Inhaltsverzeichnis
I) EINLEITUNG
Allgemeines
Eigenschaften von Prämienkalkulationsprinzipien
Der Aspekt der Rationalität
Erörterung der Eigenschaften
II) DAS NULLNUTZENPRINZIP
Herleitung der Prämienformel
Interpretation .
Eigenschaften
Ökonomische Betrachtung
III) DAS EXPONENTIALPRINZIP
Ableitung vom Nullnutzenprinzip
Eigenschaften
Ökonomische Betrachtung
IV) DAS ESSCHER-PRINZIP
Prämienformel
Eigenschaften
Ökonomische Betrachtung
Verstoß gegen die Dominanztreue
Zusammenhang zum Exponentialprinzip
ANHANG
LITERATUR
Kapitel I : Einleitung
Bevor die einzelnen Prämienprinzipien besprochen werden, seien an dieser Stelle eventuell als Wiederholung die allg. Definition eines Prämienkalkulationsprinzips sowie die möglichen Eigenschaften aufgeführt.
Def. 1:
Unter einem Prämienkalkulationsprinzip versteht man eine Abbildung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten2
Dabei ordnet p jeder ZV S, die den Gesamtschaden eines Risikos angibt, eine reelle Zahl oder den Wert • , die Prämie, zu.
Da man jeder ZV S eine Verteilungsfunktion FS zuordnen kann, bezeichnen wir mit F die Menge der VF F, die VF zu einer ZV S sind und erhalten somit die
Def. 2:
Unter einem Prämienkalkulationsprinzip versteht man eine Abbildung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung 1:2
Die beiden Definitionen stimmen nicht überein. Nach der ersten Def. können zwei ZV S1 und S2 , die über verschiedene Portfolios definiert aber identisch verteilt sind, durch [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] zwei verschiedene Prämien zugeordnet werden. Dieses ist nach der zweiten Def. nicht möglich !
Nun ist aber ein Prämienkalkulationsprinzip, das zwei verschiedenen Portfolios oder Individuen, deren Schadenverteilung völlig identisch sind, unterschiedliche Prämien zuordnet, (mathematisch) wenig sinnvoll, wenngleich es mitunter geschäftspolitisch wünschenswert sein mag.
Deshalb soll im folgenden ein Prämienkalkulationsprinzip stets im Sinne der zweiten Def. aufgefaßt werden.
Anmerkung 2:
In den obigen Def. ist auch zugelassen, daß eine Prämie den Wert [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] annehmen kann. Gilt für ein Prämienkalkulationsprinzip H und eine VF FS H( FS ) = [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], so ist ein Portfolio mit der Gesamtschadenverteilung S und der VF FS unter dem Prämienkalkulationsprinzip H nicht versicherbar.
Die Beurteilung der Güte eines Prämienprinzips wird man teilweise davon abhängig machen, ob es gewisse Eigenschaften hat oder nicht, wobei man über die Relevanz der Eigenschaften natürlich diskutieren muß.
Wünschenswerte Eigenschaften:
(I) Ein Prämienprinzip heißt erwartungswertübersteigend , wenn gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(II) Ein Prämienprinzip ist maximalschadenbegrenzt, wenn gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten3
D.h. also, daß die zu zahlende Prämie kleiner sein sollte als die maximale Entschädigungsleistung des Versicherungsunternehmens.
(III) Ein Prämienprinzip heißt translationsinvariant, wenn gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dieses ist bereits erfüllt, wenn gilt H( X + c ) £ H (X) + c , denn hieraus folgt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da links und rechts in der Gleichungskette das gleiche steht, kann man alle £ durch ein Gleichheitszeichen ersetzen und man erhält mit Y := X+c gerade die Translationsinvarianz H ( Y - c ) = H (Y) - c.
(IV) Ein Prämienprinzip heißt homogen , wenn gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Forderung wird meistens abgeschwächt, indem nur positive Homogenität gefordert wird, d.h. die Gültigkeit der obigen Formel für alle c > 0.
Positive Homogenität liegt aber bereits schon vor, wenn für alle Risiken X und für alle c > 0 gilt H (cX ) £ c H(X) , denn hieraus folgt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(V) Ein Prämienprinzip heißt additiv4, wenn für alle unabhängigen ZV X,Y gilt:
H ( X + Y ) = H(X) + H(Y)
(VI) Ein Prämienprinzip heißt konvex, wenn für alle X,Y und für alle p Œ (0,1) gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(VII) Ein Prämienprinzip heißt iterativ , wenn für alle X,Y gilt: H(X) = H[ H(X|Y) ]
(VIII) Ein Prämienprinzip heißt risikobezogen , falls [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] gilt: H( c ) = c
(IX) Ein Prämienprinzip heißt dominanztreu , falls für zwei ZV X,Y mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und deren VF´s FX und FY gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es sollen nun diese Eigenschaften erörtert und unter dem Aspekt der Rationalität betrachtet werden. Hierzu ist es aber notwendig, kurz darzustellen, was eigentlich rationales Handeln5 genau bedeutet:
An dieser Stelle soll nun nicht die gesamte Entscheidungstheorie und die Herleitung des Bernoulli-Prinzips dargestellt werden, was den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Statt dessen seien die Hauptbestandteile und die wichtigsten Aussagen kurz angedeutet. Für die genaue Herleitung des Bernoulli-Prinzips sei auf die Literatur3 verwiesen. Beim Bernoulli-Prinzip werden folgende axiomatische Annahmen getroffen:
i) Ordinalitätsaxiom
ii) Axiom der Existenz echter Präferenzen
iii) Dominanzaxiom
iv) Stetigkeitsaxiom
v) Substitutionsaxiom
Diese fünf Axiome als Prämissen für rationales Handeln sind nun äquivalent zu dem Kriterium der Maximierung des Erwartungsnutzens gemäß einer subjektiven Nutzen- funktion. Die fünf Entscheidungsverhaltensaxiome implizieren somit die Bewertung von Handlungsalternativen gemäß ihrem Erwartungsnutzen als einzig rationales Ent- scheidungsverhalten. Siehe hierzu das Theorem vom Bernoulli-Prinzip (Literatur[4], S.36 f.).
Nun kurz zu den einzelnen Eigenschaften:6
zu (i):
Ein erwartungswertübersteigendes Prämienkalkulationsprinzip setzt voraus, daß der VN nicht risikofreudig entscheidet, denn in diesem Falle würde für ihn gelten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
so daß er das Risiko unversichert lassen würde. Für ein VU bedeutet die Forderung, daß der Erwartungswert die untere Grenze des ihm für die Risikotragung zukommenden monetären Äquivalents darstellt. Auch wenn es durchaus rationale Begründungen für ein risikofreudiges Entscheidungsverhalten gibt, so ist diese Forderung dennoch vernünftig. Denn eine Prämie unterhalb des Erwartungswertes führt auf Zeit zu einem erwarteten Verlust für das VU.
➔ Wir können diese Forderung also ohne Problem unter Rationalitätsaspekten als sinnvoll erachten.
zu (ii) und (viii):
Daß diese Eigenschaften grundlegend sind für rationales Entscheiden, sieht man wie folgt: Wäre H(X) nicht maximalschadenbegrenzt, so würde aus der Perspektive des Versicherungsnehmers wegen [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] das Risiko unversichert bleiben. Das gleiche gilt auch für den Fall, daß H(X) nicht risikobezogen wäre.
zu (iii):
Die Forderung der Translationsinvarianz ist nicht ganz so einfach einsehbar. Diese Eigenschaft wird motiviert von dem Wunsch, daß ein Versicherer für eine Transfor- mation der Risikohöhe um einen sicheren Betrag c keinen zusätzlichen Sicherheitszu- schlag, der als ungerecht empfunden werden könnte, erhalten sollte ! Für das VU ist es auch einsichtig, daß man sich indifferent gegenüber einem zweimaligen monetären Transfer (einmal als Prämieneinnahme, einmal als Teil der zu zahlenden Schäden) ver- hält7. Für den Vers.nehmer führt ein Risiko mit nominal größeren Beträgen zu einer Entscheidung in einem gänzlich anderen Bereich seiner Nutzenfkt., und in Abhängigkeit von der Stärke der Risikoaversion ergeben sich SÄ, deren Differenz kei- neswegs den entsprechenden Betrag c ausmachen. Nur für den Fall der konstanten Ri- sikoaversion kann die Indifferenz gegenüber einer Translation unterstellt werden.
Zu (iv):
Diese Eigenschaft ist motiviert durch ein Tarifierungsverfahren, wie es in vielen Vers.sparten üblich ist. Dabei wird für eine normierte Schadenzufallsvariable (oder Versicherungssumme) eine gewisse Prämienhöhe bestimmt. Für die tatsächliche Schadenzufallsvariable, welche das c-fache der normierten Schadenszufallsvariable sei, wird dann einfach die c-fache Prämie erhoben (Wohngebäude- oder Hausratversicherung, Lebens- oder Unfallversicherung, Quotenrückversicherung). Wichtig dabei zu bemerken ist, daß es für diese Eigenschaft keine entscheidungstheo- retische Rechtfertigung gibt.
Anmerkung:8 Um bei einer Erwartungsnutzenmaximierung die (positive) Ho- mogenitätseigenschaft zu erhalten, muß im wesentlichen eine Nutzenfunktion der Form
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
zugrunde gelegt werden. Für diese Nutzenfunktion gilt dann nämlich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wird also eine Schadenzv X einer Prämie HX für gleichwertig erachtet, so folgt aus E[u(X)] = u(HX) sofort E[u(cX)] = u(cHX), und damit die Gleichwertigkeit der Zv’en cX mit der Prämie cHX, was gerade der Homogenitätseigenschaft entspricht. Allerdings sind polynomiale Nutzenfunktion unter normativen Gesichtspunkten nicht vernünftig9.
Zu (v):
Die Additivität beinhaltet, daß die Gesamtprämie eines stochastisch unabhängigen Kollektivs sich genau als die Summe der Einzelprämien ergibt. Man beachte weiter im Anhang den Satz2. Festzuhalten bleibt, daß die Additivität zwar keine unerläßliche Eigenschaft ist, sie steht aber auch nicht im Widerspruch zu rationalem Handeln.
Anmerkung: Mittels Satz1 im Anhang, ergibt sich sofort, daß bei einem additi- ven Prämienprinzip die Nutzenfunktion entweder linear oder ex- ponentiell sein muß.
Zu (vi):
Entscheidend hierfür ist, daß die Konvexität aus der Subadditivität und der Homogenität folgt. Es gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Subadditivität läßt sich mit rationalem Entscheiden vereinbaren10. Die Homogenität dagegen wurde gemäß Punkt (v) unter Rationalitäts-aspekten als keine begründete Eigenschaft erachtet. Somit gilt dieses auch für die Konvexität.
Zu (vii):
Die Eigenschaft der Iterativität ist dadurch motiviert, daß die Prämienkalkulation für ein neu in ein Kollektiv aufzunehmendes Risiko X abhängig von dem bisherigen Kollektiv Y sei. Die Prämie für das neue Risiko X ist dann eine Zv., da sie von einem anderen Zufallsereignis abhängt.
Wendet man auf dieses Risiko das Prämienprinzip nun erneut an, und eliminiert auf diese Weise den Teil der Unsicherheit, der sich aus der Realisation der Zv‘en, die das Kollektiv beschreiben, ergibt, so soll sich die so erhaltene Prämie von der ohne das andere Risiko ermittelten Prämie nicht unterscheiden.
Man beachte, daß die Iterativität entscheidende Konsequenzen für rationales Entscheidungsverhalten hat. Als Anschauung stelle man sich hierfür die ZV’en Y als Einpunktverteilungen vor und nehme weiter an, daß die Einpunktverteilungen Vermögenszuständen entsprechen. Dann beinhaltet die Iterativität also die Vermögensunabhängigkeit der Prämienkalkulation. Beide Eigenschaften können für alle ZV’en X nur bei einer konstanten Risikoaversionsfunktion erfüllt werden. Also muß die Nutzenfunktion gemäß Satz1 im Anhang exponentiell oder linear sein.
zu (ix):
Die Eigenschaft der Dominanztreue ist eine für rationales Handeln unerläßliche Eigenschaft. Dieses sieht man wie folgt:
Aus [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] d.h. X wird Y vorgezogen. Würde nun gegen die Dominanztreue verstoßen, d.h. H(X) > H(Y), dann müßte ein Versicherer bereit sein, eine weniger präferierte ZV gegen eine kleinere Prämie zu versichern, was absurd ist.
Kapitel II : Das Nullnutzenprinzip
Man führt nun eine Nutzenfunktion u: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] u(x) ein mit den folgenden Eigenschaften:
i) u ist stetig und zweimal differenzierbar
ii) u ist monoton steigend (d.h. u´>0 : Mehr „Geld“ bedeutet mehr „Nutzen“ !)
iii) u ist streng konkav, d.h. u´´ < 0 (es liegt also Risikoaversion vor ! Hierzu siehe Anhang Satz A3)
Besitzt etwa nun ein VN ein Kapital K und definiert er sich eine Nutzenfunktion u, so wird er, falls ein Verlust X seines Kapitals mit der Wahrscheinlichkeit P(X) eintritt, bereit sein, maximal eine Prämie zu zahlen, für die gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es soll aber nun eine Nutzenfunktion u des VU mit den obigen Eigenschaften zugrunde gelegt werden. Verfügt ein VU über ein Vermögen K, so wird nach dem Seminararbeit „Nullnutzen-, Exponential- und Esscher-Prinzip“ von Sven Bartels 8 Nutzenprinzip zur Funktion u eine Prämie P für ein durch S beschriebenes Risiko gewählt, welche die Gleichung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
erfüllt. Man nennt P die vermögensabhängige Nullnutzenprämie. Verschiebt man die Nutzenfunktion um K Einheiten11, so erhält man das Nullnutzenprinzip:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Man nennt die so implizit definierte Prämie die sog. Nullnutzenprämie [Abk.: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]].
Wie man sich sehr leicht klar macht, ist die Lösung P von positiv-linearen Transformationen der Funktion u unabhängig. Deshalb werden zum Zweck der Normierung der Funktion u oft weitere folgenden Annahmen getroffen:
iv) u(0) = 0
v) u`(0) = 1 [ läßt sich für beliebige Nutzenfunktionen mit u´>0 erzwingen kann, indem man zu der Funktion v: x Æ [u(x) - u(0)] / u´(0) übergeht.
Das Nullnutzenprinzip läßt sich besonders anschaulich interpretieren:
Man betrachte u(x) als den Nutzen des Versicherers beim Ertrag x. Die Nullnutzenprämie ist damit diejenige Prämie, von der ab der mittlere Nutzen des Überschusses des Versicherers nicht kleiner als der Nutzen des Ertrages Null ist, d.h. erst ab der Nullnutzenprämie lohnt sich für das Versicherungsunternehmen ein Vertragsabschluß.
Die Prämie Nu(X) ist also so gewählt, daß der erwartete Nutzen des Einkommens Nu(X) - X gleich dem Nutzen ist für den Fall, daß das Risiko nicht übernommen wird.
Für den Fall, daß die Lösung der oberen Gleichung nicht explizit angegeben werden kann, so ist folgende Näherungsformel oft hilfreich:12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dabei bezeichnet r(x) das sog. „Arrow-Pratt-Maß“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
das ein Maß für die Risikoaversion angibt (herzu siehe Anhang, Satz A1 und A3)
EIGENSCHAFTEN :
Das Nullnutzenprinzip ist
- erwartungswertübersteigend
- maximalschadenbegrenzt
- risikobezogen
- dominanztreu
- translationsinvariant
Wie in Satz 1 unten dargestellt ist das allg. Nullnutzenprinzip genau dann vermögens- unabhängig, wenn die Nutzenfunktion exponentiell, also das folgende vorgestellte Exponentialprinzip zugrunde liegt, oder linear ist (was auf Grund der geforderten strengen Konkavität der Nutzenfunktion im Grunde nicht gestattet ist), also das Nettorisikoprinzip zugrunde liegt. In genau diesen Fällen ist das Nullnutzenprinzip auch additiv und iterativ. Im allgemeinen ist das Nullnutzenprinzip nicht homogen und konvex.
Ökonomische Betrachtung des Nullnutzenprinzips:
Das Nullnutzenprinzip erweist sich geradezu prädestiniert, die Rationalität bei der Bestimmung von monetären Äquivalenten für die Risikotragung zu gewährleisten, da dieses Prämienkalkulationsprinzip direkt auf das Erwartungsnutzenkriterium als einzig rationales Entscheidungsverhalten abstellt. Ein in der Praxis entscheidender Punkt ist, daß die Prämie nur implizit berechnet werden kann, was sich manchmal als problematisch erweist. Des weiteren stellt sich natürlich bei einer Nutzenfunktion stets auch das Problem, die Funktion u erst einmal zu bestimmen. Da die Nutzenfunktion als streng konkav angenommen sei, wird entsprechend Satz A3 im Anhang risiko- scheues Entscheidungsverhalten unterstellt, was ja z.B. als Voraussetzung galt, damit H(X) erwartungswertübersteigend ist. Dieser Annahme kann also ebenfalls problemlos gefolgt werden. Des weiteren erfüllt das Nullnutzenprinzip wichtige Eigenschaften, die für rationales Handeln entscheidend sind. Somit gewährleistet das Nullnutzenprinzip insgesamt also eine rationale Bewertung der Schadenzufalls- variablen.
Wichtig: Die Modellierung der Größe N ( X ) als monetäres Äquivalent für die Risikotragung erfolgt lediglich aus der Perspektive des Versicherers. Die Versicherungsnehmerinteressen können dadurch als berücksichtigt ange- sehen werden, daß N ( X ) den Mindestbetrag darstellt, für den der Ver- sicherer zur Risikoübernahme bereit ist. Für den Versicherungsnehmer ist dagegen dessen SÄ entscheidungsrelevant. Dieses ist gerade der Wert SW,u(X), für den die Gleichung (2.3) erfüllt ist. Bei einer Prämie, die größer als sein SÄ ist, wäre es für ihn nicht rational, sein Risiko zu
versichern. Ob also die durch das Nullnutzenprinzip vorgegebene Prämienbestimmung auch für den Versicherungsnehmer rational ist, hängt davon ab, ob seine Risikoaversion kleiner ist als die des Versicherers.
Zu dieser Fragestellung erweist sich der folgende Satz als hilfreich (dabei gehe man davon aus, daß Versicherer als auch der Versicherungsnehmer gemäß der selben Nutzenfunktion entscheiden):
Satz 1:13 Es sei u eine zweimal differenzierbare Nutzenfunktion mit u`(x) > 0 für alle xŒ3 und r die zugehörige Risikoaversionsfunktion. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] sei das Vermögen beziehungsweise die Reserven des Entscheidungsträgers. Dann gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Interpretation:
zu i:
Entscheiden sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer gemäß derselben Nutzenfunktion, so erweist sich das Nullnutzenprinzip insbesondere dann als die Rationalität der Entscheidungen garantierendes Modell, wenn die RisikoaversionsFunktion konstant ist und damit das Exponentialprinzip zugrunde liegt. Nur in diesem Fall kann für alle Schadenzufallsvariablen die Gleichheit von Nullnutzenprämie und Sicherheitsäquivalent impliziert werden.
zu ii:
Wird eine Nutzenfunktion mit abnehmender Risikoaversionsfunktion unterstellt, dann gewährleistet das Nullnutzenprinzip rationale Entscheidungen genau dann, wenn bei gleicher Nutzenfunktion das Vermögen des Versicherungsnehmers höchstens so groß ist wie das Vermögen des Versicherers plus Prämienbeitrag HW,u(X), wovon man ausgehen kann.
Anmerkung: Gerade die Tatsache, daß das Nullnutzenprinzip in diesem sehr häufig angenommenen Fall im Einklang mit der Rationalität von Entscheidun- gen steht, stellt ein gewichtetes Argument für seine Verwendung dar.
Kapitel III : Das Exponentialprinzip
Das Exponentialprinzip ist wiederum ein Spezialfall des Nullnutzen-Prinzips. Man verwende hierzu die spezielle Nutzenfunktion [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].Somit ergibt sich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anmerkung: Wie man leicht nachrechnet, gilt r(x) = a , [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] !
EIGENSCHAFTEN :
- erwartungswertübersteigend
- maximalschadenbegrenzt
- translationsinvariant
- dominanztreu
- nicht positiv homogen
- additiv
- iterativ
- risikobezogen
- vermögensunabhängig
Desweiteren lassen sich noch folgende interessante mathematische Eigenschaften nachweisen:
Theorem:14
Für die Abb. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] gilt: a
(i) H ist isoton
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
die VF von X ist
Interpretation: zu (i) : Je größer die Risikoaversion, also a , ist, desto höher ist die Prämie.
zu (ii) : Strebt die Risikoaversion gegen Null, so wird die Exponen- tialprämie zur NRP.
zu (iii) : Strebt die Risikoaversion gegen • , so geht die Exponen- tialprämie gegen den Höchstschaden.
Ökonomische Betrachtung des Exponentialprinzips:
Ein für die Praxis entscheidender Vorteil ist, daß sich das Exponentialprinzip im Ge- gensatz zum Nullnutzenprinzip explizit bestimmen läßt. Weiter schaue man sich noch einmal den obigen Satz 1 an. Mittels diesen Satzes läßt sich also festhalten, daß beim Exponentialprinzip unter den obigen Annahmen gilt: Einsatz = SÄ.
War die Nullnutzenprämie lediglich eine Preisuntergrenze für den Versicherer, so ist in diesem Fall die Preisuntergrenze des VU gleich der Preisobergrenze des VN. Schaut man sich die Eigenschaftsliste an, so stellt man zuerst fest, daß das Exponentialprinzip zusätzlich die praktische Eigenschaft der Vermögensunabhängigkeit aufweist. Dieses bedeutet also, daß Veränderungen des Kapitals nicht unmittelbar zu einer Veränderung der Prämie führen. Die Bedeutung der zusätzlichen Eigenschaften der Additivität und der Iterativität wurden bereits im Kapitel erörtert.
Kapitel IV : Das Esscher-Prinzip
Bei dem Esscher-Prinzip handelt es sich nicht um einen Spezialfall des Nullnutzenprinzips, hat aber eine enge Verbindung zum Exponentialprinzip, wie sich im Anschluß zeigen wird.
Zuerst zur Prämienformel; die Prämie für das Risiko X berechnet sich gemäß
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
mit einem c > 0.
EIGENSCHAFTEN :
- erwartungswertübersteigend
- maximalschadenbegrenzt
- risikobezogen
- translationsinvariant
- additiv
- nicht positiv homogen
Unterschiede zum Exponentialprinzip:
- i.a. nicht iterativ, dominanztreu, homogen, multiplikativ, konvex
Ökonomische Betrachtung des Esscherprinzips:
Formal bezieht sich die Prämienbemessung natürlich auf eine einzelne Schadenzufallsvariable. Die besondere Bedeutung dieses Prämienprinzips besteht nun darin, daß die Prämienbemessung sich als ein Marktpreis ergibt15. Hierzu folgendes:
Der Ausgangspunkt dieses Prinzips ist ein Markt mit einer endlichen Anzahl von Teil- nehmern [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Alle Teilnehmer maximieren ihren jeweiligen Erwartungsnutzen ge- [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] mäß einer exponentiellen Nutzenfunktion Fordert man stocha-
stische Unabhängigkeit, so können die Marktteilnehmer ohne Transaktionskosten ihre Risiken untereinander aufteilen und austauschen, bis ein Pareto-Optimum erreicht ist. Die Risikoallokation hängt dabei von der Stärke der Risikoaversion der jeweiligen Marktteilnehmer ab. Im Markt ergibt sich dann gerade die durch das Esscher-Prinzip determinierte Prämie [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] wobei der Faktor c ein Maß für die mittlere Stärke der Risikoaversion am Markt darstellt.
➔ Problematisch für die Anwendung dieses Prinzips zur Prämienbestimmung ist allerdings die Annahme einer reinen Tauschökonomie, in der alle Marktteilnehmer als egalitäre, gleichberechtigte Entscheidungsträger agieren und miteinander in einer Tauschbeziehung stehen. Eine solche Annahme wäre nur für den Weltrückversicherungsmarkt vorstellbar. Der Standardfall einiger weniger Anbieter von Versicherungsschutz und viele Versicherungsnehmer als Nachfrager wird hierdurch jedoch nicht adäquat beschrieben.
Festzuhalten also bleibt, daß das Esscher-Prinzip zwar die Prämien als Marktpreise ableitet, diese Ableitung jedoch unter unrealistischen Prämissen erfolgt.
Wie oben erwähnt, erfüllt das Esscher-Prinzip i.a. nicht die Dominanztreue. Diese für eine rationale Prämiendeterminierung unverzichtbare Eigenschaft wird also nicht in jedem Fall erfüllt. Hierzu folgendes Beispiel:
Beispiel 1:16 Es seien die beiden folgenden Schadenverteilungen stochastischer monetärer Ergebnisse gegeben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Somit gilt für die Esscher-Prämie mit Parameter c = 1:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Widerspruch: Es gilt also H(X) > H(Y), obwohl auch X f Y gilt !
➔ Daß das Esscher-Prinzip gegen die Dominanztreue verstoßen kann, führt also nur dann zu Rationalitätsproblemen, wenn es auf die autonome Prämienkalkulation eines Versicherers angewandt wird, da “der Markt” keinen Entscheidungsträger darstellt, der ex ante verschiedene Schadenzufallsvaribalen zu bewerten hätte. Da aber nun Gegenstand der Betrachtung die Eignung der Prämienkalkulationsprinzipien zum Zwecke einer ex ante Bewertung von Risiken ist, können die Verstöße gegen die Dominanztreue tatsächlich Rationalitätsverstöße beinhalten.
Somit ist nun auch der Zusammenhang zum Exponentialprinzip klar:
Beim Exponentialprinzip wird aus der Sicht eines einzelnen VU statisch die Prämie anhand seiner exponentiellen Nutzenfunktion bestimmt. Beim Esscher-Prinzip geht man nun von der Einzelsicht eines VU hin zu einer Tauschökonomie, in der alle, d.h. Versicherer und Versicherungsnehmer, in einem Kollektiv als egalitäre Individuen gemäß ihrer exponentiellen Nutzenfunktion agieren.
Anhang
Zum Begriff Risikoaversion:17
Es sei P eine Ergebniswahrscheinlichkeitsverteilung mit existierendem Erwatungswert [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Weiter sei 1m die Einpunktverteilung mit Ergebnis [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Es lassen sich dann folgende Risikoeinstellungen unterscheiden:
- Gilt u(P) = u(1u), so heißt das Entscheidungsverhalten in bezug auf P risiko- neutral.
- Gilt u(P)<u(1u), so heißt das Entscheidungsverhalten in bezug auf P risiko- scheu.
- Gilt u(P)>u(1u), so heißt das Entscheidungsverhalten in bezug auf P risiko- freudig.
Risikoaversion bedeutet also, daß ein sicheres Einkommen m einem zufälligen Einkommen X mit dem gleichen Erwartungswert E(X) = u vorgezogen wird, d.h. einen größeren Nutzen aufweist.
Satz A1:18 Es sei D eine zusammenhängende Teilmenge von 3. Weiter sei r eine Risikoaversionsfunktion, für die gilt: r º c mit c [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 3. Dann gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
jeweils bis auf positiv-lineare Transformationen.
Dieses beweist man durch Einsetzen in die Formel:19
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Satz A2:20 Es seien X und Y zwei stoch. unabhängige Schadenzufallsvariablen, X+Y deren Summe, und HX , HY , HX+Y deren monetäre Äquivalente. r sei eine (zu einer Bernoulli-Nutzenfunktion u gehörenden) Risikoaversionsfunktion. Dann gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Satz A3:21 Es sei ein Entscheidungsmodell mit reellwertigen Ergebnissen gege- ben. M sei eine beliebige, zusammenhängende Teilmenge von 3, P sei die Menge aller Wahrscheinlichkeitsverteilungen über M, und u sei eine beliebige, auf sichere Ergebnisse restringierte Nutzenfunktion. Dann gilt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beweis: folgt aus der Bemerkung „Zum Begriff Risikoaversion“.
Literatur
[1] M.J. Goovaerts, F. de Vylder, J. Haezendonck: Insurance Premiums, Amsterdam 1984
[2] E. Kremer: Versicherungsmathematik, Hamburg 1998
[3] W.-R. Heilmann: Grundbegriffe der Risikotheorie, Karlsruhe 1987
[4] W. Schott: Preise für versicherungstechnische Risiken, Karlsruhe 1997
[5] K. Wolfsdorf: Versicherungsmathematik Teil 2, Stuttgart 1988
[...]
1 Die Hinzunahme des Wertes Unendlich ist an dieser Stelle eher ungewöhnlich, bringt aber mathematisch einige Erleichterungen mit sich.
2 Siehe K. Wolfsdorf: „Versicherungsmathematik - Teil 2“ , Seite 177 Seminararbeit „Nullnutzen-, Exponential- und Esscher-Prinzip“ von Sven Bartels 3
3 Die Schranke F-1 (1) macht an dieser Stelle nur Sinn, da zuvor der Wert Unendlich mit eingeschlossen wurde. Wird diese Annahme nicht gemacht, so muß als obere Schranke verwendet werden: inf{ x| P(X [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] x) = 1}.
4 Für den Fall ..[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].. bzw. ..[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].. spricht man auch von Subadditivität bzw. Superadditivität
5 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, Abschnitt B: Entscheidungstheoretische Grundlegungen
6 Siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S.103 ff.
7 Mögliche Kapitalerträge werden hier nicht berücksichtigt.
8 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 106
9 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 73
10 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 106
11 Dieses macht natürlich nur in der statischen Analyse einen Sinn. In der dynamischen Analyse ist natürlich für jedes Jahr der Anfangsbestand des Kapitals von Bedeutung, da sich dementsprechend andere Prämien ergeben.
12 Beweis Heilmann: „Grundbegriffe der Risikotheorie“ , S. 113
13 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnisches Risiko“, S. 119
14 siehe W.-R. Heilmann: „Grundbegriffe der Risikotheorie“, S. 115
15 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnisches Risiko“, S.126
16 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 125
17 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 44
18 siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S.59
19 siehe W.Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 48, Bemerkung 3
20 Siehe M.Goovaerts/T. Taylor: „Premium Rating under Non-Exponential Utility“ in ‚Insurance: Mathematics and Economics‘ (1987) , S. 245 - 257
21 Siehe W. Schott: „Preise für versicherungstechnische Risiken“, S. 46
- Citation du texte
- Sven Bartels (Auteur), 2001, Nullnutzen-, Exponential- und Escherprinzip, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99319
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