleben von leiblichen Kindern mit Pflegekindern kann für sie, wie für alle Familienmitglieder gleichermaßen eine sehr bereichernde Lebenserfahrung sein, wenn die Verantwortung für den aktiven Gestaltungsprozess der Familie als Pflegefamilie mit einem gemeinsamen „Wir-Gefühl“ auf der Elternebene wahrgenommen wird und die Bedürfnisse der eigenen Kinder nicht aus dem Blick geraten.
Es sind vor allem die steuerungsverantwortlichen Stellen der Jugendämter, die sich Pflegefamilien wünschen, die über einen langen Zeitraum für die Rückkehr zur Herkunftsfamilie offene Planungsperspektiven mit intensiven Kontakten der Pflegekinder mit ihren Eltern mitbringen und dabei ein kostengünstiges omnipotentes professionelles Gesamtpaket offerieren (vgl. Sahnen 2013, S. 3). Der öffentliche Träger der Jugendhilfe bedient sich bei der Implementierung von Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege eines privaten Lebensraumes einer Familie und trägt für die Betreuung und Begleitung von Pflegeverhältnissen die besondere Verantwortung für Pflegefamilien, die im Spannungsfeld zwischen „Leistungserbringer“ und „Privatfamilie“ agieren (vgl. ebd., S.7). Die alltägliche Balance in der Pflegefamilie zwischen öffentlichen und privaten Leben gelingt, wenn ein leistungsfähiger Pflegekinderdienst gleichsam alle Akteure und deren Interaktionen im Hilfeprozess multiperspektivisch im Blick behält. In diesem Zusammenhang sind es vor allem die leiblichen Kinder, die in besonderer Weise Beachtung verdienen, da sie es sind, die dem Pflegekind eine funktionale soziale Infrastruktur innerhalb ihrer Familie als Sozialisationsfeld zur Verfügung stellen. Vielmehr sind sie es, die dem Pflegekind Kind-Eltern Beziehung vorleben, ihm Bruder oder Schwester sind, eine vorbildhafte Funktion haben, wie soziales Zusammenleben funktioniert, wie Konflikte in der Familie konstruktiv gelöst werden und sie teilhaben lassen an ihren Entwicklungsaufgaben, die mit eigenen Sinnkonstruktionen und Identifikationsprozessen verbunden sind. So ist es ein Trugschluss zu glauben, dass es ausschließlich auf die Qualität der Beziehung zwischen Pflegemutter und Pflegekind ankommt, die als Voraussetzung für das Entstehen von Bindung und als Garantie erachtet wird, dass die Entwicklung des Pflegekindes einen positiven Verlauf nimmt. Die Entwicklung einer sicheren Bindung ist vor allem für sehr junge Kinder günstig, aber sie entsteht nicht immer und schon gar nicht von alleine und so können weder alle anderen Akteure in der Lebenswelt des Pflegekindes noch die Bedeutung des sozialkognitiven Lernumfeldes außer Acht gelassen werden.
2. Ziele der Arbeit und inhaltliche Gliederung
Vorliegende Arbeit möchte für eine kindzentrierte Perspektive sensibilisieren, die das Erleben von Pflegefamilie aus der Sicht der leiblichen Kinder rekonstruiert und ihre Wahrnehmung von veränderten Beziehungen innerhalb der Familie in den Blick nimmt. Sie möchte im Rahmen der durchgeführten explorativen Untersuchung ihren Beitrag zur Entwicklung von Familie zur Pflegefamilie nachzeichnen, nicht nur ihre Bedeutung für das Pflegeverhältnis in den Blick nehmen, sondern auch beleuchten, ob die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes sie als Adressaten im Unterstützungsauftrag gegenüber der Pflegefamilie registrieren.
Neun junge Erwachsene, darunter vier Geschwisterpaare sind in ihren Familien mit Pflegekindern aufgewachsen. Sie kommen in leitfadengestützten Interviews zu Wort und berichten über ihre Erfahrungen in der Rolle des sozialen, wie des biologischen Geschwisterkindes, zeigen auf, wie sie ihre Eltern in sozialer Elternschaft erlebten, und geben Einblicke, wie sie sich in Bezug auf den wechselseitigen Einfluss, auf das Gelingen oder Misslingen des Pflegeverhältnisses und ihre eigene persönliche Entwicklung wahrgenommen haben.
Im theoretischen Teil dieser Arbeit werden in Kapitel II zunächst die allgemeinen Begriffsbestimmungen, die zum Verständnis der komplexen Lebensgestaltung von Pflegefamilien, die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege leisten, unabdingbar sind, erläutert. Es wird zunächst der Frage nachgegangen, was Familie unter der Berücksichtigung heutiger pluralisierter Familien- und Lebensformen zu verstehen und unter welchem Familienbegriff die Soziale Arbeit mit Pflegefamilien zu betrachten ist. Anschließend wird dem Begriff „Familie“, der Begriff der Pflegefamilie als familienersetzende Intervention gegenübergestellt und ihre spezifischen Merkmale als Hilfe zur Erziehung beleuchtet. Hier geht es um die Darstellung zentraler Akteure: Die Fachkräfte der Pflegekinderhilfe, die Pflegefamilie, das Pflegekind und die Herkunftsfamilie, die in dem jugendhilferechtlichen Dreieck in teilweise sehr angespannten Beziehungsverhältnissen miteinander verwoben sind. Kapitel III geht der Frage nach, ob die leiblichen Kinder in Pflegefamilien im nationalen und internationalen Kontext als eigenständige Forschungssubjekte wahrgenommen werden und gibt Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Im folgenden Kapitel IV werden die beiden Theorien, die Familiensystemtheorie und die Bindungstheorie, die im Rahmen des Pflegekinderwesens neben psychoanalytischen Zugängen hauptsächlich Beachtung finden, in ihren Grundannahmen vorgestellt. Eingebettet in diese metatheoretischen Rahmenbezüge werden die strukturellen Besonderheiten der Pflegefamilie im Allgemeinen und die Situation der leiblichen Kinder in intrafamiliären Spannungsfeldern im Besonderen analysiert, wo Herausforderungen und Belastungen in den Familienkonstellationen auf der Ebene der Eltern-Kind-Beziehung und der Kind-Pflegekind-Beziehung bedeutsam werden. Mit einer Zusammenfassung unter Hervorhebung der erkenntnisleitenden Fragestellungen für die anschließende qualitative Untersuchung wird der theoretische Teil abgerundet.
Das Forschungsdesign wird im empirischen Teil (Kap. V) näher ausgeführt. Nachdem in das methodische Vorgehen eingeführt die Wahl der Stichprobe beschrieben und die Aufbereitung der Daten und das Auswerteverfahren erläutert wurden, werden in Kapitel VI die Forschungsergebnisse ausführlich dargestellt. Die inhaltliche Diskussion und Interpretation der Ergebnisse der Befragungen erfolgt anschließend in Kapitel VII unter der Berücksichtigung der methodologischen Grenzen aus der heutigen Sicht qualitativer sozialwissenschaftlicher Forschungsvorhaben. Nach einem Ausblick in Kapitel VIII auf zukünftige Gestaltungsanforderungen von Pflegeverhältnissen als Handlungsorientierung für die Soziale Arbeit, wird die Arbeit mit einem zusammenfassenden Fazit in Kapitel IX abgerundet.
THEORETISCHER TEIL
II. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
1. Die Familie - Pluralisierte Familien- und Lebensformen heute
„Wir sollen für Geschichte ein Foto einer Antiquität mitbringen!“ erklärt der Sohn seiner Mutter in der Karikatur mit dem Titel „Familienmodellhumor“ (Plassmann[2] 2020) (Abb. 1) und die zum Schmunzeln anregende Antwort der Mutter gibt Anlass über den Begriff Familie im Kern nachzudenken. Das von Plassmann veranschaulichte Familienbild Plaumanns beschreibt eine selten gewordene, gefährdete Spezies familialer Lebensformen und lässt anklingen, dass sich Familie als tradierte Gewissheit, die sich in einem verheirateten Ehepaar mit gemeinsamen eigenen Kindern widerspiegelt sich in der heutigen Zeit verliert. Orientiert man sich an der amtlichen Statistik, so sind tatsächlich diese Schrumpfungsprozesse der gesellschaftlichen Institution „Familie“ nachzeichenbar: Über eine Zeitspanne von 15 Jahren von 1996 bis 2011 hat sich die Zahl der Haushalte, in denen Paare mit Kindern leben, um 3,8 Millionen verringert, während hingegen bei Haushalten mit Paaren ohne Kinder ein gegenteiliger Trend mit einer
Steigerung von 2,6 Millionen zu verzeichnen war. Ein noch deutlicher Zuwachs lässt sich für die Gruppe der Alleinlebenden angeben, die sich um 3,4 Millionen erhöht hat. Die Anzahl der Haushalte mit alleinerziehenden Elternteilen stieg im gesamten Zeitraum um rund 600.000 (vgl. Schneewind 2013, S. 6). Mit dieser quantitativen Verschiebung gelebter Familienstruktur geht einher, dass sich die Familie in qualitativer Hinsicht als ein privates Netzwerk besonderer Art zeigt, das in der späten Moderne vielerlei Entgrenzungen erfahren hat.
Diese Entgrenzungen zeigen sich in einer großen Vielfalt an Haushalts- und Familienformen, in neuen Generations- und Ge- schlechterverhältnissen sowie in veränderten kulturell-ethischen Kontexten (vgl. Jurczyk & Thiessen 2011, S. 333-335).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Thomas Plassmann (2020), Titel: Familienmodellhumor
Die Familie ist als Lebensform fest in unserem Alltag verwurzelt und bildet für viele Menschen eine der wichtigsten zwischenmenschlichen Gemeinschaften. Die Begriffsklärung, was Familie bedeutet, hat einen subjektiven Charakter und bleibt auch aus dem Grund häufig mehrdeutig und vielschichtig. So existieren im alltäglichen Sprachgebrauch sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was eine Familie bestimmt. Mit „Familie ist da, wo Kinder sind“, formulierte Richard von Weizäcker3 einen Satz mit dem die meisten Menschen übereinstimmen (vgl. Jungbauer 2014, S. 13). Bei der Definition des Begriffs Familie können rechtliche, biologische, funktionale und psychologische Sichtweisen unterschieden werden und je nachdem, welche Familiendefinition zugrunde gelegt wird, können bestimmte Beziehungskonstellationen als Familie aufgefasst werden. Das sozialpädagogische Arbeiten mit Familien bedarf einer familienpsychologischen Näherung an den Familienbegriff. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man bedenkt, dass für psychosoziale Arbeitsfelder die Familienpsychologie eine wichtige Grundlage für professionelles Handeln darstellt und Kenntnisse über psychologische Prozesse und Zusammenhänge in der Familie als Basis für die Planung und Umsetzung individuell angemessener Hilfemaßnahmen dienen (vgl. ebd., S. 19).
Die familienpsychologische Definition geht davon aus, dass in Anlehnung an soziologische Konzepte im Wesentlichen zwei Merkmale konstitutiv für Familien betrachtet werden, nämlich das subjektive Erleben von Nähe und Verbundenheit als erlebte Intimität, sowie das Vorhandensein von Eltern-Kind-Beziehungen (intergenerationelle Beziehungen). Nach dieser Familiendefinition kann das Spektrum möglicher Familienformen, wie folgt zusammengefasst werden: Es reicht von verheirateten oder unverheirateten Paaren mit Kindern über Ein-Eltern-Familien, Patchworkfamilien, Adoptivfamilien, Pflegefamilien, Wochenend-Familien bis hin zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit Kindern (Regenbogenfamilien) (vgl. ebd., S. 15). Kinder wachsen heute in einer ganzen Vielfalt von Familien- und Lebensformen auf. Parallel zu dieser Vielfalt und Diversität zeichnet sich eine zunehmende Ungleichheit familialer Lebenslagen ab und so kann zur aktuellen Situation von Familien festgestellt werden, dass einerseits Handlungsräume in ökonomischer Weise massiv beschränkt werden, während andererseits sich die Familien höheren Erwartungen und Anforderungen ausgeliefert sehen (vgl. Winkler 2008, S.161).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Junge Menschen in den Hilfen zur Erziehung (2010-2016), Quelle:, Statistisches Bundesamt, verschiedene Jahrgänge (vgl. Fendrich et al. 2018, S. 11).
Diese veränderten Rahmenbedingungen für das Aufwachsen in Familien spiegeln sich auch in einer zunehmenden Inanspruchnahme von div. Erziehungshilfen wider (Abb. 2). Die Familie wird als ein Bestandteil der sozialen Ordnung einer Gesellschaft begriffen und begleitet somit auch die Prozesse der Modernisierung.
Zunehmende Individualisierung, Pluralisierung und Enttraditionalisierung verursachen besondere Konflikte in Familiensystemen (vgl. Karsten & Otto 1996, S. 9). Vieles deutet darauf hin, dass das Familienleben in der Moderne als schwieriger und konfliktreicher erlebt wird.
Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie Familie den wachsenden Anforderungen an familiäre und gesellschaftliche Aufgabenerfüllungen begegnen und wie die Fähigkeit der einzelnen Familien ausgeprägt ist, mit den Problemen umzugehen. Während manche Familien mit ihren Belastungen und Konflikten besser umgehen als andere, gibt es auch Familien, die in unterschiedlicher Art und Weise „verletzlich“ sind (vgl. Herlth 1990, S. 312-326). Hier unterscheidetH.-J. Schulze (1996, S. 77-95) Familienprobleme, die als exogene Faktoren von außen auf die Familie wirken und sich z.B. in einer materiell finanziellen Unterversorgungslage und / oder Arbeitslosigkeit manifestieren. Endogene Faktoren berühren den Kern des Zusammenlebens an sich und bestimmen je nach Ausprägung, ob ein glücklicher Familienalltag gelingt oder ob das Familiensystem als ein geschützter Ort des kindlichen Aufwachsens zerbricht. Problematiken, die zu Interventionen in Familien führen, sind meist Erziehungs- und Versorgungsprobleme, Verhaltensauffälligkeiten der Kinder, Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Familienalltags, finanzielle Probleme, Überlastung und Suchtprobleme, die jeweils zu spezifischen und individuellen Ausgangskrisen innerhalb der Familie führen. Es können sich Probleme aus unterschiedlichen Lebensbereichen strukturell zu einem Multiproblemkontext verdichten, sich überlagern und verstärken, sodass der Glaube und die Zuversicht der Familie an die Veränderbarkeit ihrer Lebenssituation nachhaltig beeinträchtigt werden und in der akuten Gefährdung des Kindeswohls gipfeln können, die ein staatliches Eingreifen im Auftrag des Jugendamtes fordert.
2.Hilfen zur Erziehung: Die Familienpflege
Seit Inkrafttreten des SGB VIII4 haben die Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) zunehmend an Bedeutung gewonnen und stellen nach der Förderung von Kindern in Tagesbetreuung (§§ 22-26 SGB VIII) das zweitgrößte Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe dar. Die Gründe für die quantitative Zunahme und Ausdifferenzierung von Strukturen und Leistungen liegen sowohl in den verbesserten (auch rechtlichen) Rahmenbedingungen, als auch in den sich verschlechternden Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen (vgl. Pothmann 2006, S. 195-214). Familien, die in prekäre Lebenslagen geraten, in der die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§1 Abs. 1 SGB VIII) zurzeit nicht gewährleistet werden kann, die Erziehung sie überfordert und die Gestaltung eines normalen und konfliktfreien Alltags nicht mehr gelingt, erfüllen sie mit dem Vorliegen eines Erziehungsdefizites, im Sinne einer Erziehung, die nicht dem Wohle der Kinder entspricht, die Voraussetzungen von §27 Abs. 1 SGB VIII und haben einen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung. Eine mangelnde oder fehlende Erfüllung der kindlichen Grundbedürfnisse kann durch Mangel an Liebe, Zuwendung, Akzeptanz, Schutz und Fürsorge, Ernäh- rung, Kleidung, Wohnung, Körper- und Gesundheitspflege, Erziehung und Bildung angezeigt werden (vgl. Wabnitz 2019, S. 76).
Gemeinsam mit den Mitarbeitern des Jugendamtes wird im Prozess der Hilfeplanung (Hilfeplanverfahren gemäß §36 SGB VIII) erarbeitet und entschieden, welche Hilfeform (Auswahl der konkreten Hilfe nach §28ff. SGB VIII) bedarfsorientiert als angemessen erachtet wird.
Das Jugendamt gewährt nach Prüfung der Geeignetheit der Maßnahme, dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall und dem Alter des Hilfeempfängers entsprechend nach §27 Abs. 2 SGB VIII eine stationäre Hilfemaßnahme in Form der Unterbringung in einer Pflegefamilie nach §33 SGB VIII, wenn Kinder oder Jugendliche von ihren Eltern (zeitweilig) nicht ausreichend versorgt werden können, ihr Wohl und ihre Unversehrtheit zu Hause gefährdet ist und sich zudem auf Gründe zurückführen lassen, wie den Tod der Eltern, das Aussetzen von Kindern, die Notwendigkeit von Inhaftierungen, das Fehlen elterlicher Fürsorge vor allem bei kranken und behinderten Kindern, bei körperlichen und seelischen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch der Schutzbefohlenen (vgl. Freigang & Wolf 2001, S. 14f.).
In vielen Fällen haben die betroffenen Familien eine Jugendamtskarriere hinter sich und zuvor bewilligte Hilfemaßnahmen durch z.B. eine aufsuchende sozialpädagogische Familienhilfe sind gescheitert. Die Herausnahme des Kindes aus seiner vertrauten Umgebung wird meist als ein letztes Mittel der Wahl angesehen. Anders verhält sich dies bei einer akuten Kindeswohlgefährdung, wo das Kind nach §42 SGB VIII durch die Mitarbeiter in Obhut genommen werden kann. Dieses Verfahren, das verfassungsrechtlich durch Artikel 6, Abs. 2 GG auf dem auf das Jugendamt übertragene staatliche Wächteramt beruht, wird durch den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a SGB VIII ohne Hinzuziehen des Familiengerichtes nach § 1666 BGB legitimiert. Hilfen zur Erziehung bei Kinderschutzfällen können vom Jugendamt in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht ohne das direkte Einverständnis der Eltern zum Schutz des Kindes eingerichtet werden und sind meist mit Zwangskontexten verbunden, die von Eingriffen in das elterliche Sorgerecht durch das Familiengericht begleitet werden. Diese Kinder werden vorübergehend in sogenannten Bereitschaftspflegefamilien aufgenommen und sie stellen neben der Unterbringung in Heimen und Notaufnahmegruppen eine alternative Unterbringungsform für gefährdete Kinder und Jugendliche dar. Im Gegensatz zur klassischen Familienpflege, der Beheimatung von Kindern in Pflegefamilien, ist die familiäre Notunterbringung ein Angebot der Krisenintervention und dient vor allem dem Schutz und der Abklärung des Hilfebedarfs in drohenden und akuten Gefährdungssituationen und ist somit bis zur Entscheidung einer Reintegration in die Herkunftsfamilie oder bis zur Überleitung in eine geeignete Folgehilfe zeitlich begrenzt. (vgl. Lillig et al. 2002, S. 12)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Übersicht familien-, gruppen- und einzelfallorientierte Hilfe nach SGB VIII
Zur Abgrenzung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege §33 SGB VIII wird aus Abb. 3, deutlich, dass auch andere Hilfen in familienanalogen Settings erbracht werden (IJAB 2009). Die Familienpflege nimmt im Leistungskanon der stationären Hilfen zur Erziehung eine Sonderstellung ein, indem sich der öffentliche Träger der Jugendhilfe eines privaten Lebensraumes, der Familie, bedient und die Hilfen im Unterschied zur Heimerziehung und zur Tätigkeit der Erziehungsstellen dort nicht von sozialpädagogischen Fachkräften auf institutioneller Ebene mit Trägeranbindung, sondern auf privater Ebene von Laien erbracht werden (vgl. Schleiffer 2009, S. 33). Zudem sind Pflegefamilien von besonderen Formen der Familienpflege, wie von der Verwandtenpflege und von heilpädagogischen Pflegefamilien zu unterscheiden. Letztere sind darauf ausgerichtet Kinder und Jugendliche mit einem hohen Abbruchrisiko in „Normalpflegestellen“ intensiv pädagogisch zu betreuen. Vorliegende Arbeit bezieht sich auf die Soziale Arbeit mit Pflegefamilien im klassischen Sinne.
3. Die Pflegekinderhilfe
Durch den Ausbau der Jugendhilfe im Bereich familienorientierter ambulanter und teilstationärer Hilfen, durch Reformen, die die Heimerziehung betrafen und vor allem vor dem Hintergrund angespannter öffentlicher Haushalte in den 1990er Jahren, wurde der Pflegekinderhilfe wenig Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Blandow 2004, S. 65-68). Dies änderte sich erst als man erkannte, dass sich die Betreuung und der Schutz von Kindern und Jugendlichen in ihren Familien durch die örtlich vorhandenen ambulanten Hilfemaßnahmen als nicht ausreichend erwiesen und die Situationen einer nicht unumgänglichen Fremdunterbringung der Opfer von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch in dysfunktionalen Familiensystemen familiäre Betreuungsformen fordern, die als fachlich geeignet und als eine ökonomisch günstigere Alternative zur Heimerziehung betrachtet werden (vgl. Helming et al. 2010, S. 15). Die Pflegekinderhilfe gewinnt wieder mehr an Bedeutung und muss sich auf die veränderten und gestiegenen Anforderungen einstellen, die mit den komplexen Bedürfnissen der Pflegekinder, der intensiven Begleitung der Pflegefamilien und dem Kontakterhalt mit der Herkunftsfamilie in Verbindung stehen.
Die Jugendhilfe reagiert auf die fachliche Begleitung der Kinder, Jugendlichen, Eltern und Pflegeeltern, die in einem erweiterten Familiensystem interagieren, sehr unterschiedlich. Dies betrifft zum einen die Ausbildung von Fachdiensten, die für die Vermittlung von Pflegekindern bzw. Pflegefamilien in Deutschland zuständig sind und je nach den örtlichen Bestimmungen der Bundesländer dem Jugendamt der Städte bzw. Landkreise oder dem Landesjugendamt unterstehen. Nach den Befunden der Strukturerhebung des Deutschen Jugend Instituts (vgl. DJI/ DIJuF 2006, S. 15), die auch von anderen Wissenschaftlern (vgl. Rock et al. 2008a) weitgehend bestätigt wurden, haben die öffentlichen Institutionen mit 85% spezielle Pflegekinderdienste (s. Abb. 4) eingerichtet, die sich um den Bereich der Familienpflege kümmern, in der Hilfeplanung fallbezogen Entscheidungen treffen, für die fachliche Begleitung der Pflegeeltern, Erteilung von Pflegeerlaubnissen und die Ausbildung der Pflegeeltern verantwortlich sind.
In anderen Jugendämtern wird die Hilfeplanung in der Pflegekinderarbeit von den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) (16%) im Sinne einer Entspezialisierung wahrgenommen. Mehrfachnennungen zeigen deutlich, dass Zuständigkeiten geteilt werden und in diesem Fall kümmert sich neben dem fallverantwortlichen ASD, der Pflegekinderdienst ausschließlich um die fachliche Betreuung der Pflegefamilien, die Sicherstellung der Umgangskontakte mit der Herkunftsfamilie und die Rekrutierung und Ausbildung von Pflegepersonen. Eine weitere Möglichkeit bieten die Fachdienste für Pflegekinder bei freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe (9%) und Erziehungsberatungsstellen (8%), die in wenigen Kommunen in die Pflegekinderhilfe einbezogen werden. Bei Betrachtung der Zuständigkeiten für die Arbeit mit den Herkunftsseltern in Abb. 4 wird ein gegenteiliges Bild deutlich, wo der ASD zu 71%, der Pflegekinderdienst zu 49% und zu 12% freie Jugendhilfeträger (inklusive Erziehungsberatungsstellen) genannt werden.
Die Organisationsstrukturen der Pflegekinderhilfe in Deutschland sind somit in der örtlichen Ausgestaltung äußert heterogen und bergen qualitative Unterschiede in der Begleitung von Pflege- und Herkunftsfamilien sowie in den Handlungsorientierungen der Fachkräfte im Hinblick auf die Umgangskontakte und Rückführungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Institutionelle Zuständigkeiten für Pflegekinder/Pflegefamilien und Herkunftsfamilien, Strukturerhebung des DJI (DJI/DIJuF 2006), Stichtag 01.01.2006, eigene Darstellung.
Der Pflegekinderhilfe gemein sind dagegen die bundeseinheitlich rechtlichen Vorgaben aus dem BGB und dem SGB VIII, die das Verhältnis zwischen den beteiligten Akteuren auf gesetzlicher Ebene bestimmen. Zwischen den Familien in Notlagen, den Pflegefamilien, dem öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe, dem Jugendamt spannt sich ein Dreiecksverhältnis auf, das als „jugendhilferechtliches Dreieck“ bezeichnet wird (v. Boetticher & Münder 2019, S. 817). Es entstehen unterschiedliche, klar voneinander zu unterscheidende Rechtsbeziehungen (Abb. 1, S. 2 i.A.). Es ist möglich, dass Pflegeeltern mit ihrem Pflegekind nicht zurechtkommen, dass das Kind im Prozess seiner Identitätsfindung eine andere Form der Unterbringung wünscht, dass die leiblichen Eltern das Kind zu sich zurückholen wollen oder, dass das Jugendamt die Pflegefamilie nicht mehr für geeignet hält (vgl. Küfner & Schönecker 2010, S. 77). Da das freiwillig begründete Pflegeverhältnis jederzeit vonseiten der Pflegeeltern, wie auch von den leiblichen Eltern beendet werden kann, insofern sie die Personensorge innehaben, gilt vor allem im Sinne des Wohl des Kindes zu prüfen, ob eine Rückführung in die Herkunftsfamilie oder eine Anschlussunterbringung für die weitere Entwicklung des Kindes als zielführend erachtet wird. Für den Verbleib in der Pflegefamilie, wenn Pflegeeltern oder das Jugendamt eine Gefährdung in der Herausnahme erkennen, kann das Familiengericht durch eine Verbleibensanordnung oder teilweisen Sorgerechtsentzug entgegenwirken (vgl. ebd. 2010, S. 78).
Vor diesem Hintergrund zeichnen sich die Pflegefamilie, das Pflegekind und seine leiblichen Eltern in einer besonderen, teilweise in Zwangskontexten und mit unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen verbundenen Mehreckskonstellation zueinander ab. Insbesondere die Fachkräfte des Pflegekinderhilfe tragen die Verantwortung für eine gelingende kooperative Beziehung zwischen der Pflege- und der Herkunftsfamilie und unterstützt eine an den Interessen des Pflegekindes orientierte Zusammenarbeit zwischen den Parteien mit einem besonderen Maß an Sensibilität und Feingefühl. Für die Betreuung und Begleitung von Pflegeverhältnissen bedeutet dies für die Mitarbeiter des Jugendamtes eine Unterstützung des Pflegefamiliensystems mit einer besonders herausfordernden Beziehungsarbeit, die bereits bei der Rekrutierung neuer Pflegeeltern beginnt und sich während des gesamten Hilfeprozesses fortsetzt und gleichsam alle Akteure und deren Interaktionen im Hilfeprozess multiperspektivisch im Blick behält.
4. Die Pflegefamilie
Die Familienpflege richtet sich zunächst an das Pflegekind, das sich aufgrund krisenhafter Umstände in einer extremen, meist schwer traumatisierenden Lebenssituation befindet und zum Schutz seiner kindlichen Entwicklung „bei einer anderen als seiner leiblichen Familie, [seiner Herkunftsfamilie] aufwächst, ohne von ihr adoptiert worden zu sein“ (PFAD 2003, S. 197). Das Leben in einer Pflegefamilie ist neben der Unterbringung in einer Einrichtung der Heimerziehung eine traditionelle Form der Erziehung außerhalb des Elternhauses und ermöglicht den Kindern und Jugendlichen eine Unterbringung, Erziehung und Betreuung durch geeignete Pfle- gepersonen5 in einem familiären Lebenszusammenhang mit der Möglichkeit, eine verlässliche und stabile Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen. Diese soziale Elternschaft kann grundsätzlich von verheirateten und nicht verheirateten Paaren, gemischt- und gleichgeschlechtlich, aber auch von Einzelpersonen mit oder ohne eigene Kinder übernommen werden, deren Alter in einem natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis zueinanderstehen. Wichtig für die Aufnahme eines Pflegekindes sind neben stabilen innerfamiliären Beziehungen, unterstützende soziale Netzwerke, die Freude am Zusammenleben mit Kindern, die durch ihre Erlebnisse eine besondere Geduld und Belastbarkeit fordern, sowie gesicherte wirtschaftliche Verhältnisse (vgl. KVJS 2018, S. 12). Unter dem Begriff der Pflegefamilie ist das gesamte Pflegefamiliensystem zu fassen und schließt die Pflegeeltern gemeinsam oder einzeln als Pflegemutter oder Pflegevater ebenso mit ein wie das Pflegekind bzw. die Pflegekinder und deren sozialen Geschwister, die leiblichen Kinder der Pflegeeltern (vgl. FZPSA 2021a). Die klassische Definition von Geschwistern beruht auf der Zugehörigkeit zu denselben leiblichen Eltern und kann bei Betrachtung beobachtbarer Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen ihnen durch die Abstammung aus der gleichen Familie durch soziale Erwartungen, wie gegenseitige Unterstützung, Fürsorge und Hilfebereitschaft erweitert werden (vgl. Kasten 2020, S. 101f.). Da sich in unserer modernen Gesellschaft althergebrachte Familienkonstellationen durch eine hohe Zahl Trennungen und Scheidungen verändern, leben immer mehr nicht genetisch verwandte Kinder als soziale Geschwister in Patchwork- und Fortsetzungsfamilien6 zusammen, ein Begriff unter dem auch Pflegekinder in Pflegefamilien zu fassen sind. Für Kinder, die zuweilen sehr belastende Erfahrungen aus ihrem Elternhaus mitbringen, stellt der Übergang in ein neues Familiensystem für alle Beteiligten ein emotional herausforderndes Ereignis dar und verändert bereits vorhandene Familienkonstellationen (vgl. Walper et al. 2009, S. 51). Das erzieherische Wirken in einer Pflegefamilie kann ausgehend von mindestens einer über Tag und Nacht permanent und konstant anwesenden Betreuungsperson mit dem Ziel beschrieben werden, ein fremdes Kind in ein dauerhaftes soziales transgenerationales System zu integrieren, das eine feste Zugehörigkeit impliziert und durch Bindungsangebote neue tragfähigere Bindungs- und Beziehungserfahrungen möglich macht, die zum einen Stigmatisierung vermeiden und zum anderen dem Kind Normalität zurückgeben kann (vgl. Koschek 2002, S. 23f.). In diesem Zusammenhang dient der Begriff der Pflegefamilie „treffend der Kennzeichnung des Sozialisationsortes an dem das Pflegekind lebt“ (Blandow 1999, S. 757). Ergänzend zur familienpsychologischen und soziologisch-funktionalen Sicht auf den Begriff Pflegefamilie betonen folgende Aussagen sehr deutlich die systemische Komplexität des Zusammenlebens mit seinen Wechselwirkungen zwischen den Individuen und deuten auf gemeinsame Entwicklungsaufgaben sozialer Geschwister hin: „Die Aufnahme eines Pflegekindes [ ] hat somit natürlich Auswirkungen auf alle Mitglieder der Pflegefamilie. Dies im besonderen Maße auf die leiblichen Kinder der Pflegeeltern. Je jünger die Kinder bei der Aufnahme eines Pflegekindes sind, umso prägender und geschwisterlicher ist die Verbindung des leiblichen Kindes zum Pflegekind.“ (Hopp, 2010, S. 3).
5. Das Pflegekind
Pflegekinder sind Kinder und Jugendliche, die in eine Pflegefamilie fremdplaziert werden und ein Teil dieser neuen Familie werden, wenn die Betreuung, Erziehung oder Bildung des Kindes in seinem bisherigen Umfeld aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr ausreichend dem Kindeswohl entsprechend gewährleistet werden kann.
Das Herauslösen von Kindern aus ihrer Herkunftsfamilie stellt immer eine entscheidende, meist krisenhaft erlebte Erfahrung in ihrem Leben, wie auch im Umfeld dar. Sie haben Eltern oder Elternteile, die verständlicherweise meistens nicht daran denken, ihr Kind ganz weg- oder herzugeben. Das Durchschnittsalter der jungen Menschen bei Hilfebeginn beträgt 8,8 Jahre (Fend- rich et al. 2018, S. 74). In der Regel handelt es sich bei Pflegekindern um Kinder, die bereits in ihrer frühesten Kindheit Gewalt und Vernachlässigung in ihrem Elternhaus erfahren haben. Sie markieren unter den Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft eine besonders vulnerable Gruppe und haben oft behandlungswürdige soziale Störungen (vgl. DJI/DIJuF 2006, 5.36. In diesem Zusammenhang werden bei ihnen signifikant mehr psychiatrische Diagnosen attestiert, sowie sozio-emotionale Entwicklungsbeeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten festgestellt (vgl. Plant & Siegel 2008, S. 209).
6. Die Herkunftsfamilie
Von einem rechtlichen Standpunkt aus benennt der Begriff Herkunftsfamilie allein die Eltern eines Minderjährigen (vgl. Münder et al. 2006, S. 434), während aus gesellschaftlicher Perspektive der Begriff weitergefasst werden kann und die leiblichen Geschwister, die Großeltern und andere Verwandten des Pflegekindes mit einschließt (vgl. FZPSA 2021b). Die Herkunftseltern sind Eltern, deren Situation sich mannigfaltig darstellt und nicht einheitlich charakterisiert werden kann (vgl. Blandow 2010, S. 9). Neben den dysfunktionalen familiären Bedingungen, die die Entwicklung ihrer Kinder betreffen, ist ihnen gemein, dass Mütter und Väter ihre Kinder loslassen müssen, bevor diese erwachsen sind und eine Herausnahme des Kindes aus ihrer Familie einem gesellschaftlichen Abstieg bedeutet und mit Stigmatisierungen verbunden ist. Sie erleben in der Rolle Eltern ohne Kinder zu sein eine der schwierigsten Aufgaben in der Gesellschaft und kämpfen oft um die Rückführung ihres Kindes, obwohl real keine Aussicht auf Erfolg besteht (vgl. Wiemann 2009, S. 14f.). Herkunftseltern wird es so nur schwer möglich sein, zu akzeptieren, dass ihr Kind in einer Pflegefamilie lebt und die Pflegeeltern als unterstützend und nicht rivalisierend zu erleben.
III. STAND DER FORSCHUNG
1. Pflegefamilien in Daten und Zahlen
Die Maßnahmen nach §33 SGB VIII haben als eine zeitlich befristete Erziehungshilfe zum Ziel, eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen in den Herkunftsfamilien zu erreichen oder den betroffenen Kindern in Pflegefamilien eine auf Dauer angelegte Lebensform zu bieten. Betrachtet man die Fallzahlen in einer Gegenüberstellung der Kinder- und Jugendlichen <18 Jahren, die in einer Pflegefamilie untergebracht sind, oder im Rahmen der Heimerziehung Unterstützung erhalten (Abb. 5), wird deutlich, dass beide Hilfeformen laut dem Statistischen Bundesamt in den letzten Jahren stetig zugenommen haben und der Ausbau des Pflegekinderwesens nicht zu dem erhofften quantitativen Rückgang der kostenintensiven Fremdunterbringung in Heimen beitragen konnte (vgl. Deutscher Bundestag 2019, S. 3 u. 8). Dies ist, wie aus Fachkreisen berichtet wird, mitunter durch ein mangelndes Angebot an qualifizierten und ausdifferenzierten Vollzeitpflegestellen begründet (vgl. Fendrich et al. 2018, S. 74). Der Bedarf an Familien, die bereit sind Pflegekinder aufzunehmen, ist demnach ungebrochen hoch. Die Dauer der Fremdunterbringung in Pflegefamilien betrug im Jahr 2016 laut dem Statistischen Bundesamt durchschnittlich 42 Monate (ebd., S. 74). Hinter jeder Vollzeitpflegehilfe steht abzüglich der gemeinsamen Unterbringung von Pflegekindergeschwistern eine Pflegefamilie, die sich trotz geringer finanzieller Leistungen in Form von Pflegegeld auf das „Experiment mit ungewissen Ausgang“ einlässt (Blandow 2006, S. 8). Über die amtliche Kinder- und Jugendstatistik lassen sich weder Angaben zur Anzahl der Pflegekinder pro Pflegefamilie in Deutschland abrufen, noch sind Daten vorhanden, die einen Einblick geben könnten, wie sich die Familie hinsichtlich ihrer Familienmitglieder abbilden lässt.
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Abb.5: Kinder und Jugendliche < 18 Jahre in stationären Hilfen in Deutschland (2008-2017).
Quelle: Statistisches Bundesamt – Arbeitsstelle der Kinder- und Jugendhilfe (AKJ Stat)
Wagt man einen quantitativen Blick auf die familiären Strukturen von Pflegefamilien, so wird bei Betrachtung der Ergebnisse der Fallerhebung des DJI im Jahr 2007 (vgl. Thrum 2007) deutlich, dass in 43% der 461 untersuchten Pflegefamilien nur Pflegekinder mit ihren Pflegeeltern leben. 2/3 der Pflegekinder wuchsen als Einzelkinder auf, während 1/3 zusammen mit ihren leiblichen Geschwistern aus der Herkunftsfamilie beheimatet wurden. In mehr als der Hälfte der Pflegefamilien (57%) dagegen leben die Pflegekinder mit den leiblichen Kindern ihrer Pflegeeltern zusammen. Im Alltag von Pflegefamilien sind die leiblichen Kinder demnach sehr präsent und auch andere wissenschaftliche Untersuchungen zur Struktur des Pflegekinderwesens in anderen Bundesländern kommen zu dem Ergebnis, dass in etwa der Hälfte der Haushalte von Pflegefamilien leibliche Kinder leben (vgl. Erzberger 2003; Rock et al. 2008b). Schätzt man gesetzt den Fall einer repräsentativen Stichprobe für Pflegefamilien in Deutschland die Zahl der leiblichen Kinder auf der Datengrundlage der DJI-Studie, so lässt sich z.B. für das Jahr 2017 mit 81.412 in der Vollzeitpflege untergebrachten unter 18-Jährigen (Deutscher Bundestag2019, S. 3) und durchschnittlich 1,57 Kinder pro Familie (Bundeszentrale für politische Bildung 2020), eine nicht unerhebliche Zahl von 72.865 leiblichen Kinder, die zusammen mit Pflegekindern in ihrer Familie aufwachsen, angeben.
2. Studien zu leiblichen Kindern in Pflegefamilien
Serbinsky und Shlonskys Metaanalyse aus dem Jahr 2014 gibt einen guten Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Diskurs zu leiblichen Kindern in Pflegefamilien (vgl. Serbinski & Shlonsky 2014). Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich die internationale Forschung im Pflegekinderwesen vorwiegend mit den Pflegekindern und ihren Pflegeeltern befasste und nur einige wenige Studien sich den leiblichen Kindern und ihrem Aufwachsen in Pflegefamilien annahmen und sie in den qualitativen Untersuchungen direkt zu Wort kommen konnten.
Zwischen 1980 und 2012 wurden lediglich 39 empirische in englischer Sprache veröffentliche Studien identifiziert, die Forscher aus den verschiedensten Teilen der ganzen Welt zur Verfügung stellen (USA, Kanada, Australien, Südafrika und Europa) und die sich inhaltlich damit beschäftigen, wie und im welchen Umfang die leiblichen Kinder in die Entscheidung ihrer Eltern ein Pflegekind aufzunehmen mit einbezogen wurden und dabei ihre Bedürfnisse, Gefühle und Meinungen respektiert wurden. Ebenso spielte die Untersuchung ihrer Erfahrungen im pflegefamilialen Kontext eine zentrale Rolle. Die Forscher bemerken zudem, dass 46 % der Forschungen Master- und Doktorarbeiten darstellen, die auf kleinen Stichprobenzahlen beru- hen, und die für allgemeine Aussagen über die Gruppe der leiblichen Kinder kaum herangezogen werden können. Interessant ist auch der Aspekt, dass aus Deutschland keine einzige Studie in die Metaanalyse eingeschlossen werden konnte (vgl. ebd., S. 110).
Obwohl die Forscher in ihrem Fazit schlussfolgern, dass die heutige Forschung nach wie vor noch einen sehr explorativen Charakter aufweist, bemerken sie, dass in den letzten 40 Jahren, das Interesse an der Forschung leiblicher Kinder in Pflegefamilien gestiegen ist und konstatieren den Wunsch, die leiblichen Kinder mehr in den Fokus von Studien zu stellen und sie nicht als unbeachtete Randgruppe stehen zu lassen (vgl. ebd., S. 112).
Die Literatur im deutschsprachigen Raum ist sehr überschaubar und Erkenntnisse über leibliche Kinder in Pflegefamilien entstehen vorwiegend als Nebenprodukte von Studien, die sich vorrangig mit Pflegekindern beschäftigen und die Integrationsprozesse in die Pflegefamilien in den Fokus nehmen (z.B. Nienstedt & Westermann 1998, Wolf, 1999, Reimer 2011, Lillig et al. 2002) oder die, die Geschwisterbeziehungen eingehend thematisieren, wobei die biologischen Geschwister der Pflegekinder in den Blick genommen werden und den leiblichen Kindern der Pflegeeltern ein nur marginaler Platz zugewiesen wird (vgl. Sandmeir 2010, S. 474).
Diese „Forschungssplitter“ zeigen nach Marmann (2005, S. 24), dass die Verortung der leiblichen Kinder in ihrer Lebenswelt Pflegefamilie, ihre Rolle im Pflegeverhältnis und ihr Erleben in Forschungsuntersuchungen im deutschsprachigen Raum mit einem alleinigem Erkenntnisinteresse nicht thematisiert und „das Phänomen leibliche Kinder“ erst während anderer empirischen Studien bewusst wird. In den 1990er und 2000er Jahren wuchs das Forschungsinteresse auf nationaler, wie auch auf internationaler Ebene und war mit einen Perspektivwechsel verbunden, der betont, wie wichtig es ist, diesen Kindern eine eigene Stimme zu geben, um ihre bedeutungsvolle Rolle im Pflegeverhältnis zu identifizieren (vgl. Höjer, 2007) und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden, vor allem da man erkannte, dass das Wohl der leiblichen Kinder entscheidend dazu beitrug, ob sich ein erhöhtes Risiko zu einen Abbruch des Pflegeverhältnisses einstellte (vgl. Kalland & Sinkkonen, 2001).
Im Folgenden werden nun wichtige ausgewählte Studien näher dargestellt, um den aktuellen Forschungsstand zu skizzieren und um das Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit einordnen zu können. Bei Betrachtung von Studien im internationalen Kontext sind die Begriff- lichkeiten im englischen Sprachraum für eine klare Unterscheidung von Pflegeverhältnissen weniger differenziert und werden unter dem Begriff „Foster Care“ zusammengefasst (vgl. Knuth 2008, S.42). Trotz erschwerter Vergleichbarkeit zur deutschen Vollzeitpflege werden bedeutsame Erkenntnisse zum Aufwachsen von leiblichen Kindern von Pflegeeltern herausgearbeitet, denn:
„ It's not just the parents who foster, it's the whole family. “ (Martin 1993, S. 17)
Poland & Groze (1993): Effects of Foster Care Placement on Biological Children in the Home Die amerikanische Studie der beiden Wissenschaftler Denise C. Poland und Victor Groze untersucht, wie die Aufnahme von Pflegekindern in die Familie das Fühlen und Verhalten der eigenen Kinder beeinflusste und welche Probleme für die Vorbereitung auf die Aufgaben und Herausforderungen einer Pflegschaft aus Sicht der Eltern, wie auch aus Sicht der Kinder vor Aufnahme des Pflegekindes diskutiert werden sollte (vgl. Poland &. Groze 1993). Für die empirische Erhebung im südöstlichen Iowa, im Mittleren Westen der USA werden 73 Pflegefamilien zufällig ausgewählt, deren Familienstruktur sich aus Pflegeeltern, im Haushalt lebender leiblicher Kinder zusammensetzt und die aktuell ein Pflegekind oder mehrere Pflegekinder betreuen. Ihr methodischer quantitativer Forschungsansatz beruht auf einer Befragungstechnik mithilfe eines schriftlichen Fragebogens und es wird eine Rücklaufquote von 47% erzielt. Die Umfrage der Pflegeeltern basiert auf einem kombinierten Questionnaire aus offen gestellten Fragen und einem Teil mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Die Kinder erhalten je nach Altersgruppe einen unterschiedlichen Fragebogen. Für die Jüngeren unter ihnen im Alter von acht bis dreizehn Jahren erleichtern geschlossene Fragen mit einer Liste von Antwortoptionen die Teilnahme an der Studie, während der identische Fragebogen für die Jugendlichen ab vierzehn Jahren und älter mit weiteren offenen Fragen ergänzt wird (vgl. ebd., S. 156f.). Für die Gruppe der Pflegeeltern stellen D. C. Poland und V. Groze fest, dass 90% der Pflegeeltern das Thema Pflegekinder in der Familie mit ihren Kindern diskutieren und diese Aufgabe überwiegend von beiden Elternteilen wahrgenommen wird. Sie finden heraus, dass unter den relevanten Themen vor allem das Teilen der elterlichen Zeit mit den Pflegekindern und das Teilen von Spielsachen etc. zur Sprache kommt. 10 % der Eltern geben an, dass ihre Kinder für die Auseinandersetzung mit dem Thema Pflegekinder noch zu klein sind (vgl. ebd., S. 157f.). Nur 54% der Pflegeeltern kommen zu dem Schluss, dass ihre Kinder eine durchweg positive Einstellung zur Aufnahme eines Pflegekindes haben. 57% der Eltern beobachten positive Auswirkungen der Familienpflege auf ihre leiblichen Kinder und nennen allem voran das besondere Wertschätzen der eigenen Familie. Auf der anderen Seite nehmen 43% der Eltern auch negative Aspekte wahr und führen vor allem an, dass die leiblichen Kinder weniger Zeit zuhause verbringen und, dass die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander beeinträchtigt wer- den. Werden die Eltern zu den Auswirkungen von Pflegeverhältnissen auf ihre Kinder befragt, so äußern nur 13% der Teilnehmer keine Bedenken und 5% halten die Familienpflege für eine positive Erfahrung (vgl. ebd., S. 158). Abb. 6 verdeutlicht, dass andere Eltern dagegen eine tiefe
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Abb. 6: Auswirkungen der Familienpflege auf leibliche Kinder (Elternsicht), Poland & Groze (1993, S. 158).
Die Mehrheit der Pflegeeltern gibt an, dass die Aufnahme von Pflegekindern mit den leiblichen Kindern im Vorfeld erörtert werden sollte und dass vorbereitende Gespräche, ein Erfahrungs- austausch mit anderen leiblichen Kindern von Pflegefamilien, Beratungen, sowie eine Begleitung durch den Pflegekinderdienst unerlässlich sind. 67% der leiblichen Kinder berichten von Veränderungen in ihren Familien. Obwohl die Mehrheit der Befragten (70%) ihre Pflegekin- dergeschwister mögen, berichten 47% von teilweise sehr belastenden Auswirkungen, die durch aussagekräftige Kommentare der Kinder, (Abb. 7) verdeutlicht werden (ebd., S. 160-161). Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass leibliche Kinder eher gewillt sind, die Veränderungen innerhalb der Familie zu tolerieren und zu akzep- tieren, wenn die Pflegeeltern ihnen genau so viel Zeit widmen, wie den Pflegekindern.
Zusammenfassend sprechen sich die Forscher dafür aus, nicht nur bei der Erteilung von Pflegeerlaubnissen, das Verhalten und die Reaktionen der leiblichen Kinder einzubinden, sondern ihre Haltungen auch bei der Auswahl der passenden Pflegefamilie zu berücksichtigen.
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Abb. 7: Kommentare der Kinder (Poland & Groze 1993, S 160-161).
Sie kommen zu dem Schluss:
„ Foster care is often traumatic. [..] involving the biological children in the preparation for and the through-out the entire fostering process would make the experience better. [..] Most importantly, [they] would be guaranteed inclusion in the transition into foster care. “ (ebd., S.162-163)
Swan (2002): The experience of foster caregjvers'children
In einer explorativen Studie, die im Jahr 2002 in Kanada durchgeführt wurde, geht die Forscherin Tracy Swan, nicht nur der Frage nach, welche Probleme leibliche Kinder im Zusammenleben mit ihren Pflegegeschwistern benennen und wie sie ihre Rolle innerhalb der Familie wahrnehmen, sondern auch wie sie mit den Schwierigkeiten und Veränderungen umgehen. Ihre Forschungsergebnisse basieren auf einem qualitativen Forschungsansatz mit offen geführten Interviews, wobei aus der Retroperspektive zwölf leibliche junge Erwachsene im Alter von 19 bis 30 Jahren zu Wort kommen und ihr Aufwachsen mit Pflegekindern in ihren Familien beschreiben. Des Weiteren werden leitfadengestützte Gruppendiskussionen in Form von drei Fokusgruppen mit ausgewogener Geschlechterverteilung durchgeführt. Die sehr erfahrenen Pflegefamilien blicken alle auf eine jahrelange Tätigkeit als Pflegeeltern zurück und betreuen neben Übergangspflegekinder überwiegend Vollzeitpflegekinder. Tracy Swan kommt zu dem Ergebnis, dass die leiblichen Kinder viel zu wenig auf das vorbereitet wurden, was sie mit den Pflegekindern erwartete und sie durch das Erleben von Verlust der Privatsphäre und der Aufmerksamkeit ihrer Eltern den Wunsch nach Normalität äußern.
„They 're taking away a normal childhood“ (Swan 2002, S. 14)
Sie arbeitet sehr eindrücklich heraus, dass viele der Studienteilnehmer Schwierigkeiten hatten das auffällige Verhalten der Pflegekinder zu verstehen und damit umzugehen. Erfahrungen mit den Pflegekindern, die aus ihrer Sicht problematisch wahrgenommen wurden, wie Lügen und die Neigung sich Geschichten auszudenken, wurde von den Pflegeeltern meist übersehen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Austausch mit den Eltern über diese Probleme für die befragten jungen Menschen ein heikles Thema darstellt und durch die Erwartungen der Eltern innere Konflikte ausgelöst werden. Die Erwartungshaltung der Eltern wird vor allem durch ihre Forderungen nach mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Pflegekinder, nach Toleranz gegenüber ihren Verhaltensauffälligkeiten und nach Integration in ihren persönlichen Alltag deutlich. Einige Studienteilnehmer berichten, dass sie sich in ihrer Familien zurückgesetzt und weniger ernst genommen fühlen und ihnen eine Last auferlegt wird, besonders perfekt zu sein, wo Probleme und Scheitern keinen Platz haben.
„ [..] their feeling and needs were secondary, and sometimes left them feeling marginalised within their own family.“ (Swan 2002, S. 14)
Aber Swan konnte zudem auch zeigen, dass die jungen Menschen gegenüber ihren Eltern insbesondere gegenüber ihren Müttern ein besonderes Verantwortungsgefühl entwickelten und kommt zu dem Schluss, dass die leiblichen Kinder in Pflegefamilien in einem angespannten Pflegeverhältnis nicht noch durch ihre eigenen Probleme eine zusätzliche Belastungsquelle für ihre Eltern darstellen möchten und für das Scheitern der Familienpflege in die Verantwortung genommen werden. Als Folge führt sie an, dass die leiblichen Kinder ihren Eltern nicht mehr von ihren Problemen berichteten. Sie konnte zudem zeigen, dass die jungen Menschen eine aktive Rolle im Pflegeprozess spielen und den Pflegekindern helfen, einen Platz in der Familie zu finden. In Abhängigkeit vom Alter der leiblichen Kinder beschreibt die kanadische Wissenschaftlerin den genannten positiven Effekt auf die Familienpflege als einen:
„ Conscious shift toward becoming an equal and supportive partner.“ (ebd., S.15) Zum anderen zeigen Swans Untersuchungsergebnisse, dass das Aufwachsen in einer Pflegefamilie einen großen Einfluss auf die persönliche Entwicklung der jungen Menschen hatte und sie ein starkes Verantwortungsgefühl, Barmherzigkeit und Fähigkeiten, wie Empathie und Fürsorglichkeit entwickelten, die sie als ein Teil ihrer Identität wahrnahmen (vgl. ebd., S. 15).
Die Rolle des Sozialarbeiters wird von allen Studienteilnehmern kritisch gesehen und sie geben zu bedenken, dass ihnen bei Hausbesuchen wenig Zeit und Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Alle sind der Meinung, dass ihre von ihnen marginalisierte Rolle keine große Bedeutung beigemessen wird, ihre Anstrengungen nicht wahrgenommen werden und so weder bei Hilfeplangesprächen noch bei allgemeinen Diskussionen einbezogen werden. Sie betonen, dass sie im Vergleich zu den Pflegeeltern in einem einzigartigen Verhältnis zu ihren Pflegegeschwistern stehen und dadurch Zugang zu spezifischen Wissensbeständen erhalten, die den Erwachsenen verborgen bleiben. Sie führen an, dass ihre Expertise vonseiten der Sozialen Arbeit mehr Beachtung finden sollte und sie an Prozessen beteiligt werden sollten (vgl. Swan, 2002, S. 16).
Marmann (2005): Kleine Pädagogen. Eine Untersuchung über „Leibliche Kinder“ in familienorientierten Settings der öffentlichen Ersatzerziehung.
Nach wie vor ist eine der einschlägigsten und umfassendsten Arbeiten im deutschen Sprachraum, die von Alfred Marmann über leibliche Kinder in familienorientierten Settings öffentlicher Ersatzerziehung angefertigte Dissertationsschrift.
[...]
1 Maßnahme als Folge von Kinderschutzfällen nach § 8a SGB VIII und Inobhutnahme oder Familien, die HzE in Form von Vollzeitpflege nach §33 SGB VIII beantragen. Oft sind dann zuvor gewährte familienunterstützende Maßnahmen gescheitert und der Antrag auf Vollzeitpflege erfolgt im Zwangskontext.
2 Thomas Plassmann ist ein bekannter deutscher Cartoonist und Karikaturist, der 1960 in Essen geboren wurde.
3 Richard Karl Freiherr von Weizäcker, Deutscher Bundespräsident von 1984-1994, (* 15.04.1920, f 31.01.2015). Diese veränderten Rahmenbedingungen für das Aufwachsen in Familien spiegeln sich auch in einer zunehmenden Inanspruchnahme von div. Erziehungshilfen wider (Abb. 2). Die Familie wird als ein Bestandteil der sozialen Ordnung einer Gesellschaft begriffen und begleitet somit auch die Prozesse der Modernisierung.
4 Das SGB VIII trat am 01.01.1991 in den westlichen Bundesländern in Kraft und löste das bis dahin geltende Jugendwohlfahrtsgesetz ab. In den neuen Bundesländern erlangte es bereits mit der deutschen Wiedervereinigung (3.10.1990) seine Gültigkeit.
5 Gem. § 44 SGB VIII: Wer ein Kind oder einen Jugendlichen über Tag und Nacht in seinem Haushalt aufnehmen will (Pflegeperson), bedarf der Erlaubnis. Die Geeignetheit wird durch das zuständige Jugendamt meist durch den Fachdienst Pflegekinderhilfe in einem Bewerberverfah ren geprüft. Freie Träger werben ebenfalls Pflegefamilien und prüfen diese selbständig auf Eignung.
6 Fortsetzungsfamilie: nach Trennung, Scheidung oder Verwitwung entstehende familiale Lebensform mit zwei Einelternfamilien, oder einer Einelternfamilie und einer Einzelperson.
- Citar trabajo
- O. Neuner (Autor), 2021, Die Pflegefamilie als soziales Familiensystem, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1369454
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