In dieser Arbeit wird das komplexe Phänomen der Social-Media-Nutzung von Spitzensportlern und die daraus resultierenden psychischen Auswirkungen untersucht. Während psychische Gesundheit im Allgemeinbevölkerung bereits intensiv erforscht wurde und psychische Erkrankungen in Deutschland steigen, bleibt das Thema psychischer Druck im Spitzensport häufig unerforscht und stigmatisiert. Gleichzeitig zeigen prominente Beispiele, wie die der weltbesten Turnerin Simone Biles, dass mentale Gesundheitsprobleme nicht vor dem Leistungssport haltmachen und dass es immer wichtiger wird, diese Probleme anzuerkennen und anzugehen.
Inmitten dieser Diskussion spielt Social Media eine zentrale Rolle. Nie zuvor war es für Sportler so einfach, ihre Erlebnisse und Gefühle mit einem breiten Publikum zu teilen und gleichzeitig das Leben ihrer Freunde, Gegner und Vorbilder ständig zu beobachten. Der öffentliche Druck, der sich aus dieser neuen Form der Kommunikation ergibt, stellt jedoch eine zusätzliche Herausforderung für die psychische Gesundheit dar.
Obwohl zahlreiche Studien negative psychische Auswirkungen durch Social-Media-Nutzung im Allgemeinbevölkerung festgestellt haben, gibt es bisher wenig Forschung zu diesem Phänomen bei Spitzensportlern. Daher ist das Hauptziel dieser Arbeit, diese Forschungslücke zu schließen und das Ausmaß der psychischen Auswirkungen von Social Media auf Spitzensportler zu untersuchen. Insbesondere werden wir die Nutzung von Social Media durch Athleten aus drei verschiedenen Sportarten vergleichen, um Unterschiede in den verschiedenen Disziplinen und Geschlechtern aufzuzeigen.
Diese Arbeit wird sich zunächst mit dem aktuellen Forschungsstand und den theoretischen Grundlagen befassen. Die Begriffe "Spitzensport" und "sportliche Leistungsfähigkeit" werden in Zusammenhang mit mentalen Aspekten erläutert. Anschließend werden die wichtigsten Social-Media-Grundlagen beschrieben, bevor die Beziehung zwischen Social-Media-Nutzung und psychischen Auswirkungen näher analysiert wird. Der empirische Teil der Arbeit konzentriert sich auf die Datenerhebung und Auswertung mit Hilfe eines Online-Fragebogens. Schließlich werden die Ergebnisse interpretiert und ein Fazit gezogen."
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung
2 Forschungsstand und theoretische Grundlagen
2.1 Leistungsfähigkeit im Spitzensport
2.1.1 Spitzensport
2.1.2 Sportliche Leistungsfähigkeit
2.1.3 MentaleStärke
2.2 Psychischer Stress und seine Folgen im Spitzensport
2.2.1 PsychischerStress
2.2.2 Stressoren im Spitzensport
2.2.3 Auswirkungen von Stress auf die sportliche Leistungsfähigkeit
2.3 Social-Media-Grundlagen
2.3.1 ArtenvonSocialMedia
2.3.2 Social Media im Spitzensport
2.4 Social-Media-Nutzung und der Einfluss auf die Psyche
2.4.1 Social-Media-Nutzung
2.4.2 Auswirkungen von Social-Media-Nutzung auf die Psyche
3 Die Nutzung und Wirkung von Social Media im Spitzensport
3.1 Untersuchungsfragen
3.2 Untersuchungsdesign
3.2.1 Untersuchungsgegenstand und Untersuchungszeitraum
3.2.2 Untersuchungsmethode und Untersuchungsinstrument
3.2.3 Stichprobe
3.3 Darstellung und Interpretation der Untersuchungsergebnisse
3.3.1 Social-Media-Nutzung
3.3.2 Social-Media-Wirkung
4 Fazit und Ausblick
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bedingungsgefüge dersportlichen Leistungsfähigkeit (Weineck, 2007) 6 Abbildung 2: Anzahl der befragten Spitzensportler der verschiedenen Sportarten (n=168)
Abbildung 3: Alter der befragten Spitzensportler (n=168)
Abbildung 4: Höchster erreichter Kaderstatus der Teilnehmer (n=168)
Abbildung 5: die höchste erreichte Wettkampfebene der Teilnehmer (n=168)
Abbildung 6: Social-Media-Nutzungsdauer (n=168)
Abbildung 7: Social-Media-Nutzungsdauer im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Abbildung 8: Bewertung des Vergleichs Social Media als Zeitfresser (n=168)
Abbildung 9: Social-Media-Aktivität zu verschiedenen Zeitpunkten (n=168)
Abbildung 10: genutzte Social-Media-Plattformen im Vergleich (n=168)
Abbildung 11: User-Aktivitäten der SpitzensportleraufSocial Media (n=168)
Abbildung 12: Content-Thematiken von Spitzensportlern (n=149)
Abbildung 13: Content-Thematiken im sportartspezifischen Vergleich (n=149)
Abbildung 14: Die Bewertung verschiedener Gefühlsausprägungen ausgelöst durch Social Media (n=168)
Abbildung 15: Die Bewertung des Vergleichs Social Media als Stressfaktor (n=168) 54 Abbildung 16: Die Bewertung Social Media als Stressfaktor im sportartspezifischen Vergleich (n=168)
Abbildung 17: Das Gefühl durch Social Media unter Druck gesetzt zu werden im geschlechtsspezifischen Vergleich
Abbildung 18: Inwiefern Spitzensportlerdurch Social Media an ihren Fähigkeiten zweifeln und sich in ihrem Selbstbewusstsein geschwächt fühlen (n=168)
Abbildung 19: Die Schwächung des Selbstbewusstseins durch Social Media im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Abbildung 20: Zweifel am eigenen Aussehen durch Social Media im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Abbildung 21: Personelle Vergleiche durch Social Media im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Abbildung 22: Beeinflussung des Schlafengehens durch Social Media (n=168) 68 Abbildung 23: Beeinflussung der Einschlafzeit durch Social-Media-Nutzung (n=168)
Abbildung 24: Bewertung des Motivationsgewinns durch Likes und Feedback von anderen Nutzern (n=168)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ranking der zwölf Kerneigenschaften von mentaler Stärke im Sport
Tabelle 2: Anzahl der Mitgliedschaften in den verschiedenen Sportarten (DOSB, 2021)
Tabelle 3: Social-Media-Nutzungsdauer im sportartspezifischen Vergleich (n=168)
Tabelle 4: Die Relevanz derverschiedenen Motive der Content-Produktion (n=149)
Tabelle 5: Vergleich der Mittelwerte des Erreichbarkeitsstress in Abhängigkeit zur Nutzungsdauer (n=168)
Tabelle 6: Gründe weshalb sich Athleten unter Druck gesetzt fühlen im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Tabelle 7: Stärkung vs. Schwächung des Selbstbewusstseins durch Social Media im sportartspezifischen Vergleich (n=168)
Tabelle 8: Zufriedenheit mit Aussehen und Körpergewicht im Zusammenhang mit der Nutzungsdauer (n=168)
Tabelle 9: Motive der Content Produktion der Kategorie „Theorie des sozialen Vergleichs“ im geschlechtsspezifischen Vergleich (n=168)
Tabelle 10: Vergleich der Mittelwerte in Zusammenhang mit Social-Media- Nutzungsdauerund Depressionssymptomen (n=168)
Tabelle 11: Zusammenhang des späteren Schlafengehen und der Schlafqualität (n=168)
1 Einleitung und Problemstellung
Während psychische Erkrankungen in Deutschland rapide zunehmen, gelten mentale Probleme im Spitzensport immer noch als Stigma. Nur wenige Sportler1 treten mit ihren mentalen Problemen an die Öffentlichkeit.
Umso mehr überraschte der plötzliche Ausstieg der weltbesten Turnerin Simone Biles aus den Wettkämpfen bei den Olympischen Spielen in Tokio. Der TurnSuperstar verzichtete aus Rücksicht auf ihre mentale Gesundheit auf den olympischen Einzel-Mehrkampf der Turnerinnen. „Wir sind nicht nur Sportler. Am Ende des Tages sind wir Menschen und manchmal muss man einfach einen Schritt zurücktreten“, erklärte Biles in einem Presseinterview (Morales, 2021). Spitzensportler wie Simone Biles haben den Anschein, physisch wie psychisch überdurchschnittlich stark zu sein. Dennoch belegten Studien, dass psychische Probleme und Erkrankungen im Hochleistungssport mindestens genauso häufig vorkommen wie in derAllgemeinbevölkerung (Claussen et al., 2015)
„Der Spitzensport stellt einen gesellschaftlichen Teilbereich dar, der in den letzten Jahren eine enorme Entwicklungsdynamik aufzuweisen hat“ (Thiel et al., 2018). Dabei beziehen sich Thiel et al. nicht nur auf die sportlichen Leistungen der Athleten und Mannschaften, sondern auch auf die Prozesse der Kommerzialisierung, Globalisierung und Technologisierung. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse haben Auswirkungen auf den Spitzensport und bilden das Fundament neuer bedeutsamer Phänomene, die es zu untersuchen gilt.
Der Paradigmenwechsel in der öffentlichen Kommunikation durch Social Media beschreibt einen dieser gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, der sich auch auf den Spitzensport auswirkt. Der Wegfall von Kommunikationsschranken, die prinzipiell uneingeschränkte Reichweite und die Persistenz publizierter Inhalte verändern die Kommunikation von Spitzensportlern. Noch nie war es so einfach zu verfolgen, was Freunde, Gegner und Vorbilder tun und den eigenen Aufstieg und Fall des Status und Images fast ständig zu beobachten. „Es gab ein paar Tage, wo diralle auf Twitter schreiben und du die Last der Welt spürst“, beschrieb die US-Olympia-Turnerin Simone Biles ihre Gefühlslage bei den Olympischen Spielen in Tokio (Schauhuber, 2021).
Die Nutzung digitaler Technologien im Allgemeinen und die Nutzung von Social Media im Besonderen wird in vielen Forschungen mit Stress und sozialem Druck (Thomée et al., 2010; Thomée et al., 2011; Woods & Scott, 2016), geringerem Selbstwertgefühl und schlechtem Körperselbstbild (Kelly et al., 2018; Krämer, 2017), erhöhten Angst- und Depressionssymptome (Boers et al., 2019; Kelly et al., 2018; Thomée et al., 2011) und schlechterer Schlafqualität (Kelly et al., 2018; Thomée et al., 2011; Woods & Scott, 2016) assoziiert.
Es ist anzunehmen, dass es auch bei Spitzensportler zu psychischen Auswirkungen durch Social-Media-Nutzung kommen kann. Trotz eingehender Recherche konnten jedoch keine Studien gefunden werden, die den Einfluss von Social Media auf Spitzensportler untersuchen. Dabei werfen die bisherigen Erkenntnisse zahlreiche Fragen auf. Lassen sich beispielsweise Attribute der mentalen Stärke, wie der unerschütterliche Glaube an sich selbst und seine Fähigkeiten, durch negative Auswirkungen von Social Media beeinflussen? Kann Motivation durch aktive Social-Media-Nutzung und Fankontakt gewonnen werden? Diesen komplexen Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und den daraus resultierenden psychischen Folgen für Spitzensportler gilt es zu untersuchen. Mithilfe der nachfolgenden empirischen Untersuchung soll diese Lücke im Bereich der Forschung geschlossen werden.
Vor dem Hintergrund des geschilderten Phänomens lautet die zentrale Forschungsfrage dieser Bachelorarbeit: Wie und wozu nutzen Spitzensportler soziale Medien und inwiefern fühlen sie sich von ihnen psychisch beeinflusst?
Um einen äquivalenten Vergleich zu schaffen, werden Spitzensportler drei verschiedener Sportarten miteinander verglichen. Somit können Unterschiede der verschiedenen Disziplinen und Geschlechter in Bezug auf Social Media sichtbar werden.
Um die Forschungsfrage der Bachelorarbeit zu beantworten, wird zunächst der aktuelle Forschungsstand mit den damit verbundenen theoretischen Grundlagen erläutert. Um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, werden die Begriffe Spitzensport und sportliche Leistungsfähigkeit in Zusammenhang mit mentalen Aspekten erläutert. Anschließend werden die wichtigsten Social-Media-Grundla- gen beschrieben, bevor die Beziehung zwischen Social-Media-Nutzung und psychischen Auswirkungen näher analysiert wird. Der darauffolgende empirische Teil beschäftigt sich vollständig mit der Datenerhebung und Auswertung. Dabei werden zunächst Untersuchungsfragen formuliert sowie das Untersuchungsdesign vorgestellt. Nachdem die erhobenen Daten des Online-Fragebogens dargestellt und interpretiert wurden, wird die Bachelorarbeit im darauffolgenden Kapitel durch ein Fazit mit Ausblick abgerundet.
2 Forschungsstand und theoretische Grundlagen
Für die Umsetzung der empirischen Bachelorarbeit ist es notwendig, die zu untersuchenden Zusammenhänge zu bestimmen und genauer zu betrachten. Das betrifft den Begriff Spitzensport im Zusammenhang mit sportlicher Leistungsfähigkeit und mentaler Stärke, die Begriffe Stress und Stressoren in Bezug auf den Spitzensport, den Terminus Social Media sowie die Social-Media-Nutzung in Verbindung mit der psychischen Gesundheit. Wichtig ist hierbei, die jeweiligen Inhalte abzugrenzen und dabei deren sich gegenseitig bestimmende Relevanz zu verdeutlichen. Mit Abschluss dieses Kapitels sollen die wichtigsten Inhalte für die Umsetzung der empirischen Untersuchung ersichtlich sein und damit die Grundlage der theoretischen Überlegungen zum Forschungsaufbau bilden.
2.1 Leistungsfähigkeit im Spitzensport
Im System des Spitzensports stellt der Sieg in einem sportlichen Wettkampf das höchste Ziel dar. Das Handeln der Akteure im Spitzensport wird dabei durch den binären Code „Sieg/Niederlage“ bestimmt (Schimank, 1988). Erfolgsrationalität und das damit verbundene Leistungsprinzip prägen die zentrale Handlungslogik des Hochleistungssports und seiner Akteure: „Alles [im Spitzensport], inklusive der Trainings- und Regenerationsmaßnahmen, dreht sich um die Steigerung oder Erhaltung der sportlichen Leistungsfähigkeit von Athleten und Mannschaften“ (Thiel et. al, 2018).
In den folgenden Kapiteln werden die Begriffe Spitzensport, sportliche Leistungsfähigkeit und mentale Stärke bestimmt und ihre gegenseitig bestimmende Relevanz verdeutlicht.
2.1.1 Spitzensport
Der moderne Sport lässt sich als Muster interner hierarchischer Differenzierung beschreiben, das sich in Subsysteme wie Hochleistungssport, Leistungssport, Breitensport und Freizeitsport gliedert (Stichweh, 1990). Innerhalb des Hochleistungssports werden weitere Feinabstufungen und Differenzierungen von Leistungsbewertung vorgenommen (Schimank, 1988). Eine solche Gradualisie- rung erfolgt unter anderen durch die Ausweisung verschiedener Wettkampfniveaus, wie Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Kontinentalmeisterschaften, nationale Meisterschaften und regionale Meisterschaften, sowie Sportligen (Thiel et al., 2018). Auch das Kadersysteme des deutschen Spitzensports beschreibt in seinem organisatorischen Rahmen das Leistungsniveau von Athleten. Die Begriffe Hochleistungssport, Leistungssport und Spitzensport werden in der sportwissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig voneinander abgegrenzt und oft als äquivalente Termini verwendet. Die verschiedenen Begriffe beziehen sich meist alle auf eine Form des Wettkampfsports, die maßgeblich durch das Streben nach sportlichem Erfolg bestimmt wird und lassen sie sich dadurch eindeutig vom Gesundheits- und Breitensport abgrenzen. In dieser Bachelorarbeit werden die Begriffe Hochleistungssport und Spitzensport verwendet, da diese laut Burk und Fahrner „eher deutlich [machen], dass es hier um eine nicht-alltägliche körperliche Spitzenleistungen (mit Wettkampfbezug) geht“ (Burk & Fahrner, 2013).
Auch der Terminus „elite athlete“ (Spitzensportler) wird in internationalen Publikationen unterschiedlich definiert und interpretiert (Swann et al., 2015). Nach einer sehr allgemeinen Begriffsbestimmung nach Thiel et al. (2018) handelt es sich bei Spitzensportler um Athleten, die stets versuchen, ihre sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern, zu erhalten oder bei Rückschlägen wiederherzustellen. Zudem verfolgen sie das Ziel, ihre Leistung bei Wettkämpfen wiederkehrend unter Beweis zu stellen.
Der Untersuchungsgegenstand dieser Bachelorarbeit bilden Athleten aus dem gesellschaftlichen Teilbereich Spitzensport. Die hierzu gewählten Kriterien werden im Methodik-Teil (vgl. Kapitel 3.2.1) näher erläutert. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff der sportlichen Leistungsfähigkeit, die eng und unabdingbar mit dem Spitzensport in Verbindung steht.
2.1.2 Sportliche Leistungsfähigkeit
Die sportliche Leistungsfähigkeit wird von einer Vielzahl spezifischer Komponenten bestimmt und stellt ein komplexes Bedingungsgefüge dar (vgl. Abbildung 1). Sie beschreibt die Gesamtheit der individuellen Leistungsvoraussetzungen zum Erreichen sportlicher Leistung in ihrer Ausprägung und Struktur. Die individuellen Leistungsvoraussetzungen beschreiben die Potenziale der funktionell und strukturell beanspruchten Systeme und genetischen Dispositionen (Wagner et al., 2013).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bedingungsgefüge dersportlichen Leistungsfähigkeit (Weineck, 2007)
Allein ein harmonisches Zusammenspiel aller leistungsbestimmender Faktoren und Fähigkeiten ermöglicht das Erreichen individueller Höchstleistung (Weineck, 2007). Das gilt auch für die psychischen Leistungsvoraussetzungen. Sind diese, wie im Fall von Simone Biles bei den Olympischen Spielen in Tokio, „nicht gegeben oder für eine bestimmte Zeit nicht verfügbar, reichen auch körperliche Fitness und ein hohes technisch-taktisches Können für einen Platz auf dem berühmten »Stockerl« nicht aus“ (Bartl, 2009).
Mit zunehmender Leistungsdichte gewinnen speziell diese psychischen Fähigkeiten immer mehr an Bedeutung. Hochgradige Leistungsmotivation und Leistungsbereitschaft sowie eine hohe psychophysische Belastbarkeit und mentale Stärke gelten laut Weineck als wichtigste die sportliche Leistung beeinflussende Persönlichkeitsmerkmale des Sportlers (Weineck, 2007).
Mit zunehmendem Bewusstsein und Verständnis für die psychologischen Faktoren, die bei sportlichen Leistungsfähigkeit eine Rolle spielen, wird deutlich, dass bei gleichen körperlichen, technischen und taktischen Fähigkeiten die mentale Stärke als Teil der psychischen Fähigkeiten zwischen guten und großartigen Sportlern unterscheidet (Gucciardi et al., 2008).
2.1.3 MentaleStärke
„Und am Schluss findet doch alles zwischen den Ohren statt...“ (Wetzel, 2010). Bei annähernder Gleichwertigkeit von körperlichen Leistungsvoraussetzungen und Erfahrung internationaler Spitzenathleten geht die Forschung auf das Interesse zurück, welche hinzukommenden Faktoren am Tag des Wettkampfs über Sieg oder Niederlage entscheiden. Immer wieder begründen Spitzensportler und Trainer nach herausragenden sportlichen Leistungen ihren Erfolg mit mentaler Stärke (Crust, 2007; Gould et al., 1987). Auch in der Wissenschaft wird derzeit die mentale Stärke als eine derwichtigsten Eigenschaften für das Erreichen von Spitzenleistungen anerkannt (Gucciardi et al., 2008).
In internationalen Publikationen wird mentale Stärke (auch „mental toughness“) als effektive Bewältigung von Druck und Widrigkeiten definiert, sodass die Leistung kaum beeinträchtigt wird (Crust, 2007). Jones et al. (2002) operationalisierten anhand qualitativer Interviews mit zehn internationalen Spitzensportlern verschiedener Sportarten folgende Definition:
„Mental toughness is having the natural or developed psychological edge that enables you to:
- Generally, cope better than your opponents with the many demands (competition, training, lifestyle) that sport places on a performer.
- Specifically, be more consistent and better than your opponents in remaining determined, focused, confident, and in control under pressure” (Jones etal., 2002).
Mental starke Athleten sind somit in der Lage, besser als ihre Gegner mit den Anforderungen und Arten von Stress des Spitzensports umzugehen und beständiger unter Druck entschlossen, konzentriert, zuversichtlich und beherrscht zu bleiben. Mental widerstandsfähige Personen verfügen zudem über ein hohes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, sind in hohem Maße selbst motiviert und glauben, dass sich ihre Handlungen direkt auf die Ergebnisse in ihrem Leben auswirken (Crust & Clough, 2005; Jones et al., 2002).
Anhand einer qualitativen Untersuchung identifizierten die Forscher Jones et al. (2002) zudem zwölf spezifische Attribute, die die mentale Stärke sportartunabhängig in ihrer Kerneigenschaften beschreiben sollen (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Ranking derzwölfKemeigenschaften von mentalerStärke im Sport
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bis heute ist noch nicht abschließend geklärt, wie viele Attribute für eine umfassende Beschreibung der mentalen Stärke notwendig sind (Gerber, 2011). In einer zweiten Studie von Jones et al. (2007) wurden 30 Attribute der mentalen Stärke bestimmt, die vier Dimensionen zugeordnet werden können. Dabei wurden in einer qualitativen Analyse neben Trainern und Sportpsychologen ausschließlich Olympiasieger oder Weltmeister befragt (Jones et al., 2007).
Laut Gerber (2011) gelang es Jones et al. (2002) mit ihren Ergebnissen eine hohe Glaubwürdigkeit und konzeptuelle Klarheit zu schaffen. Grund dafür sei, dass neben den Athleten auch Trainern und Sportpsychologen in die Analyse miteinbezogen werden und ihre Konzeption in qualitativen Folgestudien mit Fußballern (Thelwell et al., 2005) und Cricketspielern (Bull et al., 2005) bestätigt wird. Insgesamt herrscht heute Konsens, dass die mentale Stärke ein multidimensionales Konstrukt beschreibt, das nach unterschiedlichen Auffassungen einem generellen oder kontext- bzw. sportartspezifischen Konstrukt entspricht (Gerber, 2011). Zudem unterstützt die Forschung die Vorstellung, dass mentale Stärke von situativen Faktoren wie Stress, Druck und Widrigkeiten abhängt. Im Folgenden werden speziell diese situativen Faktoren (Stressoren) untersucht, die gemeinsam mit der mentalen Stärke in der anschließenden quantitativen Untersuchung innerhalb derVariablen berücksichtigt werden.
2.2 Psychischer Stress und seine Folgen im Spitzensport
Spitzensportler haben den Anschein, physisch wie psychisch überdurchschnittlich stark zu sein. Dennoch belegten Studien, dass psychische Probleme und Erkrankungen im Leistungssport mindestens genauso häufig vorkommen wie in der Allgemeinbevölkerung (Claussen et al., 2015). Darüber hinaus thematisieren Claussen et al. (2015), dass es deutliche Hinweise auf eine Sportspezifität psychischer Erkrankungen wie auch geschlechts- und sportartspezifischen Häufungen gibt. Auch psychischer Missbrauch durch Trainer und Eltern sowie psychischer Selbstmissbrauch sind im Hochleistungssport keine Seltenheit (Segen, 2002).
Spitzensportler sind neben enormen physischen Anforderungen in ihrem Trainings- und Wettkampfalltag einer Vielzahl an psychischen Stressoren ausgesetzt, die zu den alltäglichen Stressoren dazukommen. Diese gilt es zu untersuchen, zumal laut Status quo Spitzensportler selten in ihrer aktiven Zeit therapeutische Hilfe suchen und sich erst nach Karriereende in psychologische Behandlung begeben (Claussen et al., 2015).
2.2.1 PsychischerStress
Stress hat für verschiedene Menschen unter verschiedenen Bedingungen eine unterschiedliche Bedeutung. In den verschiedenen Forschungsbereichen wird Stress unterschiedlich definiert, was eine allgemeine Stressdefinition erschwert (Semmer & Zapf, 2018).
Nach der sehr allgemeinen Definition von Selye (1976) handelt es sich bei Stress um eine unspezifische Reaktion des Körpers aufeineAnforderung. Eine spezifischere Begriffserklärung beschreibt Stress als eine individuelle Beanspruchungsreaktion, die durch extérnale Faktoren (Druck durch die Umwelt) oder internale Faktoren (Druck durch den Sportler selbst) herbeigeführt werden kann (Lazarus, 1966). Das auf dieser Definition basierende transaktionale Stressmodell von Lazarus und Folkman (1984) gilt bis heute als das prägendste Modell zur Stressforschung im Hochleistungssport (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018). Objektive Belastungen, sogenannte Stressoren, lösen dabei eine „komplexe physiologische, kognitive, emotionale und behaviorale Reaktion im Individuum aus“ (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018). Wie diese Stressoren wahrgenommen und bewertet werden, entscheidet darüber, ob ein Stresszustand entsteht oder nicht (Lazarus & Folkman, 1984). Das bedeutet, dass derselbe Stressor bei zwei Personen mit verschiedenen Voraussetzungen unterschiedliche Wirkungen und Reaktionen zeigen kann. Oft führt daher nicht die objektive Belastung zu einem Stresszustand, sondern die subjektiv wahrgenommene Beanspruchung.
Stressreaktionen müssen daran gemessen werden, wie ein oder mehrere Stressoren körperlich, gedanklich und verhaltensbezogen verarbeitet werden (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018). Die Literatur unterscheidet dabei zwischen Disstress und Eustress. Eustress kennzeichnet positive Folgen von Stress, wie Freude und Enthusiasmus, während Distress die negativen Aspekte von Stress umfasst (Semmer & Zapf, 2018). So kann Stress in manchen Situationen mobilisierend wirken, aber auch Ängste, negative Emotionen oder den Verlust des Selbstvertrauens auslösen (vgl. Kapitel 2.2.3). Im folgenden Kapitel werden zunächst die verschiedenen Stressoren im Spitzensport veranschaulicht.
2.2.2 Stressoren im Spitzensport
Stress im Spitzensport unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten vom Stress in der Allgemeinbevölkerung. Spitzensportlern sind vielfältigen zusätzlichen Stressoren ausgesetzt, die sich dafür eignen, einen Stresszustand auszulösen. Stressoren im Spitzensport lassen sich in sportbezogene und alltäglich Stressoren differenzieren (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018).
Soortbezoqene Stressoren:
Sportbezogene Stressoren unterteilen sich darüber hinaus in wettkampfbezogene und organisationsbezogene Stressoren (Hanton et al., 2005). Wettkampfbezogenen Stressoren beziehen sich direkt auf Sportsituationen, die unmittelbar mit dem Wettkampf oder der Wettkampfvorbereitung verbunden sind (z. B. Angst, Nervosität, Wettkampfdichte, Übertraining, Misserfolgsserie). Hinzukommen sportartspezifische Stressoren: „In Sportarten, in denen das Körpergewicht und/oder ein bestimmtes Erscheinungsbild für die Wettkampfleistung, besonders bedeutsam ist [z. B. Judo, Turnen], zählen Figur- und Gewichtsprobleme zu den wichtigsten Stressoren“ (Sailen, 2018). Andere Sportarten wiederum empfinden beispielsweise Wetterbedingungen, Spiel-/Satzverlängerungen oder Ballverlust als Stressoren (Sailen, 2018). Organisationsbezogene Stressoren betreffen den ständigen Austausch zwischen Athlet und den Anforderungen seiner Umwelt (z. B. Kommunikation oder interpersönliche Konflikte mit Trainern oder Teammitgliedern, Umgang mit Medien) (Gerber, 2020).
Alltägliche Stressoren:
Alltägliche Stressoren, die über das sportliche Geschehen hinausgehen, stellen zudem eine zentrale Belastung für Spitzensportler dar und machen sich fallweise in Form von chronischem Stress bemerkbar (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018). Konstant hoher Erfolgsdruck, finanzielle Unsicherheit und Existenzängste sind oft Auslöser von chronischem Stress und im Spitzensport weit verbreitet (Gerber, 2020). In den wenigsten Fällen reicht die sportliche Karriere zur Existenzsicherung. Spitzensportler sind daher meist einer Doppelbelastung (Arbeit/Schule und Sport) ausgesetzt. Während der internationalen Wettkampfkarriere entspricht nach Nagel und Conzelmann (2006) „der Zeitaufwand für das hochleistungssportliche Engagement vielfach der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 bis 40 Stunden“. Auch Abwesenheitszeiten durch Trainingslager und Wettkampfreisen beeinflussen überwiegend im Nachwuchsbereich die schulische Ausbildung (Nagel & Conzelmann, 2006). Vor allem Übergangssituationen wie der Wechsel in eine neue Altersklasse werden in der Literatur als relevante Stresso- ren beschrieben (Gerber, 2020). Leistungssportbedingte Probleme mit Partnern oder der Familie, soziale Isolation aufgrund eines hohen Mobilitätszwangs oder hohe Kosten für das Training bedingen zusätzliche Stressoren (Breuer & Hallmann, 2013).
Auch Medien bergen alltägliche Stressoren. Durch das gestiegene Medieninteresse und der Kommunikationsautonomie der Spitzensportler durch Social Media können Sportler eine hohe Popularität und Bekanntheit erlangen (Nagel & Conzelmann, 2006). Helden-Verehrung in den Medien ist weiterhin eine akzeptierte Begleiterscheinung des Spitzensports. Zudem müssen zentrale Akteure des Spitzensports stets damit rechnen, dass nach Geschichten mit hoher medialen Aufmerksamkeit gefahndet wird (Thiel, 2002).
Die sich daraus ergebenen persönlichen und sozialen Erwartungen wie die Erwartung medialer Bekanntheit oder soziale Anerkennung können sich laut Thiel (2002) als Stressoren hinderlich auf die sportliche Leistung auswirken. Zahlreiche Studien bestätigen bereits, dass die Nutzung von Social Media die psychische Gesundheit beeinträchtigt und Stress fördert (vgl. Kapitel 2.4.2). Ob Athleten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aufgrund ihrer mentalen Stärke weniger oder infolge ihrer Bekanntheit oder ihres Status als Spitzensportler mehr von den Auswirkungen von Social Media betroffen sind, wurde bisher nicht wissenschaftlich untersucht.
2.2.3 Auswirkungen von Stress auf die sportliche Leistungsfähigkeit
Die Auswirkungen von akutem Stress spiegeln sich vor allem in Form von Leistungseinbrüchen wider, die besonders in Wettkampfsituationen Sichtbarwerden. Ein wesentliches Merkmal von Stress sind die mit eingehenden, nicht trennbaren Emotionen. Im Falle von Distress betrifft das vor allem negativ behaftete Emotionen wie Ärger, Wut und Angst (Semmer & Zapf, 2018). Laut Glick und Horsfall (2009) hat der aktuelle Gemütszustand von Athleten einen signifikanten Einfluss auf deren Leistung. Das bedeutet, dass „nicht der Stress als solcher, sondern die damit verbundenen negativen Emotionen sowie ein Verlust an Selbstvertrauen“ Erklärungsansätze für Leistungseinbrüche im Spitzensport sind (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018). Zahlreiche Studien bestätigen den Zusammenhang von negativen Emotionen, Verlust von Selbstvertrauen und Leistungseinbrüchen (Lane, 2007).
Eine weitere Ausprägung von Stress beschreibt VerhaltensänderungenAtenden- zen. Gereizte oder gar aggressive Reaktionen oder eine stärkere Fokussierung derAufmerksamkeit sind stellvertretende Kennzeichen (Semmer& Zapf, 2018). Phasen hoher Trainingsintensitäten und -umfänge bergen eine Vielzahl sportbezogene Stressoren. Mangelnde Erholung und chronischer Stress können zu Übertraining und Verletzungen führen. Anzeichen dafür sind neben Leistungseinbrüchen unterer anderen depressive Stimmungslagen, allgemeine Apathie, Reizbarkeit, Schlafstörungen, erhöhte Verletzungsanfälligkeit und hormonelle Veränderungen (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018).
Nicht nur ein Übertrainingszustand kann eine unausgewogene Erholungs-Beanspruchungs-Bilanz auslösen. Das Wechselspiel vielfältiger sportbezogener und alltäglichen Stressoren des modernen Spitzensports kann zu unzureichender Erholung und Frustration führen (Beckmann & Ehrlenspiel, 2018).
Inwiefern sich Social Media als Stressor auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirkt, wurde in bisherigen Studien nicht untersucht. Fest steht, dass die SocialMedia-Nutzung in vielen Forschungen mit schlechterer Schlafqualität, Stress, geringerem Selbstwertgefühl, erhöhter Angst und Depression assoziiert wird (Woods & Scott, 2016). Symptome wie diese könnten als zusätzliche alltägliche Stressoren die sportliche Leistungsfähigkeit von Spitzensportlern beeinflussen und schließlich zu Leistungseinbrüchen beitragen.
Die folgenden Social-Media-Grundlagen dienen dem Zweck, den soeben beschriebenen Zusammenhang von Social-Media-Nutzung und psychischen Auswirkungen in Kapitel 2.4 nachzuvollziehen.
2.3 Social-Media-Grundlagen
In den vergangenen Jahren hat sich das Gefüge öffentlicher Kommunikation verändert. Der Zugang zur Ebene der öffentlichen Kommunikation war früher ausschließlich Journalisten der Massenmedien vorbehalten, die als institutionalisierte Gatekeeper die Berichterstattung kontrollierten. Erst mit der Entstehung des Web 2.0 wurden offene Zugangs- und Partizipationsmöglichkeiten geschaffen, die zu einem Paradigmenwechsel in der öffentlichen Kommunikation führten. Mit Social Media wurde das klassische Kommunikationsverhalten „One-to-Many“ durch das interaktive „Many-to-Many“ Kommunikationsmodell ersetzt (Grabs et al., 2018). Die massenhafte Verbreitung von Social-Media-Anwendungen veränderte „die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, kollaborieren, wie sie Informationen bereitstellen und konsumieren“ (Stieglitz et al., 2014)
Social Media umfasst einen Sammelbegriff internetbasierten Applikationen, die ihren ideologischen und technologischen Ursprung im Web 2.0 haben. Dabei beschränkt sich Social Media nicht nur auf Facebook, Instagram, YouTube und Blogs (vgl. Kapitel 2.3.1). Der Begriff Social Media steht „für den Austausch von Informationen, Erfahrungen und Sichtweisen mithilfe von Community-Website“ (Weinberg, 2010, S. 1). So können geografische Hürden zwischen den vernetzten Menschen und ihren Inhalten überwunden werden. Da jeder auf sie zugreifen kann, hat Social Media die Medienlandschaft massiv beeinflusst. „Heute gibt es YouTuber, die täglich mehr Menschen erreichen, als so manche TV-Schmon- zette an einem Sonntagabend an Einschaltquoten einspielt“ (Grabs et al., 2018, S. 35). Die rasante Weiterentwicklung von Social Media-Anwendungen und „die massenhafte Adaptation von Social Media im privaten Umfeld als persönliche Alltagsbereicherung“ (Stieglitz et al., 2014, S. 101) steigert ihren Stellenwert als Kommunikationskanal und zieht das Interesse verschiedenerer Forschungsbereiche auf sich.
2.3.1 Arten von Social Media
Social Media umfasst eine Vielzahl an Online-Plattformen, „mittels deren Nutzer Inhalte für virtuelle Gemeinschaften erstellen und abrufen können und die ferner daran anknüpfen soziale Interaktionen zu fördern“ (Weinberg, 2014, S. 219). Da Social Media nur einen Sammelbegriff internetbasierter Applikationen beschreibt, werden die verschiedenen Online-Plattformen zunächst kategorisiert.
Weinberg et al. (2014, S.1) definiert diese wie folgt:
- Netzwerke wie Facebook und Google+.
- Standortbezogene Networking-Dienste wie Foursquare/Swarm.
- Blog und Mikroblogs wie Twitter und Tumblr.
- Bild- und Videoplattformen wie Pinterest, Instagram und You-Tube.
- Klassische Messaging-Dienste wie Whats-App.
- Kollektiv erstellte Nachschlagwerke wie Wikipedia.
- Podcasts und Videoblogs.
- Empfehlungs- und Bewertungsplattformen wie Yelp.
- Diskussionsforen.
In dieser Einteilung finden sich selbstverständlich Überschneidungen. So ist die Zuordnung von Instagram als reine Bild- und Videoplattform nicht trennscharf, da Instagram auch als ein Netzwerk eingeordnet werden kann. Gleichzeitig sind Plattformen und Tools ständig im Wandel und es kommen täglich neue hinzu, während andere wieder verschwinden (Grabs et al., 2018). Dennoch verfolgen alle Plattformen dasselbe Ziel: die Kommunikation zu erleichtern und Gleichgesinnte weltweit zu verbinden.
2.3.2 Social Media im Spitzensport
Auch im Spitzensport haben sich die Möglichkeiten der öffentlichen Kommunikation geändert. Die many-to-many Kommunikation ermöglicht eine Kommunikationsautonomie der Spitzensportler. Der Wegfall von Publikationsschranken führt zu zahlreichen Partizipationsmöglichkeiten mit prinzipiell uneingeschränkter Reichweite (Schulze et al., 2014). Während in der TV- und Printberichterstattung Journalisten als Gatekeeper die Berichterstattung bestimmen, können Spitzensportler durch Social Media direkt mit der Öffentlichkeit in Kontakt treten. Trotz Olympiateilnahme sind viele Athleten nicht bekannt und erfahren nur geringe mediale Aufmerksamkeit. Vor allem in Randsportarten eröffnet diese Kommunikationsmöglichkeit neue Perspektiven und Zugangsmöglichkeiten zu ihren Fans. Jeder Spitzensportler „ist heute in der Lage, Informationen und Meinungen mit der ganzen Welt zu teilen“ (Burk & Grimmer, 2018, S. 63).
Social Media bietet Spitzensportler neben der Kommunikationsautonomie die Möglichkeit der Selbstinszenierung. Dabei kann der Sportler sich selbst drehbuchartig gezielt darstellen und ein eigenes Image für die Öffentlichkeit konstruieren. Erfolgreiche Social-Media-Profile versprechen ein enormes Potenzial zum Markenaufbau und zur Imagepflege von Sportlern (Scheffler-Perrone, 2019).
Bekannte Social Media-Präsenzen versprechen zudem ein enormes Potenzial für erfolgreiches Sportsponsoring. Immer mehr Spitzensportler nutzen Social Media mit dem Ziel sich selbst zu vermarkten. Diese Entwicklung verändert die Sportkommunikation sowohl für Sportler als auch für Sponsoren (Schulze et al., 2014). Schon immer verkörpern Spitzenathleten und Mannschaften ideale Werbepartner für die Wirtschaft. Erfolgreiche Sportler sind positiv konnotiert und eignen sich dadurch für ein großes Zielpublikum (Thiel et al., 2018). Neben herausragender sportlicher Leistung steigert heute auch eine große Anzahl an Follower und Fans das Interesse für potenzielle Sponsoren und Werbepartner. Diese Entwicklung des Sportsponsorings und die Social-Media-Aktivitäten der Konkurrenten zwingen auch nicht web-affine Sportler in diesem Bereich nachzuziehen.
Social-Media-Präsenz ermöglicht zudem gezielte Fankommunikation und Community Building. Als aktiver Teil der Community können Spitzensportler via Social Media auf die Bedürfnisse ihrer Fans eingehen und die Interaktion mit ihren Fans steigern. Social Media bieten dafür eine flexible persönliche Ebene der Kommunikation und Interaktion (Weinberg, 2011, S. 63). Dadurch wird die Sportkommunikation direkter und emotionaler (Schulze et al., 2014). Burk und Grimmer (2018, S. 60) haben die zentralen Merkmale dieses Austauschs zwischen Spitzensportler und Fans zusammengefasst:
- Information·. Fotos/Videos/Texte zu vergangenen Spielen/Wettkämp- fen, Gewinnspiele, Charity-Content.
- Partizipation·, aktive Beteiligung von Nutzern an der Produktion von Content (User Generated Content).
- Interaktion·, liken, favorisieren, teilen, weiterleiten und kommentieren.
Spitzensportler können dabei selbst entscheiden, mit wem sie wann interagieren oderwie viel sie mit ihren Fans teilen möchten (Scheffler-Perrone, 2019).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich aus der Symbiose zwischen Sport und Social Media zahlreiche Chancen ergeben. Gleichzeitig verlangt aktive Social Media-Arbeit mehr Zeiteinsatz, Disziplin und Professionalität der Darstellung (Scheffler-Perrone, 2019). Die Social-Media-Nutzung und die damit verbundenen Risiken werden im folgenden Kapitel näher erläutert.
2.4 Social-Media-Nutzung und der Einfluss aufdie Psyche
Social Media ist heutzutage „omnipräsent und so selbstverständlich wie einst das Telefon oder der Blick in die Zeitung“ (Grabs et al., 2018, S. 4). Schon lange gehören Social-Media-Angebote zum medialen Alltag und etablieren sich zunehmend in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig sammeln sich zunehmend Belege für einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Nutzung und verschiedenen Aspekten des Wohlbefindens. Im folgenden Kapitel wird der aktuelle Stand der Social-Media-Nutzung in Deutschland veranschaulicht und die damit eng verbundenen Nutzungsprinzipien erläutert. Anschließend werden anhand des aktuellen Forschungsstands mögliche Auswirkungen von Social-Media-Nutzung aufdie Psyche ihrer Nutzer beschrieben.
2.4.1 Social-Media-Nutzung
Facebook, Instagram und weitere Social-Media-Plattformen gehören schon lange zu unserem (medialen) Alltag und etablieren sich zunehmend in unsere täglichen Gepflogenheiten. 47 Prozent aller Deutschen können sich eine SocialMedia-Abstinenz nicht vorstellen (Grabs et al., 2018). Mehr als die Hälfte (57 %) der Social-Media-Nutzer checkt kurz vor dem Einschlafen ihre Accounts. Auch vor dem Aufstehen ist Social Media bei 44 Prozent der Nutzer Teil der täglichen Morgenroutine (Carius, 2018).
Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Social Networks weltweit beträgt zwei Stunden und 25 Minuten pro Tag. Mit einer Stunde und 24 Minuten täglich belegt Deutschland im internationalen Ranking Platz 43 (Statista, 2021).
Am aktivsten auf allen sozialen Netzwerken sind die Nutzer im Alter zwischen 14 und 29 Jahren. Das zeigen die Ergebnisse der britischen Millennium-Kohorten- studie. Zugleich verweisen die Ergebnisse auf geschlechtsspezifische Unterschiede in diesem Altersbereich. Mädchen nutzten häufiger und aktiver Social Media als Jungen. Fast doppelt so viele Mädchen (43,1 %) wie Jungen (21,9 %) nutzten Social Media drei oder mehr Stunden pro Tag (Kelly et al., 2018).
Einen Überblick über die Social-Media-Nutzung in Deutschland liefert die ARD/ZDF-Onlinestudie 2020. Hierfür wurden 3.003 Personen im Zeitraum von 09.03. bis 17.04.2019 im Alter ab 14 Jahren befragt. Die Ergebnisse beschreiben einen starken Zuwachs der Social-Media-Nutzer und eine ebenfalls zunehmende Nutzungsdauer. Die tägliche Zeit, die Menschen im medialen Internet verbringen steigt im Jahr 2020 um 21 Minuten im Vergleich zum Vorjahr. Die Nutzungsdauer im Altersbereich der 14- bis 29-Jährigen erhöht sich fast um eine Stunde (257 Min., +55 Min.).
Der Studie zufolge ist Instagram das aktuell meistgenutzte Social-Media-Netz- werk. 15 Prozent der Deutschen nutzen täglich Instagram (2019: 13 %). Damit überholt die Fotoplattform erstmals den traditionellen Spitzenreiter Facebook (14 %). Mit 7 Prozent Verlust zum Vorjahr gilt Facebook als einziger Verlierer der Onlinestudie 2020 (ARD/ZDF-Onlinestudie 2020, S. 473). Instagram ist vor allem für jungen Nutzern relevant. 53 Prozent der 14- bis 29-Jährigen nutzen Instagram täglich. Platz zwei belegt in dieser Altersgruppe Snapchat mit 27 Prozent gefolgt von Facebook mit 24 Prozent. Facebook wird im Vergleich zu anderen Plattformen mehr von älteren Zielgruppen genutzt. In Bezug auf die wöchentliche Nutzung bleibt Facebook mit 26 Prozent vor Instagram mit 20 Prozent.
Im geschlechtsspezifischen Vergleich der ARD/ZDF-Onlinestudie lässt sich festhalten, dass Frauen auf den beiden führenden Plattformen (Instagram und Facebook) häufiger täglich aktiv sind.
Welche Plattformen Spitzensportler favorisieren soll anhand der empirischen Untersuchung dieser Bachelorarbeit ermittelt werden.
Witkemperet al. (2016) klassifizieren in ihrer empirischen Arbeit die Nutzung von Social Media in der Sportindustrie anhand einer multidimensionalen Skalierung. Die Ergebnisse unterscheiden zwischen zwei eng miteinander verbundenen Dimensionen hoher/geringer Aktivität und Interaktivität. Dabei differenzieren die Forscher zwischen vier verschiedenen Quadranten. Niedrige Aktivität und Interaktivität beschreiben überwiegend passive Nutzung (d. h. lesen, sich informieren). Steigt die Interaktivität bei gleichbleibender geringer Aktivität, handelt es sich um proaktive Nutzung (d. h. kommentieren, liken, teilen). Der Quadrant hoher Aktivität und Interaktivität beschriebt kompetitive Nutzung. Dabei setzen
Nutzer Social Media als Wettbewerbsmedium ein, um mit anderen zu konkurrieren (z. B. Fantasy Sports). Sinkt die Interaktivität bei gleichbleibender Aktivität, handelt es sich um kooperative Nutzung. Social Media wird hierbei als Werbemedium genutzt (z. B. Teilnahme Gewinnspiele, Erwerben von Rabattcodes) (Witkemper et al., 2016). Diese multidimensionale Skalierung der Nutzung von Social Media auf der Grundlage verschiedener Quadranten kann auch auf das Nutzungsverhalten von Spitzensportler übertragen werden und bildet einen wichtigen Bestandteil zur Beantwortung der Forschungsfrage.
Durch die Differenzierung in verschiedene Quadranten entstehen verschiedene Motive der Social-Media-Nutzung (Utz, 2019). Aufgrund der zuvor beschriebenen wachsenden Nutzerzahlen und steigender Nutzungsdauer gewinnen die daraus resultierenden Nutzungsprinzipien immer mehr an Bedeutung. Als „Produser“2 agiert der Nutzer als Rezipient und Produzent von Daten, Informationen und Inhalten zugleich (Bruns, 2007). Himmelreich (2014) unterscheidet dabei anhand drei grundlegenden Nutzungsprinzipien:
1) Identitätsmanagement.
2) Beziehungsmanagement.
3) Informationsmanagement.
Identitätsmanagement beschreibt das Zugänglich-Machen bestimmter persönlicher Aspekte des Individuums. Darunterfällt das aktive Publizieren von Informationen über sich selbst wie beispielsweise das Aktualisieren des Profilbilds oder die Bekanntgabe des Beziehungs- oder Berufsstatus auf Facebook. Beziehungsmanagement umfasst das Pflegen, Erweitern oder Knüpfen von Kontakten. Beispielsweise können Freunde hinzugefügt werden oder auf Beiträgen verlinkt werden. Auch das Liken und Kommentieren artikuliert Freundschaften. Informationsmanagement beinhaltet Prozesse der Auswahl, Bewertung, Kommentierung und Verwaltung von Informationen (Himmelreich, 2014). Das Social Web bietet dafür viele spezifische Möglichkeiten wie zum Beispiel kollaborative Verschlagwortungssysteme. So erlaubt das Prinzip des Taggings Nutzern, Objekte im Social Web mit Schlagwörtern zu versehen. Tags können dabei von Nutzern selbst bestimmt werden und schaffen Orientierung in der Informationsfülle des Internets. Werden beispielsweise Personen in einem Beitrag eines anderen Nutzers getaggt, wird ein Link erstellt, durch den dieser Beitrag automatisch auf der Chronik oder dem Feed der Person aufgenommen werden kann. Auch Hashtags dienen der Informationsauswahl. Durch das Klicken auf einen Hashtag werden weitere Beiträge auf der ganzen Plattform angezeigt, die von ihren „Produ- sern“ mit demselben Hashtag versehen wurden. Dadurch kann auch gezielt die Reichweite von Beiträgen gesteigert werden.
Wie und wozu Spitzensportler Social Media nutzen, wurde bisher nicht empirisch untersucht. Auch die damit verbunden Auswirkungen von Social Media auf die Psyche, die im weiteren Verlauf ausführlich erörtert werden, bilden laut Status Quo eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt.
2.4.2 Auswirkungen von Social-Media-Nutzung auf die Psyche
Es sammeln sich zunehmend Belege für einen Zusammenhang zwischen SocialMedia-Nutzung und verschiedenen Aspekten des Wohlbefindens (Woods & Scott, 2016). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Social-Media-Nutzer positiv und negativ gesundheitlich beeinflusst werden können. Die nachfolgenden diskutierten Studien beschreiben diese Ambivalenz und wurden gegenstandsbezogen zusammengetragen.
[...]
1 Das in dieser Bachelorarbeit gewählte generische Maskulinum bezieht sich zugleich aufdie männliche, dieweibliche und andere Geschlechteridentitäten. Zur besseren Lesbarkeit wird auf die Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Alle Geschlechteridentitäten werden ausdrücklich mitgemeint, soweit die Aussagen dies erfordern.
2 Wortschöpfung aus den Begriffen „producer“ und „user“.
- Arbeit zitieren
- Alina Böhm (Autor:in), 2022, Nutzung und Wirkung von Social Media im Spitzensport am Beispiel von Judo, Leichtathletik und Turnen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1356209
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