Diese Seminararbeit aus dem Fachbereich der neueren Geschichte gibt eine gute Einführung in die Methoden der Demographie anhand des Beispiels der innerehelichen Fruchtbarkeit im Westeuropa des 18. Jahrhunderts.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Der Zusammenhang zwischen Heiratsalter und innerehelicher Fruchtbarkeit im Westeuropa des 18. Jahrhunderts
2. Allgemeine Darstellung
2.1. Faktoren, von denen das Heiratsalter abhängig ist
2.2. Faktoren, die die innereheliche Fruchtbarkeit beeinflussen
3. Heiratsalter und eheliche Fruchtbarkeit in Nord- und Südwestfrankreich im 18. Jahrhundert
4. Schlußfolgerung: Einfluß des Heiratsalters auf die innereheliche Fruchtbarkeit
5. Bibliographie
1. Einleitung: Der Zusammenhang zwischen Heiratsalter und innerehelicher Fruchtbarkeit im Westeuropa des 18. Jahrhunderts
Es ist unbestritten, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Heiratsalter und der innerehelichen Fruchtbarkeit geben muß. Denn je später ein Paar heiratet, desto mehr fruchtbare Jahre gehen verloren, wenn man die Zahl der illegitimen Geburten als verschwindend gering ansetzt, was für das 18. Jahrhundert durchaus wahrscheinlich ist. So sind sich die Forscher auch einig, daß "jedes Jahr, um welches eine Eheschließung verschoben wird, (...) sich unmittelbar auf die mögliche Kinderzahl" auswirkt.[1] Oder wie Pfister es ausdrückt: Durch das steigende Heiratsalter "verkürzte sich die fruchtbare Lebensspanne der Frau und wurde die Zahl der Kinder verringert, die sie zur Welt bringen konnte".[2] In der Tat ist in den westeuropäischen Ländern des 18. Jahrhunderts eine Steigerung des Heiratsalters zu verzeichnen. Daraus kann man jedoch nicht ohne weiteres schließen, daß es parallel zu dieser Steigerung des Heiratsalters auch zu einer Verringerung der ehelichen Fruchtbarkeit oder zu einem Rückgang der Geburtenzahlen kam. Dieses werde ich mit Kapitel 3 dieser Arbeit für den Norden Frankreichs im 18. Jahrhundert zeigen. Doch bevor Heiratsalter und innereheliche Fruchtbarkeit in Nord- und Südfrankreich für den betreffenden Zeitraum gegenübergestellt werden, halte ich es für sinnvoll, zunächst allgemein die Faktoren, von denen das Heiratsalter abhängig ist und die, von welchen die innereheliche Fruchtbarkeit beeinflußt wird, darzustellen.
Einen guten Überblick über die Literatur zu diesem Thema bietet Pfisters "Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie". Gleichzeitig bietet das Werk auch eine Einführung in das Thema. Einen guten Einstieg ermöglichen außerdem Imhofs "Einführung in die historische Demographie", Ehmers "Heiratsalter, Sozialstruktur ökonomischer Wandel" und Cipollas "Europäische Wirtschaftsgeschichte". Bezüglich der Situation in Frankreich waren unter anderem Flandrins "Familles, parentés, maison, sexualité dans l'ancienne société" und Lachivers 1969 erschienener Aufsatz "En Tourraine et en Berry" sehr aufschlußreich.
Eine ausführliche demographische Studie einer Stadt im deutschen Raum bietet Zschunkes "Konfession und Alltag in Oppenheim".
2. Allgemeine Darstellung
In diesem Kapitel soll beleuchtet werde, wie es zur Steigerung des Heiratsalters im 18. Jahrhundert kam. Entscheidend waren hierfür vor allem wirtschaftliche Faktoren, die im ersten Teil dieses Kapitels differenzierter dargestellt werden sollen. Der zweite Teil beschäftigt sich anschließend mit den Faktoren, die Einfluß auf die innereheliche Fruchtbarkeit nehmen.
2.1. Faktoren, von denen das Heiratsalter abhängig ist
Im Gegensatz zu heute war das Recht zur Eheschließung in den ständischen Gesellschaften der frühen Neuzeit "ein Privileg".[3] Heiraten durfte nicht jeder, denn die Eheschließung war an eine ganze Reihe kirchlicher, familiärer und staatlicher Regelungen gebunden.
So enwickelte die Kirche zum Beispiel einen umfangreichen Katalog von Inzestverboten und setzte zudem noch ein Mindestalter für die Hochzeit fest. Die Festsetzung und Durchführung eines geregelten Heiratsverfahrens und der schriftlichen Registrierung der Ehen nahm ihren Anfang mit dem Konzil von Trient 1563. Im Gegensatz zu den staatlichen Regelungen und Kontrollen bezüglich der Heirat muß man der Kirche jedoch zugestehen, daß sie die Eheschließung doch eher förderte, besonders natürlich, wenn es um die Legitimierung des sündhaften vorehelichen Geschlechtsverkehrs ging.
Die familiären und staatlichen Regelungen bezüglich der Heirat muß man im Zusammenhang mit dem "European Marriage Pattern" (Hajnal, 1965) sehen. Hajnal beschrieb mit diesem Begriff das spezifische Muster späten und selteneren Heiratens, welches sich westlich einer Linie von St. Petersburg nach Triest ausgeprägt hatte und dessen konstitutives Merkmal "die Bindung der Eheschließung an die Gründung eines eigenen Haushalts war."[4] Wenn ein junges Paar heiraten wollte mußte es also einen eigenen Haushalt eröffnen, was bedeutet, daß es eine freie Erwerbsstelle, sei es einen Hof oder einen Handwerksbetrieb finden mußte, bevor es vor den Traualtar treten konnte. Drastisch ausgedrückt konnte sich ein neues Paar also nur bilden, wenn ein anderes aufgehört hatte zu existieren. In diesem Zusammenhang spielt auch das regionale Erbrecht eine Rolle. In Gebieten mit Realerbteilungsrecht erbte jedes Kind zu gleichen Teilen. Das heißt, wenn der Vater sich zurüchzog oder starb, wurde dessen Besitz durch die Anzahl der Kinder geteilt. Diese Teilung funktioniert aber nur bis zu der Grenze ab der die neue Hofgröße die Subsistenzmöglichkeiten einer Bauernfamilie unterschreitet. In diesem Fall mußte der alte Bauer seine Kinder, die nichts mehr von dem Hof abbekommen konnten, mit Geld auszahlen. Ein weiters Problem war, daß die Eltern den Zeitpunkt der Hofübergabe so weit wie möglich an ihr Lebensende hinausschoben, um dem ungeliebten Austrag zu entgehen.[5] Trotzdem war im allgemeinen in Realerbteilungsgebieten das Heiratsalter geringer als in Gebieten mit Anerbenrecht, wo je nach regionaler Begebenheit entweder der älteste oder der jüngste Sohn das väterliche Erbe erhielt. Die anderen Kinder wurden ausbezahlt und mußten sich um ihre Versorgung außerhalb des väterlichen Betriebes kümmern. Dies zog nach sich, daß die ausbezahlten Erben unter Umständen noch sehr lange auf eine freie Hofatelle warten mußten. Hinzukommt noch, daß das Geld, welches sie als Erbe erhielten oftmals nicht ausreichte, um davon eine für die Ernährung einer Familie genügend große Erwerbsstelle zu kaufen. Die Betroffenen waren also gezwungen, sich dieses Geld noch als Knechte, Dienstboten oder Mägde hinzuzuverdienen, was den möglichen Heiratszeitpunkt noch weiter herauszögerte. Das Heiratsalter hing also auch von ökonomischen Voraussetzungen ab. Zudem muß man noch bedenken, daß die Heirat eines Sohnes oder einer Tochter der betroffenen Familie und eventuell dem Grundherrn Arbeitskraft und Vermögen entzog. Aus diesem Grunde forderten die Obrigkeiten auch, daß der Haushaltsvorstand erst einer Heirat zustimmen mußte, bevor diese zustande kommen konnte. Ein Veto konnte gegen die Person des gewünschten Partners und auch gegen die Eheschließung des Kindes überhaupt eingelegt werden. Der Heiratszeitpunkt konnte also auch von der Familie der Braut oder des Bräutigams verschoben oder gar ganz verboten werden.
Zu diesen familiären Regelungen kommen auch noch staatliche Kontrollen. Aus Gründen der Staatsraison befand in der frühen Neuzeit das Polizeiregiment über Heirat oder Nicht-Heirat. Dieses geschah in Form einer obrigkeitlichen Eheerlaubnis, die von Beamten, dem Militär, Studenten, Witwen, Handweksgesellen, Dienstboten, sowie Personen ohne Mittel und Wohnsitz eingeholt werden mußte. Man kann also durchaus "von einem System der staatlich konzessionierten Ehe sprechen".[6] In Oberbayern ging das Diktat der herrschaftlichen und materiellen Zwänge sogar so weit, daß nur diejenigen einander ehelichen konnten, bei denen der eine Partner Erbe eines Anwesens war und der andere das dazupassende Heiratsgut mitbrachte. Doch derartig strikte Regeln, bei denen das Kriterium für die Partnerwahl eine genau quantifizierbare Summe Geldes war, funktionierten nicht selbständig, sondern mußten von der Obrigkeit immer wieder neu durchgesetzt werden.
Hier stellt sich nun die Frage, warum die Obrigkeit an einer solch restriktiven Heiratspolitik interessiert war und warum sich die Bestrebungen nach der staatlichen Kontrolle der Eheschließungen im 18. Jahrhundert sogar noch verstärkten. Pfister stellt fest, daß die Regierung versucht habe, durch die Ehegesetzgebung die wachsende Massenarmut in den Griff zu bekommen, indem sie "die Reproduktion unvermögender Leute, die Staat und Gemeinden zur Last fallen konnten, möglichst zu verhindern suchte."[7] Dieses "Fortpflanzungsverbot" für die armen Leute widerspricht dem Ideal von Gusti, der behauptet, die Vermehrung der Einwohner vergrößere das Vermögen des Landes.[8] Von Gusti ist der Auffassung, daß die Regierung die Vermehrung aller Mitglieder eines Staates fördern sollte, da diese dann auch alle durch ihre Arbeit das Staatsvermögen vergrößern können. Er streitet zudem ab, daß ein Land jemals so viele Einwohner haben kann, daß die Ernährungskapazitäten des Landes überschritten werden. Seiner Meinung nach ist mit dem Anwachsen der Bevölkerung immer auch eine Produktionssteigerung möglich, so daß alle Menschen ausreichend versorgt werden können. In der Realität des 18. Jahrhunderts scheint diese These jedoch weitgehend utopisch gewesen zu sein, denn warum sonst hätte die Obrigkeit wohl nur den wirtschaftlich existenzfähigen Menschen das Eherecht gegeben? Diese staatlichen Regelungen passen sich der wirtschaftlichen Situation des Landes an. Die Familien müssen sich selbst ernähren können, ansonsten dürfen sie nach Möglichkeit erst gar nicht entstehen. Der Staat konnte oder wollte es sich nicht leisten, daß sich die unteren Schichten vermehrten, ohne daß sie eine Existenzgrundlage hatten. Im Prinzip versuchte die Obrigkeit also mit der Ehebeschränkung das Wachstum der Bevölkerung auf jenes der Wirtschaft abzustimmen, wobei eine Unterscheidung zwischen förderungs- und unterdrückungswürdigen Ehen nach Maßgabe der ökonomischen Fähigkeiten stattfand.[9] Sicherlich wäre ein rasches Anwachsen der Unterschichten auch als potentielle Bedrohung des Status quo wahrgenommen worden.
Doch das nicht nur wirtschaftliche Gründe die Obrigkeit dazu bewegten, das Heiratsalter an bestimmte Regelungen zu binden, zeigt das Beispiel einer Reihe von süddeutschen Staaten, in denen die Ableistung des Wehrdienstes zur Vorraussetzung für die Heiratserlaubnis gemacht wurde. Dies hängt damit zusammen, daß immer mehr stehende Heere aus der Bevölkerung rekrutiert wurden und sich dadurch zwangsläufig die Sorge um den ausreichenden militärischen Nachwuchs verstärkte.[10]
Wir haben bis jetzt festgestellt, daß sich das Heiratsalter hauptsächlich aus der wirtschaftlichen Situation eines heiratswilligen Paares ergibt. Es hängt also gewissermaßen auch mit der sozialen Schicht der Heiratswilligen zusammen. In diesem Zusammenhang stellt Knodel fest, daß Männer der dörflichen Oberschicht in der Regel um zwei bis drei Jahre jüngere Bräute nahmen als die Angehörigen der Unterschicht[11] In einigen Dörfern ließ sich sogar eine lineare Beziehung zwischen der Größe des Landbesitzes und dem durchschnittlichen Alter der Bräute festmachen, also je größer der Hof, desto jünger die Braut. Für dieses Phänomen bietet die Forschung zwei Erklärungsansätze, einen ökonomischen und einen familiensoziologischen. Der ökonomische Ansatz stützt sich auf der Tatsache, daß Frauen aus der Unterschicht sich ihre Mitgift erst als Mägde zusammensparen mußten. Frauen der Oberschicht hingegen, konnten sich direkt nach dem Heiratsentschluß ihre Mitgift aus den elterlichen Besitztümern geben lassen. Der familiensoziologische Ansatz vermutet, daß sich Männer der Oberschicht lieber jüngere Frauen nahmen, da sich eine jugendliche Braut im allgemeinen besser in die Autoritätsstruktur eines großbäuerlichen Hofs einfügen ließe. Gerade erst dem kindlichen Alter entwachsen sei sie sozusagen noch formbarer als eine ältere Frau. Inwieweit dies zutrifft und inwieweit die Bräute wirklich nach derartigen Kriterien ausgewählt wurden, ist nicht sicher feststellbar.
[...]
[1] C. M. Cipolla, e.a. (Hgs.), Europäische Wirtschaftsgeschichte Bd. 2, Sechzehntes und siebzehntes Jahrhundert, Stuttgart, New York, 1979, 42.
[2] Christian Pfister, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1500-1800, Lothar Gall (Hg.), Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 28, München, 1994, 218.
[3] Pfister, 1994, 24.
[4] Ebd. , 25.
[5] Ebd. , 27.
[6] Ebd. , 25.
[7] Ebd. , 26.
[8] Von Gusti, Staatswirtschaft, Erstes Buch, 2. Aufl. 1758, § 135.
[9] Vergl.: J. Ehmer, Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel. England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen, 1991, 50-52.
[10] Vergl.: Pfister, 1994, 28.
[11] J. Knodel, Demographic Behaviour in the Past. A Study of fourteen German Village Populations in the 18th and 19th centuries, Cambridge, 1988, 137-143.
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.