Zwischen 1977 und 1986 schuf der amerikanische Künstler Andy Warhol (1928 – 1987) sechs unterschiedlich große Bilderserien mit den Titeln Oxidations, Shadows, Eggs, Yarns, Rorschachs und Camouflages. Ihnen lagen keine Fotografien populärer Prominenter, Produkte oder Ereignisse zugrunde, sondern gegenstandslose Bildthemen oder Muster. In den späten Siebzigern sowie frühen Achtzigern fokussiert sich Andy Warhol zunehmend auf abstrakte Darstellungen und distanziert sich somit von seinen früheren Werken. Die gegenständliche Bildsprache verliert für ihn immer mehr an Bedeutung. Er sucht nach neuen Bildthemen und setzt sich schließlich künstlerisch mit dem Thema Schatten auseinander, welche sich in seiner Serie 'Shadows' widerspiegelt. Inspiriert von seinem Assistenten Ronnie Cutrone (1948 – 2013), welcher ihn auf die Idee gebracht haben soll Schatten zu malen, produziert Warhol 1978 bis 1979, im Alter von 50 Jahren, eine monumentale Serie von Bildern mit dem Titel 'Shadows', welche aus 102 Tafeln besteht. Mit dieser Serie erprobt er den Ausstieg aus der eigenen Bilderwelt.
Diese Hausarbeit möchte die 'Shadows' vorstellen und die Besonderheiten der einzelnen Bilder beschreiben. Dabei wird auf die Entstehungsgeschichte und Herstellung der seriellen Bilder sowie auf die früheren Serien 'Skull' (1976) und 'Hammer and Sickle' (1977) eingegangen. Auch die wichtigsten Ausstellungen der auch sogenannten 'Shadow Paintings' werden vorgestellt. Hierbei wird auf die Wirkung der monumentalen Serie eingegangen. Die serielle Hängung und der Effekt der 'Shadows' erinnern dabei an Warhols frühe Experimente mit stationären Kameras und lang andauernden Underground-Filmen wie Sleep (1963) und Empire (1964)3, welche auch vorgestellt werden. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit Motive und die künstlerische Gestaltung somit verglichen werden können und welche Bedeutung die 'Shadows' dadurch erlangen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Shadows
2.1 Informationen zum Kunstwerk
2.2 KünstlerischeVorreiter.
2.3 Ausstellungen
3. Warhols Filme 'Sleep' und 'Empire'
4. Disko-Dekor.
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
7. Abbildungsverzeichnis
1, Einleitung
Zwischen 1977 und 1986 schuf der amerikanische Künstler Andy Warhol (1928 - 1987) sechs unterschiedlich große Bilderserien mit den Titeln Oxidations, Shadows, Eggs, Yarns, Rorschachs und Camouflages. Ihnen lagen keine Fotografien populärer Prominenter, Produkte oder Ereignisse zugrunde, sondern gegenstandslose Bildthemen oder Muster.1 In den späten Siebzigern sowie frühen Achtzigern fokussiert sich Andy Warhol zunehmend auf abstrakte Darstellungen und distanziert sich somit von seinen früheren Werken. Die gegenständliche Bildsprache verliert für ihn immer mehr an Bedeutung. Er sucht nach neuen Bildthemen und setzt sich schließlich künstlerisch mit dem Thema Schatten auseinander, welche sich in seiner Serie 'Shadows' widerspiegelt. Inspiriert von seinem Assistenten Ronnie Cutrone (1948 - 2013), welcher ihn auf die Idee gebracht haben soll Schatten zu malen, produziert Warhol 1978 bis 1979, im Alter von 50 Jahren, eine monumentale Serie von Bildern mit dem Titel 'Shadows', welche aus 102 Tafeln besteht.2 Mit dieser Serie erprobt er den Ausstieg aus der eigenen Bilderwelt. Diese Hausarbeit möchte die 'Shadows' vorstellen und die Besonderheiten der einzelnen Bilder beschreiben. Dabei wird auf die Entstehungsgeschichte und Herstellung der seriellen Bilder sowie auf die früheren Serien 'Skull' (1976) und 'Hammer and Sickle' (1977) eingegangen, die in ihren Gestaltungsweisen bereits einen Bezug zum Thema Schatten vorweisen. Auch die wichtigsten Ausstellungen der auch sogenannten 'Shadow Paintings' werden vorgestellt. Hierbei wird auf die Wirkung der monumentalen Serie eingegangen. Die serielle Hängung und der Effekt der 'Shadows' erinnern dabei an Warhols frühe Experimente mit stationären Kameras und lang andauernden Underground-Filmen wie Sleep (1963) und Empire (1964)3, welche auch vorgestellt werden. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit Motive und die künstlerische Gestaltung somit verglichen werden können und welche Bedeutung die 'Shadows' dadurch erlangen.
2. Shadows
2.1 Informationen zum Kunstwerk
Alle 102 Tafeln der 'Shadows' Serie weisen die gleiche Größe von 76 x 52 Zoll (193 x 132 cm) auf und stellen auf jedem einzelnen Bild abstrakte Formen dar, welche Schatten darstellen sollen (Abb. 1). Diese weisen eine flammenartige und balkenförmige Silhouette auf.4 Die genaue Quelle dieser rätselhaften Bilder bleibt umstritten. Jedoch gibt es die Überlieferung, dass Warhol oder sein Assistent Ronnie Cutrone Fotos von verschiedenen Schlagschatten im Atelier aufgenommen haben soll, die Objekte an die Wand geworfen hatten.5 Diese dienten dann als Vorlage für die abstrakte Form. Nach einer weiteren Überlieferung soll Cutrone Warhol auch auf die Idee der 'Shadows' gebracht haben:
"Andy had a burning desire to do abstract art...and I said, "you're Andy Warhol; you should paint something that is something, but it's not... you should paint shadows. You love shadows anyway. They're all in your work"... I had 150 shadow photographs on contact sheets twelve days later. We picked some of them out and then he asked me to mix the colors for them."6
Die Leinwand der Bilder wurde dabei zuerst mit Acrylfarbe grundiert oder mit einem Schwamm bemalt. Danach wurde das Siebdruckverfahren angewandt. Die Serie weist 17 unterschiedlich farbige Hintergründe auf, welche auffallend grell und bunt sind und einen starken Helldunkel-Kontrast aufweisen. So erzeugte Warhol auch "durch die Verschiedenfarbigkeit der einander ähnlichen Schattenmotive ein Stakkato aus zuckenden Kontrasten".7 Darunter befinden sich unter anderem die Farben Silber, Weiß, Gelb, Orange, Rot, Lila, Blau, Türkis, Grün, Braun und Schwarz.
Alle Leinwände sind monochrom. Dabei sind die Farben entweder dick und undurchsichtig aufgetragen oder wirken transparent. Die Oberflächentextur der Bilder ist auch unterschiedlich. Einige sind matt, andere hochglänzend oder durch Farbstreifen geprägt. Auffällig sind hierbei die breiten Pinselstriche, die im Zickzack über die Leinwand gewischt worden sind und vor dem Siebdruckverfahren aufgetragen wurden. Diese Art des Auftrages erinnert besonders an den abstrakten Expressionismus. Alle Bilder setzen sich in den verschiedensten Varianten mit dem Thema Schatten auseinander. Hierbei sind dennoch jeweils zwei unterschiedliche Kompositionen zu erkennen, die einen Gegensatz verkörpern. Es gibt einen positiven und einen negativen Schatten. Der positive Schatten (Abb. 2, siehe links) ist durch eine hohe, schmale Form geprägt, auch Spitze genannt. Diese ist meist mit schwarzer oder silberner Farbe auf buntem Untergrund aufgetragen. Der negative, abwesende Schatten (Abb. 2, siehe rechts) weist eine kurze Kappe auf und ist erkennbar durch bunte Farben auf schwarzem Hintergrund.8
Trotz des seriellen Charakters aller Bilder gibt es Unterschiede in der Ausführung der Schattenbilder. Jedes einzelne Bild der Serie ist handgefertigt und nicht reproduzierbar sowie auch nicht in der Herstellung nachvollziehbar. Eine Analyse gab Unterschiede im Maßstab sowie bei der Platzierung des Motivs. Es wurden sieben oder acht Drucke wurden für die Serien verwendet, um die Schatten auf der Leinwand zu erzeugen. Dies ist durch die leichten Verschiebungen der dunklen Areale und Lichtpunkte zu erkennen. Der wandernde Schatten der nebeneinanderhängenden Serie wechselt zwischen positiven und negativen Prägungen.9
2.2 Künstlerische Vorreiter
Die 'Shadows' beziehen sich optisch auf Bilder von Robert Motherwell (1915-1991) und Franz Kline (1910-1962).10 Weitere Einflüsse Warhols waren Barnett Newman (1905 - 1970) und Mark Rothko (1903 - 1970)11 sowie der abstrakte Expressionismus und Jackson Pollock (1912-1956)12. Besonders der Schwarz-Weiß Kontrast sowie die Wischtechnik und die abstrakte Darstellung eines nicht definierbaren Subjekts sprechen dafür.
Warhol setzte sich bereits in seinen früheren Werken mit Schatten auseinander. Dies können wir bereits an der 'Skull' Serie (Abb. 3) von 1976 nachvollziehen.13 In diesem Werk scheinen Schatten einen eigenen Charakter zu bilden. Sie führen eine fast schon unabhängige Existenz im Bild. Dies können wir in der Wiederholung des Motivs erkennen. Warhol greift immer wieder das gleiche künstlerische Motiv in Form eines Totenschädels auf, welcher im Zentrum des Bildes auf einer horizontalen Unterlage einen Schatten nach links wirft. Bereits hier benutzte Warhol eine Fotografie als Vorlage, die Ronnie Cutrone von einem Schädel aus einem Antiquitätenladen in Schwarz-weiß aus unterschiedlichen Perspektiven anfertigte und seitlich so beleuchtete, dass Schlagschatten entstehen.14
Die Herstellung dieser Serie erfolgt wie bei 'Shadows'. Die Leinwände werden erst mit Acrylfarbe grundiert oder bemalt und dann mit Siebdruck vervollständigt. Dabei verwendet er neben Schwarz und Weiß, bunte Farben wie Rot, Blau, Gelb und Mischfarben von Lila, Rosa und Grün. Ein bekanntes, klassisches Vanitasmotiv wird somit in verschieden farbige Varianten präsentiert und entfremdet. Dabei erkennen wir hier bereits den Hang Warhols zum Abstrakten und Formlosen. Während der Totenschädel auf einigen Bildern klassisch in Schwarz-Weiß dargestellt wird, ist er auf den anderen fast schon nicht mehr zu erkennen und die rundliche Schattenform weitet sich zum Rechteck aus oder wird durch eine eckige Form eingegrenzt. Auch die farbigen Kontraste sowie das düstere Thema erinnern bereits an die 'Shadows'. Jedoch kann Warhol sich in diesen Bildern noch nicht gänzlich vom Gegenständlichen trennen. Die Platzierung der 'Skulls' variiert wie die Gestalt der 'Shadows' und der Ausdruck der Totenschädel wechselt in jedem Bild, auch wenn durchgehend das gleiche Sieb benutzt worden ist. Die Schädel sind nicht nur in ihrer Größe und Farbe auffällig, sondern auch in ihrer Pinselführung. Ronnie Cutrone bemerkte, dass die Schatten der Totenschädel an Köpfe eines Fötus erinnern, dementsprechend sind Tod und Leben nebeneinandergestellt. Warhol betont den fötusgeformten, schwarzen Schatten, indem er ihn in Kontrast mit einem weiteren farbigen Schatten stellt. Dieser hebt den Fötus-Schatten besonders von der Oberfläche hervor, auf dem der Schädel platziert ist.15 Der Totenkopf ist ein Memento mori Motiv sowie ein Symbol der Vanitas.16 Sie erinnern den Menschen an die Vergänglichkeit des Lebens und die unausweichliche Präsenz des Todes. Das Wiederaufleben der TotenschädelBilder ist mit der Punk-Kultur verbunden und das Auflehnen gegen die gesellschaftlichen Normen. Weiterhin könnte der Totenkopf allgemein die Angst Warhols vor AIDS sowie einem Atomkrieg darstellen.17
Auch die 'Hammer and Sickle' Serie (Abb. 4) von 1977 weist Schattierungen auf.18 Warhol experimentiert hier mit verschiedenen, freien Formen. Es werden die kommunistischen Symbole Hammer und Sichel dargestellt, das gegnerische Sinnbild der Vereinigten Staaten von Amerika. Auf ironische Art und Weise platziert Warhol die symbolisch aufgeladenen Werkzeuge frei nach Belieben und testet verschiedene dynamische Kompositionen und Kontraste aus, sodass sie ihre ursprüngliche politische Funktion verlieren und nur noch dekorativ wirken. Auf die Idee der 'Hammer and Sickle' Serie war Warhol auf einer Italienreise gekommen, bei der ihm dieses Symbol als einer der häufigsten Graffiti auffiel, so "dass sie ihm beinahe wie Popkunstwerke erschienen".19 Die Bilder der 'Hammer and Sickle' Serie weisen eine Größe von 71,1 x 102,9 cm auf und wurden auch mit Siebdruck auf die Leinwand gebracht. Die Farben Rot, Schwarz und Weiß prägen die Serie. Meist wird der Schatten der dargestellten Werkzeuge in der anderen Farbe noch einmal frei wiederholt oder übermalt. Auch für diese Serie arrangierte Cutrone für die Vorlage dreidimensionale Werkzeuge und fotografierte sie ab. Auf einigen Bildern sehen wir die Werkzeuge übereinander, auf anderen nebeneinander, jedoch nie in der uns bekannten, überkreuzten Form.20 Bereits hier spielt Warhol mit einer freien Form der Schatten, die sich abseits vom real existierenden Schatten der Werkzeuge bewegt. Dabei sind die "Schatten, die die Werkzeuge warfen, [...] oft von einer Präsenz und Räumlichkeit [geprägt], die die Solidität und Massigkeit der Objekte selbst übertreffen".21 1978 bis 1979 werden die Schatten nun zum Hauptmotiv und bekommen ihr eigenes Darstellungsrecht in der umfangreichen Serie 'Shadows'.
2.3 Ausstellungen
Die Art und Weise wie die 'Shadows' gehängt werden, ist immer abhängig vom Ausstellungsraum. 83 Bilder der Shadow Paintings wurden der Öffentlichkeit zum ersten Mal in der Heiner Friedrich-Galerie (dem Vorreiter der Dia Art Foundation) in New York präsentiert.22 Die Ausstellung fand vom 27. Januar bis zum 10. März 1979 statt. Die großen Bilder wurden mit Ronny Cutrone's sowie Steven Mueller's Hilfe so installiert, dass sie in Nähe des Bodens sowie Kante an Kante direkt nebeneinander hängen. Die Bilder befanden sich an vier Wänden und umfassten den Besucher rhythmisch mit einer brillanten Strahlkraft von Farben.23 Die Wahl der Reihenfolge erfolgte zufällig und konnte durch Warhols Assistenten vorgenommen werden. Die Bilder hängen in einem gedrängten Rhythmus und in einer Abfolge, die genau dort endet, wo sie angefangen hat. Er kann als ein kontinuierlicher und zirkulärer Fries betitelt werden. Ein Bild einzeln auszustellen und von seinem Kontext loszureißen würde ihm seine Sinnhaftigkeit nehmen.24 Die nahtlose Aneinanderreihung und dessen frontale Wirkung erinnert an Reklametafeln oder Straßenbeleuchtungen.25 Andy Warhol selbst kommentierte die erste Ausstellung der 'Shadows' mit folgenden Worten:
"Each part is 52 inches by 76 inches and they are all sort of the same except for the colors. I call them Shadows because they are based on a photo of a shadow in my office. It's a silkscreen that I mop over with paint. I started working on them a few years ago. I work seven days a week But I get the most done on weekends because during the week people coming by to talk...I had the paintings hung at eye level. But the kids helped me...The gallery looked great. It's a simple, clean space".26
Verwandte formale Strategien der seriellen Hängung finden wir auch bei den US-amerikanischen Künstlern Donald Judd (1928 - 1944) sowie Carl Andre (1953), welche auch großformatige Arbeiten von seriell wiederholten Einheiten zusammenhängend entlang der Galeriewand in der Nähe vom Boden installieren.27 80 Werke der 'Shadows' Serie wurden von der Dia Art Foundation gekauft, welche 1974 von Philippa de Menil und Heiner Friedrich gegründet worden war.28 Der Preis der Bilder zu der Zeit betrug einzeln jeweils 20.000 Dollar. Alle 80 Werke wurden für insgesamt 1,6 Millionen Dollar erworben.29 Seit dem 3. März 2003 befinden sie sich nun im Museum Dia:Beacon in der Stadt Beacon in der Nähe von New York. Bis zum 31. März 2014 konnte man die monumentale Serie dort besichtigen.30
Eine weitere Ausstellung fand im Hirshhorn Museum in Washington D.C vom 25. September 2011 bis zum 15. Januar 2012 statt. Dort wurden alle 102 Bilder zum ersten Mal zusammen präsentiert. Die Besonderheit bei dieser Ausstellungsform war eine gekrümmte Wand (Abb. 5), die den Anschein machte, endlos in den Raum zu laufen. Die nebeneinander platzierten Bilder kamen insgesamt auf ca. 137 m.31 Das Entlanglaufen bewirkte einen hypnotischen Effekt und spielte die Bilder wie einen Filmsteifen ab, sodass die Schatten sich zu bewegen scheinen. So versetzten sie den Betracher in ein kaleidoskopisches Panorama. Zum ersten Mal konnten die 'Shadows' dort in ihrer Gesamtheit sowie durch die kurvige Wand ununterbrochen betrachtet werden. Da es für den Betrachter dennoch unmöglich ist, alle Bilder in ihrer Gesamtheit zu sehen, kommt das Gefühl auf, dass die Schatten sich immer wieder von selbst reproduzieren und kein Ende finden. Dabei treiben die vibrierenden Farben den Blick des Betrachters voran. Die gesamte Serie scheint einen riesigen Filmstreifen zu imitieren, der über eine längliche Wand gespannt ist. Die Schwarz-Weiß Bilder verstärken zusätzlich den Effekt des filmischen Charakters.32
3. Warhols Filme 'Sleep' und 'Empire'
Warhol produzierte Mitte der sechziger eine Reihe extrem langer, minimalistischer Filme mit den Titeln Sleep, Kiss, Blow Job, Eat und Empire.33 Die Wiederholung und Aneinanderreihung der 'Shadows' erinnert an einen Filmstreifen und somit Warhols frühe Experimente mit stationären Kameras und lang andauernden Filmen wie Sleep (1963) und Empire (1964). In 'Sleep' filmt Warhol einen nackten, schlafenden Mann (Abb. 6). Er ist der erste Underground-Experimentalfilm von Warhol und wurde im Juli 1963 in den USA im 16-mm Format gedreht. Der Schwarz-Weiß-Stummfilm zeigt in einer Länge von fast 6 Stunden den Schauspieler John Giorno (1936) beim Schlafen.34 Das Motiv ändert sich stundenlang nicht und wird bis zur Abstraktion fragmentiert. Es entsteht der Eindruck von einem todgeweihten Mann aufgrund der unnatürlichen Stille. Allein das Ändern der Schlafposition erinnert an die Lebendigkeit des Schauspielers. Der männliche, nackte Körper wird Subjekt der Darstellung und lässt auch auf die Auseinandersetzung mit Erotik schließen. Bereits in 'Sleep' experimentiert Warhol mit Licht und Schatten, sodass der menschliche Körper sich in eine fremdartige Landschaft zu verwandeln scheint.
Der Experimentalfilm ist durch das gleiche Motiv sowie eine ausgeprägte Hell-Dunkel Beleuchtung und eine rhythmische Wiederholung von Sequenzen geprägt, welche an die endlos laufende Wiederholung der 'Shadows' erinnern. Die Serie sowie der Film besitzen somit einen gewissen Illusionscharakter und dokumentieren eine ästhetische Manipulation von Realität. Die Wahrnehmung des Zuschauers wird auf die Probe gestellt. 'Sleep' evoziert verschiedene Reaktionen des Publikums wie Verlassen des Kinos oder Aufstände, aufgrund der Handlungsarmut. Auch Langeweile und Gereiztheit treten auf. Es ist ein Spiel Warhols mit den Erwartungen des Publikums und dessen Aufmerksamkeit. Trotz oberflächlicher Handlungsarmut sind jedoch Details und Veränderungen zu erkennen, wenn der Zuschauer sich darauf einlässt und auf den Film konzentriert. Warhol klebte die Kopien der Filmaufnahmen aneinander und projizierte diese im Zeitlupentempo. So konnte er "die zeitlichen Beschränkungen seiner Kamera überwinden und Unbeweglichkeit der einzelnen Filmaufnahmen steigern, um ein nahezu statisches, meditatives Werk" hervorbringen.35 Warhol untersucht in 'Sleep' die Veränderung der Wahrnehmung sowie die Erfahrung von wirklicher und erlebter Zeit. Die Wahrnehmung von der Wirklichkeit wird in seinen Filmen somit gesteigert und scheint eine andere Welt zu offenbaren, die eine neue Ästhetik auf alltägliche Ereignisse wirft.36
Auch die Spitze des Empire State Buildungs (Abb. 7) in Warhols Experimental- und Dokumentarfilm 'Empire' erinnert an die abstrakte Form der Schatten in 'Shadows'. Dieser achtstündige Schwarz-Weiß Stummfilm zeigt aus unbewegter Perspektive die oberen Etagen des Empire State Buildings in New York bei einbrechender, abendlicher Dunkelheit bis tief in die Nacht in ein und derselben Kameraeinstellung. Er ist der einzige Film Warhols, bei dem keine Menschen gefilmt werden. Er wurde in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1964 im 16-mm Format mit einer Auricon-Kamera gedreht.37 Die Uraufführung fand durch die Film-Makers' Cinematheque am 6. März 1965 im City Hall Cinema (Manhattan) statt.
Das Motiv der Serie 'Shadows' und des Films 'Empire' kann miteinander verglichen werden. Während die abstrakte Form der Schatten sich bei unterschiedlicher Farbigkeit auf nebeneinander hängenden Tafeln in die Länge zieht, wird im Film das gleichbleibende Motiv stundenlang unterschiedlich beleuchtet. Beide Motive weisen somit Gemeinsamkeiten auf. Mit 8 Stunden und 5 Minuten ist die Laufzeit des Filmes länger als die Echtzeit der Aufnahme (25. Juni 1964, 20:06 Uhr, bis 26. Juni 1964, 02:42 Uhr). Diese extreme Zeitverzerrung wurde durch Zeitlupenprojektion bewirkt. Dieser Effekt hebt das Ausbleiben einer wahrnehmbaren Handlung und die Starre des Films noch hervor.38 Dies hängt damit zusammen, dass mit 24 Bildern pro Sekunde gedreht worden ist und die Projektion mit 16 Bildern pro Sekunde erfolgt. Warhol experimentiert hier mit der Wahrnehmung des Betrachters und möchte erforschen, wie die Zeit vorübergeht und auf uns wirkt. Der Film hat aufgrund seiner Länge und wegen seiner scheinbaren Ereignislosigkeit international für Aufsehen gesorgt. Er gilt als eines der bekanntesten und berüchtigtsten Warhol-Werke und wurde unter anderem als „unansehbar" eingestuft. Warhols Film 'Empire' erinnert durch seine Unbewegtheit viel mehr an ein Gemälde und wird nicht als Spielfilm betrachtet, sondern in den Bereich der Konzeptkunst eingeordnet. Die Absicht Warhols beim Dreh des Films war, beim „Verstreichen der Zeit" zusehen zu können. Aufgrund dessen sind auch gekürzte Fassungen des Films nicht autorisiert worden.
[...]
1 Vgl. Kellein, Thomas: Andy Warhol. Abstrakt, München 1993, siehe Umschlag.
2 Vgl. Cooke, Lynne: http://www.diaart.org/exhibitions/introduction/98
3 Vgl. Carmack, Kara: http://Lpastelegram.org/reviews/80
4 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 20.
5 Vgl. ebd., (wie Anm. 1), S. 18.
6 http://artobserved.com/2012/01/go-see-washington-d-c-andy-warhol-shadows-at-the-hirshhom- museum-and-sculpture-garden-through-january-15-2012/
7 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 20.
8 Vgl. Dillengerger, Jane Daggett: The religious art of Andy Warhol, New York 1998, S. 62.
9 Vgl. Carmack, Kara: http://Lpastelegram.org/reviews/80
10 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 18-19.
11 Vgl. Dillengerger 1998 (siehe Anm. 8), S. 62.
12 Vgl. ebd. siehe Umschlag.
13 Vgl. Ausst.kat. Warhol, Andy: Retrospektive, München (Museum Ludwig, Köln) 1989, S. 51.
14 Vgl. Bourdon, David: Warhol. Köln 1989, S. 357.
15 Vgl. Dillengerger 1998 (wie Anm. 8), S. 73.
16 Vgl. Bourdon 1989 (wie Anm. 14), S. 357.
17 Vgl. Dillengerger 1998 (wie Anm. 8), S. 71.
18 Vgl. Ausst.kat. Retrospektive 1989 (wie Anm. 13), S. 51.
19 Vgl. Bourdon 1989 (wie Anm. 14), S. 354.
20 Vgl. Bourdon 1989 (wie Anm. 14), S. 357.
21 Vgl. ebd., S. 357.
22 Vgl. Dillengerger 1998 (wie Anm. 8), S. 58.
23 Vgl. ebd., S. 62.
24 Vgl. Stoichita, Victor Ieronim: Eine kurze Geschichte des Schattens, München 1999, S. 200.
25 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 33.
26 Vgl. Dillengerger 1998 (wie Anm. 8), S. 58.
27 Vgl. Cooke, Lynne: http://www.diaart.org/exhibitions/introduction/44
28 Vgl. Dillengerger 1998 (wie Anm. 8), S. 58.
29 Vgl Danto, Arthur Coleman: Andy Warhol, New Haven 2009, S. 134.
30 Vgl. http://www.diaart.org/exhibitions/main/98
31 Vgl. http://www.hirshhom.si.edu/collection/hirshhom-past-exhibitions/#detail=/bio/andy-warhol- shadows/&collection=hirshhom-past-exhibitions
32 Vgl. Carkmack, Cara: http://l.pastelegram.org/reviews/80
33 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 73.
34 Vgl. http://deutsches-filminstitut.de/blog/lecture-film-dezember/
35 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 76.
36 Vgl. Lüthy, Michael: http://www.michaelluethy.de/scripts/andy-warhol-film-sleep-eat-empire/
37 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 80.
38 Vgl. Kellein 1993 (siehe Anm. 1), S. 80.
- Citation du texte
- Anonyme,, 2014, Andy Warhol "Shadows". Informationen zum Kunstwerk, künstlerische Vorreiter, Ausstellungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1308740
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