Das Programm dieses Essays besteht aus der Darlegung von George Herbert Meads Erklärungen zur Herausbildung der subjektiven Identität im Zusammenspiel des Individuums mit der Gesellschaft. Diese ermöglicht es, die Bedeutung der im Titel erwähnten Perspektiv- beziehungsweise Rollenübernahme herauszustellen und zu erläutern. Die folgenden Inhalte basieren auf der als Meads Hauptwerk geltende Abhandlung "Mind, Self, and Society", welche allerdings posthum von seinem Schüler Charles W. Morris auf der Grundlage von Vorlesungsmitschriften zur Sozialpsychologie aus dem Jahr 1927 veröffentlicht wurde.
Meads Ausführungen dienten zahlreichen sozialwissenschaftlichen Schulen wie dem Symbolischen Interaktionismus und Garfinkels Ethnomethodologie als Inspiration, sodass eine etwaige Auseinandersetzung damit als unerlässlich scheint, um einen wichtigen Strang soziologischer Theoriebildung historisch nachvollziehen zu können.
Zunächst folgt eine knappe Zusammenfassung dessen, worüber Mead im erwähnten Schlüsselwerk referiert, um die anschließende Beantwortung der Ausgangsfrage möglichst schlüssig darstellen zu können. Wie der entsprechende Untertitel "From the Standpoint of a Social Behaviorist" verrät, sah sich Mead als Sozialbehaviorist, der damit an den zeitgenössischen, von John B. Watson geprägten Behaviorismus anschloss.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Perspektivübernahme nach Mead
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Programm dieses Essays besteht aus der Darlegung von George Herbert Meads Erklärungen zur Herausbildung der subjektiven Identität im Zusammenspiel des Individuums mit der Gesellschaft, was es ermöglicht, die Bedeutung der im Titel erwähnten Perspektiv- bzw. Rollenübernahme herauszustellen und zu erläutern. Die folgenden Inhalte basieren auf der als Meads Hauptwerk geltende Abhandlung Mind, Self, and Society, welche allerdings posthum von seinem Schüler Charles W. Morris auf der Grundlage von Vorlesungsmitschriften zur Sozialpsychologie aus dem Jahr 1927 veröffentlicht wurde (vgl. Göymen-Steck/Völcker 2014: 112). Meads Ausführungen dienten zahlreichen sozialwissenschaftlichen Schulen wie dem Symbolischen Interaktionismus und Garfinkels Ethnomethodologie als Inspiration (vgl. ebd.), sodass eine etwaige Auseinandersetzung damit als unerlässlich scheint, um einen wichtigen Strang soziologischer Theoriebildung historisch nachvollziehen zu können.
2. Die Perspektivübernahme nach Mead
Zunächst folgt eine knappe Zusammenfassung dessen, worüber Mead im erwähnten Schlüsselwerk referiert, um die anschließende Beantwortung der Ausgangsfrage möglichst schlüssig darstellen zu können. Wie der entsprechende Untertitel From the standpoint of a social behaviorist verrät, sah sich Mead als Sozialbehaviorist, der damit an den zeitgenössischen, von John B. Watson geprägten Behaviorismus anschloss (vgl. 1972: 2). Mead fasst diesen folgendermaßen zusammen und begründet seine Erweiterungen von dessen Prinzipien: „It aims to observe conduct as it takes place, and to utilize that conduct to explain the experience of the individual without bringing in the observation of an inner experience, a consciousness as such“ (ebd.: 3) und konstatiert weiterhin: „Psychology itself cannot very well be made a study of the field of consciousness alone“ (ebd.: 4), womit die programmatische Ausrichtung des Werkes abgebildet ist. Während Behavioristen den Menschen als nahezu vollständig unter dem Einfluss seiner Umwelt sahen, „rückte Mead das aktiv handelnde und vernunftbegabte Subjekt in den Vordergrund“ (Abels 2007: 16), womit „er sozusagen ein Stück Freiheit des Menschen“ (ebd.: 15) verteidigte. Um die Abläufe im Inneren des Menschen erklären zu können, in das man trivialerweise nicht hineinschauen kann und das somit ebenfalls ein Grundproblem der Soziologie darstellt, hält Mead den Behaviorismus dennoch für einen adäquaten Ausgangspunkt, da sich Menschen untereinander der Kommunikation bedienen, was sich wiederum beobachten und verwerten lässt (vgl. 1972: 5). Darüber hinaus unterscheidet Mead das Tier vom Menschen dergestalt, dass Letzterer „über die Welt [verfügt] und […] sie durch sein Handeln [bewältigt]“ (Abels 2007: 16f.) im Gegensatz zum Tier, das „auf seine artspezifische Umwelt instinktiv reagiert“ (ebd.: 17). Dies ist die Grundlage für Meads Theorie der Kommunikation, für deren Verständnis die folgenden beiden Konzepte von außerordentlicher Bedeutung sind: Gesten und Symbole. Der Begriff Geste, den Mead von Wilhelm Wundt übernimmt, steht für Stimuli, die bestimmte Verhaltensweisen und Reaktionen im Gegenüber auslösen und sind am Anfang einer sozialen Handlung zu identifizieren. (vgl. 1972: 42). Mead veranschaulicht dies im Werk an mehreren Stellen mit Beispielen aus der Tierwelt, die oft aus einer evolutionsbiologischen Perspektive betrachtet werden (vgl. ebd.: 14, 63f., 359ff.) und hält insgesamt fest: „The meaning of a gesture by one organism […] is found in the response of another organism to what would be the completion of the act of the first organism which that gesture initiates and indicates.“ (ebd.: 146). Um im Folgenden auf die menschliche Kommunikation schließen zu können, hält Mead fest, dass das Denken immer in Symbolen stattfindet (vgl. ebd.), die u.a. dahingehend zu identifizieren sind (aber nicht ausschließlich), dass sie in einem selbst die gleiche Bedeutung haben und die gleiche Reaktion hervorrufen, wie in jemand anderem und somit einen universellen Charakter haben, was Mead auch als signifikant bezeichnet (vgl. ebd.: 146f., 149). Daraus folgt, dass vokale Gesten, die nach Mead zusätzlich einen erheblichen Bestandteil der evolutionsgeschichtlichen Anpassung sind (vgl. ebd.: 359ff.) und welche diesen Zustand der wechselseitigen Verständigung erreicht haben, zu signifikanten Symbolen werden (vgl. ebd.: 46f.), oder anders ausgedrückt zu Sprache und damit zu einer genuin menschlichen Eigenschaft, womit eine weitere Brücke zum Unterschied zwischen Mensch und Tier geschlagen ist (vgl. Abels 2007: 21f.). Mit diesem Wissen im Hintergrund lässt sich nun adäquater auf die dem Essay zugrundeliegende Fragestellung eingehen. Wenn in der menschlichen Kommunikation signifikante Symbole, die explizite und nicht gänzlich zufällige Bedeutungen haben, das Medium sind, kann ego das Verhalten des alter bzw. Gegenüber antizipieren (vgl. ebd.: 22). Gleichsam antizipiert alter das Verhalten von ego und beide wissen, dass der jeweils andere dies weiß und vollzieht. Das ist, was Mead als „taking the rôle of the other“ (Mead 1972: 153) bzw. Perspektivübernahme bezeichnet. Unabhängig davon, wie sich diese Perspektive in das soziologische Problem der doppelten Kontingenz einflechten lässt, geht Mead davon aus, dass „ohne [diese] Verschränkung der Perspektiven […] Handeln gar nicht denkbar [ist]“ (Anm. d. Verf., Abels 2007: 23). Allerdings ist dieser Sachverhalt nicht nur für menschliche Interaktion an sich relevant, sondern auch für die Identität bzw. Self, dessen Genese nach Mead über diesen sozialen Umweg festzuhalten ist (vgl. Mead 1972: 144). Um diesen Prozess näher beschreiben und erklären zu können, geht Mead anschließend auf das Verhalten von Kindern beim Spielen ein und identifiziert zwei überaus wichtige Aktivitäten bzw. Phasen: das Play und das Game (ebd.: 149). Das Play ist folgendermaßen charakterisiert: „A child plays at being a mother, at being a teacher, at being a policeman; that is, it is taking different rôles […]“ (ebd.: 150). Dieses Verhalten impliziert, dass das Kind die Stimuli bzw. Gesten der jeweils übernommenen Rolle verinnerlicht hat und weiß, welche Reaktionen das jeweilige Verhalten in anderen hervorrufen würden, indem er diese auf sich selbst projiziert und bspw. von sich selbst etwas kauft oder sich selbst als Lehrer anspricht und anschließend wieder die Rolle wechselt, sodass in ihm eine bestimmte organisierte Struktur entsteht, die das Fortführen der Unterhaltung mit sich selbst ermöglicht (vgl. ebd.: 150f.). Für die Entwicklung des Self bedeutet dies wiederum: „These are personalities which they take, rôles they play, and in so far control the development of their own personality“ (ebd.: 153). Die konsequente Entwicklungsstufe davon ist das Game, also ein organisiertes und regelbehaftetes Spiel, für dessen erfolgreiche Teilnahme ein Kind zu jeder Zeit die Perspektiven bzw. Rôles jedes anderen beteiligten Kindes und deren Beziehung untereinander übernehmen muss (vgl. ebd.: 151). Am Beispiel des Softballs verdeutlicht Mead, dass ein Kind nicht jederzeit tatsächlich alle vorhandenen Rollen im direkten Bewusstsein haben, aber offensichtlich verinnerlicht haben muss, wer wann wirft, wer fängt und welche Reaktionen darauf jeweils auszuführen sind (vgl. ebd.: 151). Letztere sind entsprechend durch die Regeln des Spiels bestimmt und das Lernen dieser konstituiert für Mead einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Self und hält schlussendlich fest: „The game represents the passage in the life of the child from taking the rôle of others in play to the organized part that is essential to self-consciousness in the full sense of the term“ (ebd.: 152).
Insgesamt betrachtet lässt sich somit die Pointe festhalten, dass aus Mead’scher Perspektive beobachtet die Genese der Identität bzw. Self ein außerordentlich sozialer Prozess ist. Weiterhin löst Mead so aus seiner Perspektive den dichotomen Gegensatz von Individuum-Gesellschaft bzw. Ich und Sozialität auf, indem er nahelegt, dass beide Formen ineinander verschränkt sind und sich wechselseitig konstituieren und beeinflussen (vgl. Göymen-Steck/Völcker 2014: 113). Darüber hinaus liefert Mead durch seine Beschreibung der Konstitution des Self in den kindlichen Jahren durch das Play bzw. Game eine Sozialisationstheorie, obwohl er dies nicht explizit so nennt. Für alle drei im Titel des Werkes erwähnten Bereiche (Mind, Self, Society) ist aus Meads Sicht das Prinzip der Perspektivübernahme ein konstituierendes und fortwährend aufrechterhaltendes Element, wenngleich auf den letzten Teil bezüglich der Gesellschaft hier aufgrund des Formats nicht näher eingegangen werden kann außer kurz festzuhalten, dass Rollenübernahme für Mead eine Art der sozialen Kontrolle durch die Selbstreflektion des eigenen Verhaltens ist und somit die Integration in soziale Gruppen beeinflusst und reguliert (vgl. Mead 1972: 253ff.).
3. Fazit
Mit diesem Essay sollte deutlich geworden sein, wie aus einer psychologischen Perspektive heraus betrachtet Erkenntnisse für soziologische Theorien gewonnen werden können. Die Ansätze von Mead bzw. dem darauf aufbauenden Symbolischen Interaktionismus nach Herbert Blumer sind im Laufe des 20. Jahrhunderts Ausgangspunkte vieler verschiedener methodologischer Projekte gewesen.
Wenngleich psychologische Forschungsergebnisse u.a. die von Mead postulierten Grundannahmen berechtigt in Frage stellen: „The evidence seems to support a contrary position that imitation is the basis of taking the role of the other and thus of language and self- consciousness“ (Booth 2016: 231, Herv. i. O.), können Meads Ansätze dennoch für neuere methodologische Ansätze fruchtbar gemacht werden (vgl. Wagner 1999).
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- Quote paper
- Martin Fischer (Author), 2020, Perspektivübernahme nach Georg Herbert Mead. Subjektive Identität im Zusammenspiel des Individuums mit der Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/999665
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