Micha Brumlik veröffentlichte 1991 einen Text in der Zeitschrift Psychosozial, den man als Intervention in das Diskursfeld um die Wiederaufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit verstehen kann. Dieses Feld kreist um die Frage, ob und inwiefern eine Aufarbeitung der Vergangenheit bzw. eine Trauer- und Gedenkkultur kollektiv geschehen kann und welche politischen Maßnahmen zur Umsetzung dieser zu ergreifen seien.
Seit 1945 haben die Formen dieser mehrere Wendungen genommen und bis heute besteht in Deutschland ein schwieriges Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit, wie auch zur politischen Gedenkpolitik. Ein möglicher Umgang damit findet sich in einem Gedenken, das über die bestehenden Weltbezüge der Individuen hinausweist. Ich möchte mit dieser Arbeit an Micha Brumliks Argumentation anschließen und diese genauer ausleuchten. Dabei soll auch der Geschichtsrevisionismus bzw. -Relativierung und deren „Kritik“ an der Gedenkpolitik in den Blick genommen werden. Meine Leitthese ist dabei, dass die bestehende Identifizierung eines Großteils der deutschen Bevölkerung mit dem deutschen Kollektiv die politische Gedenkkultur als von den Siegermächten und einer politischen Elite bestimmte erscheinen lässt, was einen Revisionismus entfacht. Brumliks Vorschlag einer „negativen Ästhetik“ stellt in diesem Zusammenhang einen Versuch dar, die Gedenkkultur aus ihren Verstrickungen zu befreien. Wie außerdem zu zeigen sein wird, knüpft Brumlik damit an eine kritische Theorie der Gesellschaft an.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Deutsche Trauer- und Gedenkrituale der Öffentlichkeit ab 1945: ein Überblick
- Zur psychoanalytischen Theorie der Trauer
- Zur Bedeutung von kollektiven Trauerritualen
- Die Unfähigkeit zu Trauern
- Margarete und Alexander Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern
- Ein alternativer Trauermodus?
- Irrwege der deutschen „Vergangenheitsbewältigung“
- Fazit
- Kritik an der Gedenkpolitik
- Identifizierung mit dem Kollektiv
- Negative Ästhetik - ein Ausweg?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der vorliegende Text analysiert die Thesen von Micha Brumlik, die er 1991 in der Zeitschrift Psychosozial veröffentlichte. Brumlik stellt darin die Frage nach der Möglichkeit und Umsetzbarkeit einer kollektiven Trauer- und Gedenkkultur in Deutschland angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Autor untersucht, wie die deutsche Gesellschaft mit dieser Vergangenheit umgehen kann und welche Rolle die politische Gedenkpolitik dabei spielt. Dabei nimmt er auch den Geschichtsrevisionismus und die „Kritik“ an der Gedenkpolitik in den Blick.
- Die Unfähigkeit zu trauern in der deutschen Gesellschaft
- Die Rolle der Gedenkpolitik und ihre Kritik
- Die Bedeutung der Identifizierung mit dem deutschen Kollektiv
- Der Vorschlag einer „negativen Ästhetik“ als Alternative
- Die Verbindung von Trauer und Gedenkritualen mit der Kritischen Theorie der Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Der Text stellt die Ausgangsthese von Micha Brumlik vor, die die Unfähigkeit der deutschen Gesellschaft zu einer kollektiven Trauer- und Gedenkkultur beleuchtet. Dabei wird die problematische Beziehung zu der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Rolle der politischen Gedenkpolitik thematisiert. Brumliks Vorschlag einer „negativen Ästhetik“ als Ausweg aus dieser Problematik wird als Leitfaden der Analyse vorgestellt.
- Deutsche Trauer- und Gedenkrituale der Öffentlichkeit ab 1945: ein Überblick: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die Entwicklung von Trauer- und Gedenkritualen in Deutschland nach 1945. Es wird die Komplexität und Vielschichtigkeit der Thematik deutlich, die sich in verschiedenen Formen und Ausprägungen manifestiert.
- Zur psychoanalytischen Theorie der Trauer: In diesem Kapitel werden die psychoanalytischen Theorien der Trauer von Freud und den Mitscherlichs beleuchtet. Diese Theorien bilden einen wichtigen Bezugsrahmen für die Analyse von kollektiven Trauerritualen und der Unfähigkeit zu trauern.
- Zur Bedeutung von kollektiven Trauerritualen: Dieses Kapitel untersucht die Bedeutung von kollektiven Trauerritualen im Kontext verschiedener Disziplinen wie der Verhaltensbiologie, Soziologie und Ethnologie. Es wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Individualität und Kollektivität in Bezug auf Trauer und Rituale behandelt.
- Die Unfähigkeit zu Trauern: Dieses Kapitel analysiert die These der „Unfähigkeit zu trauern“ von Margarete und Alexander Mitscherlich und stellt die Frage nach alternativen Trauerformen. Die Diskussion beleuchtet die spezifischen Herausforderungen, denen die deutsche Gesellschaft angesichts ihrer Geschichte gegenübersteht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die zentralen Themenbereiche der Trauer- und Gedenkkultur, die Rolle der Identifizierung mit dem Kollektiv, die Kritik an der deutschen Gedenkpolitik und den Vorschlag einer „negativen Ästhetik“ als alternatives Konzept. Weitere wichtige Begriffe sind: psychoanalytische Trauertheorie, Geschichtsrevisionismus, Vergangenheitsbewältigung und Kritische Theorie der Gesellschaft.
- Citar trabajo
- Benjamin Dittrich (Autor), 2016, Negative Ästhetik statt kollektiver Trauer?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/992992