Die Werbung mit schockierenden Bildern wurde in den 1990er Jahren insbesondere durch den Kleidungshersteller Benetton in der deutschen Werbelandschaft etabliert. Zwar konnte sich dieser Typ Werbung nicht als all gemeingültiges Mittel durchsetzen. Jedoch findet sich immer wieder Werbung mit schockierenden Inhalten wie die HIV-Kampagne der Michael-Stich-Stiftung, die entsprechende Aufmerksamkeit erzielt. Ob diese Werbung in jedem Fall ihren angestrebten Zweck erfüllt mag dahinstehen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH), welche sich mit der rechtlichen Beurteilung der Werbung mit schockierenden Inhalten von Benetton befassen. Dabei wird das Spannungsfeld zwischen den Grundrechten und dem Wettbewerbsrecht aufgezeigt. Die Arbeit macht den Einfluss der Grundrechte und des BVerfG, als Hüterin der Grundrechte, auf das einfache Recht deutlich. Es wird zunächst die Gruppe der schockierenden Werbung in die Systematik des § 1 UWG eingefaßt und anschließend dieser Begriff näher betrachtet. Es folgt eine umfassende Darstellung der beiden Verfahren und der Argumente der entscheidenden Gerichte. Abschließend wird zum Thema Stellung genommen.
Gliederung
A. Einleitung
B. Systematische Einordnung
C. Schockwerbung
I. Gründe für den Einsatz von Schockwerbung
II. Schockierende Werbung in der Rechtswissenschaft
III. Abgrenzung zu anderen ähnlichen Arten
D. Verfahrensgang
E. Prüfung des § 1 UWG
I. Handeln im geschäftlichen Verkehr
II. Handel zu Zwecken des Wettbewerbs
III. Verstoß gegen die guten Sitten
1. Unbestimmter Rechtsbegriff
2. Beurteilung der Sittenwidrigkeit
3. Grundsatz der Sachlichkeit bei Nichtleistungswettbewerb
a. Ansicht des OLG Frankfurt
b. Ansicht des BGH
c. Ansicht aus Teilen der Literatur
d. Ansicht des BVerfG
aa. Einfluss der Grundrechte in das UWG
bb. Betroffene Grundrechte
e. Ansicht des BGH im Urteil „Benetton II“
f. Eigene Ansicht
F. Schluss
A. Einleitung
Die folgende Arbeit soll sich mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Werbung von Benetton befassen. Dabei wird einmal mehr der Einfluss der Grundrechte und des BVerfG, als Hüterin der Grundrechte, auf das Einfache Recht deutlich.
In der Seminararbeit soll zunächst die Gruppe der schockierenden Werbung in die Systematik des § 1 UWG eingefaßt und dieser Begriff näher betrachtet werden. Es folgt der Verfahrensgang und anschließend die Darstellung der Argumente der einzelnen Gerichte. Abschließend wird zum Thema Stellung genommen.
B. Systematische Einordnung
Die durch das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit offene Generalklausel des § 1 UWG bedarf der Konkretisierung. Diese ist seit Bestehen des UWG durch Jurisdiktion und Jurisprudenz so weit fortgeschritten, dass an der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm aufgrund des Bestimmtheitsgebots nicht gezweifelt wird. Bei der Systematisierung des, dem deutschen Recht grundsätzlich untypischen, Caselaw haben sich verschiedene Ansätze herausgebildet.[1] Hier soll von der Einteilung von Baumbach/Hefermehl ausgegangen werden. Danach fällt die schockierende Werbung unter die Fallgruppe des Kundenfang und in die Untergruppe der gefühlsbetonten Werbung.
Das Ansprechen und Ausnutzen von Gefühlen ist ein werbewirksames Mittel, um die Aufmerksamkeit des Verbrauchers auf das Waren- und Leistungsangebot des Kaufmanns zu lenken. Diese Werbemaßnahmen sind im besonders hohem Maß geeignet, den Umworbenen zu einer vorwiegend emotional motivierten Kaufentscheidung zu veranlassen.[2] Jedoch ist nicht jede an das Gefühl appellierende Werbung sofort wettbewerbswidrig. Denn zum Bild der modernen und vom Verbraucher nicht ohne weiteres als anstößig empfundenen Werbung gehört auch, dass nicht jedes bloße Ansprechen von Gefühlsregungen der Umworbenen als sittenwidrig angesehen werden kann.[3] Diese soll nur vorliegen, wenn eine gefühlsbetonte Werbung die Entschließung des Kunden unter Ausnutzung seiner Gefühle in einer dem Leitbild des Leistungswettbewerbs widersprechenden Weise in seiner Kaufentscheidung unsachlich beeinflußt wird.[4] Dabei ist im Einzelfall zu klären, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen der gefühlsbetonten Werbung und der angebotenen Ware oder Leistung besteht.
Auch bei der Betrachtung dieser Einzelfällen ist eine systematische Strukturierung versucht worden.[5] So wird zwischen Umweltwerbung, Angst-, Schock-, Gesundheitswerbung unterschieden. Auch wenn an dieser systematischen Einteilung gezweifelt werden kann[6], so ist zumindest allen Fällen gemein, dass sie auf der Gefühlsausnutzung des Beworbenen beruhen. Deshalb soll im weiteren an dieser Einteilung festgehalten werden.
C. Schockwerbung
I. Gründe für den Einsatz von Schockwerbung
Aufgrund der Werbeflut in den Medien kommt es zur Übersättigung der Konsumenten. Daraus ergibt sich das Problem für die Werbebranche, daß ihre Werbung überhaupt noch anerkannt wird und nicht nur am Ziel - dem Kunden - vorbeirauscht. So scheint der Kampf um die Aufmerksamkeit der Kunden und deren Verhaltensbeeinflussung für die Branche immer schwieriger zu werden. Die Übersättigung der Verbraucher führt zu Benötigung von Knall - oder "Big Bang"-Effekten.[7] Es muß ihr folglich gelingen, Aufmerksamkeit zu erlangen und diese auf die Botschaft zu lenken.
Diesen Knalleffekt erhofft man sich etwa auch bei der Schockwerbung. Sie stellt seit Anfang der 1990er Jahre eine neue Form der Werbung dar. Dabei werden Bilder leidender oder sterbender Menschen, Gewaltdarstellungen oder Abbildungen, die die Not der Kreatur wiedergeben, benutzt.
Der Bekleidungshersteller Benetton nimmt bei der Benutzung dieser Werbeart eine herausragende Stellung ein. Das italienische Unternehmen sagt selbst über diese Form der Werbung: „Wir machen kein High-Tech-Produkt. Darum ist es wichtig, daß Menschen, die nicht unsere Pullover und Röcke kaufen, über Benetton sprechen.“[8] Auch die Bekleidungsunternehmen Otto Kern und Diesel versuchten sich an ähnlich provozierender Werbung.
Ob diese Art der Werbung wirklich verkaufsfördernd ist, sei dahingestellt. So sind nach einer Umfrage der Zeitschrift w&v sind 51 Prozent der Kunden der Meinung, dass Schockwerbung den Kunden nicht vom Kauf der Marke abhalten wird. 36 Prozent hingegen glauben, dass provokante Werbung vom Kauf abschreckt. Auch ist sich gut die Hälfte (54 Prozent) sicher, dass es bei Werbung hauptsächlich auf die Erregung von Aufmerksamkeit ankommt, egal ob die Werbung nun schockiert oder nicht. An die Grenzen des guten Geschmacks stoßen bei den Befragten Kampagnen, in denen Menschen sterben oder physisch verletzt werden (25 Prozent), dicht gefolgt von Schock-Werbung in der Kinder mitspielen (22 Prozent). Weitere Grenzfälle sind blutige Szenen (17 Prozent) oder Spots und Motive, mit denen die Gefühle einer Gruppe verletzt werden (15 Prozent)[9]
II. Schockierende Werbung in der Rechtswissenschaft
Der Begriff der schockierenden Werbung fand durch Henning-Bodewig[10] Eingang in die Rechtswissenschaft und wurde später von der Rechtsprechung übernommen.
Als erstes hatte sich aber Wünnenberger sehr intensiv mit der schockierenden Werbung beschäftigt und folgende Definition aufgestellt[11]:
Schockierende Werbung ist "das Werben mit einer gestellten oder realistischen Bildaufnahme, die Not, Leid und Elend, aber auch religiöse oder politisch höchst sensible Themen zum Inhalt hat, keinerlei oder nur unzureichenden Sachbezug zu dem zu bewerbenden Produkt oder Unternehmen aufweist und lediglich bzw. dennoch mit dem Logo einer Firma oder eines Produkts verbunden ist, die aber aufgrund ihres unerwarteten Motivs geeignet ist, Reaktionen vielfältiger Art von heftigster Intensität hervorzurufen". Dabei ist jedoch nicht zwingend notwendig, dass eine Schock-Reaktion ausgelöst wird. Es soll nach Wünnenberger auch intensive emotionale Erregungen wie Mitleid, Mitgefühl, Betroffenheit oder Empörung ausreichen. Deshalb ist der Begriff schockierende Werbung etwas unpassend gewählt, aber mittlerweile fester terminus technicus geworden.
Zunächst wurde noch die Ansicht vertreten, dass nur auf Darstellungen von realen Situationen abgestellt werden sollte.[12] Mittlerweile besteht aber Einigkeit, dass auch gestellte Bildaufnahmen unter diese Gruppe fallen. Schockierende Werbung kann kurz sagt dadurch gekennzeichnet, dass sie beim Umworbenen durch Hervorrufen von Entsetzen, Ablehnung und Mitleid Solidaritätsgefühle mit dem werbenden Unternehmen auslöst.[13] Dadurch steigert sich dessen Ansehen und Geschäftstätigkeit, ohne dass die Werbung einen Informationswert für die umworbene Ware oder Leistung besitzt. Diese Form der Werbung wird deshalb auch Imagewerbung genannt.
III. Abgrenzung zu anderen ähnlichen Arten
Die Werbung vieler Hilfsorganisationen wie Caritas, Brot für die Welt u.a. erinnern mit ihren Darstellungen halb verhungerter Kinder oft ebenfalls an schockierende Werbung. Ein bloßes Ansprechen von Gefühlsregungen des Umworbenen reicht für eine Wettbewerbswidrigkeit allein nicht aus. Diese Werbung wird nicht in die Kategorie der Schockwerbung eingestuft, weil hier die gezeigten Bilder einen Bezug zu den beworbenen „Produkten“ haben.[14] Auch wenn mit der gezeigten Elendsästhetik bewußt Schuld- und Reuegefühle ausgenutzt werden.
D. Verfahrensgang
In der Vergangenheit waren zunächst die Fachgerichte und später auch das BVerfG mit der Schockwerbung befasst. Dabei geht es insbesondere um die Werbung des Unternehmens Benetton. In diesen Anzeigen waren Abbildungen einer ölverschmutzten, auf einem Ölteppich schwimmenden Ente, schwer arbeitender Kleinkinder der Dritten Welt und eines nackten menschlichen Körperteils (Oberarm, Gesäß und Schamgegend) mit dem Stempelaufdruck „H.I.V.-Positiv“ zu sehen. Auf dem Rand der Abbildungen war der die Firma Benetton bezeichnende Hinweis „United Colors of Benetton“.
Die Zeitschrift „Stern“ druckte die Anzeigen der Firma Benetton. Daraufhin wurde sie von der Zentralstelle zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs zur Unterlassung aufgefordert, weil diese gegen § 1 UWG verstieße. Die Zeitschrift beharrte jedoch auf ihrem Recht zum Druck der Anzeigen, so dass daraufhin die nach § 13 II UWG klagebefugte Zentralstelle Klage erhob. Beklagt waren zum einen das Presseunternehmen Grunner und Jahr, welches in seiner Illustrierten „Stern“ die Anzeigen veröffentlichte und das werbende Unternehmen Benetton.
Die Instanzgerichte Landgericht Frankfurt und Landgericht Düsseldorf sahen in ihren Urteilen[15] aufgrund der Sittenwidrigkeit dieser Werbung § 1 UWG als gegeben an. Dies wurde, insbesondere im Falle der HIV-Anzeige besonders deutlich, vom BGH[16] im Jahre 1995 bestätigt. Daraufhin legte die Zeitschrift „Stern“ und nicht etwa das betroffene Textilunternehmen wegen Verletzung der Pressefreiheit Verfassungsbeschwerde ein. Dieser gab der erste Senat des BVerfG am 12.12.2000 statt[17] und wies die Sache an den BGH zurück. Der BGH[18] kam nach abermaliger Prüfung am 6.12.2001 zu dem Ergebnis, dass trotz der Implikation der Pressefreiheit eine Sittenwidrigkeit der Anzeigen gegeben wäre.
[...]
[1] So etwa von Emmerich, S. 74; v.Gamm § 1 UGW, Rdnr. 55 ff. und Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG, Rdnr. 160 ff.
[2] Köhler/Pieper - Pieper, § 1 UWG, Rdnr. 239.
[3] Vgl. BGH GRUR 1976, 308, 309 „UNICEF-Grußkarten“.
[4] BGH GRUR 1995, 742, 743 „Arbeitsplätze bei uns“; BGH GRUR 1991, 545, 545 „Tageseinnahmen für Mitarbeiter“; Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 185.
[5] So etwa: Köhler/Pieper - Pieper, § 1 UWG; Rdnr. 245 ff.; Ekey u.a. - Plaß, § 1 UWG; Rdnr. 200 ff.; Gloy - Jacobs/Hasselblatt § 50, Rdnr. 1 ff.
[6] so etwa Kassebohm, S. 87 ff.
[7] Ohne Verfasser, in werben und verkaufen (w&v) Nr. 33 vom 19.08.1995, S. 3.
[8] www.benetton.com.
[9] Ohne Verfasser, in werben und verkaufen (w&v)-online, vom 29.06.2000, http:// www. wuv.de/news/archiv/3/a20890/index.html.
[10] Henning-Bodewig, in WRP 1992, 533, 533 ff.
[11] Wünnenberger, S. 4.
[12] Sosnitza, in GRUR 1993, 504, 504 f.
[13] Baumbach/Hefermehl, § 1 UWG, Rdnr. 187a.; Wünnenberg, S. 4.; Gloy - Jacobs/ Hasselblatt § 50, Rdnr. 32.
[14] BGH GRUR 1976, 308, 309 „UNICEF-Grußkarten“; Köhler/Pieper - Pieper, §. 1 UWG, Rdnr. 239 ff.
[15] OLG Düsseldorf, AfP 1994, 310 „verölter Wasservogel“; OLG Frankfurt a.M., WRP 1994, 405 „verölter Wasservogel“ und NJW-RR 1994, 945 „H.I.V. positiv“.
[16] BGH GRUR 1995, 595 „Kinderarbeit“; GRUR 1995, 600 „H.I.V.-Positiv“; GRUR 1995, 598 „Ölverschmutzte Ente“.
[17] BVerfGE 102, 347.
[18] BGH NJW 2002, 1200 „H.I.V.-Positiv II“.
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