Ziel der Masterarbeit ist es, die Konzeption des Neoliberalismus am Beispiel der Trickle-Down-Theorie einer theoretischen Untersuchung zu unterziehen. Die Gültigkeit dieser Theorie wird unter Einbezug konsumsoziologischer Überlegungen anhand des Konsumverhaltens der Oberschicht im Bereich der Luxusgüter überprüft. Generell besagt die Trickle-Down-Theorie, dass wirtschaftliches Wachstum und große Vermögenskonzentrationen eine reiche Oberschicht zu Konsumausgaben und Investitionen befähigt, die wiederum zu einer Steigerung des Wohlstandes in den ärmeren Schichten führt. Daher seien steuerliche Entlastungen für vermögende Bevölkerungsgruppen sowie die Implementierung eines freien deregulierten Marktes notwendig, um die Produktivität der Oberschicht zu steigern. Diese erhöhte Produktivität führt zu einem Wohlstand, von dem alle Mitglieder einer Gesellschaft profitieren. Daher wird dem Konsum als Motor der Wirtschaft enorme Bedeutung zugeschrieben.
Inhaltlich teilt sich diese Arbeit in drei Teile auf. In einem ersten Schritt werden die grundsätzlichen Annahmen der neoliberalen Ideologie mit Fokus auf die Trickle-Down-Theorie beleuchtet. Die sogenannte „Pferdeäpfel-Theorie“ ist dabei in die zentralen ideologischen Charakteristika (wie etwa die Definition von Freiheit oder Gerechtigkeit) und daraus abgeleiteten Zielsetzungen (beispielsweise Abbau staatlicher Regulierung) eingebettet. Mit diesem Verständnis wird im zweiten Teil die Trickle-Down-Theorie konsumsoziologisch analysiert. Unter Einbezug der theoretischen Überlegungen von Wolfgang Fritz Haug, Werner Sombart, Pierre Bourdieu, Thorstein Veblen und Zygmunt Bauman zeigt sich, dass zentrale Annahmen wie etwa rationale Konsumentscheidungen entlang des Menschenbild des Homo Oeconomicus einer Überprüfung nicht standhalten. Im Hinblick auf Werner Sombarts Definition von Luxus werden im abschließenden dritten Teil die Auswirkungen des Luxuskonsums der Oberschicht am Beispiel der Diamantenproduktion sowie des Kunstmarktes untersucht.
Ein Trickle-Down-Effekt ist zumindest in diesen beiden Anwendungsgebieten nicht zu entdecken. Demzufolge muss der Trickle-Down-Theorie in Bezug auf diesen begrenzten theoretischen Rahmen die Gültigkeit abgesprochen werden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Neoliberale Konzeption und Trickle-Down-Economics
2.1. Historischer Abriss neoliberaler Entwicklung
2.2. Theoretische Fundierung neoliberaler Ideologie
2.2.1. Individualisierung und das Menschenbild des Homo Oeconomicus
2.2.2. Freiheit & Zwang
2.2.3. Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit
2.2.4. „Survival of the fittest“ - Konkurrenz & Wettbewerb
2.2.5. Zusammenfassung
2.3. Supply-Side-Economics und Trickle-Down-Theorie
2.4. Zentrale (wirtschafts-)politische Standpunkte und Forderungen
2.4.1. Schlanker Staat, Marktgesellschaft und Deregulierung
2.4.2. Das Primat der Privatisierung
2.4.3. Der Sozialstaat als Feind
2.4.4. Demokratie & Politik
2.4.5. Agenda-Setting & Implementierungsstrategien
3. Konsumsoziologie & Sickereffekte
3.1. Einführendes zur Konsumsoziologie
3.2. Wolfgang Fritz Haug - Über die Ästhetik von Waren
3.3. Werner Sombart - Luxus als Motor
3.4. Pierre Bourdieu - Feinheiten der Unterscheidung
3.5. Thorstein Veblen - Der Müßiggang der feinen Leute
3.6. Zygmunt Bauman - Die Gesellschaft der Konsumenten
4. Trickle-Down-Economics & Luxusgüter
4.1. Einleitendes zur Untersuchung der Anwendungsgebiete des Luxuskonsums
4.2. Die „Schönheit“ der Diamanten
4.3. Der hypersensible Kunstmarkt
5. Diskussion & Fazit
6. Literaturverzeichnis
6.1. Online-Quellen
Danksagung
Ich möchte mich ganz herzlich bei Maximilian Ande, M.Sc., Christian Mätz, Michael Del Toso, Philipp Radler, M.Sc. sowie Magdalena Ott, B.A. für zahlreiche kontroverse Diskussionen bedanken, die mir immer wieder neue gedankliche Perspektiven eröffnet haben. Ein besonderer Dank geht dabei an Christian Mätz für das Korrekturlesen.
Der größte Dank geht an meine Eltern Edith und Samuel Glatz, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nur schwer vorstellbar gewesen wäre.
Abstrakt
Ziel der vorliegenden Masterarbeit ist es die Konzeption des Neoliberalismus am Beispiel der Trickle-Down-Theorie einer theoretischen Untersuchung zu unterziehen. Die Gültigkeit dieser Theorie wird unter Einbezug konsumsoziologischer Überlegungen anhand des Konsumverhaltens der Oberschicht im Bereich der Luxusgüter überprüft. Generell besagt die Trickle-Down-Theorie, dass wirtschaftliches Wachstum und große Vermögenskonzentrationen eine reiche Oberschicht zu Konsumausgaben und Investitionen befähigt, die wiederum zu einer Steigerung des Wohlstandes in den ärmeren Schichten führt. Daher seien steuerliche Entlastungen für vermögende Bevölkerungsgruppen sowie die Implementierung eines freien deregulierten Marktes notwendig um die Produktivität der Oberschicht zu steigern. Diese erhöhte Produktivität führt zu einem Wohlstand, von dem alle Mitglieder einer Gesellschaft profitieren. Daher wird dem Konsum als Motor der Wirtschaft enorme Bedeutung zugeschrieben.
Inhaltlich teilt sich diese Arbeit in drei Teile auf. In einem ersten Schritt werden die grundsätzlichen Annahmen der neoliberalen Ideologie mit Fokus auf die Trickle-Down- Theorie beleuchtet. Die sogenannte „Pferdeäpfel-Theorie“ ist dabei in die zentralen ideologischen Charakteristika (wie etwa die Definition von Freiheit oder Gerechtigkeit) und daraus abgeleiteten Zielsetzungen (beispielsweise Abbau staatlicher Regulierung) eingebettet. Mit diesem Verständnis wird im zweiten Teil die Trickle-Down-Theorie konsumsoziologisch analysiert. Unter Einbezug der theoretischen Überlegungen von Wolfgang Fritz Haug, Werner Sombart, Pierre Bourdieu, Thorstein Veblen und Zygmunt Bauman zeigt sich, dass zentrale Annahmen wie etwa rationale Konsumentscheidungen entlang des Menschenbild des Homo Oeconomicus einer Überprüfung nicht standhalten. Im Hinblick auf Werner Sombarts Definition von Luxus werden im abschließenden dritten Teil die Auswirkungen des Luxuskonsums der Oberschicht am Beispiel der Diamantenproduktion sowie des Kunstmarktes untersucht. Ein Trickle-Down-Effekt ist zumindest in diesen beiden Anwendungsgebieten nicht zu entdecken.
Demzufolge muss der Trickle-Down-Theorie in Bezug auf diesen begrenzten theoretischen Rahmen die Gültigkeit abgesprochen werden.
Abstract
The aim of this master thesis is to examine the concept of neoliberalism by the example of trickle-down theory. The validity of this theory is investigated with reference to the consumer behavior of the upper class in the field of luxury goods, taking into account considerations of the sociology of consumption. In general, the trickle-down theory states that economic growth and large wealth concentrations enable a rich upper class to consumption and investment, which in turn leads to an increase in prosperity in the poorer classes. Therefore, tax relief for wealthy populations as well as the implementation of a free deregulated market are necessary to increase the productivity of the upper class. This increased productivity leads to a prosperity that benefits all members of a society. As a result, consumption is considered an important driving force in the economy.
In terms of content this work is divided into three parts. In a first step, the basic assumptions of the neoliberal ideology with focus on the trickle-down theory are illuminated. The so- called "horse-and-sparrow theory" is embedded in the central ideological characteristics (such as the definition of freedom or justice) and the objectives derived therefrom (for example, the reduction of state regulation). With this understanding, the trickle-down theory is analyzed in the second part. Taking into account the theoretical considerations of Wolfgang Fritz Haug, Werner Sombart, Pierre Bourdieu, Thorstein Veblen and Zygmunt Bauman, it is clear that central assumptions, such as rational consumer choices in terms of the image of Homo Oeconomicus, do not stand up to a review. With regard to Werner Sombart's definition of luxury, the final third part examines the effects of the luxury consumption of the upper class on the example of diamond production as well as the art market. A trickle-down effect is at least not to be discovered in these two fields of application.
Consequently, the trickle-down theory must be denied validity with respect to this limited theoretical framework.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verteilung des durchschnittlichen Einkommenswachstums während Wachstumsphasen in den USA (1949-2012)
Abbildung 2: Der Kreislauf neoliberaler Privatisierung (eigene Erstellung)
Abbildung 3: Skizzierung der Schicht der Superreichen nach Krysmanski
1. Einleitung
„Das Geld kam, so das Märchen, nicht von Patriarchen, es kam ohne Gewerkschaft und ohne Partei, nachts in den Büros wurde es digital gezeugt und durch die Nase gezogen. Und später — das war der zweite, unaufregende Teil der Geschichte, den man, wie Faust zwei, abnickte — ist noch was für alle da. Die Superreichen lassen es herabrieseln wie Sternenstaub, und auf dem steigen dann die Armen empor, sie sitzen nicht mehr den ganzen Tag zuhause oder stehen spät auf, sie dürfen ins Call-Center oder ein Nagelstudio betreiben und morgens die Faust ballen, wenn sie Kaffee im Becher über die Bürgersteige befördern. Dieses letzte Kapitel war mit >Agenda 2010< überschrieben. Nur Streber fragten: Gibt es das wirklich? Geld, das von oben nach unten rieselt? Die Antwort war: Wenn du ganz fest daran glaubst...“ (Minkmar 20081 )
Nils Minkmar rüttelt mit seinem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „Was ist mit dem Geld passiert?“ im Zuge der Finanzkrise 2008 an einem der Grundpfeiler des neoliberalen Selbstverständnisses: Der Trickle-Down-Theorie oder umgangssprachlich der Pferdeäpfel-Theorie. Seit der sogenannten „neoliberalen Konterrevolution“ Mitte der 1970er2 Jahre dient diese Theorie als Legitimationsgrundlage zur Implementierung eines radikal freien Marktes, innerhalb der der Staat lediglich die Funktion eines liberalen „Nachtwächterstaates“ einnimmt, der sich dem Schutz des Privateigentums und der Garantie freier (deregulierter) Märkte mit höchster Aufmerksamkeit widmet (vgl. Lösch 2008, S. 222). Grundsätzlich ist der Neoliberalismus nicht als reine ökonomische Theorie zu begreifen, sondern als ideologisches Konstrukt. Der Grund für diese Klassifizierung als Ideologie liegt in den gesellschaftstheoretischen Elementen diverser neoliberaler Vordenker wie Friedrich August von Hayek oder auch Milton Friedman. Es werden somit Annahmen über die Natur des Menschen formuliert, die grundsätzliche philosophische Fragestellungen berühren. Die Betonung der Individualisierung innerhalb einer Marktgesellschaft und der „Freiheit“ des Individuums frei von staatlichen Zwängen zeichnet das Bild eines Menschen, der den „Naturgewalten“ der freien Märkte (d.h. negative Konsequenzen von Markresultaten kommen Naturereignissen gleich, da sie unabwendbar sind und damit auch kein Individuum dafür verantwortlich ist) gehorchen muss.
Der Neoliberalismus stellt jedoch keine einheitliche theoretische Strömung dar, sondern viel mehr eine internationale heterogene Denkrichtung. Diese Heterogenität speist sich aus den verschiedenen geographischen Räumen und den damit verbundenen historischen Entwicklungen, die zu einer jeweils spezifischen Ausformung des Neoliberalismus führten. Grob konnte zwischen dem angelsächsisch (amerikanisch/bri tisch) und dem kontinentaleuropäisch geprägten Neoliberalismus unterschieden werden3. Hier kommt auf beiden Seiten der Entwicklung spezieller (Denk-) „Schulen“ hohe Bedeutung zu, namentlich der österreichischen (u.a. F.A. Hayek, Mises) und der deutschen Schule (u.a. Rüstow, Eucken) sowie den sogenannten „Chicago Boys“ um Milton Friedman. Trotz all dieser Heterogenität gibt es zentrale Standpunkte und Ziele, die allesamt den Marktprinzipien einen Hoheitsstatus einräumen. In letzter Konsequenz ist das Ziel eine „Marktgesellschaft“.
Demzufolge werden Legitimationsmuster benötigt, die die Durchsetzung neoliberaler Reformvorstellungen unterstützen und rechtfertigen. Hierbei ist die Trickle-Down-Theorie eine häufig genutzte Argumentationsgrundlage. Generell besagt diese Theorie, dass wirtschaftliches Wachstum und große Vermögenskonzentrationen eine reiche Oberschicht zu Konsumausgaben und Investitionen befähigt, die wiederum zu einer Steigerung des Wohlstandes in den ärmeren Schichten führt. Die sogenannten Sickereffekte benötigen dabei erst eine gewisse Zeit, um in untere Schichten zu gelangen. Demnach führt die geringere Belastung der „Rentierklasse“ (Freeland 2013, S. 217) zu Wachstum und Wohlstandssteigerung, von dem alle gesellschaftlichen Schichten profitieren. Dennoch ist die Trickle-Down-Theorie nicht als „Theorie“ im klassischen Sinne zu verstehen, sondern eher als eine Art Dogma. Sie wird umrahmt von Milton Friedmanns „supply-side economics“ und der Monetarismus-Theorie (vgl. Mattfeldt 2006, S. 89ff.), die die existenzielle Notwendigkeit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik unterstreicht. Um Trickle-Down Effekte zu überprüfen ist es somit notwendig, das Konsumverhalten der wohlhabenden Oberschicht in das Zentrum der Analyse zu stellen. Hierbei sollen Erkenntnisse der Konsumsoziologie bei der theoretischen Überprüfung behilflich sein.
Die Arbeit trägt den Titel: Das Konzept des Neoliberalismus — Überprüfung der Legitimationsgrundlagen am Beispiel der Trickle-Down-Theorie unter Einbezug konsumsoziologischer Überlegungen. Somit ergibt sich folgende Fragestellung:
Wie ist die Gültigkeit der Trickle-Down-Theorie als neoliberale Legitimationsgrundlage unter Berücksichtigung konsumsoziologischer Überlegungen anhand des Konsumverhaltens der Oberschicht zu bewerten?
Die Antwort auf diese Frage soll in dieser Abhandlung hauptsächlich auf theoretischer anstelle empirischer Ebene stattfinden. Der theoretische Zugang wird deswegen gewählt, da die empirische Faktenlage zum Konsum- und Investitionsverhalten wohlhabender Bevölkerungsschichten sich als äußerst übersichtlich darstellt. Ein Beispiel dafür ist in den Untersuchungsmethoden des amerikanischen United Census Bureau zu beobachten, die nach eigenen Angaben noch keine Personen mit einem Jahreseinkommen über 300.000$ in ihre Analyse einbezogen haben (vgl. Krysmanski 2012, S. 13). Dieses Exempel verweist bereits auf eine weitere Problematik bezüglich der empirisch fundierten Untersuchung von Reichtum, nämlich der mangelnden Unterscheidung zwischen Vermögen und Einkommen. Während Einkommensentwicklungen statistisch sehr genau zu erfassen sind, gilt bei der Vermessung von Vermögen der Umkehrschluss. Zumeist beruhen Daten zu Letzterem auf Eigenangaben der befragten Personen. Desweiteren beschränkt sich diese Arbeit nicht auf ein bestimmtes Staatsgebiet, da die ökonomischen Aktivitäten der obersten Gesellschaftsschicht als kosmopolitisches Phänomen zu begreifen sind. Kapitalströme sind zunehmend transnational und damit auch schwer empirisch zu erfassen, wie dies am Beispiel von sogenannten „Steueroasen“ zu beobachten ist. Daher wird für diese Abhandlung ein theoretischer Zugang zu dieser Thematik auf Basis bestimmter Fallanalysen gewählt. Das heißt aber auch, dass eine pauschalisierte Antwort auf die Forschungsfrage nicht möglich ist, sondern lediglich ein Ergebnis bezogen auf die angeführten theoretischen Überlegungen und Fallanalysen. Demnach soll die Trickle-Down-Theorie mithilfe der Erkenntnisse der Konsumsoziologie untersucht werden. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf Thorstein Veblens Demonstrativen Konsum gelegt, der auf die Zurschaustellung von Reichtum und Wohlstand verweist. Eine wohlhabende Schicht umgibt sich dabei mit symbolischen Gütern, die eng an einen gewissen Lebensstil bzw. an einen gesellschaftlichen Status gebunden sind. Hierbei spielen Prestigenormen eine große Rolle. Demzufolge wird die Analyse im dritten Teil auf den Konsum von Luxus gelegt (symbolische Güter). Folgt man der Trickle-Down-Theorie, müssten subalterne Gesellschaftsschichten von diesem Konsum profitieren. Dieser Umstand wird anhand von Konsumformen und ihrer spezifischen Anwendungsbereiche der Oberschicht untersucht. Hierbei handelt es sich um Fallanalysen entlang der sozialen Auswirkungen der Produktion von derartigen Gütern bzw. Dienstleistungen.
Die Arbeit ist sinnhaft in drei Teile gegliedert. Das Fundament der Untersuchung bildet die Beschreibung der neoliberalen Ideologie. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die Trickle- Down-Theorie gelegt. In einem ersten Schritt soll eine kurze Beschreibung der historischen Entwicklung des Neoliberalismus erfolgen. Anschließend wird die theoretische Fundierung der neoliberalen Ideologie aufgegriffen, die entlang ausgewählter Denker erfolgen soll. Hierbei werden zentrale Begrifflichkeiten der gesellschaftstheoretischen Annahmen erläutert. Das Menschenbild des Homo Oeconomicus, die Konzeption von Freiheit und Zwang, die Auffassung über Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit sowie die Betonung von Konkurrenz und Wettbewerb werden beleuchtet. Mit diesem Verständnis folgt eine Schilderung der Konzeption der „Pferdeäpfel-Theorie“ sowie ihrer Einbettung in die „supply-side economics “ von Milton Friedman. Als letzter Punkt sollen kurz und prägnant die zentralen (wirtschafts-) politischen Standpunkte und Forderungen des Neoliberalismus dargestellt werden. Thematisiert wird die Konzeption des radikal freien Marktes, das Primat der Privatisierung und ihrem Verhältnis zum Sozialstaat, die Auffassung über Demokratie und Politik sowie Implementierungsstrategien in Form von „alternativlosen“ Sachzwängen.
Aufbauend auf diesem Fundament wird im zweiten Teil dieser Abhandlung auf konsumsoziologische Überlegungen eingegangen. Die Ausführung diverser Theorien soll nicht nur in Form einer Replikation erfolgen, sondern in Verbindung mit der Trickle-Down- Theorie beschrieben werden. So wird in einem ersten Schritt einführend auf grundsätzliche konsumsoziologische Überlegungen eingegangen. An dieser Stelle soll die Wichtigkeit von Luxusgütern für Konsumformen vor allem in wohlhabenden Gesellschaftsschichten unterstrichen werden. Nachfolgend werden fünf Autoren und ihre Theorien beschrieben. Hierbei handelt es sich um Wolfgang Fritz Haugs „Kritik der Warenästhetik“, Werner Sombarts „Luxus und Kapitalismus“, Thorstein Veblens „Theory of the leisure class“, Pierre Bourdieus Werk „Die feinen Unterschiede“ sowie Zygmunt Baumans „Leben als Konsum“.
Mit diesem Verständnis wird in einem dritten Teil das Konsumverhalten der Oberschicht anhand von zwei Falluntersuchungen beleuchtet. Wie schon eingangs erwähnt sollen die sozialen Auswirkungen der Produktion von Luxusgütern bzw. Dienstleistungen in den Mittelpunkt gestellt werden. Das heißt es werden bestimmte Anwendungsbereiche des (Luxus-)Konsums der „herrschenden Klasse“ (Bourdieu 2016, S. 405) untersucht. Mit Blick auf die Trickle-Down-Theorie müsste diese Konsumtion positive Folgen für subalterne Klassen haben, z.B. in Form von (sozial verträglichen) Arbeitsplätzen. Genauer ist damit die Produktion von Diamanten sowie die Konsumaktivitäten auf dem High-End Kunstmarkt gemeint.
2. Neoliberale Konzeption und Trickle-Down-Economics
2.1. Historischer Abriss neoliberaler Entwicklung
„Die Ausbreitung des Neoliberalismus in den vergangenen zwei Dekaden über alle Kontinente machte ihn zur vielleicht universalsten Ideologie der Weltgeschichte.“ (Anderson 2003, S. 46)
Die wörtliche Übersetzung des Terminus „Neoliberalismus“ entspricht einem „neuen Liberalismus“. Somit dient der alte bzw. klassische Liberalismus der frühkapitalistischen Phase als Referenzpunkt und gleichzeitig als Unterscheidungsmerkmal. Die Anfänge des Neoliberalismus gehen dabei auf die frühen 1930er Jahre zurück. Während der Weimarer Republik (1918-1933) in Deutschland wurde die Regulierung der Märkte sowie staatliche Interventionen in die Ökonomie ausgeweitet4. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verstärkte den Unmut über die „freien Märkte“ und führte zu einer intensiveren Regulierung der Wirtschaft. Grundlage dafür war die „General Theory“ des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der auf einer staatlichen planmäßigen Ordnung der gesellschaftlichen Produktivkräfte beruhte („Keynesianismus“). Dies implizierte einen makroökonomischen (staatlichen) Interventionismus. Somit sollte den Krisen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch aktive Eingriffe von staatlicher Seite entgegengewirkt werden, das bedeutet eine aktive Umverteilung ökonomischen Kapitals durch einen starken Sozialstaat. Im Gegensatz zum Keynesianismus markierte die Weltwirtschaftskrise auch das Ende des klassischen Liberalismus und fungierte gleichzeitig als Wegbereiter für den Neoliberalismus. Es begann demnach eine erste Phase neoliberaler Formierung (vgl. Ptak 2007, S. 81). In Deutschland führten die Ökonomen Walter Eucken und Alexander Rüstow eine offene Konfrontation mit dem staatlichen Interventionismus der Weimarer Republik, da sie die Gründe für die Krise in einer Art Überregulierung sahen. Dies verdeutlicht den Anfangspunkt des deutschen Neoliberalismus. Röpke und der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Rüstow formulierten das erste marktwirtschaftliche Programm einer „widergelagerten Wirtschaftspolitik“, dass das Staatsversagen in den Mittelpunkt stellt (vgl. ebd., S. 21). In Deutschland sprach man allerdings vom sogenannten Ordoliberalismus, der sich allerdings nur pointiert vom neuen Liberalismus unterschied5. 1937 erschien das erste neoliberale Komplettwerk The Good Society des amerikanischen Journalisten Walter Lippmann (vgl. Schreiner 2016, S. 9). Dieses Werk war Ausgangspunkt des ersten internationalen Kolloquiums 1938 in Paris, bei der zum ersten Mal Vertreter des angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Neoliberalismus aufeinandertrafen. Dieses Treffen markierte den Beginn der Internationalisierung des neuen Liberalismus. Es entstanden spezielle Denkschulen u.a. in Österreich (Wiener Schule), Deutschland (Freiburger Schule) und den USA (Chicago School). Hieraus entstammen theoretische Ansätze wie die Public-Choice- Theory (Theorie kollektiver Entscheidungen), die Rational-Choice-Theory (Theorie rationaler Entscheidungen) sowie die Property-Rights-Theory (Theorie der Eigentumsrechte) (vgl. Ptak 2007, S. 23). 1947 wurde unter der Führung des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek die Mont Pélerin Society in der Schweiz gegründet. Dieser in den USA eingetragene Verein gilt als wichtigstes neoliberales Netzwerk. Mehr als 1000 Mitglieder sowie über 100 vernetzte Think-Tanks unterstreichen diese Bedeutung. Hier wurde auch die programmatische Grundlage des internationalen Neoliberalismus formuliert, nämlich dem Statement of Aims. Diese knappe Aufführung an Zielen vermochte die unterschiedlichen Strömungen zu einen (vgl. Ebd., S. 22). So entsprachen die 1940er und 50er Jahre einer Orientierungs- und Koordinierungsphase, innerhalb dieser noch kein maßgeblicher Einfluss auf politische oder ökonomische Institutionen bestand. In den 1960er Jahren fassten die wirtschaftsliberalen Ideen Fuß in Schwellen- und Entwicklungsländern (siehe Latein- und Südamerika6 ). Die 1970er Jahre läuteten schlussendlich den Durchbruch neoliberaler Ideen ein. Unter Eindruck der Ölkrise 1973 sowie neuer Formen der Massenarbeitslosigkeit und steigender Sozialausgaben7 wurde scharfe Kritik an der Distributionspolitik des Keynesianismus durch Marktradikale laut. Es entwickelte sich eine Krise des Interventionsstaates, die die Basis für die von Milton Friedman ausgerufene „neoliberale Konterrevolution“ bildete (vgl. Ptak 2007, S. 83). Das Ende der festen Wechselkurse (Bretton-Woods-System) im März 1973 begünstigte zudem diesen Vormarsch (vgl. Altvater 2008, S. 54). Parallel dazu beginnt die Unterscheidung zwischen dem kontinentaleuropäischen sowie angloamerikanischen Neoliberalismus aufzuweichen. Es beginnt in Europa eine Verschiebung hin zu der amerikanischen (Friedman) bzw. österreichischen (Hayek) Denkrichtung, was mitunter durch die Globalisierung des US- amerikanischen Kapitals sowie des Dollars als Leitwährung begründet war (vgl. Röttger 2008, S. 92f.). Milton Friedman und Friedrich August von Hayek stiegen so zu den einflussreichsten Neoliberalen auf. Durch Friedmans Theorie des Monetarismus aber auch durch Hayeks Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ fand die Trickle-Down-Theorie ihre Heimat. In den USA unter Ronald Reagan (und seinen sogenannten Reagonomics) sowie in Großbritannien unter Margaret Thatcher wurde der Terminus „Trickle-Down“ als Legitimation zur Entlastung der wohlhabenden Oberschicht (wie etwa durch Steuererleichterungen) zu einem politischen Kampfbegriff. Dies setzte eine ab Mitte der 1970er Jahre beginnende Deregulierungswelle der Finanz- bzw. Privatwirtschaft frei. Der Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er- Jahre führte zur Vormachtstellung neoliberaler Denkmuster, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzt.
2.2. Theoretische Fundierung neoliberaler Ideologie
Der Neoliberalismus ist mehr als eine reine Wirtschaftstheorie, viel eher bildet letztere das Zentrum dieser Ideologie. Die ökonomische Theorie wird dabei von philosophischen, politikwissenschaftlichen, juristischen, soziologischen und historischen Ansätzen umrahmt. Um zu verstehen, warum neoliberale Denkmuster auf die Entlastung von großen Privatvermögen abzielen und somit die Wichtigkeit der Konsumhandlungen der Oberschicht zur gesellschaftlichen Wohlstandssteigerung unterstreichen, ist es notwendig auf die gesellschaftstheoretischen Annahmen einzugehen. Wohlstand tröpfelt durch Konsum und Investition der Reichen, wie etwa des Luxuskonsums, auf die subalternen Schichten (und leistet nebenbei eine „effizientere“ Distribution ökonomischer Kapitalien als von staatlicher Seite). Diese Auffassung ist nur durch das neoliberale Menschenbild zu verstehen, auf das in den nächsten Punkten eingegangen werden soll.
2.2.1. Individualisierung und das Menschenbild des Homo Oeconomicus
„In der Tat bin ich zu der Auffassung gekommen, dass der ökonomische Ansatz so umfassend ist, dass er auf alles menschliche Verhalten anwendbar ist, sei es nun Verhalten, das monetär messbar ist oder unterstellte JSchatten'- Preise hat, seien es wiederkehrende oder seltene Entscheidungen, handle es sich um emotionale oder nüchterne Ziele, reiche oder arme Menschen, Männer oder Frauen, Erwachsene oder Kinder, kluge oder dumme Menschen, Patienten oder Therapeuten, Geschäftsleute oder Politiker, Lehrer oder Schüler.“ (Becker 1982, S. 7)
Der Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften Gary S. Becker8 verdeutlicht mit dieser Aussage das neoliberale Menschenbild: Der Homo Oeconomicus als Maßstab für alle menschlichen Verhaltensweisen. Dies zielt auf eine Universalisierung des Marktgedankens ab und verdeutlicht einen „ökonomischen Imperialismus“ (Engartner 2007, S. 96). Der Homo Oeconomicus skizziert den „idealisierten »»Mensch«, der - bei gegebener Präferenzordnung, bei vollkommener Informiertheit und vollkommener Voraussicht - mit dem Ziel individueller Nutzenmaximierung seine Kauf- und Verkaufs-, Produktions- und Konsumtionsentscheidungen rational trifft. “ (Hillmann 1994, S. 340) Folgt man Gary S. Beckers Humankapitalansatz sind Individuen in einer Marktgesellschaft stets vollkommen informiert und treffen auf dieser Basis rationale Entscheidungen, die einen maximalen individuellen Nutzen versprechen. De facto werden damit jegliche zwischenmenschliche Beziehungen auf ein Tauschverhältnis reduziert. Es handelt sich um eine Totalisierung von Marktverhältnissen. Dieses Bild des effizienten Menschen beruht auf einem utilitaristischen Handlungsverständnis. Somit sind (egoistische) Individuen stets an der Maximierung ihres Nutzens interessiert (Kosten-Nutzen Kalkül). Ganz im Sinne Jeremy Benthams ergibt die Summe aller Einzelnutzen einen gesellschaftlichen Gesamtnutzen (vgl. Ptak 2007, S. 30). An dieser Stelle ist die Homologie zu der Trickle-Down-Theorie unverkennbar. Eine wohlhabende Oberschicht maximiert ihren individuellen Nutzen durch ihr Konsum- bzw. Investitionsverhalten und trägt somit zu einem gesellschaftlichen Gesamtnutzen bei. Der Neoliberalismus unterstreicht zudem die Wichtigkeit des (unberührten) Privatbesitzes, der erst individuelles Handeln und Freiheit ermöglicht (vgl. Lösch 2007, S. 224). Der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek überträgt die Ansätze des Utilitarismus auf die Marktsphäre (und damit auch auf die gesellschaftliche Anordnung) und unterscheidet zwischen konstruierten und spontanen Ordnungen. Während konstruierte Ordnungen eine Autorität benötigen (z.B. der Staat), entstehen spontane Ordnungen aus der Summe aller individuellen Handlungen (vgl. Ptak 2007, S. 43ff.). Hayek präferiert letzteres, da Kollektivismus bzw. kollektive gesellschaftliche Ziele (wie etwa solidarisch geteilter Wohlstand) sich gegen den Zivilisationsprozess richten. Anders formuliert: Ein Rückschritt für die gesellschaftliche Entwicklung, da Kollektivismus autoritäre Institutionen benötige. Das käme einem Konstruktivismus gleich. Daher ist der freie Markt für Hayek das perfekte Exempel einer spontanen Ordnung und gilt als Vorbild für die übrigen gesellschaftlichen Sphären. Hier ist bereits Hayeks Evolutionslehre zu sehen, der von „natürlichen“ Märkten und konstruiertem Kollektivismus spricht. Nach Reinhard Pirker sind Märkte jedoch sehr wohl soziale Gebilde, da sie von Menschen errichtet wurden (vgl. Pirker 2004, zitiert nach Ptak 2007, S. 48f.)
Somit steht das Individuum bzw. der Individualismus im Zentrum der neoliberalen Ideologie. Das Fundament dieser Orientierung bildet der methodologische Individualismus, der gesellschaftliche Strukturen als Folgeerscheinung individueller Motivationsmuster und Handlungen betrachtet. Demnach sind kollektive Gebilde immer auf individuelle Verhaltensweisen zurückzuführen (vgl. Lösch 2007, S. 224). Hayek unterscheidet zwischen einem wahren und falschen Individualismus. Ersterer zeichnet sich durch ein „realistisches“ antirationalistisches Menschenbild aus, dass die Vernunft (Ratio) nicht als Kernelement menschlicher Entwicklung begreift. Hayek wendet sich hier gegen den Rationalismus, da dieser die Konstruktion der Kultur als absichtlich und geplant begreift und gesellschaftliche Entwicklung als planvolle menschliche Handlung beschreibt. „Der Individualismus ist daher eine Haltung der Demut angesichts dieses sozialen Prozesses und der Duldsamkeit gegenüber anderen Meinungen. Er ist das genaue Gegenteil jener intellektuellen Hybris, in der das Verlangen nach einer umfassenden Lenkung des sozialen Prozesses wurzelt.“ (Hayek 1971, S. 209). Demnach ist die gesellschaftliche Entwicklung durch nicht-intendierte Folgen individueller Handlungen zu sehen. Ein falscher Individualismus dagegen würde ein idealisiertes Menschenbild bedienen, das eine überzogene Betonung von Vernunft verwendet. Somit stellt die neoliberale Auffassung von Individualismus ein „System dar, in dem schlechte Menschen am wenigsten Schaden anrichten können.“ (Hayek 1948, zitiert nach Ptak 2007, S. 60). Es wird ein negatives Menschenbild gezeichnet. Die Einteilung in wahren und falschen Individualismus zeigt das Freund/Feind-Schema, das von neoliberaler Seite sehr häufig genutzt wird. Ein weiteres Kennzeichen einer Ideologie, die somit normative Aussagen tätigt. Hayek erkennt, was „wahr“ und „falsch“ ist und verdeutlicht eine Konstruktion der Wirklichkeit.
Mit diesem Verständnis ist die Architektur der Trickle-Down-Theorie nachvollziehbar. Ein Individuum kann nun mehrere Ziele verfolgen ohne auf eine Gruppe bzw. Gesellschaft Rücksicht zu nehmen, da die Summe aller individuellen Nutzen einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen ergeben. Zudem entwickelt sich dank des „wahren“ Individualismus aus der kollektiven eine individuelle Moral. Übertragen auf den Konsum, müssen wohlhabenden Schichten lediglich ihren individuellen Konsumwünschen entlang eigener Moralvorstellungen folgen, damit die gesamte Gesellschaft davon profitiere.
2.2.2. Freiheit & Zwang
Der Begriff der Freiheit wird von neoliberaler Seite sehr häufig in Anspruch genommen, besonders in Verbindung mit individueller Selbstverwirklichung innerhalb des „freien Marktes“.
„Dem wahren Sachverhalt jedoch entspräche es weit mehr, wenn man das Geld als eines der großartigsten Werkzeuge der Freiheit, die der Mensch je erfunden hat, bezeichnen würde. “ (Hayek 1971, S. 121). Dieses Zitat verdeutlicht den neoliberalen Freiheitsbegriff, nämlich die Beschränkung der individuellen Freiheit auf die Marktsphäre. Die Grundlage bildet die im vorigen Kapitel beschriebene spontane Ordnung. Bezogen auf den Markt sei diese ursächlich für die sich selbst verstärkende Dynamik. Nach Hayek sind Märkte ein Selektionsresultat der Evolution (Theorie der kulturellen Evolution) und als höchste Form der zivilisatorischen Entwicklung zu betrachten (vgl. Ptak 2007, S. 61). An dieser Stelle wird verständlich, warum Neoliberale Märkte den Naturgewalten gleichsetzen9. Zwänge entstehen dagegen immer durch autoritäre Institutionen, die die „Natürlichkeit“ des Marktes verändern wollen, also intentional sind. Damit wird deutlich, warum beispielsweise Arbeitslosigkeit als selbstverschuldet beschrieben wird. Salopp formuliert hat man die Freiheit, die einem der Markt bietet, nicht genutzt und ist deswegen zurecht erwerbslos. In der Sozialphilosophie Hayeks wird Freiheit als Handlungsrahmen für das Individuum konzipiert, in der der Begriff als negative Kategorie angeführt wird. Das bedeutet man ist immer frei „von etwas“ nicht „für etwas“. Somit impliziert die neoliberale Auffassung von Freiheit die Abwesenheit von Zwang. Freiheit des Individuums ist demnach auch die Freiheit vom Vernunftglauben. Weiterhin müssen Menschen Marktresultate akzeptieren wie sie eben auch Naturkatastrophen akzeptieren müssen, sie sind also zwanglos. Daher sind beispielsweise Streiks nicht hinzunehmen, da sie einen zwanghaften Eingriff in die Spielregeln des Marktes darstellen. Auf der anderen Seite sind exorbitante Managergehälter zu akzeptieren, da sie durch die „natürlichen“ Prozesse der Marktsphäre entstanden sind. Lassen wir an dieser Stelle nochmals Hayek zu Wort kommen:
„Die Gesellschaft ist keine handelnde Person, sondern eine Struktur von Handlungen, die sich daraus ergibt, dass ihre Mitglieder gewisse abstrakte Regeln beachten. Wir alle verdanken die Wohltaten [der freien Märkte; Anmerkung des Verfassers] nicht irgendjemandes Absicht, sie uns zukommen zu lassen, sondern der Tatsache, dass die Mitglieder der Gesellschaft im allgemeinen gewissen Regeln gehorchen, Regeln, die die Regel einschließen, dass niemand auf andere Zwang ausüben darf, um sich (oder dritten Personen) ein bestimmtes Einkommen zu sichern. Das erlegt uns die Verpflichtung auf, die Resultate des Marktes auch dann zu akzeptieren, wenn er sich gegen uns wendet.“ (Hayek 1981, zitiert nach Ptak 2007, S. 52).
Demnach kann der Freiheitsbegriff mit ökonomischer Freiheit gleichgesetzt werden. Politische Freiheit gilt dagegen als Bedrohung der Marktgesellschaft. Hier zeigen sich bereits autoritäre Merkmale des Neoliberalismus.10
Synonym dazu ist die Trickle-Down-Theorie auch als „zwanglos“ zu betrachten. Die Freiheit großer Vermögenskonzentrationen weniger Individuen zu konsumieren und investieren (ohne auf die Gemeinwohlverpflichtung von Privateigentum zu achten) ist somit auch Ergebnis von „natürlichen“ Marktresultaten und damit nicht verwerflich11. Auf der anderen Seite wären keynesianistische Umverteilungsmodelle als „Zwang“ zu betrachten. Eben diese Zwanglosigkeit wird der sozialen Ungleichheit bescheinigt, da sie von „anonymen“ „natürlichen“ Märkten erzeugt wird.
2.2.3. Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit
Auch Gerechtigkeit fungiert nach neoliberalem Selbstverständnis als negative Kategorie. Der Begriff wird auf die rechtliche Sphäre reduziert (in Verbindung mit dem Schutz des Privateigentums) und thematisiert die Bewahrung vor willkürlichen Akten der Enteignung (vgl. Ptak 2007, S. 71). Nach neoliberaler Auffassung bedeutet Gerechtigkeit die Befähigung jedes Individuums an Marktprozessen teilzunehmen. Soziale Gerechtigkeit wird dagegen als „Fata Morgana“ (Hayek) bezeichnet und durch die zentralen Termini der Chancen- bzw. Leistungsgerechtigkeit ersetzt. Dies verstärkt den gesellschaftlichen Selektionscharakter nach Evaluationsprinzipien, wie etwa der Gleichsetzung von Leistung und monetären Erfolg (vgl. Demirovic 2008, S. 20). Generell gelten spezifische Gerechtigkeitsvorstellungen als zentrales Konstitutionsmerkmal gesellschaftlicher Strukturen und sind gleichzeitig deren normative Grundlage. Diese Vorstellungen sind dynamisch und unterliegen einem stetigen Wandel. Gerechtigkeit benötigt gewisse Moralvorstellungen. Letztere sind nach Hayek nur schwer mit einer Marktwirtschaft zu verbinden, da Märkte wie Naturgesetze funktionieren würden. Demzufolge kann die menschliche Vernunft dessen Prinzipien verstehen, sie jedoch nicht steuern. Der amerikanische Ökonom und Mitglied der Mont Pelérin Society James M. Buchanan sah als zentrales Merkmal von gesellschaftlicher Gerechtigkeit die sogenannte Pareto-Effizienz. Sie gilt als Kriterium zur Beurteilung der ökonomischen Effizienz der Wohlstandsverteilung. Demzufolge wären Distributionsverhältnisse (auch bei enormer sozialer Ungleichheit) optimal, wenn es keine andere (gesellschaftliche) Konstellation gäbe, bei der ein Individuum besser gestellt sein könne ohne dass es einem anderen schlechter ginge (vgl. Reitzig 2008, S. 140ff.). Dies beruht wiederum auf einer freiwilligen Übereinstimmung der Marktteilnehmer, da hier Freiheit vorherrschen würde (Freiwilligkeit des Tauschaktes).
Die Gerechtigkeitsauffassung12 zielt auf eine Art Antiegalitarismus ab, da Freiheit nicht in Zusammenspiel mit Gleichheit zu denken ist. Dies führt dazu, soziale Ungleichheit als positive Erscheinung zu bewerten: „Ungleichheit ist nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich. Sie ist einfach nötig.“ In einem Interview mit der Wirtschaftswoche bezieht Hayek auch klar Position gegenüber den Begriff der Gleichheit:
„Für eine Welt, die auf egalitäre Ideen gegründet ist, ist das Problem der Überbevölkerung [...] unlösbar. Wenn wir garantieren, dass jeder am Leben erhalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Gegen diese Überbevölkerung gibt es nur eine Bremse, nämlich dass sich nur die Völker erhalten und vermehren, die sich auch ernähren können. “ (Hayek 1981, zitiert nach Ptak 2007, S. 73).
Die klar erkennbaren Parallelen zu sozialdarwinistischen Annahmen werden im späteren Verlauf nochmals aufgegriffen. Die neoliberale Definition von Gerechtigkeit findet sich auch im Konstrukt der Trickle-Down-Theorie wieder: Die Anhäufung von Reichtum und dessen freie Verfügung ist gerecht. Ungerecht wäre es, große Vermögenskonzentrationen etwa durch Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern und dergleichen zu belasten. Privateigentum kommt den Neoliberalen als eine Art heiliger Gral gleich, den es mit größter Aufmerksamkeit vor jeglichen Eingriffen (besonders von staatlicher Seite) zu schützen gilt: „Der Mensch wird erst durch seine Eigentumsrechte als Person definiert. “ (Buchanan 1984, zitiert nach Reitzig 2008, S. 144). Hierbei wird negiert, dass ohne gesellschaftliche Institutionen und besonders subalterne Schichten dieser Eigentum nur schwerlich zu Stande kommen würde. Mit Hilfe der Pareto-Effizienz-Kriterien ist jede Umverteilung zugunsten wohlhabender Schichten solange zu akzeptieren, solange sich darunterliegende Schichten auch minimal verbessern (oder zumindest nicht verschlechtern), selbst wenn die soziale Ungleichheit zunimmt. Demzufolge müssen Sickereffekte durch den Konsum der Oberschicht nicht üppig ausfallen, wie später am Luxuskonsum gezeigt werden soll. Bildlich gesprochen reichen auch ein paar „Tröpfchen“ Wohlstand um der Gerechtigkeit Genüge zu tun.
2.2.4. „Survival of the _ fittest“ - Konkurrenz & Wettbewerb
Die sozialdarwinistischen Elemente der neoliberalen Konzeption werden am deutlichsten in der Betonung von Konkurrenz und Wettbewerb. Sie ersetzen gesellschaftliche Begrifflichkeiten wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit (vgl. Schreiner 2016, S. 22). Worin liegt diese Auffassung begründet? Nach Hayeks Theorie der kulturellen Evolution ist die Zivilisation wie auch die Gesellschaft das Ergebnis spontaner Ordnungen. Er sieht dabei drei Wurzeln menschlicher Entwicklung: Instinkte, Tradition und Vernunft. Während Instinkte eine genetische bzw. biologische Evolution beschreiben, skizzieren Tradition und Vernunft eine kulturelle Evolution. Es handelt sich somit immer um einen Prozess der Anpassung an eine äußere Umwelt mittels kontinuierlichen Wettbewerbs, der einem bestimmten Selektionsmechanismus folgt. Hayek beschreibt die menschliche Entwicklung als andauernden Kampf des Bestehens oder Untergehens. Bezogen auf die biologische Evolution impliziert diese Auffassung den Kampf um das physische Überleben. Auf kultureller Ebene verschieben sich die Selektionskriterien auf den Produktivitätsvorsprung, der im „erfolgreichen“ Wettbewerb mit anderen Konkurrenten entsteht (vgl. Ptak 2007, S. 54ff.). Die freie Marktwirtschaft sieht er dabei als Höchstform menschlicher Zivilisation. Das Individuum wird nun bestimmt durch die Selektionsmechanismen des freien Wettbewerbs. Diejenigen Individuen, die am erfolgreichsten aus diesem Wettbewerb hervorgehen, bilden nun eine Elite (Leistungselite) (vgl. Lösch 2007, S. 225). Sie sind dafür prädestiniert an der Spitze einer Gesellschaft zu stehen und verdienen für ihren Erfolg die soziale Anerkennung subalterner Schichten. Daher scheint es nicht verwunderlich, dass das gesellschaftliche Phänomen, monetären Reichtum als Konsequenz aus Erfolg und Leistung zu betrachten, ein weit verbreitetes neoliberales Narrativ ist.
Im Gegensatz zu Walter Eucken (Freiburger Schule) impliziert Hayeks evolutionäre sozialdarwinistische Erklärung gesellschaftlicher Entwicklung einen entpolitisierten Markt. Der Wettbewerb erscheint dabei als zentrale Triebfeder nicht nur auf ökonomischer, sondern auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Konkurrenz und Rivalität dienen einer Art „Entdeckungsverfahren“ (Hayek o. J., zitiert nach Ptak 2007, S. 42). Die Ergebnisse dieses Verfahrens müssen offenbleiben, damit der Markt seine „natürliche“ Dynamik entfalten könne. Hayek sieht den Wettbewerb als Ordnungsprinzip aller gesellschaftlichen Sphären, dies inkludiert auch den sozialen Raum. Dementsprechend spielt auf der Mikroebene in Form von sozialen Interaktionen Rivalität und Konkurrenz eine erhebliche Rolle. Diese Auffassung ist eine Folge des utilitaristischen Handlungsverständnisses. Der Soziologe Sighard Neckel bescheinigt der neoliberalen „Individualisierung“ eher symbolischen Charakter (vgl. Neckel 1999, S. 160). Dementsprechend ist die Verteilung sozialer Chancen und der (Erwerbs-) Biographie selbst abhängig vom Individuum (Selbstthematisierung), bei der die Wichtigkeit von Konkurrenz, Wettbewerb und Unsicherheit immer weiter zunehmen (vgl. Thomas 2008, S. 152). Darum wird auch jeglicher Misserfolg als selbstverschuldet umgedeutet.
Das Fundament der Trickle-Down-Theorie gründet auf diesen Annahmen über Rivalität und Konkurrenz. Individuen, die aus der Oberschicht stammen, haben ihre gesellschaftliche Stellung mittels Erfolg und Leistung verwirklicht und sind daher berechtigt, über ihr aus neoliberaler Sicht legitimes Privatvermögen frei zu verfügen. Dies negiert grundsätzlich die soziale Reproduktion von Positionen innerhalb der Sozialstruktur. Dank ihrer „herausragenden“ Stellung obliegt die Entscheidungsmacht der Elite, wie Wohlstand verteilt werden soll. Es sind also nicht subalterne Schichten oder gesellschaftliche Institutionen (etwa der Wissensvermittlung) bzw. Ressourcen, die ein Mitspracherecht eingeräumt bekommen.
2.2.5. Zusammenfassung
Kapitel 2.2. sollte einen Überblick über die zentralen Bausteine der neoliberalen Ideologie schaffen und damit ein besseres Verständnis für das Konstrukt der Trickle-Down-Economics liefern. Welche Konsequenzen entstehen durch ein derartiges Menschenbild für das Individuum? Der Neoliberalismus impliziert einen bestimmten Habitus (vgl. Bourdieu 2016, S. 171f.) und Verhaltenscodex. Das Individuum muss sich marktkonform verhalten und bemüht sein, seine Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich aufrecht zu erhalten. Desweiteren muss die Vermögens- und Einkommensverteilung akzeptiert werden, da sie durch die anonymen Märkte erzeugt wurden. Vermögen und Einkommen versinnbildlichen dabei Erfolg bzw. Misserfolg. Individuen sind aktiv dazu aufgefordert, die Distribution ökonomischer Kapitalien zu ihren Gunsten umzumünzen. Der Erfolg hängt dabei vom unternehmerischen, egoistischen und selbstdisziplinierten Individuum ab (ICH-AG). Die Dynamik des Marktes erfordert Anpassungsbereitschaft und Flexibilität sowie eine stete Selbstoptimierung und Selbstdarstellung. Das Individuum optimiert somit seine Verhaltensweisen um den gesellschaftlichen Erwartungen oder besser den Erwartungen des Marktes gerecht zu werden (Homo Oeconomicus). Dies erfordert ein höheres Maß an Konformität als an kritischer Reflexionsfähigkeit (vgl. Schreiner 2016, S. 26f.).
2.3. Supply-Side-Economics und Trickle-Down-Theorie
Wie in der Einleitung bereits erwähnt stellt die Trickle-Down-Theorie keine Theorie im klassischen Sinne dar, sondern ist eher als eine Art Dogma zu verstehen. Als Urheber des durchsickernden Wohlstands gilt vielen Neoliberalen der schottische Moralphilosoph Adam Smith (1723-1790): „It is the great multiplication of the production of all the different arts, in consequence of the division of labour, which occasions, in a well-governed society, that universal opulence which extends itself to the lowest rank of people.“ (Smith 1776, S. 1013 ). An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass Adam Smith jedoch nicht als neoliberaler Vordenker bezeichnet werden kann. In vielen Punkten sind seine Ansichten konträr zu denen des Neoliberalismus, etwa wenn es um staatlichen Interventionismus geht. Smith befürwortet diesen beispielsweise in Bezug auf Armutsbekämpfung. Vielmehr handelt es sich um eine selektive Auswahl von neoliberalen Denkern aus Smith‘ Werk um die eigenen Ansichten und Thesen zu unterstreichen.
„Es gibt Interpretationskämpfe darum, wie man mit der Tatsache umgehen soll, dass sich die neoliberalen Versprechen einer neuen Wachstumsdynamik, wirtschaftlicher Trickle-Down- Effekte und zunehmenden Wohlstandes ,für alle‘ seit 30 Jahren nicht erfüllen.“ (Brand 2008, S. 318). De facto konnte ein Trickle-Down-Effekt nie überzeugend empirisch nachgewiesen werden. Einer der vehementesten Befürworter dieser Sickereffekte (zur Entlastung der Oberschicht, Unternehmen und Finanzwelt) ist Arthur B. Laffer, ehemaliger Chefökonom14 unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan in den USA (1981 - 1989). Er konstruierte die sogenannte Laffer-Kurve, mittels der Trickle-Down-Effekte nachgewiesen werden sollten. Er bezieht sein Modell auf Steuereinnahmen. Die (ideale) Kurve in Form eines umgekehrten „U“ beschreibt einen Höhepunkt an dem der maximale Ertrag an Steuern gewährleistet ist. Sollte dieser Punkt etwa durch die Erhöhung der Einkommenssteuer (Spitzensteuersatz) überschritten werden, so nimmt der steuerliche Ertrag wieder ab. Dies liege dann vor allem an den Steuervermeidungsstrategien in Zuge erhöhter Abgaben. Daher sollen vor allem hohe Steuersätze (und diese fallen zumeist auf den Bereich hoher Einkommen) gesenkt werden, da die gesamte Ökonomie durch Konsum, Wachstum und Investitionen von Spitzenverdienern sowie (Groß-) Unternehmen profitiere15. Dieses theoretische Konstrukt wurde jedoch nicht mit empirischen Fakten belegt. Hier stellt sich nun weiter die Frage, welche Vorteile das neoliberale Narrativ sich von Trickle-Down-Economics verspricht. Laut des australischen Ökonomen John Quiggin ist die Grundidee von derartigen Sickereffekten, dass Kapitalbesitzer und hochqualifizierte Führungskräfte mit immer steigenden Belohnungen (also in Form ökonomischer Kapitalien oder Steuerbefreiungen) immer produktiver werden. Diese erhöhte Produktivität führt dazu, dass mehr Waren und Dienstleistungen zu einem niedrigeren Preis angeboten werden, was sich wiederum positiv auf die Nachfrage nach Dienstleistungen von gering qualifizierten Arbeitskräften auswirkt, die dadurch höhere Löhne erzielen. Hier sind diese behaupteten Sickereffekte gut zu erkennen. Die Wichtigkeit von Finanzplätzen zur gesamtgesellschaftlichen Wohlstandssteigerung wird durch die Trickle- Down-Theorie unterstrichen. Steigende Ungleichheiten in der Einkommens- oder auch Vermögensverteilung sollen durch Konsumentenkredite ausgeglichen werden. Spätestens die Finanzkrise 2008 hat eindrucksvoll bewiesen, dass diese Auffassung einer genauen Evaluierung nicht standhalten würde. Die private Schuldenfinanzierung ist das Allheilmittel, das die Differenz zwischen Konsumwünschen, wie einem Eigenheim und der Einkommenswirklichkeit ausgleichen solle (vgl. Quiggin 200916 ). Die nachfolgende Grafik, auf Grundlage der Berechnungen der Wirtschaftswissenschaftlerin Pavlina R. Tcherneva, soll ein Beispiel dafür geben, dass sich in Bezug auf die US-amerikanische Einkommensentwicklung und -zuwächse von 1949 - 2012 keine Sickereffekte ergeben. Ganz im Gegenteil haben sich im Zuge der neoliberalen Konterrevolution und deren Reformen unter Ronald Reagan die Einkommenszuwächse eindeutig in Richtung der obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher verschoben. Mehr noch haben sich die Einkommenszuwächse (2009-2012) der unteren neunzig Prozent infolge der Finanzkrise ins Negative gekehrt (ca. -15%), wohingegen die der oberen zehn Prozent ein Rekordhoch erreichen (ca. +115%). Auf Grundlage dieser Daten ist eher eine Umverteilung zugunsten der höchsten Einkommensgruppen zu beobachten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 (Tcherneva 201417).
Neben John Quiggin und dem französischen Ökonomen Thomas Piketty, zweifelt selbst der Internationale Währungsfond (IWF) an der Existenz von Trickle-Down-Effekten. In einer globalen Untersuchung über die Ursachen und Konsequenzen von Einkommensungleichheit (2015) kommen die Autoren zu folgenden Schluss: „Specifically, if the income share of the top 20percent (the rich) increases, then GDP growth actually declines over the medium term, suggesting that the benefits do not trickle down. ” (Dabla-Norris et al. 2015, S. 417 18 ). Demzufolge kommt wirtschaftliches Wachstum oberen Gesellschaftsschichten zugute, führt aber zu keinen Sickereffekten, da subalterne Schichten von diesem Wachstum ausgeschlossen sind. In Deutschland haben 2015 (nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales) beispielsweise die unteren vierzig Prozent der Einkommensbezieher real weniger verdient als Mitte der 1990er Jahre19.
An dieser Stelle soll noch einmal kurz auf die theoretische Einbettung von Trickle-Down- Economics eingegangen werden. Sie wird umrahmt von Milton Friedmans Monetarismus sowie supply-side-economics, also einer angebotsorientierten Ökonomie. Letztere sieht innerhalb der Entscheidungsprozesse eines Unternehmens über Investitionen und Beschäftigung die ökonomischen Kosten als den wichtigsten Faktor an. Daher sei jedwede Regulierung von Seiten staatlicher Institutionen in Form von Steuern oder behördlichen Auflagen schädlich. Diese würde es verhindern, die Unternehmenskosten auf einem „effizienten“ Niveau zu halten und dadurch einen globalen Wettbewerbsnachteil darstellen. Die Grundannahme basiert darauf, dass niedriger Aufwand für die Produktion die Erwartung auf steigende Rendite erhöht. Diese Erwartung führe zu steigenden Investitionen und damit zur Vermehrung von Arbeitsplätzen, was wiederum zu einer Steigerung der Einkommen letzterer führt (vgl. Hickel 2006, S. 25f). Dass dies nicht der Fall ist, kann anhand der oberen Abbildung exemplarisch abgelesen werden. Für Rudolf Hickel erscheint schon rein aus logischen Gesichtspunkten die Idee der Angebotsökonomie als äußerst fragwürdig: „Wenn alle Unternehmen die Kosten senken, fehlt am Ende effektive Nachfrage. Dies ist der entscheidende Grund dafür, dass Unternehmen im Widerspruch zur Angebotslehre Kostensenkungen nicht zum Anlass nehmen, mehr zu investieren. [...] Warum soll ein Unternehmer in Arbeitsplätze investieren, wenn er das von der Kostenseite her rentable Angebot nicht absetzen kann?“ (Ebd., S. 26) Aufbauend auf diesen Annahmen entwickelte Milton Friedman (Chicago School) seine Geldwerttheorie, den sogenannten Monetarismus. Er geht davon aus, dass quantitative Veränderungen in der Geldmenge immer Konsequenzen für die Preisentwicklung insgesamt habe. Die Gefahr der Inflation sei somit kontinuierlich hoch. Prägnant zusammengefasst besitzen die Finanzmärkte deswegen eine enorme Bedeutung. Die Geldmenge ist somit ein entscheidender Faktor für die ökonomische Entwicklung (vgl. Fiehler 2006, S. 157f).
Trotz all dieser Belege gegen die Existenz von Sickereffekten, ist dieses neoliberale Narrativ im gesellschaftlichen wie auch politischen Diskurs noch vorherrschend. Supply-Sides- Economics spielen auch in der Gegenwart noch eine große Rolle. Drei Beispiele sollen dies verdeutlichen. In einem Artikel des Standard werden die immer geringeren Einnahmen des österreichischen Familienministeriums und die damit verbundene Kürzungspolitik bezüglich der Familienbeihilfe thematisiert. Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstitut Eco Austria ergab, dass die Einnahmen in Zukunft noch weiter sinken werden. Der Grund dafür liegt vor allem in der 2017 verabschiedeten Senkung der Arbeitgeberbeiträge zum sogenannten Familienausgleichsfonds (Flaf), die zu „substantiellen Abgängen “ in Zukunft führe. Bis 2020 wird ein Minus von 116 Millionen Euro erwartet, daher müssten Einsparungen im Umfang von 70 Millionen Euro jährlich in Bezug auf die Familienbeihilfe umgesetzt werden. Die Arbeitgeberbeiträge sinken damit 2017 von 4,5 auf 4,1 Prozent und sollen sich 2018 nochmals auf 3,9 Prozent verringern20. Die Belastung liegt somit auf Seiten der Familien. Ein Paradebeispiel für eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Die Entlastungen der Arbeitgeber (also der Angebotsseite) spricht für Friedmans supply-side-economics.
Ein zweites Beispiel zielt auf die neue US-Administration unter dem Präsidenten und Immobilien-Millionärs Donald Trump. Der neue Chefökonom Kevin Hassett steht dabei für eine massive Senkung von Firmensteuern. Er vertritt dabei die Ansicht des vorher erwähnten Ökonomen Arthur B. Laffer. Laut Hasset würden niedrigere Steuersätze für Unternehmen, Investitionen stärken. Dies führe dann trotz niedriger Steuern zu höheren Einnahmen des Staates. Auch Arbeitnehmer würden davon profitieren, da ihre Löhne somit steigen würden21. Man vergleiche diese Aussagen nochmals mit der Schilderung der Angebotsökonomie (und deren Kritik) auf Seite 17. Es sind die exakt gleichen Thesen, die hier von Hassett postuliert werden.
Ein drittes Beispiel zielt auf den gesellschaftlichen Diskurs ab. Das neoliberale Narrativ der Trickle-Down-Theorie ist immer noch ein häufig eingebrachtes Argument, wenn es um die Entlastung und Deregulierung von Unternehmen, Finanzmärkten und wohlhabender Schichten geht. Der Terminus „Trickle-Down“ wird im gesellschaftlichen Diskurs selten explizit verwendet, jedoch sind gewisse Argumentationsmuster zu erkennen, deren Grundlage behauptete Sickereffekte sind. Ein Beispiel dafür liefert der deutsche Unternehmer und Multimillionär Hans Rudolf Wöhrl (Modekette). In der Polit-Talkshow Hart aber fair des Westdeutschen Rundfunks (WDR) widerspricht er der These der zunehmenden Ungleichheit und dem Vorschlag höhere Einkommen und große Vermögenskonzentrationen mit höheren Abgaben zu bedenken:
„Jemand der eine Milliarde hat, nehmen wir Frau Klatten, die Eigentümerin von BMW. Die hat doch dieses Geld nicht auf der hohen Kante, sondern dieses Vermögen sind die BMW-Werke. Das ist doch nichts Unmoralisches. Hätten wir diese Werke nicht, was wäre dann? Wem würden sie gehören? Dem Staat? Ist das vielleicht besser? [...] Aber doch nicht das Vermögen [ist zu besteuern; Anmerkung des Verfassers], was in Produktivvermögen, in Firmen investiert ist, in dem investiert ist, was unseren Wohlstand in diesem Land schafft.“22
Interessanterweise wurde Susanne Klatten sowie ihrem Bruder Stefan Quandt 2017 als BMW- Großaktionäre eine Dividende von mehr als einer Milliarde Euro aus dem vergangenen Geschäftsjahr ausgeschüttet (Gewinn von BMW 2016: 6,9 Milliarden Euro)23. Auch an dieser Aussage von Wöhrl zeigt sich die Begründung geringerer Belastung von Vermögen zugunsten der gesamten Bevölkerung („unseren Wohlstand“).
Generell fußt damit das Konstrukt der Trickle-Down-Theorie, wie darzulegen versucht wurde, auf äußerst brüchigen Fundament. Jedoch sollte an dieser Stelle beachtet werden, dass die zuvor angeführte Kritik nicht pauschalisiert angewendet werden kann. Nichtsdestotrotz sind Trickle-Down-Argumente als neoliberales Narrativ im gesellschaftlichen Diskurs, vor allem von ökonomischer Seite, noch sehr präsent. Sie dienen immer noch als Grundlage, um gewisse Reformen oder Gesetze zu verabschieden.
2.4. Zentrale (wirtschafts-) politische Standpunkte und Forderungen 20
Dieses Kapitel zielt nun knapp und präzise auf die wichtigsten Standpunkte und Forderungen neoliberaler Vertreter ab. Sie sollen den ersten Teil dieser Abhandlung, nämlich die Erläuterung neoliberaler Grundlagen, abrunden. Es wird auf die kontinuierliche Postulierung eines radikal freien Marktes, dem Primat der Privatisierung, den Umbau bzw. Abbau des Wohlfahrtsstaats, dem Verständnis von Demokratie und Politik sowie auf die Implementierungsstrategien zur Durchsetzung neoliberaler Forderungen eingegangen. Jene Forderungen (die in großen Teilen bereits in erfolgreichem Gange sind) sind mitunter die Konsequenzen, die sich aus der Trickle-Down-Theorie ergeben.
2.4.1. Schlanker Staat, Marktgesellschaft und Deregulierung
„ Wie können wir verhindern, dass die Regierung, die wir geschaffen haben, ein Monster wie (in) ‘Frankenstein ‘ wird, das schließlich die Freiheit vernichtet, zu deren Schutz wir die Regierung doch überhaupt erst eingesetzt haben? “ (Friedman 2002, S. 243).
Friedmans Zitat verdeutlicht die neoliberale Furcht vor einem regulierenden Staat, der die (wirtschaftliche) Freiheit des Individuums bedrohe. Der Staat solle lediglich („Nachtwächterstaat“) die Gewährleistung des freien Wettbewerbs strukturell sicherstellen, also einen (weit gefassten) Rahmen setzen, innerhalb der sich der Markt frei und unabhängig entfalten könne. Bis auf diesen Ordnungsrahmen soll dieser Minimalstaat von jedweder Intervention in die Ökonomie absehen. Wie bereits erläutert ist das Kernelement von Friedmans Monetarismus die Annahme, dass eine Marktwirtschaft immer stabil sei, wenn das Güterangebot von der Angebotsseite bestimmt wird. Daher gilt für den Arbeitsmarkt eine „natürliche“ Rate an Unterbeschäftigung. Diese Arbeitslosigkeit kann nach Friedman (1968, S. 2ff.) nur drei Ursachen haben: Entweder sie ist freiwillig (also selbstverschuldet durch das Individuum), durch strukturelle Probleme hervorgerufen oder eine noch andauernde Suche nach Erwerbstätigkeit. Diese natürliche Rate rechtfertigt daher keinen staatlichen Interventionismus bezüglich der Arbeitslosigkeit. Friedman geht sogar weiter, jeder staatliche Eingriff würde der Ökonomie zum Nachteil gereichen (selbst Arbeitslosengeld).
[...]
1 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/nach-dem-neoliberalismus-und-was-ist-nach-dem-geld-passiert- 1714710-p2.html, aufgerufen am 16.04.17
2 Die Anfänge des Neoliberalismus gehen jedoch auf die frühen 1930er Jahre zurück.
3 Diese Unterscheidung ist jedoch in der Gegenwart nicht mehr gänzlich aufrechtzuerhalten, da es allmählich zu einer Homogenisierung (auch durch die Globalisierung) neoliberaler Vorstellungen kommt.
4 Desweiteren kam es zu einer Ausweitung sozialer Rechte, die in der Verfassung verankert wurden.
5 Der Ordoliberalismus sieht den Markt als staatliche Veranstaltung. Demzufolge sind staatliche Eingriffe solange gutzuheißen, solange sie das Funktionieren des Marktes gewährleisten (Stichwort: Wettbewerbsfähigkeit). Desweiteren wird die gesellschaftliche Anordnung als Pyramide begriffen. Der Neoliberalismus negiert dies und will staatliche Eingriffe in Bezug auf die Wirtschaftsordnung auf einem Minimum sehen.
6 Die sogenannten Chicago Boys (u.a. Milton Friedman) waren ab den 60ern speziell in Militärdiktaturen involviert (Argentinien, Chile, Brasilien, Uruguay, Indonesien) (vgl. Schreiner 2016, S. 12f.).
7 In den USA war dies auch eine Folge der hohen Kosten des Vietnam-Krieges.
8 Der Soziologe Pierre Bourdieu (2016, S. 173) kritisiert den Humankapitalansatz Beckers: „Nur mit Mühe mag man sich des perversen Vergnügens begeben, jene jüngere Studie von Gary S. Becker - in der seine modellgebärende Phantasie wahre Kapriolen schlägt - en détail zu zitieren [...]."
9 Märkte werden somit als „anonym" bezeichnet. Dies verdeckt jedoch partielle Interessen der Oberschicht.
10 Wie am Beispiel der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet in Chile (1973-1990) zu sehen ist, ist eine (brutale) Diktatur solange zu akzeptieren, solange die Durchsetzung der neoliberalen Wettbewerbsordnung vorangetrieben wird. Eine Herrschaft der Mehrheit bzw. des Volkes gilt als autoritäre Demokratie (vgl. Ptak 2007, S. 64f.).
11 Siehe hierzu Hayek (1971, S. 13): „Solange die Handlung, die seine Schwierigkeiten verursacht hat, nicht bezweckte, ihn zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen zu zwingen, solange die Absicht der Handlung, die ihn schädigt, nicht ist ihn in den Dienst der Ziele eines anderen zu stellen, ist ihre Wirkung auf seine Freiheit keine andere als die einer Naturkatastrophe - eines Feuers oder einer Überschwemmung, die sein Heim zerstören, oder eines Unfalls, der seine Gesundheit schädigt."
12 Diese Auffassung beinhaltet auch zentrale Termini von Gerechtigkeit umzudeuten: Bedarfs- wird zur Leistungsgerechtigkeit, Verteilungs- zu Beteiligungsgerechtigkeit sowie soziale zur Generationengerechtigkeit (vgl. Butterwegge 2007, S. 154).
13 http://geolib.com/smith.adam/won1-01.html, aufgerufen am 21.04.17.
14 Seit 2015 ist Laffer Berater des ukrainischen Finanzministeriums (vgl. http://www.minfin.gov.ua/en/news/view/radnikom-ministra-finansiv-priznacheno-vidomogo-amerikanskogo- vchenogoekonomista-artura-laffera?category=dohidna-politika&subcategory=podatki, aufgerufen am 21.04.17).
15 Vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/laffer-kurve.html, aufgerufen am 21.04.17.
16 Vgl. http://iohnquiggin.com/2009/02/01/refuted-economic-doctrines-5-trickle-down/, aufgerufen am 21.04.17.
17 http://www.levyinstitute.org/pubs/op 47.pdf, aufgerufen am 21.04.17.
18 https://www.imf.org/external/pubs/ft/sdn/2015/sdn1513.pdf, aufgerufen am 22.04.17.
19 Vgl. http://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2017/kabinett-beschliesst-fuenften-armuts-und- reichtumsbericht.html, aufgerufen am 22.04.17.
20 Lisa Kogelnik: „Studie: 70 Millionen Euro bei Familien sparen", in: Der Standard, 22.03.2017, S. 6.
21 Andreas Sator: „Sogar Linke mögen Trumps neuen Chefökonomen", in: Der Standard, 04./05.03.2017, S. 19.
22 Hart aber Fair (2017): Oben verantwortungslos, unten chancenlos - Ist Schlecker heute überall? WDR. 40:40 bis 41:24. http://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-oben-verantwortungslos-unten- chancenlos--ist-schlecker-heute-ueberall-102.html, aufgerufen am 22.04.17.
23 APA: „Eine Milliarde Euro für BMW-Großaktionäre", in: Der Standard, 22.03.17, S. 20.
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