Die vorliegende Bachelorarbeit untersucht mögliche Wirkungen der „Field-Supervision“ auf Risiko-, Qualitäts- und Wissensmanagement im deutschen Rettungsdienst. Sie beschreibt zunächst relevante Aspekte der Supervision im Allgemeinen und dann die „Field-Supervision“ der Berufsrettung Wien. Es wird verdeutlicht, dass der Begriff der Supervision nicht leicht zu fassen ist, vielerlei Funktionen einnehmen kann und sich auf die Ergebnisse mehrerer Bezugswissenschaften bezieht. Im Hauptteil der Arbeit werden auf der Basis eines eigens durchgeführten Literatur-Reviews, Belege für den Nutzen des Konzeptes von Supervision und Coaching in Problemfeldern des deutschen Rettungsdienstes herausgearbeitet. Die Ergebnisse der Analyse geben Hinweise auf Einsatzmöglichkeiten und Effekte in Personalentwicklung und Empowerment im Bereich der Qualitätsverbesserung, auf Chancen zur Stärkung von „non-technical-skills“, zur Erhöhung der Patientensicherheit und auf Möglichkeiten der Einflussnahme auf Fehlerkultur im Risikomanagement. Alles zusammen kann der Förderung und Transferunterstützung im Bereich von Wissen und Fertigkeiten durch Coaching- und Supervisionsangebote in Aus- und Fortbildung dienen.
This bachelor thesis examines the possible effects of "field supervision" on risk, quality and knowledge management in the German rescue service. It first describes relevant aspects of supervision in general and then discusses the "field supervision" method used in the Vienna rescue service. Subsequently, the thesis examines the concept of supervision, which is not easy to grasp and has various meanings in different areas of research. In the main part of the work, evidence for the benefit of supervision and coaching in problem areas of the German rescue service will be discussed based on a review of the existing literature. The results provide evidence for the possible use of field supervision and its effects. Field supervision can influence personnel development, quality improvement, opportunities to strengthen "non-technical skills", patient safety, and the error culture of emergency services. Through coaching and supervision, field supervision could allow emergency services to improve much-needed skills that empower them to fulfil their tasks more effectively.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung:
Abstract:
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Fragestellung
3 Die Rolle von „Feld-Supervision“ im Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement des Rettungsdienstes
3.1 Beratungsformat „Supervision“
3.1.1 Ziele der Supervision
3.1.2 Feld-Supervision im Rettungsdienst
3.2 Feld-Supervision und Qualitätsmanagement
3.2.1 Feld-Supervision und Risikomanagement
3.2.2 Feld-Supervision und Wissensmanagement
4 Methode: Systematic Literatur Review
4.1 Literatursuche zum Review
4.1.1 Festlegung Rechercheprinzip
4.1.2 Auswahl der Suchkomponenten
4.1.3 Auswahl der Fachdatenbanken/Datenquellen
4.1.4 Welche Suchbegriffe wurden verwendet?
4.1.5 Identifikation von Schlagwörtern
4.1.6 Entwicklung Suchstring
4.1.7 Prüfung Suchstrings
4.1.8 Durchführung und Dokumentation der Recherche
4.1.9 Ergänzende Recherchen
4.1.10 Rechercheergebnisse
4.2 Inhaltliche Auswertung der Literaturquellen
4.3 Bewertung und Interpretation
5 Ergebnisse
6 Diskussion und Limitationen
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
Anhang I: Synopse
Anhang II: Rechercheprotokoll
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Tab. 1 Bezeichnung der Suchkomponenten nach ECLIPSE
Tab. 2 Begriffsmatrix
Tab. 3 Schlagwörter Pubmed
Tab. 4 Einschluss- und Ausschlusskriterien
Tab. 5 Übersicht eingeschlossene Publikationen
Tab. 6 Übersicht ausgeschlossener Publikationen nach der ersten Sichtung
Tab. 7 Kategorieensystem
Tab. 8 Übersicht Forschungsdesigns und Felder
Tab. 9 Zeitliche und örtliche Verteilung der Publikationen
Tab. 10 Häufigkeiten Fundstellen je Kategorie
1 Einleitung
Der Rettungsdienst als Dienstleistung im Gesundheitssektor und die Berufsbilder im Rettungsdienst durchlaufen eine rasante Entwicklung (Pfütsch, 2020). Äußere Einflüsse wie der demographische Wandel, veränderte Krankenhausstrukturen, neue gesetzliche Regelungen und abnehmende ärztliche Versorgungsstrukturen führen zu steigenden Einsatzzahlen und veränderten Anforderungsprofilen an die Akteure (Sieber et al., 2020). Zugleich rücken die Dienstleistungsqualität und das Qualitätsmanagement im Rettungsdienst immer stärker in den Fokus, weshalb Forderungen nach Qualitätsmanagement wie im Gesundheitswesen immer nachdrücklicher in Vergabeverfahren und die zugehörigen gesetzlichen Regelungen zur Leistungserbringung Einzug erhalten (Runggaldier & Flake, 2013).
Die Mitarbeiter*innen des Rettungsdienstes, die Notfallsanitäter*innen und Rettungsassistent*innen werden vom Bundesgesundheitsministerium in der Liste der Gesundheitsberufe aufgeführt (Bundesministerium für Gesundheit, 2020). Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) führt den Rettungsdienst als wichtigen Teil der Notfallversorgung auf (Lanz et al., 2020). Mit dem Notfallsanitätergesetz von 2014 wurde die berufliche Tätigkeit im Rettungsdienst aufgewertet, verbunden mit einer umfassenden kompetenzorientierten Weiterentwicklung des Berufsbildes (Pfütsch, 2020). Besonders spürbar sind die damit verbunden Herausforderungen und Konflikte für die Menschen, die diese neue Berufsbezeichnung führen ohne das damit verbundene Kompetenzniveau erreicht zu haben. Da der Eintritt in den Beruf Notfallsanitäter*in für Rettungsassistent*innen nur über eine Prüfung und für eine begrenzte Zeit möglich ist, müssen diejenigen mit der Berufsqualifikation ‚Rettungsassistent*in‘ um ihr verbliebenes Einsatzfeld in der Notfallrettung bangen und werden zukünftig ganz aus diesem verschwinden.
Sowohl das höhere Management als auch Notfallsanitäter*innen auf der operativen Ebene agieren in einer „high reliability organization“ (HRO) mit besonderen Anforderungen an interdisziplinäre Handlungskompetenz und in einer Haltung permanenter Achtsamkeit, und Orientierung an den Standards einer hoch entwickelten Sicherheitskultur. Zugleich sind sie erheblichem Druck durch die hohe psychische und physische Belastung der Tätigkeit ausgesetzt und werden an der Qualität ihrer Arbeit und am professionellen Umgang mit Risiken und Wissen gemessen
Die Verbesserung von Abläufen, Strukturen und Standards im Sinne eines Qualitätsmanagements steht im Rettungsdienst in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Risikomanagement und dem Wissensmanagement. Der Austausch von Fachwissen und die Möglichkeit sich proaktiv auf Risiken einzustellen sind wesentlich für ein gutes Qualitätsmanagement im Rettungsdienst. Die „Feld-Supervision“ wird als eine Methode beschrieben, mit der Risiko-, Qualitäts- und Wissensmanagement gewinnbringend verbunden werden können.
Seit zwei Jahren hat das Thema „Field Supervision im Rettungsdient“ immer wieder mein Interesse geweckt, zuletzt anlässlich der Lektüre eines Artikels in der Fachzeitschrift ‚Rettungsdienst‘. Der Beitrag „Das Field-Supervisor-System: Bewährte Praxis im Wiener Rettungsdienst“ (Girsa, 2019, S.960–963) festigte endgültig mein Vorhaben, dieses Thema intensiver zu bearbeiten. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Dozent für Team Ressource Management (TRM) stellte sich die Frage, ob eine Weiterentwicklung bestehender Qualitätsmanagementsysteme (QMS) über ein Supervisionssystem sinnvoll und möglich ist. Das Interesse an der Thematik wurde bestärkt durch meine persönlichen Erfahrungen im Feld; dabei motivierte mich insbesondere der durch meine Tätigkeit als Trainer gegebene Austausch über erlebte Herausforderungen im Berufsleben der Rettungsdienstmitarbeiter*innen. Während meines Studiums an der Ostfalia, wurde der fachliche Austausch mit Kolleg*innen aus dem Rettungsdienst noch intensiver. Im Studienverlauf lernte ich dann die aktuellen Sammelwerke „Herausforderungen Rettungsdienst“, „Risikomanagement im Rettungsdienst“ und „Zukunftswerkstatt Rettungsdienst“ kennen, die eine Reihe interessanter Beiträge enthalten, unter anderem beispielsweise den Bericht von Christoph Redelsteiner über das Feldsupervisor*innen Modell in Österreich (Redelsteiner, 2018b).
Diese Arbeit wird im Folgenden zunächst die Fragestellung konkretisieren. Daraufhin wird im dritten Kapitel der zentrale Begriff „Supervision“ geklärt und hin zum Konzept der „Feld-Supervision“ im Rettungsdienst erweitert, bevor daran anschließend näher auf „Qualitätsmanagement“, „Risikomanagement“ und „Wissensmanagement“ eingegangen wird und diese Tätigkeiten in den Kontext des Feld-Supervisionssystems gestellt werden.
Danach wird in Abschnitt vier das methodische Vorgehen der vorliegenden Arbeit beim Sammeln und Bewerten der Literatur dargelegt. Die Ergebnisse der rezeptiven Analyse werden – bezogen auf zuvor formulierte Hypothesen – im fünften Kapitel dargestellt und im sechsten Kapitel diskutiert. Die Arbeit endet mit einem Fazit zum Vorgehen, zu den Ergebnissen und mit der Formulierung offener Fragen.
2 Fragestellung
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel auf dem Weg einer möglichst umfassenden Literaturrecherche Potentiale, die mit der Anwendung des Konzeptes „Feld-Supervision“ im deutschen Rettungsdienst in den Bereichen Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement verbunden sind, herauszuarbeiten. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt daher auf dem Nachweis dokumentierter Effekte in den genannten Steuerungsbereichen, verbunden mit der Annahme, dass das Qualitätsmanagement im Rettungsdienst mit Risikomanagement und Wissensmanagement eng verwoben ist.
Folgende zentrale Fragestellung wurden der Arbeit zu Grunde gelegt:
Inwieweit ist die „Field Supervision“ geeignet, um bestehende Problemfelder in den Bereichen Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement im deutschen Rettungsdienst lösungsorientiert zu bearbeiten?
Im Folgenden werden die Begriffe „Feld-Supervision“ für das System und „Feldsupervisor*innen für die Professionellen verwendet. Abgewichen wird davon in Zitaten, in denen andere, oft englische Begriffe verwendet werden.
3 Die Rolle von „Feld-Supervision“ im Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement des Rettungsdienstes
Zur Beantwortung der Forschungsfrage müssen zunächst vier Konzepte und deren Zusammenhang näher erläutert werden: Feld-Supervision, Qualitäts-, Risiko- und Wissensmanagement im Kontext rettungsdienstlicher Dienstleistung und aktueller Problemlagen im Rettungsdienst. Zuerst werden die Supervision generell und die Feld-Supervision spezifisch diskutiert. In einem zweiten Schritt werden Hypothesen generiert, die die jeweiligen Zugriffschancen der Feld-Supervision für die drei Arten des Managements im Rettungsdienst darstellen.
3.1 Beratungsformat „Supervision“
Der Begriff „Supervisor“ bedeutet im englischsprachigen Raum ‚Vorgesetzter‘. Dies führt im Zusammenhang mit dem Beratungsform „Supervision“ und den in dieser Methode ausgebildeten Berater*innen, die als „Supervisor*innen“ benannt werden, zu einer unterschiedlichen Begriffsnutzung und folglich zu Verwechslungen und Missverständnissen außerhalb der Bezugswissenschaften (Soziale Arbeit, Psychologie und Pädagogik bzw. teilweise eigenständigem Wissenschaftszweig). Im englischsprachigen Raum ist Supervisor ein gängiger Begriff für eine operativ ausgerichtete Führungskraft oder einen direkten Vorgesetzten mit Überwachungsfunktion. Supervision im Kontext von Beratung setzt sich aus den Teilbegriffen „Super“ (= über) und „Vision“ (= Blick auf oder nach etwas) zusammen. Die Komponenten des Begriffs verweisen aber auch auf die Grundidee der Beratungsmethode „Supervision“, nämlich Weit- und Überblick zu bewahren bis hin zur Förderung des Erreichens von visionären, bewussten oder unbewussten Zielen. Diesem Sachverhalt widmet Nando Belardi in seinem Buch „Supervision und Coaching“ einen ganzen Abschnitt mit der Überschrift „Supervision - Ein missverständlicher Begriff“ (Belardi, 2020). Die Supervision als Beratungskonzept, hat ihren Ursprung in der Sozialen Arbeit und findet laut Belardi (Belardi, 2015, 2018, 2020) erste Erwähnungen im US-Amerika der 1880er Jahre im Bereich der Hilfe für und später der Ausbildung von Sozialarbeitern. Neben der Psychoanalyse haben auch andere Disziplinen einen beachtlichen Einfluss auf die methodische und wissenschaftliche Entwicklung der Supervision genommen, was zu ihrer Ausdifferenzierung, Erweiterung der Methodik und der Anwendungsmöglichkeiten geführt hat (Belardi, 2015, 2018, 2020). Renate Schwarz (Schwarz, 2007) gliedert unter Bezugnahme auf das Lehrbuch der Supervision von Ferdinand Buer (1999) die Entwicklung von Supervision in 4 Phasen. In der 1. Phase, ungefähr 1870 – 1920, findet sie ihren Ursprung in der Sozialarbeit, in welcher der Supervisor als Oberaufseher von freiwilligen Helfern und Berufsanfängern tätig wird. Die 2. Phase, ca. 1920 – 1970, ist geprägt durch Psychologisierung und Individualisierung; in dieser Periode nimmt insbesondere die Psychoanalyse Einfluss und bildet die Grundlage für die Akzeptanz des Supervisors als pädagogischem und therapeutischem Helfer in Handlungsfeldern der sozialen Arbeit. In der 3. Phase, von 1960 – 1970, erfolgt die Professionalisierung der Supervision. Sie wird zunehmend als Instrument der sozialen und politischen Einflussnahme akzeptiert und an Fachhochschulen entstehen erste Ausbildungsgänge. Die 4. Phase beginnt in den 1970 Jahren und setzt sich bis heute fort. Sie ist geprägt durch die Organisation der Supervision in Gesellschaften und Verbänden (Schwarz, 2007). Im deutschsprachigen Raum sind das die deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv) und ihre Partnergesellschaften, Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching (OEVS) sowie der Berufsverband für Supervision, Coaching und Organisationsberatung (BSO) in der Schweiz. Damit einher gehen Professionalisierungsprozesse, wissenschaftliche Analysen sowie die Qualitätssicherung und Zertifizierung von Supervisor*innen. Supervision ist heute ein interdisziplinär ausgerichtetes und anerkanntes, berufsübergreifendes Beratungsformat für Profit und Non-Profit Organisationen geworden (Schibli & Supersaxo, 2009, 20f), das sowohl für einzelne Personen als auch für Teams, Gruppen oder eine ganze Organisation angeboten wird (Schwarz, 2007, S.90–101). Dabei kann sie extern stattfinden oder von organisationsinternen Supervisor*innen auf allen Ebenen zum Einsatz kommen. Supervision bedient sich verschiedener theoretischer Ansätze und Techniken aus der Systemtheorie, der Psychoanalyse, der Psychodynamik und der Integrativen- oder Gestalttherapie. Mit diesen Hinweisen sind nicht alle Einflüsse auf die Praxis der Supervision und ihre wissenschaftliche Fundierung erwähnt. Hier soll nur angedeutet werden, wie breit die Ansätze und das Handlungsfeld sind (Schibli & Supersaxo, 2009, S.79–157).
3.1.1 Ziele der Supervision
Mit Belardi (Belardi, 2015, 2018, 2020) versteht man unter dem Begriff Supervision „Weiterbildungs-, Beratungs- und Reflexionsverfahren für berufliche Zusammenhänge“ mit dem Ziel, „Ratsuchenden [Supervisanden (Anm. d. Verf.)] zu helfen […] die Arbeitsergebnisse, die Qualität der Arbeit wie auch die Arbeitsbeziehungen zu den Kollegen, Kunden, Schutzbefohlenen, Schülern oder anderen Klientel-Gruppen“ zu verbessern, was auch die „Untersuchung organisatorischer Zusammenhänge unter ethischen Gesichtspunkten“ einschließt (Belardi, 2015, S.31). An dieser Stelle ist wichtig auf einen wichtigen Sachverhalt in der professionellen Beratungsform Supervision hinzuweisen. Mit ‚Supervisanden‘ sind die professionellen Berufsausübenden gemeint (im Fall des Rettungsdienstes Notfallsanitäter*innen, Notärzte und Notärztinnen, Rettungssanitäter*innen und andere Professionelle und ehrenamtliche Helfer im Rettungsdienst). Mit ‚Klientel‘ die Kunden der Professionellen (im Rettungsdienst die Patienten und Betroffenen, möglicherweise auch an der Versorgung beteiligte dritte professionelle Gruppen oder Personen). Es wird damit verdeutlicht, dass Supervisor*innen normalerweise keinen direkten Kontakt mit dem Klienten ihrer Supervisanden haben oder bei der Arbeit der Professionellen mit ihrem Kunden anwesend sind. Professionelle Supervision folgt dem Prinzip des Metaconsulting (Belardi, 2018, 58f).
Das Ziel einer Supervision besteht insbesondere darin, professionelle Arbeit zu verbessern. Dabei wird weniger auf fachliche Beratung im Sinne von kognitiver Erweiterung von Wissen und Fertigkeiten im Kontext des Berufsfeldes fokussiert als darauf, Interaktionen zu reflektieren, blinde Flecken der Wahrnehmung zu identifizieren, professionelle Haltungen zu unterstützen und vielleicht auch blockierende Übertragungen im Sinne der Psychotherapie bewusst werden zu lassen. Legt man das Modell der beruflichen Handlungskompetenz zu Grunde (Kultusministerkonferenz, 2007), könnte die Supervision am ehesten als Vermittlungshilfe für den Zugang in die Kompetenzdimensionen Selbst- und Sozialkompetenz verstanden werden und die Entwicklung von „non-technical-skills“ bei Supervisanden fördern. Bezugnehmend auf die angesprochenen Übertragungen versteht sich Supervision jedoch nicht als Psychotherapie von Personen, um persönliche Leiden zu lindern oder Krankheiten zu heilen. Sie ist vielmehr auf Beratung konzentriert und nutzt dabei psychotherapieähnliche Verfahren (z.B. Spiegelung oder Aufstellung). Die Supervisor*innen beachten die Grenzen zwischen Themen der Beratung und psychotherapeutisch relevanten Störungen ihrer Supervisand*innen und können ggf. beim Zugang zu geeigneteren Möglichkeiten der Beratung helfen. Die Supervision arbeitet angelehnt an die sokratische Methode‘ in dem Sinne, dass die Supervisand*innen selbst eine zufriedenstellende und nach Möglichkeit praktisch wirksame Antwort auf ihre Fragen und beruflichen Hausforderungen finden (Belardi, 2015, S.41–51). Die Supervision im beruflichen Bereich verfolgt das Ziel, zur Weiterentwicklung von Professionalität bei der Berufsausübung beizutragen und Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Das Wiener Rote Kreuz führte unter der Leitung von Christoph Redelsteiner nach amerikanischem Vorbild zuerst den Qualitätssicherungspartner und dann den Feldsupervisor im Rettungsdienst ein (Schmitz-Eggen, 2008). Redelsteiner bestimmt dessen Tätigkeit folgendermaßen: Ein Feldsupervisor ist ein: „eigens ausgebildeter fachkundiger Kollege, der bei besonders komplexen oder belastenden Fällen den Kollegen dabei unterstützt, den Überblick und Weitblick [...] zu bewahren und weitere Lösungsansätze zu identifizieren“ (Redelsteiner, 2018b, S.188). Dies kann während eines Einsatzes in Form von Coaching erfolgen, nach dem Einsatz in einem Debriefing oder im Berufsalltag geplant oder ungeplant.
3.1.2 Feld-Supervision im Rettungsdienst
Das System der Feld-Supervision kann als eine spezifische Form von Supervision gelten, die aus der Prozesssicherung paramedizinischer Notfallversorgungen entstanden ist. Das Konzept kommt aus den USA, wo der sogenannte „Emergency Medical (Field) Supervisor“ seit langer Zeit im Rettungsdienst eingesetzt wird, zu Beginn orientiert am Begriff „Supervisor“ im Sinne von Vorgesetzter und mit der Funktion, Führung und Kontrolle im Bereich des Einhalten von Standards am Einsatzort zu übernehmen, um eine gleichbleibende, überprüfbaren Versorgung zu erreichen. Redelsteiner (2018b) beschreibt eine differenzierte Entwicklung der Systeme in verschiedensten Ausprägungen über die Staaten der USA hinweg. Feldsupervisionen müssen in den USA nicht unbedingt fest an eine Person gebunden sein, ihre Aufgabe kann unter bestimmten Umständen auch zwischen Kollegen rotieren (Redelsteiner, 2018b, S.189). Eine aktuelle Tätigkeitsbeschreibung des „Emergency Medical (Field) Supervisors“ auf einer Internetseite für Berufsbeschreibungen in den USA lautet: “Emergency medical services supervisors use advanced paramedic training and leadership skills to oversee emergency medical technicians, while maintaining a safe working environment. […]. As an EMS supervisor, you must have exceptional leadership and management skills to motivate and guide workers. You must also have critical-thinking, problem-solving and analytical abilities.” (Work - Chron.com, 2020). Auch Girsa (2019), selbst „Field-Supervisor“ der Berufsrettung Wien, nimmt in seinem Artikel Bezug auf diese Tätigkeitsbeschreibung, um das Tätigkeitsfeld und die Aufgabendarstellung der Wiener „Field-Supervisorinnen“ zu beschreiben. Ähnliche Modelle sind auch in anderen Ländern zu finden, z.B. Dänemark, Irland, Großbritannien, Australien und Neuseeland (Redelsteiner, 2018b). Durch die systemischen Einflüsse der mehr ärztlich geprägten Rettungsdienste und die sehr umfängliche Betrachtung von Qualitätsfaktoren im Gesundheitswesen im deutschsprachigen Raum, wurde in den genannten Ländern die Feld-Supervision geprägt (Schmitz-Eggen, 2008). Die Feld-Supervision im deutschsprachigen Raum basiert auf dem unter 3.1.1 erläuterten, aus der Berufsberatung stammenden, Supervisionskonzept und wendet dies auf den spezifischen Kontext des Rettungsdienstes an. Feldsupervisor*innen im Rettungsdienst sind Supervisor*innen, die sich im Einsatz in erster Linie vom Notfallgeschehen lösen und auf klassische ‚weiche‘ Faktoren konzentrieren. Das Ziel besteht also weniger darin, dass Feldsupervisor*innen ihr technisches Wissen weitergeben. Vielmehr tragen sie zur Reflexion und Weiterentwicklung von implizitem Wissen und Fertigkeiten bei (Girsa, 2019; Redelsteiner, 2018b; Schmitz-Eggen, 2008). Der zentrale Unterschied zu Supervisor*innen generell besteht darin, dass sich Feldsupervisor*innen im Feld aufhalten (Belardi, 2018, 58f). Sie befinden sich hier mit den eigenen Mitarbeiter*innen (Supervisanden) und beobachten die tatsächliche Arbeit am Patienten (Klienten), die Interaktionen mit beteiligen Professionellen (Feuerwehr, Notärzte, Polizei usw.), weiteren, dem eigentlichen Einsatz vorausgehend bzw. nachfolgend aktiven Fachleuten (Notrufannahme, Disponenten, Pflegepersonal, Krankenhausärzte usw.) und anderen am Einsatz beteiligten Personen (Betroffene, Angehörige, Ersthelfer*innen). Sie leiten im Wissen um übergeordnete Strukturen (Organisation, Ausbildung) den zugehörigen Supervisionsprozess ein. Dabei gehören sie der sozialen Peergroup der Kolleg*innen an und sind präsente Ansprechpartner*innen für die Beteiligten. Eine Einteilung in drei Kategorien der Aufgaben von Feldsupervisor*innen nimmt Redelsteiner (2018a) vor.
Erstens: Mobiles Qualitätsmanagement als primäre Aufgabe unter Anwendung von Supervisionsmethoden und -prozessen sowie Datenerhebungen. Im Ausnahmefall bei Irrtum oder Fehlentscheidung, die die Patienten- oder Mitarbeitersicherheit gefährden oder ein Risiko für Anwesende bedeutet, greifen Feldsupervisor*innen unterstützend und kollegial ein, um die Sicherheit für alle zu gewährleisten. Girsa, selbst aktiver Supervisor bei der Berufsrettung Wien, beschreibt diesen Aufgabenteil so: „Der grundsätzliche Arbeitsauftrag der Field Supervisoren ist es, den Einsatz bzw. die Patientenversorgung der Notfallsanitäter und Notärzte wertfrei zu beobachten und zu dokumentieren“ (2019, S.961).
-Zweitens: Der Feldsupervisor oder die Feldsupervisorin stehen als zusätzliche Personalressource und kollegiale Teammitglieder zur Verfügung, wenn dies für die Patientenversorgung und oder das Team am Einsatzort erforderlich ist. Sie können auch entlastend für das versorgende Team und Rettungsdienstsystem in der Beratung und Betreuung von Angehörigen z.B. nach Todesfeststellung eingesetzt werden bis professionellere Hilfe vor Ort ist.
-Drittens: Die Rolle als First Responder (Voraushelfer) kann eingenommen werden aufgrund der Standortüberwachung des eingesetzten Fahrzeuges (Systemvoraussetzungen in der Berufsrettung Wien). Durch diese Fahrzeugstrategie können Eintreffzeiten verkürzt werden. Entscheidend zum Verständnis des Konzepts der Feldsupervision ist der Hinweis auf die Übernahme der Teamleiterfunktion beim Eintreffen vor anderen Rettungsmitteln, die mit einem Anteil von 25% der First Responder Einsätze angegeben wird (Redelsteiner, 2018a, S.43). Mit dieser taktisch sinnvollen Regelung wird auch eine symmetrische Peergroupkultur gefördert. Der Feldsupervisor oder die Feldsupervisorin übernimmt nun die Rolle des klassischen Teamleiters, muss die erforderlichen Entscheidungen im Sinne des Patienten treffen und/oder moderieren, wird dabei automatisch von anderen Kolleg*innen kritisch beobachtet und bekommt im Anschluss Feedback.
Redelsteiner (2018b) leitet in seinem Beitrag in „Zukunftswerksatt Rettungsdienst“ die Aufgaben der Feldsupervisor*innen aus acht Qualitätsmerkmalen des Rettungsdienstes ab: Sicherstellung, Zugänglichkeit, menschliche Anteilnahme, Angemessenheit, Zeitgerechtigkeit, Gleichmäßigkeit, Kosteneffizienz und besseres Patienten-Outcome. Diese acht Merkmale werden im Folgenden konkretisiert.
-Erstens: Sicherstellung beinhaltet, dass Feldsupervisor*innen Teil des Teams sein müssen und die Aufgaben des Rettungsdienstes in einer Weise erledigen, die den Notwendigkeiten des Rettungsdienstes entspricht. Dies unterscheidet sie von klassischen Supervisoren, die oft externe Experten sind, die in Organisationen den Mitarbeitenden beratend zur Verfügung stehen. Die Feldbezogenheit der Feldsupervisor*innen ist damit eine besondere Herausforderung, weil sie sowohl supervisorische als auch einsatzbezogene taktische und auf das Management bezogene Kompetenzen mitbringen müssen.
-Zweitens: Zugänglichkeit bedeutet zum einen, dabei zu unterstützen Hindernisse der Zugänglichkeit von Kunden zum Rettungsdienst zu erkennen, zu dokumentieren und die Bearbeitung von Lösungen zu fördern. Zugänglichkeit beinhaltet aber auch, dass Feldsupervisor*innen zeitnah für ihre Supervisanden zur Verfügung stehen. Dies ist besonders wichtig, weil Supervision als Beratungsangebot auf die Bereitschaft der Supervisanden und eine entsprechende Organisationskultur angewiesen ist.
-Drittens: Feldsupervisor*innen müssen menschliche Anteilnahme zeigen und fördern. Anteilnahme ist sowohl gegenüber Patientinnen und Patienten als auch gegenüber Kolleg*innen von zentraler Bedeutung im Rettungsdienst.
-Viertens: Angemessenheit erfordert, dass Feldsupervisor*innen die Angemessenheit von Einsätzen dokumentieren und mögliche Fehler so feststellen, dass diejenigen die Fehler machen nicht verurteilt werden und dass sie nicht zur Vertuschung von Fehlern beitragen, sondern versuchen, die Einsatzsituation proaktiv zu verbessern, sodass Fehler in Zukunft weniger wahrscheinlich werden. Die Arbeit der Feldsupervisor*innen hat hier eine aktive und eine passive Funktion. Aktiv geben sie Feedback und emotionale Unterstützung für Kolleginnen und Kollegen, die Fehler gemacht haben. Passiv kann die Dokumentation von Fehlerquellen dazu genutzt werden, die enthaltene Information später auszuwerten und zu analysieren. Diese Daten können dann zur Grundlage von Reformen des Arbeitsprozesses werden und beim Wissenstransfer aus dem Feld in die Ausbildung und das Management helfen.
-Fünftens: Zeitgerechtigkeit bezieht sich sowohl auf die Überwachung der systemischen und organisationalen Strukturen zur bedarfsgerechten Rettungsdienstplanung als auch auf die Analyse bzw. Reduzierung von unerwünschten „Zeitfressern“ am Einsatzort. Diese werden vom Feldsupervisor oder der Feldsupervisorin erfasst bzw. bei Bedarf im Sinne des Zeitmanagements am Einsatzort erledigt.
-Sechstens: Gleichmäßigkeit der Versorgung muss gegeben sein, unabhängig davon ob Einsätze in Ballungszentren oder ländlichen Regionen erfolgen. Feldsupervisor*innen führen eine kontinuierliche Analyse von Eintreffzeiten sowie die Begleitung und Nachbereitung von Einsätzen durch, sichern durch stichwortbezogene Präsenz (festgelegter Einsatzstichwortkatalog) die Kontinuität der Versorgung im gesamten Bereich und können durch systematische Beobachtung und Dokumentation eine entscheidende Informationsquelle für kontinuierliche Verbesserungsprozesse der operativen Teams in der Interaktion mit beteiligten Professionen sowie dem Management bilden.
-Siebtens: Feldsupervisor*innen übernehmen eine wichtige Rolle in der Steuerung der Kosteneffizienz. Sie erfüllen diese Aufgabe wie ihre Kolleg*innen im 24/7 Einsatz. Ihre aktive Beobachtung von und offene Kommunikation nach Einsätzen kann Überlastung des Personals und Ursachen dafür identifizieren, was sich dann in neue Dienstplanungen oder Vorhaltungen einbeziehen lässt. Während der Einsätze überwacht die Feld-Supervision auch den effizienten Materialeinsatz und schonenden Umgang mit Gerät. Kostenrelevanter oder verschwenderischer Materialeinsatz und unnötige Belastungen der rettungsdienstlichen Ausstattung können im wertschätzenden Mitarbeitergespräch verändert werden mit dem Ziel nachhaltiger zu arbeiten.
-Achtens: Feldsupervisor*innen führen Forschung im rettungsdienstlichen Feld durch, sowohl eigene als auch unterstützend für externe Forschungsprojekte, um das Patienten-Outcome durch die rettungsdienstliche Versorgung zu belegen und dringende Fragen aufzuwerfen. Daraus könnte evidenzbasierte rettungsdienstliche Praxis im Einsatz, der Ausbildung und dem Management entstehen (Redelsteiner, 2018b).
Nach der Darstellung von Grundlagen und Aufgaben der Supervision und spezifisch der Feld-Supervision, wird das Konzept im Folgenden auf die drei für die Forschungsfrage dieser Arbeit zentralen Bestandteile des Managements angewandt und es werden die Vorteile des Feldsupervisoren-Systems für diese in hypothetischer Form diskutiert.
3.2 Feld-Supervision und Qualitätsmanagement
Qualitätsmanagement bedeutet Management der Qualität und unter Management wird die Praktik der Führung und Leitung von Menschen und Ressourcen in Organisationen verstanden, wobei eine Organisation Personen und Personengruppen zusammenfasst, die eigene Funktionen mit Verantwortlichkeiten, Befugnissen und Beziehungen besitzen, um ihre Ziele zu verwirklichen (Deutsches Institut für Normung e. V., 2015b). Nach Henry Fayol (1916), einem der frühesten Managementtheoretiker, muss ein Manager „vorhersagen und planen, organisieren und verfügen, koordinieren und kontrollieren.“ (Swansburg, 1996, S.1). Unabhängig von der spezifischen Organisationsform in der es ausgeführt wird (Firma, Verwaltung, etc.), kann Management nach Koontz und O’Donnell (1955) in fünf Kernfunktionen unterteilt werden: 1. Planung (planning), 2. Organisation (organizing), 3. Personaleinsatz (staffing), 4. Führung (directing), 5. Kontrolle (controlling).
Nach dem Deutschen Institut für Normung (DIN) wird Qualität definiert als: „realisierte Beschaffenheit einer Einheit bezüglich der Qualitätsforderung“ (Brüggemann & Bremer, 2012, S.4). Und in der im Rettungsdienst hauptsächlich Anwendung findenden DIN EN ISO 9000 wird Qualität als „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“ bestimmt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Begriff „Qualität“ relativ zu Erwartung, Erfahrung und Wettbewerb bestimmt wird und auf definierte Anforderungen verweist. Ganz grundsätzlich bezieht sich Qualität auf eine Vereinbarung zwischen Lieferanten und Kunden, wobei diese Beziehung im Dienstleistungssektor und speziell im Gesundheitswesen, dem die Dienstleistung ‚Rettungsdienst‘ zugeordnet wird, Besonderheiten aufweist, die weiter unten ausgeführt werden.
Qualitätsmanagement geht auf den Ursprung der industriellen Produktion zurück, wenn Firmen vor dem Problem standen, wie sie Produkte massenhaft produzieren könnten ohne Einschnitte bei der Qualität der Produkte hinnehmen zu müssen. Frühe Formen des Qualitätsmanagements im Taylorismus und Fordismus konzentrierten sich auf die Zerlegung von Arbeitsschritten, sodass einzelne Mitarbeiter Expertise für spezielle Arbeitsschritte entwickeln und diese mit hoher Präzision und Schnelligkeit ausüben konnten. Allerdings wurden diese frühen Konzepte kritisiert, weil sie Motivationsverlust und Rückgang der Identifikation von Arbeitern mit den hergestellten Produkten zur Folge hatten (Brüggemann & Bremer, 2012). Die frühen Konzepte sahen Qualitätsmanagement als alleinigen Teil der Kontrollfunktion des Managements.
Das Verständnis von Qualitätsmanagement wurde mit den Arbeiten von Deming auf die Managementfunktionen ausgeweitet. Er präsentiert vierzehn Punkte, die bis heute als Bausteine einer der wichtigsten Theorien des Qualitätsmanagements angesehen werden können (Deming, 1982, 23f). Diese vierzehn Punkte vermögen das Qualitätsmanagement auf die fünf Funktionen von Management zu beziehen: das Planen, das Organisieren, den Personaleinsatz, das Leiten und das Kontrollieren.
Qualitätsmanagement als Teil von Planung wird in Punkt 1 von Deming betrachtet. Er fordert hier, ein kontinuierliches Streben hin zu einer Verbesserung des Produktes und des Service. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, der Markstellung und Schaffung neuer Jobs. In Punkt 2 warnt er, sich nicht auf Bestehendem auszuruhen, sondern die Herausforderungen des Marktes als Chance zu werten, um Verantwortung zu übernehmen, neue Managementstrategien zu verfolgen und Veränderungen zu ermöglichen.
Die Funktion des betrieblichen Organisierens spricht Deming unter Punkt 9 an und fordert das Überwinden von Grenzen zwischen Abteilungen, die Förderung von Kommunikation und Informationstransfer zwischen den Menschen in den Abteilungen. Befürwortet wird ein teamorientiertes Management, um Prozesse im Sinne der Produkt- oder Servicequalität besser abstimmen zu können. Weiter betont Deming unter Punkt 4 die Reduzierung der Gesamtkosten anstelle des Blicks auf den billigsten Lieferanten. Er fokussiert auf langfristige Vereinbarungen und Zusammenarbeit, um verlässliche Beziehungen zu schaffen.
Personaleinsatz thematisiert Deming unter Punkt 10, indem er unterstreicht, wie wichtig das Setzen positiver Ziele sei und wie unwirksam eine rein negative Kritik oder die Überbetonung von Fehlern von Mitarbeiter*innen. Wesentlich sei eine Identifikation mit dem Produkt und dem Unternehmen.
Dem Leiten und Führen kommt in Demings Empfehlungen ebenfalls hohe Bedeutung zu. Er modifiziert unter anderem den Begriff „Leadership“ (Punkt 7), indem er der traditionellen „Supervision“ einen neuen Charakter verleiht, weg von der reinen Kontrolle hin zu einer unterstützenden Haltung gegenüber direkt unterstellten Mitarbeiter*innnen; auch die Ebene der „Supervisoren“ (hier Führungskräfte) brauche Unterstützung und Geleit durch Leadership. Deming charakterisiert die Leitungs- und Führungsverantwortung damit, dass Mitarbeiter vielleicht in einem schlechten System arbeiten mögen, sie aber nicht schlecht sind. Die Punkte 11a und 11b umfassen enge Vorgaben, um die Steuerung durch Quoten usw. durch Leitungskultur („Leadership“) zu ersetzen.
Die Funktion des Kontrollierens wird von Deming mit der Einführung der Leadershipkultur verbunden, die zur Veränderung der Managementfunktion „Kontrolle“ betragen soll . In Punkt 8 betont Deming zudem, dass Angst vor Kontrolle auch das Verbergen von Fehlern zur Konsequenz haben kann, womit der Zugang zu organisationalem Lernen verschlossen bleibe.
Demings Arbeit ist richtungsweisend, weil sie das Lernen und die Weiterentwicklung der Mitarbeiter*innen in den Vordergrund stellte. Seine Hinweise empfehlen Organisationen die permanente Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter*innen durch Training (Punkt 6), Aus- und Weiterbildung sowie Selbstentwicklung (Punkt 13) und Supervision im Sinne von moderner unterstützender und Mitarbeiter*innen orientierter Führung und Leitungsarbeit (Punkt 7). Damit wird Qualitätsmanagement nicht nur als proaktiver Prozess verstanden, der sich unmittelbar auf die Lösung von Problemen richtet, sondern auch als ganzheitlicher Prozess, die Weiterentwicklung von Mitarbeitern und Organisationskultur als zentrales Steuerungselement ansieht. Demings Arbeiten brachten den PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) hervor. Sie prägten das Management von Firmen in Japan und verbreiteten sich in den 1990er Jahren weltweit. Auch in der aktuell gültigen DIN EN ISO 9000, in der die Begriffe „interessierte Parteien“ und Personen auf die Gruppe der Mitarbeiter*innen ausgeweitet werden und diese als in der Wertschöpfungskette relevante Beteiligte im Sinne des Kunden einer Organisation beschrieben werden, ist die „out oft the Crisis“ Theorie Demings deutlich zu erkennen. Die in der DIN EN 9001 gestellten Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem unterstreichen, wie wichtig neben der Analyse der Kundenanforderungen die Mitarbeiterbeteiligung und die Zentrierung auf die Mitarbeiter*innen für die Produktqualität sind (Deutsches Institut für Normung e. V., 2015a). Hensen (2019) widmet in seinem Grundlagenband der Mitarbeiterzentrierung im Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen einen ganzen Abschnitt. Darin betont er, dass Motivation und Arbeitszufriedenheit eine zentrale Rolle in der personenbezogenen und beziehungsorientierten Dienstleistung Gesundheitsversorgung spielen. Er führt das im Sinne der Qualitätsverbesserung in dem Begriff „Empowerment“ zusammen, der die Bedeutung von Führung, Personalentwicklung, Mitarbeiterqualifizierung, Arbeitsstrukturierung Mitarbeiterbeteiligung und Förderung einschließt (Hensen, 2019, S.347–384). Im Bereich der Mitarbeiterförderung werden hier auch die Beratungsformate Monitoring, Mentoring und Coaching aufgeführt, die laut Belardi eine Nähe zur Supervision besitzen (Belardi, 2018, S.59–78).
Qualitätsmanagement im Rettungsdienst bezieht sich insgesamt auf die Organisation des Rettungsdienstes, um die Qualität der Arbeit des Rettungsdienstes zu entwickeln und um im besten Fall messbare Verbesserungen des Patientenoutcomes zu erzielen. Relevante Messgrößen sind dabei nicht nur die patientenbezogenen Daten, wie die Länge des Krankenhausaufenthaltes, der Beginn und die Dauer der Rehabilitation oder auch die Einhaltung von Vorgaben aus Leitlinien, wie zum Beispiel Einlieferungszeiten, die Ausführung von Sofortinterventionen und das Einliefern in eine geeignete Versorgungseinrichtung. Darüber hinausgehend soll es auch um die Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeiter der Rettungsdienstorganisation gehen, wie eine aktuelle Themenreihe der Fachzeitschrift Rettungsdienst im April 2020, mit dem Arbeitstitel „gesundbleiben im Rettungsdienst“, aufgrund äußerer Rahmenbedingungen und Entwicklungen im Gesundheitssektor herausstellt (Darius et al., 2020; Heringshausen et al., 2010; Schumann, Hering & Stoltze, 2020; Schumann, Stoltze, et al., 2020). Aber nicht nur aktuell wird auf die gesundheitlichen Faktoren hingewiesen, die die Arbeitsfähigkeit von Einsatzkräften stark einschränken können (Gorißen, 2009; Hering & Beerlage, 2004; Heringshausen et al., 2010). Betrachtet man diese Hinweise im Zusammenhang mit den Entwicklungen, die auf den Rettungsdienst wirken und die nur geringfügigen Veränderungen im Management und der Prävention, ist davon auszugehen, dass die riskanten gesundheitlichen Gefährdungen zugenommen haben.
Hervorzuheben ist, dass es sich beim Produkt, dessen Qualität das Qualitätsmanagement, anhand des PDCA-Zyklus kontinuierlich verbessern soll, um eine Dienstleistung am Menschen handelt. Auch wenn der Gesetzgeber in Deutschland diese Leistung nur als Krankentransportdienstleistung im Kontext von Fahrtkosten in den §§ 60 und 133 des Sozialgesetzbuch V regelt, lässt sich aus der Einbindung von Notärzten und dem Anforderungsprofil an die beteiligten Berufsgruppen - z.B. im §4 des Notfallsanitätergesetzes und den landesspezifischen Regelungen zur rettungsdienstlichen Leistung – durchaus eine vorklinische und notfallmedizinische Ausrichtung feststellen. Die Ländergesetzgebungen in Deutschland subsumieren die rettungsdienstliche Leistung durchgängig unter die Begriffe Notfallrettung und Krankentransport, und tragen damit den spezifischen Leistungsanforderungen des Bereichs Rettung1 und Transport über die Notfallmedizin hinaus Rechnung2. Somit besteht eine Ähnlichkeit zu Prinzipien, Anforderungen und zu erwartenden Effekten, die in anderen Sektoren des Gesundheitswesens, in denen medizinische Dienstleistungen im Zentrum stehen, bereits empirisch untersucht wurden. In Deutschland fehlen in der prähospitalen Notfallversorgung gesetzliche Grundlagen auf Bundesebene für ein Qualitätsmanagement. Vereinzelt finden sich Elemente der Qualitätssicherung in der Landesgesetzgebung zum Rettungsdienst. Das ist in der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung anders und dort auch eindeutig gefordert (Runggaldier & Flake, 2013, S.56). Runggaldier und Flake beziehen sich auf die im neunten Abschnitt des SGB V in den §§ 134 und folgenden getroffenen Regelungen zur Qualitätssicherung in Gesundheitseinrichtungen, zu denen der Rettungsdienst aus Sicht des SGB, wie weiter oben im Text ausgeführt, aber nicht gehört.
Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass qualitätssichernde Maßnahmen im Wirkbereich des Rettungsdienstes genauso nötig, sinnvoll und zweckmäßig sind, um das Outcome der Patienten, die Wirtschaftlichkeit der Leistung und die Anpassung an wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern. Auf Länderebene wird dem ärztlichen Leiter Rettungsdienst eine Qualitätssicherung zwar zugeschrieben, sie wird aber nicht konkret strukturiert und eingefordert. Trotzdem ist davon auszugehen, dass damit die notfallmedizinische Prozessqualität Aufmerksamkeit erhalten sollte. Der größte Druck zur Einführung von Qualitätsmanagement entsteht laut Runggaldier und Flake in den Rettungsdienstorganisationen aber durch die zunehmenden Forderungen von Qualitätszertifikaten in europäischen Ausschreibungsprozessen und durch die zunehmende Größe von Rettungsdienstorganisationen, die eine Strukturierung der Organisation im Sinne der Wirtschaftlichkeit nötig machen (Runggaldier & Flake, 2013).
Rettungsdienstleistungen zeichnen sich im Sinne des Qualitätsmanagements durch das „uno actu Prinzip“ aus, welches besagt, dass Herstellung und Leistungserbringung in einem Schritt erfolgen und dass im Gegensatz zur Produktion von Erzeugnissen, wie zum Beispiel Lebensmitteln oder einem technischen Gerät, der Kunde im Herstellungsprozess körperlich anwesend ist. Qualitätsmängel bei der Leistungserbringung bleiben dem Kunden also meist nicht verborgen. Weiter besteht im Bereich der Gesundheitsleistungen ein hoher Qualitätsanspruch durch die Kunden selbst. Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit während der rettungsdienstlichen Leistungserbringung zumeist um eine besondere, medizinisch für den Kunden höchstrelevante und extreme Lebenssituation. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass auch die ausführenden Mitarbeiter*innen an sich selbst in der Situation der Leistungserbringung höchste Ansprüche an die Qualität ihrer Arbeit stellen. Da die Leistung des Rettungsdiensts und Krankentransports ebenso als operative Schnittstellenleistung zwischen den Anrufannahmen der Leitstelle und den übernehmenden oder abgebenden Krankenhäusern oder anderer medizinischer Einrichtungen zu bewerten ist, entsteht auch hier ein heftiger Qualitätsdruck auf die Mitarbeiter*innen im Rettungsdienst. Aber auch andere Beteiligte wie Organisationen der Gefahrenabwehr, einsatzbeteiligte Dritte und Angehörige von Betroffenen gehören zum Kreis der Kunden im Sinne des Qualitätsmanagements der Dienstleistung Rettungsdienst. Neben dem rein operativen Bereich der Patientenversorgung mit hohem Risikopotenzial rangieren die ebenso wichtigen Prozesse und Interaktionen mit den Akteuren im Management einer Rettungsdienstorganisation.
Eine weitergehende Betrachtung kann hier mit Blick auf die Problemstellung der Arbeit nicht geführt werden, weil das unter 3.1 beschriebene „Feld Supervisionssystem“ in der operativen Ebene eine Funktion des mittleren Managements abbildet. In erster Linie wird hier mit den beteiligten Beschäftigten auf Peer-Ebene und mit Professionen sowie Betroffenen des Einsatzgeschehens interagiert, und zwar in Form von Beobachtungen, Kommunikation, Unterstützung, Dokumentation und Befragungen. Die Einführung und Fortschreibung eines wirkungsvollen Qualitätsmanagements im Rettungsdienst ist auf die Mitwirkung und Mitgestaltung der Mitarbeiter aller Ebenen angewiesen (Redelsteiner, 2013, S.66) und kann nur im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses Qualität verändern, wenn dies auch von den Mitarbeitern akzeptiert und gelebt wird.
Feldsupervisor*innen sollen durch ihre Arbeit zur Qualität und zum Qualitätsmanagement im Sinne der Qualitätsentwicklung der Arbeit des Rettungsdienstes beitragen. Dabei geht es um die Beobachtung und Begleitung der Dienstleistung am Menschen unter Qualitätsdruck, um einen Beitrag zur Organisationskultur, zur Weiterentwicklung des Organisationsklimas, zum Lernen der Mitarbeiter*innen und zum Umgang mit Ressourcen in der Organisation. Konkret soll diese Qualitätsverbesserung durch die Analyse des Verhaltens von Mitarbeiter*innen und die Auseinandersetzung mit Fehlern sowie durch die Vermittlung und die Kommunikation mit Beteiligten und verschiedenen Professionen dazu beitragen, dass die Qualität erhöht wird. Deshalb lauten die beiden ersten Hypothesen:
Hypothese 1: „Feld Supervision“ ermöglicht mit dem Beratungsangebot „Supervision von realen Einsätzen“ eine Steigerung der Qualität der Arbeit der beteiligten Rettungskräfte und der Organisation des Rettungsdiensts.
Hypothese 2: Durch den Einsatz von „Feld Supervision“ können in der Supervision mit den beteiligten Rettungskräften und Organisationen Spannungen zwischen den Bereichen Mensch, Technik und Organisation beobachtet und ermittelt werden, die wegen mangelnder Ressourcen sonst nicht wahrgenommen und in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess aufgenommen werden.
Im Folgenden wird der Qualitätsbegriff in zwei Teilbereiche differenziert und konkretisiert. Diese Aufteilung erlaubt eine genauere Darstellung der Mechanismen, durch welche die Feldsupervision zur Erhöhung der Qualität im Rettungsdienst beitragen soll. Die beiden Unterkategorien sind Risikomanagement und Wissensmanagement.
3.2.1 Feld-Supervision und Risikomanagement
Die Risikomanagement-Leitlinie DIN ISO 31000 definiert den Begriff „Risiko“ kurz als eine Auswirkung von Unsicherheit auf Ziele. In den Anmerkungen erläutert sie weiter, dass ein Risiko negative wie positive Abweichungen (positive Abweichungen als Chancen) bezeichnen kann und in verschiedenen Dimensionen dargestellt wird. Nach Knight (1921) ist Risiko ein mögliches Ereignis, für das man einschätzen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit es eintreten wird. Im Gegensatz zu Ungewissheit, geht es beim Risiko darum, potenzielle Ereignisse in Bezug auf Ursache, Auswirkungen und Wahrscheinlichkeit einzuschätzen. Risikomanagement fokussiert also auf die Analyse und Minimierung der Wahrscheinlichkeit, mit der ein mögliches Ereignis eintreten kann. Die ISO 9001:2015 beschreibt im Abschnitt 6.1 Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen. Dabei ist laut deutscher Gesellschaft für Qualität risikobasiertes Denken, das Risiken und Chancen adressiert, in die Norm einbezogen. Risikomanagement hingegen steht für sich alleine und beschreibt organisierte Systeme, in denen ausschließlich Risiken mit negativen Auswirkungen auf das Unternehmen betrachtet, bewertet und mit risikominimierenden Maßnahmen verknüpft werden, die dann wiederum zur Qualitätssicherung beitragen. Die identifizierbaren Risiken mit Auswirkung auf die Leistungsqualität eines Rettungsdienstes sind immens. Exemplarisch werden hier einige der wichtigsten Risiken aufgezählt: Einsatzfahrten mit Sonderrechten erhöhen das Unfallrisiko um ein Vielfaches; dieses steigt weiter im Zuge von Witterungszuständen, Tageszeit oder Schichtalter des Fahrers und der damit verbundenen Fatigue. Das Einsatzgebiet, in dem die Rettungsdienstliche Leistung erbracht wird, und auch die Tätigkeit der Rettung und medizinische Akutversorgung birgt einige Risiken. Seit der Studie „To Err is Human“ des Institute of Medicin im Jahr 2000 ist im Gesundheitswesen das zentrale Risiko als „human factors“ hinlänglich beschrieben (Institute of Medicine, 2000). Aufbauend auf einer Studie des Institute of Medicin, bildete sich 2005 das Aktionsbündnis für Patientensicherheit (APS), das damals wie heute das Querschnittsthema Patientensicherheit dem Risikomanagement zuordnet und als bedeutendes Element des Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen bezeichnet werden kann (Schrappe, 2018). Das APS unterstützt Forschung und Ausbildung, es gibt Empfehlungen zur Verbesserung der Patientensicherheit und agiert zudem politisch im Sinne der Patientensicherheit. Somit kann der Rettungsdienst, wie andere Gesundheitsversorgungseinrichtungen, zu den High Reliabily Organisationen (HRO) gezählt werden. Damit gehört er zu den Organisationen, an die aufgrund ihrer verantwortungsvollen Aufgabe besonders hohe Anforderungen an ihre Verlässlichkeit gestellt werden. Die HRO erwuchsen aus dem Sicherheitsverständnis von Kernkraftwerken, Ölbohrinseln, Flugzeugträgern und der Luftfahrt, auf deren sicherheitskulturellem Verständnis Daniel Marx (2017) das Team Ressource Management (TRM) als Konzept im Gesundheitswesen aufbaut. Er überträgt dieses Konzept aus der Luftfahrt in die hoch komplexen und dynamischen Arbeitsumgebungen der medizinischen Notfall-, Akut- und Intensivversorgung. Auch Rall (2016) bezieht sich auf Erfahrungen der Luftfahrt und konzeptualisiert den Rettungsdienst konkret als „Hochsicherheitsorganisation“, die sich durch vier Merkmale auszeichnet: Sicherheitskultur, Strukturen und Prozesse, Team-Training und Simulation sowie organisationales Lernen. Die Einführung von Feldsupervisoren kann zu jedem dieser Merkmale positiv beitragen.
Das erste Merkmal der Sicherheitskultur besteht darin, dass der Umgang in der Organisation mit Werten belegt ist und diese als Ziele formuliert, in internen Normen geregelt und vor allem von der Führung gelebt werden. Marx beschreibt die Werte der Sicherheitskultur: (1) Partizipation, weil Beteiligung dazu beiträgt gemeinschaftlich zum gleichen Ziel zu gelangen; (2) Prinzip der Verantwortung, bei dem es darum geht, diszipliniert und pflichtbewusst unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten sicher zu handeln; (3) Vertrauen, um offen, ehrlich, authentisch und verbindlich agieren zu können; (4) Wertschätzung, die bedingungslose Wahrnehmung eigener und fremder Werte, die es zu schützen und zu pflegen gilt und (5) Anerkennung (Marx, 2017, S.87). Diesen Wertvorstellungen korrespondiert die zentrale Stellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sicherheitskultur impliziert zudem Unternehmenskultur, die eine Förderung der Identifikation mit der eigenen Organisation und den beruflichen Aufgaben umfasst und die Berufsmotivation erhält und stärkt. Die genannten Werte stecken auch den kulturellen Rahmen für die Entwicklung und den Erhalt einer problemorientierten Fehlerkulturunter der Voraussetzung einer möglichst hierarchiereduzierten offenen Unternehmenskommunikation ab.
Die „Feld Supervision“ kann als Ausdruck dieser Sicherheitskultur gelten, wenn „Feld Supervisor*innen“ zum präsenten Beweis für eine gelebte, mit klaren Zielen, Werten und Standards belegte Sicherheitskultur werden. Durch ihre Beratungskompetenzen können sie aktiv auf Wertestabilisierung und Entwicklung der operativen Mitarbeiter*innen einwirken und durch den verbesserten Informationsfluss mit dem höheren Management für dauerhaften konstruktiven Austausch und Stabilisierung der organisationalen Ebene sorgen. Weiter unterstützen sie die Kommunikation zwischen den Beteiligten im Sinne der Wertevorstellungen und ermitteln Ursachen für Abweichungen „aus erster Hand“ sowohl als Beobachter*innen (passiv) wie auch als Akteur*innen (aktiv). Ergebnisse fließen dann im Sinne der Partizipation und als organisationales Lernen in Entwicklungsprozesse auf allen Ebenen und im besten Fall sogar auch in die Kundenbeziehungen der Organisation ein.
Zweitens erhöhen sicherheitskulturelle Strukturen und Prozesse die Sicherheit in hochkomplexen und dynamischen Arbeitsumgebungen, wie es die Luftfahrt in ihrer Entwicklung seit den siebziger Jahren nachdrücklich bewiesen hat (Marx, 2017, S.4–8). Es wird davon ausgegangen, dass ausreichend belegt ist, dass der Rettungsdienst einen hohen Anteil vergleichbarer Arbeitssituationen aufweist, die vereinzelt sogar als extrem zu bewerten sind. In diesem Zusammenhang kann die Feld-Supervision eine neutrale Beobachtung und Erfassung der Gesamtsituation aus einer distanzierten Perspektive (spezielle Kompetenz für „Feld Supervisoren“ im „On-Scene-Coaching“) leisten (Girsa, 2019; Redelsteiner, 2018b). Dies ist vielleicht vergleichbar mit der „Black Box“ eines Flugzeugs, die alle relevanten Daten und die Kommunikation im Cockpit aufzeichnet und für eine Nachbearbeitung teamrelevanter Ereignisse in der Einsatzsupervision nutzbar macht. Ein ähnliches Instrument könnte mit der Integration von Bodycams geschaffen werden, deren Einsatz natürlich vorher auch ethisch diskutiert werden müsste. Anonymisierte und standardisierte Daten aus den Beobachtungen können auch in anderen Zusammenhängen vom Management genutzt werden. Somit besteht eine enge Beziehung zum folgenden Punkt drei, in dem Wirkungen der Methode ‚Simulation‘ umrissen werden. Davon abgesehen kann der Feld Supervisor zur Einhaltung von Standards am Einsatzort beitragen und das Team bei kritischen Abweichungen aktiv unterstützen, und darüber hinaus die Mitarbeiter*innen in die Weiterentwicklung von Prozessen, zugehörigen Standards und Tätigkeitsbeschreibungen aktiv einbeziehen.
Drittens haben sich Simulation und Teamtraining in Hochsicherheitsorganisationen bewährt, insbesondere im Bereich der Entwicklung von „non technical skills“ (nicht technische/manuelle Fertigkeiten) zur Reduzierung von Fehlern und Minimierung von Risiken. „Non technical skills“ umfassen Kommunikation, Stressreduktion, Selbstreflexion, Leadership und Team Ressource Management (Marx, 2017; Markus Rall, 2016). Genau im Bereich der „non technical skills“ liegt die Wirkidee einer Einzel- oder Teamsupervision im Kontext von Beruf und Arbeitswelt (vgl. dazu Abschnitt 3.1 „Ziele der Supervision“).
Auf das vierte Merkmal der Hochsicherheitsorganisation, die Notwendigkeit des organisationalen Lernens, wurde bereits hingewiesen. Die beobachtende, unterstützende, dokumentierende und von Austausch mit den Akteuren geprägte Rolle des „Feld-Supervisors“ ermöglicht eine hohe Dichte an Daten, die zur Steuerung, Anpassung, Qualitätsverbesserung und Risikoreduzierung beitragen. Sie gehen weit über die Daten hinaus, die sich aus der Auswertung von Einsatzprotokollen, Dokumentationen oder Zeitstrahlen aus Leitstellendatenbanken ableiten lassen und die wegen der Zugangsbarrieren meist vom Leistungserbringer nicht für das eigenen organisationale Lernen genutzt werden können. Organisationales Lernen ist stark mit Wissensmanagement, einem wichtigen Teilbereich des Qualitätsmanagements verknüpft.
Insgesamt wird vermutet, dass Feldsupervision einen wichtigen Beitrag zum Risikomanagement zu leisten vermag, wenn die Wahrscheinlichkeit minimiert wird, mit der ein mögliches Ereignis eintreten kann, ganz nach dem bewährten Modell aus der Luftfahrt von James Reason (2006). Die Patientensicherheit im Rettungsdienst würde analog durch eine Sicherheitskultur, die stetige Beobachtung und Verbesserung von Strukturen und Prozessen fördert und eine Fehlerkultur, die persönliches und organisationales Lernen ermöglicht, messbar erhöht werden. Aus dieser Diskussion des Risikomanagements in Hochsicherheitsorganisationen lassen sich die folgenden beiden Hypothesen ableiten:
Hypothese 3: Durch „Feld Supervision“ kann der Kernbereich des Risikomanagements, die Patientensicherheit im Rettungsdienst, die eine Auseinandersetzung mit „Non-Technical-Skills“ (z.B. Leadership, Wahrnehmung, Kommunikation, Teamwork usw.) der Beteiligten voraussetzt, positiv beeinflusst werden.
Hypothese 4: Durch den Einsatz der „Feld Supervision“ wird die Entwicklung einer Fehlerkultur gefördert und der Fehlermanagementprozess aktiv gestaltet und verbessert.
3.2.2 Feld-Supervision und Wissensmanagement
Insbesondere organisationales Lernen ist ein derart relevantes Problem für Organisationen im Allgemeinen und den Rettungsdienst im Besonderen, dass es lohnt, sich diesem Gegenstand in größerem Umfang zuzuwenden. Auch die ISO 9001:2015 trägt dieser Problematik Rechnung und widmet dem Anforderungsprofil eines Qualitätsmanagements einen Abschnitt (7.1.6) mit entsprechenden Maßnahmen (Deutsches Institut für Normung e. V., 2015a, S.28). Wissensmanagement ist ein unternehmerisches Konzept, das sich mit der Entwicklung der modernen Gesellschaft zur Wissensgesellschaft ergeben hat. Es fokussiert in erster Linie auf die Nutzbarmachung von Wissen als Ressource zur Profiterhöhung für Firmen, wurde aber auch für Organisationen der öffentlichen Hand diskutiert (Hasler Roumois, 2013). Im öffentlichen Sektor zielt Wissensmanagement darauf ab, die Leistung der Verwaltung zu verbessern; unabhängig von der unterschiedlichen Zielsetzung sind die zentralen Problemlagen vergleichbar. Wissen ist dezentral verteilt und die verschiedenen Mitglieder einer Organisation verfügen über unterschiedliches Wissen in Bezug auf spezifische Situationen und Probleme. Da Verteilung, Organisation und Bewertung von Spezialwissen eine zentrale Herausforderung für jede Art von Organisation darstellt, hat das Wissensmanagement zur Aufgabe, das Umverteilen von Wissen in der Organisation aktiv zu organisieren (Hasler Roumois, 2013). Bezogen auf die Organisation des Rettungsdienstes ergeben sich im Bereich „Wissen bereitstellen, erweitern, entwickeln, integrieren, schützen und neu erstellen“ große Herausforderungen. „Wissen bereitstellen“ umfasst die Zugänglichkeit zu organisationalem Wissen über Politik, Kultur, Werte, Strukturen und Prozesse des Unternehmens. „Erweitern und integrieren“ im Sinne des Rettungsdienstes betrifft die anhaltende Fortbildung und Integration neuer Wissensstände aus relevanten Bezugswissenschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zum Bereich der Medizin eine hohe Dichte neuer Wissenselemente aufweist und aufgrund der Interdisziplinarität der Aufgaben und der Zusammenarbeit mit anderen Professionen weiter zunimmt. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie demographischer Wandel, Informationswesen und politische Einflüsse erfordern die Berücksichtigung neuen Hintergrundwissens. Das Weiterentwickeln von Wissen ist nicht zuletzt seit der Einführung des Notfallsanitätergesetzes ein relevantes Thema und hat seitdem noch weiter an Bedeutung gewonnen. Die kompetenzorientierte Ausrichtung des Ausbildungsgesetzes und der Aufgabenzuschnitt sowie die Umsetzung der Ergänzungsprüfungen erfordern ein hohes Maß an Aufstockung von Wissen. Neues Wissen zu generieren, ist weitgehend Neuland für das Feld des Rettungsdienstes. Insgesamt wird wenig Forschung im rettungsdienstlichen Feld betrieben und neues Wissen wird meist nur aus der klinischen und ärztlichen Perspektive relevant. Dies ist damit zu erklären, dass eine eigene Rettungsdienstwissenschaft fehlt. Welche Möglichkeiten das Feld bietet, zeigt eine Studie von Krafft und Ziemann (2013), in der die Ergebnisse von drei europäischen Projekten der öffentlichen Gesundheit diskutiert, in denen routinemäßig anonymisierte Patientendaten aus der rettungsdienstlichen Versorgung analysiert wurden. Die Datensätze wurden für Auswertungen von Fragestellungen der öffentlichen Gesundheitsdienste und Gesundheitsüberwachung genutzt und es wurde in allen drei Projekten festgestellt, dass die Ergebnisse im Bereich der öffentlichen Gesundheit, z.B. im Bereich der Früherkennung von gehäuft auftretenden Infektionskrankheiten effizient eingesetzt werden könnten, aber viel zu wenig genutzt werden. Weiter zeigte sich, dass eine Zusammenarbeit mit Public-Health-Einrichtungen zu organisationalen Lernprozessen und zu System- und Qualitätsverbesserungen der notfallmedizinischen Versorgung beitragen konnten (Krafft & Ziemann, 2013).
Der Einsatz von Feldsupervisoren verspricht einige dieser Probleme zu lösen. Durch ihre Tätigkeit an der Schnittstelle zwischen dem höheren Management und der operativen Ebene nehmen „Feld Supervisior*innen“ im operativen Einsatz als Partner*innen und Beobachter*innen eine Rolle mit Vorbildcharakter ein und können ihr Erfahrungswissen im Bereich der Unternehmenskultur fruchtbar machen. Weiter ist es möglich, dass sie bei einem erkannten Bedarf beratend aktiv werden und ggf. störende Übertragungen durch Reflexion bewusst machen, wenn nicht auflösen. Weiter ist es denkbar, dass sie feststellen, ob bereitgestelltes Wissen angenommen wurde und zu erweiterten Handlungskompetenzen beitragen konnte. Im negativen Fall kann evaluiert werden, warum Informationen vom Empfänger nicht angenommen wurden und der Transfer kann den Anforderungen dann neu angepasst werden. Beratend gibt es die Möglichkeit, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beim Wissenserwerb zu unterstützen und Zugangsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Aufgrund der Übergangsphase vom Rettungsassistent zum Notfallsanitäter ist der Rettungsdienst in Deutschland durch einen recht heterogenen Bestand aus Fachwissen und Erfahrung geprägt. Die Ergänzungsprüfungen erzeugen konflikthafte Herausforderungen erfahrener ehemaliger Rettungsassistent*nnen und Wissensdifferenzen zwischen ihnen als (neu) Auszubildenden und ihren Mentor*innen. Hier eröffnet sich eine neue Perspektive für Feldsupervisor*innen, indem sie Vermittlung, Wissenstransfer und auch Wissenserweiterung fördern und einen moderierten Kompetenzaustausch ermöglichen. Ein anderer Aspekt besteht darin, dass Supervision Wissen über das eigene Handeln, Denken, über eigene Fähigkeiten und Grenzen beratend bewusst machen kann. Dieses Wissen ist veränderlich, bedarf einer ständigen reflexiven Begleitung und kann zur Risikominimierung und Förderung einer Sicherheitskultur und zur Vergrößerung der Patientensicherheit (vgl. Abschnitt 3.2.1 Supervision und Risikomanagement) beitragen. Auch die Ausbildung von Notfallsanitäter*innen kann durch den Einsatz von Feldsupervisor*innen und den Wissensaustausch zwischen dem Feld und der Ausbildungsstätte profitieren. Beobachtete Ereignisse können vom Feld- Supervisor oder der Feld-Supervisorin aus dem realen Einsatzgeschehen in Ausbildung und Simulation eingebracht werden. Als Beispiel kann darauf verwiesen werden, dass die Feldsupervisor*innen der Berufsrettung Wien auch als Lehrkräfte der Rettungsakademie eingesetzt werden (Girsa, 2019; Redelsteiner, 2018b). So lassen sich bereits in der Ausbildung durch gezielten Wissenstransfer Risiken für eine Wiederholung problematischer Handlungen reduzieren.
[...]
1 Rettung ist das Zusammenspiel zwischen medizinischer Versorgung und technischer Rettung.
2 Die Eigenständigkeit der Leistung und Akzeptanz der Begriffe wird auch von der Bundesärztekammer anerkannt und gegenüber der Sozialgesetzgebung zuletzt 2010 gefordert (113. Ärztetag ). Damit sollte der theoretische Zusammenhang zwischen Leistungen des Rettungsdienstes und Krankentransports mit anderen Leistungen des Gesundheitswesens hergestellt sein.
- Arbeit zitieren
- Philipp Heinzel (Autor:in), 2021, "Field Supervision" eine Methode zur Weiterentwicklung von Risiko-, Qualitäts- und Wissensmanagement im deutschen Rettungsdienst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1350926
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