Dieser Essay beschäftigt sich mit der Bedeutung des Schriftstellers Hans Werner Richter für die Entstehung der Gruppe 47. Die Mehrzahl der Literaten des Ursprungs der Gruppe 47 hatten in der Zeitschrift "Der Ruf - der jungen Generation" inseriert, die gemeinsam von Alfred Andersch und Hans Werner Richter im Deutschland der Nachkriegszeit erschien.
Einleitung
Zur „Stunde Null“ im Jahre 1945 beginnen die Alliierten aller vier Besatzungszonen einen vollständigen politischen und kulturellen Umbruch im geteilten Deutschland. Jede Besatzungszone hat ihre eigenen Vorstellungen der kulturellen Umerziehung, die meist aus alten deutschen Klassikern und eigenen kulturellen Vorbildern bestanden. Was überall gleich war, war unter anderem der enorme Büchermangel durch die zerbombten Bibliotheken und auch aufgrund des großen Papiermangels. Zeitschriften waren in den ersten Nachkriegsjahren bis zur Währungsreform und zur Aufhebung der Lizenzpflicht mit das wichtigste Mittel, um die demokratischen Werte an die Menschen zu bringen. Wegen des schon erwähnten Papiermangels in der Nachkriegszeit war die Produktion von Zeitschriften sehr viel günstiger als die Veröffentlichung von Büchern.
Unter den kulturpolitischen Zeitschriften dieser Zeit war eine der Auflagenstärksten „Der Ruf – der jungen Generation“. Die beiden Herausgeber Alfred Andersch und Hans Werner Richter gehörten schon während ihrer amerikanischen Kriegsgefangenenschaft „zum Mitarbeiterstab des Kriegsgefangenen-Ruf, einer Zeitschrift für und von Kriegsgefangenen“. (Kröll 1979, S.18) In Anknüpfung an diese Zeitschrift wurde im August 1946 die erste Ausgabe „Der Ruf – der jungen Generation“ in München von Andersch veröffentlicht. Ab der vierten Ausgabe kam Richter als zweiter Herausgeber hinzu.
„Die junge Generation“ kritisierte die Politik der Besatzungsmächte und wollte die entstehende Kluft zwischen Ost und West unterbinden. Sie empfanden die verordnete re-education als auferlegte Befehlsgewalt und wollten selbstständig eine demokratische Gesellschaft aufbauen. Die amerikanischen Alliierten fühlten sich in ihrer Besatzungspolitik von den Publikationen von Andersch und Richter so stark provoziert, dass beide im April 1947 ihre Posten als Redakteure verloren. (Schildt/Siegfried 2009, S. 63.)
Im September 1947 kam es unter Richter zu einem Zusammentreffen von jungen Schriftstellern, um auf literarischer Ebene in der Anknüpfung an realistische Schreibpositionen zu reflektieren. Die Mehrzahl der Literaten dieses Ursprungs der „Gruppe 47“ hatte in der Zeitschrift „Der Ruf “ inseriert. In dem vorliegenden Essay wird die Fragestellung „ Hans Werner Richter - Wie viel Ruf bleibt in der Gruppe 47 ?“ beleuchtet werden.
Hauptteil
Einen genauen Gründungsablauf der „Gruppe 47“ kann man durch widersprüchliche Aussagen und Verwischung nicht eindeutig festhalten. Außer Zweifel steht, dass der Ursprung von politisch-publizistischer Natur ist. Den Anreiz zu den ersten Treffen gaben politisch engagierte Publizisten, die Vertrauen in die Wirkung der Literatur hatten. Durch ein demokratisches Handeln im Literaturbetrieb erhoffte sich der Gastgeber Hans Werner Richter eine wachsende Bedeutung von Publizisten als Wegbereiter einer deutschen Außenpolitik. (Gallus 2007, S.38)
Die verfassten Spielregeln ab dem dritten Treffen waren zum Beispiel, dass es keine festen Mitglieder gab. Richter sah die „Gruppe 47“ als seinen persönlichen Freundeskreis und lud bis zu zweimal im Jahr zu einer formlosen Zusammenkunft ein. Bei eben diesen Begegnungen präsentierten die Schriftsteller ihre unveröffentlichten Manuskripte und bekamen, ohne selbst Stellung zu nehmen, von den Anwesenden ungefilterte Kritik.
Eine weitere Regel, die Richter einführte, verbot die politische Diskussion während den Lesungen. Er vertrat damit die parteiübergreifenden, allgemeinen Aspekte der demokratischen Grundordnung, bei der sich jeder seine eigene Meinung zu den gesellschaftlichen Themen bilden sollte. (Cofalla 1999, S.66) Angesichts der bitteren Erfahrungen während des Dritten Reichs bestand die tief verwurzelte Angst, durch eine Strukturbildung die Gleichschaltung der Gruppe zu fördern.
Es entstand eine gemeinsame Plattform der Nachkriegsliteratur mit dem Ziel die Literatur hinwärts zu einer modernisierten Form zu erneuern. Die Schriftsteller wurden als Individualisten mit einem gesellschaftlichen Auftrag gesehen. Die literarischen Werke waren konkrete Beispiele aus der Gegenwart. Die Autoren bekamen durch die freigeäußerte Kritik Impuls zu Wegen, die ihnen noch nicht bewusst waren. Richters hauptsächliches Ziel war es jedoch Kontakte interkultureller Kommunikation mit verschiedensten Anschauungen herzustellen, um demokratische Strukturen zu stabilisieren. (Schildt/Siegfried 2009, S.78f.)
Die Form der Gruppe 47, die sich gegen den Status einer feststehenden Gruppe wehrte, hatte, durch die private, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Treffen, reichliche Freiheiten und niemand konnte Verbote der Zusammentreffen aussprechen. Richter war sich bewusst, dass seine gesellschaftspolitischen Pläne nur gemeinsam umzusetzen waren. In seiner Position als Gruppenleiter war er mit einer klaren Distanz zum Nationalsozialismus gegen das kollektive Denken. Am Geschehen der Versammlungen war Richter nur bedingt beteiligt. Er fühlte sich weniger der literarischen Produktion, als der Organisation der Treffen und weiterer kulturpolitischer Arbeit zuständig.
Fazit
Im Allgemeinen sieht man die Schriftstellertreffen der Gruppe 47 maßgeblich in ihrer literarischen Funktion, junge Autoren durch die ungeschminkte Kritik zu fördern. An den Treffen nahmen lediglich zeitgenössische Schriftsteller und Literaturkritiker teil. Sie wurden für den Austausch über die vorgetragenen Manuskripte genutzt. Ohne ein festes Gruppengefüge entstand das Gefühl der Generationszusammengehörigkeit. Auch wenn die Gruppe 47 zu Beginn im Literaturgeschehen nicht tonangebend war, entwickelte sie sich mit der Zeit zu einem einflussreichen Literaturprojekt.
Richter war, wie zuvor erwähnt, gegen politische Diskussionen während der Lesungen und hatte nach meinem Ermessen damit das Ziel, die Freiheit der Literatur zu stärken. Um die Fragestellung „Wie viel Ruf blieb in der Gruppe 47 ?“ aufzugreifen, sehe ich im Vergleich der Zeitschrift „Der Ruf – die junge Generation“ und der „Gruppe 47“ einige Berührungspunkte in ihrem Aufbau und Richters Zielen.
Mit der Zeitschrift „Der Ruf“ kämpften die Herausgeber gegen die Bevormundung der Alliierten und für den Wunsch selbst eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. Durch die provokanten, sozialistisch geprägten Inserate in der Öffentlichkeit wurden diese bald von den Besatzungsmächten verboten. Sie kritisierten bestehende Uneinigkeiten und bestärkten ihre eigenen Ansichten.
Eben diese Punkte sind meiner Meinung auch für die Arbeit der Gruppe 47 von Bedeutung. Die ehrliche Kritik in anschaulichen Diskussionen hilft meiner Ansicht nach, einer Bevormundung entgegen zu wirken. Richter baute eine tolerante Verbundenheit auf, die durch freie Meinungsäußerung und individuelle Betrachtungsweise möglich war. Die literarischen Diskussionen in einer politisch unabhängigen, privaten Atmosphäre ließen keine Unterdrückung der Stimmen zu. In dem Rahmen der Gruppe 47 war es möglich und sogar erwünscht Kritik zu äußern. Richters Ziel des eigenständigen Demokratieaufbaus konnte er, nach meiner Einschätzung, wie schon in Zeiten der Ruf-Veröffentlichungen gewünscht, im geschützten Rahmen der Gruppe 47 verwirklichen.
Trotz den wenigen hier genannten Gesichtspunkten zu dem Auftreten von Hans Werner Richter, bin ich zu der Einsicht gekommen, dass man Abläufe in ihrem allumfassenden Kontext betrachten muss. Das literarische Zusammentreffen der Gruppe 47 bekommt mit dem Einblick in die Vorgeschichte des Begründers eine politisch orientierte Färbung. In vielen Überlieferungen wird die Gruppe 47 als einschneidendes Ereignis für die Literaturgeschichte bezeichnet. Dies ist sie ohne Zweifel, jedoch wird ihre politische Funktion oft nur in einem Nebensatz erwähnt.
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- Citation du texte
- Anne Fruk (Auteur), 2014, Hans Werner Richter und die Gruppe 47. Eine kurze Einführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/995465