Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung: Das Familienmodell
1.Emilia Galotti(1772)
1.1 Der Vater: Odoardo
1.2 Die Mutter: Claudia
1.3 Die Tochter: Emilia
1.4 Der Schwiegersohn: Appiani
1.5 Die Familie Galotti
2.Kabale und Liebe(1784)
2.1 Der Vater: Miller
2.2 Die Mutter: Millerin
2.3 Die Tochter: Luise
2.4 Die Familie
3.Maria Magdalena(1844)
3.1 Der Vater: Meister Anton
3.2 Die Mutter: Antons Frau
3.3 Die Tochter: Klara
3.4 Der Sohn: Karl
3.5 Die Familie
4. Schemata ?
4.1 Vaterbilder
4.2 Mutterbilder
4.3 Tochterbilder
4.4 Familienbilder
5. Bibliographie
0. Einleitung: Das Familienmodell
Familien aus der Zeit der zu behandelnden DramenEmilia Galotti, Kabale und LiebeundMaria Magdalenasind natürlich keinesfalls homogene Gruppen; im Vergleich untereinander und über diese gewaltige Zeitspanne, die durch die Dramen eingeschlossen wird, hinweg ergeben sich durchaus gravierende Unterschiede.1 Trotzdem soll hier als Einleitung und Hinführung zum eigentlichen Thema versucht werden, „die Familie“ des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts grundlegend zu beschreiben und charakterisieren.
Eine erste Unterscheidung ist die in „Großfamilie“ und „Klein-“ oder (oft auch in anderem Zusammenhang) „Kernfamilie“. Die Großfamilie umfasst mehr als zwei Generationen unter einem Dach, bei der Kernfamile sind es (höchstens) zwei.2 In den Kernfamilien bilden zwei Generationen und zwei Geschlechter zusammen eine Lebensgemeinschaft. Sie (wie auch alle anderen Formen von „Familie“) sind ein soziales Gebilde, das sich auf Gottes- und Naturrecht stützt: eine Zweckgemeinschaft mit genau festgelegten Aufgaben derökonomie, Produktion und Reproduktion. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich alle individuellen Wünsche und Neigungen dem „Hausinteresse“ beugen mussten. Die Partnerwahl war demzufolge meist nicht an Liebe und Gefühlen, sondern an wirtschaftlich-materiellen Zielen orientiert und meist von den Eltern diktiert.3
An oberster Stelle der Familienhierarchie stand der Hausvater, das „Haupt der Familie“. Ihm waren alle häuslichen Geschäfte und Entscheidungen untergeordnet. Innerhäusliche Geschäfte leitete allerdings die Hausmutter, die somit an Haushalt und Kinder gebunden war. Trotz dieser Funktion und Stellung ist sie aber dem Mann untergeordnet: Ihr kommt eine weitgehend passive Rolle zu.4 Doch auch sie repräsentiert die von Vater und Gatten tradierten und vorgegebenen Wertesysteme und Erziehungsziele: Gehorsam, Tugend, Treue und Frömmigkeit. Somit standen beide Elternteile als Vorbilder für ihre Kinder.
In dieser Arbeit sollen die Familien im Bürgerlichen Trauerspiel genauer untersucht werden. Die drei Dramen, die dafür als Grundlage dienen, sind: Gotthold Ephraim Lessing,Emilia Galotti, Friedrich Schiller,Kabale und Liebeund Friedrich Hebbel,Maria Magdalena.In allen drei Dramen handelt es sich um sogenannte „Kernfamilien“.5 Sie bestehen aus einem Vater (Odoardo, Miller, Meister Anton), einer Mutter (inEmilia Galotti: Claudia, inKabale und LiebeundMaria Magdalenalediglich als „Dessen Frau“ bzw. „Seine Frau“ gekennzeichnet), und einer Tochter (Emi- lia, Luise, Klara). Allein im viel später erschienen Hebbel-Drama wird die Familie um einen Sohn (Karl) erweitert.6 Dazu kommen noch die - mal mehr (Appiani inEmilia Galotti), mal weniger (Ka-bale und Liebe, Maria Magdalena) in die Familie integrierten - Schwiegersöhne in spe bzw. die Männer, die sich für die Töchter interessieren.
Es kristallisiert sich also bereits hier eine relativ strenge Grundstruktur der familialen Bindun- gen heraus: Ein komplettes Elternpaar mittleren Alters mit einer Tochter, die am Beginn des Erwach- senenalters steht, mit eventuellen Erweiterungen (v.a. als Sohn) oder Kürzungen (v.a. Fehlen der Mutter).7
Es soll etwas genauer auf Emilia Galottieingegangen, und das nicht nur, weil es in der Chronologie der drei Werke am Anfang steht, sondern auch aus dem Grund, weil es oft als „typi- sches“ und vorbildhaftes bürgerliches Trauerspiel gesehen wird. Die beiden anderen Werke werden dann eher knapp umrissen und den Ergebnissen aus dieser ersten Untersuchung gegenübergestellt.
1)Emilia Galotti (1772)
Das Trauerspiel spielt zur Zeit der Renaissance in einem Fürstentum in Italien. Es wird jedoch nicht zweifellos klar, warum Lessing sein Stück nicht in seineörtliche und zeitliche Umgebung schreibt. Lessing hat dieses Werk 1757 begonnen, aber erst 1772 fertiggestellt. Näher untersucht werden soll hier die Familie Galotti. Zu ihr gehören der Vater Odoardo, die Mutter Claudia, die Tochter und einziges Kind Emilia und deren Verlobter und zukünftiger Ehemann, Graf Appiani, der Schwiegersohn der Galottis.
1.1 Der Vater: Odoardo
Fakten werden über Odoardo nicht viele bekanntgegeben. Wir wissen weder, wie alt er ist noch wie vermögend. Was jedoch am auffälligsten ist: Es steht völlig offen, ob Odoardo und seine Familie Galotti begüterte Bürger oder niedrige Adlige sind. Oberst konnte man als Bürger so gut wie als Adliger werden - es mutet wie eine absichtliche Nichtfestlegung an, dass Lessing nur den militäri- schen, nicht aber den gesellschaftlichen Rang angibt. Der soziale Abstand zum Grafengeschlecht der Appiani ist jedenfalls beträchtlich. Appianis Verbindung mit Emilia, „ohne Vermögen und Rang“, wird in Standeskreisen als „Missbündnis“ angesehen (vgl. I, 6). Andererseits aber spricht der Prinz vom „Geschlecht“ der Galotti (I, 6), wird Claudia als „Gnädige Frau“ bezeichnet (II, 8+9), was nor- malerweise Adligen vorbehalten war.8
Welcher Abstammung er auch immer sei, in erster Linie und in jedem Fall ist Odoardo ein tugendhafter, besorgter Vater, und bei näherem Betrachten charakterisiert er einen wohl typischen bürgerlichen Menschen, charakterisiert und determiniert einzig durch ethische Kategorien und durch einen ethischen Rigorismus (vgl. v. a. II 2). Das abstractum Familienehre hat schließlich eine solche Gewalt über ihn, dass er die Familie selbst am Schluss gänzlich vernichtet: Er tötet die Tochter im Namen zu unmenschlichen Normen erstarrter Grundsätze.
Odoardo ist schroff gegen den Hof eingestellt. Was er jedoch dem Hof mit seinen vielfältigen Abhängigkeiten entgegensetzt, ist nichts als seine selbständige Existenz als Staatsbürger. Nicht Ar- beit, Verdienst, Fähigkeit oder Position (als Oberst ist er längst nicht mehr aktiv), sondern einzig den Eigensinn des auf seine Unversehrtheit bedachten Individuums hält er gegen den drohenden Zugriff des Prinzen aufrecht.9
Mit seiner Frau hat Odoardo nur am Rande zu tun: die Wiedersehensfreude (II, 2) wird bald zugunsten von Vorwürfen und der Fortsetzung eines seit langem geführten Ehestreits über die Vorzüge des Landes vor der Stadt vernachlässigt. Claudia scheint dergleichen allerdings gewöhnt zu sein: Sie ist ständig auf der Hut vor seinem Zorn.10
Zu Emilia hat Odoardo ein intensiveres, doch auch kein allzu herzliches Verhältnis. Nach aussen hin ist er besorgt um sie, ihren Anstand und ihre Ehre, was aber eher als ein generelles Misstrauen gegen sie zu deuten ist. Grund dafür aber ist wohl vordergründig die Angst, als Konsequenz eines Ehrverlustes seiner Tochter selbst an Reputation und Ehre zu verlieren.
Das Verhältnis Odoardos zu seiner Familie ist also ebenso fragwürdig wie bemerkenswert: Zum einen enthält es das Bild des sorgenden, verzeihenden, liebenden Vaters. Dem steht allerdings ein strenges Ordnungsdenken, bestimmt durch Gerechtigkeit und Strafe, gegenüber. Diese Dualität des liebenden-strafenden Vaters, „ideale Verbindung“ zwischen „Herrschaft“ und „Zärtlichkeit“, wird dieses Drama (und auch andere) weitgehend beeinflussen.11
Odoardo nimmt die Funktion der Versorgung, der Führung und des Schutzes seiner Frau und Tochter ein. Er ist sich dieser Stellung durchaus bewusst, obwohl er seinen Pflichten nur wenig gerecht wird. Er hält sich fern, kreist aber in seinen Gedanken wie in seinen ungeduldigen Schritten um nichts als die Familie. Er hat sich in Abstand von ihr postiert, aber nicht zu weit weg - er ist ganz und gar Wächter, Tugendwächter. Er „sprengt“ herein und will sogleich wieder weg (II, 1-2). Er will nur „sehen“, beaufsichtigen, überwachen, dem Wortlaut nach die Hochzeitsvorbereitungen, in Wirk- lichkeit seine Frau und natürlich Emilia. Es ist wohl nichts ist so geeignet, Frauen und Kinder unmün- dig zu halten wie ein ständig lauernder Argwohn. Weil er ihnen alles zum Schlimmsten auslegt, halten seine Lieben möglichst alles, und gerade das Schlimmste, Bedrohlichste, vor ihm geheim.12
Fast schon als Ironie zu deuten ist demnach Odoardos kopf- und zielloses Verhalten im Lustschloss, als er sich vom Prinzen (aber auch von Marinelli) dermaßen einschüchtern und verwirren lässt, dass er ohne Verstand und Beherrschung durch die Szenen stolpert und einmal einfach gehen, einmal den Prinzen und einmal seine Tochter ermorden will. Angedeutet wird all dies bereits in früheren Szenen, vor allem in der grundlegenden Frage „Was will ich?“ (V, 4).13
1.2 Die Mutter: Claudia
Die Mutter dominiert im häuslichen Leben. Da sie die meiste Zeit mit Emilia verbringt (Odoardo wohnt ja meist auf dem Land), hat sie auf ihre Tochter einen auffällig starken, ja einen schlechterdings beherrschenden Einfluss. Nicht nur Trost und Worte braucht Emilia von ihr; sie unterwirft sich ihr auch, mit wenig Widerrede („ich habe keinen Willen gegen den Ihrigen“, II, 6). So wohlbehütet sie aufwächst, so schlecht beraten ist sie dabei.14
Insgesamt gesehen verkörpert Claudia eine „Mittlerfunktion zwischen der Welt ihres Mannes und der von ihm als korrupt und lasterhaft befundenen Realität des höfisch-städtischen Lebens.“15 Sie versucht, ihre Wahl für Stadt und Hof rechtzufertigen und für Odoardo verständlich zu machen. Dies ist insoweit mehr als verständlich, sieht sie doch „ihre eigene Existenz als eine auf dem Land verblühende Frau (...) auch auf ihre Tochter zukommen“16
1.3 Die Tochter: Emilia
Emilia wird - noch vor ihrem ersten Auftritt - als Vorbild und Ideal hingestellt: Der Prinz sieht in ihr die Frau und bezeichnet sie als Schönheit und Engel. Ihre Eltern hingegen sehen in ihr das Kind, das fest von den elterlichen Wertsetzungen und Perspektiven umschlossen lebt, ein Kind, dasinihrer Familie undfürihre Familie lebt.
Doch wie sieht diese Leben für die Familie aus? Emilia ist ein zweifaches Opfer: Sie kann im höfischen Raum nicht existieren, denn sowohl ihr Vater als auch Appiani sprechen sich eindeutig für ein Leben auf dem Lande aus, ziehen die vermeintlich heile Welt dem Trubel und Laster am Hofe vor.17 Der ethischen Distanzierung vom Hof entspricht der Rückzug in die väterlichen Täler Piemonts und die Heirat mit Appiani. Doch eben diese Beziehung zu Appiani ist auch nicht sonderlich positiv dargestellt. Es mag vielleicht eine Art Vorahnung sein, doch indem Appiani am Tag seiner Hochzeit „ernst“ und „feierlich“ das Haus der Verlobten betritt (II, 7), blockiert er Emilias (im Drama: einzigen Moment von) Spontaneität, Heiterkeit und Natürlichkeit. Ob Emilia jemals mit ihm glücklich war oder geworden wäre, ist fraglich - und somit ihre geasmte Existenz im privaten Bereich.18
Indem Odoardo weiss, er möchte lieber von keiner als von einer lasterhaften Tochter geliebt werden, ist die logische Konsequenz eigentlich schon vorgegeben: Emilia zieht den Tod jeglichem moralischen Risiko vor, um ihrer Familie nicht noch mehr Schande zu bereiten.19 Oder, wie Sanna, S. 22, es ausdrückt: „Emilias Freitod (...) ist für Lessing eine folgerichtige Handlung, aber keine positive Tat: Er ist ein Zeichen der Mittellosigkeit des Bürgers, sich in der Wirklichkeit zu behaupten und Zeichen seiner bedauerlichen Bereitwilligkeit zum Weihopfer.
1.4 Der Schwiegersohn: Appiani
Der Graf Appiani, Emilias Verlobter, wird als schön, reich, ehrenhaft, würdig, empfindsam, aufrichtig und standhaft bezeichnet, erscheint allerdings wohl als eher langweilige Figur: In seinen we- nigen Auftritten wandelt er meist intentionslos umher. Er wird als (eher melancholisches) Pendant des (eher stoischen) Odoardo Galotti dargestellt, ein um eine Generation jüngerer und faderer „Ab- klatsch“. So bezeichnet er Odoardo beispielsweise als „Muster aller männlichen Tugend“. Obwohl ein Vertreter des Adels, hat Appiani die bürgerliche Weltanschauung, vor allem die, die sein Schwie- gervater Odoardo ihm vorlebt, völlig verinnerlicht.20 Doch was ist diese Tugend? Allem voran, die Flucht vor dem Trubel der Stadt in die „sündenfreie Abgeschiedenheit“21. In seinen besten Jahren agiert und reagiert Appiani wie ein Frührentner. Er ist bis auf wenige Ausnahmen (als er beispielswei- se den Auftrag des Prinzen ablehnt) extrem passiv22. Nach seiner Ermordung ist er unvergessen, aber auch wenig beweint; er bleibt ungerächt.
1.5 Die Familie Galotti
„Emilia Galotti“ ist das einzige von Lessings 12 Dramen, in dem er eine komplette Familie vorstellt. Väter mit ihren Kindern kommen bei ihm häufig und zumeist an zentraler Stelle vor. Emilias Mutter ist jedoch die große Seltenheit, ist sie doch die einzige Mutterfigur aus Lessings Feder. Die Familie als Raum und als Vorstellungsraum, als Bezugspunkt der Gedanken und Emotionen ist deshalb auch in diesem Trauerspiel besonders intensiv ausgestaltet.23
Die Familie Galotti, die Privatfiguren des Trauerspiels also, sind stets auf ihre Autarkie be- dacht und in ihrem Auftreten ganz bürgerlich gezeichnet. Sie stehen (in unterschiedlichen Ausrichtun- gen) in einer moralischen Opposition gegen den Hof. Der Hof nämlich wird als Raum für Egoismus und Laster gesehen. Dem gegenüber verspricht sich vor allem Odoardo durch seinen eigenen Rück- zug und den (geplanten) der ganzen Familie in den Privatbereich des Landes ein mehr an moralisch positiven Werten, allem voran Tugend, Rechtschaffenheit, Freiheit (auch vom Hof!), Freundschaft (mit Appiani) und natürlich Liebe und ein gutes Miteinander in der Familie.24 Doch dieser „Rück- zug“25 ist viel eher ein erst ungeduldiger, später panischer Drang weg von der Gesellschaft. Er ist nur zu begründet, wie der Gang des Stückes zeigt. Er führt aber nicht zu dem nur angedeuteten, nie vor Augen gestellten, nie mit Energie gewollten Glück.26 Intakt nämlich war und ist diese Familie nicht, nicht einmal äusserlich. Die Gatten leben getrennt. Der Vater wirft der Mutter vor, dass sie mit ihrer Tochter sein Landgut verlassen hat. Vor den Frauen (und wohl auch den Zuschauern) erscheint die Schuldfrage umgekehrt: Odoardo hält sich fern von seiner Familie. Er lebt für sich, während sein Stadthaus von wirklichem Familienleben erfüllt ist.27
Natürlich greift die hier oft vernommene Vereinfachung „Adel / Hof = Laster; Bürgertum = Tugend“ viel zu kurz. Generell gesehen kann man Hof und Hofadel unter der Bezeichnung „öffentliches Leben“ zusammenfassen, also durch Begriffe wie Macht und Politik, Glanz der höfischen Welt, aber auch Bildung und Erziehung. Der Ort des Hofes ist verständlicherweise die Stadt. Dem gegenüber spiegelt das Land, der Zufluchtsort Odoardos, traditionell das Bürgertum wider. Seine Funktion ist die Darstellung des bürgerlichen, privaten Lebens, der Familie. So gesehen greift der Antagonismus Hof vs. Bürgertum nicht eng genug, sondern schließt die konfliktträchtigen Unterscheidungen Stadt vs. Land undöffentliches vs. privates Leben mit ein.
2.Kabale und Liebe(1784)
2.1 Der Vater: Miller
Miller lässt sich, wie schon Odoardo im Beispiel zuvor, mit dem Dualismus „Autorität und Liebe“ charakterisieren: Einerseits ist er schroffer Ehemann (vor allem in I, 1-2), andererseits aber wird er als (sogar „zu abgöttisch“, vgl. V, 1) liebender Vater dargestellt. Er ist nicht nur das Oberhaupt der Familie, sondern auch der absolute „Herr im Haus“ und lässt dies jeden spüren - sogar den Präsidenten, den „ungehobelten Gast“, den er in II, 6 vor die Tür setzen will. Millers Ideale sind denen von Odoardo ähnlich, aber wohl noch eine Stufe rudimentärer: Werte wie Aufrichtigkeit, Glaube, Bescheidenheit, Zufriedenheit sind ihm äusserst wichtig.
2.2 Die Mutter: Millerin
Die Mutter ist das wohl extremste Beispiel für einen Vertreter des Bürgertums: Sie ist einfältig und dumm, zudem stolz und oberflächlich. In ihrer Einfalt hofft sie auf das Unmögliche: eine Verbindung ihrer Tochter mit Ferdinand.28
2.3 Die Tochter: Luise
Luise ist ein aufrichtiges, ehrliches und frommes 16jähriges Mädchen. Als Tochter ist sie lie- bend und pflichtbewusst - extrem positive Charakterzüge, die ihr ein gutes und glückliches Leben ermöglichen sollten. Doch ähnlich wie Emilia Galotti steht Luise vor einem unlösbaren inneren Konflikt: Sie steht zwischen ihrem Vater, der sie liebt und den sie nicht verletzen will, und ihrer Liebe zu Ferdinand, die als ernsthafte Verbindung völlig irreal ist, da sie die Grenzen zum Hof nicht überschreiten kann - auch wenn Ferdinand dies in bester Sturm-und-Drang-Manier durchsetzen will. Sie steht also zwischen den zwei Welten Bürgertum und Hof, kann aber in der einen Welt nicht bleiben und in die andere nicht eindringen. Als (in ihren Augen) logische Konsequenz und einziger Ausweg dieser aussichtslosen Lage bleibt der „dritte Ort“, der Tod.
Luises Charakter und Einstellung gemäss geht auch Wurms Plan auf: Sie kann den Eid, den sie geschworen hat, nicht brechen (vgl. den Dialog zwischen dem Präsidenten und Wurm: „Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?“ - „Nichts beiuns, gnädiger Herr. BeidieserMenschenart alles.“; III,1). Lieber geht sie selbst daran zugrunde, als sich „vor Gott“ derart zu versündigen.
Ihr „Handeln“ ist eigentlich kein Handeln: Passiv lässt sie sich treiben, will einmal mit Ferdinand fliehen, sich immer wieder in größter Todessehnsucht29 selbst umbringen, und akzeptiert alles, was um sie herum geschieht, als gegeben und unveränderbar. Selbst ihren Tod erleidet sie passiv: Sie wird ohne ihr Wissen vergiftet. Doch nutzt sie - endlich - diese Gelegenheit, den erzwungenen Eid zu brechen und dem mit ihr sterbenden Ferdinand die Intrigen aufzudecken.
2.4 Die Familie
InKabale und Liebewird - im Gegensatz zuEmilia Galotti- eine extrem kleinbürgerliche Familie dargestellt. Der Kontrast ist folglich größer, die Konfrontation Hof vs. Bürgertum wird dadurch noch mehr akzentuiert.30 Geführt wird die Familie allein von Miller, der als Gatte und Vater keinen Widerspruch duldet. Sowohl Gattin als auch Tochter akzeptieren seine Rolle, haben sogar seine Werte und Anschauungen weitgehend bedenken- und kritklos verinnerlicht.
3.Maria Magdalena(1844)
3.1 Der Vater: Meister Anton
Meister Anton ist erneut ein typischer Vertreter der Vater-Rolle: Er zeichnet sich - wie die Väter zuvor - aus durch die Verknüpfung von strenger Autorität und empfindsamer Zärtlichkeit. Schon von Anfang an wird Meister Antons Einstellung und Auffassung von Ehre und Schuld aufge- zeigt. Er repräsentiert ein bürgerliches Normensystem, das vor allem auf bürgerliche Tugenden, Ehre und Fleiss basiert. Diese eigentlich als positiv zu bewertende moralische Gesinnung wird ihm dennoch zum Verhängnis: Sein Normensystem ist zu extrem, er ist zu fixiert an diesem System. So bleibt ihm die Möglichkeit zur Selbstreflexion verwehrt. Da sein Handeln auf starre Konzepte von Schuld und Schande basiert (vor allem beim vorschnellen Verdacht gegen seinen Sohn; Klaras Selbstmord als logische Konsequenz), ergeben sich keine flexiblen Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten. So bricht - unter der Last der Einflüsse von aussen - sein weltliches Normenverständnis letztendlich zusammen. Als Folge seiner engstirnigen Absolutsetzung des Normensystems bürgerlicher Moral bleibt Meister Anton nur noch die abschließende Feststellung: „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“ (III, 11).
3.2 Die Mutter: Antons Frau
Bereits im ersten Akt (I, 7) stirbt die Mutter. Trotzdem bleibt genügend Zeit, ihre Figur ein- zuführen, ihren Charakter vorzustellen. Vor allem Ihre Lebensregeln werden aufgezeigt: Vor allem Glaube, Tugend und Güte sind in ihren Augen die Basis für ein zufriedenes, gottesfürchtiges Leben.
3.3 Die Tochter: Klara
Klara, Tochter des Tischlermeisters, wurde vom Kassier Leonhard geschwängert und die Ehe versprochen - ein Versprechen, das dieser jedoch schnell zurückzieht, als ihr Bruder Karl in den Verdacht gerät, ein Dieb zu sein. Mit der „Schande“ eines unehelichen Kindes ist sie eine Gefangene in der Welt bürgerlicher Konventionen. Als dramatischer Konflikt bleibt ihr die einzige, unausweichliche Entscheidung zwischen „Vatermord“ oder Selbstmord.31
Am Geschehen selbst, wie auch an Ausgang oder Lösung, kann sie ansonsten aufgrund der dargestellten engen und strengen Konventions- und Normenwelt keinen Einfluss nehmen. Selbst im Tod akzeptiert sie diese Normen: Sie will ihren Vater vor erneuter Schande bewahren und ihren Selbstmord als Unfall inszenieren.
3.4 Der Sohn: Karl
Karl, der Sohn von Meister Anton, ist die einzige Sohn-Figur in den drei hier behandelten Dramen. Es ist also unmöglich, ihn und seine Rolle und Funktion zu vergleichen. Im StückMaria Magdalenawird ihm eine tragende Rolle zuteil: Er „ist schuld“ an den Vor-fällen, die seine Mutter töten und Klaras Lage prekär und schließlich aussichtslos machen. Von Schuld kann natürlich keine Rede sein, doch wird an Karls Beispiel zweierlei deutlich: Zum einen gibt es - theoretisch - die Möglichkeit eines Ausbruchs aus dem engen bürgerlichen Normensystems (hier zumindest im Ansatz erkennbar), und zum anderen ist dieser Ausbruch aber nur insoweit durchführ-bar, wie es die Umstände erlauben. Durch Karls Versuch einer eher dialektischen Beurteilung des eigenen Normensystems - wie auch das der Familie - wird er schnell und deutlich als Aussenseiter ausgegrenzt: In der Familie ist er nicht richtig integriert, man traut ihm sogar Verbrechen zu. In diesem generell fixierten Normen- und Wertesystem ist Karl als einzelner „Quertreiber“ machtlos. Ihm bleibt nur die Flucht.
3.6 Die Familie
Die hier vorgestellte Familie ist den vorangegangenen sehr ähnlich - mit dem Unterschied, daß alle Lasten und Zwänge von Norm und Konvention noch stärker auf ihnen bürden. Die Lage ist weitaus einfacher gestrickt, um nicht zu sagen eindimensionaler. Nach außen hin eine bürgerliche Vorzeigefamilie, gerät schnell alles aus den Fugen. Klara verstößt gegen das familiale Wertsystem und fällt so aus ihrer ihr zugeschriebenen Rolle. Die Familienharmonie ist somit gestört, der Stören- fried muß bestraft werden. Klara erledigt das selbst, indem sie sich in einen Brunnen stürzt.
Hier zeigt sich, „wie konfliktbeladen, unharmonisch und im Kern erkrankt auch die sich von der Aussenwelt abschirmende, rein auf ihre Werte konzentrierende (...) Kleinfamilie sein kann.“32
4.Schemata ?
Nach der Untersuchung von oben stellt sich die Frage, ob es innerhalb dieser drei Dramen möglicherweise Übereinstimmungen oder Überschneidungen, ja sogar grundsätzliche Schemata gibt, und welcher Art sie sind.
4.1 Vaterbilder
Der Vater wird in allen drei Dramen als liebevoll und beinahe zärtlich dargestellt, er vertritt aber auch eine strenge Härte, wenn sie vonnöten ist33. Dies ist sie in seinen Augen immer dann, wenn seine grundlegendsten Werte in Gefahr geraten. So wirft Miller beispielsweise den Präsidenten aus seinem Haus, als dieser Luise unter anderem als Hure bezeichnet, Odoardo wiederum ersticht seine Emilia, um sie vor dem Prinzen zu „retten“.
Eine eigene Diskussion fordert sicher die Parallelisierung der Vaterfigur mit einer anderen: Zur Zeit dieser Dramen wurde der Begriff „Landesvater“ als Bezeichnung für den Fürsten des Lan- des mehr und mehr publik.34 Der Mikrokosmos „Familie“ also als Pendant des Makrokosmos „Staat“? Eine Art Landesvaterideologie war in der Aufklärung stark vertreten: Die Familie mit ihrem ihr eigenem Wertesystem sollte zum Vorbild gemacht werden für die politischen Verhältnisse.35 Soll- ten also die Dramen dieser Zeit nicht nur familiale, sondern auch politische Stellung beziehen, nicht nur auf intim-persönliche, sondern auch auföffentliche Missstände hinweisen? Setzt man den Vater gleich mit dem Landesvater, projiziert man die private Sphäre der Familie auf dieöffentlich-politische Sphäre des Staates, mag es durchaus so erscheinen. Davon ausgehend sind wohl Bürgerliche Trau- erspiele dieser Zeit ganz und gar nicht nur „bürgerlich“, sondern auch und vielmehr als offene Kritik an Hof und Adel zu verstehen.
4.2 Mutterbilder
Die Figur der Mutter muss eine wesentliche Reduzierung ihrer Rolle und Funktion hinnehmen: Sie ist lediglich eine Person, die - traditionell an das Haus und den darin implizierten Tätigkeitsbereich gebunden - ohne allzu große Autorität über die Familie selbst noch ihres ureigensten Bereiches, der Erziehung der Kinder, beraubt wird. Das familiale Leben ist nicht durch die mütterliche, sondern fast ausschließlich (evtl. Ausnahme: Claudia Galotti) durch die väterliche Autorität bestimmt. So bleiben die Mütter relativ blasse Figuren - auch wenn sie oft die Tragödie erst ins Rollen bringen: Beispiels- weise gibt Claudia Emilia falsche Ratschläge, und die Millerin erzählt Wurm voller Stolz von der Liebesbeziehung zwischen ihrer Tochter und dem Sohn des Präsidenten.
4.3 Tochterbilder
Schon die Titel der drei untersuchten Dramen, so unterschiedlich sie auch sind, machen die Figur der Tochter zu einer zentralen Figur36. Am deutlichsten beiEmilia Galotti,wo der Name der Tochter als Titel die Rezeption des Dramas von vornherein bestimmt, oder beiMaria Magdalena,wo eine Korrelation zwischen Klara und der Sünderin aus der Bibel gesehen werden kann (und wohl auch muss). Einzig beiKabale und Liebeist der Titel offener, nicht personenbezogen. Dies aber auch nur, nachdem Schiller seinen ursprünglichen TitelLouise Millerin(also den Namen der Tochter) aus werbetechnischen Gründen änderte (auf einen Vorschlag von A. W. Iffland hin). Es wäre also auch hier der selbe Fall wie beiEmilia Galottigewesen.
Die Töchter stehen also bereits von Beginn an im Mittelpunkt des Geschehens, im Focus der Handlung. Es geht um sie und ihre Gunst, sie werden geliebt, umworben und idealisiert.37 Doch bei näherem Hinsehen erkennt man: Diese Töchter haben eine denkbar passive Rolle. Zum einen stehen sie unter der väterlichen Doktrin: Da der Vater offensichtlich über die Familie dominiert, aber auch und viel mehr, da seine Prinzipien von Ehre, Anstand und Tugenden wohl schon verinnerlicht, reflektionslos übernommen worden sind, es also der Vaterfigur an sich eigentlich schon nicht mehr bedarf. Die von ihm geschaffenen oder weitergegebenen Normen werden als eigene und nicht von außen kommende Normen angesehen. Widerstand ist daher fast ausgeschlossen.
Was aber, wenn es nicht zu einer Verfehlung der Tochter, sondern von Seiten des Vaters kommt? Die patriachalische Herrschaft des Vaters - vor allem zur Bewahrung der Familienmoral - gibt immer wieder Anstoß zu Spannungen. Der Vater (bzw. die Eltern) gibt die moralischen Regeln und die Verbote des Lasterhaften vor, denn seine Lebenserfahrung ist zweifelsohne größer als die seiner Kinder.
Die Kinder haben nur selten eine Möglichkeit, sich selbst zu entfalten. Doch andererseits ist diese Entfaltung wohl durch den Einfluss des Vaters auch von Grund auf nicht möglich: Wer ein Le- ben lang nur kuscht und vorgefertigte Meinungen übernimmt, hat wohl selbst keine eigene Meinung. So sind die Töchter derart simpel durchstrukturiert, dass ihnen kein großer Handlungsspielraum zur
Verfügung steht.38 Alle drei Tochterfiguren sind Gefangene in ihrer Welt, innerhalb ihrer Normen und Konventionen, die ihnen ein Weiterleben in Familie und Gesellschaft unmöglich macht: So opfert Emilia ihr Leben und lässt sich vom Vater erdolchen, Luise, die erst Selbstmord begehen will, wird von ihrem Geliebten vergiftet, und Klara schließlich bringt es als einzige fertig, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.
4.4 Familienbilder
Wie bereits oben erwähnt, kann man eine Parallelisierung oder gar Gleichsetzung der Vaterfigur mit der des „Landesvaters“, also dem Fürsten des Landes nicht ausschließen und sogar annehmen. Projiziert man die private Sphäre der Familie auf dieöffentlich-politische Sphäre des Staates, kann sich auch ein sehr ähnliches Bild ergeben:
So sehr sich die bürgerlichen Wertvorstellungen von dem Lebenswandel des Adels abwandten (...), so ähnlich waren sich beide Bereiche in den Prinzipien ihrer Machtausübung. Landesfürst wie Familienvater galten beide als unumschränkte Alleinherrscher in ihrem Machtbereich. Ebenso verbanden sie die gemeinsame Vorstellung, dass die Macht des Patriarchen bzw. des absolutistischen Herrschers zu nichts anderem als zum Wohle und zur Glückseligkeit der Untergebenen diente. Besonders im aufgeklärten Absolutismus schlug sich der Gedanke des Fürsten als eines wohlmeinenden, besorgten und fürsorglichen Landesvaters, der liebevoll über sein Volk wacht, nieder. Schon der Begriff „Landesvater“ assoziiert die Verbindung des bürgerlich-familialen Wertbereichs mit dem Regierungs- und Führungsbereichs des Herrschers (...).39
Die Familie mit ihrer inneren, privaten Friedenswelt sollte als Vorbild und Ideal für den Staat dienen. Grundsätzlich ist dies begrüßenswert: Das Prinzip des bürgerlichen Normen- und Wertesys- tems ist eindeutig gutzuheissen. Probleme bereiten jedoch die übertriebene oder falsche Handhabung und die daraus resultierende strikte Verinnerlichung, ja sogar Verselbständigung dieser Werte. Ande- rerseits aber waren die Machtstrukturen der absolutistischen Gesellschaft so tief in den Familien ver- wurzelt, dass dieses nach außen hin wunderbare Ideal „Familie“ in sich selbst schon nicht lebensfähig war. Leidige Konsequenz ist die Erkenntnis, dass gegenseitige Einflussnahme und Vorbildfunktion zwischen Staat und Familie nicht funktionieren: Es ist wohl beides als eine Farce zu sehen.
5. Bibliographie
5.1 Primärliteratur
Hebbel, Friedrich: Maria Magdalena. Reclam, Stuttgart. 1986.
Lessing, Gotthold E.: Miss Sara Sampson. Reclam, Stuttgart. 1984. Schiller, Friedrich von: Kabale und Liebe. Reclam, Stuttgart. 1980.
5.2 Sekundärliteratur
Bauer, Gerhard: G. E. Lessing: „Emilia Galotti“. München. 1987
Guthke, Karl S.: Das deutsche bürgerliche Trauerspiel. Metzler, Stuttgart. 1994 Häntzschel, Günther (Hrsg.): „Alles Leben ist Raub“. München. 1992 Lorey, Chridtoph: Lessings Familienbild im Wechselbereich von Gesellschaft und Individuum. Bonn, Berlin. 1992
Lüthkehaus, Ludger: Friedrich Hebbel, „Maria Magdalena“. München. 1983 Sanna, Simonetta: Lessings „Emilia Galotti“. Tübingen. 1988
Wurst, Karin A.: Familiale Liebe ist die ‘wahre Gewalt’: Die Repräsentation der Familie in G. E. Lessings Dramatischem Werk. Amsterdam. 1988
[...]
1 Vor allem der geistesgeschichtliche und gesellschaftliche Hintergrund ist dabei, sich zu verändern: Aufklärung und Pietismus spielen ineinander; dazu kommt eine Akzentuierung des Individuums, die das Recht auf Freiheit, ein selbstgestaltetes Leben und ein Eigenleben der Seele in Anspruch nimmt (vgl. Sturm und Drang).
2 Begriffe nach Lorey, 1 Auf die Großfamilie, die in keinem der Werke vorkommt, soll hier nicht weiter eingegangen werden.
3 nach Lorey, 8 Miller allerdings scheint Wurms gute und sichere Stellung am Hof zu ignorieren und legt - ganz der zärtliche Vater - Wert auf das Gefühl seiner Tochter: Ihr wird das letzte Wort bei der Wahl des Gatten zugestanden.
4 nach Lorey, 11f
5 In den Dramen wurde bewußt auf Großfamilien oder Lebensgemeinschaften, die als „Haus“ (d.h. mit weiteren, nicht mit dem Hausherrn verwandten Personen wie Gesinde etc.) bezeichnet wurden, verzichtet. Zum einen wohl deshalb, weil diese Form des Zusammenlebens zur Entstehungszeit der Dramen mehr und mehr rückläufig war (v.a. in Städten, vgl. Lorey, 9), Hauptgrund dafür ist aber wohl die simple Forderung nach Reduzierung. Wie sonst soll (nach Aristoteles) ein einziger durchgehender Handlungsstrang ermöglicht werden, und wie soll eine verzweigte Handlung mit ständig wechselnden Charakteren les- und spielbar sein?
6 Natürlich stehen bei Kabale und Liebe der Präsident und Ferdinand in einer Vater - Sohn Beziehung, doch soll diese „Familie“ hier nicht weiter untersucht werden, da sie nicht direkt mit dem Thema dieser Arbeit zu tun hat.
7 Vergleicht man weitere bürgerliche Trauerspiele, erhält man ähnliche Ergebnisse.
8 vgl. Bauer, 11 Es ist wohl anzunehmen, daß die Galottis der unteren Adelsschicht angehören. Nach Guthke (S. 10) ist der Begriff „bürgerlich“ ohnehin mehrdeutig zu sehen: Zum einen bezeichnet er die soziologische Bedeutung, also den dritten Stand, andererseits aber schließt er auch und vielmehr den Sinn von „civilis“, also einem Mitglied eines Gemeinwesens, mit ein. Darüber hinaus kann man ihn allgemein auch als „menschlich“ interpretieren, also privat, häuslich oder familiär, im Gegensatz zum Geschichtlich-Politischen,öffentlichen oder Heroischen. Wie auch immer man den Begriff deutet, die Familie Galotti wird wohl allen dieser Interpretationen gerecht.
9 vgl. Bauer, 11
10 vgl. Bauer, 33f
11 Begriffe: Lorey, 264, nach Wittkowski (o.O.)
12 vgl. Bauer, 33, und Lorey, 195
13 “Es ist der Prinz, der das Spiel treibt, der die Rede bestimmt und das Gespräch beendet. gegen seinen Willen kann Odoardo wahrhaftig wenig anderes ausrichten als ihn völlig zu beseitigen. Doch dazu reicht es nicht, denn die einzige Autorität, die Odoardo uneingeschränkt ausüben kann, ist die Gewalt, die er als Familienvater besitzt. (...) ‘Hier unter vier Augen bin ich gleich mit ihr fertig.’ (V, 5)“ Lorey, 217
14 vgl. Bauer, 32f
15 Lorey, 203, nach Wurst
16 Lorey, 203
17 “Und aufgrund der völligen Übereinstimmung der Wertvorstellungen von Odoardo und Appiani, die sich zwei- fellos über die patriarchalische Familienordnung und die strenge, pietistisch geprägte Lebenshaltung erstreckt, wird jede Erwartung, Emilia könnte dort ein weniger streng geregeltes Leben führen, zunichte gemacht.“ Lorey, 202
18 vgl Sanna, 29, 41
19 Emilias Tod ist nur auf diese Schande zu beziehen, nicht aber auf die vorher erwähnte Rolle als Opfer. So ist ihr Tod (ihr erflehter „Selbstmord“) keine Flucht aus einem unglücklichen Leben, sondern lediglich die Angst vor der Schande.
20 Aus diesem Grund wird er auch zur „bürgerlichen“ Familie Galotti gerechnet.
21 Lorey, 199
22 Appiani ist als Gegenfigur zum ständig planenden, kühl berechnenden Marinelli zu sehen: Sein ganzes Handeln ist auf das Wohl der Familie ausgerichtet (er vernachlässigt beispielsweise Emilia zuliebe seine Stellung am Hofe), während bei Marinelli alles Tun und Streben dem „Wohl“ seines Prinzen und somit dem Hof untergeordnet ist.
23 vgl. Bauer, 32
24 “So schön und edel nun diese Lebensziele in der Deklaration klingen, so sehr sie auch in der Abwehr der fürstli- chen Übergriffe befestigt werden, in ihrer praktischen Auswirkung erweisen sie sich fast alle als fatal. Sie waren hohl, so stellt sich heraus, oder unerreichbar, sie haben sich durch innere Widersprüche gelähmt. (...) Solange wir auf die Selbstdeklarationen und die konventionellen Floskeln der einen für die anderen hören, seien sie im Vorbei- gehen geäußert oder mit großem Pathos vorgebracht, solange bewegen wir uns in einer ganz und gar heilen Welt. Da ist von gegenseitiger herzlicher Liebe, von sehr viel Achtung und von Gesinnungen die Rede, zu denen einer den anderen (...) erhebt (II, 7). Emilia und ihren Appiani hat „die Liebe zusammengebracht“, weil sie halt „füreinan- der geschaffen“ waren (II, 4) Achten wir dagegen auf ihren tatsächlichen Umgang miteinander, so gewahren wir Anzeichen von Gespanntheit, Ungeduld, Enttäuschung, Verstellung, Achtlosigkeit, ja zwischen den Ehepartnern Unleidlichkeit und einen lange aufgestauten Groll.“ Bauer, 30f
25 Es muß tatsächlich als Rückzug gesehen werden, da sich Odoardo ausschließlich auf moralische Art zur Wehr setzt und setzen kann. Er kennt kein offensives Handeln und ist somit am Hof, dem Ort des politischen Handelns, völlig fehl am Platz.
26 “Daß der Rückzug in die Familie keine Erfolgsaussichten hat, ist mit der Handlungsstruktur bereits hier deutlich vorgezeichnet. Der Hof greift in die Sphäre ein und gefährdet sie: Seine Mittel sind Gewalt, Verführung und List.“ Sanna, 29
27 vgl. Bauer, 32, 38
28 Sie ist gleichzeitig als Analog- wie auch Gegenstück zum absoluten Vertreter und Extrembeispiel des Hofs, Hof- marschall von Kalb, zu sehen: Beide ähneln sich darin, daß sie jeweils auf beinahe lächerliche Weise auf ihre (doch sehr unterschiedliche) Rolle fixiert sind. Dem „Hofmann als Farce“ wird hier also eine Farce des Bürgertums entgegengestellt.
29 Die Todessehnsucht ist schon von Beginn des Stücks offengelegt: Luise wird als schwärmerisch-gefühlvoll dargestellt, und bei ihrem ersten Auftritt trägt sie ein Buch ihres Geliebten mit sich, aus dem sie „immer draus betet.“ (I,1) - Mir drängt sich hier der Verdacht einer todesverklärenden Lektüre wie beispielsweiseRomeo und Juliaauf.
30 Dies umso mehr, indem Ferdinand, als Major und Sohn des Präsidenten eigentlich typischer Vertreter des Hofes, in seiner moralischen Gesinnung bürgerliche Ideale erkennen läßt: Er durchbricht die höfische Konvention und wird so Kontrastfigur zum Hof (evtl. vergleichbar mit Appiani).
31 “Vatermord“ insofern, da Meister Anton wohl an der Schande zugrunde gehen würde.
32 Lorey, 25
33 Der gemischte Charakter zwischen „Herrschaft und Zärtlichkeit“, wie Bengt Sørensen (o.O.) es beschreibt, wurde vorher schon mehrmals angesprochen.
34 Bei Lady Milford wurde auch ihr Einfluß als „Landesmutter“ hervorgehoben: Sie kritisiert beispielsweise den Menschenhandel nach Amerika (vgl. die historische Person von Hohenheim).
35 vgl. Wurst, 7
36 Die Töchter sind natürlich „nur“ eine von mehreren möglichen zentralen Figuren der Dramen. Wie in der Untersuchung festgestellt, kommt beispielsweise auch dem Vater eine zentrale Rolle zu.
37 Vgl. hier vor allem Kabale und Liebe: Vater Miller: „Meine Luise, mein Himmelreich“ (V, 1), oder Ferdinand: „Das Mädchen ist eine Heilige.“ (V, 8).
38 Vgl. die Frauen als Kontrastfiguren: Orsina in Emilia Galotti, Lady Milford in Kabale und Liebe, (bei Maria Magdalena: keine Frau als Kontrast, evtl. aber der Bruder Karl), die als gemischte Charaktere viel eher Freiraum für Gedanken und Handlungen haben.
39 Lorey, 21
- Arbeit zitieren
- Martin Obermüller (Autor:in), 2000, Die Familie im Bürgerlichen Trauerspiel am Beispiel Emilia Galotti (Lessing) und Maria Magdalena (Hebbel), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99729
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