Ziel der Arbeit ist es, Aphasie als Störung der Sprache zu verstehen und ihre weitreichende Problematik sowie Auswirkungen zu vermitteln. Dabei soll dem interessierten Leser eine erste Information über dieses Thema vermittelt werden.
Aphasie ist trotz ihrer Häufigkeit und verheerenden Auswirkungen in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Sie wird nicht als Geisteskrankheit betrachtet, sondern betrifft ausschließlich den Bereich der Sprache. Die Sprache steht jedoch in Wechselwirkung mit biologischen, emotionalen und kognitiven Prozessen.
Die Arbeit beleuchtet die Definition, Ursachen und Häufigkeit von Aphasie sowie die klassischen Störungsmuster wie globale, Broca-, Wernicke- und amnestische Aphasie. Sie bietet Hinweise zum Umgang mit Aphasikern und reflektiert die Psychologie der Sprachentwicklung.
INHALT
Vorwort
Aphasie ist in der breiten Öffentlichkeit noch wenig bekannt - keine Geisteskrankheit, betrifft allein den Bereich der Sprache
Definition -Ursache -Häufigkeit
Aphasie ist eine umschriebene Hirnschädigung
Aphasie ist eine erworbene Störung der Sprache
Aphasie ist eine Sprachstörung nach vollzogenem Spracherwerb
Aphasie ist eine Störung der Sprache in allen Modalitäten auch in der Gestik der Sprache
Die erste Untersuchung
Die vier klassischen Störungsmuster
Globale Aphasie
Broca Aphasie
Wernicke Aphasie
Amnestische Aphasie
Aphasie bei Mehrsprachigen
Hinweise über den Umgang mit Aphasikern
Literaturnachweis
VORWORT
Im Frühjahr 2000 kam meine Mutter ins Krankenhaus; sie hatte plötzlich die Sprache verloren, was nicht nur sie schockte, sondern die ganze Familie.
Obwohl sie die Sprache in 24 Stunden gut zurückgewonnen hatte, durfte sie noch nicht nach Hause; ihr Heimgang wurde von einem Tag auf den anderen verschoben.
Das machte nachdenklich und warf Fragen auf; aber auch der Ausdruck “Aphasie” - mir bis dato so gut wie unbekannt - tauchte auf.
So wurde ich, Gisela, erst einmal emotional mit Aphasie konfrontiert. Es ist sicher verständlich, dass ich diese “Konfrontation” auch intellektuell fortsetzte, als es darum ging, im Rahmen der Lehrveranstaltung “Sprachentwicklung” eine Arbeit zu schreiben.
Meine Freundin Bettina arbeitet selbst als Logopädin; sie hat also mit Sprachproblemen beruflich zu tun, machte sofort begeistert mit, weshalb es zu dieser Gemeinschaftsarbeit kam.
Zunächst sind wir in diesem großen Wissensbereich verzweifelt geschwommen. Aphasieologie hat ja zu einem gemeinsamen Forschungsfeld für Neurologen, Neuropsychologen, Neurolinguisten und Neurobiologen entwickelt.
Wir beide haben uns dann für diese Arbeit das Ziel gesetzt, Aphasie unter dem Gesichtspunkt darzustellen, dass der interessierte Leser zu verstehen - besser zu ahnen - beginnt, um welche weitreichende Problematik es sich bei dieser Erkrankung handelt und in welcher Form sie sich auswirkt. Kurz gesagt: Unsere Arbeit sollte dem Interessierten eine erste Information dieses neuen Wissenschaftszweiges vermitteln.
APHASIE IN DER BREITEN ÖFFENTLICHKEIT NOCH WENIG BEKANNT
In der breiten Öffentlichkeit weiß man von Aphasie kaum etwas, obwohl Aphasie fast so häufig vorkommt wie Multiple Sklerose oder die Alzheimer Krankheit und obwohl sie in ihrer Wirkung genauso verheerend ist. Selbst innerhalb der Medizin wird die Aphasie häufig als medizinisches Problem nicht genügend zur Kenntnis genommen, schreibtLuise Lutzim Jahre 1996 . Vielleicht auch deshalb, weil Aphasie eine Störung ist, die man rein medizinisch nicht erfassen kann wie beispielsweise Leukämie. Sie ist auch keine psychosomatische Erkrankung wie z.B. Asthma, bei dem psychische Faktoren eine Rolle spielen können, dessen Krankheitsbild aber medizinisch nicht feststellbar ist. Wichtig- und dies ist zu betonen- , dass Aphasie N I C H T in den Bereich der Geisteskrankheiten gehört, da ihr alle entsprechenden Symptome - Verwirrtheitszustände, Störungen der intellektuellen Funktionen, Persönlichkeitsabbau etc. - fehlen.1
Festzuhalten ist auch, dass Aphasie allein den Bereich der Sprache betrifft; dieser Bereich reicht allerdings viel weiter und entscheidender in andere Bereiche hinein als man von vornherein annehmen möchte.
So ist Sprache b i o l o g i s c h begründet. Die für die Entstehung und Steuerung der Sprache zuständigen Prozesse spielen sich im Gehirn ab, wobei Muskeln und Sinnesorgane Zwischenstationen sind, über die die Sprache vom Sprecher zum Hörer, vom Schreiber zum Leser gelangt.
Die Sprache steht ebenfalls mit e m o t i o n a l e n Prozessen in einer Wechselwirkung. Wenn wir unsere Gefühle äußern, so heißt das, dass wir sie über unsere Sprache an unsere Umwelt transportieren, andererseits werden wir von dem, was wir sprachlich aufnehmen (hören und lesen), in unseren Gefühlen beeinflußt.
Selbstverständlich steht Sprache auch mit dem Denken in Wechselwirkung. Häufig wird Sprache mit dem Denken sogar gleichgesetzt, d.h. auch gestörte Sprache wird mit gestörtem Denken gleichgesetzt, woraus sich - gerade für die Aphasie falsche Anschauungen ergeben.
Es gibt natürlich Krankheiten, bei denen gestörtes Denken zu einem Abweichen der Sprache führt, diesbezüglich sind z.B. Schizophrenie oder die Alzheimer Krankheit zu nennen. Aphasie - und das ist wie gesagt besonders wichtig - , gehört nicht zu diesen Krankheiten.
Aphasie ist eine Störung, die innerhalb der biologischen Komponente der Sprache ausgelöst wird und sich auf den Gefühlsbereich auswirkt, das Denken seinerseits bleibt weitgehend intakt.
Die Aphasie taucht wie eine Katastrophe aus dem Nichts auf und wie bei allen Katastrophen ergeben sich nach dem Abklingen des ersten Schocks quälende Fragen: “Was ist passiert?”, “Warum ist es passiert?”; “ Wie wird es weitergehen?”
WAS IST APHASIE ?
Wenn die Diagnose Aphasie vorliegt, kommt es sicher auch zu der Frage: “Was ist Aphasie?”
Walleschgab im Jahre 1986 eine kurze und leicht verständliche Definition:“Aphasie ist eine erworbene Störung der Sprache in allen Modalitäten nach vollzogenem Spracherwerb infolge einer umschriebenen Hirnschädigung.!” 2
Ursache
Fast immer handelt es sich um eine Verletzung der dominanten (meistens der linken) Hemisphäre, und das, obwohl beide Hemisphären - wenn auch auf unterschiedliche Weise - an der Erzeugung der Sprache beteiligt sind; der linken Hemisphäre fällt dabei die wichtigere Rolle zu, denn sie stellt die Sprache für den Benutzer bereit. Wenn diese linke Hemisphäre verletzt wird, wird der Zugriff zu den Regionen, in denen die Sprachprogrammierung stattfindet, gestört und der Weg der Sprachprozesse unterbrochen oder behindert.
Bei ca. 80% der Hirnverletzungen, die Aphasie auslösen, handelt es sich um Schlaganfälle; 85% davon sind sogenannte ischämische Insulte, die auf einer Mangeldurchblutung bestimmter arterieller Bereiche beruhen (arterielle Thrombose, Hirngefäßverschluss durch Embolie). Bei 15% liegen Hirnblutungen vor, die, wenn brüchig gewordenen Hirngefäße (Gefäßwandsklerose) auf Grund von Bluthochdruck platzen oder - wie das meist bei jüngeren Patienten der Fall ist - eine angeborene Gefäßmissbildung vorliegt, die zu einer krankhaften Arterienerweiterung oder einer gutartigen Gefässgeschwulst führt.
Andere Ursachen für Aphasie können sein: Schädelverletzungen ( etwa durch Verkehrsunfälle), Hirntumore und Hirnoperationen soweit sie die linke Hirnhälfte betreffen.
Häufigkeit
Dazu einige Zahlen aus Deutschland vom Jahre 1997: “ In Deutschland überleben jährlich rund 2000 Menschen pro 1 Million Einwohner einen Schlaganfall. Bis zu 30 % von ihnen - also 600 - erleiden eine Aphasie. Bei rund der Hälfte dieser Patienten bleibt die Aphasie Monate - und oft jahrelang bestehen, also bei 300 Patienten. Bezogen auf 80 Millionen Einwohner ergibt dies anhaltend neu auftretender Aphasien pro Jahr von rund 24 000.
Da Aphasien aber oft jahrelang bestehen bleiben, ist deren Gesamtzahl zu jedem gegebenen Zeitpunkt höher. Aus verschiedenen internationalen Krankenhaus- und Bezirksstudien ergibt sich, dass die Gesamtzahl von Aphasien nach Schlaganfall in Deutschland rund 70 000 beträgt. Nimmt man als Ursachen Hirnverletzungen, Tumoren und Entzündungen des Gehirns noch hinzu, dann sind in Deutschland zu jedem gegebenen Zeitpunkt rund 85 000 Menschen von einer Aphasie betroffen.3
Aphasie tritt bei einer umschriebenen Hirnschädigung auf:
Ursache für eine Aphasie ist nicht eine diffuse Erkrankung des gesamten Hirns, sondern eine umschriebene (lokale), d.h. auf bestimmte Hirnregionen begrenzte Schädigung der dominanten Hemisphäre.
Bei diffusen Erkrankungen des Gehirns - durch Vergiftungen, Infektionen, Defektionserscheinungen - die sich in Verwirrtheitszuständen, Störungen der intellektuellen Funktionen, Antriebsstörungen und Persönlichkeitsabbau äußern, und mit denen häufig auch eine Sprachstörung einhergeht (z.B. Demenzen wie bei der Alzheimer Krankheit) ist keineswegs ein gestörtes Sprachsystem die Ursache, sondern - tieferliegend - eine gestörte Persönlichkeit oder ein gestörter Intellekt.
Gestörtes Denken, gestörte Wahrnehmung, gestörtes Bewußtsein, Drücken sich auch in der Sprache aus. Diese Sprachstörungen müsse von Aphasie unterschieden werden.
Bei Aphasie sind Intellekt und Persönlichkeit nicht primär betroffen, ebenso sind Wahrnehmung und Denkfähigkeit erhalten geblieben. Die Sprachstörungen des Aphasikers sind anderer Art; sie erfordern auch einer anderen Behandlung.
Aphasie ist eine erworbene Störung der Sprache, deshalb anders als etwa die Sprachstörung wie sie sich bei angeborener Gehörlosigkeit (Taubstummheit) ergibt. Vor seiner Erkrankung war der Aphasiker ja voll sprachfähig.
Er kommt als Kind die Sprache über das Ohr aufnehmen und sie in allen Lautschattierungen kennenlernen und sie im Langzeitgedächtnis speichern. So kennt er z.B. den Unterschied zwischen “Wann kommst du?” = eine echte Frage, und “Wann kommst du?” nochmaliges Nachfragen, Ungläubigkeit etc. auf Grund der Satzmelodie. Auch das Lauterzeugungsprogramm hat er richtig eingespeichert, Voraussetzung dafür, dass jeder Laut, jedes Wort, jeder Satz so artikuliert werden kann, dass die Botschaft beim Hörer richtig ankommt. Er weiß auch durch den Tonfall und durch mehr oder weniger lange Gesprächspausen dem Gesprächspartner zu signalisieren, dass er das Gespräch abbrechen möchte.
Der Gehörlose andererseits kann einen Großteil des Sprachwissens, das über das Gehör gelernt werden muß, nie erwerben. jedoch: Alles, was der Gehörlose trotz des ausgefallenen Hörkanals an Sprache erworben hat, steht im Auf Abruf zur Verfügung; sein sprachliches Gedächtnis ist in Ordnung, und er kann, wenn er darin geübt ist, seine Gedanken flüssig in Gebärden oder Schrift umsetzten, Andererseits ist beim Aphasiker der Abruf der Sprachprogramme als auch ihre Umwandlung in Wahrnehmbare Sprache gestört. Seine verbale Merkfähigkeit ist außerdem schlecht, während der Gehörlose eine normale Merkfähigkeit hat.
Aphasie ist eine Sprachstörung, die nach vollzogenem Spracherwerb auftritt.
Von Aphasie spricht man immer dann, wenn schon erworbene Sprache verloren geht. Das kann auch bei einem Kind der Fall sein, wenn es z.B. im Alter von fünf Jahren infolge eines Unfalles seine bis dahin erworbene Sprachfähigkeit ganz oder teilweise wieder verliert. Bis zum Zeitpunkt des Unfalles jedoch hatte es das riesige und komplizierte System der Sprache altersadäquat zur Verfügung. Ganz anders bei einem Kind mit einer Sprachentwicklungsstörung. Dem ist es versagt geblieben, das Netzwerk des Sprachsystems mit allen Verzweigungen aufzubauen und es verfügt daher über weniger Satzstrukturen und über ein weniger spezialisiertes Vokabular.
Bei einem Aphasiker hingegen können die Sprechreste, über die er noch verfügen kann, aus grammatikalisch/stilistisch komplizierten Formen und einem spezialisierten Vokabular bestehen. Die Therapie ist denn auch erklärlicherweise jeweils eine vollkommen andere.
Während man beim Kind die Sprache schrittweise aufbauen und erweitern muß, versucht man beim Aphasiker sein noch vorhandenes Sprachwissen zu mobilisieren und seine noch funktionstüchtigen Teilsysteme der Sprache für die Kommunikation nutzbar zu machen.
Übrigens, die überwiegende Mehrzahl der Aphasiker sind Erwachsene und - in geringerer Zahl - hauptsächlich nach Unfällen - Jugendliche.
Aphasie ist eine Sprachstörung in allen Modalitäten
d.h. sie betrifft Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben und Gestik. Es ist also nicht nur eine Sprechstörung auf Grund bestimmter Fehlbildungen oder neuromuskulär Störungen der Sprechwerkzeuge., wie beispielsweise der Zunge, des Gaumensegels, der Nasenhöhle, wobei der Betroffene etwa lispelt oder näselt; wo nur das Sprechen betroffen ist und Verstehen, Lesen und Schreiben nicht gestört sind. Das beispielsweise bei Dysarthrie der Fall, die oft nicht genügend von Aphasie unterschieden wird, weil Dysarthrie wie Aphasie bei einem Schlaganfall entsteht. Bei Dysarthrie ist aber, wie gesagt, nur der Sprechbewegungsapparat betroffen, was übrigens auch beim Parkinson- Syndrom und bei der progressiven Paralyse der Fall ist.
Aphasie betrifft den gesamten Bereich der Sprache
allerdings ist die Störung nicht immer gleichmäßig schwer ausgeprägt. Manche Aphasiker gewinnen das Verstehen von gesprochener Sprache schneller zurück als die übrigen Fähigkeiten; andere Aphasiker können Gelesenes schneller wieder verstehen als Gesprochenes. Wieder andere können ihre Sprechfähigkeit am schnellsten zurückgewinnen.
Normalerweise arbeiten die Sprachmodalitäten eng zusammen:” Wir hören, was wir sprechen; wir schreiben - beim Diktat - das, was wir hören. Bei Aphasie ist diese Koordination häufig aufgehoben. ein Aphasiker schreibt manchmal etwas anderes als er denkt; beim lauten Lesen sagt er etwas anderes, als das, was er mit den Augen aufnimmt; es kommt vor, dass er nicht hört, was er selbst sagt. Es ist eben die gesamte Sprachapparatur gestört:
Das im Gedächtnis gespeicherte sprachliche Regelsystem ebenso - sozusagen das Programm für die Spracherzeugung und Sprachverarbeitung - als auch die Prozesse, die dieses Programm in wahrnehmbare Sprache umsetzten. Wenn er die für eine bestimmte Situation passenden Äußerungen nicht erzeugen bzw. aufnehmen kann, so liegt das nicht daran, dass er bestimmte Wörter oder Formulierungen vergessen hat, sondern deshalb, weil im die Regeln und Sprachprozesse nicht mehr zur Verfügung stehen. Bei allen Sprachmodalitäten sind die Störungsmuster meist ähnlich.
Ein Aphasiker, dessen grammatische Prozesse betroffen sind, spricht und schriebt agrammatisch. Auch beim Lesen überspringt er die unbetonten Wörter wie Präpositionen, Pronomen, Konjunktionen und Artikel. Im Gespräch versteht er die sinntragenden Wörter (Substantive, Verben, Adjektive) besser als die übrigen Wörter. Ein Aphasiker, der Laute, Wörter, Satzteile und Sätze verdoppelt und ineinanderschachtelt, zeigt diese Tendenz mündlich und schriftlich.
Ebenfalls ist die Gestik häufig betroffen. Sie ist ja ein sprachliches durch Regeln gesteuertes Ausdrucksverhalten, das in der Kindheit erlernt wurde und das bei Aophasikern eventuell nicht mehr funktioniert.
Zusammenfassung: Aphasie betrifft also
- alle Teile des abstrakten Sprachsystems (das Programm)
- alle Sprachmodalitäten (Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben, Gestik)
- die Zusammenarbeit dieser Modalitäten
Beim Aphasiker primär nicht betroffen sind:
- Intellekt und Persönlichkeit
- Wahrnehmung und Denkfähigkeit bleiben erhalten
- nicht so bei Personen, die eine generalisierte Hirnschädigung aufweisen (auf Grund von Vergiftungen, Degenerationserscheinungen wie Alzheimer, Infektionen etc.); bei diesen sind der Intellekt und die Persönlichkeit gestört, ebenso die Wahrnehmung, die Denkfähigkeit und das Bewußtsein, was auch in der gestörten Sprache zum Ausdruck kommt. Diese Sprachstörungen müssen von der Aphasie unterschieden werden.
DIE ERSTE UNTERSUCHUNG
Auf Grund der Komplexität von zentralen Sprach- und Sprechstörungen und ihrer neuropsychologischen Begleitsymptome erfordert die Aphasie- Untersuchung Spezialwissen, das beim behandelnden Allgemeinarzt oder Internisten nicht generell vorausgesetzt werden kann. 4
Der wichtigste Teil der Untersuchung ist die genaue Beobachtung des spontanen Sprechverhaltens. Man läßt den Patienten möglichst frei und ohne störende Unterbrechung berichten, die ihm emotional naheliegend und denen er intellektuell gewachsen ist: Entwicklung der Krankheit und gegenwärtige Beschwerden, berufliche Tätigkeit, Lebensgeschichte.
Der Untersucher hält sich dabei so gut wie möglich zurück: Mit Fragen und kurzen Bemerkungen hält er den Patienten am Reden.
Der Untersucher achtet dabei auf:
- die Sprachanstrengung
- die Flüssigkeit des Sprechens
- die Sprachmelodie
- die Artikulation
- ob Wörter entstellt werden
- ob Umschreibungen an Stelle eines gesuchten Wortes gegeben werden
- die syntaktische Struktur der Sätze
- das Sprachverständnis und
- die Reaktionen des Patienten hinsichtlich seiner eventuellen sprachlichen Minderleistungen
Aus dem spontanen Sprechen ergeben sich oft schon wichtige Aufschlüsse für die Beurteilung der einzelnen Sprachdefizite, die später durch gezielte Tests untersucht werden.
Für die genauere Diagnostik wird die Spontansprache als auch die Sprachproduktion in der Testsituation auf Tonband aufgenommen. Für die Klassifizierung und die Feststellung des Schweregrades der Aphasie verwendet man verschiedene Aufgabentypen, die unterschiedliche Sprachleistungen prüfen:
- Nachsprechen von Lauten, Wörtern und kurzen Sätzen
- Benennen und Beschreiben von gezeigten Abbildungen
- Verständnis für Namen und Objekte und für Sätze, geprüft mit Auswahlaufgaben
- die Schriftsprache5
DIE VIER KLASSISCHEN STÖRUNGSMUSTER
Sobald das akute Krankheitsstadium abgeklungen ist, lassen sich vier typische Störungsmuster erkennen, die in ihren wesentlichen Charakteristika konstant bleiben (bei 20-50% der Patienten auch im längeren Verlauf der Krankheit)6
GLOBALE APHASIE
Sie ist die schwerste Form der Aphasie. Die schweren Störungen beziehen sich auf alle sprachlichen Fähigkeiten, sowohl auf die Sprachproduktion als auch auf das Sprachverständnis. Die sprachliche Kommunikation ist nahezu unmöglich.7
Die Äußerungen sind, wenn sie nicht überhaupt fehlen, weitgehend unverständlich und bestehen aus “Sprachautomatismen, Stereotypien, mühsam hervorgebrachten Einzelwörtern oder aus Silben- und Lautfolgen, deren Sinn nicht erkennbar ist”.8
Das Verstehen ist vor allem in der Anfangszeit der Störung stark beeinträchtigt; eine Verbesserung findet nur langsam statt, und zwar deshalb: in der linke Hemisphäre ist der Hauptstamm der mittleren Hirnarterie verschlossen, und das ist die Region, welche den größten Teil aller sprachlichen Prozesse regelt.
Als Beispiel ein Gespräch, das vier Monate nach Ausbruch und zwei Monate nach Beginn der Therapie stattfand:
Das Verstehen war schon so weit gebessert, dass der Patient im Gespräch meistens erschließen konnte, worum es ging, obwohl er nicht jedes Wort verstand. Er sollte ein Bild beschreiben, das seinen Vater und mehrere Kinder im Wohnzimmer zeigte.
Lutz, Seite 40
Der Text zeigt, dass es sich hier um Wortbrocken handelt, die und das ist typisch - mit relativ natürlicher Intonation hervorgebracht werden; einsilbige Einzelwörter verschiedener Kategorien sind aneinandergereiht, dazwischen einzelne unverständliche Silben, auch kurze oder unvollständige Floskeln und vereinzelte Paraphrasen, d.h. Wörter “die zwar im Deutschen vorkommen, aber die an dieser Stelle nicht passen, z.B. Telefon (auf dem Bild ist jedoch kein Telefon zu sehen - er meinte wahrscheinlich den Fernseher).
Dieses Beispiel ist nur eine Spielart unter verschiedenen möglichen der globalen Aphasie. Jede Aphasie hat ihre individuelle Ausprägung.9
Wie die nebenstehende Abbildung zeigt, ist auch die Schreibfähigkeit schwer betroffen.
Lutz Seite 40 unten
Selbständiges Schreiben ist unmöglich. Häufig ist sogar die Fähigkeit zum Abschreiben gestört, selbst einzelne Buchstaben können oft nicht abgeschrieben werden.
Ebenso verhält es sich mit der Lesefähigkeit. Jedoch: Manchmal können bestimmte einzelne Wörter noch erkannt werden.
Monophasie, eine Sonderform der globalen Aphasie, bei der die Betroffenen interessanterweise ohne Sprachanstrengung und mit guter Artikulation immer wieder dieselben Silben, Wörter oder Phrasen produzieren, wie z.B. “sisisisi”, - “kon kon” - “Vergeltsgott” etc. Diese Automatismen entsprechen weder der Situation noch den Intentionen der Aphasiker.
Anfangs scheint es ihnen nicht bewußt zu sein, dass sie sinnlose Äußerungen von sich geben. Aber selbst dann, wenn sie das merken und sich große Mühe geben, normal Wörter aus oder nachzusprechen, können sie diese “recurring utterances” nicht ganz unterdrücken. so sind sie gezwungen, mit Hilfe der Intonation, die sie meist noch beherrschen, ihre Wünsche und Gefühle zum Ausdruck zu bringen.
Die globale Aphasie kann sich in manchen Fällen im Laufe der zeit zur Broca- Aphasie wandeln, in anderen Fällen zur Wernicke- Aphasie. Eine gebesserte globale Aphasie zeigt häufig Mischformen mit Symptomen der Broca- als auch der Wernicke Aphasie.
BROCA APHASIE
Der Broca- Aphasiker hat eine verlangsamte, unflüssige und agrammatische, telegrammstilartige Sprache, die er mit großer Anstrengung und mit viel überlangen Pausen hervorbringt; seine Sätze sind meist kurz und die Funktionswörter wie Artikel, Konjunktionen, Präpositionen fehlen; die Substantiva sind nicht dekliniert, und die Verben nicht konjugiert. Jedoch: Trotz der fehlenden Grammatik und der Lautumstellung, z.B. Faulmen für Pflaumen, ist der Sinn der Mitteilung meistens erkennbar. Die Steuerung der Lautproduktion macht ihm also sichtlich zu schaffen. Aber wenn er ein Wort durch ein anderes ersetzt, steht es in den meisten Fällen mit dem gesuchten in Verbindung, z.B. Mantel für Jacke.
Beim Verstehen haben vor allem schwer oder mittelschwer betroffene Aphasiker Schwierigkeiten, Gespräche zu verfolgen oder Äußerungen vollständig zu verstehen. sie erraten häufig den Sinn des Gesagten, weil sie mit sinntragenden Wörtern (Substantive, Verben, Adjektive) besser umgehen können als mit Funktionswörtern. Verständlicherweise geraten sie in Schwierigkeiten, wenn der Sinn einer Äußerung von Funktionswörtern abhängt: z.B. würde es ihnen schwer fallen, die folgenden Sätze den entsprechenden Bildern zuzuordnen.
Lutz, Seite 43
Obwohl sich die Broca Aphasiker gut auf ihre Gesprächspartner einstellen können und den Eindruck erwecken, dass sie alles verstehen, habe sie damit doch Probleme, wie - da sie an einzelnen Wörtern kleben bleiben - es ihre langsame Sprachverarbeitung ihnen schwer macht, das Gesagte schnell genug aufzunehmen; so verlieren sie leicht den Faden. Das Verstehen bessert sich bei ihnen allerdings schneller als die übrigen Sprachmodalitäten. “Aber man sollte nicht von vornherein davon ausgehen, dass es bei Broca- Aphasikern normal funktioniert”10
Das Lesen gelingt in vielen Fällen besser als das Zuhören, was mit dem
beim Lesen geringeren Zeitdruck zusammenhängt. Broca- Aphasiker überspringen dabei häufig Funktionswörter; auf Grund der sinntragenden Wörter erraten sie den Text.
Beim Schreiben reagieren sie wie beim Sprechen: sie lassen Funktionswörter und grammatische Wortteile aus.
Die Prognose ist für sie eher erfreulich, “unter günstigen Umständen kann sich eine Broca- Aphasie soweit bessern, dass sie in eine amnestisch Aphasie übergeht und sich dann allmählich dem normalen Sprachverhalten nähert”.11
WERNICKE APHASIE
Merkmale: Flüssige Sprachproduktion mit vielen falsch benützen Wörtern (semantische Paraphasien), vielen lautlich entstellten Wörtern (phonematischen Paraphrasien) und einer Tendenz zum Ineinanderschachteln von Wörtern, Satzteilen und Sätzen (Paragrammatismus).
Wernicke- Aphasiker sprudeln unverständliche endlose Wortfolgen hastig hervor, aber mit so natürlicher Intonation, dass sie manchmal von unerfahrenen Gesprächspartnern für Ausländer gehalten werden.
Beispiel: ein Wernicke- Aphasiker beschreibt das Bild, das auch Herr G. zu beschreiben versuchte: einen Vater mit drei kleinen Kindern im Wohnzimmer. Er spricht sehr schnell und mit natürlicher Intonation.
Ja, ich seh das ja hier wie wir, dass, das stimmt a nun nicht, aber bevorses hier, das ist ein, das hier, we weggeschröders hier das, der vorhin is da von weg, damit ich nu sehen kann, das ist die Tür, sie sie die Tür schließt das mittem Schor, Schorftrecker und sieht dann ehm die früher machen müssen als Schapner selber machen müssen, ehm fällt machen die Apparate Typisch im Text sind die Satzschlangen, die hektische Redeweise mit vielen Funktionswörtern. Von den wenigen Substantiven sind nur zwei richtig, nämlich “Tür” und “Apparat”. Die Neuschöpfungen “Schorf”, “Treker” und “Schapner” sind unverständlich.
BeiJargon- Aphasikern, einer Untergruppe der Wernicke Aphasikern, ist das Sprechen völlig unverständlich, lautlich entstellte Wörter und falsch benütze Wörter überwiegen.
Jargon- Aphasiker, auch andere Wernicke- Aphasiker, bemerken häufig nicht, dass sie unverständlich sprechen; sie hören zwar sich selbst, hören aber nicht das, was sie wirklich sagen, sondern hören das, was sie sagen wollen.
Sie glauben, richtig zu sprechen, können sich daher nicht erklären, dass man sie nicht versteht. Von Nichtbetroffene werden sie daher gelegentlich für psychisch gestört gehalten, weil ihre schwer verständliche Rede als Ausdruck einer Denkstörung aufgefaßt wird.
Wenicke- Aphasiker verstehen auch das, was andere ihnen sagen, schlecht. Auf Grund ihres eigenen pausenlos überbordenden Redeflusses (Logorrhoe) können sie sich schlecht auf den Gesprächspartner einstellen, häufig der eigentliche Grund, warum sie dem Gespräch nicht folgen können.
Auf Grund ihrer Verstehensprobleme haben Wernicke- Aphasiker es oft scher mit ihrer Umwelt. Sie wecken Aggressionen.
Eine Krankengymnastin beschwert sich über eine Wernicke- Aphasikerin : “Sie macht einfach nicht mit, ich kann ihr noch so oft sagen, was sie tun soll, sie macht einfach etwas anderes.” Das jedoch nicht deshalb, weil die Patientin nicht will, denn sie konnte nur verstehen, dass sie zu etwas aufgefordert wurde, verstand aber nicht, was verlangt wurde.
Die Schriftsprache betreffend: Wernicke- Aphasiker erfassen oft den Sinn des Gelesenen nicht; beim Schreiben zeigen sie die Tendenz, besonders die sinntragenden Wörter zu verdrehen, vertauschen, wegzulassen oder ineinander zu verschieben. Häufig werden auch Sätze und Satzteile ineinander geschoben. Der Therapie- einstieg erfolgt jedoch - weil erfolgreicher - häufig über die Schriftsprache mit Lesen und Schreiben.
Aussichten des Wernicke- Aphasikers: “Unter günstigen Umständen kann sich eine Wernicke- Aphasie zu einer amnestischen Aphasie entwickeln und sich dann allmählich der normalen Sprache angleichen.”12
AMNESTISCHE APHASIE
Lesen und Verstehen sind bei amnestischen Aphasikern kaum gestört.
Ihre Hauptstörung ist, dass sie gerade jene Wörter, auf die es ankommt, nicht abberufen können, nämlich die sinntragenden Wörter (Substantiva, Adjektiv, Verben). Ihre Wortfindung ist also gestört, da treffen sie haarscharf daneben: “Bleistift” für “Kugelschreiber”, “Schule” für “Therapie”.
Sie wissen sich aber zu helfen, sie flüchten sich in Umschreibungen und allgemeinen schablonenhafte Redensarten: “Na, wie heißt das noch?” Sie umschreiben das gesuchte Wort: “Das zum Schneiden”; sie benutzen Ersatzwörter wie “Das Dings”, sie wiederholen die Wörter ihres Gesprächspartners oder ihre eigenen Wörter, sie unterbrechen den Satz und setzen neu an.
Beispiel:
Herr P während eines Tests, in dem es darum geht, dass die Namen abgebildeter Objekte angegeben werden sollten (Aachener Aphasie Test, Benennen).
Koffer:
Hier haben wir zum Verreisen eineneinen...eine Tasche oder einen to einen Ta einen Tscheinem ähmKofo Koffer einen Kofer einen Koffer.
Besen:
Und jetzt wollen wir für Sauberkeit---äh, sa an der Sauberkeit denken und nehmen uns einen...einen.scho scho einen.einen...(11 Sekunden Pause)was wollen wir wollen zu Hause oder im Geschäft wollen wir saubermachen und benutzen dazu einen Sch...einen...einen...(6 Sekunden Pause)...einen.wischen und nach dem Wischen kommt das auf...hochtro ein trocken ein...ja das ist ein Fehlei
Die Sprache der amnestischen Aphasiker wirkt in vieler Hinsicht normal, was Sprachmelodie, Rhythmus und Geschwindigkeit angelangt.
Sie ist flüssig und gut artikuliert, jedoch umständlich, ungenau, unsicher und mit geringem Informationsgehalt.
Beim Schreiben zeigt sich die Wortfindungsproblematik und die Tendenz, Ersatzstrategien anzuwenden. Die Wortfindungsstörungen gelingt ihnen beim Schreiben besser zu kompensieren als beim Reden (da ihnen beim Schreiben mehr Zeit zur Verfügung steht).
Zusammenfassung:
die beschriebenen vier Symptome sind auch für Laien erkennbar:
bei der globalen Aphasie sind alle Modalitäten schwer gestört
für die Broca- Aphasie ist der Telegrammstil typisch
die Wernicke- Aphasie ist eine hektische und überschiessende Sprache
die amnestische Aphasie durch die reine Wortfindungsstörung
APHASIEN BEI MEHRSPRACHIGEN
Sie betreffen fast immer alle Sprachen, die der Aphasiker vorher beherrscht hat. Die Muttersprache bzw. die Sprache, die am geläufigsten gesprochen wurde, wird meistens leichter zurückgewonnen als später erworbene Sprachen, selbst wenn sie gut beherrscht wurden. Es ist daher sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, Aphasiker, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, auf deutsch zu therapieren.
Interessant ist der Effekt, dass durch die Therapie einer Sprache (meistens der Muttersprache) eine andere Sprache, sozusagen unter der Oberfläche, indirekt mitbehandelt wird. Dieser Effekt scheint sich häufiger zu ergeben.
Beispiel:
Frau E. hatte Englisch als Muttersprache. Sie lebte seit einer Reihe von Jahren in Deutschland und hatte fließend Deutsch gesprochen, bevor sie eine schwere Broca. Aphasie bekam. Wir versuchten zuerst die Therapie auf Deutsch, was jedoch überhaupt nicht gelang. also stieg ich auf Englisch um und merkte sofort, dass sie in dieser Sprache viel besser reagierte. Eine lange zeit sprachen wir nun Englisch. Dann stellte sich eines Tages heraus, dass sich auch ihr Deutsch gebessert hatte, allerdings, weniger als ihr Englisch. Es dauerte aber noch eine geraume Weile, bis sie bereit war, in der Therapie auf Deutsch umzuschalten.13
Auf diesen unterschwelligen Mit-Therapie-Effekt kann man sich allerdings nicht verlassen. Es hat auch schon Fälle gegeben, in denen die zuerst wieder erworbene Sprache sich erneut verschlechterte, wenn eine zweite Sprache wieder erlernt wurde. Manchmal stören sich die verschiedenen Sprachen gegenseitig. Ein Satz wird- unbeabsichtigt - in einer Sprache begonnen und in einer anderen Sprache fortgesetzt, oder Wörter aus eine Sprache tauchen in den Sätzen einer anderen auf. Dieser unvermutete und nicht beherrschbar Wechsel von einer Sprache in die andere ist für den Aphasiker irritierend, denn normalerweise können wir uns für den Gebrauch einer Sprache bewußt entscheiden.
HINWEISE FÜR DEN UMGANG MIT APHASIKERN
Das ohnehin schon stark angeschlagene Selbstwertgefühl des Aphasikers sollte nicht verletzt werden. Selbst erfahrene Therapeuten sind vor diesem Fehler nicht sicher; auch bei ihnen kommt es vor, dass das Gespräch über den Kopf des Patienten hinweg nur mit der Begleitperson geführt wird und der Aphasiker nicht einmal begrüßt wird.
Aphasiker sollten immer, so gut es eben geht, in das Gespräch einbezogen werden; so es möglich ist, ihn selbst für sich sprechen zu lassen.
Die vom Aphasiker geäußerten verstümmelten Wörter und Sätze erzeugen im Zuhörer gerne so etwas wie Panik, er trachtet deshalb sich schnellstens wieder zurückzuziehen. Der Zuhörer muß daher seinen Verstehensapparat auf “Aphasisch” - wie auf eine Fremdsprache adaptieren. Das gelingt allerdings nicht von heute auf morgen, außerdem sind Sensibilität, Aufmerksamkeit und Wissen gefordert. Je mehr wir über den Aphasiker und seine Störung wissen, um so besser können wir uns in seine Welt einfühlen und Verständnis für seine Lage entwickeln.
Beim Aphasiker gilt besonders: zuhören bedeutet warten.
Er ist immer unter Zeitdruck. Während er versucht, Laute zu sortieren, Wörter zu finden, Sätze zu konstruieren, gerät er in Verzug. Der Zuhörer muß sich daher auch auf ein neues Zeitmuster einstellen. Er muß lernen, überlange Pausen in absoluter Stille durchzustehen, mit seinen “Hms” und “JaJas” später einzusetzen und über unverständliche Passagen hinweg in Geduld abzuwarten, dass sich der Sinn der Äußerung ergibt.
Der Aphasiker sollte nicht ständig “hilfreich” unterbrochen werden, auch sollte nicht an seinem Verstand gezweifelt werden, wenn er das zu ihm Gesagte ständig mitspricht.
Das, was der Gesprächspartner mit den Ohren hört, genügt für das Verstehen nicht immer. Es gilt auch, mit dem Herzen zu hören. Man muß durch die Sprache hindurch hören, die Möglichkeit nutzen, aus Situation und Intonation den Sinn zu erraten.
Man muß lernen, seine Wünsche an den Augen, an der Stimme abzulesen. Ein falsches Wort zu überhören und überlegen: “Was kann er mit diesem Wort meinen?”. Fehler nicht ständig verbessern.
Unglücklich fühlt sich der Betroffenem, wenn man ihn zum Nachsprechen auffordert; außerdem Nachsprechübungen können Sprachstörungen nicht beheben, also nicht auf sprachliche Äußerungen bestehen, auch nichtsprachliche akzeptieren.
Anstrengende Konzentration hilft ebenso nicht.- auch nicht bei Normalsprachlichen, wie wir alle schon erfahren haben. Schlüsselsatz: “Vielleicht kannst du es später sagen.”
Bei Wort- oder Satzwiederholungen, die für den Aphasiker so quälend sein können wie Schluckauf, ist eine der wenigen Situationen, bei denen man ihn zur Ablenkung unterbrechen darf.
Nicht aufgeben: Aphasiker selbst neigen dazu, schnell aufzugeben; er wird ja oft nicht verstanden. Der Alltag des Patienten ist voller Mißverständnisse, die im Laufe der Zeit zu Resignation und Depression führen, was ihn zurückwirft: sprachlich, psychisch oder sogar physisch.
Schlüsselsatz:” Wir werden es herausfinden, fang noch einmal an.”
Damit mich der Aphasiker besser versteht:
- Hintergrundgespräche stören das Verstehen. Bei Zwiegesprächen versteht er mich leichter als bei Gruppengesprächen.
- Neben Tonfall, Mimik und Körpersprache, Schrift und Bilder einsetzten
- Ruhig, nicht schnell, aber deutlich und in normaler Lautstärke sprechen.
- Bei Nichtverstehen eine andere Formulierung wählen
- nach kürzeren Abschnitten (Satzteilen, Sätzen) Pausen einlegen
- Ja/ Nein Fragen stellen (Offene Fragen und Alternativfragen sind oft schwer)
Literaturnachweis
Poeck K., Neurologie, 8. erweiterte und überarbeitete Auflage, Springer Verlag 1992
[...]
1 Luise Lutz, Das Schweigen verstehen, Springer Verlag, 1996, bildet die Grundlage unserer Arbeit; wir haben daher auf spezielle Hinweise verzichtet; unter Anführungszeichen gesetzte Passagen wurden jedoch markiert. Bei den anderen Werken haben wir sowohl auf entnommene Stellen hingewiesen als auch bei Zitaten Anführungszeichen gesetzt.
2 -Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 32
3 Wolfgang Hartje, Klaus Poeck: klinische Neuropsychologie, Thieme Verlag, 3. neubearbeitete Auflage, Seite 85
4 Wolfgang Hartje, Klaus Poeck: klinische Neuropsychologie, Thieme Verlag, 3. neubearbeitete Auflage, Seite 88
5 Müller
6 Wolfgang Hantje, Klaus Poeck: Neuropsychologie, Seite 107
7 Wolfgang Hantje, Klaus Poeck: Neuropsychologie, Seite 124
8 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 39
9 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 40
10 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 42
11 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 43
12 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 46
13 Luise Lutz, Das Schwiegen verstehen, Springer Verlag 1996, Seite 48f
- Citar trabajo
- Gisela Walter (Autor), 2001, Aphasie. Ursache, Häufigkeit und erste Untersuchung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99751
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