In dieser Einsendeaufgabe wird die Methode der qualitativen Forschung untersucht. Dabei wird ein Interviewleitfaden erstellt,
auf Verzerrungen in Interviews eingegangen und eine inhaltlich strukturierende und evaluative qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt.
Aus Sicht der empirischen Sozialforschung gelten qualitative Interviews als zentrale Zugänge. Da sie grundsätzlich vergleichbar mit Alltagsgesprächen und relativ einfach durchzuführen sowie strukturell und formal leicht vorzubereiten sind, ist eine grosse Beliebtheit für sie vorhanden. Im Zuge qualitativer Methoden sollen soziale Phänomene, subjektive Wirklichkeiten, Alltagstheorien und Lebenswelten einer tiefen und differenzierten Analyse unterzogen werden, damit diese nicht nur theoretisch erfasst, sondern auch wirklich verstanden werden können. Gestützt werden die Annahmen daher nicht auf Listen und Statistiken, sondern eher auf Aussagen und Beschreibungen, die oft schwieriger zu kategorisieren sind und deshalb auf Interpretationen, Zusammenfassungen und Befragungen beruhen.
Inhaltsverzeichnis
1 Interviewleitfaden
1.1 Unternehmensreputation
1.2 Qualitativer Interviewleitfaden
1.3 Operationalisierung
1.4 Konzeption des vollständigen qualitativen Interviewleitfadens
1.5 Stakeholder-Analyse
1.6 Beschreibung der Fallauswahl
1.7 Vorgehen im Rahmen des Interviews
2 Verzerrungen im Interview
2.1 Der Begriff «Verzerrung»
2.2 Interviewer-Effekt: Verzerrungen durch den Interviewer
2.3 Verzerrungen durch den Interviewten
2.4 Reduzierung von Verzerrungen
3 Inhaltlich strukturierende und evaluative qualitative Inhaltsanalyse
3.1 Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse
3.2 Die evaluative qualitative Inhaltsanalyse
3.3 Unterschiede inhaltlich strukturierender und evaluativer Verfahren
4 Aufgabenstellung
Die Aufgabenstellung wurde aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt, ist jedoch für das Verständnis der Ausarbeitung nicht notwendig
5 Anhang
5.1 Anhang zu Kapitel 1
5.2 Anhang zu Kapitel 2
5.3 Anhang zu Kapitel 3
6 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
bspw. - beispielsweise ca. - circa
d.h. - das heisst
sog. - sogenannt
Vgl. - Vergleiche
z.B. - zum Beispiel
Genderverweis
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das St. Galler-Management-Modell nach Rüegg & Sturm
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Interview-Formen
Tabelle 2: Die vier Dimensionen nach Schwaiger
Tabelle 3: Phasen während eines Interviews
Tabelle 4: Reputation, Medien und Anspruchsgruppen
Tabelle 5: Inhaltliche & Formale Tendenzen
Tabelle 6: Übersicht «Begrifflichkeiten»
1 Interviewleitfaden
Ziel dieses Kapitels ist eine Operationalisierung des Konstrukts Unternehmensreputation sowie die Erstellung eines qualitativen Interviewleitfadens zur Unternehmensreputation. Dazu wird in einem ersten Schritt definiert, was der Begriff «Unternehmensreputation» bedeutet, worauf erklärt wird, auf was bei der Erstellung des Interviewleitfadens geachtet wurde. Abschliessend wird das Vorgehen bei einer möglichen empirischen Umsetzung dargelegt.
1.1 Unternehmensreputation
Wie die Wissenschaft und auch die Praxis zeigen, lässt sich eine gute Unternehmensreputation als ein wichtiger Unternehmensbaustein identifizieren und gilt als relevanter immaterieller Vermögenswert und somit auch als ein zentrales Erfolgsziel.1 Als Unternehmensreputation versteht man aus der Unternehmenssicht die (kollektive) Einschätzung durch dessen Stakeholder. Somit zeigt sie auf, wie Stakeholder das Unternehmenshandeln und die Unternehmensleistungen in Bezug auf ihre Ansprüche und Erwartungen sowie Einstellungen und Überzeugungen hinsichtlich verschiedener Dimensionen (z.B. funktional, sozial, expressiv) beurteilen. Sucht man in der Literatur nach dem Begriff der «Unternehmensreputation», findet man den Ansatz bzw. das Modell von Schwaiger, welches im Jahr 2004 verfasst wurde. Gemäss diesem Ansatz kann man Sympathie und Kompetenz als wichtige Bestandteile der Reputation definieren.2 Mithilfe Schwaigers Betrachtungsweise wurde das Kapitel 1.3 aufgebaut und dargelegt.
1.2 Qualitativer Interviewleitfaden
Aus Sicht der empirischen Sozialforschung gelten qualitative Interviews als zentrale Zugänge. Da sie grundsätzlich vergleichbar mit Alltagsgesprächen und relativ einfach durchzuführen sowie strukturell und formal leicht vorzubereiten sind, ist eine grosse Beliebtheit für sie vorhanden.3 Im Zuge qualitativer Methoden sollen soziale Phänomene, subjektive Wirklichkeiten, Alltagstheorien und Lebenswelten einer tiefen und differenzierten Analyse unterzogen werden, damit diese nicht nur theoretisch erfasst, sondern auch wirklich verstanden werden können.4 Gestützt werden die Annahmen daher nicht auf Listen und Statistiken, sondern eher auf Aussagen und Beschreibungen, die oft schwieriger zu kategorisieren sind und deshalb auf Interpretationen, Zusammenfassungen und Befragungen beruhen.5
Solche Interviews werden entlang eines Leitfadens erstellt, für den sich in der empirischen Forschung verschiedene Vorgehensweisen und Techniken anbieten. Eine gängige Form der Befragung stellen dabei Interviews mit ausgewählten Personen oder Fachexperten dar. Es kann hierbei zwischen der quantitativen sowie qualitativen Methode unterschieden werden,6 7 8 9 10 wobei sich die Einsendeaufgabe ausschliesslich mit der qualitativen Interviewtechnik befasst. Zusätzlich kann zwischen den standardisierten, den nicht-standardisierten und den halbstandardisierten Interviews unterschieden werden. Die Unterschiede dieser Interviewformen werden nachfolgend kurz erläutert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Interview-Formen10
Leitfadeninterviews werden mithilfe eines vorabdefinierten Ablaufs gestaltet und durchgeführt. Es bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, einen entsprechenden Leitfaden zu konstruieren und aufzubauen. Grundvoraussetzungen sind jedoch einige Punkte, welche nachfolgend aufgelistet werden:11
- Aufforderungen für Erzählungen und Argumentationen
- Vorformulierte und definierte Fragen
- Stichworte für offen formulierbare Fragen
- Zusätzliche Fragen
- Vereinbarungen für die Handhabung von dialogischer Interaktion
Der Leitfaden beruht dabei auf der bewussten methodologischen Entscheidung, eine «maximale Offenheit» aus Gründen des Forschungsinteresses einzuschränken. Die Erstellung eines Leitfadens folgt somit dem Prinzip: «So offen wie möglich, so strukturierend wie nötig». Für die meisten Fragestellungen ist es notwendig, bei einer grundsätzlichen Offenheit den Interviewablauf in einem gewissen Mass zu steuern, was die Auswertung positiv beeinflusst.12
Das Leitfadeninterview eignet sich somit ideal als Methode zur Bearbeitung der Aufgabenstellung, da es einerseits mit vordefinierten Fragen eine Richtung vorgeben geben kann und andererseits genügend Spielräume bei der Beantwortung der Fragen zu lässt. Bevor ein solcher Leitfaden jedoch erstellt werden kann, muss zuerst eine Operationalisierung vorgenommen werden, was im nächsten Kapitel thematisiert wird.
1.3 Operationalisierung
Voraussetzung für die Konzeption eines qualitativen Interviewleitfadens ist die Operationalisierung des Konstrukts der Unternehmensreputation. Hierzu hat Schwaiger (2004) ein Modell zur Messung der Reputation eines Unternehmens entwickelt. Er teilt diese dabei in die vier Dimensionen Verantwortung, Attraktivität, Qualität und Performance ein. Ebenfalls gibt er dazu die entsprechenden Indikatoren vor, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Die vier Dimensionen nach Schwaiger15
Die in der Tabelle genannten vier Faktoren wurden als Basis für das ausgearbeitete Interview verwendet.
1.4 Konzeption des vollständigen qualitativen Interviewleitfadens
In einem nächsten Schritt kann mit der Erstellung des Interviewleitfadens begonnen werden. Vorgängig wurden das Indikatorensystem bzw. die Operationalisierung abgeschlossen, sodass die benannten Indikatoren sich in den erarbeiteten Fragen widerspiegeln können. Der qualitative Interviewleitfaden wird aus mehreren verschiedenen «Typen» von Fragen zusammengestellt. Grundsätzlich sollten offene und keine geschlossenen Fragen, welche mit «ja» oder «nein» beantwortet werden können, gestellt werden. Ebenfalls besitzen offene Fragen keine Antwortalternativen. Die «offenen» Fragen fordern den Interviewten zum Erzählen auf und bieten die Möglichkeit, Antworten zu entwickeln und sich neue Gedanken zum Thema zu machen, damit das Interview eine dynamische Entwicklung annimmt. Die Erzählimpulse werden mit Memofragen und strukturierten Fragen ergänzt, welche der Aufrechterhaltung des Gesprächsflusses dienen. Die Struktur hilft bei einem späteren Zeitpunkt12 13 bei der Auswertung und Vergleichbarkeit der Interviews.14 Bei der qualitativen Befragung findet keine statistische Auswertung statt, sondern man möchte eine umfassende Übersicht über das ausgewählte Thema erstellen. Zusätzlich wird Raum für die individuelle Meinung geboten.15 Die Fragen werden auf ein zielgerichtetes Publikum abgestimmt, d.h. branchenspezifische Fachbegriffe sollen verständlich formuliert werden. Grundsätzlich sollte man pro Frage nur einen Sachverhalt ansprechen.16 Der Leitfaden gilt als Struktur, davon kann jedoch bei der Reihenfolge der Fragen abgewichen werden. Wurde der Interviewleitfaden jedoch vorgängig aufbauend gestaltet, macht es Sinn, die Reihenfolge der Fragen auch einzuhalten, gleichzeitig soll der Leitfaden auch als Basis bzw. als Hilfestellung dienen.17
Dank der gewonnenen Erkenntnisse aus den letzten Kapiteln konnte ein solcher qualitativer Interviewleitfaden erstellt werden. Wie in Kapitel 1.6 ersichtlich wird, be-fasst sich die Einsendeaufgabe mit der Unternehmensreputation von X Schweiz. Aufgrund mehrerer bekannten Wirtschaftsdelikte (beispielsweise der Wire- Card Skandal aus Deutschland) sieht sich die Wirtschaftsprüfungsbranche mit diversen Herausforderungen konfrontiert, wodurch sich die Messung der Unternehmensreputation in dieser Branche optimal anbietet. Mithilfe des qualitativen Interviewleitfadens, welcher sich im Anhang 5.1 befindet, soll deshalb eine Messung der Unternehmensreputation durchgeführt werden.
1.5 Stakeholder-Analyse
Als Stakeholder werden alle internen und externen Elemente rund um das Unternehmen bezeichnet, welche bei Unternehmensentscheidungen berücksichtigt werden.18 Ein bekannter Ansatz zu einer Stakeholder Analyse ist beispielsweise das St. Galler- Management-Modell, welches von der Universität St. Gallen in den 1960er-Jahren entwickelt worden ist und durch Rüegg & Stürm zum «Neuen St. Galler-Manage- ment-Modell» weiterentwickelt wurde.19 Damit die Auswahl der Stakeholder analysiert und vorgestellt werden kann, wurde im Anhang ein solches St. Galler- Management-Modell für X entwickelt. Eine kurze Unternehmenserläuterung sowie die Vorstellung der Stakeholder finden sich somit im Anhang 5.1.2.
Betrachtet man die verschiedenen Anspruchsgruppen, können folgende für X Schweiz definiert werden:
- Staat: Schweizer Behörden wie Bund, Kanton und Stadt bzw. Gemeinde
- Mitarbeitende: Mitarbeiter von X, temporäre Arbeitskräfte
- Kunden: Öffentliche und private Unternehmen, NGOs
- Kapitalgeber: Investoren und Aktionäre
- Konkurrenz: Mitbewerber
- Lieferanten: Diverse Lieferanten (Betriebsunterhalt), Partner-Unternehmen
- Öffentlichkeit: Medien, allgemeine Öffentlichkeit, Politik(er)
1.6 Beschreibung der Fallauswahl
Die Auswertung bei qualitativen Interviews ist oftmals sehr aufwendig. Dies ist unteranderem ein Grund, weshalb bei nicht- oder halbstandardisierten Methoden die Stichproben relativ klein ausfallen. Aufgrund dieser kleinen Stichprobenauswahl ist es umso wichtiger, dass die ausgewählten Stichproben sinnvoll ausgesucht werden. Gleichzeitig sollte die Anzahl ökonomisch vertretbar gewählt werden.20
Aufgrund dieser Überlegungen wurde eine geringe Anzahl Stichproben ausgewählt, wozu mithilfe der Stakeholder-Analyse aus dem Kapitel 1.5 die drei wichtigsten21 22 23 24 25 Stakeholder identifiziert wurden. Je nach Betrachtungsweise ist diese Auswahl subjektiv. Die ausgewählten Stakeholder sind die Kunden, die Mitarbeitenden und die Partner-Unternehmen, welche unter die Kategorie der Lieferanten fallen. Aufgrund der begrenzten Ressourcen wurden jeweils sechs Kunden, sechs Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen (jedoch vom selben Standort) und sechs Partner-Unternehmen ausgewählt. Es wurde jeweils darauf geachtet, dass die Kunden und auch die Partner-Unternehmen nicht aus demselben Wirtschaftssektor stammen. Bei den Mitarbeitenden wurde ebenfalls auf die Funktion geachtet, sodass alle Funktionen vom Assistenten bis zum Partner abgedeckt werden können. Die Gesamtheit wurde somit auf 18 Personen festgelegt. Da bei den Mitarbeitenden und bei den Partner-Unternehmen eine gewisse Abhängigkeit zum Unternehmen besteht, ist es nicht notwendig, eine zusätzliche Reserve einzuplanen. Bei den Kunden wurde eine Reserve von zwei eingeplant, sodass auch bei Absagen seitens des Kunden eine Alternative vorhanden wäre.
1.7 Vorgehen im Rahmen des Interviews
Ein Interview sollte bestimmte Phasen absolvieren und sich dynamisch weiterentwickeln. Die unterstehende Tabelle bildet solche Phasen ab und erläutert diese jeweils kurz. Die aufgeführten Phasen stellen nur Beispiele dar und können je nach Situation und Interviewart bzw. -verlauf abweichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Phasen während eines Interviews27
Um den Einstieg zu erleichtern, wird jeweils zu Beginn etwas Smalltalk betrieben. Geeignete Themen sind dabei das Wetter oder allgemeine Dinge wie z.B. die Anfahrt an die Örtlichkeit des Interviews. Eine offene Atmosphäre hilft bei kritischen Fragenstellungen weiter und sorgt für ein lockeres Gesprächsklima.26 Bevor man mit dem Interview startet, empfiehlt es sich, die Fragen bei einer neutralen Person zu testen und ein Gefühl für die Fragen zu entwickeln. Die wertvollen Rückmeldungen können so zu einer Verbesserung des Leitfadens beitragen.27 Zusätzlich sollte das Interview mit einem Aufnahmegerät dokumentiert werden, dies hilft einer späteren Auswertung.28
2 Verzerrungen im Interview
Wie die Autoren Atteslander & Kneubühler (1975) festhalten, ist das Interview die meist verwendete Erhebungsmethode in der empirischen Sozialforschung. Obwohl der Erhebungsmethode viele Vorteile zugerechnet werden können, hat diese ebenso namhafte Nachteile. Dazu gehört die Verzerrung im Interviewprozess, wobei zwischen zwei Arten der Verzerrung unterschieden werden kann: Einerseits die Verzerrung durch Störeffekte während des Interviews, wie zum Beispiel störende Geräusche, Anrufe oder negative Hintergrundgeräusche, andererseits Verzerrungen durch die interviewende Person oder deren Fragestellung, welche den Interviewten zu einer Meinungsänderung bringen.29
In den nachfolgenden Unterkapiteln wird auf die Verzerrung, den «Interviewer-Effekt» sowie Verzerrungen durch den Interviewten eingegangen, bevor eine kurze Zusammenfassung folgt.
2.1 Der Begriff «Verzerrung»
Der Begriff «Verzerrung» scheint auf den ersten Blick verständlich, kann jedoch je nach Kontext in verschiedenen Varianten angesehen und eingesetzt werden. Beispielsweise kann eine Verzerrung aus mechanischer Sicht eine «Verformung des Materials» sein oder ein «geometrischer Abbildungsfehler». Betrachtet man den Begriff jedoch aus der Sichtweise des Interviews, handelt es sich dabei um eine «systematische Abweichung» der Antworttendenz.30
Das geschilderte Phänomen der Verzerrungen ist bekannt aus Befragungen, Interviews, Meinungsumfragen und anderen sozialwissenschaftlichen Erhebungen. Beispiele für verzerrte Aussagen können politische Meinungen sein, welche nicht anonymisiert publiziert, sondern mit dem Namen der Interview-Person bekannt gemacht werden, da man sich davor scheut die eigene Meinung preiszugeben. Beim Vorgehen der Verzerrung werden die «eigentlichen» Daten also nichtzutreffend wiedergegeben und die Sachverhalte nicht «wahrheitsgetreu» abgebildet. Weitere Gründe solcher Abweichungen sind bei den Interviewten, bei der Fragestellung oder beim Interviewer zu suchen. Diese werden im nachfolgenden Kapitel beleuchtet.31
2.2 Interviewer-Effekt: Verzerrungen durch den Interviewer
Wie bereits im Kapitel 2.1 erwähnt, kann das Forschungsergebnis durch die interviewende Person wesentlich beeinflusst und die Antworten in die jeweilige Richtung «gelenkt» werden. Diese Form von Beeinflussung ist bekannt unter dem Fachbegriff «Interviewer-Bias» («Suggestivfrage»), wobei Begriffe wie «Interviewer-Effekte», «Interviewer-Einflüsse» und «Versuchleiter-Effekte» ebenfalls geläufig sind. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der «Interviewer-Bias» eine Verzerrung der Ergebnisse durch den Interviewer darstellt.32
Eine Verzerrung durch den Interviewer kann bewusst oder unbewusst erfolgen. Gründe für eine willentliche Beeinflussung können zum Beispiel eine Bevorzugung des Interviewers sein. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, eine «Minderheit», welche schwer zu eruieren ist, um jeden Preis in die Forschung einbinden zu wollen, weshalb man die interviewte Person willentlich in diese Richtung lenkt. Weitere Faktoren können soziale Rollen und Situationen, persönliche Erwartungen, politische Einstellungen oder verzerrte Wahrnehmungen sein.33
Bekannt ist ausserdem der «Primacy-Effekt», welcher zur Kategorie der Wahrnehmungsfehler gehört und bei welchem die ersten Sekunden den Gesamteindruck (z.B. Erscheinungsbild, Aufmachung, Einrichtung) am meisten beeinflussen. Positive als auch negative Merkmale spielen dabei eine grosse Rolle und können den «Gegenpol» jeweils übersteuern. Ein weiterer häufiger Wahrnehmungsfehler ist der «Halo-Effekt». Beim Halo-Effekt werden wesentliche Merkmale fälschlicherweise auf weitere Merkmale übertragen und daraus verzerrte Tatsachen interpretiert.34
Da die Wissenschaft noch einige weitere Effekte erforscht hat, sind die oben genannten Beispiele nicht abschliessend. Aus diesem Grund findet sich im Anhang 5.2 eine Übersicht weiterer Effekte mit der jeweiligen Erläuterung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Effekte dazu führen können, dass die Durchführungsobjektivität stark beeinträchtigt wird.35
Um Verzerrungen zu vermeiden, sollte deshalb bereits bei der Auswahl der möglichen Kandidaten darauf geachtet werden, dass es sich um einen «geeigneten» Interviewer handelt. Durch eine offene Einstellung gegenüber dem Thema und dem Interviewten, mithilfe von standardisierten Vorgehensplänen, dem «Bewusstsein der Verzerrung» und durch Sensibilisierung können weitere Verzerrungen reduziert, jedoch nie vollständig beseitigt werden.36
2.3 Verzerrungen durch den Interviewten
Jede interviewte Person ist ein Individuum, weshalb das persönliche Erlebte und die erlernten Eigenschaften zu Verzerrungen führen können. Interviewte tendieren dazu zu antworten, was gerade «erwünscht» ist oder dem «Zeitwandel» entspricht. Oft spricht man auch vom «social desirability bias», was mit «sozialer Erwünschtheit» übersetzt werden kann. Wird das Interview erst nach einer längeren Zeit nachbearbeitet, lässt sich der genannte Effekt nachträglich nicht mehr reduzieren, weshalb dieser zum Interviewzeitpunkt oder direkt im Anschluss «beseitigt» werden sollte, da nur zu diesem Zeitpunkt die Merkmale vorhergesagt werden können.37 Um eine solche Vorhersage machen zu können, sind empirische Forschungen und Theorien nötig, welche die Prognose des «sozial Erwünschten» bestätigen können.38
Es kommt ausserdem vor, dass Interviewte anders antworten, wenn sie wissen, dass es sich um ein Forschungsprojekt oder eine wissenschaftliche Untersuchung handelt. Dieser Effekt nennt sich «Hawthorne» und tritt oft in gruppenbasierten Beobachtungsstudien auf.39 Es ist eine grosse Herausforderung, diesen Effekt zu umgehen. Wirksam erscheint die Möglichkeit, den Versuchspersonen das Ziel der Forschung nicht bekannt zu geben. Eine weitere Möglichkeit kann die Trennung innerhalb einer Gruppe sein, sodass keine Interaktion stattfinden kann oder sich die Konzentration auf andere Elemente richtet.40
[...]
1 Vgl. Peters / Liehr-Gobbers (2015), S. 919
2 Vgl. Schwaiger (2004), S. 46-71
3 Vgl. Misoch (2019), S. 2
4 Vgl. Misoch (2019), S. 2
5 Vgl. Weiss (1994), S. 3
6 Vgl. Kvale / Brinkmann (2009), S. 1-2
7 Vgl. Wittkowski (2013), S. 10
8 Vgl. Spektrum (2020)
9 Vgl. Phaydon (2016)
10 Vgl. Wittkowski (2013); Spektrum (2020); Phaydon (2016)
11 Vgl. Helfferich (2019), S. 670
12 Vgl. Absatzwirtschaft (2015)
13 Vgl. Schwaiger (2004), S. 46-71
14 Vgl. Nohl (2017), S. 16
15 Vgl. Diekmann (2007), S. 476
16 Vgl. Misoch (2019), S. 66
17 Vgl. Helfferich (2019), S. 669
18 Vgl. Thommen (2018)
19 Vgl. Hagen (2010)
20 Vgl. Baur / Blasius (2019), S. 325
21 Vgl. Lehmann (2004), S. 63
22 Vgl. Misoch (2019), S. 67
23 Vgl. Lehmann (2004), S. 65
24 Vgl. Misoch (2019), S. 68
25 Vgl. Lehmann (2004); Misoch (2019)
26 Vgl. Brosius / Koschel / Haas (2008), S. 109
27 Vgl. Gläser / Laudel (2009), S. 107
28 Vgl. Aeppli / Gasser / Schärer / Gutzwiller (2016), S. 190
29 Vgl. Atteslander / Kneubühler (1975), S. 9-10
30 Vgl. DWDS (2020)
31 Vgl. Becker (2020)
32 Vgl. Becker (2020)
33 Vgl. Becker (2020)
34 Vgl. Rettenwender (2016), S. 159-160
35 Vgl. Becker (2020)
36 Vgl. Becker (2020)
37 Vgl. Stocké (2004), S. 303
38 Vgl. Stocké (2004), S. 303
39 Vgl. Tücke (2005), S. 67
40 Vgl. Scholz (2009)
- Citation du texte
- Anonyme,, 2020, Qualitative Forschung in der BWL. Interviewleitfaden, Verzerrungen und evaluative qualitative Inhaltsanalyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/993480
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