In dieser Arbeit wird hinterfragt, wie Sozialpädagog_innen bestmöglich mit „Systemsprenger_innen“ arbeiten können. Es ist das Ziel der Forschung, mithilfe theoretischer Publikationen sowie einer qualitativen Erhebung einen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen, welcher den pädagogischen Fachkräften in der Arbeit mit (scheinbar) besonders schwierigen Jugendlichen (Handlungs-)Sicherheit geben kann.
Um für Klarheit zu sorgen, ist der Ausgangspunkt dieser Ausarbeitung der Versuch, einen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen, welcher aufzeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen den pädagogischen Fachkräften und den „Systemsprenger_innen“ funktionieren kann. Dabei sollen primär die Bedürfnisse, Wünsche und Ziele der Sozialpädagog_innen bestmöglich berücksichtigt werden. Inwiefern es möglich ist, einen solchen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen oder ob es sich dabei nur um Wunschdenken handelt, wird diese Arbeit zeigen.
Nach den ersten einleitenden Worten zum Thema sowie zum Forschungsanliegen und den Zielen ist die Arbeit in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Dafür werden zunächst im dritten Kapitel, dem theoretischen Aspekt, relevante Begriffe definiert. Diese Begriffe setzen sich aus dem System der Hilfen zur Erziehung mit seinen verschiedenen Jugendhilfemaßnahmen und dem Ausdruck „Systemsprenger_innen“ zusammen. Außerdem wird die Lebensphase „Jugend“ vorgestellt, weil sich die Forschung auf die Menschen dieser Altersgruppe fokussiert. Anschließend wird anhand von Einblicken zur Thematik aus Publikationen der aktuelle Forschungsstand zum Thema betrachtet.
Im darauffolgenden empirischen Teil werden die Erhebungsmethode des Expert_inneninterviews und der dabei genutzte Leitfaden vorgestellt. Danach wird die Form der Datenanalyse erklärt und die Regeln der Transkription aufgezeigt. Der empirische Aspekt beleuchtet im Anschluss relevante Passagen aus den Interviews, die helfen, die Forschungsfrage zu beantworten. Die Reflexion und das Fazit mit den wichtigsten Erkenntnissen aus Theorie und Empirie in Hinblick auf das Forschungsthema runden die Forschungsarbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
1 Abkürzungsverzeichnis
2 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
3 Einleitung
4 Der theoretische Aspekt
4.1 Begriffsbestimmungen
4.1.1 System der Hilfen zur Erziehung
4.1.2 Jugendhilfemaßnahmen
4.1.3 „Systemsprenger_innen“
4.1.4 Jugend und Jugendliche
4.2 Einblicke zur Thematik aus Publikationen
4.2.1 Bilanzen aus Studien zu den HzE
4.2.2 „Systemsprenger_innen“ in der Kinder- und Jugendhilfe
4.2.3 Lebensweltorientierung nach Thiersch
4.2.4 Die Wirkung der HzE in Bezug auf „Systemsprenger_innen“
4.2.5 Ansatzpunkte für Sozialpädagog_innen
5 Der methodische Zugang
5.1 Expert_inneninterview
5.2 Leitfaden
5.3 Hinweise zur Transkription
5.4 Fallauswahl
5.5 Datenanalyse
6 Der empirische Aspekt
6.1 Deduktive Kategorienbildung
6.2 Ergebnisse Interview B1
6.3 Ergebnisse Interview B2
6.4 Ergebnisse Interview B4
6.5 Zusammenführung der Ergebnisse
7 Reflexion der Ergebnisse
8 Fazit
9 Literaturverzeichnis
10 Anhang
10.1 Anhang 1: Interviewleitfaden Expert_inneninterview
10.2 Anhang 2: Transkriptionen
10.3 Anhang 3: Datenschutzerklärung für den_die Interviewte_n
10.4 Anhang 4: Datenschutzerklärung für den_die Interviewer_in
10.5 Anhang 5: Handlungsleitfaden für den Umgang mit (scheinbar) besonders schwierigen Jugendlichen
1 Abkürzungsverzeichnis
Abs. = Absatz
bspw. = beispielsweise
bzw. = beziehungsweise
ca. = circa
ebd. = ebenda
etc. = et cetera
EVAS = Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen
f. = folgend
ff. = folgenden
Hrsg. = Herausgeber
HzE = Hilfen zur Erziehung
i. d. R. = in der Regel
ISE = Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung
o. ä. = oder ähnlich
S. = Seite
SGB = Sozialgesetzbuch
SPFH = Sozialpädagogische Familienhilfe
u. a. = unter anderem
u. ä. = und ähnlich
usw. = und so weiter
vgl. = vergleiche
Z. = Zeile
z. B. = zum Beispiel
2 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Anteile der angegeben „Systemsprenger_innen“ zu verschiedenen Altersgruppen (Baumann 2020, S. 34)
Abbildung 2: Effektstärke (EVAS-Effektindex) in Abhängigkeit der Hilfedauer (in Monaten); relative Häufigkeiten (in Prozent) der abgeschlossenen Hilfen je Halbjahr (Macsenaere 2014, S. 51)
Tabelle 1: Skalenwerte des Jugendhilfekarriereindex (Arnold; Macsenaere 2008, S. 40)
Tabelle 2: Transkriptionsregeln (Langer 2013, S. 523)
3 Einleitung
Fragen über Fragen:
„Problemjugendliche“, „Schwererziehbare“ oder „Systemsprenger_innen“: Es gibt viele Bezeichnungen für das besondere Klientel, dem diese Arbeit gewidmet ist. Laut Mollenhauer und Uhlendorfer (1992) sind sie „nicht nur das ›Sorgenkind‹ der Jugendhilfe, sondern auch das ›Stiefkind‹“ (Sander; Witte 2011, S. 10). „Systemsprenger_innen“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie mithilfe pädagogischer Maßnahmen nicht bzw. kaum zu erreichen sind. Dadurch schaffen sie es, bei den pädagogischen Fachkräften ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit auszulösen. Infolgedessen gerät das deutsche Jugendhilfesystem mit seinen Mitarbeitenden immer wieder an seine Grenzen. Die „Rahmen“ aller Institutionen im Hilfesystem werden symbolisch betrachtet gesprengt (vgl. ebd.).
Doch wer sprengt hier eigentlich wen? Sind es tatsächlich die „Systemsprenger_innen“, die das Jugendhilfesystem an ihre Grenzen bringen? Schließlich spricht bereits die Bezeichnung „Systemsprenger_innen“ dafür. Oder werden nicht vielleicht doch sie vom System gesprengt? Wer oder was muss sich eigentlich ändern, um es gar nicht erst zu solch prekären Situationen kommen zu lassen? Scheinbar selbstverständlich lautet zunächst die fachliche Antwort: Das Jugendhilfesystem muss sich ändern. Aber warum scheint die Umsetzung dieser zunächst offensichtlichen Antwort so schwierig zu sein (vgl. Albers; Baumann; Bolz 2017, S. 7)? Dies alles sind Fragen, die dieser Ausarbeitung zu Grunde liegen und dazu beitragen, das folglich formulierte Forschungsanliegen zu bearbeiten. Primär versucht die vorliegende Ausarbeitung die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte in den Fokus zu setzen. Es steht die Frage im Raum, wie seitens der Sozialpädagog_innen mit jungen Menschen, die vom Kinder- und Jugendhilfesystem als schwierig empfunden werden, umzugehen ist. Diese Angelegenheit bewegt die Erziehung als staatlich organisierte Aufgabe seit geraumer Zeit und ihre Antworten variieren in den letzten 200 Jahren zwischen besonderer Zuwendung (z. B. Pestalozzi und seine Kriegswaisen um 1799 oder die ersten Jugendwohnkollektive 1969) und harter Disziplin mit Bestrafung und Aussonderung in bspw. Fürsorge- und Erziehungsanstalten (vgl. Ader 2004, S. 437). Um für Klarheit zu sorgen, ist der Ausgangspunkt dieser Ausarbeitung der Versuch, einen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen, welcher aufzeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen den pädagogischen Fachkräften und den „Systemsprenger_innen“ funktionieren kann. Dabei sollen primär die Bedürfnisse, Wünsche und Ziele der Sozialpädagog_innen bestmöglich berücksichtigt werden. Inwiefern es überhaupt möglich ist, einen solchen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen oder ob es sich dabei nur um Wunschdenken handelt, wird diese wissenschaftliche Arbeit zeigen.
Hintergrund und Motivation der Arbeit:
Meine Motivation für das Schreiben über „Systemsprenger_innen“ in dieser Masterarbeit stammt aus meinem beruflichen Alltag. Im August 2018 begann ich das Berufspraktikum für die staatliche Anerkennung zum Sozialpädagogen und bin seitdem beruflich in der ambulanten und stationären Jugendhilfe tätig. Ich selbst wurde in meiner Arbeit bisher noch nicht mit den sogenannten „Systemsprenger_innen“ konfrontiert; jedoch höre ich immer wieder von Kolleg_innen, wie sie in kollegialen Beratungen oder Supervisionen von ihren Erfahrungen mit „Systemsprenger_innen“ berichten. In diesen Beratungssituationen werde ich besonders aufmerksam und angespannt zugleich, weil es mich beeindruckt, welche Dynamik die Zusammenarbeit mit diesen Klient_innen erzielen kann.
Zudem wurde diesem Thema durch den preisgekrönten Spielfilm „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt aus dem Jahr 2019 mediale Aufmerksamkeit geschenkt, welche auch mich erreichte. Hier versetzte ich mich während des Schauens des Spielfilms in die Lage der sozialpädagogischen Fachkräfte und überlegte, ob und wie ich mit dem Mädchen Benni (gespielt von Helena Zengel), das scheinbar überall Probleme macht, arbeiten könnte.
Mein Anspruch für diese Ausarbeitung ist es also, mich selbst für die mögliche Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ in der Zukunft – zumindest theoretisch – bestmöglich vorzubereiten. Dafür möchte ich mit dem Handlungsleitfaden eine Basis schaffen, auf die ich selbst in Zukunft zurückgreifen kann.
Aufbau der Arbeit:
Nach den ersten einleitenden Worten zum Thema sowie zum Forschungsanliegen und den Zielen ist die Arbeit in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Dafür werden zunächst im dritten Kapitel, dem theoretischen Aspekt, relevante Begriffe definiert. Diese Begriffe setzen sich aus dem System der Hilfen zur Erziehung mit seinen verschiedenen Jugendhilfemaßnahmen und dem Ausdruck „Systemsprenger_innen“ zusammen. Außerdem wird die Lebensphase „Jugend“ vorgestellt, weil sich die Forschung auf die Menschen dieser Altersgruppe fokkussiert. Anschließend wird anhand von Einblicken zur Thematik aus Publikationen der aktuelle Forschungsstand zum Thema betrachtet.
Im darauffolgenden empirischen Teil werden die Erhebungsmethode des Expert_inneninterviews und der dabei genutzte Leitfaden vorgestellt. Danach wird die Form der Datenanalyse erklärt und die Regeln der Transkription aufgezeigt. Der empirische Aspekt beleuchtet im Anschluss relevante Passagen aus den Interviews, die helfen, die Forschungsfrage zu beantworten. Die Reflexion und das Fazit mit den wichtigsten Erkenntnissen aus Theorie und Empirie in Hinblick auf das Forschungsthema runden die Forschungsarbeit ab.
Forschungsanliegen:
In dieser Arbeit wird hinterfragt, wie Sozialpädagog_innen bestmöglich mit „Systemsprenger_innen“ arbeiten können. Es ist das Ziel der Forschung, mithilfe theoretischer Publikationen sowie einer qualitativen Erhebung einen Handlungsleitfaden für Sozialpädagog_innen zu erstellen, welcher den pädagogischen Fachkräften in der Arbeit mit (scheinbar) besonders schwierigen Jugendlichen (Handlungs-)Sicherheit geben kann.
4 Der theoretische Aspekt
Der theoretische Aspekt bildet die Grundlage der Ausarbeitung. Durch die diversen Begriffsbestimmungen soll gewährleistet werden, dass alle zum Verständnis benötigten Informationen vorab vermittelt werden. Anhand der Einblicke zur Thematik aus Publikationen wird anschließend der aktuelle Forschungsstand begutachtet.
4.1 Begriffsbestimmungen
Die wichtigsten Grundbegriffe der Arbeit werden in diesem Kapitel definiert. Dabei handelt es sich um das „System der Hilfen zur Erziehung“ (4.1.1) mit den entsprechenden „Jugendhilfemaßnahmen“ (4.1.2), den Begriff „Systemsprenger_innen“ (4.1.3) sowie „Jugend und Jugendliche“ (4.1.4), da diese Forschung den Fokus auf jugendliche „Systemsprenger_innen“ richtet.
4.1.1 System der Hilfen zur Erziehung
Jährlich werden bundesweit bis zu eine Million Erziehungshilfen in Anspruch genommen (vgl. Macsenaere 2014, S. 46). Um darüber einen Überblick zu erhalten, wird nachfolgend das System der Hilfen zur Erziehung (HzE) kurz vorgestellt. Das System der HzE bietet seit der Einführung des SGB VIII 1990/1991 ein Beratungs-, Betreuungs- und Hilfearrangement für junge Menschen und deren Familien. Die HzE richten sich an belastete Familien mit erzieherischen Bedarfen, die diese nicht eigenständig und auch nicht mithilfe von bspw. staatlichen Bildungsinstitutionen wie Kindertagesstätten oder Schulen bewältigen können (vgl. Böttcher; Nüsken 2018, S. 9). Die Kinder- und Jugendhilfe definiert Kinder (unter 14 Jahren), Jugendliche (zwischen 14 und 18 Jahren) und junge Menschen (bis 27 Jahren) als Zielgruppe. Der allgemeine Auftrag wird in § 1 Abs. 3 SGB VIII definiert (vgl. Schone 2004, S. 29). Demnach soll Kinder- und Jugendhilfe
1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,
2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,
3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.
Der Zugang zum Hilfsangebot erfolgt prinzipiell über eine Antragsstellung beim zuständigen Jugendamt. Der öffentliche Träger prüft, ob der individuelle Hilfebedarf gegeben ist. Es kommt bei jedem Einzelfall zu einer professionellen Einschätzung, welche die Mangelsituation gegebenenfalls bestätigt und dann eine Handlungsempfehlung gibt, welche der HzE am geeignetsten ist. Dabei existieren diverse ambulante, teilstationäre und stationäre Erziehungshilfen. Die HzE zählen rechtlich gesehen zu den pädagogischen Sozialleistungen. Während die ambulanten Hilfen für die Hilfeempfangenden kostenlos sind, fällt bei den teilstationären und stationären Hilfen ein Kostenbeitrag für die Sorgeberechtigten an (vgl. Albus 2012, S. 477 f.).
Aufgrund der Unterscheidung zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen werden die Hilfen zur Erziehung unter spezifischen Aspekten vergleichbar gemacht. Bei ambulanten und teilstationären Erziehungshilfen behalten die Kinder und Jugendlichen ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der Familie bei, während sie bei den stationären Hilfen einen neuen Lebensmittelpunkt erhalten bzw. wählen. Die Schwere des Eingriffs und die institutionellen Rahmenbedingungen sind somit die ausschlaggebendsten Unterscheidungsmerkmale zwischen den verschiedenen Hilfen zur Erziehung (vgl. Freigang 2016, S. 832).
4.1.2 Jugendhilfemaßnahmen
Die Jugendhilfemaßnahmen, die als Hilfen zur Erziehung vom Gesetzgeber angeboten werden, stellen einen zentralen Bestandteil der deutschen Kinder- und Jugendhilfe dar. Sie verfolgen die in § 1 SGB VIII formulierten Ziele, dass jeder junge Mensch das Recht auf die Förderung der eigenen individuellen Entwicklung hat und die Erziehung zur eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gewährleistet wird. Die Hilfeleistungen sind verankert in den §§ 27 – 35 SGB VIII und umfassen sowohl ambulante als auch teilstationäre und stationäre Hilfen (vgl. Bernzen; Bruder 2010, S. 143). Nachfolgend werden die verschiedenen Jugendhilfemaßnahmen kurz und prägnant vorgestellt.
Ambulantes Angebot:
§ 28 SGB VIII Erziehungsberatung:
Die Erziehungsberatung soll die Erziehungsberechtigten dabei unterstützen, die nötigen Erziehungskompetenzen zu erwerben, „um eine das Wohl des Kindes gewährleistende Erziehung sicherzustellen“ (Freigang 2016, S. 842). Gemäß § 28 SGB VIII ist es die Aufgabe der Erziehungsberatung bei der Bewältigung und Klärung individueller und familienbezogener Probleme und zugrunde liegender Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung zu unterstützen. Im Vergleich zu den anderen Hilfeformen greift die Erziehungsberatung wenig in das Familienleben ein, weil die Ratsuchenden auch selbst über den Umfang der Leistung entscheiden (vgl. ebd.).
§ 29 SGB VIII Soziale Gruppenarbeit:
Die Soziale Gruppenarbeit als Angebot der Kinder- und Jugendhilfe bietet älteren Kindern und Jugendlichen eine Gruppe als Lernfeld. Laut § 29 SGB VIII soll die Gruppenarbeit soziales Lernen ermöglichen und dazu beitragen, Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensprobleme zu reduzieren. Dafür treffen sich die Gruppen für einen längeren Zeitraum ein- oder mehrmals die Woche. Die Größe der Gruppe beträgt i. d. R. zwischen sechs und maximal 18 Kinder, während sie von meistens zwei pädagogischen Fachkräften geleitet wird (vgl. ebd., S. 843).
§ 30 SGB VIII Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer_in:
Ziel der Hilfeform „Erziehungsbeistandschaft“ ist laut § 30 SGB VIII die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen bei der Verselbstständigung und der Bewältigung von Entwicklungsproblemen. Dafür ist es nötig, dass zumindest zeitweise mit dem sozialen Umfeld (insbesondere Erziehungsberechtigte und andere Familienmitglieder) zusammengearbeitet wird. Nichtsdestotrotz ist die Erziehungsbeistandschaft eindeutig an die Wünsche und Bedürfnisse des jungen Menschen gerichtet. Anlass der Hilfe sind oftmals Konflikte mit den Eltern, Probleme in der Schule sowie Drogen- und Alkoholkonsum. Ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen der pädagogischen Fachkraft und dem jungen Menschen ist demnach sehr wichtig (vgl. ebd., S. 845).
§ 31 SGB VIII Sozialpädagogische Familienhilfe:
Die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) soll – gemäß § 31 SGB VIII – durch intensive Betreuung und Begleitung Familien Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Dazu gehört die Unterstützung der Adressat_innen bei ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, bei der Lösung von Konflikten und Krisen sowie beim Kontakt mit Institutionen und Ämtern. Die SPFH orientiert sich stark am Lebensumfeld der Familie und leistet ihre Arbeit größtenteils in der Familie und ihrem sozialen Umfeld (vgl. ebd., S. 846).
Teilstationäres Angebot:
§ 32 SGB VIII Erziehung in einer Tagesgruppe:
Die Erziehung in einer Tagesgruppe soll laut § 32 SGB VIII ein Ort der gezielten Förderung von Kindern und Jugendlichen sein. Die Tagesgruppe soll das Sozialverhalten des jungen Menschen und seine Schulentwicklung fördern. Ein weiterer Fokus liegt auf der Beratung, Entlastung und Unterstützung der Erziehungsberechtigten. Dabei werden die jungen Menschen nicht aus der Familie herausgenommen, sondern verbleiben dort für einen Teil ihres Alltags. Durch diese Maßnahmen in der Tageseinrichtung soll der Verbleib des Kindes oder des_der Jugendlichen in der Familie gesichert werden (vgl. ebd., S. 848).
Stationäres Angebot:
§ 33 SGB VIII Vollzeitpflege:
Die Vollzeitpflege ist die befristete oder auf Dauer ausgelegte Unterbringung und Erziehung in einer Pflegefamilie. Trotz der besonderen familiären Strukturmerkmale – Kinder und Jugendliche erleben Pflegeeltern oftmals als nahestehende Personen – handelt es sich um eine Form der öffentlichen Erziehung (vgl. Hechler 2011, S. 31). Laut § 33 SGB VII soll die Vollzeitpflege entsprechend des Alters des jungen Menschen und dessen Entwicklungsbedürfnissen ausgerichtet sein.
§ 34 SGB VIII Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform:
Bei der Heimerziehung wird das Kind oder der_die Jugendliche – wie auch bei der Vollzeitpflege – über Tag und Nacht fremdplatziert. Durch die Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten soll – gemäß § 34 SGB VII – die Entwicklung gefördert werden. Die Heimerziehung muss durchgehend die Herkunftsfamilie im Blick haben, damit entschieden werden kann, ob eine Rückkehr in die Familie erreichbar scheint, die Erziehung in einer anderen (Pflege-)Familie vorbereitet werden soll oder ob die Heimerziehung eine auf Dauer angelegte Lebensform des jungen Menschen – mit dem Ziel der Verselbstständigung – sein soll. Außerdem soll der junge Mensch bei Fragen der (Arbeits-)Beschäftigung und allgemeinen Lebensführung unterstützt und beraten werden (vgl. ebd., S. 32).
§ 35 SGB VIII Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung:
Die Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung (ISE) ist eine zeitaufwendige und besondere Jugendhilfemaßnahme für junge Menschen, die sich in besonders schwierigen Lebenssituationen befinden. Gemäß § 35 SGB VIII soll die ISE zur sozialen Integration sowie einer eigenverantwortlichen Lebensführung beitragen und dabei die individuellen Bedürfnisse des jungen Menschen berücksichtigen. ISE wird häufig gewährt, wenn alle anderen Hilfeformen (etwa verschiedene stationäre Unterbringungen) ohne Erfolg waren oder der junge Mensch nicht als gruppenfähig gilt bzw. dessen Symptomatiken (z. B. harter Konsum von Drogen) nicht für die Unterbringung in eine Gruppe sprechen (vgl. Freigang 2016, S. 849).
4.1.3 „Systemsprenger_innen“
Oberflächlich definiert sind „Systemsprenger_innen“ die „Schwierigsten“ in einer Jugendhilfemaßnahme. Allerdings ist diese Aussage sehr unspezifisch. Schließlich gibt es laut Baumann immer eine_n Klient_in, der_die im Vergleich zu anderen schwieriger ist. Daher wird nachfolgend spezifischer erklärt, worum es sich bei den sogenannten „Systemsprenger_innen“ handelt. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an der nachfolgenden Definition von Baumann (2020).
Baumann definiert „Systemsprenger_innen“ als Kinder und Jugendliche, „bei denen die Erziehungshilfemaßnahme von Seiten der betreuenden Einrichtungen abgebrochen wurde, da das Kind/der Jugendliche auf Grund schwerwiegender Verhaltensstörungen nicht zu betreuen erschien und somit den Rahmen der Erziehungshilfe gesprengt hat“ (Baumann 2020, S. 13).
Demnach sind also Kinder und Jugendliche gemeint, die das Kinder- und Jugendhilfesystem auf eine besondere Weise herausfordern. Hilfeansätze – die sich massenhaft bewährt haben – funktionieren zunächst nicht. Es handelt sich bei den „Systemsprenger_innen“ um eine sehr heterogene Gruppe, weil die Kinder und Jugendlichen eine hohe Bandbreite an diversen Auffälligkeiten haben. Dazu gehören bspw. aggressives Verhalten, exzessiver Drogenkonsum, selbstverletzendes Verhalten, Abschottung, viel und lautes Schreien usw. (vgl. Rätz 2016, S. 41 f.). Aus psychologischer Sicht weisen „Systemsprenger_innen“ häufig Mehrfachdiagnosen auf und gelten oftmals als nicht therapierbar (vgl. Albers; Bolz; Baumann 2019, S. 297).
Bei Kindern und Jugendlichen, die als „Systemsprenger_innen“ betitelt werden, handelt es sich nicht um Menschen mit einer Charaktereigenschaft, die sie grundsätzlich mitbringen – es ist vielmehr eine Zuschreibung. Kinder und Jugendliche werden zu „Systemsprenger_innen“ innerhalb eines Systems, in dem bestimmte Regeln und Gesetze vorgeschrieben sind. Demnach bezieht sich das Etikett „Systemsprenger_innen“ nicht nur auf das grenzverletzende Verhalten der einzelnen Kinder und Jugendlichen selbst, sondern legt den Fokus auf das gesamte System der Hilfen zur Erziehung, in dem dieses grenzverletzende Verhalten offensichtlich wird. Dies begründet sich dadurch, dass diese Kinder und Jugendlichen nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen bzw. mit gesellschaftlich erwartetem Verhalten kollidieren (vgl. Baumann 2020, S. 14).
Laut Sander und Witte (2011) handelt es sich bei „Systemsprenger_innen“ um einen Interaktionszustand zwischen den betitelten Kindern und Jugendlichen und dem für sie bedeutsamen System. Die Kinder und Jugendlichen durchlaufen eine sogenannte „Jugendhilfekarriere“: Sobald sie in einer Jugendhilfemaßnahme nicht mehr tragbar sind, werden sie weitergereicht, mit der Hoffnung, dass das „Problem“ mit einem anderen Angebot beseitigt werden kann. Das darauffolgend gezeigte Grenzverhalten der „Systemsprenger_innen“ ist nicht durch bestimmte Schlüsselsituationen in der Familien- oder Lebensgeschichte der Kinder und Jugendlichen entstanden, sondern vielmehr das Ergebnis der Bewertungen, Ereignisse und Dynamiken aller Systeme und Beteiligten (vgl. Sander; Witte 2011, S. 9).
Die geltenden Gesetze und Regeln legen fest, wann das Verhalten eines Kindes oder eines_einer Jugendlichen das System so sehr belastet und fordert, dass nur noch mit massiver Begrenzung oder dem Ausschluss reagiert werden kann. Dem aus Sicht der Pädagogik als störend und sprengend empfundenen Verhalten wird gleichzeitig eine für die "Systemsprenger_innen" entwicklungs- und überlebenswichtige Funktion zugeschrieben (vgl. Baumann 2020, S. 14). Für Baumann stellt dieses Verhalten demnach die individuelle Bewältigung der Probleme von Kindern und Jugendlichen dar, welches sich als störend im System äußert (vgl. ebd., S. 177).
„Systemsprenger_innen“ werden in dieser Ausarbeitung durchgehend in Anführungszeichen gesetzt, um zu verdeutlichen, dass es sich dabei nicht um eine Eigenschaft der betitelten Kinder und Jugendlichen handelt.
4.1.4 Jugend und Jugendliche
Der Begriff Jugend ist sowohl im alltäglichen wie auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch geläufig, wird aber nicht immer identisch verwendet. Zum einen kann Jugend als eine Zeitspanne der Biografie – dem Lebensabschnitt Jugend – bezeichnet werden, der junge Menschen zugehörig sind (vgl. Sander; Witte 2015, S. 72). Zum anderen kann Jugend aber auch als eine Bevölkerungsgruppe oder als eine Lebenshaltung (Jugendlichkeit) verstanden werden (vgl. Moser 2010, S. 23).
Geschichtlich betrachtet hat sich der Begriff „Jugend“ zunehmend verändert: Zwischen 1900 und 1950 wurde der Lebensabschnitt vor dem Erwachsenenalter lediglich in die frühe und späte Kindheit eingeteilt. Dabei erhielt die spätere Phase den Namen „Jugend“. Damals war die Jugend die relativ kurze Phase zwischen dem Eintreten der Geschlechtsreife (zwischen 15 und 16 Jahren) und dem Berufseinstieg sowie der Heirat. Dieser Lebensabschnitt umfasste meist nicht mehr als fünf Jahre. Heutzutage hat sich die Jugendphase zunehmend verlängert. Zudem ist sie nicht mehr nur als eine Übergangphase vom Kind zum Erwachsenen zu betrachten, sondern als eine eigenständige Lebensphase, in der es für die jungen Menschen darum geht, sich Eigenschaften und Fähigkeiten anzueignen, um bestmöglich in der Gesellschaft anzukommen (vgl. ebd., S. 24 f.).
Der Eintritt in die Jugendphase hat sich immer weiter nach vorn verlagert. Dabei gilt weiterhin der Eintritt der Geschlechtsreife (die Pubertät) als kennzeichnend für den Beginn der Jugendphase. Die Geschlechtsreife tritt in den Industrieländern i. d. R. zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr – bei Mädchen meistens früher als bei Jungen – ein. Während es somit einerseits zu einer verkürzten Kindheit kommt, verlängert sich die Jugendphase heutzutage noch zusätzlich. Während bis zu den 1970er Jahren der Berufseinstieg und die damit einhergehende ökonomische Unabhängigkeit den Übergang ins Erwachsenenleben darstellten, hat sich der Berufsstart durch verlängerte Ausbildungszeiten, akademischen Laufbahnen, Arbeitslosigkeiten und weitere Aus- und Weiterbildungen nach hinten verlagert. Die Gründung einer eigenen Familie, welche als weiterer Indikator fürs Erwachsenensein gilt, hat sich ebenfalls im Lebenslauf junger Menschen nach hinten verschoben oder gehört nicht mehr zum augenblicklichen Lebensinhalt vieler Jugendlicher. Aufgrund dieser Aspekte lässt sich ein eindeutiger Zeitpunkt für das Ende der Jugend nicht festhalten. Es handelt sich vielmehr um einen fließenden Übergang ins Erwachsensein, der immer individuell zu betrachten ist (vgl. ebd., S. 26).
Nach den aufgeführten Erkenntnissen kann festgehalten werden, dass die gesamte Jugendphase sich von ca. 12 bis 30 Lebensjahren ausdehnt. Doch von wem wird gesprochen, wenn von „Jugendlichen“ die Rede ist? Jugendlichen wird insbesondere die mittlere Phase der Jugend zugesprochen. Somit kommen sie nach den Kindern der mittleren Kindheit und vor den jungen Erwachsenen. Rechtlich betrachtet ist laut § 7 SGB VIII Jugendliche_r, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Junge_r Volljährige_r ist demnach wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist und junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist (vgl. Mangold 2016, S. 102).
Die Definition des Begriffs „Jugendliche_r“, die in dieser Ausarbeitung genutzt wird, liegt jedoch der Auffassung des Pädagogen Baacke (2009) zugrunde. Laut Baacke sind Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahre alt. Einerseits gibt es viele Unterschiede, andererseits haben sie auch viele Gemeinsamkeiten, wodurch ihnen die kollektive Lebensphase zugeordnet werden kann. Die Altersspanne begründet er mit dem durchschnittlichen Alter beim Eintritt der Pubertät mit 13 Jahren und dem Ende der psychologisch-geschlechtlichen Entwicklung mit 18 Jahren. Zusätzlich zur Pubertät erfolgt die Abgrenzung vom Kindesalter durch neue physische und psychische Erlebnisse und Selbsterfahrungseinheiten, was zu einer zunehmend bewussten Entwicklung des Ich-Gefühls führt (vgl. Baake 2009, S.41). Abgeschlossen wird diese Altersgruppe durch „die körperlichen Veränderungen der Adoleszenz, neue Verhaltensweisen und ein atmosphärischer Gesamthabitus“ (ebd., S. 42). Jugendliche erleben „eine Zeit der intensiven Selbstsuche und -findung, in der einschneidende physiologisch-biologische Veränderungen vom jungen Menschen bewältigt werden müssen” (Moser 2010, S. 25). Die Jugendlichen nehmen diese Jahre ihres Lebens zumeist als verunsichernd wahr. Gründe dafür können die hohen Erwartungen der Gesellschaft an sie sein oder das Gefühl, sich einer Peergroup (Gruppe von Gleichaltrigen) dazugehörig fühlen zu müssen. Dadurch reagieren sie oft gereizt, aggressiv und ambivalent. Erwachsene empfinden diese Altersgruppe deswegen oftmals als schutzbedürftig und förderungswürdig, während sie gleichzeitig als eine psychische und emotionale Bedrohung wahrgenommen werden (vgl. ebd., S. 43).
4.2 Einblicke zur Thematik aus Publikationen
Nachdem nun die wichtigsten Begriffe erläutert wurden, wird im folgenden Kapitel der aktuelle Forschungsstand zum Thema „Systemsprenger_innen“ begutachtet. Dafür gibt es mehrere Einblicke aus verschiedenen Publikationen, die mithilfe von Studien u. ä. Wissenswertes zur Thematik darlegen.
4.2.1 Bilanzen aus Studien zu den HzE
Zunächst erfolgt ein Einblick zu Bilanzen aus ausgewählten Studien zu den HzE. Die Studien geben einen Überblick über Handlungsempfehlungen, die allgemein und nicht explizit auf „Systemsprenger_innen“ ausgelegt sind. Dennoch gelten diese prinzipiell für die Arbeit mit allen Adressat_innen der Kinder- und Jugendhilfe, weswegen diese hier aufgeführt werden und auch entsprechend wichtig für den zum Ende der Arbeit formulierten Handlungsleitfaden sind.
Böttcher und Nüsken (2018) geben in ihrem Werk „Was leisten die Erziehungshilfen?“ einen systematischen Überblick zu empirischen Studien (qualitativ und quantitativ) ab den 1950er Jahren. Diese fokussieren sich auf die HzE und insbesondere die Erfolge dieser Jugendhilfemaßnahmen. Um die Breite des Leistungsfeldes der HzE zu verdeutlichen, werden sowohl Studien zu stationären wie auch zu teilstationären und ambulanten Hilfemaßnahmen aufgegriffen (vgl. Böttcher; Nüsken 2018, S. 5. f.). Bei der Begutachtung der Studien wird primär der Frage nachgegangen, wie sie die HzE bewerten (vgl. ebd., S. 25). Zu den betrachteten Studien gehören z. B. die Lebensbewährungsstudie von Raithel und Wollensack (1980) und die Lebensbewährungsstudie von Schüpp und Buyken (1982) für stationäre Hilfemaßnahmen. Außerdem die Jule Studie (1998), die JES-Studie (2002), die GISS-Studie zur SPFH (2008), eine Studie von Rücker (2010) zu teilstationären und ambulanten Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen sowie eine Studie zu Heimkindern von Esser (2011) (vgl. ebd., S. 108 ff.).
Die Studien weisen – obwohl sie zu unterschiedlichen Jahrzehnten erhoben wurden – gemeinsame Erfolge der HzE auf. Es kann die Bilanz gezogen werden, dass der über einen langen Zeitraum hinweg stabile Erfolgswert mit verschiedenen Faktoren erklärt werden kann. Dazu gehören u. a.:
- Die Dauer der Hilfe muss dem Bedarf entsprechend sein. Insbesondere kurze Interventionen erzielen weniger Wirkungen.
- Das familiäre Umfeld der Kinder und Jugendlichen muss in die Hilfe miteinbezogen werden bzw. die Hilfe auf die Herkunftsfamilie bezogen sein.
- Zwischen Adressat_innen und Sozialpädagog_innen muss eine Beziehung aufgebaut werden, die ein funktionierendes Arbeitsbündnis ermöglicht.
- Kinder und Jugendliche müssen als eigenständige Subjekte wahrgenommen und in die Hilfe einbezogen werden.
- Die Förderung der Schul- und Berufsausbildung ist eine wichtige Basis für die Verselbstständigung von Kindern und Jugendlichen.
- Für bestimmte Kinder und Jugendliche ist neben dem erzieherischen Hilfebedarf auch eine psychotherapeutische Versorgung notwendig, die mit in den Blick der pädagogischen Fachkräfte genommen werden muss.
- Die pädagogischen Fachkräfte müssen entsprechend der professionellen Standards qualifiziert sein und angemessene Arbeitsbedingungen wie bspw. Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume haben.
- Die Hilfe muss den individuellen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen angepasst sein.
Die aufgeführten Faktoren finden sich häufig in den Studien wieder, was für eine hohe Validität spricht. Es kann hineininterpretiert werden, dass es beständige Erfolgsfaktoren in den HzE gibt (vgl. ebd., S. 190 ff.).
Mit Blick auf jugendliche „Systemsprenger_innen“ ist besonders die letzte der hier skizzierten Empfehlungen interessant, weil es für sie bekanntlich schwierig ist eine passende Hilfe zu finden, ohne dass sie diese sprengen. Wie oft es aber dazu kommt, soll zunächst im folgendem Unterkapitel beleuchtet werden.
4.2.2 „Systemsprenger_innen“ in der Kinder- und Jugendhilfe
Nachfolgend soll aufgezeigt werden, ob es sich bei „Systemsprenger_innen“ lediglich um Einzelfälle handelt oder ob sie doch in einer erhöhten Bandbreite vorkommen. Anhand dessen soll ein Überblick der Größenordnung von „Systemsprenger_innen“ im Kinder- und Jugendhilfesystem erfolgen und die Frage geklärt werden, wie hoch die Belastung tatsächlich ist (vgl. Baumann 2020, S. 26).
Dafür wird eine Studie vom Niedersächsischen Landesjugendamt aus dem Jahr 2006 herangezogen, in der 25 unterschiedlich große Einrichtungen der Stationären Jugendhilfe involviert waren, welche insgesamt 1206 Wohngruppenplätze zur Verfügung haben. Bereinigt anhand der durchschnittlichen Belegung von ca. 96,41 % ist von 1162,7 belegten Plätzen auszugehen. Laut dem Niedersächsischen Landesjugendamt waren im Jahr 2006 insgesamt 6088 Plätze (100 %) in einer Wohngruppe besetzt. Die Studie bezog somit 19,1 % aller in Niedersachsen belegten Wohngruppenplätze im Erfassungszeitraum ein. Die befragten Einrichtungen beendeten bei insgesamt 162 Kindern und Jugendlichen infolge von grenzverletzendem Verhalten die Jugendhilfemaßnahme frühzeitig. Dies entspricht einem Prozentwert von 13,93 % (vgl. ebd., S. 26 f.).
„Das rein quantitative Ergebnis der Studie lautet also: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein vollstationärer Wohngruppenplatz innerhalb von 2 Jahren mit einem Kind oder Jugendlichen belegt wird, der sich als nicht haltbar zeigt, liegt bei 13,93 %“ (ebd.).
Aufgrund von identischen Initialen und Geburtsjahrgängen konnten in fünf Fällen Doppelnennungen vermutet werden, weshalb sich die Zahl auf 157 reduziert. Die Studie bezieht sich auf einen Zwei-Jahres-Zeitraum, weswegen die Zahl halbiert werden muss, weil die vom Landesjugendamt genannten 6088 Wohngruppenplätze für jeweils ein Jahr ermittelt wurden. Wird der Wert von 78,50 ermittelten „Systemsprenger_innen“ auf die vorhandenen Wohngruppenplätze (6088) hochgerechnet, ergibt sich eine Gesamtzahl von 411 Kindern und Jugendlichen (6,75 %) die im Jahr 2006 innerhalb des Kinder- und Jugendhilfesystems in Niedersachsen gescheitert sind (vgl. ebd.).
Zu den in der Studie ermittelten „Systemsprenger_innen“ gilt es weitere Jugendliche aus Datensätzen des Niedersächsischen Landesjugendamts zu beachten. 2006 wurden 660 Jugendliche mit vorherigem Lebensort „Andere Einrichtung“ in einer vollstationären Wohngruppe untergebracht, was 10,84 % der Wohngruppenplätze entspricht. Wird von den bereits 411 ermittelten „Systemsprenger_innen“ in einem Zwei-Jahres-Zeitraum, die Hälfte (205) der entsprechenden „Systemsprenger_innen“ dem Jahr 2006 zugeteilt, können diese ca. 31 % der Einrichtungswechsel erklären (sofern anschließend weitere Unterbringungen unternommen wurden). Die Zahlen zeigen, dass es eine beachtliche Dunkelziffer an „Systemsprenger_innen“ geben könnte. Vergleichbares gilt für insgesamt 945 vollstationäre Maßnahmen, die 2006 nach weniger als sechs Monaten beendet wurden (283 Beendigungen nach weniger als einem Monat; 662 Beendigungen nach weniger als sechs Monaten). Ungefähr 22 % gehen hierbei auf „Systemsprenger_innen“ zurück. Diese beiden Faktoren („Verlegung von einer Einrichtung in eine andere“; „Beendigung der Maßnahme nach weniger als sechs Monaten“) deuten darauf hin, dass eine hohe Menge an Fällen unbefriedigt beendet wird, ohne dass diese als „Systemsprenger_innen“ reflektiert werden (vgl. ebd., S. 28 f.).
Des Weiteren soll kurz erwähnt werden, dass „scheiternde Jugendhilfemaßnahmen tendenziell ein Problem Jugendlicher sind“ (ebd., S. 33). Von den 162 genannten Kindern und Jugendlichen waren 91 Jugendliche (56 %) zwischen 14 und 16 Jahren alt und weitere 50 Jugendliche (31 %) waren 17 Jahre alt und älter. Laut dem Niedersächsischen Landesjugendamt waren im Jahr 2006 22,67 % der untergebrachten Kinder und Jugendlichen in Wohngruppen zwischen 14 und 16 Jahre alt. Demnach ist diese Altersgruppe innerhalb der Gruppe der ermittelten „Systemsprenger_innen“ deutlich überrepräsentiert. Begründet wird dies mit grenzverletzendem Verhalten wie Kriminalität, Aggressivität und Drogenmissbrauch, welches als altersspezifisches Problem gedeutet werden kann (vgl. ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Anteile der angegeben „Systemsprenger_innen“ zu verschiedenen Altersgruppen (Baumann 2020, S. 34).
Insgesamt kann festgestellt werden, dass das Kinder- und Jugendhilfesystem erheblich mit – insbesondere jugendlichen – „Systemsprenger_innen“ konfrontiert wird. Knapp 14 % aller Kinder und Jugendlichen in einer Jugendhilfeeinrichtung können – bezogen auf einen Zwei-Jahres-Zeitraum – als „Systemsprenger_innen“ betitelt werden (vgl. ebd.).
4.2.3 Lebensweltorientierung nach Thiersch
Jugendliche „Systemsprenger_innen“ haben eine komplexe Lebenswelt, in der sie vielen Herausforderungen und Problemen gegenüberstehen. Nachfolgend wird anhand der Theorie der Lebensweltorientierung nach Thiersch (2015) aufgezeigt, wie Sozialpädagog_innen Jugendliche in ihrer Lebenswelt erreichen können und wie diese mit ihnen gemeinsam gestaltet werden kann.
Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit betrachtet das Leben der Adressat_innen bestimmt durch die Auseinandersetzung mit den alltäglichen Lebensbedingungen (vgl. Grundwald; Thiersch 2015, S. 934).
„Sie sieht die AdressatInnen in ihren Problemen und Ressourcen, in ihren Freiheiten und Einschränkungen; sie sieht sie – vor dem Hintergrund der materiellen und politischen Bedingungen – in ihren Anstrengungen, Raum, Zeit und soziale Beziehungen zu gestalten. Die AdressatInnen sind aus dieser Perspektive eingebunden in vielfältige Widersprüche zwischen verfügbaren Ressourcen und problematisch belastenden Lebensarrangements, zwischen gekonnten und ungekonnten Bewältigungsleistungen, Resignation und Hoffnung, Borniertheit des Alltags und Aufbegehren gegen diese Borniertheiten“ (ebd.).
Das Konzept der Lebensweltorientierung verbindet Fragen und Probleme der Jugendlichen mit folglich abgeleiteten Konsequenzen für die pädagogische Arbeit (vgl. Thiersch 2016, S. 40). Es ist das Ziel der Lebensweltorientierung die Ressourcen und Potenziale der Adressat_innen zu stärken und gleichzeitig Defizite zu überwinden. Dadurch soll es den Betroffenen erleichtert werden, einen gelungenen Alltag zu bewältigen. Im Mittelpunkt stehen somit die Adressat_innen mit ihren Ressourcen, Fähigkeiten, Problemen und Defiziten, die es in der Auseinandersetzung mit den alltäglichen Lebensverhältnissen und den Erwartungen der Gesellschaft auszubalancieren gilt (vgl. Grundwald; Thiersch 2015, S. 934).
In Bezug auf jugendliche „Systemsprenger_innen“ ist es die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe die Adressat_innen in ihrer subjektiven Lebenswelt wahrzunehmen und abzuholen. Dabei ist es nötig, den gesamten Lebensraum der Jugendlichen mit einzubeziehen. Durch die Betrachtung der individuellen Lebenswelt kann dann eine geeignete Jugendhilfemaßnahme gefunden werden, die den Lebensproblemen und -umständen der Jugendlichen gerecht wird (vgl. Moch 2015, S. 695).
Voraussetzung der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit ist entgegengebrachter Respekt und Anerkennung seitens der Sozialpädagog_innen für die gegebenen lebensweltlichen Bedingungen der Jugendlichen. Erst durch den Respekt und die Anerkennung kann Teilhabe an der Lebenswelt der „Systemsprenger_innen“ erfolgen, woraufhin an einer Neuorientierung und an Bewältigungsstrategien gearbeitet werden kann. Dabei liegt der Fokus auf pragmatischen Arrangements im gemeinsamen Handeln, welche Unverständliches und Fremdes für die Jugendlichen außen vorlassen. Es wird sich in der Arbeit mit den Jugendlichen auf das Hier und Jetzt konzentriert und gemeinsam nach Ansätzen für einen neuen Anfang gesucht (vgl. Grundwald; Thiersch 2015, S. 938). Die Lebensweltorientierung „motiviert zum Aufbruch, zur Veränderung und zu neuen Lernprozessen und stützt die Entwicklung von Räumen und Kompetenzen in der Benutzung ihres fachlichen, methodischen Repertoires“ (ebd.).
Der gegenseitige Respekt und die entgegengebrachte Anerkennung zwischen Jugendlichen und Sozialpädagog_innen ist nicht immer selbstverständlich, sondern muss meistens mithilfe von Vertrauen und Erweis der Nützlichkeit mühevoll aufgebaut werden. Dazu gilt es ein angemessenes Verhältnis von Nähe und Distanz für die Sozialpädagog_innen – trotz des Transzendierens der Lebenswelt der Jugendlichen – zu wahren. Aufgrund u. a. dieser prekären Situationen sieht die lebensweltorientierte Soziale Arbeit zur Aufrechterhaltung der Professionalität im pädagogischen Handeln regelmäßige Selbst- und Fremdevaluationen sowie Supervisionen, kollegiale Beratungen und Beschwerdemöglichkeiten für die pädagogischen Fachkräfte vor (vgl. ebd., S. 939).
4.2.4 Die Wirkung der HzE in Bezug auf „Systemsprenger_innen“
Nachfolgend wird dargestellt, inwieweit die ambulanten, teilstationären und stationären Erziehungshilfen – bezogen auf „Systemsprenger_innen“ – wirken.
Macsenaere (2014) greift dafür die Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS) auf. Dabei handelt es sich um ein Qualitätsentwicklungsverfahren, welches seit 1999 bundesweit erhoben wird. Nachfolgend werden die Auswertungen für abgeschlossene Hilfen jugendlicher „Systemsprenger_innen“ vorgestellt. Begutachtet werden dafür die Jugendhilfemaßnahmen „Erziehungsbeistandschaft“ (§ 30 SGB VIII), „Sozialpädagogische Familienhilfe“ (§ 31 SGB VIII), „Erziehung in der Tagesgruppe“ (§ 32 SGB VIII), „Heimerziehung und sonstige Betreuungsform“ (§ 34 SGB VIII) sowie „Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung“ (§ 35 SGB VII). Nicht berücksichtigt werden die Jugendhilfemaßnahmen „Soziale Gruppenarbeit“ (§ 29 SGB VIII), „Erziehungsberatung“ (§ 30 SGB VIII) und „Vollzeitpflege“ (§ 33 SGB VIII) aufgrund mangelnder Repräsentanz an jugendlichen „Systemsprenger_innen“ (vgl. Macsenaere 2014, S. 47).
Als „Systemsprenger_innen“ betrachtet werden von Macsenaere Jugendliche, die einen Jugendhilfekarriereindex von mindestens 10 aufweisen. Diesem entsprechen bspw. zwei stationäre HzE oder eine Soziale Gruppenarbeit plus eine SPFH plus eine Heimerziehung (vgl. Macsenaere 2014, S. 25). Der Jugendhilfekarriereindex dient der Evaluation durchgeführter Hilfeprozesse und ist somit auch für die Entscheidung des weiteren Hilfeprozesses relevant (vgl. Arnold; Macsenaere 2008, S. 40). Die Bedeutung der Skalenwerte verdeutlicht die nachfolgende Tabelle:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Skalenwerte des Jugendhilfekarriereindex (ebd.).
Die Wirkung der ausgewerteten HzE wird mithilfe einer Skala über die Effektstärke dargestellt. Diese erläutert sich wie folgt:
„Eine Effektstärke von 0 würde bedeuten, dass es über den Hilfeverlauf keinen Unterschied hinsichtlich Ressourcen und Defiziten des jungen Menschen gäbe. Ein Wert von + 3 würde für leichte positive Effekte sprechen. Ab einem Wert von + 5 lägen inhaltlich bedeutsame positive Effekte vor“ (ebd., S. 31).
Um nachhaltige Effekte zu erreichen, benötigen alle Hilfen ausreichend Zeit. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, steigen die Effektstärken mit jedem zusätzlichen Monat kontinuierlich an. Nach 18 Monaten Hilfedauer wird ein bedeutsames Niveau von über 5 und nach dreieinhalb Jahren von über 10 erreicht (vgl. Macsenaere 2014, S. 51).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Effektstärke (EVAS-Effektindex) in Abhängigkeit der Hilfedauer (in Monaten); relative Häufigkeiten (in Prozent) der abgeschlossenen Hilfen je Halbjahr (Macsenaere 2014, S. 51).
Für die Erziehungsbeistandschaft und die SPFH werden ordentliche bis hohe Effektstärken zwischen 2 und 7 genannt (eine genauere Bewertung war aus der Literatur nicht ersichtlich) (vgl. ebd.). Sehr positive Werte erreichte auch die Heimerziehung mit 4,7 und die Erziehung in einer Tagesgruppe mit 5,5. Die mit Abstand höchste Effektstärke bei der Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ erreicht die ISE mit 15,3. Demnach lässt sich resümierend festhalten, dass es allen Hilfearten gelingt im Durchschnitt positive Effekte in der Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ zu erreichen. Einen klaren Zusammenhang gibt es dabei – wie bereits beschrieben – zwischen der Hilfedauer und dem Hilfeerfolg. Erste positive Effekte treten demnach nach einer Hilfedauer von sechs Monaten und mehr auf. Trotz der positiven Effekte in der Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ darf sich das System der HzE laut Macsenaere nicht nur darauf beruhen. Vielmehr ist es die Aufgabe für die kommenden Jahre die bestehende Qualität weiterzuentwickeln. Dafür ist es nötig, die empirisch belegten Wirkfaktoren in einem noch höheren Maß als momentan in die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen einfließen zu lassen (vgl. Macsenaere 2014, S. 31 ff.).
Dabei handelt es sich laut Esser und Macsenaere (2015) um folgende Merkmale, die als übergreifend wirksam für die HzE sind:
Passung:
Bei der Passung handelt es sich um eine Qualitätsdimension, die beurteilt, ob die jeweiligen Strukturen und die personellen Konstellationen für die Bedarfe der Jugendlichen geeignet sind. Erst wenn die pädagogische Fachkraft von den Jugendlichen angenommen wird, ist die Passung gelungen. Demnach ist es wichtig, die Beziehung zwischen Sozialpädagog_innen und Jugendlichen beständig zu reflektieren (vgl. ebd., S. 50 f.).
Ausgangslagen:
Alle Adressat_innen haben unterschiedliche Ausgangslagen (z. B. Lebenserfahrungen), die die Wirksamkeit erzieherischer Hilfen negativ beeinflussen können. Dazu gehört bspw. ein fortgeschrittenes Alter zu Hilfebeginn. Mit zunehmendem Alter der Kinder und Jugendlichen steigt die Wahrscheinlichkeit für Abbrüche und Misserfolge. Begründet wird dies durch verfestigte Symptomatiken. Auch ausgeprägte Jugendhilfekarrieren gelten als Risikofaktoren in der Kinder- und Jugendhilfe. Je öfter bereits Jugendhilfemaßnahmen in Anspruch genommen wurden, desto geringer ist die zu erwartende Effektivität. Es ist demnach wichtig, frühzeitig adäquate Hilfe zu gewähren, um auch die Motivation zur Mitarbeit bei den jungen Menschen aufrecht zu erhalten (vgl. ebd., S. 51 ff.).
Indikation:
Indikation hat für das Jugendamt zum Ziel, die bestgeeignete Jugendhilfemaßnahme für jeden individuellen Fall zu wählen. Anhand dokumentierter Jugendhilfeverläufe besteht die Möglichkeit, greifbare Eignungskriterien für die einzelnen Hilfearten zu gewinnen und anschließend die Passendste zu wählen (vgl. ebd., S. 54).
Sozialpädagogische Diagnostik:
Mithilfe intensiver sozialpädagogischer Diagnostik können zuverlässig Risiken und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen umfassend beschrieben werden. Anhand strukturierter Diagnose-Tabellen kann anschließend die effektivste Hilfeart ausgewählt werden. Durch den Einsatz solcher Diagnostik, ist es auch Berufsanfänger_innen möglich, ein ähnliches Effektivitätsniveau wie von erfahrenen Mitarbeitenden vom Jugendamt zu erzielen (vgl. ebd., S. 55).
Case Management:
Das Case Management ist ein Konzept mit sechs Phasen, welches zur Optimierung der Effizienz und Effektivität der HzE beitragen soll. Dazu gehört zunächst die Falleingangsphase mit der Fallbestimmung und Arbeitsvereinbarung (I). Es folgt die Situationsaufnahme und Bedarfsfeststellung (II), die Hilfeplanung und Erschließung von Hilfsquellen (III), die Vereinbarungen und Koordination von Hilfen in Form von Hilfeplangesprächen (IV) und die Prozessbeobachtung und Prozessteuerung (V). Schlussendlich folgt die Beendigung mit einer dazugehörigen Evaluation (VI) (vgl. ebd., S. 56 f.).
Ressourcenorientierte Hilfeplanung:
Die Ressourcenorientierte Hilfeplanung plädiert für eine stärkeren Ausrichtung der HzE an den Ressourcen und Schutzfaktoren der Kinder und Jugendlichen. Demnach soll nicht nur die „Problemlage“ bei der Feststellung des Hilfebedarfs im Mittelpunkt stehen. Vielmehr soll sich auf Lösungsmöglichkeiten mithilfe bspw. psychischer Ressourcen (wie Selbstwertgefühl) oder soziale Ressourcen (wie gute Integration) fokussiert werden (vgl. ebd., S. 57).
Partizipation:
Als Partizipation wird in der Erziehungshilfe die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen verstanden, wodurch ein hohes Maß an Kooperation gewährleistet wird. Dadurch entstehen positive Effekte, die auf das Recht der Mitgestaltung und der Verantwortungsübernahme in der Jugendhilfemaßnahme zurückzuführen sind (vgl. ebd., S. 59).
Kooperation:
Ein weiterer zentraler Wirkfaktor ist die Kooperation. Damit ist nicht nur die Kooperation von Sozialpädagog_innen und Jugendlichen gemeint, sondern ebenfalls die Kooperation von z. B. Sozialpädagog_innen und Sorgeberechtigten, Sozialpädagog_innen und Jugendamt oder Jugendamt und Sorgeberechtigten. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Sozialpädagog_innen und Jugendlichen hat eine entscheidende Bedeutung für den Erfolg der HzE und kann durch gelungene Passung und Partizipation unterstützt werden (vgl. ebd., S. 63).
Hilfedauer:
Die Hilfedauer wurde besonders häufig in Studien untersucht und dabei stets als essenziell für den Erfolg einer Jugendhilfemaßnahme bestätigt. Damit die Jugendhilfe ihre Wirkung vollends entfalten kann, benötigt sie gewisse Zeit. Wie in Abbildung 2 dargestellt, werden erste positive Effekte ab dem sechsten Monat der Hilfe ersichtlich. Jeder Fall muss individuell begutachtet werden, um eine optimale Dauer der Hilfe zu gewährleisten (vgl. ebd., S. 64 ff.).
Elternarbeit:
Auch die Elternarbeit im Rahmen der HzE ist von wichtiger Bedeutung. So ist es bspw. auch bei der Heimerziehung maßgebend, dass zumindest ein regelmäßiger Kontakt zu den Sorgeberechtigten gegeben ist. Denn es ist davon auszugehen, dass sich Kinder und Jugendliche niemals vollständig von ihrem ursprünglichen Umfeld lösen. Es ist die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, bei der Klärung der Beziehung von Kindern und Jugendlichen zu ihren Eltern zu unterstützen (vgl. ebd., S. 68 f.).
Die hier vorgestellten Wirkfaktoren können allesamt dazu beitragen, jugendlichen „Systemsprenger_innen“ eine auf sie individuell ausgerichtete Jugendhilfemaßnahme zu bieten, die eine bestmögliche Chance auf Besserung ihrer schwierigen Lebensbedingungen bieten. Zudem gibt es weitere Faktoren, die einen nachgewiesenen Zusammenhang zur Ergebnisqualität aufweisen. Hier ist insbesondere die Nachsorge zu nennen, damit Jugendliche langfristig und nachhaltig von der Kinder- und Jugendhilfe profitieren (vgl. Macsenaere 2014, S. 50).
4.2.5 Ansatzpunkte für Sozialpädagog_innen
In den vorherigen Unterkapiteln wurde bereits geklärt, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland durchaus mit „Systemsprenger_innen“ konfrontiert wird und sie mit den HzE bereits wirkungsvolle Erfolge erzielen kann. Mit der Lebensweltorientierung nach Thiersch wurde bereits eine wichtige Theorie vorgestellt, mit der sozialpädagogische Fachkräfte Jugendliche erreichen können. Auch wurden bereits Merkmale vorgestellt, die laut Macsenaere besonders wichtig für den Erfolg der HzE sind. Nachfolgend gilt es, explizit für Sozialpädagog_innen Ansatzpunkte für die Arbeit mit jugendlichen „Systemsprenger_innen“ herauszustellen. Herangezogen werden dafür Ansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen.
Pädagogische Haltung:
Laut Baumann (2012) sind zwei Grundhaltungen für die Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ essenziell: Zum einen die Symptomtoleranz und zum anderen die Ablehnung von Machtkämpfen. Macht wird dabei definiert als die „Abhängigkeit vom Anderen“ (Baumann 2012, S. 179). Macht kann hierbei körperliche Überlegenheit oder der Vorsprung an Lebenserfahrung und Orientierungsmitteln sein. Diese Formen von Macht können in bestimmten Situationen von effektivem Nutzen sein. Jedoch können „Systemsprenger_innen“ diese Machtverhältnisse schnell umgehen, indem es zu Ausweichhandlungen und Scheinanpassungen seitens der Jugendlichen kommt. Kontrolle und Sanktionen infolge von Machtausübungen führen letztlich dazu, dass Jugendliche diese Verhaltensweisen verfestigen. Demnach gilt es, kooperativ mit den Jugendlichen zu arbeiten, damit diese die Lebenserfahrungen, Fähigkeiten und Orientierungen der Sozialpädagog_innen zu akzeptieren lernen (vgl. ebd., S. 179 f.). Die Bereitschaft von Jugendlichen mit pädagogischen Fachkräften zusammenzuarbeiten steigt, je positiver und vertrauensvoller die Beziehung ist (vgl. Lambers 2010, S. 59). Bedeutsam dafür ist eine offene und respektvolle Kommunikation – statt den Jugendlichen zu suggerieren, dass sie von der Hilfe abhängig sind (vgl. Baumann 2012, S. 180). Baumann fasst dies entsprechend zusammen:
„Wann immer ein Kampf entsteht, wer welche Macht über wen hat und mit welchen Mitteln diese durchgesetzt werden kann, besteht langfristig gesehen kein positiver Entwicklungsspielraum“ (ebd.).
Vor allem bei eskalierenden Konflikten sollten Sozialpädagog_innen den „Systemsprenger_innen“ bewusst machen, dass sie für derartige Machtkämpfe nicht verfügbar sind. Das Durchsetzen eigener Überzeugungen mit Gewalt sollte grundlegend als nicht optional deklariert werden. Pädagogische Fachkräfte sollten solche Ablehnungen von Eskalationen und Machtkämpfen so kommunizieren, dass die Jugendlichen sich davon nicht provoziert fühlen. Eine deeskalierende Haltung sollte Standard der Arbeitsmoral sein, die auf Respekt und Anerkennung beruht (vgl. ebd.). Wichtig für so eine Grundhaltung ist die Symptomtoleranz. Damit sind die Gelassenheit und die Aushaltefähigkeit der pädagogischen Fachkräfte gemeint. Es sind die sinn- und lebensstiftenden Verhaltensweisen der „Systemsprenger_innen“, die nicht ins System der HzE passen wollen. Die Sozialpädagog_innen müssen Toleranz dafür aufbringen, dass diese Verhaltensweisen nicht innerhalb kürzester Zeit verändert werden können. Den jugendlichen „Systemsprenger_innen“ muss genügend Zeit und Raum gegeben werden, Veränderungen an ihrem Verhalten vorzunehmen. Somit wird der vorschnellen Verurteilung der Verhaltensstörungen der Jugendlichen als negative Charaktereigenschaft entgegengewirkt. In der professionellen Arbeit müssen Sozialpädagog_innen die Jugendlichen begleiten und unterstützen, ohne dabei Machtkämpfe einzugehen bzw. auszuüben. Auch sollen sie Jugendliche nicht durch ihr (scheinbar) besseres Wissen erniedrigen oder dieses triumphierend ausspielen (vgl. ebd., S. 180 f.). Sofern Sozialpädagog_innen diese pädagogische Haltung – Symptomtoleranz und Ablehnung von Machtkämpfen – berücksichtigen, kann laut Baumann eine gelingende Kommunikationsebene zwischen Sozialpädagog_innen und „Systemsprenger_innen“ entstehen (vgl. ebd., S. 181).
Lernprozess:
„Systemsprenger_innen“ sind laut Rätz-Heinisch (2011) aufgrund ihrer vielen Erlebnisse und fortlaufenden Handlungen in einem kontinuierlichen Lernprozess. Sie lernen, sich mit ihrer oftmals schwierigen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Demnach lernen sie überall und zu jeder Zeit. Allerdings lernen sie häufig nicht das, was von der Gesellschaft erwünscht ist bzw. was pädagogische Fachkräfte von ihnen erwarten. Deswegen ist es nötig, den Jugendlichen einen Lernort zu erschaffen, der subjektiv als wohltuend, fördernd und hilfreich für die eigene Entwicklung empfunden wird. In diesem Lernort können schwierige Jugendliche sich selbst kennenlernen und weiterentwickeln, Konflikte eingehen und austragen usw. Für die Sozialpädagog_innen bedeutet das, diesen Lernort mitzugestalten. Das soll jedoch nicht heißen, dass vorgeschrieben wird, was das Beste für die Jugendlichen ist. Auch wenn Sozialpädagog_innen weiterhin spezifisches Wissen und Können besitzen, sind die Jugendlichen selbst die Expert_innen über ihr Leben. Vielmehr kommt es zu einem Austauschprozess zwischen zwei Expert_innen mit spezifischen Wissensbeständen: Jugendliche_r und Sozialpädagog_in (vgl. Rätz-Heinisch 2011, S. 54 f.). Um in diesen Austauschprozess zu gelangen, ist es nötig, dass die Jugendlichen die Hilfe annehmen. Dabei wird gleichzeitig verlangt, dass sie sich auf Veränderungen einlassen können. Um dieses Wagnis einzugehen ist es für Sozialpädagog_innen wichtig, Respekt für die Lebenswelt der Jugendlich zu zeigen, welcher die Grundlage für den Vertrauensaufbau ist. Dadurch, dass Vertrauen nur allmählich wächst, muss Jugendlichen eine gewisse Zeit gegeben werden, sich an die Sozialpädagog_innen zu gewöhnen und diese kennenzulernen (vgl. Grundwald; Köngeter; Thiersch 2012, S. 177). Der Hilfeprozess mit „Systemsprenger_innen“ kann folglich gelingen, wenn Sozialpädagog_innen an den Erfahrungen und Handlungsstrukturen der Jugendlichen anknüpfen und dadurch einen Lernort im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe schaffen. Dafür ist ein verlässlicher Kontakt über einen längeren Zeitraum nötig, der es ermöglicht, Vertrauen und Respekt zueinander aufzubauen. Den jugendlichen „Systemsprenger_innen“ soll eine aktive Rolle zukommen, in der sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Hierbei sollen Sozialpädagog_innen sie unterstützen und beraten, wodurch die Jugendhilfe die Umwelt der Jugendlichen mitgestaltet (vgl. Rätz-Heinisch 2011, S. 55).
Laut Dewey (2000) kann jeder Mensch durch tätige Erfahrungen lernen, was bestätigt, dass der Lernprozess wichtig für den Erfolg einer Jugendhilfemaßnahme ist. Indem die Jugendlichen selbst handeln, lernen sie etwas Neues. Sozialpädagog_innen bieten Tätigkeiten an, in der Hoffnung, „dass die Jugendlichen dabei positive und konstruktive Lernerfahrungen machen können“ (ebd., S. 56 f.). Lernen nach Dewey bedeutet nicht zu belehren, sondern die tätige Auseinandersetzung und Interaktion zwischen Jugendlichen und Sozialpädagog_innen. Wird der Lernprozess von Sozialpädagog_innen gewissenhaft und stetig mitgestaltet, können „Systemsprenger_innen“ positive und konstruktive Erfahrungen machen. So lernen sie wertschätzend mit sich und ihrer Umwelt umzugehen (vgl. ebd.).
Pädagogische Beziehung:
Eine Pädagogik, die ausgerichtet ist auf eine Beziehung zwischen Sozialpädagog_innen und Adressat_innen mit einem ausgewogenen Verhältnis von „Nähe und Distanz“ sowie abgestimmter „Präsenz“ und „Konfliktsicherheit“, ist ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor für die Arbeit mit „Systemsprenger_innen“.
Nähe und Distanz bedeutet auf der einen Seite für die jungen Menschen ein haltender Faktor zu sein. Das heißt, dass die Jugendlichen das pädagogische Angebot als nützlich empfinden. Auf der anderen Seite muss von den Sozialpädagog_innen die Privatsphäre respektiert und gewahrt werden. Die jugendlichen „Systemsprenger_innen“ dürfen nicht das Gefühl erhalten, stetig kontrolliert zu werden, weil sie sonst die Arbeitsbeziehung zur pädagogischen Fachkraft nicht zulassen könnten. Den pädagogischen Fachkräften sollte es bewusst sein, dass es ein Qualitätskriterium für die Jugendlichen ist, wenn diese das Gefühl haben, eigen- und selbstständig handeln zu dürfen (vgl. Albers; Baumann; Bolz 2017, S. 131). Der Weg der Jugendlichen ist geprägt von personellen und strukturellen Veränderungen. Aufgrund der Vielzahl an Maßnahmen mit den Betreuungs- und Beziehungswechseln haben die Jugendlichen oftmals viele Erfahrungen in Form von Überforderung, Ambivalenz, Kränkung, Beliebigkeit oder Überlastung erlebt (vgl. Ader 2006, S. 207 f.). Ein abgestimmtes Maß an Nähe kann dazu beitragen, dass die Jugendlichen sich wertgeschätzt und wohl fühlen. Außerdem haben sie das Wissen, dass sie bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt Unterstützung seitens der Fachkräfte erhalten. Distanz hingegen bietet Jugendlichen den nötigen Freiraum, um sich auf sich selbst zu fokussieren und sich zu verwirklichen. Ist das Verhältnis von Nähe und Distanz ausgewogen, ist auch das Verhältnis zwischen Zuverlässigkeit und Autonomie ausbalanciert (vgl. Albers; Baumann; Bolz 2017, S. 131).
Ebenfalls wichtig für die pädagogische Beziehung ist die Präsenz der Sozialpädagog_innen. Gemeint ist damit, dass die Sozialpädagog_innen möglichst immer präsent sind und den Jugendlichen die Grenzen aufzeigen können. Wichtig hierbei ist wieder, dass es ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz gibt. Für Jugendliche kann das bedeuten, dass die Sozialpädagog_innen Durchhaltevermögen zeigen und auf Auseinandersetzungen reagieren, ohne dabei Machtkämpfe einzugehen (vgl. ebd.).
Konfliktsicherheit bedeutet, dass Sozialpädagog_innen souverän und angstfrei den „Systemsprenger_innen“ gegenübertreten. Dabei vertreten sie die Überzeugung, dass Konflikte keine Katastrophen sind, sondern ein Teil des Alltags, mit dem es umzugehen gilt, ohne diesen zu verharmlosen. Es ist die Aufgabe der Sozialpädagog_innen, Konflikte als einen interaktiven Prozess zu begreifen und nicht nur zwischen schuldig/unschuldig oder richtig/falsch zu kategorisieren. Jugendliche fassen es hingegen als Stärke auf, wenn sich eine pädagogische Fachkraft für einen Fehler bzw. eine Situation entschuldigt und die Ursachenfrage nicht nur bei dem jungen Menschen verortet wird (vgl. ebd.). Die Sozialpädagog_innen sind somit gefordert, eine pädagogische Beziehung zu den „Systemsprenger_innen“ aufzubauen, indem sie Präsenz und Konfliktsicherheit gewähren sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit für eine dauerhaft erfolgreiche Zusammenarbeit erhöht.
Selbst-Management:
Die Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ kann für Sozialpädagog_innen sehr belastend sein. Grenzverletzendes Verhalten von „Systemsprenger_innen“ wie z. B. Tierquälerei, Selbstverletzung, Äußerung von Suizidgedanken, rechtsradikales Gedankengut oder mangelnde Hygiene kann Sozialpädagog_innen an ihre persönlichen Grenzen bringen. Demnach ist auch das Selbst-Management eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Jugendhilfemaßnahme. Verschiedene Ansätze können dazu beitragen, dass Mitarbeitende sicher und gesund ihrer Tätigkeit nachgehen können, ohne dabei ihre Belastungsgrenze überschreiten zu müssen (vgl. Baumann 2019, S. 119 ff.). Deshalb ist es wichtig, dass Sozialpädagog_innen ihre eigenen individuellen Grenzen beobachten. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass sie sich voreilig aus einer Maßnahme zurückziehen sollten. Vielmehr geht es darum, frühzeitig die eigenen Grenzen zu erkennen und Möglichkeiten zu entwickeln, entsprechende Situationen zu vermeiden. Zudem kann geschaut werden, welche Entlastungsmöglichkeiten es gibt und ob die Grenzerfahrungen vielleicht auch positiv umgedeutet werden können (vgl. ebd., S. 121 f.).
Wichtig für das Selbst-Management und somit zur Pflege der Psychohygiene (psychische Gesundheit) der Mitarbeitenden ist das Einrichten von Supervisionen und kollegialen Beratungen. Dadurch wird die hohe psychische Belastung mithilfe systematischer Reflexion des beruflichen Handelns aufgefangen und folglich die Kontinuität der Arbeit gewährleistet (vgl. Herz 2006, S. 62 ff.; vgl. Iser 2015, S. 1714). Zudem tragen Supervision und kollegiale Beratung zu einem verbesserten Symptomverständnis und einer erhöhten Symptomtoleranz bei und unterstützen bei der zielgerichteten Planung des weiteren Vorgehens in der Hilfe (vgl. Herz 2006, S. 78). Supervision und kollegiale Beratung sind zudem auch wichtig für die Nachbereitung von schwierigen Hilfeverläufen. Oftmals haben Sozialpädagog_innen ein unwohles Gefühl, wenn die Arbeit mit „Systemsprenger_innen“ abgeschlossen wurde. Dabei kann es sich um eine Mischung aus Selbstrechtfertigung, der Angst, nicht alles getan zu haben, dem Gefühl, versagt zu haben, oder dem Infragestellen der eigenen professionellen Identität handeln (vgl. Baumann 2019, S. 124). Laut Baumann ist es wichtig, im Verhalten der „Systemsprenger_innen“ eine Sinnhaftigkeit zu erkennen, statt Affekte infolge von Vorfällen und unverstandenen Interaktionen nicht auf sich selbst zu beziehen (vgl. ebd., S. 125).
Weiterhin ist es wichtig, die eigenen Gefühle zu beobachten. Jeder Mensch hat ein breites Spektrum an Gefühlen. Dabei ist es nicht erstrebenswert, nur bestimmte Gefühle (bspw. Freude) zu erleben oder andere (bspw. Trauer) aus dem Leben zu verbannen. Ein breites Spektrum an diversen Gefühlen zeugt von psychischer Gesundheit. Im Umgang mit Jugendlichen, die massiv störende Verhaltensweisen aufzeigen, stehen jedoch meistens negative Gefühle wie Wut oder Angst im Vordergrund der Sozialpädagog_innen, wodurch die Arbeitsfähigkeit eingeschränkt werden kann. Je früher Fachkräfte erkennen, dass die Überrepräsentation von bestimmten Gefühlen zum Normalfall wird, desto eher kann das Muster noch durchbrochen werden. Methoden, wie das Festhalten der Gefühlsempfindungen in einem Tagebuch, können helfen, die eigenen Emotionen zu bewerten und somit einen Beitrag zur Psychohygiene leisten. Durch die Selbstbeobachtung aller Gefühle kann es gelingen, sich von Gefühlen, die in dem Moment als stark belastend erlebt werden, zu distanzieren und somit Situationen neu zu bewerten (vgl. ebd., S. 123).
Das Beobachten der eigenen Grenzen und Gefühle sowie Supervisionen und kollegiale Beratungen sind wichtige Elemente im Self-Management, die helfen „eine innere Distanz zu den belastenden Anteilen der Arbeit zu bekommen und seinen affektiven Reaktionen nicht ausgeliefert zu bleiben, was einen wichtigen Schritt der eigenen Identitätsbildung darstellt“ (ebd.).
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- Citation du texte
- Anonyme,, 2020, Der Umgang mit Systemsprenger_innen. Ein möglicher Handlungsleitfaden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/998233
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