INHALTSVERZEICHNIS
1. Vorwort
1.1 Methodisches Vorgehen und inhaltliche Auseinandersetzung zur Begrenzung des Themas
1.2 Zum Begriff ,,Homo faber"
2. Walter Faber als Homo Faber
2.1 Fabers Bezug zur Technik
2.2 in Bezug auf Frauen
2.3 in Bezug auf unerwartete Ereignisse und übernatürliche Einflüsse
2.4 Der Blinde
2.5 Sprache als Ausdrucksmitte
3. Fabers Wandlung
3.1 Mittelamerika- und Kubareise im Vergleich
3.2 Gefühlvolles Verhalten gegenüber Hanna und Natur
3.3 Fabers Bewusstseinstand und dessen Widerspiegelung im Buchaufbau
4. Max Frisch in der Rolle von Walter Faber
4.1 Vergleich verschiedener Eigenschaften und Erlebnisse beziehungsweise Verhaltensweisen von Max Frisch und Walter Faber
4.2 Max Frischs Stellungnahmen
Schlusswort
Literaturverzeichnis
VORWORT
Meine Facharbeit über das Thema: ,,Der Homo Faber in Max Frischs gleichnamiger Erzählung" hat den Schwerpunkt auf dem Menschenbild des Homo Faber, dass ich im folgenden unter verschiedenen Gesichtspunkten herausarbeiten möchte. Der Protagonist Walter Faber verwandelt sich im Verlauf des Geschehens vom ,,Verfertiger" zum emotionalen Menschen, der die Welt nicht mehr als nur rational erachtet.
Zuerst möchte ich ihn daher die Rolle der Technik herausarbeiten und den Homo Faber anschließend zum Beispiel in Bezug auf Frauen oder in Bezug auf unerwartete Situationen, im Zusammenhang mit Schicksal und Fügung, darstellen. Dem Motiv der Blindheit werde ich auch mit Bezug auf dasödipus-Motiv nachgehen und ebenso versuchen, die Besonderheiten des Buches (Sprache, Aufbau,...) anhand des Charakters Walter Faber zu untersuchen.
Im weiteren Verlauf der Arbeit soll ein Vergleich zweier Reisen Fabers seine Wandlung bestätigen. Als vertiefende Anschauungsmöglichkeit werde ich danach auf das hinzugekommene emotionale Verhalten durch zwei Beispiele genauer eingehen. Abschließend werde ich den Autor Max Frisch mit dem Protagonisten vergleichen. Während meiner intensiven Auseinandersetzung sowohl mit der Erzählung als auch mit Sekundärliteratur wurden Parallelen zwischen Autor und Protagonist erkennbar. Dem Ende meiner Facharbeit folgt ein Schlusswort, in dem ich meine Gedanken noch einmal kurz reflektiere und das Thema kritisch betrachte.
1.2. ZUM BEGRIFF ,,HOMO FABER"
Der Begriff ,,Homo Faber" beschreibt die Art von Mensch, der in der Lage ist, zur Naturbewältigung für sich Werkzeuge und technische Hilfsmittel herzustellen1.
Der Duden beschreibt den Homo Faber als einen ,,Verfertiger", was in gleicher Weise den ,,technischen Menschen" bezeichnet.
2. WALTER FABER ALS HOMO FABER
2.1 FABERS BEZUG ZUR TECHNIK
Walter Faber ist ein Ingenieur, der seine Arbeit liebt und sehr ernst nimmt; dies geht so weit, dass er sein gesamtes Leben als Homo Faber auslegt und den Bezug zur Wirklichkeit verliert.
Er vergleicht die Natur mit technischen Dingen (,,Mond über der Wüste von Tamaulipas" · ,,errechenbare Masse, [...] eine Sache der Gravitation"2 ) oder beschreibt während seines Fluges nicht die herrliche Aussicht, sondern die Blinklichter und die Tragfläche.3
Ein Leben ohne Technik ist für Faber nicht vorstellbar, so dass er unruhig wird, als er nach einer Notlandung in der Wüste ohne Rasierapparat auskommen soll. Er entwickelt eine immense Sehnsucht nach Strom und Technik. ,,...keinen Strom [...], kein Telefon, kein Stecker, nichts"4 Auf dem Schiff nach Paris zeigt er Sabeth den Maschinenraum und führt sie, ohne jemals zuvor dort gewesen zu sein, hindurch. Der Homo Faber fühlt sich zwischen den vielen arbeitenden Maschinen sicher und vertraut, was die stetige enge Verbundenheit mit der Technik in seinem Leben verdeutlicht.
Immer wieder fasziniert von Maschinen, berichtet er: ,,...sehenswert, ganz abgesehen davon, dass es immer Freude macht, Maschinen in Betrieb zu sehen"5. Ein weiterer Aspekt, der Fabers Technikbezug verdeutlicht, ist die liebevolle Bezeichnung für die Reiseschreibmaschine, die er stets mit sich führt: ,,meine Hermes-Baby"6. Der Homo Faber mag es nicht, Etwas handschriftlich niederschreiben zu müssen. Als technische Lösung für dieses Problem dient ihm seine Hermes-Baby, wobei der Name, besonders der Zusatz ,,Baby", eher für Personen als für Maschinen gedacht ist. Dies zeigt, dass Faber eine enge Beziehung zu einer Maschine führt, während andere Menschen zwischen-menschliche Beziehungen führen. Die Technik ist also fester Bestandteil im Leben des Homo Faber.
2.2 IN BEZUG AUF FRAUEN
,,Ivy heißt Efeu, und so heißen für mich eigentlich alle Frauen."7
Walter Faber berichtet von drei Frauen, von, in chronologischer Reihenfolge, Hanna, Ivy und Sabeth. Das oben genannte Zitat deutet die Beziehungen des Homo Faber jedoch als eindeutig lieblos, denn wer geht schon eine Beziehung ein, wenn er den Partner für eine sich festklammernde Kletterpflanze hält?
Der Ingenieur Faber fühlt sich von Frau bedrängt8 und äußert sich folgendermaßen: ,,Ich lebe, wie jeder wirkliche Mann, in meiner Arbeit. [...] mehr als drei oder vier Tage zusammen mit einer Frau war für mich offen gestanden, stets der Anfang der Heuchelei,..."9 Der auffällige Gebrauch des Präteritums ergibt hier die Frage nach einer möglichen Meinungsänderung Fabers. Eine gezielte Recherche zeigt dann auch unterschiedliche Einstellungen zu den einzelnen Frauen, da Hanna zum Beispiel Fabers große Liebe war, während er mit Ivy eine lieblose Beziehung geführt hat. Sabeth fungiert sozusagen als unterbewusstes Abbild ihrer Mutter, das Faber verwandelt und das ihm wieder Emotionen verleiht.
Faber ordnet das Thema ,,Frau" schubladenartig ein. ,,Wozu weibisch werden?" 10 Er hat kein Verständnis für die Beziehung der Frau zur Technik und bewertet Ivys Kommentar auf seinen defekten Rasierapparat als ,,nicht nur verständnislos, wie [ er es] von Frauen gewohnt [ ist], sondern geradezu spöttisch,..." 11 Frauen leben für den Homo Faber in einer Welt mit emotionalem Schleier. Er lässt es sich nicht nehmen, seine Gedanken auszusprechen.
Kaltherzig und gemein makelt er an ihr herum (,,...nun war sie, wie ich zugeben musste, sehr verheult, ein make-up unumgänglich..." 12 ) und sagt ihr ohne Scheu oder Einfühlungsvermögen, was er über sie denkt (,,ich sagte rundheraus, dass ich sie hasse..." 13 ). Er gibt offenkundig zu, dass er Ivy nicht liebt. Ein unpersönlicher Brief aus der Wüste soll die Beziehung von Fabers Seite schließlich beenden, aber erst seine Abreise mit dem Schiff bildet die endgültige Trennung der beiden. Die für ihn anstrengende Ivy ist gerade erst von Bord gegangen, da stuft der Homo Faber sie bereits als "lieben Kerl" ein. 14 Aus diesem Verhalten kann man nun Schluss folgern, dass der Techniker Faber zwar Probleme mit einer festen Beziehung hat, diese sich aber rein auf die emotionale Ebene und das Gefühl der Bedrängnis beschränken.
Hanna, die Mutter von Fabers Tochter Sabeth, nimmt in Bezug auf Frauen beim Homo Faber eine Sonderstellung ein, da sie Fabers große Liebe ist. Er selbst berichtet von Hochzeitsvorbereitungen und tiefen Gefühlen gegenüber Hanna. ,,Ich hatte mir geschworen, Hanna keinesfalls im Stich zu lassen." 15 Gleichzeitig muss man jedoch hinzufügen, dass Walter Faber einen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, der ihn nach Bagdad führen soll. Erschwerend kam noch hinzu, dass die jüdische Hanna schwanger war und die beiden beschlossen hatten, das Kind abtreiben zu lassen. Die Heirat wäre folglich also Mittel zum Zweck gewesen, um einerseits Hanna ein sicheres Leben in der Schweiz zu ermöglichen und andererseits Fabers Gewissen zu beruhigen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Walter Fabers erster sexueller Kontakt mit der vierzigjährigen, lungenkranken Frau seines Professors tiefe seelische Wunden bezüglich Sexualverhalten und Frauen allgemein hinterlassen hat, kann man also festhalten, dass die Beziehung Fabers zum anderen Geschlecht von vornherein gestört war. Erschwerend wirkt die Bewertung von Gefühlen als etwas Mühsames, so dass man für Walter Faber als Homo Faber in Bezug auf Frauen behaupten kann, dass es zu keiner Harmonie kommen kann.
Erst die Beziehung zu Sabeth, die den Homo faber wandelt, legt erneut Grundsteine, die das Kommunizieren Walter Fabers mit Frauen ermöglichen.
2.3 IN BEZUG AUF UNERWARTETE EREIGNISSE UND ÜBERNATÜRLICHE EINFLÜSSE
Das außergewöhnliche Verhalten des Protagonisten während einer Zwischenlandung in Texas, wo Faber aus mangelnder Lust einem Weiterflug zu entgehen versucht, zeigt deutlich, wie extrem der Homo Faber auf nicht einschätzbare, unerwartete Ereignisse reagiert.
Auf der Toilette wäscht er sich zwanzig Minuten lang die Hände, um nicht an der Bar seinem aufdringlichen Flugnachbarn begegnen zu müssen. Dieses kindische und unbeholfene Verhalten steigert sich dann bei einem Lautsprecherausruf ins Unermessliche. ,,Wir bitten um ihre Aufmerksamkeit!" 16,,Ich wusste nicht was los ist" 17, diese Tatsache löst selbst im kühlen Raum einen Schweißausbruch und Schwindel bei ihm aus. Er muss sich also folglich extrem bedrängt fühlen, ist angespannt und aufgeregt. Dies ist dadurch zu deuten, dass die Situation für den Homo Faber nicht klar definierbar und somit auch nicht sofort lösbar ist, was für ihn ein Problem darstellt. Verwunderlich ist seine Reaktion auf den folgenden Ohnmachtsanfall, denn wenn der Homo Faber wie er behauptet diese Lautsprecheraussage kennt, ist diese Angst und Nervosität nicht nachvollziehbar. Faber schreibt den Anfall dem Rauchen zu, da er seine Unsicherheit irgendwie erklären muss. Des weiteren steckt Faber seinen Kopf in ein mit Wasser gefülltes Waschbecken, um die weiteren Aufrufe nicht zu hören. Er hofft, nicht weiter fliegen zu müssen und berichtet: ,,Ich wartete und wartete, [...] ich hielt sie nicht aus, die Warterei auf meine Person." 18 Hier sieht man die Unfähigkeit des Homo Faber mit etwas Unerwartetem umzugehen gut. Er hätte nur Bescheid sagen müssen, dass er in Houston bleiben will, aber statt dessen macht er einen Aufruhr, indem alles auf ihn warten muss und er zum Schluss, nachdem er sein Versteck hinter einer verriegelten Cabinettür im Untergeschoss wieder verlassen hat, ins Flugzeug steigt, weil ihn eine Stewardess findet. Sein Verhalten ist an dieser Stelle nicht nachvollziehbar. In Bezug auf übernatürliche Kräfte äußert sich der Homo Faber dahingehend, dass er nicht an diese glaubt: ,,...Wieso Fügung? Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen keinerlei Mystik, Mathematik genügt mir. 19 Für den Homo Faber gibt es keine Fügung, sondern nur Zufälle: ,,...es war ein unwahrscheinlicher Zufall, [...] wieso Fügung!" 20 Auch merkt er in seinem Bericht recht früh an, dass er weder an Fügung noch an Schicksal glaubt 21, sich dafür aber auf die Wahrscheinlichkeitsgesetze beruft. Mögliche übernatürliche Einflüsse, z.B. die Tatsache dass sein Flugzeug notlanden musste, erklärt er nicht mit dem Schicksal, sondern beurteilt sie als ,,Kette von Zufällen" 22 Der Homo Faber will mit Schicksalsglauben nichts zu tun haben, sondern erklärt Ereignisse lieber rational.
2.4 DER BLINDE
Der Homo Faber ist ein sehender Blinder.
Er bemerkt nicht, dass Sabeth seine Tochter ist, obwohl verschiedene Aspekte für diese Tatsache sprechen (z. B. Ähnlichkeit mit Hanna; identischer Nachname). Ebenso kann man dem Homo Faber die Eigenschaft als Blinder zuschreiben, da er die Natur bzw. sein Umfeld lediglich registriert und nicht im geringsten erlebt (vgl. 3.1 und 3.2). Ein weiteres Beispiel für Fabers Blindheit und Engstirnigkeit ist das scheinbar unüberwindbare Festhalten an Kalkulationen, mit dem er weder fremde Einflüsse noch Gefühle an sich heran lässt.
Da alle oben genannten Aspekte Fabers Nicht-Sehen nur als indirekte Blindheit belegen, möchte ich auf eine weitere Eigenart des Protagonisten eingehen. Dieser berichtet sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Station mehrmals von Augen. ,,Ich überlegte mit geschlossenen Augen, aber vergeblich" 23. Auffällig ist dabei, dass er von seinen eigenen Augen fast ausschließlich erzählt, wenn diese geschlossen sind (siehe z.B. auch S.9), jedoch auch auf Sabeths Augen (vgl. S. 173, HF) und auf die des toten Esels in der Wüste (vgl. S. 57, HF) eingeht. Augen bzw. Sehen scheinen für den Homo Faber also eine durchaus wichtige Sache zu sein, um nicht nur selbst alles registrieren zu können, er beobachtet vielmehr auch die Augen bei seinen Mitmenschen bzw. dem Esel. Auffällig sind auch Fabers persönliche Anmerkungen, die er unbewusst verwendet: ,,Wie ein Blinder!" 24. Hier geht es um Hannas Sichtweise von Fabers Mutter, die er nicht hat und somit praktisch blind ist. Der Homo Faber spricht aus, was der Leser allgemein über ihn denkt, obwohl Faber selbst dies nur bildlich meint.
Im Zusammenhang mit der Blindheit möchte ich abschließend noch auf die Parallelität des Protagonistenschicksals zum ,,Königödipus", einem antiken Drama von Sophokles, hinweisen. Beide Hauptfiguren führen inzestuöse Beziehungen. Stärker wird die Ähnlichkeit jedoch in Bezug auf den Aspekt, dass Faber nach der Erkenntnis des Inzests daran denkt, sich die Augen auszustechen. ,,Ich habe nichts mehr zu sehen [...] warum nicht diese zwei Gabeln nehmen, sie aufrichten in meinen Fäusten und mein Gesicht fallen lassen, um die Augen loszuwerden." 25, währendödipus sich sein Augenlicht auf grausame Weise mit Nadeln nimmt. Themenübersteigende Untersuchungen zeigen auch, dass Frisch verstärkt auf das antike Drama ,,Königödipus" zurückgreift, was an dieser Stelle für meinen Leser als möglicher weiterer Untersuchungsansatz erwähnt sei.
2.5 SPRACHE ALS AUSDRUCKSMITTEL
,,Wir starteten in La Guardia, New York, mit dreistündiger Verspätung infolge Schneestürmen." 26
Sachlich berichtet Walter Faber dem Leser von seinem Flug nach Guatemala und verwehrt somit jegliche Aussagen über seine emotionale Verfassung. Die Figur Walter Faber als Homo Faber scheint sich überhaupt keine Emotionen zu leisten, denn auch in weiteren Reden ändert sich dieser sachlich beschreibende Stil zunächst nicht. Walter Faber vermittelt sehr äußerliche Wahrnehmungen in Assoziation mit eigenen Reflexionen und liefert dem Leser berichtendes Geschehen rein. ,, ...wir lagen reglos in einem wolkenlosen Himmel, ein Flug wie hundert andere zuvor, die Motoren liefen in Ordnung." 27 Der Homo Faber beherrscht die Situation, denn alles läuft planmäßig. Indem Walter Faber vermehrt technische Momente, z.B. ,, ...Schnee auf den Scheinwerfern, Pulverschnee, Wirbel über der Piste,..." 28 oder ,,...als das grüne Blinklicht draußen an unsrer nassen Tragfläche, ab und zu Funkenregen [...], das rote Glühen in der Motorhaube" 29 präsentiert, stellt er sich schon über seine Sprache als Homo Faber dar. Das technische Geschehen wird vom Protagonisten nicht nur berichtartig wiedergegeben, sondern auch bewertet, ,,...man kam sich wie ein Blinder vor" 30, und somit direkt eingeordnet, d.h. der Verfertiger schafft sich einen Überblick und behält mit dieser Ordnung das Gefühl ,,Herr" über die Situation zu sein, das Weltgeschehen also vollständig erfassen und überblicken zu können.
Die nüchterne Art und Weise eines technischen Ingenieurs, das Erlebte präzise auszuführen, konfrontiert den Leser mit einer Welle von Fachtermini, die nicht nur besondere geographische Kenntnisse, sondern auch eine intensivere Beschäftigung mit dem Metier der Technik voraussetzten, um diese verstehen zu können. Diese ,,Fachsprache" von Walter Faber mit Begriffen wie ,, MaxwellÂscher Dämon" 31, ,,Super Constellation" 32 und ,, Zopilote" 33 ist dann auch noch als definitives Unterscheidungsmerkmal zwischen Fabers Sprache und der Sprache eines Nicht- Technikers durch eine sehr komplizierte Satzstruktur mit kurzatmigen, eng ineinander verschachtelten Satzteilen versehen. ,, Als kurz darauf, wir erhielten gerade unseren Lunch, mein Düsseldorfer und ich, das Übliche: ..." 34 Dabei spiegelt sich Fabers analytische Berichtsform nicht nur in der Satzstruktur, sondern auch im Buchaufbau ( siehe 3.3) wider.
Ein weiterer Aspekt, der Fabers Sprache zum Ausdruckmittel für seine Eigenart als Homo Faber macht, ist der Inhalt, den der Protagonist immer wieder vermittelt. ,, ... von 1000 Flügen[...] , 999 tadellos verlaufen;" 35 Statistiken und Wahrscheinlichkeitsberechnungen sind fester Bestand seiner Sprache, denn Walter Faber glaubt nicht an Mythologie oder Schicksal.
Die genauere Beschäftigung mit dem Buch bildet ein tiefsinniges Konstrukt, dass die Genialität Frischs erst allmählich zum Vorschein bringt. Der Untertitel des Romans heisst wahrscheinlich nicht ohne Grund ,,Ein Bericht".
Das sich mit Fabers wechselndem Bewusstseinsstand auch die Sprache ändert (,,... sie wird mählich wärmer, reicher runder, erfüllt von einem verwandelten Menschen, ..." 36 ) , also die Entwicklung auch in diesem Bereich sichtbar wird, ist an dieser Stelle zu erwähnen, wird aber aus Gründen der Themenbegrenzung nicht weiter ausgeführt werden. Dieser Hinweis soll dem Leser meiner Arbeit lediglich einen weiteren Denkansatz bieten.
3. FABERS WANDLUNG
3.1 MITTELAMERIKA- UND KUBAREISE IM VERGLEICH
Anhand des Vergleiches zwischen Walter Fabers Amerikaaufenthalt und seinem Aufenthalt in Kuba wird seine Verwandlung vom rein technisch orientierten und interessierten Homo Faber zum Menschen mit Gefühlen und Phantasie deutlich. Dies soll im Folgenden durch einige Vergleichsbeispiele aufgezeigt werden:
Während Faber in Mittelamerika noch aus purer Langeweile auf Pyramiden klettert 37 und von Magenbeschwerden launisch wird 38, sagt er sich auf Kuba: ,,Mein Entschluß, anders zu leben- Meine Freude" 39. Der Protagonist beschreibt seine Wandlung mit eigenen Worten Die abneigende Haltung gegenüber anderen Menschen (,, Ich war froh, allein zu sein" 40 ) scheint auf Kuba verflogen, denn Faber setzt sich einfach zu einem fremden Mädchen und spricht es an. 41,,Ich sehe, was ich sehe: die üblichen Formen der Erosion" 42 Dieser Kommentar zeigt Fabers Art, die Welt zwar zu sehen, aber nicht zu erleben. ,,[Dinge] werden rational registriert, als lösbares technisches Problem behandelt und zum Übrigen gleichsam addiert." 43 Er ,,kann [sich] keinen Unsinn einbilden, bloß um etwas zu erleben" 44. Der Kubaaufenthalt wird für Faber dann aber zu einem unvergesslichen Erlebnis, denn er zeigt zum ersten Mal Gefühle wie Liebe und Trauer. 45 Auch nimmt der gewandelte Homo Faber die Natur hier mit verschiedenen Sinnen wahr ,, Die Arkade in der Nacht, wo ich schaukle und schaue beziehungsweise höre..." 46
Hält der Homo Faber in Mittelamerika technisch unbegabte Menschen noch für Todgewiehene 47, kritisiert er auf Kuba die technische Zivilisation und Weltsicht (,,Welt als amerikanisiertes Vakuum" 48 ).
Auch in Bezug auf Fügung und Schicksal ist eine Wandlung deutlich. ,, Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal" 49, sagt der Homo Faber in Mittelamerika, beantwortet die Gegenfrage seiner Kubabekanntschaft Juana hingegen, wie er zu diesem Thema stehe, nicht. Es erfolgt also keine exakte Distanzierung zu diesem Aspekt und eine mögliche Neigung kann nicht abgestritten werden.
Ein weiterer Punkt ist das Gefühl zu Amerika und den Amerikanern, da der Homo faber doch selbst in New York lebt und für die UNESCO arbeitet. Auf Kuba betont Faber mehrmals seinen ,,Zorn auf Amerika- [...]The American Way of Life" 50. In seiner neuen Lebenseinstellung betitelt er die Amerikaner abschätzig als ,,CocaCola Volk", ,,Vitamin-Fresser" und ,,Bleichlinge" 51.
Eine Wandlung ist also klar erkennbar, denn Fabers Verhalten in Mittelamerika und auf Kuba ist völlig gegensätzlich, so dass man auf Kuba von ihm nicht mehr als einem Homo Faber sprechen kann.
3.2 GEFÜHLVOLLES VERHALTEN GEGENÜBER HANNA UND NATUR
Der Homo Faber führte in jungen Jahren eine Beziehung zu Hanna Landsberg, die er rückblickend berichtet, wirklich geliebt hat. 52 Da der Leser Faber als Homo Faber (vgl. auch 2.) jedoch keinerlei Gefühle zusprechen kann, sei in Frage gestellt, wie echt diese Liebe zu Hanna war. Nachdem Sabeth, die Fabers Wandlung initiiert hat, verstorben ist, entblüht eine neue Liebe zu Hanna. Der Protagonist beobachtet die Halbjüdin sehr genau und vergleicht sie mit der gemeinsamen Tochter. Die verwendeten Beschreibungen sind zunächst sehr positiv und bedacht(,,zarter, zierlicher schöner" 53 ). Eine Gesichtsbetrachtung vermittelt dem Leser aber dann unschöne Begriffe wie ,,Eidechsenhaut" oder ,,Krähenfüße" 54. Zunächst entsetzt muss ich mit dem Satzende jedoch festhalten, dass Faber Hannas eigentlich negatives Äußeres so liebevoll als etwas Schönes bewertet, dass er sie einfach lieben muss (,,schöner als früher" 55 ). Der Vergleich mit ,,früher" zeigt hier auch sehr schön, dass er solche Auffälligkeiten als Homo Faber gar nicht wahrgenommen haben kann, da er Hannas Alterungsprozess ansonsten nicht als schön bewerten würde. Mit seinen Gefühlen erhält Faber noch eine weitere Eigenschaft, die ihn kleine Dienste erstmals bemerken und auch anerkennen lässt. Es ist eine richtige zwischenmenschliche Beziehung entstanden. Diese neugewonnene Form der Kommunikation wird von Faber auch insofern genossen, als dass er Schweigen unerträglich findet und förmlich einen engeren Kontakt zu Hanna sucht. 56 In puncto Natur wird Fabers neugewonnene Gefühlswelt dahingehend deutlich, dass er die Natur erlebt und als etwas Fantastisches und Wunderschönes erachtet. Auch hier wird der Sichtwandel wiederum durch die Beziehung zu Sabeth ausgelöst, da sie ein sehr naturverbundener, fantasievoller Mensch ist. Im Zusammenhang mit der Erinnerung an Sabeth beschreibt Faber: ,,...und ich werde nie vergessen: das Meer, das zusehends dunkler wird, blauer, violett, [...] die rote Farbe der Äcker, [...] ihre langen Morgenschatten auf der roten Erde, die erste Wärme,..." 57
Die Verwendung vieler verschiedener Farben zeugt dabei von Fabers neugewonnener Vielseitigkeit. Desweiteren nimmt der neue Faber die Wirkung der Natur wahr; Wärme ist ein angenehmes Gefühl, was für den Protagonisten sogar unbeschreiblich und daher das erlebte Moment insgesamt unvergesslich macht.
3.3 FABERS BEWUSSTSEINSSTAND UND DESSEN WIDERSPIEGELUNG IM BUCHAUFBAU
Der Roman ,,Homo Faber" ist in zwei Stationen unterteilt.
Die erste umfasst mehr als drei viertel des Buches (S. 7- 174) und besteht aus Fabers Aufzeichnungen, die berichtartig im ,,Stil einer Rechtfertigung [...] (er habe von nichts wissen können)" 58 geschrieben sind. In der zweiten Station erfolgt dann eine Verschachtelung zweier weiterer Aufzeichnungen. Obwohl diese zweite Buchhälfte deutlich weniger umfangreich ist (S.175- 220), beinhaltet sie etliche Reisestationen Fabers innerhalb weniger Wochen (New York, Caracas, Kuba, Düsseldorf, Zürich). Ein kontinuierliches Schriftbild und eine chronologische Abfolge der Ereignisse bis zum Ende der ersten Station zeigen, dass ein reibungsloses Aufschreiben möglich war. Der Homo Faber zeigt seine Akzeptanz der Geschehnisse, da er ohne Unterbrechungen fließend erzählt. Faber befindet sich in seinem Hotelzimmer in Caracas und reflektiert das Erlebte vom verspäteten Abflug aus New York bis zum Tod seiner Tochter Sabeth.
Die präzisen Zeitangaben ,,Geschrieben in Caracas, 21. Juni bis 8. Juli" 59 verleihen der Berichtsform einen tagebuchartigen Charakter, der sich noch deutlicher in der zweiten Station zeigt. Dort werden die Beobachtungspunkte bezüglich Fabers Bewusstseinsstand und dessen Widerspiegelung im Buchaufbau auch noch interessanter. Frisch lässt Walter Faber einen Wechsel aus Erzählzeit und erzählter Zeit konstruieren. Durch einen kursiven Druck, der gleichzeitig den handschriftlichen Charakter hervorheben soll, werden Fabers neueste Tagebuchaufzeichnungen im Präsens verfasst. Der Leser fühlt sich dem Protagonisten nahe, der gegen Ende seines Lebens den großen Tatendrang verspürt. ,,Diese Ruhestunden (13.00- 17.00) sind das Schlimmste. Dabei habe ich nur noch wenige Zeit,..." 60 Die anderen Aufzeichnungen stehen im Präteritum und umfassen etliche Reisestationen, so dass Fabers hektische Flucht durch die Welt dokumentiert wird. 61
Der anfängliche Erzählfluss, bei dem die Welt für den Homo Faber noch in Ordnung ist, mündet in einem zusammenhanglosen Gebilde aus Vergangenheitsmomenten und Gegenwart. Das Schicksal hat den rationalen Denker eingeholt und dermaßen zerstreut, dass sich diese Entwicklung sogar bis in den Buchaufbau durchschlägt. Der Homo Faber wirkt in seinen kursiv abgedruckten Aufzeichnungen insofern verwandelt, als dass er sein Leben noch einmal reflektiert und auch unter Einbeziehung des Schicksals Schlüsse zieht. Zum Beispiel denkt Faber über die Bedeutung seines Lebens nach: ,,Ich hänge an diesem Leben wie noch nie,..." 62 Der Leser wartet zwar noch gespannt darauf, dass Faber einige Lehren aus seinem Verhalten zieht, der Bericht bricht jedoch vorher ab. ,,8.05 Uhr. Sie kommen" 63
4. MAX FRISCH IN DER ROLLE VON WALTER FABER
4.1. VERGLEICH VERSCHIEDENER EIGENSCHAFTEN UND ERLEBNISSE BEZIEHUNGSWEISE VERHALTENSWEISEN VON MAX FRISCH UND WALTER FABER
Bei der Lektüre des ,,Homo faber" fallen dem wissenden Leser immer wieder Ähnlichkeiten zur Biografie Max Frischs ins Auge, so dass man davon ausgehen kann, dass der ,,Homo Faber" in gewisser Weise eine Selbstdarstellung Max Frischs bezeichnet. Dies wird vor allem dadurch bestärkt, dass der Roman in der ,,Ich"- Perspektive geschrieben ist und somit dem Leser den Anschein einer lebendigen Erfahrung des Autors, in der Rolle des Erzählers, vermittelt. Die dabei implizierte realistisch nachvollziehbare Art des Erzählens und der zeitgleiche Handlungsablauf, Buch und erzählter Inhalt stammen aus dem Jahre 1957, verstärken diesen Eindruck zusätzlich 64.
Max Frisch studierte in seiner Ausbildung zum Architekten an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich 65. Diesen Bezug zur Technik findet man auch in der Figur des Homo Faber wieder. Walter Faber hat in seinem Beruf als Ingenieur, also ebenfalls einem technischen Beruf, genau wie Max Frisch mit Statistiken und Zahlen zu tun und nicht ohne Grund beschreibt Max Frisch diesen Menschen als einen Homo Faber und benennt sogar das Buch nach ihm.
Auch die Tatsache, dass beide ihre berufliche Karriere vorzeitig beenden, ist ihnen gemein, denn während Max Frisch sein Architekturbüro auflöst 66, um sich seinen Traum vom alleinigen Schreiben zu erfüllen, gibt Walter Faber ebenfalls seinen Job auf, um Sabeth, seine Tochter und Geliebte, zurück nach Griechenland zu begleiten. Dieser Aspekt bildet einen weiteren Knotenpunkt in den Parallelen beider Männer, denn man muss davon ausgehen, dass Max Frisch alle im ,,Homo faber" beschriebenen Orte selbst bereist und kennengelernt hat 67. So hielt er sich ein Jahr in den USA auf, außerdem in Athen und Rom und bereiste im Jahre 1956 Kuba, um 1957 nach Griechenland zu gelangen, wo sich Walter Faber am Ende seines Lebens krankheitsbedingt niederlässt. Belegen kann man dies anhand der von Max Frisch geführten Tagebuchaufzeichnungen, die er in bestimmten Situationen seines Lebens, wie beispielsweise während des Baus des von ihm geplanten Schwimmbads Letzigraben oder während seiner zahlreichen Reisen immer wieder verfasst hat. Und auch sein Protagonist führte seinerzeit ein Tagebuch, das die zweite Station des Romans bildet.
Die Tatsache dass der Autor genau wie seine Hauptfigur aufgrund eines Krebsleidens ins Krankenhaus muss und in dieser Situation die Niederschrift der Tagebücher wieder aufnimmt 68, lässt die Parallelität der Biografien beider Homo Faber nicht leugnen. Doch nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch privat ähnelt Max Frisch der Figur Walter Fabers.
Beide hatten eine starke familiäre Bindung, obwohl Faber eine ganze Zeit lang nicht wusste, wer seine Reisebekanntschaft ist. Frisch lebte lange Zeit in einer innigen Beziehung zu seiner Mutter, streitet jedoch jegliche Inzestbeziehungen demonstrativ ab. In dieser Hinsicht sollte man bedenken, dass die familiäre Bindung von Faber nicht auf ein inniges Verhältnis zu seiner Tochter beschränkt blieb, sondern vielmehr inzestuöse Züge annahm. Man kann hier sagen, dass der Autor die Parallelen zwischen sich und seiner Hauptfigur im Bereich des Privatlebens zwar erkennen lässt, jedoch nicht wie an anderen Stellen nahezu völlig übernimmt. Frisch implizierte im Roman statt einer innigen Beziehung zur Mutter ein Inzest-Verhältnis zur Tochter. Was jedoch bezeichnend für seine Identifikation mit dem Protagonisten ist, ist der Aspekt, dass beide Männer eine Beziehung zu einer weitaus jüngeren Frau führten, denn sowohl Fabers Tochter als auch Frischs Gattinnen, als treffendes Beispiel ist hier vor allem die gut 30 Jahre jüngere Marianne Oellers zu nennen, waren etliche Jahre jünger als ihre Männer 69.
Außerdem war Max Frisch laut seiner Biografie wie Walter Faber nicht wirklich in der Lage, eine andauernde Beziehung oder Ehe zu führen (gescheiterte Beziehungen in Studienzeiten und zwei Scheidungen).
Insgesamt ist also festzustellen, dass die Parallelen in den Biografien Max Frischs und seiner Hauptfigur Walter Faber nicht zu leugnen sind, und man somit davon ausgehen kann, dass sich Frisch mit der Figur des Homo Faber identifizierte. Zeitlich gesehen ist zu beachten, dass einige Lebensumstände und Parallelen Frischs zu Walter Faber (z.B. Krankenhausaufenthalt, Ehe mit Marianne Oellers, usw.) erst nach dem Erscheinen von ,,Homo faber" 1957 eingetreten sind. Der Frage nach Vorausahnung oder Schicksal Max Frischs an dieser Stelle nachzugehen, würde jedoch den Aufgabenbereich meiner Arbeit übersteigen und bleibt somit der Phantasie des Lesers freigestellt.
Festzuhalten sind am Ende also die konkreten Parallelen, sowohl während der Entstehung des Buchs, als auch im späteren Leben Frischs, als hätte er geahnt, was ihn erwartet.
4.2 MAX FRISCHS STELLUNGNAHMEN
Verschiedenste Formen der Sekundärliteratur ermöglichen es auch heute noch, Max Frischs (t 1991) Haltung zur Parallelität mit Walter Faber aus dem Buch ,,Homo faber", kennenzulernen.
Ohne einer chronologischen Abfolge seiner Aussagen nachgehen zu wollen, ist festzuhalten, dass Frisch keine logisch aufeinanderfolgende Reihe von Fragmenten hat entstehen lassen, sondern dass er, sofern er überhaupt zu diesem Thema Stellung bezogen hat, nur bruchstückhaft über eine mögliche Identität mit dem Protagonisten Walter Faber gesprochen hat.
Volker Schlöndorff, der Regisseur der 1991 erschienenen ,,Homo faber" -Verfilmung, zitiert Frisch in einem Spiegel- Interview vom Dezember 1991: ,,Bei mir ist er Schweizer, weil ich selber Schweizer bin" 70. Aufgrund verschiedener , hier unwesentlicher Umstände, entschliesst sich Schlöndorff dazu, die Nationalität Walter Fabers in der Verfilmung zu ändern. In diesem Zusammenhang erklärt der Autor die Abstammung des Protagonisten, welche identisch mit seiner eigenen ist. Auch ist im selben Interview ein weiterer ,,Versprecher" Max Frischs erwähnenswert, der ein Stück Wahrheit, unbewusst oder nicht, ans Licht bringt. Es geht um die Figur Sabeth, die das Schiff laut Buch in Le Havre verlässt. Frisch nennt aber Southhampton als Abschiedspunkt und erwidert auf Schlöndorffs Unverständnis: ,,Ja, aber im Leben ist sie in Southhampton ausgestiegen." 71 Die Schiffsreise und die Begegnung mit einer Frau scheinen also nicht bloße Fiktion eines Autors zu sein, sondern erlebte Realität. Vertrautheit mit der Lebensweise des Homo Faber zeigt Frisch durch die Äußerung über sein Verhältnis zu Zahlen. ,,Wenn ich einen Rechenschieber benutze, so habe ich das Gefühl, ein Fachmann zu sein" 72. Die Vorstellung, ebenfalls ein Homo Faber bzw. hier der Homo Faber zu sein, liegt also quasi auf der Hand. Zahlen und Daten scheinen gewohntes Terrain darzustellen, das so bekannt ist, dass jegliche Art von Unsicherheit verschwindet, ja sogar ein Triumph-Gefühl voller Stärke und Können ( ein ,,Fachmann") aufkommt.
Unmittelbar vor seinem Tod vertraut Max Frisch Schlöndorff an, dass Karin Pilliod, eine Bekanntschaft aus der Jugendzeit, die Frisch auch am Ende seines Lebens wieder begleitete, der Urtyp der Romanfigur Sabeth aus dem Roman ,,Homo faber" 73 sei. Dies beweist ein weiteres Mal, dass Frisch sein eigenes Leben mit in dieses Buch eingebracht hat und dass somit eine Verbindung zwischen Walter Faber und Max Frisch nicht auszuschließen ist.
Um aber nicht bloß mit positiven Aspekten Max Frisch in die Rolle Walter Fabers drängen zu wollen, ist es ebenfalls von großer Bedeutung, etwas über Frischs Einstellung zu Erlebtem und Geschriebenem zu erfahren. Nachdem 1979 die Erzählung ,,Der Mensch erscheint im Holozän" erschienen war und man sie für eine Autobiographie Max Frischs hielt, äußerte sich dieser wie folgt: ,,...Natürlich kenne ich das Tal, wo diese erzählte und erfundene Geschichte stattfindet; ich kenne dort Stock und Stein, ja, auch das Wetter. Deswegen ist die Geiser- Geschichte noch nicht autobiographisch." 74 Was Max Frisch damit sagen will ist, dass obwohl man einen Ort genau kennt oder eine Situation bereits erlebt hat, ein Bericht darüber keine Autobiographie sein muss. Im übertragenen Sinn lässt Frisch also die Frage offen, ob eine Verbindung zwischen Walter Faber und ihm besteht; es gibt etliche Ansätze für beide Seiten, so dass der Leser am Ende so unwissend wie am Anfang mit einem letzten Zitat von Max Frisch da steht: ,,Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte, die er dann, oft unter gewaltigen Opfern, für sein Leben hält, oder eine Reihe von Geschichten, die sich mit Ortsnamen und Daten durchaus belegen lässt, so dass an ihrer Wirklichkeit nicht zu zweifeln ist." 75
SCHLUSSWORT
Nach eingehender Untersuchung des Themas ,,Der Homo Faber in Max Frischs gleichnamiger Erzählung" sind einige abschließende Gedanken notwendig. Walter Faber ist als Homo Faber ein aussergewöhnlicher Mensch, der jedoch in seiner Eigenart viel weiter verbreitet ist, als man vielleicht annimmt. Max Frisch hat den Roman Ende der fünfziger Jahre geschrieben, die zum ,,Technischen Zeitalter" zählen. Mit dem Aufkommen des Fernsehers, der Entwicklung des Automobils, Chemikalien und Antibiotika und später der Kernenergie, um nur einige Beispiele zu nennen, machte man auf der einen Seite immense Fortschritte in der Entwicklung, auf der anderen Seite wuchs aber auch die Gefahr der Entrückung vom Ursprünglichen, dem Bezug zur Menschlichkeit und zur Natur.
Walter Faber verkörpert genau dieses Verhalten und soll die Menschen wachrütteln , damit wir diese Entwicklung nicht fahrlässig vorantreiben, sondern erst im Einklang mit einem gesunden Maß an technischem Fortschritt bewusst fördern. Dies zu Erkennen ist in der heutigen Zeit nichts besonderes mehr, doch das Max Frisch 1957 und auch schon früher dieses Problem erkannt hat, ist wirklich beachtlich und bewundernswert.
Auch heute noch ist Frischs Roman ansprechend und aktuell, denn dieser Trend ist seit seinem Aufkommen nie mehr verschwunden.
LITERATURVERZEICHNIS
- Frisch, Max: Homo Faber. Ein Bericht, Mit einem Kommentar von Walter Schmitz. 1. Auflage. Frankfurt a. M. 1998. (= Suhrkamp Basis Bibliothek 3)
- Duden. Das Fremdwörterbuch. Bd. 5, Mannheim u.a. 1997.
- Goldschmit, Rudolf: Die verfehlte menschliche Existenz. Max Frischs neues Werk Homo faber, in: Stuttgarter Zeitung, 9.11.1957.
- Hage, Volker: Max Frisch. 11. Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag, GmbH Reinbek bei Hamburg 1983.
- "Wem wird man schon fehlen?" Homo- Faber- Regisseur Volker Schlöndorff über seinen Film und seine Begegnungen mit Max Frisch, in: Der Spiegel 12/1991, S. 236-251.
[...]
1 Duden. Das Fremdwörterbuch. Bd. 5, Mannheim u.a. 1997. (künftig zitiert als: Duden)
2 HF, S. 25, Z. 30-32
3 vgl. HF, S.8
4 HF, S. 29, Z. 19
5 HF, S. 93, Z. 10-11
6 z.B. HF, S. 31, Z. 31
7 Frisch, Max: Homo Faber. Ein Bericht, Mit einem Kommentar von Walter Schmitz. 1. uflage. Frankfurt a. M. 1998. (= Suhrkamp Basis Bibliothek 3) (künftig zitiert als: HF), S. 99, Z. 4-5
8 vgl. HF, S. 16, Z. 19
9 HF, S.98, Z. 14-26
10 HF, S. 26, Z. 8
11 HF, S. 68, Z. 11-12
12 HF, S. 63, Z. 22-23
13 HF, S. 67, Z. 5-6
14 vgl. HF, S. 73, Z. 24
15 HF, S. 60, Z. 26-27
16 HF, S.11, Z.29 (aus dem Englischen übersetzt)
17 HF, S.11, Z. 29-30
18 HF, S.13, Z. 31-33
19 HF, S. 23, Z. 21-24
20 HF, S. 78, Z. 22-23
21 vgl. HF, S. 23, Z. 10 ff
22 HF, S. 23, Z. 20
23 vgl. HF, S. 8, Z. 34-35
24 HF, S.200, Z.1
25 HF, S.208, Z. 33ff
26 HF, S. 7, Z. 2-3
27 HF, S. 9, Z.11-13
28 HF, S. 7, Z.7-8
29 HF, S. 8, Z.27-29
30 HF, S.8, Z. 3-4
31 HF, S. 35, Z. 12-13
32 HF, S. 7, Z. 4
33 HF, S. 37, Z. 4-5
34 HF, S. 20, Z. 27-28
35 HF, S. 65, Z. 27-28
36 HF, S. 264 ( von Rezensent E.N in: Thurgauer Zeitung)
37 vgl. HF, S.45
38 vgl. HF, S. 10
39 HF, S.188, Z. 6-7
40 HF, S. 7, Z. 27
41 vgl. HF, S. 194
42 HF, S.26, Z. 6
43 Goldschmit, Rudolf: Die verfehlte menschliche Existenz. Max Frischs neues Werk Homo Faber, in: Stuttgarter Zeitung, 9.11.1957.
44 HF, S.26, Z. 34f
45 vgl. HF, S.191
46 HF, S. 196, Z. 16-19
47 vgl. HF, S. 47, Z. 33-35
48 HF, S. 192, Z. 6-7
49 HF, S. 23, Z. 10
50 HF, S.190, Z. 10+12
51 HF, S. 190, Z. 21-24
52 vgl. HF, S. 32, Z. 16-17
53 HF, S. 167, Z.1-3
54 HF, S.167, Z. 14-15
55 HF, S.167, Z.16
56 vgl. HF, S. 168, Z. 7-8
57 HF, S. 165, Z. 7-11
58 Hage, Volker: Max Frisch. 11. Auflage. Rowohlt Taschenbuch Verlag, GmbH Reinbek bei Hamburg 1983, S. 70 (küntig zitiert als: B)
59 HF, S. 174, Z. 10
60 HF, S. 175, Z. 10-12
61 vgl. B, S. 70
62 HF, S. 215, Z. 25
63 HF, S. 220, Z. 33-34
64 B, S.72
65 vgl. B, S. 29
66 vgl. B, S. 53
67 vgl. B, S. 101
68 vgl. B, S.102
69 vgl. B, S.105
70 "Wem wird man schon fehlen?" Homo- Faber- Regisseur Volker Schlöndorff über seinen Film und seine Begegnungen mit Max Frisch, in: Der Spiegel 12/1991, S. 236-251. S. 245 (künftig zitiert als: Spiegel)
71 Spiegel, S.241
72 B, S.31
73 vgl. B, S. 135
74 B, S.117f
75 B, S. 10f
- Arbeit zitieren
- Katrin Heß (Autor:in), 2000, Frisch, Max - Homo Faber - Der Homo Faber in Max Frischs gleichnamiger Erzählung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99712
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