Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über die Ausprägung von Mehrsprachigkeit in der betrieblichen Berufsausbildung am Beispiel der AUDI AG. Ein spezieller Fokus liegt auf der Evaluation von damit verbundenen Maßnahmen des Sprachmanagements zur Förderung des mehrsprachigen Repertoires. Wie gestaltet sich die Mehrsprachigkeit am Ausbildungsplatz und durch welche Konzepte können mehrsprachige Repertoires in der betrieblichen Berufsausbildung von Seiten des Betriebs gefördert werden?
Das basale Erkenntnisinteresse dieser Masterarbeit liegt deshalb einerseits in der Skizzierung der theoretischen Forschungslücke sowie der praktischen Analyse des gegenwärtigen Status quo in der AUDI AG, einem international agierenden und global produzierenden Automobilkonzern. Darüber hinaus sollen Konzepte zur Integration mehrsprachiger Methoden in die betriebliche Berufsbildung der AUDI AG erarbeitet werden, um das mehrsprachige Repertoire der Auszubildenden zu fördern. Demnach ist die vorliegende Arbeit theoretisch in der Angewandten Linguistik zu verorten und besteht aus einem interdisziplinären Nexus von linguistischen, soziologischen und ökonomischen Theorien.
Außerdem wird das Thema auf die interne Kommunikation der Auszubildenden am Standort Ingolstadt eingeengt. Darüber hinaus versteht sich diese Arbeit als eine breitangelegte Überblicksarbeit über verschiedene Konzepte, die aufgrund des begrenzten Rahmens an mancher Stelle nicht in die Tiefe gehen kann. Die Relevanz resultiert aus der fortschreitenden Globalisierung, der Präsumtion der Berufsbildung als Lernprozess von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen sowie dem Bedarf an mehrsprachig qualifizierten Arbeitskräften
Als Folge diverser Entwicklungen ist der moderne Arbeitsplatz durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet. Diese Mehrsprachigkeit berührt aber nicht mehr nur Mitarbeiter der Führungs- oder Managementebene, auch Auszubildende sind davon zunehmend betroffen. Deswegen wurden in einem ersten Schritt theoretische Erkenntnisse zu Mehrsprachigkeit und Berufsausbildung herausgearbeitet. Auch die Verortung innerhalb der AUDI AG wurde dabei berücksichtigt. Auf Grundlage einiger empirischer Ergebnisse aus Fragebögen, Interviews, Linguistic Landscapes und teilnehmender Beobachtungen wurden am Ende der Studie Vorschläge für die Integration mehrsprachiger Kommunikation in den Ausbildungsalltag entwickelt.
Inhalt
AbstractI
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einführung: Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt
2 Theoretische Aspekte der Mehrsprachigkeit am betrieblichen Ausbildungsplatz
2.1 Sprachlich-kommunikative Kompetenz in der Ausbildung
2.2 Arten von Mehrsprachigkeit am Ausbildungsplatz
2.3 Sprachmanagement am Arbeitsplatz
2.3.1 Englisch als Lingua franca in der Arbeitswelt
2.3.2 Die Rolle anderer Sprachen in der Ausbildung
2.3.3 Konzepte und Methoden zur Förderung von Mehrsprachigkeit
3 Theoretische Aspekte der Berufsausbildung
3.1 Berufsausbildung als Lernprozess von Kompetenzen
3.2 Ausbildung am Arbeitsplatz
3.3 Modell des Mehrsprachigkeitserwerbs am Arbeitsplatz
4 Mehrsprachigkeit und Ausbildung bei der AUDI AG
4.1 Berufsausbildung bei Audi
4.2 Einordnung in die Unternehmenskultur und Strategien
4.3 Sprachmanagement bei der AUDI AG
5 Forschungsdesign der empirischen Studie
5.1 Forschungsfrage und Forschungshypothese
5.2 Methodisches Vorgehen
5.2.1 Teilnehmende Beobachtung
5.2.2 Linguistic Landscapes
5.2.3 Fragebogen
5.2.4 Leitfadengestützte Interviews mit Sprachporträts
5.2.5 Hospitationen
6 Resultate der Empirie
6.1 Fragebogen der Auszubildenden
6.1.1 Erster Teil: Sprachbiografie
6.1.2 Zweiter Teil: Sprachverhalten und -wahrnehmung
6.1.3 Dritter Teil: Sprachbewusstsein
6.1.4 Vierter Teil: Spracheinstellungen
6.1.5 Fünfter Teil: Methodenvorschläge
6.2 Interviews der Trainer
6.3 Interviews mit Auszubildenden
6.4 Bestehende Konzepte zur Förderung von Mehrsprachigkeit
6.4.1 Auslandsaufenthalt
6.4.2 Betrieblicher Sprachunterricht
6.4.3 Englischtag und Linguistic Landscapes
7 Diskussion der Ergebnisse
8 Sprachmanagement zur Förderung der Mehrsprachigkeit
8.1 Redeanlässe
8.2 Rezeptive Mehrsprachigkeit und vereinfachte Sprachformen
8.3 Immersion
8.4 Linguistic Landscapes
8.5 E-Learning
8.6 Selbstgesteuertes Lernen und Selbstlernmaterialien
8.7 Fazit
9 Resümee und Ausblick
Literatur
Anhang
Anhang 1: Beispiel einer Lernaufgabe mit Arbeitsauftrag
Anhang 2: Protokoll Teilnehmende Beobachtung
Anhang 3: Linguistic Landscapes
Anhang 4: Fragebogen der Auszubildenden
Anhang 5: Liste aller Sprachabkürzungen im Fragebogen
Anhang 6: Interviewleitfaden der Trainer
Anhang 7: Interviewleitfaden der Auszubildenden
Abstract
Die vorliegende Masterarbeit gibt einen Überblick über die Ausprägung von Mehrsprachigkeit in der betrieblichen Berufsausbildung am Beispiel der AUDI AG. Ein spezieller Fokus liegt auf der Evaluation von damit verbundenen Maßnahmen des Sprachmanagements zur Förderung des mehrsprachigen Repertoires.
Als Folge diverser Entwicklungen ist der moderne Arbeitsplatz durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet. Diese Mehrsprachigkeit berührt aber nicht mehr nur Mitarbeiter der Führungs- oder Managementebene, auch Auszubildende sind davon zunehmend betroffen. Deswegen wurden in einem ersten Schritt theoretische Erkenntnisse zu Mehrsprachigkeit und Berufsausbildung herausgearbeitet. Auch die Verortung innerhalb der AUDI AG wurde dabei berücksichtigt. Auf Grundlage einiger empirischer Ergebnisse aus Fragebögen, Interviews, Linguistic Landscapes und teilnehmender Beobachtungen wurden am Ende der Studie Vorschläge für die Integration mehrsprachiger Kommunikation in den Ausbildungsalltag entwickelt.
Keywords: Mehrsprachigkeit; Berufsausbildung; Auszubildende; Englisch
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vergleich verschiedener Kompetenzuntergliederungen
Tabelle 2: Vergleich verschiedener theoretischer Perspektiven zum Lernprozess; adaptiert nach Karl (2011)
Tabelle 3: Übersicht über alle Sprachkurse für die Auszubildenden der AUDI AG; entnommen aus Audi Akademie (2018e); eigene Darstellung; Abkürzungen siehe Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung: Mehrsprachigkeit in der Arbeitswelt
In der europäischen Gesellschaft existiert eine sprachideologische Präsumtion, in der sich Einsprachigkeit als Regularität und Mehrsprachigkeit als Exzeption profilieren, wenngleich diese Hypothese nicht verifiziert werden kann. Dieses Phänomen wird als monolingualer Habitus bezeichnet(vgl. Gogolin 2002:12; vgl. Auer/Wei 2007:1; vgl. Lüdi 1996:233). Gleichwohl herrscht in der wissenschaftlichen Literatur ein Konsens über die Vorzüge mehrsprachiger Individuen,1 die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Potentiale generieren(vgl. Lüdi 2017:34; vgl. Roche 2013:180). Mehrsprachigkeit wird daher in der postmodernen Arbeitswelt2 – bedingt durch Migration, Fachkräftemangel, Expansion, Technologisierung und Globalisierung – zunehmend eine wertvolle Ressource und als kulturelles Kapital3 (vgl. Bourdieu 1983:185)für Mitarbeiter internationaler Unternehmen obligat(Angouri 2014:1):
The modern workplace is international and multilingual. […] [e]mployees are expected […] to address complex organisational issues in a language that, often, is not their first language (L1).
Diese Entwicklung veranlasst multinationale Unternehmen (MNU) zu einer strategischen Auseinandersetzung mit Sprachen, die sich in einem Sprachmanagement manifestiert, welches den Sprachgebrauch oder die damit verbundenen Qualifizierungsmaßnahmen regelt, um individuelle Mehrsprachigkeit zu einer funktionalen Mehrsprachigkeit in der Domäne Arbeit auszubauen. Dabei führt die hegemoniale ökonomische Dominanz anglophoner Staaten zu einem Primat der englischen Sprache, das sich durch den internationalen Gebrauch des Englischen als Lingua franca (ELF) exponiert.
Mehrsprachige Kompetenzen sind jedoch nicht nur für Angestellte der Führungs- oder Managementebene relevant, auch nicht-akademische Nachwuchskräfte einer dualen Berufsausbildung müssen sich den Anforderungen der New Economy anpassen(vgl. Lüdi 2017:31; vgl. Steffan u.a. 2017:57; vgl. Archan/Dornmayr 2006:11). Vor allem in Großkonzernen wird durch die Integration neuer Methoden sowie einer kompetenz- und handlungsorientierten Basis eine qualitative Aufwertung vorgenommen. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen an alle Beteiligten des Ausbildungsprozesses, um in der postmodernen Arbeitswelt mit den verfügbaren sprachlichen Ressourcen handeln zu können (Multikompetenz).
Auch in der wissenschaftlichen Literatur nimmt die Forschung zu Mehrsprachigkeit in Unternehmen eine immer zentralere Rolle ein. Seit sich Deutschland im Zuge der verstärkten Zuwanderung von Arbeitskräften und Flüchtlingen mit der Frage der Eingliederung von Menschen mit anderen Muttersprachen als Deutsch (Herkunftssprachen) in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt auseinandersetzt, können hier Studien verzeichnet werden, die sich mit den typischen Migrationssprachen (Rumänisch, Russisch, Türkisch, Arabisch etc.) beschäftigen.4 Viele Studien dazu stammen aus Ländern mit territorialer oder hoher individueller Mehrsprachigkeit, da die Sprachen aufgrund der permanenten Kontaktsituation konkreten Einfluss auf den Arbeitsalltag(vgl. Lüdi u.a. 2016)oder den Ausbildungsalltag(vgl. Lüdi 2010)mit sich bringen. In einem Gros der Studien wird aber vorwiegend die Managementebene betrachtet, während Forschung zu Mehrsprachigkeit unter gering Qualifizierten defizitär bleibt bzw. erst seit wenigen Jahren intensiver erforscht wird(vgl. Gonçalves/Schluter 2017:242; vgl. Goldstein 1997:143 ff.). Schon vor zwanzig Jahren kamen viele Studien zu dem Schluss, dass ein zu geringer Fokus auf Fremdsprachen in der Ausbildung liegt(vgl. Ross 1997:16; vgl. Schöpper-Grabe/Weiß 1998:13). Als Ergebnis wurde ein verstärkter Fremdsprachenunterricht an den Berufsschulen gefordert(vgl. z.B.Weiß/Schöpper-Grabe 1995:7). Gesteuerte Unterrichtsformen tun jedoch den Anforderungen der postmodernen Arbeits- und Ausbildungswelt nicht mehr genüge, stattdessen werden innovative Konzepte gesucht, die auf die neuen Herausforderungen durch methodisch und didaktisch angemessene, integrative Lernprozesse vorbereiten(vgl. Seuter/Scholz 2015:3). Auf entsprechende Entwürfe in der betrieblichen Ausbildung wird in der Forschungsliteratur gelegentlich eingegangen(vgl. Lüdi 2017; vgl. Bethscheider 2012:23), jedoch fehlen größere Studien oder praktische Konzepte in diesem Fall gänzlich. Auch ist eine Forschungslücke bei der mehrsprachigen Förderung monolingual aufgewachsener Auszubildender zu konstatieren, während hingegen ein breites Forschungsfeld zur Förderung von Auszubildenden mit Migrationshintergrund besteht(vgl. Daase 2012; vgl. Bethscheider 2012; vgl. Meyer/Apfelbaum 2010). Aus diesem Grund ist für die Förderung der Mehrsprachigkeit speziell in der betrieblichen Berufsausbildung eine Forschungslücke zu festzustellen.
Die zentrale Fragestellung schließt somit an eine theoretische Forschungslücke und ein praktisches Erkenntnisinteresse an: Wie gestaltet sich die Mehrsprachigkeit am Ausbildungsplatz und durch welche Konzepte können mehrsprachige Repertoires in der betrieblichen Berufsausbildung von Seiten des Betriebs gefördert werden?
Das basale Erkenntnisinteresse dieser Masterarbeit liegt deshalb einerseits in der Skizzierung der theoretischen Forschungslücke sowie der praktischen Analyse des gegenwärtigen Status quo in der AUDI AG, einem international agierenden und global produzierenden Automobilkonzern. Darüber hinaus sollen Konzepte zur Integration mehrsprachiger Methoden in die betriebliche Berufsbildung der AUDI AG erarbeitet werden, um das mehrsprachige Repertoire der Auszubildenden zu fördern. Demnach ist die vorliegende Arbeit theoretisch in der Angewandten Linguistik zu verorten und besteht aus einem interdisziplinären Nexus von linguistischen, soziologischen und ökonomischen Theorien.5
Der Fokus dieser Studie liegt auf den Auszubildenden, dennoch sollen die Ausbilder nicht unberücksichtigt bleiben. Außerdem wird das Thema auf die interne Kommunikation der Auszubildenden am Standort Ingolstadt eingeengt. Darüber hinaus versteht sich diese Arbeit als eine breitangelegte Überblicksarbeit über verschiedene Konzepte, die aufgrund des begrenzten Rahmens an mancher Stelle nicht in die Tiefe gehen kann. Die Relevanz resultiert aus der fortschreitenden Globalisierung, der Präsumtion der Berufsbildung als Lernprozess von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen sowie dem Bedarf an mehrsprachig qualifizierten Arbeitskräften.
Da das Thema ein interdisziplinäres Forschungsparadigma (Mehrsprachigkeitsforschung, Berufsbildungsforschung, Audi-interne Bedingungen) voraussetzt, ist eine Veranschaulichung dieser Perspektiven im theoretischen Teil der Arbeit notwendig. In Kapitel2werden Grundlagen der Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz vorgestellt. Im folgenden Kapitel werden Aspekte des ausbildungsrelevanten Rahmens erläutert, besonders des damit verbundenen Lernprozesses, bevor in Kapitel4Mehrsprachigkeit und Berufsausbildung im Rahmen der AUDI AG untersucht werden. Nach Abschluss des theoretischen Überblicks wird im fünften Textabschnitt das Forschungsdesign des empirischen Teils beschrieben. In Passus 6 werden die Ergebnisse davon präsentiert, und in Kapitel0diskutiert, bevor darauf aufbauende Maßnahmen für die Förderung der Mehrsprachigkeit im betrieblichen Ausbildungsalltag im folgenden Abschnitt vorgeschlagen werden (Kapitel8).
2 Theoretische Aspekte der Mehrsprachigkeit am betrieblichen Ausbildungsplatz
Mehrsprachigkeit ist ein äußerst komplexes Phänomen, sodass der Terminus in der wissenschaftlichen Literatur je nach Disziplin und Forschungsinteresse unterschiedlich definiert wird. Obwohl das Phänomen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung, Migration oder Internationalisierung sukzessiv an Relevanz erfährt, fehlen noch immer Studien in diesem Bereich.6 Deswegen stellt sich zunächst die Frage, welche Charakteristika Kommunikation am Arbeitsplatz aufweist (Abschnitt2.1). Im Anschluss daran (2.2) werden die am Ausbildungsplatz relevanten Arten von Mehrsprachigkeit näher betrachtet, bevor die Auseinandersetzung von Firmen mit Sprachen in Form von Sprachmanagement (2.3) erfolgt. In Abschnitt2.3.1wird schließlich die extraordinäre Stellung des Englischen in der internationalen Geschäftswelt herausgearbeitet, wobei die Rolle anderer Sprachen nicht vernachlässigt wird (2.3.2). Ein Überblick über Methoden zur Förderung von Sprachen im Kontext der Arbeitswelt wird schließlich in Abschnitt2.3.3gegeben.
2.1 Sprachlich-kommunikative Kompetenz in der Ausbildung
Da die betriebliche Ausbildung in Unternehmen stattfindet, muss über die dortige Kommunikation (Kommunikation am Arbeitsplatz) und die Relevanz mehrsprachiger Kompetenzen referiert werden.7 Eine zentrale Fertigkeit, die in diesem Abschnitt ausführlicher untersucht werden soll, ist die sprachlich-kommunikative Kompetenz.
Die Kommunikation am Arbeitsplatz ist für die Auszubildenden eine neue Herausforderung, die zwar mit der Kommunikation in der (Berufs-)Schule vergleichbar ist (institutionelle Kommunikation), jedoch ist Letztere kontextuell „bound by formal and informal workplace relationships and societal and organizational cultures“(vgl. Keyton u.a. 2013:154). Die formelle Kommunikation, die Berufsbildungssprache(vgl. Kimmelmann 2010:439 ff.), ist als diastratische (Fachsprache) und diaphasische Varietät zu klassifizieren. Darüber hinaus ist sie durch korrekte, auf präskriptiven Normen beruhenden, sprachlichen Fähigkeiten gekennzeichnet und fordert darüber hinaus „sprachlogische, sprachsoziologische und sprachstrategische Kompetenzen“(Kimmelmann 2017:60), sowohl im Bereich der produktiven, als auch der rezeptiven Fertigkeiten. Das Beherrschen dieses Registers ist demnach Bedingung und Ergebnis eines fachlichen Lernprozesses, was von den Ausbildenden sprachsensibles Lehren verlangt(vgl. Kimmelmann 2017:61). Denn die betriebliche Ausbildung als Form des praktischen und handlungsorientierten Lernprozesses basiert grundlegend auf einer sprachlich-kommunikativen Kompetenz. Der Stellenwert, die Funktion und die Symbolik von Sprache unterscheiden sich bei gewerblich-technischen und kaufmännischen Berufen(vgl. Kaiser 2012).
Filliettaz(2014:228)nennt drei Prämissen bezüglich sprachlicher und kommunikativer Fähigkeiten und deren Bezug zur Arbeitswelt: Sprachlich-kommunikative Kompetenzen müssen erstens als Schlüsselkompetenzen im Lernprozess der Berufsbildung begriffen werden. Zweitens müssen diese Fertigkeiten und insbesondere auch mehrsprachig-kommunikative Strategien erlernt werden, sodass Sprache drittens dabei über eine rein funktionale Ebene hinausgeht. Inwiefern bei den sprachlich-kommunikativen Kompetenzen mehrsprachige Repertoires, die aufgrund einer mangelnden institutionell-sprachlichen Sozialisierung weniger domänenspezifisch ausgeprägt sind, gefördert werden können, soll in dieser Arbeit erforscht werden.
Was wird aber unter kommunikativer Kompetenz verstanden und wie unterscheidet sie sich von sprachlicher Kompetenz? Unter sprachlicher Kompetenz wird die kompetente Verwendung eines Sprachsystems gemäß der standardisierten, präskriptiven Sprachnormen für Phonologie, Morphologie, Syntax und Orthografie verstanden(vgl. Efing 2017:174; vgl. Efing 2012:7). Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) wird die sprachliche Kompetenz als linguistische Kompetenz „der formalen Mittel, aus denen wohlgeformte, sinnvolle Mitteilungen zusammengesetzt“(Europarat 2001:110)werden können, bezeichnet. Ergänzend zu den beiEfing(2012:7)aufgeführten Teilgebieten werden im GER auch die semantische und lexikalische Kompetenz noch explizit zur sprachlichen Kompetenz gezählt(vgl. Europarat 2001:110).
Dies ist speziell im Hinblick auf die Berufsbildungssprache relevant, die berufsspezifische Fachsprache impliziert. Jedoch ist die Relevanz der Fachtermini für eine erfolgreiche Kommunikation in der Ausbildung nicht zu überschätzen(vgl. Weissenberg 2010:16). Allerdings müssen die Auszubildenden Sprachbewusstheit für die Varianz innerhalb des fachsprachlichen Registers erst erlernen(vgl. Janich 2012:10), da dies zur Fachlichkeit gehört. Bei der Forderung einer integrativen Mehrsprachigkeit im Ausbildungsalltag sind fachsprachliche Schwierigkeiten zu erwarten, da die Auszubildenden zwar mit der Umgangssprache in bereits erworbenen Sprachen vertraut sind, jedoch oft nicht mit den anderssprachigen Fachtermini, also dem berufsbildungssprachlichen Register.
Vergleichbar ist die sprachliche Kompetenz mit dem Langue-Begriff von Saussure(vgl. Saussure 1983)und dem Kompetenzbegriff bei Chomsky(vgl. Chomsky 2015)(vgl. Efing 2017:174). Sie bezieht sich somit auf scheinbar klar voneinander abgrenzbare, geschlossene Sprachsysteme, was jedoch kritisch gesehen werden muss.
Aus der Perspektive der Mehrsprachigkeit kann ein Sprecher demnach über sprachliche Kompetenz in seiner Erstsprache bzw. seinen Erstsprachen und in weiteren Sprachen verfügen, die als Zweitsprachen oder Fremdsprachen erlernt wurden. Eine nahezu erstsprachliche Kompetenz in spät erlernten Sprachen zu erreichen, bleibt dagegen meist eine Ausnahme. In der betrieblichen Ausbildung spielen sprachliche Kompetenzen im Gegensatz zu kommunikativen Kompetenzen vor allem in blue collar Arbeitsplätzen8 eine untergeordnete Rolle(vgl. Efing 2017:176 f.). Eine hohe sprachliche Kompetenz führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer hohen kommunikativen Kompetenz.
Dahingegen verfügt nach Efing(vgl. Efing 2017:174; vgl. Efing 2012:7)ein Sprecher über kommunikative Kompetenz, wenn er seine sprachlichen Fähigkeiten im Gebrauch situativ angemessen einsetzen kann. Durch die spezifische Handlungsorientierung sind pragmatische und soziolinguistische Fähigkeiten ausschlaggebend für die Bewertung der kommunikativen Kompetenz. Aber auch diese Kategorien unterliegen sozio-kulturellen Vereinbarungen(vgl. Efing 2012:7), die jedoch situations- und teilnehmerbedingt flexibler sind als sprachliche Normen. Als soziolinguistische Fähigkeiten führt der GER beispielsweise Kenntnisse des Sprecherwechsels oder Höflichkeitskonventionen an(vgl. Europarat 2001:119 ff.), während pragmatische Kompetenzen Diskurs- oder funktionale Kompetenzen sind(vgl. Europarat 2001:123 ff.). Die Entsprechungen zu Chomskys Performanzbegriff(vgl. Chomsky 2015)und Saussures Parole-Begriff(vgl. Saussure 1983)würden zu kurz greifen, da kommunikative Kompetenz nicht unbedingt eine perfekte sprachliche Kompetenz voraussetzt und des Weiteren kommunikative Kompetenz nicht nur die Praxis sprachlicher Kompetenz darstellt, da darüber hinaus Strategien wie Paraphrasen, Simplifizierungen, Wiederholungen oder Gestik(vgl. Lonsmann/Kraft 2018:145)sowie grafische Formalitäten relevant sind. Mit dem Terminus sprachlich-kommunikative Fähigkeiten wird daher auf die wechselseitige Bedingung sprachlicher (formaler) und kommunikativer (funktionaler) Kompetenzen referiert und zugleich deren Relevanz für professionelle Handlungskompetenz betont. Die konkreten Anforderungen an die sprachlich-kommunikativen Fertigkeiten der Auszubildenden hängen hypothetisch von mehreren Faktoren ab: vom Ausbildungsberuf, von der Sprachbiografie, oder von den Kommunikationsformen. Unter Letztere fallen schriftliche Typen (Berichtsheft, Notizen, Protokolle, Tabellen, Listen, Datenblätter, Arbeitsanweisungen) oder mündliche Texttypen (Präsentationen, Referate)(vgl. Efing 2017).
Im Fremdsprachunterricht und durch ethnografische Studien wird heute die kommunikative Kompetenz höher bewertet als die sprachliche. Auch die aktuelle Forschung verschiebt den Fokus von der sprachlichen Kompetenz und sprachlicher Phänomene hin zur kommunikativen Kompetenz(vgl. Meyer/Apfelbaum 2010:2). Dabei bleiben individuelle Perspektiven auf die mehrsprachigen Repertoires nicht länger unberücksichtigt. Sie werden vor allem durch ethnografische Methoden (Fragebögen, Interviews, Sprachporträts, etc.)(vgl. Meyer 2008)erforscht. Zudem werden Sprachen nicht mehr strikt getrennt, sondern das gesamte sprachliche Repertoire interaktionistisch und holistisch begriffen.
Bei beiden Definitionen wird die Komplexität der aus vielen Teilkompetenzen bestehenden Phänomene ersichtlich, wobei die Fähigkeit der Koordination der Teilkompetenzen in einer konkreten Situation zählt. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten der Auszubildenden mehrsprachig auszubauen. Wie genau sich Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz äußert, ist Thema des folgenden Abschnitts.
2.2 Arten von Mehrsprachigkeit am Ausbildungsplatz
Wie eingangs erwähnt, ist die Mehrheit der Bevölkerung während ihrer Ontogenese mit mehr als einer Sprache konfrontiert, sei es durch Migration, Bildung, Arbeit oder Alltag. Generell existiert eine Vielzahl von Definitionen9 zu diesem Phänomen, die je nach Forschungstradition, Fokus oder Sprachraum differenzieren. Gemeinsam ist den meisten die Deskription von Mehrsprachigkeit als einer Fähigkeit von Individuen oder Gemeinschaften kommunikativ in mehr als einer Sprache agieren zu können(vgl. Coulmas 2018:32; vgl. Aronin/Singleton 2012:1 ff.; vgl. Franceschini 2009:33 f.). Erst seit den 1990er Jahren nimmt die Relevanz in Europa aufgrund sozioökonomischer Wendepunkte (Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion) und gesellschaftlich-technologischer Innovationen (Internet) zu, was zu einer verstärkten Forderung eines multilingual turn in der Arbeitswelt führt(vgl. Cohen u.a. 2015). Ausschlaggebend für die späte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik sind Feldzugangsschwierigkeiten sowie Desinteresse seitens der Firmen, weswegenMarschan u.a. (1997)Sprache als „the forgotten factor in multinational management“ deskribieren.
Wie erscheint Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz und welche Ursachen liegen diesem Phänomen zugrunde? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die verschiedenen Arten von Mehrsprachigkeit erklärt werden, die in der Berufsbildung von Bedeutung sind. Mehrsprachigkeit kann in vier Typen kategorisiert werden, wie in Abbildung 1 ersichtlich wird: nach Erwerbskonstellation (gesteuert-ungesteuert; monolingual-bilingual), unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten (individuell, territorial, institutionell, sozial, kollektiv), nach Kompetenz (A1-C2) und nach Sprachverhältnis (innere vs. äußere) (vgl. Riehl 2014b:11 ff.; vgl. Lüdi 1996:234). Zur Beschreibung des sprachlichen Vermögens eines Individuums wird das Konzept des Repertoires verwendet (vgl. Gumperz 1964:138).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung: Untergliederung von Mehrsprachigkeit nach Riehl (2014b), eigene Darstellung
In der Regel erfolgt der gesteuerte Spracherwerb, der das Ziel von Sprachpolitik und Sprachplanung ist (siehe Abschnitt2.3), in institutioneller Form (Schulen, Sprachschulen, Volkshochschulen), meist auf Basis des GER, sodass alle Auszubildenden spätestens in der Schule mindestens eine Fremdsprache gesteuert erlernen müssen. Ziel des schulischen Fremdsprachenunterrichts ist ein ganzheitlicher Ansatz mit kognitiven, psychomotorischen und affektiven Lernzielen(vgl. Liedke-Göbel 2012:30). Eine bilinguale Erwerbskonstellation liegt meist bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund vor.
Unter gesellschaftlichen Bedingungen kann Mehrsprachigkeit weiter als individuelle, gesellschaftliche, institutionelle, soziale und kollektive Mehrsprachigkeit unterteilt werden(vgl. Riehl 2014b:12).10 Als individuell mehrsprachig wird bezeichnet, wer mehr als eine Sprache spricht. In Europa, wo doch ein erheblicher Anteil von monolingual aufgewachsenen Personen oder ideologisch monolingualen Staaten besteht(vgl. Spolsky 2004), aber es dennoch großen Kontakt zwischen verschiedenen Sprachen durch die Europäische Union gibt,11 wird individuelle Mehrsprachigkeit zu einem erklärten Ziel.
Auszubildende mit Kompetenzen in zwei oder mehr Sprachen sind, egal wann die Sprachen erworben wurden, individuell mehrsprachig(vgl. Garibova 2018:30).12 Allerdings zeichnet sich hier die Problematik der Sprachdefinition ab. Mittlerweile hat sich die Differenzierung in innere Mehrsprachigkeit, wenn es sich um Varietäten einer ausgebauten Kultursprache (beispielsweise diatopische oder diastratische Varietäten des Deutschen wie Bairisch oder Jugendsprache), und äußere Mehrsprachigkeit, falls es sich um zwei verschiedene Sprachsysteme handelt, etabliert(vgl. Roche 2018a:67 ff.). Oftmals werden diese Sprachen verkürzt durch L1 für die Erstsprache, L2 für eine Zweitsprache und Lx für jede weitere Sprache gebraucht(vgl. Hufeisen 2003), was eine Zählbarkeit aufgrund einer Reifizierung der einzelnen Sprachen supponiert, die sich jedoch schwierig gestaltet. Eine weitere mehrsprachige Ausprägung ist soziale Mehrsprachigkeit, worunter das Auftreten von mehreren Sprachen mit unterschiedlichen sozialen Funktionen zu zählen ist(vgl. Lüdi 1996:234). Beispielsweise können türkische Auszubildende während der Arbeitszeit Deutsch nutzen, in den Pausen aber überwiegt die Kommunikation in Türkisch, obwohl auch dort alle über Deutschkenntnisse verfügen, sodass eine sozial determinierte ingroup-outgroup Konstellation (Türkischsprechende vs. Nichttürkischsprechende) gefestigt wird. Von kollektiver Mehrsprachigkeit hingegen kann gesprochen werden, wenn sich „Sprachgruppen aus Gründen der Migration […] oder im Rahmen von Handelsbeziehungen einseitig oder gegenseitig teilweise oder vollständig durchdringen“(vgl. Lüdi 1996:237). Kollektive Mehrsprachigkeit spielt deswegen vor allem in der Arbeitswelt eine bedeutsame Rolle, da so die Relevanz lokaler Standortsprachen der Audi-Produktionsstätten oder die Dominanz der englischen Sprache als globaler Lingua franca aufgrund der wirtschaftlichen Vormachtstellung anglophoner Länder erklärt werden kann.
Eine epistemologische Quästion im Mehrsprachigkeitsdiskurs ist, ab wann ein Individuum als mehrsprachig zu klassifizieren ist(vgl. Riehl 2014b:12). Die Forschungsliteratur stellt sich heute auf den Standpunkt, dass eine fast-muttersprachliche Kompetenz (C2-Niveau des GER) in mehreren Sprachen nur ausnahmsweise vorzufinden ist, stattdessen sind die Kompetenzen in verschiedenen Sprachen in unterschiedlichen Domänen (Familie, Schule, Arbeit)(vgl. Spolsky 2004:39 ff.), nicht gleichwertig ausgeprägt(Braunmüller/Ferraresi 2003:3):13
Mastery of two or more languages, however, does not mean that the persons […] were „perfect“ bilinguals […] Receptive bilingualism, functionally restricted multilingualism or the command of a foreign linguistic variety as a lingua franca were absolutely normal.
Diese Annahme von Mehrsprachigkeit kommt einerseits der Realität sehr nahe und andererseits wird diese Definition dem Umstand gerecht, dass sich auch die Kompetenzen von zwei monolingualen Sprechern derselben Erstsprache hinsichtlich der Ausprägung gewisser Register oder Domänen unterscheiden können. Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Kompetenzen ist die Frage nach den vier Fertigkeiten (Lesen, Sprechen, Schreiben, Hören). Ist ein Auszubildender, der die Fähigkeit besitzt, englische Bedienungsanleitungen für Kraftfahrzeuge zu lesen, aber diese nicht selbst produzieren kann, bereits mehrsprachig? Ja, denn auch rezeptive Kompetenzen bedingen bereits Mehrsprachigkeit, wie das Konzept der rezeptiven Mehrsprachigkeit(vgl. Lüdi 2013; vgl. Zeevaert 2007; vgl. Ribbert/Thije 2007; vgl. Roelands/Thije 2006)demonstriert.
Oksaar(2003:31)definiert Mehrsprachigkeit funktional:
Mehrsprachigkeit ist die Fähigkeit eines Individuums, hier und jetzt zwei oder mehr Sprachen als Kommunikationsmittel zu verwenden und ohne weiteres von der einen in die andere umzuschalten, wenn die Situation es erfordert.
Er betont damit den diaphasischen Charakter bzw. einen kompetenten Aspekt, währendSpolsky(2009:59)unter funktionaler Mehrsprachigkeit „using those languages that happen to be available among staff“ subsumiert und damit den gesellschaftlichen Aspekt funktionaler Mehrsprachigkeit in den Vordergrund stellt. Besonders in der Arbeitswelt ist deswegen eine funktionale Mehrsprachigkeit hinsichtlich des beruflichen kommunikativen Rahmens als Ziel zu betrachten und soll auch in dieser Arbeit als grundlegend für die mehrsprachige Kompetenz der Auszubildenden angenommen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung2: Untergliederung von Mehrsprachigkeit im Rahmen dieser Arbeit mit für die Ausbildung relevanten Ausprägungen, eigene Darstellung Nachdem die in der Ausbildung relevanten Arten von Mehrsprachigkeit und ihre Ausprägungen (sieheAbbildung 2), abgehandelt wurden, soll im Folgenden über Chancen und Schwierigkeiten des Themenkomplexes nachgedacht werden.
Die Vor- und Nachteile von Mehrsprachigkeit in der betrieblichen Berufsausbildung können einerseits aus der Perspektive des Individuums und andererseits aus dem Blickwinkel des Unternehmens erörtert werden. Der Auszubildende kann mehrsprachige Kommunikation als Angebot der Wissenserweiterung begreifen, der multilinguale Sprecher erfährt Wertschätzung (psychologischer Aspekt)(vgl. Riehl 2014b:18). Darüber hinaus sind die Erweiterung der kognitiven Kompetenzen, erhöhte Kreativität(vgl. Riehl 2014b:59 ff.)oder Flexibilität zu nennen. Als potentielle Probleme sind eine heterogene Wertschätzung, Herausforderungen beim Wissenserwerb oder mangelnde Motivation zu aufzuzählen.
Aus der Sicht des Unternehmens lohnt sich Mehrsprachigkeit der Mitarbeiter ebenfalls: Mehrsprachigkeit fördert die Wirtschaftlichkeit und die Erschließung neuer Märkte(vgl. Roche 2013:180 f.). Mit der mehrsprachigen Kompetenz sind auch kulturelle Kompetenzen verbunden, die gerade in multinationalen Unternehmen von Bedeutung sind. Ebenfalls können die kreativen Fertigkeiten der Mitarbeiter für Unternehmen von Interesse sein, da sie neuen Herausforderungen innovativ und flexibel begegnen oder Verbesserungsvorschläge für bereits bestehende Prozesse generieren können. Probleme können in einer zu ausgeprägten Sprachdiversität (Superdiversität) oder erhöhten Kosten für die mehrsprachige Ausbildung der Mitarbeiter liegen.
In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass Mehrsprachigkeit ein komplexes Phänomen mit Subtypen ist, von denen einige auch die betriebliche Berufsausbildung berühren. Darüber hinaus wurden die vielfältigen Vor- und Nachteile des Themas beleuchtet, sowohl für Unternehmen, als auch für die Auszubildenden. Im folgenden Abschnitt soll über die Auseinandersetzung mit Sprachen in Form von Sprachmanagement referiert werden.
2.3 Sprachmanagement am Arbeitsplatz
Besonders multinationale Unternehmen mit internationalen Standorten, wie die AUDI AG, müssen sich professionell mit den Sprachen in ihrem Konzern befassen, um eine reibungslose, effiziente und funktionale Kommunikation zu garantieren.
Auch in der Arbeitswelt und unter Auszubildenden herrschen verschiedene ideologische Vorstellungen über Sprache(n), die unter dem Terminus der Spracheinstellungen (language ideologies) zusammengefasst werden(vgl. Marten 2016:30 ff.). Diese sind nachWoolard/Schieffelin(1994:57)als “the cultural system of ideas about social and linguistic relationships, together with their loading of moral and political interests” zu verstehen. Spracheinstellungen spielen im Mehrsprachigkeitsdiskurs ebenfalls eine wichtige Rolle, da affektive Motive als Spracheinstellungen zu klassifizieren sind, die Sprachpolitik14 oder Sprachmanagement beeinflussen.
Sprachmanagement (language management) wird oft synonym zu Sprachpolitik oder Sprachplanung verwendet(vgl. Marten 2016:20). Unternehmen stellen eine Gruppe dar(vgl. Kaplan/Baldauf 1997:5 ff.), in der eine Auseinandersetzung mit Sprache(n) durch eine autoritäre Entität zur Modifikation der Sprachpraktiken vorangetrieben wird(vgl. Jernudd/Nekvapil 2012:34 ff.; vgl. Spolsky 2009:181). Sprachmanagement ist demnach strategisch gesteuert, zielorientiert und unterliegt normativen Bestimmungen. Gründe können ökonomische Interessen, die Förderung des Fremdsprachenerwerbs, Reduzierung von kommunikativen Missverständnissen, Diversitymanagement oder die Ergänzung einer konsistenten Unternehmenskultur sein(vgl. Hauschildt/Vollstedt 2002:174), aber auch Imagegründe oder Kundenfreundlichkeit können eine Rolle spielen. Welche Sprachen im Sprachmanagement behandelt werden, hängt von ihrem Prestige (Lingua franca) und ihrer Funktion (kollektive Mehrsprachigkeit) ab. Demnach muss zwischen Funktionalität und Symbolik unterschieden werden(vgl. Coulmas 2005:11). Letztere liegt der Sprachwahl zugrunde, wenn sprachplanerische Entscheidungen aufgrund bestimmter Assoziationen mit Sprachen erfolgen. So kann die Deklaration des Englischen zur Unternehmenssprache funktionale Ursächlichkeiten haben (globaler Markt, Branche), Begründungen aufgrund von Modernität, des Zeitgeists oder Internationalität der sind der symbolischen Funktion zuzuordnen. Das Sprachmanagement kann top-down oder bottom-up erfolgen(vgl. Marten 2016:41), wobei beidseitig am effektivsten ist(vgl. Nettle/Romaine 2000:200). Das Sprachmanagement einer Firma kann durch die nationale Sprachpolitik des Firmensitzes beeinflusst werden.15 In Deutschland existieren keine Gesetze, die den Sprachgebrauch in Unternehmen16 regeln, allerdings wird die deutsche Sprache in der Arbeit teilweise impliziert.17 Das Sprachmanagement bewegt sich auf einem Kontinuum zwischen Vereinheitlichung und Spezifität (vgl. OLON und OLAT beiLüdi(2017:36 f.)).
Gemäß dem Modell vonHauschildt/Vollstedt(2002:177)(sieheAbbildung 3undAbbildung 4) muss das Sprachmanagement in eine strategische und eine operative Ebene unterteilt werden. Auf strategischer Ebene sind im Rahmen dieser Arbeit die Sprachwahl und die Rahmenbedingungen entscheidend, während im operativen Bereich die Implementierungsplanung und die Sprachenimplementierung entscheidend sind. Das Sprachmanagement in der Ausbildung wird aus dem Sprachmanagement des Unternehmens abgeleitet. In den folgenden Unterkapiteln sollen die Sprachwahl (Abschnitte2.3.1und2.3.2) sowie die Implementierungsplanung und die Sprachenimplementierung (Unterkapitel2.3.3) untersucht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung: Strategische Ebene des Sprachmanagements nach Hauschildt/Vollstedt (2002), eigene Darstellung
Abbildung4: Operative Ebene des Sprachmanagements nachHauschildt/Vollstedt(2002), eigene Darstellung
2.3.1 Englisch als Lingua franca in der Arbeitswelt
Die hegemoniale globalökonomische Dominanz anglophoner Staaten, vor allem der USA, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs1819 hat dazu geführt, dass Englisch zu einer Lingua franca emergiert ist(vgl. Marten 2016:108; vgl. Coulmas 2005:8), die ökonomischen Nutzen, Partizipationsmöglichkeiten sowie Macht generiert. Die Rolle des Englischen als internationaler Verkehrssprache in der Arbeitswelt wird seit der Jahrtausendwende verstärkt untersucht(vgl. Cogo 2012; vgl. Mauranen/Ranta 2010; vgl. Breiteneder 2009; vgl. Nickerson 2005), obwohl Englisch nicht die am häufigsten gesprochene Erstsprache ist.20 Eine Lingua franca ist nachHouse(2014:363) a contact or vehicular language that consisted of elements and structures of diverse origin. […] As a hybrid contact language, a lingua franca is more or less neutral, since it does not belong to any national language, national language community or national territory – concepts that arose much later.
Englisch als Lingua franca darf daher nicht mit einer diatopischen Varietät des polyzentrischen Englischen(vgl. Mauranen 2010:1; vgl. Erling 2005:43)gleichgesetzt werden, da ELF situativ zwischen den Sprechern im Gebrauch neu ausgehandelt wird. Dahingehend sind bei der Verwendung des Englischen als Verkehrssprache Fehler zu erwarten, die durch Interferenzen ausgelöst werden. Aus diesem Grund unterscheidetEhrenreich(2010:127) zwischen „language-focussed speakers“ (sprachliche Kompetenz) und „content-focussed speakers“ (kommunikative Kompetenz) des Englischen (siehe Abschnitt2.1), wobei Sprecher der zweiten Kategorie als ELF-Sprecher zu kategorisieren sind.
Die Dominanz des Englischen in der internationalen Ökonomie führt zu damit verbundenen Spracheinstellungen, durch die wiederum eine Einflussnahme auf sprachpolitische und sprachplanerische Maßnahmen zu verzeichnen ist. Nicht umsonst ist Englisch in den Schulcurricula verankert, zudem boomen extracurriculare Weiterbildungsangebote im Fremdsprachunterricht, die besonders auch von Firmen wahrgenommen werden. Viele schätzen die englische Sprache für ihren persönlichen karrieretechnischen und ökonomischen Erfolg als hochgradig essentiell ein(vgl. Coulmas 2005:9). Englisch wird damit zum wirtschaftlichen Potenzial und ökonomischen Kapital eines Individuums kommodifiziert(vgl. Heller 2003). Allerdings muss auch kritisch angemerkt werden, dass durch die singuläre Dominanz des Englischen eine Gefahr für Mehrsprachigkeit besteht. Damit einher geht eine Tendenz in globalen Konzernen Englisch als Unternehmenssprache einzuführen, wozu in den letzten Jahren viele Studien publiziert wurden, die allerdings auch vorwiegend die white collar Angestellten fokussieren(vgl. Lonsmann/Kraft 2018:143).
Gelegentlich wird das Primat dieser Sprache durch (pseudo)linguistische Argumente ergänzt. Demnach wird die internationale Vormachtstellung des Englischen durch einen einfachen Erwerbsprozess begründet. Vermutlich resultiert dies aus der nahen linguistischen Verwandtschaft des Deutschen und Englischen, die zum westgermanischen Zweig des Indoeuropäischen zu rechnen sind(vgl. Fortson 2010:356 ff.)und da eine große Similarität der beiden Wortschätze zu verzeichnen ist(vgl. Simons/Fennig 2018).
Amelina (2010)hat zudem erforscht, dass Englisch zwar Teil des sprachlichen Repertoires vieler Arbeitskräfte ist. Einerseits wird es vor allem von Auslandsentsandten (Expats) eingesetzt, sodass eine funktionelle Mehrsprachigkeit in der Arbeitsdomäne vorliegt. Andererseits wird es auch als Brückensprache verwendet, wenn keine andere gemeinsame Sprache vorhanden ist(vgl. Amelina 2010:251). Allerdings beschreibt sie eine Kompetenz in der Sprache des Gastlands als förderlich für Karriereentwicklung, Netzwerkbildung, Machtaspekte und persönliche Beziehungen. Deswegen sollen andere relevante Sprachen in der Berufsbildung im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden.
2.3.2 Die Rolle anderer Sprachen in der Ausbildung
Im vorherigen Abschnitt wurde der Stellenwert des Englischen in der Arbeitswelt skizziert. Doch welche weiteren Sprachen sollen das mehrsprachige Repertoire von Auszubildenden ergänzen? Neben den im Kindesalter erst- oder zweitsprachig erworbenen Sprachen tritt im deutschen Schulsystem die globale Lingua franca Englisch hinzu. Das institutionelle Fremdsprachenangebot an Schulen und Berufsschulen ist seit Jahren restringiert(vgl. Stegu 2008:119)und unterliegt zum Teil starren und nicht mehr zeitgemäßen sprachpolitischen Normen, die auf Spracheinstellungen gesellschaftlich wichtiger Sprachen (neben Englisch: europäische Nachbarsprachen) fußen.
Sprachwahlen können auch ökonomisch-berufsspezifisch beeinflusst werden(vgl. Stegu 2008:121; vgl. Archan/Dornmayr 2006): durch ausländische Geschäftspartner, durch internationale Standorte des Unternehmens oder durch in der Branche wichtige Sprachen, sodass neben Englisch durchaus Bedarf an anderen Sprachen existiert. In vielen Fällen werden deswegen Fremdsprachenkurse betrieblich organisiert. Affektive Motive für den Erwerb weiterer Sprachen können ebenso ausschlaggebend sein und sich auf den Beruf auswirken(vgl. Stegu 2008:121): Sprachideologien gegenüber Sprachstrukturen (Schwierigkeit der Sprache) oder extralinguistischer, kultureller Vorstellungen (Stereotype über Land und Einwohner). Ein hoher Lernerfolg ist bei der Kopräsenz von extrinsischen und intrinsischen Motivationsfaktoren zu erwarten(vgl. Stegu 2008:121).
Seit den 1990er Jahren sind in einigen Ausbildungsberufen Fremdsprachenbedarfe verankert worden(vgl. Ross 1997:14), was die Ausbildungsordnungen der Berufe, die bei Audi gelehrt werden, bestätigen. Inwiefern solche Anforderungen umgesetzt werden, ist Inhalt des nächsten Kapitels.
2.3.3 Konzepte und Methoden zur Förderung von Mehrsprachigkeit
Nicht nur in der aktuellen Forschungsliteratur wird Mehrsprachigkeit als wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Ressource betrachtet(vgl. Berthoud u.a. 2015:146; vgl. Berthoud u.a. 2013), wenn auch teilweise kritisch(vgl. Duchêne 2011). Auch in der Wirtschaft werden Sprachmaßnahmen seit Längerem gefördert. Als ein Indikator für die zunehmende Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit am Arbeits- und Ausbildungsplatz können verfasste Sprachmanagementstrategien und -regelungen sowie durchgeführte Projekte in Betracht gezogen werden(vgl. Angouri 2014:1). Viele Sprachförderkonzepte in der Arbeitswelt, wie Sprachunterricht oder Auslandsaufenthalt, sind zwar etablierte Methoden, allerdings müssen daneben weitere Konzepte beschrieben werden, die insbesondere für den alltäglichen Gebrauch in der Ausbildung geeignet sind. Eine Auswahl der gängigsten Methoden findet sich inAbbildung 5.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung5: Möglichkeiten zur Förderung von Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz
Eine der gängigsten Methoden zur Förderung von Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz, die Firmen für ihre Mitarbeiter bereithalten, ist der gesteuerte Erwerb in Form von Fremdsprachunterricht(vgl. Spolsky 2009:181). Oftmals sind diese Kurse fachlich-thematisch auf eine spezifische Zielgruppe zugeschnitten und verfolgen das Ziel, die Lerner zu einer handlungs- und berufsorientierten Fremdsprachennutzung zu befähigen. Spezielle Lehrwerke für sowohl gewerblich-technische, wie etwa Automotive Milestones (für Fahrzeugberufe), als auch für kaufmännische Ausbildungsberufe, wie Business Milestones (für kaufmännische Berufe), ergänzen den gesteuerten Unterricht. Besonders in größeren Unternehmen können auch interne Materialien eingesetzt werden, die speziell für die Bedürfnisse der Firma konzipiert sind. Darüber hinaus existieren Zertifikate wie das LCCI Zertifikat, die die Lernenden erwerben können, sodass das inkorporierte Kapital institutionalisiert wird(vgl. Bourdieu 1983). Insgesamt prägen die Teilnehmer solcher Bildungsmaßnahmen eine stark domänenspezifische Mehrsprachigkeit aus.
Eine für multinationale Unternehmen wichtige Basis des Sprach- und Kulturaustauschs ist das internationale Personalmanagement. Auch für junge Nachwuchskräfte gibt es mittlerweile Möglichkeiten für Auslandspraktika(vgl. Kristensen 2004:9), die häufig noch durch Mobilitätsprogramme wie Erasmus+ oder Leonardo da Vinci finanziell und ideell gefördert werden. Globale Konzerne entsenden ihr Personal deswegen häufig an ihre Auslandsstandorte, Auszubildende meist zwischen ein paar Wochen und Monaten. Die damit verbundenen Ambitionen sind vielfältig. Im Allgemeinen soll ein komplexer Lernprozess in vielen Kompetenzen stattfinden, wobei die fremdsprachig-kommunikative nur einen Teil davon ausmacht. Im Vordergrund steht dabei das informelle/non-formelle Lernen, da die Auszubildenden in den authentischen Arbeitsablauf eingebunden werden und aktiv daran partizipieren(vgl. Kristensen 2004:15). Obwohl dies einen großen organisatorischen und monetären Aufwand bedeutet, nehmen Firmen dennoch die Kosten auf sich.
Eine weitere Methode für einen Einstieg in mehrsprachiges Handeln im Arbeitsalltag ist rezeptive Mehrsprachigkeit.21 Darunter versteht man eine Kommunikationsform, in der jeder Sprecher seine jeweilige Muttersprache spricht, und den anderen trotz differenter Erstsprachen versteht(vgl. Riionheimo u.a. 2017:117; vgl. Rehbein u.a. 2012). Diese Methode eignet sich einerseits für Sprachen aus derselben Sprachfamilie (bspw. Deutsch und Flämisch im germanischen Zweig des Indogermanischen) oder wenn in der rezeptiven Sprache bereits geringe Kompetenzen (ca. A2) aufgebaut wurden. Die Sprecher können aktiv in der Erstsprache kommunizieren und passiv auf ihre Fremdsprachenkenntnisse zurückgreifen. Dies kommt vielen Sprachlernern entgegen, da häufig die rezeptiven Kenntnisse besser ausgeprägt sind als die produktiven. Einen Schritt weiter gehenRehbein u.a.(2012:249), indem sie rezeptive Mehrsprachigkeit als kreative Aktivierung „linguistischer, mentaler, interaktionaler und interkultureller Kompetenzen“ begreifen.
Ein weiteres Konzept ist der Einsatz vereinfachter Sprachformen, wie es sie auch im Deutschen für den Einsatz mit kognitiv beeinträchtigten Menschen gibt(vgl. Ke/Cahyani 2014). Es wird jedoch immer mehr darüber geforscht, inwiefern solche Sprachformen auch nichtmuttersprachliche Sprecher beim Erwerb der Sprache unterstützen können(vgl. Oomen-Welke 2017). Da sich gerade Englisch als internationale Lingua franca exponiert hat, existieren hier viele sprachplanerisch-konstruierte, vereinfachte Konzepte, wie etwa Simplified Technical English (vgl. Knezevic 2015)oder Basic English (vgl. McElvenny 2015). Sie zeichnen sich durch Simplifizierungen in Syntax und Lexikon aus. Ein ähnliches Konzept wird mit Business English as Lingua franca (BELF) verfolgt, was als neutrale Varietät des Englischen einen sozio-psychologischen Faktor beinhaltet. BELF kennzeichnet die Prävalenz des Inhalts vor sprachlicher Korrektheit, fachspezifisches Geschäftslexikon, Englischkenntnisse und kooperativer Kommunikation(vgl. Kankaanranta/Louhiala-Salminen 2013; vgl. Kankaanranta/Planken 2010).
Der Einsatz von E-Learning Methoden (Web Based Trainings, Wikis, Blogs, Podcasts) zur Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern ist in der heutigen Arbeitswelt stark gestiegen(vgl. Arnold u.a. 2018:13). Aufgrund der Flexibilität und Unabhängigkeit von Zeit und Ort gewinnt der Lerner viele Freiheiten, sodass er selbstgesteuert den Lernprozess vollziehen kann. Selbstgesteuertes Lernen (bspw. Sprachenlernen im Tandem) wiederum geht über E-Learning hinaus, benötigt aber auch eine Lernbegleitung. Selbstgesteuertes Lernen und E-Learning eignen sich auch für den Ausbau des mehrsprachigen Repertoires.
Eine weitere Methode, die eigentlich aus der Dokumentationslinguistik stammt und für die Revitalisierung von aussterbenden Sprachen genutzt wird, sind Immersionsprogramme. Bei diesen „[a]n environment is provided in which learners will only hear and speak the language“(Tsunoda 2005:202). Dazu sollten kompetente Sprecher der zu lernenden Sprache anwesend sein, die als Vorbild oder Experte fungieren. Das Ziel ist demnach, dass das Gegenüber – im Gegensatz zur rezeptiven Mehrsprachigkeit – ebenfalls in der Sprache spricht und somit die aktiven Fähigkeiten verbessert werden. Kritisch daran ist jedoch, dass der inkompetentere Sprecher sich schnell überfordert fühlen kann, wenn er merkt, dass seine sprachlichen Fähigkeiten zur Bewältigung der Situation nicht ausreichen und dadurch negative Gefühle gegenüber der Sprache verstärkt werden.
Wegen des spatial turns (vgl. Busch 2017:152)werden zunehmend Fragen der Mehrsprachigkeit auf die schriftliche Ebene bezogen, meist unter den Termini Mehrschriftlichkeit(vgl. Rosenberg/Schröder 2016; vgl. Riehl 2014a; vgl. Knorr 2012)oder Linguistic Landscapes (vgl. Busch 2017:150; vgl. Lüdi 2016; vgl. Gorter 2006; vgl. Shohamy/Gorter 2009). Ein Konzept, das Mehrsprachigkeit im schriftlichen Bereich abbildet und zugleich fördert, ist die Methode der Linguistic Landscapes bzw. der Semiotic Landscapes. So können beispielsweise Schilder – gemäß der Definition vonBackhaus(2006:55)„any piece of written text within a spatially definable frame“ in den vom Unternehmen benötigten Sprachen beschriftet werden. Mehrsprachige Linguistic Landscapes können einen positiven Effekt auf den Spracherwerb haben(vgl. Sayer 2010; vgl. Cenoz/Gorter 2008).
In diesem Kapitel wurden ausgehend von sprachlicher und kommunikativer Kompetenz Arten der im Ausbildungsalltag relevanten Mehrsprachigkeit dargelegt, bevor über die Rolle gewisser Sprachen und das Sprachmanagement von Unternehmen referiert wurde. Welche theoretischen Aspekte im Bereich der Berufsbildung Mehrsprachigkeit im Ausbildungsalltag bedingen, soll im folgenden Kapitel erklärt werden.
3 Theoretische Aspekte der Berufsausbildung
Die Ausbildung am Arbeitsplatz ist in Deutschland zusammen mit der Ausbildung an einer Berufsschule Bestandteil des dualen Systems der Berufsausbildung und führt zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss(vgl. Kultusministerkonferenz 2016; vgl. Ebner 2013:23).22 Unternehmerische und staatliche sowie organisationale und institutionalisierte Komponenten (Handwerksordnung (HwO) von 1953, Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969, Institutionen (Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Kammern)), praktische (training-on-the-job) und theoretische (training-off-the-job) ergänzen sich dabei wechselseitig(vgl. Spöttl 2016:14; vgl. Ebner 2013:15). Die enge Verzahnung mit dem Arbeitsmarkt, die fortschreitende Modernisierung, die Wissensvergrößerung und diverse andere Entwicklungen führen seit Jahren zu einer stetigen Differenzierung der Ausbildungsberufe – aktuell 326(vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2017:77). Berufe können in Berufsgruppen unterteilt werden, sodass sich gleiche Ausbildungsinhalte in einer Berufsgruppe finden. Die Inhalte der beruflichen Erstausbildung schwanken demnach zwischen Unifizierung und Spezialisierung, da die Berufsbildung in „normativer, kognitiver und strategischer Hinsicht entscheidend von der Industriegesellschaft geprägt“ ist(Heidenreich 1998:321).
Ebner (2012:52) fasst den Wandel des Arbeitsmarktes und damit verbundene Kompetenzbedürfnisse wie folgt zusammen:
Die Expansion von Dienstleistungstätigkeiten und Zunahme von interpersonalen Austauschbeziehungen verlangt von Arbeitnehmern neben hoher Abstraktionsfähigkeit auch sozialkommunikative Kompetenzen (inkl. gute Fremdsprachenkenntnisse) und die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Arbeit.
Deswegen soll im Folgenden genauer auf den Kompetenzbegriff und die Fremdsprachenkompetenz im Rahmen der betrieblichen Ausbildung eingegangen werden (3.1), bevor die Berufsbildung am Arbeitsplatz näher beleuchtet wird.
3.1 Berufsausbildung als Lernprozess von Kompetenzen
Der Kompetenzbegriff wurde bereits in Kapitel 2 im Rahmen des GER angesprochen, in diesem Abschnitt soll der in Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen zentrale Kompetenzbegriff untersucht werden. Eine zentrale Grundlage zur bundesweiten Vergleichbarkeit der Ausbildungsberufe stellen die von der Kultusministerkonferenz vereinbarten Rahmenlehrpläne für die Berufsschulen und die für die Ausbildungsbetriebe relevanten Ausbildungsordnungen dar(vgl. Kultusministerkonferenz o.J.), die in induktive kompetenzorientierte Lernfelder aufgeschlüsselt sind(vgl. Tramm/Naeve-Stoß 2016:49 ff.).23 Sie dienen zur Beschreibung der Mindestanforderungen und unterscheiden zwischen berufsfeldbreiter Grundbildung und spezieller Fachbildung, denn die Berufsbildung soll nicht nur fachliches und überfachliches Wissen vermitteln.
Das Erlernen eines Berufes beinhaltet jedoch mehr als den bloßen Wissenserwerb(vgl. Losa 2018:390). Vielmehr muss auch die praktische Erprobung und die Fähigkeit, das Wissen situativ adäquat einzusetzen, das bedeutet, die konkrete Handlungskompetenz, als integrativer Bestandteil des Lernens gesehen werden(vgl. Losa u.a. 2014; vgl. Arnold 2010:20). Handlungsorientierung ist somit zum zentralen Leitmotiv der Berufsausbildung und des GER avanciert(vgl. Nickolaus/Walker 2016:9; vgl. Europarat 2001:21)und befähigt die Mitarbeiter lautPätzold(2006:72)
[…] die zunehmende Komplexität und Unbestimmtheit seiner beruflichen Umwelt zu begreifen und durch ziel- und selbstbewusstes, flexibles, rationales, kritisch-reflektiertes und verantwortliches Handeln zu gestalten.
Eng mit Handlungsorientierung verbunden ist der Kompetenzbegriff,24 wenngleich definitorische, theoretische und praktische Kontroversen bestehen(vgl. Dietzen u.a. 2016:100 ff.; vgl. Euler 2012). Er wird nachWeinert(2002:27 f.)als die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, wie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können definiert. Handlungsorientierung umfasst folglich die sprachliche, kommunikative sowie sprachlich-kommunikative Handlungskompetenz(vgl. Coray/Duchêne 2017:32).
Wie divergiert aber der Kompetenzbegriff von Qualifikation oder Wissen? Kompetenz geht über Qualifikation hinaus(vgl. Weiss-Aziz/Weyers 2012:95)(sieheAbbildung 6). Kompetenzen sind situationsentbunden ganzheitlich. Allen in den Rahmenlehrplänen und Ausbildungsordnungen beschriebenen und für den jeweiligen Beruf erforderlichen Kompetenzen gehen konkrete Anforderungen voraus (induktiv)(vgl. Efing 2017:171). Kompetenzen sind demnach pädagogisch-didaktische Lernziele, die die Auszubildenden zu einer konkreten Handlungsorientierung im Beruf qualifizieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung6: Einordnung des Kompetenzbegriffs zu anderen Begriffen nachErpenbeck/Rosentiel(2007)
Die zur Handlungskompetenz beitragenden Kompetenzen werden in der Literatur unterschiedlich aufgeteilt:Nickolaus/Seeber(2013)unterteilen die Kompetenzen in Fachkompetenz, Personalkompetenz und Sozialkompetenz.Kaufhold(2006)untergliedert diese in Fach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz, ähnlich wieFrieling u.a.(2007).Frank/Klingenberger(2017:11)schlüsseln die Kompetenzen in fünf Subkategorien auf (Fachkompetenz, Personalkompetenz, Feldkompetenz, Methoden- und Lernkompetenz sowie Sozialkompetenz), wie ausTabelle 1ersichtlich wird. In den Rahmenlehrplänen wird die stärkste Untergliederung vorgenommen und sogar die kommunikative Kompetenz explizit genannt. Zu dieser sollte auch die Ausprägung eines mehrsprachigen Repertoires gehören. Eine oft nicht explizite sprachliche Kompetenzbenennung kann aus einer Vernachlässigung der Sprache im Bereich der Bildungsforschung resultieren(vgl. Efing 2017:172 ff.), wenngleich dies langsam aufgearbeitet wird(vgl. Coray/Duchêne 2017:8). Obwohl in solchen Taxonomien eine Separation der Kompetenzen suggeriert wird, kann eine reziproke Überschneidung nicht ausgeschlossen werden, da beispielsweise kommunikative Kompetenz Sozialkompetenz voraussetzt und umgekehrt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle1: Vergleich verschiedener Kompetenzuntergliederungen
In diesem Abschnitt wurde der auch dem GER zugrunde liegende Kompetenzbegriff aus der Ausbildungsperspektive analysiert. Er ist ähnlich wie Mehrsprachigkeit ein komplexes Konstrukt mit diversen Subtypen. Sprachlich-kommunikative Kompetenz, die auch mehrsprachige Kompetenz wiederum enthält, wird jedoch nur selten explizit genannt. Wie Kompetenzen, insbesondere mehrsprachige Kompetenz, am Arbeitsplatz erworben werden, wird nachfolgend abgehandelt.
3.2 Ausbildung am Arbeitsplatz
Kompetenzen werden in der betrieblichen Berufsausbildung in Lerneinheiten vermittelt. Dabei werden reale Aufgaben durch handlungsorientiertes, selbstgesteuertes, selbstverantwortliches und arbeitsprozessorientiertes Lernen herangezogen(vgl. Krämer-Stürzl 1998:38). Abgeschlossen wird eine solche Lerneinheit mit einem Kompetenznachweis, der Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen performativ bündelt(vgl. Weiss-Aziz/Weyers 2012:97).25 Ein Beispiel einer solchen Lernaufgabe findet sich im Anhang.
Lernen ist, ähnlich wie Mehrsprachigkeit und Kompetenz, ein Hyperonym und kann in formelles, informelles und non-formelles Lernen gegliedert werden(vgl. Commission of the European Communities 2000:8). Informelles und non-formelles Lernen kommen in der Berufsausbildung vor und Konzepte zur Förderung von Mehrsprachigkeit können daran ausgerichtet werden.26 Formelles Lernen ist ein gesteuerter Lernprozess in typischen Bildungsinstitutionen, der zertifiziert wird (gesteuerter FSU in Berufsschule).27 Informelles Lernen hingegen ist ungesteuert (Auslandsaufenthalt), während non-formelles Lernen als gesteuerte Ergänzung zum formellen Lernen gezählt wird und in nicht-institutionellen Bildungsorten (Arbeitsplatz) stattfindet (gesteuerter FSU im Betrieb)(vgl. Commission of the European Communities 2000:8; vgl. Ritzenhoff/Ortmeyer 2016:268 f.).
Ein Großteil des Lernens in der betrieblichen Berufsausbildung läuft jedoch auf informellem Wege, wozu auch das integrative mehrsprachige Lernen gezählt werden kann. Inwiefern werden informell erlernte Kompetenzen messbar und zertifizierbar, wie können sie also in institutionalisiertes Kapital umgewandelt werden?Severing(2009:41)schlägt dazu eine Systematisierung von Lerninhalten, Feststellung, Bewertung und Anerkennung individueller Kompetenzen, Motivierung und Orientierung der Lernenden durch Erhöhung der Transparenz der Lernerfolge vor. Eine solche Zertifizierung bleibt aber kritisch.
Eine zentrale Rolle im System der betrieblichen Berufsbildung nehmen die Ausbilder ein, die eine persönliche und fachliche Eignung sowie institutionalisierte Weiterbildungsnachweise vorweisen müssen(vgl. Dobler/Birkholz 2010:91 ff.). Zugunsten des eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Lernens der Auszubildenden sollen sie in den Hintergrund treten(vgl. Seuter/Scholz 2015:4)und den Lernprozess beratend unterstützen (Lernbegleitung). Dies hat wiederum Auswirkungen auf das Rollenverständnis der Ausbilder, die „vom Wissensvermittler zum Lernberater und Lernprozessbegleiter“(Kräenbring 2013:16)werden. Sie haben folglich die Verpflichtung die sprachliche Kompetenz, inklusive der. fremdsprachigen Kompetenz, zu fördern. Dabei sollen sie ihre Lehre sprachsensibel(vgl. Kimmelmann 2017:61)und sprachbewusst gestalten. Die Ausbildenden haben die Pflicht, ihr eigenes sprachlich und ggf. sogar mehrsprachiges Handeln zu reflektieren. Allerdings zeigten Studien zwar, dass Ausbilder teilweise die Fertigkeiten ihrer Auszubildenden in diesem Bereich kritisieren, jedoch die Förderung sprachlicher Handlungskompetenz oft nicht als ihre Pflicht reflektieren(vgl. Bethscheider 2012:23).
In diesem Abschnitt wurden spezifische Annahmen über das Lernen am Ausbildungsplatz angestellt, wonach ein Großteil des Lernens am Arbeitsplatz informell stattfindet. Im Folgenden soll über ein informelles Lernmodell der Mehrsprachigkeit am Ausbildungsplatz referiert werden.
3.3 Modell des Mehrsprachigkeitserwerbs am Arbeitsplatz
Der Erwerb der ausbildungsrelevanten Kompetenzen ist aufgrund neuer Erkenntnisse in der Lernforschung, sozioökonomischer Veränderungen sowie bildungspolitischer Reformen im Wandel. Allen neuen Theorien gemeinsam ist eine umfassende Fokussierung auf den Lerner und seine subjektiv konstruierte Lebens- und Erfahrungswelt (anthropozentrisch). Solche Modelle basieren auf konstruktivistischen Theorien, die Lernende als eigenständige und eigenverantwortliche Subjekte ansehen(vgl. Siebert 2010; vgl. Siebert 2009; vgl. Siebert 2007). Der konstruktivistische Ansatz unterscheidet sich von behavioristischen und kognitivistischen Ansätzen, indem Lernen nicht als Informationsverarbeitung, sondern als aktiver Prozess der Konstruktion verstanden wird (sieheTabelle 2). Der Lernprozess wird dabei als aktiv, intrinsisch, selbstgesteuert, situativ und sozial deskribiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle2: Vergleich verschiedener theoretischer Perspektiven zum Lernprozess; adaptiert nachKarl(2011)
Als Basis für alle in dieser Arbeit später vorgestellten Konzepte zur Förderung der funktionellen Mehrsprachigkeit muss noch über geeignete theoretische Lernmodelle referiert werden. Allerdings besteht noch eine Forschungslücke in Bezug auf integrative Theorien des arbeitsbezogenen Lernens(vgl. Bojanowski 2017:27; vgl. Sevsay-Tegethoff 2004:297). Um einen Ausbau des mehrsprachigen Repertoires der Auszubildenden durch alltägliche, integrative Methoden zu fördern, ist die sozial-kognitive Lerntheorie von Bandura(vgl. Bandura 1986)geeignet. Zum einen wird die Übertragbarkeit von Gelerntem auf andere Bereiche postuliert, was äquivalent zum Kompetenzbegriff ist. Zum anderen wird sie dem sozialen Lernen gerecht und kann darüber hinaus erklären, warum Lernergebnisse bei Lernern trotz gleichen Inputs divergieren. Vor allem aber ist Handeln – hier mehrsprachiges Handeln – dynamisch, da es erworben, gelehrt, praktiziert, reflektiert und angepasst werden kann(vgl. Keyton u.a. 2013:154; vgl. Bot/Roche 2018:26 ff.).
Die Theorie postuliert, dass sich Lerner neues Wissen oder Verhalten durch Beobachtung anderer Wesen (Vorbilder) aneignen. Dieses Lernen geht aber über reine Imitation (Behaviorismus) hinaus, vielmehr sind zwei Prämissen hypothetisch, bei denen der Lerner als ein aktiv konstruierendes Wesen betrachtet wird (Konstruktivismus): Er befindet sich innerhalb des Lernprozesses in Interaktion mit der Umgebung (sozial) und verfügt über metakognitives, bewusstes Verhalten (kognitiv). Der Lernprozess erfolgt dabei in zwei Phasen (Aneignungsphase und Anwendungsphase), die wiederum in je zwei Phasen segmentiert werden (sieheAbbildung 7): Die Aneignungsphase besteht aus Aufmerksamkeitsprozessen, in denen der Lernende das Vorbild beobachtet, und Gedächtnisprozessen, in denen der Lernende die Beobachtungen kognitiv verarbeitet. Die Ausführungsphase untergliedert sich in Reproduktionsprozesse, während der der Lernende das Verhalten zu reproduzieren ersucht, und in Verstärkungsprozesse, wo der Lernende extrinsisch und intrinsische Motivation zur Verstärkung des Verhaltens sucht(vgl. Bandura 1986).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung7: Sozial-kognitive Lerntheorie nachBandura(1986), eigene Darstellung
Durch die soziale Komponente der Theorie wird die besondere Relevanz der Interaktion mit anderen Auszubildenden und vor allem auch den Ausbildern für den erfolgreichen Lernprozess des Mehrsprachigkeitserwerbs betont. Personen aus dieser sozialen Umwelt können dabei als Vorbilder fungieren. Darüber hinaus wird Mehrsprachigkeit zu einer Kompetenz, die metakognitiv reflektiert, erlernt und vor allem auch situativ neu angewandt werden kann. Die unterschiedlichen Ergebnisse können ungleichen sozialen und kognitiven Faktoren zugeschrieben werden.
Dabei muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass von Subjekten nur als erstrebenswert klassifiziertes Verhalten als lernrelevant eingestuft wird. Außerdem wird auch nicht jedes Verhalten, das dem Lernenden als erstrebenswert erscheint, von ihm aufgrund des hohen Lernaufwandes tatsächlich im gesamten Prozess durchlaufen. Hier muss deswegen auf die lernerinternen Faktoren (Interesse/Motivation, Selbstbewusstsein, Selbsteinschätzung, Angst, metalinguistisches Bewusstsein, pragmatische Sensibilität, Fertigkeit und Aktualität, Wissen um eigenen Lernertyp und Spracherwerbsvermögen)(vgl. Roche 2018a:73 ff.)und die lernerexternen Faktoren verwiesen werden.
In diesem Abschnitt wurde ein Modell des informellen Lernens von Kompetenzen in der betrieblichen Ausbildung vorgestellt. Ein Unternehmen, das jedes Jahr zahlreiche Nachwuchskräfte ausbildet ist die AUDI AG. Im Folgenden werden Mehrsprachigkeit und Berufsausbildung innerhalb der AUDI AG vorgestellt.
4 Mehrsprachigkeit und Ausbildung bei der AUDI AG
In diesem Kapitel sollen die spezifischen Bedingungen innerhalb der AUDI AG, in der die empirische Untersuchung stattfand, geklärt werden. Zunächst soll deswegen kurz auf die Berufsausbildung innerhalb des Unternehmens eingegangen werden (4.1), bevor Mehrsprachigkeit in der Unternehmenskultur und -strategie analysiert werden (4.2). Anschließend wird das betriebliche Sprachmanagement der AUDI AG vorgestellt wird (4.3).
Die AUDI AG ist ein internationaler Automobilkonzern mit Hauptsitz in Ingolstadt und Mitglied des Volkswagen Konzerns. Für die AUDI AG arbeiten aktuell über 60.000 Mitarbeiter, in Ingolstadt sind 44.000 Arbeitskräfte eingesetzt(vgl. AUDI AG 2018b). Das Unternehmen gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Automobilen im Premiumsegment und unterhält global Produktions- und Ausbildungsstätten in Europa, Asien und Amerika,28 an denen meist auch Auszubildende ausgebildet werden. Die meisten Auszubildenden finden sich an den deutschen Standorten in Ingolstadt und Neckarsulm.
Für alle fachlichen und überfachlichen Bildungsaktivitäten innerhalb des Audi Konzerns ist die Audi Akademie (Abteilung I/SE) zuständig(vgl. AUDI AG 2018a). Sie ist in sechs Bereiche segmentiert (sieheAbbildung 8) und verantwortet somit sowohl die Berufsausbildung (I/SE-1) als auch die überfachliche Kompetenzentwicklung (I/SE-2), wozu interkulturelle und sprachliche Weiterbildung zu rechnen sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung: Struktur der Audi Akademie nach AUDI AG (2018a), eigene Darstellung
4.1 Berufsausbildung bei Audi
Jedes Jahr beginnen in Ingolstadt ca. 500 Auszubildende ihren Werdegang, wobei ca. 90% aller Auszubildenden dem gewerblich-technischen Bereich zuzurechnen sind, die übrigen 10% verteilen sich auf die kaufmännischen Berufe. Die insgesamt ca. 1.400 Nachwuchskräfte in Ingolstadt werden derzeit in zwanzig Berufen in den vier Bereichen Fertigungsprozessberufe, Fahrzeugberufe, Automatisierungsberufe sowie IT-, kaufmännische und gastronomische Berufe ausgebildet (sieheAbbildung 9). 10% der Auszubildenden haben eine nicht-deutsche Nationalität(vgl. AUDI AG 2018b). Demgegenüber stehen rund 150 Trainerinnen und Trainer29 sowie 90 Lernstationsbeauftragte.30
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1 Zur vereinfachten Lesbarkeit werden Personenbezeichnungen meist im Maskulinum genannt, jedoch gelten die Aussagen explizit unabhängig von Geschlecht oder Genderorientierung.
2 Die postmoderne Arbeitswelt zeichnet sich u.a. durch agiles Arbeiten, flache Organisationsstrukturen, ständige Weiterentwicklung sowie einem neuen Bezug zur Arbeit aus(vgl. AUDI AG 2017:4).
3 Kulturelles Kapital ist neben ökonomischem und sozialem Kapital für Unternehmen wichtig, da durch Transformationsprozesse ökonomisches Kapital mittels kulturellem generiert werden kann(vgl. Bourdieu 1983:195). Jedoch werden nicht alle Sprachen gleich geschätzt.
4 Herkunftssprachen werden wertvoll erachtet, wenn sie Kunden oder Geschäftspartner sprechen(vgl. Meyer 2008).
5 Einerseits rücken Fragestellungen in den Fokus der Bindestrich-Linguistiken, andererseits bemühen sich auch soziologische und wirtschaftswissenschaftliche Strömungen um eine Aufbereitung (z.B. Holden u.a. (2015)), auch unter ökonomischen Gesichtspunktenz.B. Heller (2003); Heller (2010); Al Hosni (2015).
6 Eine aktuelle Übersicht über den Forschungsstand bietenCoray/Duchêne (2017); Vine (2018).
7 Zur weiteren Lektüre sieheEfing/Kiefer (2017a),Efing/Kiefer (2017b)oderTerrasi-Haufe/Börsel (2017).
8 Unter blue collar werden gewerblich-technische Tätigkeiten gefasst, während white collar Personal dem kaufmännischen Bereich zuzurechnen ist(vgl. Lonsmann/Kraft 2018:138).
9 Die Abgrenzung von Mehrsprachigkeit zu anderen Phänomenen wie Zweisprachigkeit, Bilingualismus, Bilingualität, Multilingualismus, Multilingualität, Vielsprachigkeit, Polyglossie würde an dieser Stelle zu weit führen. Einen Überblick über diese Phänomene bietet beispielsweiseKemp (2009).
10 Gesellschaftliche und institutionelle Mehrsprachigkeit werden hier nicht weiter expliziert.
11 Hier sind indirekte sprachpolitische Maßnahmen (Freizügigkeit) und direkte sprachpolitische Maßnahmen (Konzept 2+1) zu nennen. So hat die EU das Ziel formuliert, dass jeder EU-Bürger neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen lernen soll(vgl. Europäische Gemeinschaft 2002).
12 Individuelle Mehrsprachigkeit resultiert bspw. aus Mobilität in Sprachräumen, Aufenthalt an Sprachgrenzen oder in mehrsprachigen Staaten. Darüber hinaus können soziale Konstellationen (Heirat, Eltern mit anderer Sprache), oder Bildungschancen individuelle Mehrsprachigkeit bedingen(vgl. Lüdi 1996:234).
13 Bezüglich der Definition von Mehrsprachigkeit hinsichtlich Kompetenz findet sich ein Kontinuum von muttersprachlicher Kompetenz in den Sprachen bis hin zu Wort- oder Syntagmen-Kenntnis in einer anderen Sprache(vgl. Aronin/Singleton 2012).
14 Unter Sprachpolitik (language policy) wird die Auseinandersetzung mit Sprache(n) oder sprachlichen Varietäten innerhalb eines Staates oder Staatenverbundes (EU) verstanden(vgl. Marten 2016:17).
15 Beispielsweise ist hier La Loi Toubon in Frankreich zu nennen.
16 In diversen bayerischen Gesetzen werden Kenntnisse der deutschen Sprache in Zusammenhang mit der Arbeit in öffentlichen Institutionen gefordert (BayVwVfG)(Bayerische Staatskanzlei 01.08.2018Art. 23). Dies wäre jedoch unter institutioneller Mehrsprachigkeit zu kategorisieren.
17 Im Bayerischen Integrationsgesetz (BayIntG) vom 13.12.2016 in Art. 4 wird allerdings gefordert, dass Personen, die sich „in den vorangegangenen sechs Jahren mindestens drei Jahre in Deutschland ständig aufgehalten“ haben über angemessene Deutschkenntnisse verfügen sollen, da eine Integration „in das öffentliche Leben und Arbeiten“ nur über die deutsche Sprache möglich sei(Bayerische Staatskanzlei 01.08.2017Art. 4). Hier wird die Annahme gemacht, dass in deutschen Firmen Deutsch gesprochen wird, wobei es in der sprachlichen Realität Gegenbeispiele gibt, sodass die Forderung durchaus kritisierbar bleibt.
18 Einen aktuellen Forschungsüberblick bietenJenkins u.a. (2018).
19 Tatsächlich hat die Verbreitung europäischer Sprachen, insbesondere des Englischen, schon während der Kolonialisierung zur Ausprägung einer Lingua franca und eine Assoziation mit Erfolg und Macht erfahren(vgl. Coulmas 2005:10).
20 Chinesisch (1.299 Mio. Erstsprecher), Spanisch (442 Mio. Muttersprachler) und Englisch (378 Mio. Erstsprecher und 744 Mio. Fremdsprachenlerner)(vgl. Simons/Fennig 2018; vgl. Coulmas 2018).
21 In der Literatur wird auf das Konzept teilweise als rezeptive Mehrsprachigkeit bzw. receptive multilingualism (vgl. Braunmüller 2013), Semikommunikation(vgl. Braunmüller 1997)oder Interkomprehension(vgl. Möller/Zeevaert 2015; vgl. Santos Alves/Mendes 2006; vgl. Pinho/Andrade 2009)verwiesen.
22 Zur Lektüre über die duale Berufsausbildung in Deutschland sieheSpöttl (2016),Dehnbostel (2010),GOVET (2016),Ebner (2013)oderBillett (2011). Zur Historie der Berufsbildung sieheGreinert (2006).
23 Eine beispielhafte Ausbildungsordnung und ein Rahmenlehrplan finden sich beiBundesinstitut für Berufsbildung (2018).
24 Siehe hierzuRauner (2017),Niedermair (2012),Gonon u.a. (2005).
25 Eine Teilaufgabe könnte daher mit der fremdsprachlichen Kompetenz verbunden werden, da die Fachkommunikation Bestandteil der Lerneinheiten ist,vgl. Weiss-Aziz/Weyers (2012):99.
26 Die oft erwähnte Formel 70:20:10, die behauptet, dass siebzig Prozent des Lernens informelles Lernen und nur zwanzig Prozent formelles Lernen sowie zehn Prozent restliche Lernarten ausmachen, wird aufgrund struktureller Fehler in der Empirie und Theorie immer kritischer gesehen(vgl. Clardy 2018).
27 Im Bereich des betrieblich-integrativen Fremdsprachenlernens kann auf die Lerntaxonomie vonKarl(2012:78 ff.)zurückgegriffen werden. Dies ist eine Matrix mit vier Kann-Stufen (kennen, anwenden, vertieft umsetzen, beherrschen) und drei Qualifizierungsstufen (Kenntnisse, Fertigkeiten, Kompetenzen).
28 Die Produktionsstätten des Konzerns liegen in Deutschland, Belgien, Ungarn, Italien, Spanien, Slowakei, Russland, Mexiko, Brasilien, Indien, Thailand und China(AUDI AG 2018d:3).
29 Bei Audi und gemäß dem Konstruktivismus werden Ausbilder als Trainer bezeichnet.
30 Lernstationen sind dezentrale Lernorte im gesamten Werk, wo die Fachbildung vermittelt wird.
- Arbeit zitieren
- Lisa Graf (Autor:in), 2018, Sprachmanagement und Mehrsprachigkeit in der betrieblichen Berufsausbildung in der AUDI AG. Maßnahmen und Evaluation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/999284
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