Die Digitalisierung ist in den letzten Jahrzehnten einer der maßgeblichen Treiber für Veränderungen in der Arbeitswelt geworden. Kaum ein Arbeitnehmender kommt ohne Computer und Telefon aus und viele Arbeitsmöglichkeiten werden stetig unabhängiger von Ort und Zeit. Die digitale Vernetzung führt zu zunehmenden Änderungen und vor allem zu mehr Zeitdruck, beschleunigten Prozessen sowie höheren Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmende. Daher stellt sich die Frage, ob diese Veränderungen zu einer Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung führen können und ob aufgrund der Nichtbeherrschung von digitalen Technologien Schamgefühle entstehen und die psychische Gesundheit sinkt. Diese Studie untersuchte daher, ob es einen Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und der psychischen Gesundheit, genauer gesagt emotionaler Erschöpfung und Wohlbefinden, gibt.
Weiterhin wurde untersucht, ob Scham als ein Moderator des eben genannten Zusammenhangs wirkt. An der querschnittlichen Online-Studie, welche vom 13.02.-13.03.2020 durchgeführt wurde, nahmen insgesamt 280 Probanden zwischen 19-61 Jahren (M = 34.73; SD = 10.248) teil. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und emotionaler Erschöpfung sowie Wohlbefinden. Weiterhin zeigte sich, dass auch Scham einen Zusammenhang mit diesen drei Variablen aufweist. Jedoch konnte Scham in der weiteren Analyse nicht als Moderator des Zusammenhangs zwischen Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und der psychischen Gesundheit bestätigt werden. Aufgrund der nicht repräsentativen Stichprobe müssen alle Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden. Dennoch zeigte sich, dass Arbeitgeber die Ängste und Schamgefühle ihrer Arbeitnehmenden wahrnehmen sollten und sie bei anstehenden Veränderungen im digitalen Wandel bestmöglich unterstützen und begleiten sollten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Theorie
2.1 Arbeit 4.0 und Digitalisierung
2.1.1 Historisches zur Digitalisierung
2.1.2 Digitalisierung
2.1.3 Neuere Arbeitsformen bzw. was sich verändert
2.2 Psychische Gesundheit
2.3 Angst vor Arbeitsplatzverlust
2.3.1 Angst
2.3.2 Technostress
2.4 Scham
2.5 Hypothesen
3 Methode
3.1 Versuchsdesign
3.2 Messinstrumente
3.3 Durchführung
3.4 Stichprobe
4 Ergebnisse
4.1 Bereinigung des Datensatzes und Skalenbildung
4.2 Teststatistische Untersuchung der Items zum Thema Scham
4.3 Auswertung der Hypothesen 1 und
4.4 Auswertung der Hypothesen 3 und
5 Diskussion
5.1 Ergebnisdiskussion der Hypothesenauswertung
5.2 Stärken und Schwächen der vorliegenden Studie
5.3 Implikationen für zukünftige Forschung und den Arbeitsalltag
5.4 Fazit
6 Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1. Strukturmodell des Wohlbefindens
Abbildung 2. Reaktionsebenen der Angst
Abbildung 3. Teufelskreis der Angst
Abbildung 4. Differenzierung der Angststörungen nach ICD-10
Abbildung 5. Transaktionales Stressmodell
Abbildung 6. Technostress-Modell
Abbildung 7. Technostressoren
Abbildung 8. Ergebnisse der Korrelations- und Moderationsanalysen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1. Angabe der Branchenzugehörigkeit der Teilnehmenden
Tabelle 2. Angabe des Brutto-Jahresgehaltes der Teilnehmenden
Tabelle 3. Mittelwerte und Standardabweichungen der einzelnen Skalen
Tabelle 4. Itemschwierigkeiten und Trennschärfen der Items der Skala Scham
Tabelle 5. Ergebnisse der Moderatorhypothesenauswertung mit emotionaler Erschöpfung
als abhängige Variable (Hypothese 3)
Tabelle 6. Ergebnisse der Moderatorhypothesenauswertung mit Wohlbefinden
als abhängige Variable (Hypothese 4)
Abkürzungsverzeichnis
GHQ: General Health Questionnaire
ICD-10: International Classification of Deseases
IKT: Informations- und Kommunikationstechnologien
LGBTQ: lesbian, gay, bisexuell, transgender und queer
MBI: Maslach Burnout Inventory
MBI-GS: Maslach Burnout Inventory – General Survey
Zusammenfassung
Die Digitalisierung ist in den letzten Jahrzehnten einer der maßgeblichen Treiber für Veränderungen in der Arbeitswelt geworden. Kaum ein Arbeitnehmender kommt ohne Computer und Telefon aus und viele Arbeitsmöglichkeiten werden stetig unabhängiger von Ort und Zeit. Die digitale Vernetzung führt zu zunehmenden Änderungen und vor allem zu mehr Zeitdruck, beschleunigten Prozessen sowie höheren Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmende. Daher stellt sich die Frage, ob diese Veränderungen zu einer Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung führen können und ob aufgrund der Nichtbeherrschung von digitalen Technologien Schamgefühle entstehen und die psychische Gesundheit sinkt. Diese Studie untersuchte daher, ob es einen Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und der psychischen Gesundheit, genauer gesagt emotionaler Erschöpfung und Wohlbefinden, gibt. Weiterhin wurde untersucht, ob Scham als ein Moderator des eben genannten Zusammenhangs wirkt. An der querschnittlichen Online-Studie, welche vom 13.02.-13.03.2020 durchgeführt wurde, nahmen insgesamt 280 Probanden zwischen 19-61 Jahren (M = 34.73; SD = 10.248) teil. Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und emotionaler Erschöpfung sowie Wohlbefinden. Weiterhin zeigte sich, dass auch Scham einen Zusammenhang mit diesen drei Variablen aufweist. Jedoch konnte Scham in der weiteren Analyse nicht als Moderator des Zusammenhangs zwischen Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und der psychischen Gesundheit bestätigt werden. Aufgrund der nichtrepräsentativen Stichprobe müssen alle Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden. Dennoch zeigte sich, dass Arbeitgebende die Ängste und Schamgefühle ihrer Arbeitnehmenden wahrnehmen sollten und sie bei anstehenden Veränderungen im digitalen Wandel bestmöglich unterstützen und begleiten sollten.
1 Einleitung
„Vom Papyrus über die Wachstafel bis zum Word-Dokument, von Pferd und Wagen über Eisenbahn und Automobil bis zum selbstfahrenden Auto, vom Rechenschieber über die Lochkarte bis zum Grid-Computing – Technologie war schon immer ein Treiber von Veränderung und gesellschaftlichem Fortschritt“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016, S. 19). Dieses Zitat fasst sehr prägnant die Veränderungen der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte zusammen. Als dann im Jahr 2015 das Wort Smombie, ein Kofferwort aus den Begriffen Smartphone und Zombie, welches eine Person beschreibt, die ohne Unterlass auf ihr Smartphone schaut, zum Jugendwort des Jahres (Langenscheidt, 2020) gewählt wurde, war spätestens klar, dass die Digitalisierung alle Bereiche unseres Lebens erreicht und durchdrungen hat.
Heute ist das Wort Digitalisierung als Treiber der dominantesten Veränderungen in aller Munde. Bereits in den achtziger Jahren begann durch die Einführung der ersten Computer und anschließend des World Wide Web eine grundsätzliche Veränderung sowohl der Arbeitswelt als auch des Privatlebens. Heutzutage besitzen die allermeisten Privat-Haushalte einen Computer (90%) sowie ein Mobiltelefon/ Smartphone (96%) und nutzen diese zum Versenden von Emails, gehen online einkaufen, vernetzen sich mittels sozialer Netzwerke wie Facebook, Instagram, Twitter und Co., nutzen Online-Banking oder durchsuchen das Internet nach Informationen (Müller, 2019). Gleichzeitig hat diese digitale Revolution auch die Arbeitswelt angetrieben und so müssen sich immer mehr Arbeitnehmende in ihrer Arbeitszeit mit neueren digitalen Technologien befassen, welche über die reine Nutzung eines Computers oder Telefons hinausgehen.
Der Begriff Arbeit 4.0 kennzeichnet die momentan stattfindende sogenannte vierte industrielle Revolution (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016) des Arbeitslebens. Diese beschreibt die rasch voranschreitende Digitalisierung der Arbeitsprozesse, welche unter anderem durch digitale und mobile Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Big Data, ortsunabhängiges Arbeiten und künstliche Intelligenz geprägt ist. Derartige Veränderungen können zum einen Vorteile, wie zum Beispiel eine gesteigerte Produktion, aber auch Nachteile, wie eine Informationsüberflutung und ständige Erreichbarkeit, darstellen (Maschke & Werner, 2015). Weiterhin ist die Prognose, dass sich diese, den Wandel antreibenden Technologien, sehr schnell weiterentwickeln werden (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016).
Doch was geschieht, wenn Arbeitnehmende diesem schnellen Wandel nicht folgen können und unsicher im Umgang mit neuen digitalen Technologien sind? Entsteht dann eine Angst vor Arbeitsplatzverlust oder schämen sich die Arbeitnehmenden sogar dafür, dass sie diese neuen Technologien nicht so schnell beherrschen wie ihre Kollegen? Und wie wirkt sich dies auf die psychische Gesundheit des einzelnen Arbeitnehmenden aus?
Unter anderem durch eine hohe Reizdichte, die die neuen Technologien verursachen (permanente Erreichbarkeit, Multitasking, schnelllebige Arbeitswelt, …), kann sogenannter Technostress entstehen (Ragu-Nathan, Tarafdar, Ragu-Nathan & Tu, 2008). Ein Baustein dieses Technostresses ist die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung. Bei Arbeitnehmenden können dadurch Ängste entstehen, dass der Arbeitsplatz durch Maschinen, so wie beispielsweise die Kassierer in den Supermärkten durch Selbstbedienungskassen ersetzt werden. Auch in der Gastronomie hat die Digitalisierung Einzug gehalten, so dass beispielsweise Bestellungen mittels Smartphones oder Tablet digital getätigt werden und nicht beim Personal. Auch in vielen anderen Bereichen werden Arbeitsprozesse stetig immer weiter digitalisiert, so dass dies nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Digitalisierungsmöglichkeiten darstellt. Dies erfordert für viele Arbeitnehmende eine Veränderung ihres Tätigkeitsfeldes (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016). Gleichzeitig sind dadurch aber auch neue Arbeitsformen wie Homeoffice oder Crowdworking entstanden, die neue Chancen bieten (Gajendran & Harrison, 2007). Innerhalb der Firmen hat sich dadurch auch die Kommunikation der Mitarbeitenden untereinander, aber auch mit anderen Hierarchieebenen sowie die Teamarbeit verändert (Lüdtke, 2015).
Daher beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmenden. Weiterführend wird untersucht, ob Scham als eine moderierende Variable diesen Zusammenhang verstärkt. Im folgenden Kapitel 2 werden zuerst die theoretischen Hintergründe aller Aspekte erläutert, um daraus die Fragestellungen ableiten zu können. Konkret werden zunächst die Veränderungen durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt angesprochen, um anschließend näher auf die zu untersuchenden Aspekte der psychischen Gesundheit einzugehen. Darauf aufbauend wird das im Fokus stehende Thema Angst thematisiert und erläutert, wie Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung unter Verwendung des Technostress-Modells gemessen werden kann. Weiterführend wird auf das Konstrukt Scham und seine Bedeutung als Moderatorvariable für die Untersuchung eingegangen. Abschließend werden in Kapitel 2.5 die Hypothesen und Fragestellungen der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet. Nach dem theoretischen Teil erfolgt in Kapitel 3 die methodische Darstellung der Untersuchungsdurchführung und den dazu herangezogenen Messinstrumenten sowie die Stichprobenbeschreibung der Teilnehmenden. In Kapitel 4 werden weiterführend die Ergebnisse der statistischen Datenauswertung anhand der erstellten Hypothesen dargestellt. Die abschließende Diskussion, inklusive der Limitationen der vorliegenden Arbeit sowie einem Fazit und Ausblick für zukünftige Forschung, wird in Kapitel 5 behandelt. Dort werden die Ergebnisse kritisch diskutiert und Möglichkeiten beschrieben, was die Ergebnisse der Datenerhebungen für Unternehmen und Arbeitnehmende bedeuten können und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.
2 Theorie
Im folgenden Kapitel werden die theoretischen Hintergründe der vorliegenden Arbeit beschrieben. Zunächst wird der Frage nachgegangen, was sich hinter dem Begriff Arbeit 4.0 verbirgt und wie die fortschreitende Digitalisierung die Arbeitswelt beeinflusst. Darauf aufbauend werden die Themen psychische Gesundheit und die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch sogenannten Technostress genauer beleuchtet. Ebenfalls wird differenziert auf das Thema Scham eingegangen und erläutert, warum dieses vermutlich mit den weiteren Variablen in Verbindung steht. Diese theoretische Herleitung ist notwendig, um die Hintergründe der in dieser Arbeit enthaltenden Studie besser nachvollziehen zu können. Abschließend werden die Hypothesen der vorliegenden Arbeit hergeleitet und vorgestellt, welche weiterführend in der Untersuchung mittels Fragebogen getestet werden sollen.
2.1 Arbeit 4.0 und Digitalisierung
Der Begriff Arbeit 4.0 ist in den letzten Jahren zu einem Schlagwort der Veränderung in der Arbeitswelt geworden und geht mit dem Begriff Industrie 4.0 einher (Hirsch-Kreinsen, 2014). In den folgenden Unterkapiteln wird erklärt was dieser Begriff genau bedeutet. Weiterhin wird kurz auf die geschichtlichen Hintergründe der Industrialisierung eingegangen und berichtet, was genau sich durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt verändert hat. Abschließend werden neuere Arbeitsformen vorgestellt.
2.1.1 Historisches zur Digitalisierung
In den vergangenen Jahrhunderten haben sich Arbeit und Arbeitsbedingungen maßgeblich verändert. Technische Neuerungen haben Einzug gehalten und so können bislang drei hervorstechende, sogenannte industrielle Revolutionen benannt werden (Vogel-Heuser, Bauernhansl & ten Hompel, 2016). Als Revolutionen werden in diesem Kontext deutliche Veränderungen in der Arbeitswelt angesehen, die zu der Anwendung von technischen Neuerungen geführt haben, welche hauptsächlich körperliche Arbeitstätigkeiten durchaus vereinfacht haben und oft auch an gesellschaftlichen Veränderungen gekoppelt waren. Arbeitnehmende sahen sich daher auch in den vergangenen Jahrhunderten mit Veränderungen der Arbeitswelt konfrontiert, so dass im Folgenden ein kurzer Überblick dieser Entwicklungen dargestellt werden soll. Besonders die dritte und vierte industrielle Revolution sind von Interesse, da ab diesem Zeitpunkt neuere Informationstechnologien Einzug in die Arbeitswelt hielten, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind.
Die erste industrielle Revolution kann ungefähr um 1750 eingeordnet werden, bedingt durch die Erfindung der Dampfmaschine, aufgrund derer die Entwicklung von verschiedensten Maschinen und eine Ausweitung des Transportsystems durch Dampfschifffahrt und Eisenbahn möglich war. Weiterhin wurden Arbeitstätigkeiten von kleineren handwerklichen Betrieben in Manufakturen zentralisiert und in hierarchische Organisationsformen umgewandelt (Braun, 2016). So entstanden die Fabrikbesitzer und die dort tätigen Fabrikarbeiter als zwei neue Gesellschaftsschichten, welche vorrangig in der Textil-, Eisen- und Stahlindustrie tätig waren (Vogel-Heuser et al., 2016).
Darauf aufbauend fand etwa ab 1870 die zweite industrielle Revolution statt. In dieser Zeit wurden unter anderem Verbrennungsmotoren und elektrische Antriebe entwickelt, die maßgeblich an der Entstehung der arbeitsteiligen Massenproduktion beteiligt waren. Führende Köpfe dieser Zeit waren beispielsweise Henry Ford, mit dem von ihm entwickelten Fließband, und Frederic W. Taylor mit seiner darauf aufbauenden wissenschaftlichen Betriebsführung (Vogel-Heuser et al., 2016). Dabei setzte Taylor auf konsequente Arbeitsteilung, sowohl auf horizontalen als auch auf vertikalen Hierarchieebenen und empfahl sogar die Arbeitsteilung von Führungsaufgaben. Dadurch war jeder Arbeitende maximal auf seine Tätigkeit spezialisiert (Trennung von Hand- und Kopfarbeit) und die Arbeitenden der unteren Hierarchieebene führten hauptsächlich taktgebundene Fließbandfertigung in kurzen Arbeitszyklen aus. Außerdem konnten mit den elektrischen Antrieben Arbeitsmaschinen dezentral betrieben werden, was zu einer großindustriellen Massenproduktion, besonders in der Automobil-, Chemie- und Elektroindustrie sowie dem Maschinenbau, führte. Dies ermöglichte kostengünstige Produktion und den Bedürfnissen der wachsenden Bevölkerung konnte Rechnung getragen werden. Zusätzlich entwickelte sich in dieser Zeit die Sozialdemokratie (Vogel-Heuser et al., 2016).
In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fand dann, nach zwei Weltkriegen, die dritte industrielle Revolution statt. In dieser Zeit wurden die elektronischen Möglichkeiten spürbar weiterentwickelt und weiterführend durch die IKTs die Automatisierung der Produktionsvorgänge erleichtert. Ab diesem Zeitpunkt war die variantenreichere Serienproduktion möglich. Diese kam den immer individuelleren Wünschen der Kunden zu Gute. Außerdem führten die IKT zu einer schnelleren Verbreitung von Wissen, die durch die Einführung des Internets noch mal deutlich gesteigert werden konnte. Dies führte weiterhin zu einer, über die Landesgrenzen hinausreichenden, Globalisierung und besseren Vernetzung (Vogel-Heuser et al., 2016).
Daraus entwickelte sich die vierte industrielle Revolution, die aktuell stattfindet (Braun, 2016). Die Digitalisierung ist so weit vorangeschritten, dass sogenannte „intelligente Maschinen“ Aufgaben übernehmen, von denen man vormals dachte, dass sie nur durch menschliche Arbeitskraft getätigt werden können. Sogenannte cyber-physische Systeme können sich an ihre Umwelt anpassen und Probleme eigenständig situationsgerecht lösen. Durch das Internet und die weltweite Verfügbarkeit von Netzwerken ist die Digitalisierung in Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Alltag angekommen. Laut einer Umfrage besaßen 2018 2.9 Milliarden Menschen weltweit ein internetfähiges Smartphone und für 2019 wurde die Zahl auf 3.2 Milliarden Menschen geschätzt (Statista, 2019). Somit ist die Tendenz permanent steigend. Außerdem wurde sogenannte Big-Data erfasst, also die Sammlung von riesigen Datenmengen. Dadurch haben sich die Arbeitsanforderungen und die Aufgabenbereiche für Arbeitnehmende mehr oder weniger stark verändert, je nach Aufgabengebiet. Digitale Technologien haben vorwiegend einfache und repetitive Tätigkeiten übernommen, während den Arbeitnehmenden die Interpretation dieser Daten, Kommunikation im sozialen Kontext oder kreatives Problemlösen obliegt (Braun, 2016).
Doch was bedeutet Digitalisierung und wie wird sie im Arbeitsalltag genau spürbar? Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Digitalisierungsmöglichkeiten vorgestellt.
2.1.2 Digitalisierung
Als Digitalisierung wurde zunächst der Prozess beschrieben, welcher analoges Datenmaterial in digitale Daten umwandelt (Gray & Rumpe, 2015). Darauf aufbauend entstand die folgende Definition: „Wir sprechen von Digitalisierung, wenn analoge Leistungserbringung durch Leistungserbringung in einem digitalen, computerhandhabbaren Modell ganz oder teilweise ersetzt wird“ (Wolf & Strohschen, 2018, S. 58). Auf Unternehmensebene verändern sich dadurch Geschäftsmodelle von traditionellen zu neuen, auf digitalen Daten gestützten, Modellen hin. Beispielsweise seien hier digitale Heizungssteuerung und -wartung, Uber oder Airbnb, selbstfahrende Autos, Rasenmäher- oder Staubsaugerroboter, Nutzung von Daten-Clouds oder Smart Data genannt (Wolf & Strohschen, 2018). Die Autoren nennen weiterhin die damit verbundenen Schwierigkeiten und Herausforderungen: Digitale Geschäftsplattformen übernehmen den Kundenzugang, bewährte IT-Lösungen sind schnell veraltet und müssen überarbeitet oder ersetzt werden, es werden permanent innovativere Produktlösungen notwendig aufgrund der rasanten dynamische Veränderungen der Märkte, Prozesse müssen rascher angepasst werden, der Direktvertrieb und dadurch auch der direkte Kontakt mit dem Endverbraucher mittels IKT steigt weiter an, Flexibilität und Agilität ersetzen ehemals starre Strukturen, und vieles mehr.
Eine Studie aus Deutschland (Diebig, Jungmann, Müller & Wulf, 2018) konkretisierte mittels Interviews die greifbaren Veränderungen und Herausforderungen für die Arbeitnehmenden durch die Digitalisierung: Veränderungen der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit, Zeitdruck und beschleunigte Prozesse, Ungleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit, höhere Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmende, eine Veränderung der Arbeitsorganisation und vermehrte Kontrolle der Arbeitnehmenden durch Führungskräfte. Während die einen Studien voraussagten, dass durchaus ganze Berufe aufgrund der Digitalisierung wegfallen könnten (Frey & Osborne, 2017), gingen andere davon aus, dass nur Tätigkeiten ersetzt werden können (Dengler & Matthes, 2015). Sie argumentierten, dass es weiterhin ausreichend Tätigkeiten gibt, die nicht von Computern übernommen werden können. Dennoch seien die Arbeitstätigkeiten vieler Arbeitnehmenden einem hohen Substituierbarkeitspotential ausgesetzt. Gleichzeitig stellten sie jedoch auch fest, dass ein massiver Stellenabbau in Folge der Digitalisierung in naher Zukunft nicht zu erwarten ist (Dengler & Matthes, 2015). Trotzdem bedürfe es für viele Arbeitnehmende einer Umorientierung in ihrer Arbeitstätigkeit und dadurch kommt dem Thema lebenslanges Lernen eine neue Bedeutung zuteil. Somit stellt die Vermittlung von Wissen und die Motivation zum selbstständigen Lernen einen zentrale Aufgabe für Firmen dar, um weiterhin auf spezialisiertes und qualifiziertes Personal zurückgreifen zu können (Klammer et al., 2017). Besonders bezieht sich dies auf Wissen, welches nicht unbedingt auf dem zuerst erlernten Beruf basiert, sondern fachfremd ist. Dazu kann unter anderem auch alles aus dem Bereich der fortschreitenden Digitalisierung zählen.
Gleichzeitig sollten Arbeitstätigkeiten menschengerecht gestaltet sein. Menschengerecht bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Arbeit ausführbar (körperlich nicht schädigend), erträglich (darf das Befinden nicht langfristig und nachhaltig beeinträchtigen), zumutbar (Normen und Werte müssen beachtet werden) und persönlichkeitsförderlich (Kompetenzen können erweitert werden) sein sollte (Ulich, 2001). Auch Tätigkeiten, die durch die Digitalisierung entstanden sind oder sich dadurch verändert haben, müssen weiterhin diese Kriterien erfüllen, um ein hohes Wohlbefinden und Zufriedenheit bei den Arbeitnehmenden zu erzielen. So sollten die Arbeitnehmenden aufgrund von digitaler Automatisierung beispielsweise keine monotonen Resttätigkeiten ausführen müssen, sondern den kreativen und ergänzenden Part zu den, die Routinetätigkeiten ausführenden, digitalen Technologien bilden (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016).
Insgesamt hat sich die Arbeitswelt verändert und wird durch immer schneller fortschreitende Digitalisierung und dadurch notwendigen Flexibilität geprägt (Kärcher, 2015). Darauf werden sich Arbeitnehmende und Unternehmen auch in der Zukunft einstellen müssen. Digitalisierung bedeutet dabei eine Verbindung der realen Welt mit der virtuellen Welt und umfasst neben den IKTs und Datenbanken auch Technik-Modernisierungen und die Entwicklung neuer Software. Die Nutzung der IKTs betrifft im Gegensatz zu den zuvor genannten Aspekten jedoch nahezu jeden Arbeitsbereich und ist damit im Rahmen der Digitalisierung von besonderer Bedeutung (Kärcher, 2015).
Aufgrund von flexiblen Arbeitsformen, wie beispielsweise dem Homeoffice, auf das im folgenden Kapitel noch näher eingegangen wird, und der Möglichkeit der ständigen Erreichbarkeit verschwimmen auch immer mehr die Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben. Der entsprechende Fachbegriff für diese Vermischung lautet Entgrenzung (Korunka & Kubicek, 2017). Weiterhin wird empfohlen, die Mitarbeitenden immer mehr an Entscheidungs- und Veränderungsprozessen teilnehmen und mitwirken zu lassen, damit diese dem anstehenden und fortlaufenden digitalen Wandel offen gegenüberstehen (Blume & Gerstlberger, 2007). Das Bedürfnis und der Wunsch nach Mitwirkungsmöglichkeiten bzw. Partizipation wird auch unter dem Begriff Mitbestimmung zusammengefasst (Mende, Wegge, Jeppesen, Jønsson & Unterrainer, 2015).
Weiterhin ist für Arbeitnehmende die Relevanz der Arbeit von Bedeutung. Darunter wird die subjektive Bewertung des Sinns und der Relevanz der eigenen Arbeit verstanden (Rosso, Dekas & Wrzesniewski, 2010). In der neuen digitalen Arbeitswelt möchten Arbeitnehmende sich ebenfalls in hohem Maß mit ihrer Arbeit identifizieren und einen wichtigen Beitrag für die Firma und zur Gesellschaft leisten können (Hardering, Will-Zocholl & Hofmeister, 2016).
Die bereits zuvor schon genannten IKTs, dazu gehören unter anderem auch das Internet und Smartphones, ermöglichen im Gegensatz zu früher neue Arbeitsmöglichkeiten, da die Arbeitnehmenden selbst entscheiden können, wann und wo sie arbeiten wollen, sofern dies durch den Arbeitgebenden unterstützt wird. Durch die digitale Vernetzung und die Möglichkeit des Zugriffs auf Firmennetzwerke über gesicherte Zugänge von jedem Ort an dem eine Internetverbindung möglich ist, wurde die Arbeit deutlich flexibler (Rosso, Dekas & Wrzesniewski, 2010). Dadurch ist allerdings auch immer und überall Kommunikation möglich, so dass das Thema Entgrenzung eine große Rolle spielt. Durch den Aspekt der Flexibilisierung haben sich neue Arbeitsformen entwickelt, auf die im folgenden Kapitel näher eingegangen wird.
2.1.3 Neuere Arbeitsformen bzw. was sich verändert
Mit dem Begriff Arbeit 4.0 werden in Deutschland die Veränderungen der Arbeitswelt beschrieben, welche hauptsächlich auf die neuen Arbeitsformen, Arbeitsverhältnisse und letztendlich auch deren Ausgestaltungsmöglichkeiten fokussieren (Hirsch-Kreinsen, 2014). Wie eingangs erwähnt, bietet die Digitalisierung vor allem flexiblere Möglichkeiten hinsichtlich des Arbeitsortes und der Arbeitszeit. Dies soll zu mehr Autonomie, Selbstbestimmung und einer besseren Work-Life-Balance führen.
Hier sei die (inzwischen bereits recht bekannte) Möglichkeit vom Homeoffice genannt, welches unter anderem für Eltern mit kleinen Kindern oder beispielsweise bei pflegenden Angehörigen in Betracht kommen kann (Klammer et al., 2017). Homeoffice wird auch als Telearbeit bezeichnet und beschreibt das regelmäßige Arbeiten außerhalb der eigentlichen betrieblichen Räumlichkeiten des Arbeitgebenden. Hierbei werden IKTs genutzt, um auf firmeninterne Daten zuzugreifen. Grundsätzlich sollen diese Angebote auf Freiwilligkeit basieren, daher ist ein Arbeitnehmender nicht dazu verpflichtet dieses Angebot anzunehmen. Weiterhin hat der Arbeitgebende alle erforderlichen Arbeitsmittel dafür zur Verfügung zu stellen und ist auch für deren Installation und Wartung zuständig. Gleichsam ist der Arbeitnehmende verpflichtet sich an die gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Arbeits-, Pausen- und Ruhezeiten zu halten. Grundsätzlich gelten für die Telearbeit die gleichen Bestimmungen wie für die Arbeit in der Betriebsstätte des Arbeitgebenden. Dabei gibt es unterschiedliche Gewichtungen hinsichtlich der Zeit, die anteilig im Homeoffice und in den firmeneigenen Räumlichkeiten verbracht wird (WKO, 2018). In einer Meta-Analyse (Gajendran & Harrison, 2007) wurde herausgefunden, dass Telearbeit positiv mit der wahrgenommenen Autonomie einhergeht, aber sich negativ auf den Konflikt zwischen Arbeit und Freizeit auswirkt und wiederum positiv mit der Arbeitsbeziehung zum Vorgesetzten zusammenhängt. Weiterhin fanden die Autoren einen Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit. Gleichzeitig ist andererseits aber auch die Sorge der Arbeitnehmenden zu verzeichnen, dass sie aufgrund der digitalen Möglichkeiten permanent erreichbar sind oder sein müssen. Dagegen sollte laut Klammer et al. (2017) eine Rahmung im betrieblichen Gesundheitsmanagement hilfreich sein und durchaus auch eine Möglichkeit für eine psychologische Gefährdungsbeurteilung für die neuen Arbeitsformen bestehen. Allerdings haben viele Arbeitnehmende (ca. zwei Drittel der nicht im Homeoffice Tätigen) gar nicht den Wunsch im Homeoffice zu arbeiten (Klammer et al., 2017).
Doch auch bei den stationären Arbeitsplätzen in den Firmen können Arbeitsprozesse, wie zum Beispiel die Organisation und Durchführung von Teamarbeit, an die neuen Möglichkeiten angepasst werden. Durch bestimmte Online-Anwendungen (Apps) können Aufgaben koordiniert werden oder es ist der Stand der Aufgabenbearbeitung jedes einzelnen Teammitgliedes ersichtlich. Ebenfalls können alle Ergebnisse der Teammitglieder zentral zusammengetragen werden. Dies ermöglicht eine voneinander unabhängigere Arbeitsweise und Teambesprechungen können auf das Notwendigste (beispielsweise den Ergebnisbericht) reduziert werden (Lüdtke, 2015).
Besonders im Bereich der internen Kommunikation hat es in vielen Betrieben deutliche Veränderungen gegeben (Dietz, Mötzing, Wolf, Kochhan & Schunk, 2019). Was früher die regelmäßig erscheinende Mitarbeiterzeitung war, existiert heute in gedruckter Version höchstens noch in Betriebsbereichen, in denen die Mitarbeitenden keinen direkten Computerzugriff haben. Im Zeitalter der digitalen Vernetzung wird die Mitarbeiterzeitung meist nur noch als Online-Version im Intranet angeboten. Besonders das Intranet, eine interne Online-Plattform mit gespeicherten und jederzeit zugreifbaren Daten, stellt einen zentralen Teil der internen Kommunikationswege und der Wissensvermittlung in Unternehmen dar. Weiterhin sind Emails oder Chatprogramme die schnellste und flexibelste Möglichkeit der Kommunikation für die Mitarbeitenden, hauptsächlich auf derselben Hierarchieebene, untereinander. Besonders die Emails gehören neben dem Telefon zu den standardmäßig genutzten digitalen Diensten, welche einen hohen Stellenwert vorrangig bei jüngeren Beschäftigten haben, da diese dadurch schnell an die gewünschten Informationen kommen und diese Informationen gleichzeitig festhalten, weiterleiten und speichern können (Dietz et al., 2019).
In der Medizin kommen ebenfalls immer mehr digitale Möglichkeiten zur Anwendung. Die sogenannte Telemedizin lässt sich beispielsweise bei der permanenten Überwachung von Patienten mit Herzinsuffizienz nutzen (Zugck et al., 2005), aber auch auf Patienten anwenden, die auf permanente außerklinische Beatmung angewiesen sind und zu Hause gepflegt werden (Geiseler, Nowak & Kaiser, 2014).
Auch in Schule und Bildung nehmen digitale Lernmöglichkeiten weiter zu. So werden Tablets in Grundschulen genutzt (Tillmann & Bremer, 2017) und ein Studium ist inzwischen auch als flexibles Fernstudium mit wenig Anwesenheitspflicht möglich.
Eine weitere neue Arbeitsform stellen Crowdworking-Plattformen dar. Diese beschreiben die Auslagerung von bestimmten Arbeitsaufgaben an unabhängige Beschäftigte, die als Freiberufler diese Aufträge annehmen (Klammer et al., 2017). Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit allerdings auf abhängig beschäftigten Arbeitnehmenden liegt, wird auf diese Form der neueren Arbeitsmöglichkeit nicht weiter eingegangen.
Allen digitalen Neuerungen ist gemein, dass die Mitarbeitenden ihre digitalen Kenntnisse stets so aktuell halten oder erweitern sollten, dass sie ihren beruflichen Aufgaben gerecht werden können, da die Digitalisierung besonders im Bereich der IKTs weiterhin rasant ansteigen wird. Aus diesem Grund ist stetige Fort- und Weiterbildung für die Arbeitnehmenden eine wichtige Voraussetzung und von entscheidender Bedeutung (Klammer et al., 2017).
2.2 Psychische Gesundheit
Im folgenden Kapitel soll zunächst der Begriff Gesundheit definiert werden, indem ein grundsätzlicher Überblick über die verschiedenen Ansätze in Bezug auf Gesundheit vermittelt wird. Weiterführend wird die psychische Gesundheit für die vorliegende Arbeit auf die Aspekte emotionale Erschöpfung und Wohlbefinden eingegrenzt, welche ebenfalls näher erläutert werden. Diese Eingrenzung erfolgte aufgrund einer früheren Studie (Böhm, Bourovoi, Brzykcy, Kreissner & Breier, 2016), in welcher bereits ein Zusammenhang zwischen der Angst vor Arbeitsplatzverlust und emotionaler Erschöpfung hergestellt werden konnte. Da die psychische Gesundheit jedoch mehr als nur die emotionale Erschöpfung umfasst, wurde das Wohlbefinden als zusätzlicher Aspekt in die vorliegende Studie aufgenommen, da Wohlbefinden mutmaßlich eine weitere Facette der psychischen Gesundheit darstellt.
Die Beschäftigung mit dem Begriff der Gesundheit ergibt weiterführend die logische Konsequenz, dass der gegensätzliche Begriff der Krankheit ebenfalls beschrieben werden sollte, da diese beiden Begriffe untrennbar miteinander verbunden sind. Im medizinischen Sinne wird Krankheit als Behandlungs- und/ oder Pflegebedürftigkeit aufgefasst, bei der physische oder psychische Veränderungen einer Person objektiv feststellbar sind und welche deren Leistungsfähigkeit und das subjektive Wohlbefinden minimieren (Franzkowiak, 2018). Alle Krankheiten werden in Klassifikationssystemen eingeordnet, von denen die International Classification of Diseases, kurz ICD-10, eines der bekanntesten ist (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), 2011). Franzkowiak (2018) beschreibt weiterführend, dass der Krankheitsbegriff soziokulturell bedingt ist und in verschiedenen historischen Phasen durchaus auch unterschiedlich definiert war.
Das biomedizinische Modell (Franke, 2012), welches in der Medizin meist vorherrschend ist, beschreibt einen naturwissenschaftlichen Erklärungsansatz, der Krankheit als Störung eines intakten Organismus auffasst. Gesundheit wird somit auch als Abwesenheit von Krankheit verstanden. Durch biologische Ursachen, wie zum Beispiel genetische Störungen oder Viren und Bakterien, werden spezifische körperliche Krankheitssymptome ausgelöst, die einen bestimmten Krankheitsverlauf aufweisen. In diesem Modell liegt der Fokus auf der Krankheit, es werden keinerlei psychische oder soziale Faktoren berücksichtigt und daher ein dichotomes Verständnis von Gesundheit und Krankheit verfolgt.
Das biopsychosoziale Modell (Engel, 1977) hingegen beschreibt, dass die Krankheit durch ein Wechselspiel zwischen biologischen, sozialen und psychischen Faktoren entsteht. Das psychische System besteht dabei aus Verhalten, Emotionen, Kognitionen, Motivation, Einstellungen und etlichen weiteren Bausteinen. Diese Auffassung beschreibt Gesundheit und Krankheit nicht mehr als dichotome Kategorien, sondern eher als ein Kontinuum, bei dem der Mensch selbst aktiv an dem Erhalt, der Wiederherstellung oder Förderung seiner Gesundheit mitwirken kann. In diesem Zusammenhang ist auch das salutogenetische Modell (Antonovsky, 1987) zu nennen, welches von der Frage ausgeht, was Menschen trotz allgegenwärtiger Stress- und Umweltbelastungen gesund werden lässt oder gesund hält. Es betont ebenfalls, dass Menschen immer gesunde und kranke Anteile in sich tragen und dass das aktuelle Befinden sich daher irgendwo auf dem Kontinuum zwischen den Polen Gesundheit und Krankheit bewegt.
Insgesamt existieren etliche unterschiedliche Definitionen von Gesundheit, wobei dennoch einzelne Aspekte immer wieder genannt werden. So benennt Franke (2012) die folgenden Bestimmungsstücke von Gesundheit, welche einander ergänzen können: Störungsfreiheit (Abwesenheit von Krankheit, welche anhand normierter Grenzwerte bestimmt wird, biomedizinisches Modell), Wohlbefinden (subjektive Befindlichkeit des Individuums), Leistungsfähigkeit und Rollenerfüllung (eigenen und fremden Anforderungen kann dauerhaft gerecht werden), Homöostase (streben nach Ausgleich von psychischen und physischen Ungleichgewichten, beispielsweise durch Ruhepausen nach Anstrengungen) sowie Flexibilität und Anpassung (Fähigkeit mit Belastungen umzugehen, sich daran anzupassen und angemessen zu reagieren).
Wie eingangs bereits erwähnt, sind Krankheiten im ICD-10 kategorisiert (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), 2011). Die psychischen Erkrankungen bzw. Störungen sind dabei in Kapitel V beschrieben. Laut dem Fehlzeitenreport (Meyer, Maisuradze & Schenkel, 2019) waren im Jahr 2018 unter deutschen Arbeitnehmenden beispielsweise 1.4% der Arbeitsunfähigkeitsfälle auf schwere Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen sowie 1.1% auf depressive Episoden zurückzuführen. Gleichzeitig sorgten alle psychischen Erkrankungen zusammengerechnet aber für 11,3% der Arbeitsunfähigkeitstage, wobei die Dunkelziffer der Erkrankungen vermutlich auch deutlich höher sein könnte. Nur auf Muskel-Skeletterkrankungen (22.0%) und Atemwegserkrankungen (13.3%) entfielen statistisch gesehen mehr Arbeitsunfähigkeitstage. Dies zeigt, dass psychische Erkrankungen keine Seltenheit sind und trotz ihrer geringeren Anzahl (Arbeitsunfähigkeitsfälle), beispielsweise im Vergleich zu den Atemwegserkrankungen, zu langen Ausfallzeiten (Arbeitsunfähigkeitstage) führen. Die psychischen Erkrankungen sind in ihrer Anzahl und Dauer seit 2008 permanent steigend. Dabei sind Frauen gegenüber Männern deutlich häufiger (6.3% zu 4.2% der Arbeitsunfähigkeitsfälle) und länger (14.4% zu 8.7% der Arbeitsunfähigkeitstage) betroffen (Meyer et al., 2019).
Für die vorliegende Studie sind im weiteren Verlauf besonders das Wohlbefinden und die emotionale Erschöpfung von Interesse, da diese beiden Aspekte als ein Teil der psychischen Gesundheit angesehen und in der Studie der vorliegenden Arbeit als Variablen erhoben werden. Dabei beschreibt die emotionale Erschöpfung einen Aspekt der Erkrankung Burnout, weswegen ebenfalls näher auf diese Erkrankung eingegangen wird. Zunächst soll jedoch das Wohlbefinden thematisiert werden.
Wohlbefinden ist ein nicht klar definierter Begriff. In der Forschung existieren hierzu unterschiedliche Ansätze und teilweise werden die Begriffe Wohlbefinden und Lebensqualität synonym genutzt. Beispielsweise werden in der Theorie des Subjektiven Wohlbefindens (Diener, 2000) zum einen das emotionale/ affektive Element und zum anderen das kognitiv-evaluative Element differenziert. Dabei beschreibt das emotionale Element das subjektive emotionale Wohlbefinden (Diener & Lucas, 2000) und das kognitiv-evaluative Element eher die allgemeine und bereichsspezifische Lebenszufriedenheit (Schumacher, Laubach & Brähler, 1995). Somit wird Wohlbefinden als situativ bedingter, positiv oder negativ bewerteter Gefühlszustand beschrieben, während Lebenszufriedenheit als längerfristiger und überdauernd angesehen wird. Weiterhin schlägt das Strukturmodell des Wohlbefindens (Becker, 1994) die Differenzierung zwischen aktuellem und habituellem (überdauerndes) Wohlbefinden vor. Darauf aufbauend wurde zwischen psychischem und physischem Wohlbefinden differenziert, so dass vier Formen des Wohlbefindens beschrieben wurden (Schumacher, Klaiberg & Brähler, 2003). Diese sind in Abbildung 1 dargestellt und werden im Folgenden näher erläutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Strukturmodell des Wohlbefindens. Eigene Darstellung (Schumacher et al., 2003).
Zunächst beschreibt das Modell mit dem aktuellen psychischen Wohlbefinden auf der linken Seite positive Gefühle, wie zum Beispiel Freude, eine positive Grundstimmung und den aktuellen Grad der Beschwerdefreiheit. Das aktuelle physische Wohlbefinden als zweite Form bezieht sich auf die aktuelle körperliche Unversehrtheit und umschreibt generelle positive physische Empfindungen wie beispielsweise Vitalität oder sich energiegeladen und voller Tatendrang zu fühlen. Diese beiden Komponenten zusammengefasst beschreiben das situativ bedingte Wohlbefinden. Die dritte Form des Wohlbefindens in dem Modell ist das habituelle psychische Wohlbefinden. Dies beschreibt einen überdauernden Optimismus, was bedeutet, dass generell mehr positive als negative Gefühle empfunden werden. Das habituelle physische Wohlbefinden beschreibt die länger andauernden Phasen körperlicher Unversehrtheit und positive physische Empfindungen. Durch kognitive Bewertungen ergeben sich aus dem habituellen psychischen Wohlbefinden und dem habituellen physischen Wohlbefinden jeweils die Zufriedenheit entweder mit der geistigen oder der körperlichen Verfassung. Diese beiden Aspekte der Zufriedenheit wiederum führen zur allgemeinen und bereichsspezifischen Lebenszufriedenheit (Schumacher et al., 2003).
In der vorliegenden Studie wird das Wohlbefinden eher im Sinne des situativ bedingten Wohlbefindens erfasst, da im Fragebogen lediglich nach dem Befinden der vergangenen Wochen gefragt wurde. Um den Aspekt der Lebenszufriedenheit zu erfassen, benötigt es entweder längsschnittlich angelegte Studien oder andere Erhebungsinstrumente.
Die bisherige Forschung zum Thema psychisches Wohlbefinden beschreibt einen Zusammenhang mit der Reduktion von koronaren Herzerkrankungen (Rozanski & Kubzansky, 2005) oder auch Schlaganfällen (Kim, Park & Peterson, 2011). Daher sollte ein Ziel im Arbeitsalltag sein, dass Arbeitnehmende ein hohes Maß an psychischer Gesundheit aufweisen und dadurch eventuell gegen diese Erkrankungen vorbeugen können. Ein Zusammenhang mit der Digitalisierung wurde bisher noch nicht untersucht, daher ist dies ein Aspekt der vorliegenden Studie.
Als zweiter Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit soll auf das Thema emotionale Erschöpfung eingegangen werden. Da dies als ein Aspekt von Burnout angesehen wird, wird zunächst allgemein auf diese Erkrankung eingegangen. Burnout beschreibt das Gefühl des ausgebrannt sein und wird im ICD-10 unter dem Code Z73.0 (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung) geführt, kann aber in der Psychotherapie auch unter F43.2 (Anpassungsstörung) oder F43.8 (Belastungsstörung) summiert werden (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), 2011). Somit fällt Burnout laut dieser Kategorisierung nicht unbedingt direkt unter die psychischen Erkrankungen, sondern bezeichnet eher eine Art persönliche Krise, die aus Überbelastung oder subjektivem nicht zu bewältigendem Stress resultiert. Gleichwohl entsteht Burnout dennoch als eine kognitive (also vornehmlich psychische) Stressreaktion, welche sich in emotionaler Erschöpfung, Zynismus und einer reduzierten persönlichen Effizienz besonders im Arbeitskontext ausdrückt sowie nachfolgend auch körperliche Symptome und Reaktionen zeigen kann (Maslach, Jackson & Leiter, 1997). Kernsymptom des Burnouts sind die aufkommenden Gefühle emotionaler Erschöpfung oder innerer Leere, bei der der Mitarbeitende denkt, die anstehenden Arbeiten und Aufgaben nicht auf dem gewohnten Niveau erbringen zu können. Burnout findet sich in allen Berufsgruppen wieder, jedoch sind dabei Mitarbeitende in bestimmten Berufen (beispielsweise Polizei, Kranken- und Altenpflege, Sozialarbeiter, Mediziner, Lehrer, etc.), die hohen emotionalen Anforderungen unterliegen, besonders betroffen. Gleichzeitig bestehen bei ihnen hoher Leistungs- und Zeitdruck, geringe Kontrollmöglichkeiten, die Bewältigungsmöglichkeiten werden als gering eingeschätzt und oftmals fehlt positives Feedback (Leppin, 2007). Insgesamt haben sich zwischen den Jahren 2009 und 2018 die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund der Diagnose Burnout bei den Arbeitnehmenden verdoppelt. Das bedeutet, dass aufgrund dieser Erkrankung im Jahr 2018 etwa 176.000 gesetzlich Krankenversicherte mit 3.9 Millionen Fehltagen krankgeschrieben waren. Auch zeigte sich, dass Frauen doppelt so lange arbeitsunfähig krankgeschrieben waren wie Männer (Meyer et al., 2019). Der Begriff des Burnouts wird zwar sehr oft im Arbeitskontext verwendet, kann aber auch in anderen Lebensbereichen auftreten. Beispielsweise im Sport (Goodger, Gorely, Lavallee & Harwood, 2007), bei Studierenden (Pfleging & Gerhardt, 2013) oder bei pflegenden Angehörigen (Götze, Brähler, Gansera, Schnabel & Köhler, 2015). Diese Erkrankung betrifft allerdings nicht nur Erwachsene, sondern auch Schüler sind bereits davon betroffen (Schulte-Markwort & Wiegand-Grefe, 2018).
In der vorliegenden Arbeit wird somit neben dem Wohlbefinden das Kernsymptom emotionale Erschöpfung der Erkrankung Burnout thematisiert. Wie zuvor schon erwähnt, konnte bereits in einer vorherigen Untersuchung ein positiver Zusammenhang zwischen verschiedenen Aspekten der Digitalisierung (darunter auch Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung) und emotionaler Erschöpfung nachgewiesen werden (Böhm et al., 2016). Aufbauend auf dieser Untersuchung werden im Kapitel 2.5 die Hypothesen für die vorliegende Untersuchung ausführlicher erläutert. Zunächst jedoch soll das Thema Angst vor Arbeitsplatzverlust besprochen werden, sowie darauffolgend der Begriff Scham thematisiert werden, welcher als Moderatorvariable für die vorliegende Studie angenommen wird.
2.3 Angst vor Arbeitsplatzverlust
Eines der Hauptthemen der vorliegenden Arbeit ist die Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung. Daher wird in den folgenden Unterkapiteln zunächst der Begrifft der Angst definiert und auf seine klinische Relevanz hingewiesen. Darauf aufbauend wird anhand des Technostress-Modells erklärt, wie Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung in dem Fragebogen der vorliegenden Arbeit operationalisiert wurde.
2.3.1 Angst
Angst hat wahrscheinlich jeder Mensch in seinem Leben bisher empfunden. Prüfungsangst in der Schule, Uni und Ausbildung, Angst vor Spinnen, Schlangen oder anderen Tieren, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor Veränderung, Angst vor Unabänderlichkeit oder Angst in engen Räumen sind nur einige wenige Beispiele. Angst hat viele Facetten, doch äußert sie sich in der Regel immer ähnlich. Angst (engl. anxiety) beschreibt dabei einen subjektiven, emotionalen Zustand, der durch körperliche, wie zum Beispiel muskuläre Anspannung oder das Erstarren, und mentale Reaktionen gekennzeichnet ist. Diese psychische Komponente kann sich unter anderem als innere Unruhe, Besorgtheit oder auch Nervosität zeigen (Asendorpf & Caspar, 2020).
Bei differenzierter Betrachtung des Begriffes Angst fällt auf, dass im englischen Sprachgebrauch sowohl anxiety als auch fear für die Bezeichnung von Angst verwendet werden (Wierzbicka, 1998). Parallel dazu existiert in der deutschen Sprache neben Angst der Begriff der Furcht. Dabei wird Angst eher als nicht objektbezogener Zustand angesehen, während Furcht ein objektbezogenes Gefühl beschreibt. In der Allgemein- und Umgangssprache wird Angst inzwischen als generalisierter Oberbegriff verwendet (Wierzbicka, 1998) und daher in dieser vorliegenden Arbeit weiterführend ausschließlich genutzt.
Angst gehört, neben beispielsweise Freude und Wut, zu den Basisemotionen eines Menschen, die kulturübergreifend gleich sind (Ekman, Sorenson & Friesen, 1969). Sie zeigen sich oft sehr charakteristisch in der Mimik, welche in emotionalen Situationen unwillkürlich ausgelöst wird. In den Mikroexpressionen der Gesichtsmuskulatur unseres Gegenübers kann daher in der Regel dessen Gemütszustand abgelesen werden. Physiologisch ist die Emotion Angst in der Amygdala, einer Struktur im limbischen System des Gehirns, angesiedelt (Schandry, 2011). Die Amygdala beinhaltet viele kleine Kerne, die sogenannten Subnuclei, die sich in eine zentromediale und eine basolaterale Kerngruppe unterteilen lassen. In Tierversuchen konnten Angstreaktionen den basolateralen Kernen zugeordnet werden. Weiterhin ist die Amygdala besonders für Gedächtnis- und Lernprozesse mit emotionalen Inhalten von Bedeutung, so dass nicht verwunderlich ist, dass Angstreaktionen konditioniert werden können. Wurde beispielsweise in einer vergangenen, bedrohlichen Situation ein bestimmter Geruch wahrgenommen, so kann alleine dieser Geruch in zukünftigen ungefährlichen Situationen eine Angstreaktion auslösen. Dieser Prozess wird unbewusst durch die Amygdala gesteuert (Schandry, 2011).
Der Begriff der Angst tauchte bereits früh in der psychologischen Forschung auf. Bereits 1926 berichtete Sigmund Freud von unterschiedlichen Formen der Angst. Zunächst differenzierte auch er zwischen Angst und Furcht in dem Sinne, dass der Mensch Angst vor irgendetwas hat, also einen Zustand beschreibt und diese einen unbestimmten und objektlosen Erwartungs-Charakter hat. Erst wenn die Angst sich auf ein konkretes Objekt bezieht, wird sie zur Furcht. Weiterhin unterscheidet er die Realangst, die neurotische Angst und die Gewissensangst, welche er seinen Theorien vom Ich, Es und Über-Ich zuordnete (Freud, 1926).
Die Realangst beschreibt in seinem Verständnis die Angst vor einer in Wirklichkeit drohenden und somit als real existierend beurteilten Gefahr, die zu einer erwarteten physischen oder psychischen Schädigung führen kann. Diese ist für das Ich wahrnehmbar und wird dadurch in einer Gefahrensituation auch durch das Ich geäußert. Damit eine Realangst eine Verinnerlichung findet und so für das Ich wirklich bedeutsam wird, muss ihre Beziehung zu einer erlebten Situation von Hilflosigkeit erkannt werden. Auf die Realangst gibt es laut Freud zwei mögliche Reaktionen: den affektiven Angstausbruch und die Schutzhandlung. So kann Angst beispielsweise mit einem Fluchtreflex begegnet werden oder wie Freud beschreibt: „Die Angst ist die Reaktion auf die Gefahrsituation; sie wird dadurch erspart, daß [sic] das Ich etwas tut, um die Situation zu vermeiden oder sich ihr zu entziehen“ (Freud, 1926, S. 25).
Die neurotische Angst hingegen beschreibt die Angst vor einer unbekannten Gefahr. Laut Freud (1926) basiert die neurotische Angst auf einem unbefriedigten Triebanspruch, der zu einem inneren Ungleichgewicht und dadurch zu einem Angstgefühl führt. Sie ist daher unbewusst und einem Konflikt vom Ich mit dem Es zuzuordnen. Freud beschreibt sie auch als Es-Angst. Wird die neurotische Angst bewusst, verändert sie sich zur Realangst. Ist allerdings die Angst vor einer bekannten Gefahr übermäßig groß, haben sich Realangst und neurotische Angst vermischt, wobei der neurotische Teil überwiegt (Freud, 1926).
Abschließend beschreibt Freud die Gewissensangst, oder auch die Über-Ich-Angst genannt. Diese beschreibt den sozialen Charakter der Angst und bezieht sich auf einen Konflikt zwischen Ich und Über-Ich. Letztendlich beschreibt sie die Angst vor Schuld- oder Schamgefühlen.
Laut Freud (1926) existieren darauf aufbauend verschiedene Abwehrmechanismen, um der Angst entgegen zu wirken. So nannte er in diesem Zusammenhang beispielsweise die Verdrängung, die Regression, die Isolierung oder das Ungeschehenmachen. Basierend auf den Annahmen von Freud entwickelte sich das Angstverständnis im Laufe der Jahrzehnte weiter.
Heute beschreibt Angst nicht grundsätzlich nur etwas Negatives. Angst wird auch als ein Warnsignal beschrieben, welches auf mögliche drohende Gefahren aufmerksam macht oder den Körper so in Alarmbereitschaft versetzt, dass eine sinnvolle Reaktion wie Flucht, Kampf oder das Ersuchen um Hilfe getätigt werden kann (Schmidt-Traub, 2008). Außerdem spielt Angst auch bei risikoreicheren Sportarten wie Bungee-Springen eine Rolle, wo der Adrenalinstoß und der Nervenkitzel gewollt herbeigeführt werden, um einen rauschähnlichen Zustand zu erleben. Auch die Versagensangst kann durchaus mittels eines Umkehreffekts zu mehr Ehrgeiz und Leistung in Schule, Beruf und Freizeit führen.
Dabei kann Angst sich auf drei Reaktionsebenen zeigen, welche Schmidt-Traub (2008) ausführlich erläuterte. Die erste Ebene beschreibt die körperliche Ebene, bei der rein physiologischen Empfindungen wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel oder ähnliches auftreten können. Diese Symptome werden durch das vegetative Nervensystem gesteuert und geschehen daher ohne willentliche Kontrolle. Dieses vegetative Nervensystem besteht aus dem Sympathikus und dem Parasympathikus, wobei ersterer für die Angstreaktion und Aktivierung des Körpers und letzterer für die Entspannung und die Rückkehr in einen Ruhezustand zuständig ist. So wird bei einer drohenden Gefahr besonders das bereits genannte limbische System, beziehungsweise die Amygdala, aktiv und es werden im Körper Hormone wie zum Beispiel Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol und Kortison ausgeschüttet. Dadurch erhöht sich die Herzfrequenz, die Atmung beschleunigt sich und die Haut beginnt zu schwitzen. Hunger, Müdigkeit oder sexuelles Verlangen werden für den Moment zu nicht überlebensnotwendigen Vorgängen und deshalb vom Körper reduziert oder durchaus auch ganz eingestellt. Um den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzten, benötigt der Körper lediglich eine halbe bis maximal fünf Minuten. Nach überwundener Angstsituation und -reaktion wird der Parasympathikus gegenregulierend aktiv und durch die nachfolgende Aktivierung des Verdauungstraktes kann es unter anderem zu Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall kommen. Anschließend setzt oft eine umfassende Müdigkeit ein. Außenstehende Personen können oft Symptome wie erröten, schwitzen oder zittern bei den Betroffenen bemerken (Schmidt-Traub, 2008).
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- Citation du texte
- Sarah Lemme (Auteur), 2020, Zusammenhang der Angst vor Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung und psychischer Gesundheit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/998570
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