Befindet sich im Lebenslauf eines Individuums der Punkt, dass ein Internat besucht wurde, so löst dies für den Großteil der Gesellschaft eine direkte Assoziation mit einem elitären Bildungsstandort aus und zeugt von einer gewissen Privilegierung. Ist es in der Regel doch so, dass der Bildungsstandard sich (im Vergleich zu einem Großteil der Regelschulen) auf einem höheren Niveau befindet – speziell im Hinblick auf Ergebnisse summativer Leistungsbewertung – und dies einen Vorteil der Internats-Schülerinnen und -Schüler gegenüber anderen darstellt. Doch wie genau gelingt es dem Internat, dass Schülerinnen und Schüler hier ein größeres Maß an Leistung und Engagement aufbringen? Und lassen sich diese Einflussfaktoren mit jenen gleichsetzen, wie sie auch bei gierigen bzw. totalen Institutionen Verwendung finden? Aspekte, denen vor einem soziologiespezifischen Hintergrund im Rahmen dieses Essays Aufmerksamkeit gezollt werden soll, um so das Internat möglicherweise zwischen diesen verschiedenen Typen von Institutionen verorten zu können. Im Folgenden werden zunächst die Fachtermini definiert und anschließend der erwähnte Versuch einer Verortung unternommen, um abschließend besagte Frage zu beantworten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Internat
3. Die verschiedenen Formen von Institutionen
3.1 Gierige Institutionen
3.2 Totale Institutionen
4. Einordnung des Internats in die Institutionsformen 5
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Befindet sich im Lebenslauf eines Individuums der Punkt, dass ein Internat besucht wurde, so löst dies für den Großteil der Gesellschaft eine direkte Assoziation mit einem elitären Bildungsstandort aus und zeugt von einer gewissen Privilegierung. Ist es in der Regel doch so, dass der Bildungsstandard sich (im Vergleich zu einem Großteil der Regelschulen) auf einem höheren Niveau befindet – speziell im Hinblick auf Ergebnisse summativer Leistungsbewertung – und dies einen Vorteil der Internats-Schülerinnen und -Schüler1 gegenüber anderen darstellt (vgl. Dannbeck 2005: 56). Doch wie genau gelingt es dem Internat, dass SuS hier ein größeres Maß an Leistung und Engagement aufbringen? Und lassen sich diese Einflussfaktoren mit jenen gleichsetzen, wie sie auch bei gierigen bzw. totalen Institutionen Verwendung finden? Aspekte, denen vor einem soziologiespezifischen Hintergrund im Rahmen dieses Essays Aufmerksamkeit gezollt werden soll, um so das Internat möglicherweise zwischen diesen verschiedenen Typen von Institutionen verorten zu können. Im Folgenden werden zunächst die Fachtermini definiert und anschließend der erwähnte Versuch einer Verortung unternommen, um abschließend besagte Frage zu beantworten.
2. Das Internat
Das Internat kann als ein international bekanntes und etabliertes Organisationsmodell einer Bildungseinrichtung für Schülerinnen und Schüler angesehen werden. Anders als bei Regelschulen, weist das Internat die Besonderheit auf, dass sich Lern- und Wohnort der SuS überschneiden. Besucht eine Schülerin oder ein Schüler ein „normales“ Gymnasium, so beschränkt sich der tägliche Aufenthalt hier meist auf eine Zeit zwischen morgens und nachmittags. Durch die Verschmelzung der Aufenthaltsorte innerhalb eines Internats, sind die SuS hier gezwungenermaßen dauerhaft sowohl in der Schule als auch „Zuhause“. Mögliche Gründe für den Internatsbesuch sind exemplarisch eine individuellere Betreuung der SuS, hiermit einhergehende größere Kontrollmöglichkeiten und ein breites Angebot an Freizeitaktivitäten (vgl. Gonschorek 1979: 257ff.). Um eben diesen Eigenschaften gerecht zu werden, stellen Internate verschiedenste Ansprüche an die SuS, die an sich und ihrem Charakter genauer beleuchtet werden sollen.
3. Die verschiedenen Formen von Institutionen
Institutionen als ein physischer Ort der Zusammenkunft gewisser Personengruppen, stellen genau diese verschiedensten Ansprüche, wie exemplarisch einem Exklusivitätsanspruch und einem hohen Maß an Aufopferung, an ihre Mitglieder. Allerdings kann hier eine mehrfache Differenzierung vorgenommen werden. Die Quantität der Ansprüche, das Maß einer strikten Durchsetzungsforderung, etwaige Sanktionen bei Nichtbefolgung respektive Verstoß und die eingeforderte Aufopferungsbereitschaft sind nur einige Aspekte, die einer solchen Differenzierung unterliegen (sollten). Der Ausprägungscharakter kann hier als Hilfsmittel fungieren, um die – für unsere Zwecke ausreichende – Trennung von gieriger und totaler Institution vorzunehmen2.
3.1 Gierige Institutionen
Der Terminus der gierigen Institution wurde erstmalig von Lewis A. Coser in seinem gleichnamigen Werk eingeführt. Er bezeichnet eine Gruppe, die „allumfassende[-] Ansprüche [an ihre Mitglieder hat] und uneingeschränkte Loyalität von ihnen verlangt“ (Klimke et. al. 2020: 345). Sie [ g. I. ] neigen „eher dazu […], sich hauptsächlich auf nichtphysische Mechanismen zur Trennung des Mitglieds von der Außenwelt zu stützen“ (Coser 2015: 5), die sich auf freiwilligen Entscheidungen des Individuums stützen, um ihrer Autorität Geltung zu verleihen. Auch sehen sie sich in einer konkurrierenden Position gegenüber jeglichen anderen Einrichtungen, die ihre Existenz in Frage stellen würden (vgl. ebd.: 4ff.).
3.2 Totale Institutionen
Ebendieses totalitäre Verständnis ist jedoch unter keinen Umständen gleichzusetzten mit dem Totalen, wie es im Terminus der totalen Institution gemeint ist. Eine solche Institution muss nach einer Forderung Cosers von „seinen“gierigen Institutionen trennscharf separiert werden. Bereits Machttheoretiker wie Michelle Foucault beschäftigten sich mit dieser besonderen Erscheinungsform, die später von Erving Goffman als „Organisation [definiert wurde,] die die in ihr lebenden Menschen einer einzigen Autorität unterw[irft]“ (Goffman in Klimke et. al. 2020: 558) und sie in der Freizügigkeit und im Zugang zur „Außenwelt“ (mit Hilfe von physischen Barrieren) beschneidet (Coser 2015: 5). Zudem ist hier besonders zu erwähnen, dass das Leben der Mitglieder an einer Stelle stattfindet, de facto existiert keine Trennung zwischen Arbeits-, Wohn- und Aufenthaltsort (vgl. Scheutz 2008: 5), auch wenn dies als ein nachträglicher Zusatz innerhalb des sozialwissenschaftlichen Diskurses verstanden wird, der bei den ursprünglichen Überlegungen Cosers nicht berücksichtigt wurde.
4. Einordnung des Internats in die Institutionsformen
Zugespitzt kann das Ziel eines Internats formuliert werden, als dass es seine „Insassen“ bei ihren arbeitsähnlichen Zielen kontrollieren will (vgl. ebd.), um einen (Lern-)Erfolg sowohl für sich selbst3 als auch für die betroffenen SuS sicherzustellen. Doch anhand ausgewählter Kriterien kann eine Überprüfung des Typenstatus vorgenommen werden, der mit besagter Zielsetzung gegebenenfalls einhergeht. Wenn exemplarisch der Aspekt der Sozialität beleuchtet wird, so sagt Goffman, dass „allumfassende Beschränkung[en] des sozialen Verkehrs vorgenommen werden“ (Stöver 2010: 3).
So lässt es sich bekanntlich in den verschiedenen idealtypischen Extrema der totalen Institutionen beobachten, wie in Gefängnissen; das sog. Panoptikum4 als ein architektonischer Entwurf, welcher den Insassen das Gefühl einer permanent (möglichen) Überwachung suggerieren sollte, sei explizit auch für schulische Bildungsstätten angedacht gewesen (vgl. Ross 2015: 14). Die vorwiegend psychischen Bindungsmechanismen zur Gewinnung von Loyalität wie sie bei Coser Verwendung finden, werden an dieser Stelle somit generell auch auf physische Maßnahmen erweitert. Dieser Fakt ist vor dem Hintergrund der versuchten Einordnung durchaus interessant und relevant, projiziert er den Grundgedanken totaler Institutionen eindeutig auch auf das Internat.
Setzen wir ebendieses allerdings mit dem Terminus der gierigen Institution gleich, so eröffnet sich ein Paradoxon, definiert Coser auch das soziale Gebilde der Familie per se als gierig. Dies wirkt in folgendem Punkt widersprüchlich: Die Erziehungsberechtigten (als Familie) schicken ihr Kind auf ein Internat – anders gesagt, eine gierige Institution weist ihr „Mitglied“ dazu an, sie zu verlassen, um eine andere gierige Institution zu besuchen. Schwer vorstellbar, herrscht zwischen den verschiedenen Typen so ein Spannungsverhältnis, welches Coser als „konkurrierende[-] Forderungen nach Zugehörigkeit“ (Coser 2015: 13) bezeichnet. Es lässt sich mithin also die These aufstellen, dass dieses Konkurrenzverhalten respektive Paradoxon bereits ein Indiz dafür sein könnte, die endgültige Verortung des Internats bei den totalen Institutionen vorzunehmen. Eine erneute Gegenüberstellung argumentiert wiederum dagegen. Qualitative repräsentative Studien haben dargelegt, dass innerhalb der Schülerschaft eines Internats ein wahres Konkurrenzverhalten besteht. Dieser Leistungsdruck und das damit einhergehende Verlangen nach einem messenden Vergleich mit anderen SuS wird in der Fachliteratur auch als Peer-pressure bezeichnet, was zudem indirekt einen gewissen Konformitätsdruck bei den SuS auslöst (Deppe 2019: S. 222). Dieses soziologische Instrumentarium allerdings ist identisch mit jenem, wie es auch Coser beschreibt; auf die Mitglieder wird ein stetiger „konkreter […] Druck in Richtung Anpassung und Kompromiss aus[ge]übt“ (Coser 2015: S. 140), wobei hier gleichwohl die Freiwilligkeit des Individuums erneut angeführt werden muss, wie er [Coser] sie explizit betont.
5. Fazit
Diese vorangegangen Gegenüberstellungen von Kriterien respektive Merkmalen der gierigen und der totalen Institution lässt zunächst also folgende Feststellung zu: Rein kriteriengeleitet ist keine trennscharfe Zuordnung möglich, weder für den einen noch für den anderen Typus. Nach dem Ausschlussverfahren zu versuchen, das Internat einer der Kategorien zuzuordnen wäre an dieser Stelle selbstredend nicht möglich, bedingen sich bestimmte Eigenschaften wie gezeigt gegenseitig.
Wenn allerdings die Fragestellung, wie sie bereits in der Einleitung formuliert wurde, zur Hilfe herangezogen wird, so wird eines deutlich; Die Einflussfaktoren, wie sie in einem Internat Verwendung finden, um unter anderem einen höheren Leistungsdruck aufzubauen, der auf überdurchschnittliche Lernerfolge abzielt, sind identisch mit denen, wie sie bereits aus den Punkten 3.1 und 3.2 bekannt sind. Auch, wenn Goffman das Beispiel des Internats als Idealtypus anführt (vgl. Coser 2015: S. 15), so ist es doch durchaus bemerklich, welch eine enorme Schnittmenge zwischen beiden „Räumen“ zu Tage tritt. Da ebendieser Fakt zweifelsohne nicht ignoriert werden kann, ein kurzer Blick auf den Titel des Essays: Das Internat als Bildungseinrichtung zwischen gieriger und totaler Institution. Eine Verortung, wie sie im Rahmen dieses Essays vorgenommen werden sollte, ist somit geschehen. Auch, wenn das Internat an sich nicht eindeutig als gierige Institution oder totale Institution tituliert werden kann, so befindet es sich doch zwischen beiden Typen – ebenso wie sich die Schnittmenge zwischen (mindestens) zwei Feldern befindet. Ob gierig oder total, eine Attribuierung, die in Dependenz zum Grad der Ausprägung der jeweiligen Kriterien der Institutionsform steht.
[...]
1 Im Folgenden wird hierfür die Abkürzung SuS verwendet.
2 Ggf. kann der Oberbegriff des Internats noch in weitere Arten aufgeteilt werden, jedoch reicht für diesen Essay aus, eine Differenzierung der bei 3.1 und 3.2 genannten Typen vorzunehmen. Subsummiert werden ausschließlich ebendiese betrachtet.
3 In dem Punkt, dass eine solche Institution bedingt als lernfähig dargestellt werden kann.
4 Hier verwendet als ein Terminus, der vor allem von Jeremy Bentham und Michel Foucault eingeführt/ geprägt wurde.
- Citar trabajo
- Patrick Raese (Autor), 2023, Das Internat als Bildungseinrichtung zwischen gieriger und totaler Institution, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1351686
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