Diese Bachelorarbeit untersucht verschiedene Aspekte der Ironie in Kafkas 'Das Urteil'. Zunächst wird der Wandel des Ironiesbegriffs bis in die heutige Zeit beschrieben und nachfolgend verschiedene Ironiearten eingeführt. Im Anschluss wird der Autor Franz Kafka eingeführt und Zusammenhänge zwischen seinem Leben und Werk beleuchtet, die im Verlauf im Hinblick auf die Selbstironie interessant erscheinen. Nach einer Einführung in 'Das Urteil' werden nacheinander Kafkas humorvolle Seite, das Kafkaeske und die Ironie bei Kafka thematisiert. Anschließend erfolgt die Herausarbeitung verschiedener Ironieaspekte aus dem Urteil sowie die Zusammenfassung der Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Ironieunterteilung nach Horn.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen: Ironie
2.1. Der Begriff ‚Ironie‘ im Wandel der Zeit
2.2. Der Ironiebegriff nach Horn
2.3. Abgrenzung der Ironie von Humor, Witz und Satire
3. Theoretische Grundlagen: Franz Kafka
3.1. Der Einfluss von Kafkas Leben auf seine Werke
3.2. Das Urteil – Franz Kafka
3.3. Ein humorvoller Kafka
3.3.1. Kafkaesk
3.3.2. Kafka und die Ironie
4. Die Ironie in Kafkas Das Urteil
4.1. Zusammenfassung: Ironie im Urteil unter Miteinbezug Horns
4.1.1. Alltagsironie
4.1.2. Selbstironie
4.1.3. Distanz zu Figuren
4.1.4. Dramatische Ironie
4.1.5. Ironie des Schicksals
5. Fazit
6. Bibliographie
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Ironie in Franz Kafkas Das Urteil. Die Werke Franz Kafkas gelten in unserer Gesellschaft als riesige Herausforderung und sind oftmals mit der Annahme verbunden, man könne sie nur falsch interpretieren. Bisher galten seine Texte als ernst und düster, doch in den letzten Jahren lässt sich eine Veränderung in der Rezeption erkennen. Kafka selbst war nachweislich ein lustiger und humorvoller Mensch, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass seine Texte nicht komplett ernst gemeint sind und er darin Aspekte der Komik und Ironie verpackt hat.1 Da die Handlung des Urteil s jedoch nicht lustig ist, liegt der Fokus der Untersuchung auf der Ironie.
Ironie ist in unserem Alltag omnipräsent und ein fester Bestandteil der Rhetorik und Kommunikation sowie der Literatur. Der Gebrauch von Ironie erfolgt in unserer heutigen Gesellschaft nahezu automatisch. Darum erscheint es höchst interessant, ein literarisches Werk Kafkas auf Ironieaspekte zu untersuchen und somit herauszufinden, ob er sich zur Verwendung der Ironie verleiten ließ und wie sich diese in Das Urteil äußert. Ziel dieser Arbeit ist es, Aspekte der Ironie aus dem Urteil herauszuarbeiten.
Um ins Thema einzuführen, wird zunächst der Wandel des Ironiebegriffs bis in die heutige Zeit beschrieben. Nachfolgend wird die Unterteilung der Ironie nach Horn näher erläutert, da diese die verschiedenen Arten der sehr komplexen Ironie berücksichtigt und so ein besseres Verständnis der einzelnen Aspekte ermöglicht. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, die Ironie von Humor, Komik und Witz abzugrenzen, um eine Antwort auf die Frage „Was genau ist Ironie und was nicht?“ zu finden. Im Anschluss wird der Autor Franz Kafka eingeführt und Zusammenhänge zwischen seinem Leben und Werk beleuchtet, die im Verlauf im Hinblick auf die Selbstironie interessant erscheinen. Nach einer Einführung in Das Urteil werden nacheinander Kafkas humorvolle Seite, das Kafkaeske und die Ironie bei Kafka thematisiert. Anschließend erfolgt die Herausarbeitung verschiedener Ironieaspekte aus dem Urteil sowie die Zusammenfassung der Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Ironieunterteilung nach Horn.
Kafkas großen Durchbruch stellte das Jahr 1912 insbesondere durch die Niederschrift der Erzählung Das Urteil dar. Zum ersten und einzigen Mal schien Kafka mit einem Text ganz und gar zufrieden gewesen zu sein. Hierfür spricht auch, dass Kafka sich sehr um den Druck bemühte und Das Urteil so tatsächlich dreimal zu seinen Lebzeiten gedruckt wurde.2 Die Tatsache, dass es sich bei der Novelle Das Urteil um ein Werk handelt, welches Kafka selbst demnach sehr wichtig war, macht die Untersuchung auf Ironie umso bedeutender und interessanter.
2. Theoretische Grundlagen: Ironie
Zunächst erscheint es sinnvoll, einige theoretische Grundlagen zu erläutern, um daraufhin die eigentliche Argumentation zu entwickeln. Hierfür werden im Folgenden die Entstehung des Ironiebegriffs und dessen Bedeutungswandel erläutert.
2.1. Der Begriff ‚Ironie‘ im Wandel der Zeit
Die heutzutage geläufigste und bekannteste Definition der Ironie charakterisiert diese als eine Ausdrucksform, bei der man das Gegenteil des Gesagten meint.3 Doch beschäftigt man sich näher mit dem Ironiebegriff so wird klar, dass es nahezu unmöglich ist, Ironie konkret zu definieren, da sehr viele unterschiedliche Definitionen und Auffassungen von Ironie existieren, welche über die Jahre einen Wandel vollzogen haben.
Die Ursprünge der Ironie (gr. eironeia) liegen in der europäischen Antike. Bereits in homerischen Texten finden sich Ausdrucksweisen, die nicht wörtlich verstanden werden dürfen.4 Sokrates nutzte die Ironie als Methode zur Erkenntnisgewinnung im Dialog, indem er entgegen der Wahrheit vorgab, weniger als sein Gesprächspartner zu wissen, dem er Fragen der Art „Was ist Tugend?“ oder „Was ist Mut?“ stellte. Ziel dieses Vorgehens war es, Erkenntnis durch Befragung zur Sprache zu bringen.5 Die eironeia bezeichnet hier das „Kleintun“ bzw. das „Tiefstapeln“ des Sokrates, der sich zum Geringeren hin verstellte.6 Sie galt in der sokratischen Epoche als eher negativ konnotiert, da eiron als Schimpfwort einen negativen Charakter bezeichnete und oft mit dem listigen Fuchs in Verbindung gebracht wurde.7 Durch Aristoteles wurde die Ironie als „Art der Irreführung, eine Abweichung von der Mitte der Wahrheit und insofern eine nicht-wahrhaftige Rede“ definiert.8 Cicero unterschied zwischen zwei Arten des Ironischen: zum einen dem Ausdruck durch das Gegenteil (inversio) und zum anderen der ironischen Verstellung (dissimilatio), wobei die inversio die Verkehrung der Bedeutung einzelner Wörter ins Gegenteil bezeichnet und die dissimilatio eine Verstellung impliziert, die die ganze Äußerung betreffen kann.9 Durch Quintilian erhielt die Ironie ihren Platz unter den Tropen und Figuren der Rhetorik und wurde, wie bereits erwähnt, als Gegenteil des Gemeinten definiert.10 Diese Charakterisierung blieb über viele Jahrhunderte hinweg bestehen. Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts entwickelte sich ein völlig neuer Ironiebegriff, der sich komplett auf die Wirksamkeit der Ironie in der Literatur bezog. Diese literarische Erweiterung der Ironie ist vor allem Friedrich Schlegel zuzuschreiben, der Ironie in literarischen Werken der Antike und Neuzeit entdeckte.11 Als die eigentlichen Merkmale der Ironie galten nun „das Verhältnis des Autors zu seinem Werk, sein ‚Heraustreten‘ aus den dichterischen Strukturen der Fiktion, sein Durchbrechen und Transzendieren der Dichtung“ und die damit einhergehende Problematisierung der literarischen Mitteilung.12 Schlegels Denkansatz beinhaltete, dass die Ironie „als eine genuine Erscheinungsform des schöpferischen Denkens angesehen wird [und] dass sie in keiner Gestalt einen definiten Abschluss finden kann“.13 Hegel und Kierkegaard kritisierten dieses romantische Verständnis von Ironie als Denk-, Kunst- und Lebensform, da so die Gefahr bestünde, dass sich das „Subjekt aus allen Bindungen löse und sich an der Unendlichkeit der Möglichkeiten berausche“.14 In der Moderne bot die Ironie einen Ausweg aus der übergroßen Komplexität sowie der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit, die sich in der Entfremdung, der Orientierungslosigkeit und dem Identitätsverlust finden lässt.15 Heutzutage beschreibt die Ironie zum einen „den feine[n], verdeckte[n] Spott, mit dem jemand etwas dadurch zu treffen sucht, dass er es unter dem augenfälligen Schein der eigenen Billigung lächerlich macht“, zum anderen bezeichnet man so eine „paradoxe Konstellation, die einem als Spiel einer höheren Macht erscheint“.16
2.2. Der Ironiebegriff nach Horn
In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, den modernen Ironiebegriff zu erfassen und zu erläutern. Hierbei erweist sich Horns Aufteilung der Ironie in fünf Kategorien als sinnvoll und hilfreich, da sie eine Lösung für die Komplexität der Ironie darstellt. In seine Einteilung bezieht er zudem die bereits angesprochenen verschiedenen Bedeutungen von Ironie abhängig von dem jeweiligen geschichtlichen Kontext mit ein. Diese Unterteilung wird für die spätere Herausarbeitung ironischer Aspekte aus dem Urteil von wichtiger Bedeutung sein.
Als Erstes nennt Horn die rhetorische Ironie oder Alltagsironie, welche er als „die einfachste, allgemeinste und platteste Art der Ironie“ bezeichnet.17 Sie besteht darin, das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint und tritt beispielsweise in Tadel durch Lob auf. Diese Form der Ironie zählt demnach zur Taktik der Redekunst und somit zur rhetorischen Ironie. Neben dem Gegensatz des Gesagten umfasst diese Form zudem alles, was nicht das wörtlich Gesagte ist, d.h. den kontradiktorischen Gegensatz.18 Hierzu zählen die Untertreibung, bei der man weniger sagt, als der Wahrheit entspricht, die Übertreibung, bei der dementsprechend mehr gesagt wird sowie die vorgetäuschte Identifikation mit dem Anderen (Simulatio).19
An zweiter Stelle nennt Horn die Selbstironie, bei welcher sich der Sprechende selbst herabsetzt, wie beispielsweise durch die Floskel „meine Wenigkeit“.20 Diese Form entspricht der eironeia, die von Sokrates als Prototyp des selbstironischen Menschen geprägt wurde. Die Herabsetzung als „Sich-dumm-stellen“ wird in der klassischen Rhetorik als Dissimulatio bezeichnet.21 Auch die romantische Ironie, also die „Ironie des Künstlers [bzw. Autors], der – wie Sokrates zu seinem Wissen – zu seinem eigenen Werk ironische Distanz zeigt“ gehört zu dieser zweiten Form der Ironie.22 Das bedeutet, der Autor nimmt sein eigenes Werk, vor allem die fiktionale Welt, nicht vollkommen ernst und spielt damit.
Die dritte Form der Ironie zeigt sich nun darin, dass der Autor Distanz zu einzelnen Gestalten in seiner Welt aufbaut und nicht nur zum eigenen Tun und/oder Werk. Seine Gestalten werden von ihm nicht komplett ernst genommen, sondern auch belustigt betrachtet. Die Ironie besteht darin, dass diese Belustigung jedoch nicht offen ausgedrückt wird, sondern der Autor sie nur durchscheinen lässt, wenn er vorgetäuscht ernst von seinen Figuren spricht. Hier unterscheidet Horn zwei weitere Untergruppen: die auktoriale Ironie, bei der der Rezipient nicht nur um den Ernst, sondern auch um die Belustigung des Autors weiß und die schweigende Ironie, bei der es keine ausdrücklichen Ironiesignale gibt und der Autor schweigt, der Rezipient jedoch trotzdem über die eigentliche Belustigung des Autors weiß.23
An vierter Stelle steht die dramatische Ironie, bei der die Rezipienten mehr wissen, als die Gestalten im Werk.24 Aufgrund ihrer Unwissenheit handelt die Gestalt so, dass sie sich selbst in Gefahr bringt. Auch hier wird von Horn nochmals eine Unterteilung vorgenommen, denn „je nachdem, ob die Unwissenheit und Selbstgefährdung fatal sind oder nicht, sprechen wir von tragischer oder komischer Ironie innerhalb der dramatischen“.25
Zu guter Letzt nennt Horn die Ironie des Schicksals. Diese bezeichnet eine Situation, in der sich ein Mensch überlegen fühlt und denkt, er könne durch seine Schlauheit dem eigenen Schicksal entrinnen, aber gerade durch diese Schlauheit und das Weglaufen dem Schicksal zum Opfer fällt. Das Schicksal des Ödipus gilt hierfür als klassisches Beispiel.26
Allgemein kann Ironie als Grenzphänomen des Komischen bezeichnet werden, wobei die Grenze zwischen ihren verschiedenen Arten verläuft. Horn zufolge lassen sich rhetorische Ironie, Dissimulatio, romantische Ironie sowie die komische Ironie innerhalb der dramatischen dem Komischen zuordnen, die anderen Ironiearten dagegen nicht. Zur Vereinfachung wird das Komische hier als das bestimmt, worüber wir lachen.27 Zudem implizieren einige Ironiearten das Mehrwissen des Rezipienten. Dies gilt insbesondere für die rhetorische und die auktoriale Ironie; der Rezipient weiß „nicht nur um den Schein, sondern auch um das Sein“.28 So weiß dieser im Falle der rhetorischen Ironie „nicht nur um das Gesagte, sondern auch um das Gemeinte“, im Falle der auktorialen Ironie „nicht nur um den Ernst, sondern auch um die Belustigung“ und bei der dramatischen Ironie mehr als die Figuren.29 Dagegen ist vor allem die Ironie des Schicksals nicht durch dieses Mehrwissen gekennzeichnet. Das bedeutet, weder die Komik noch das Mehrwissen des Rezipienten sind konstitutiv für die Ironie. Was sie ausmacht sind vielmehr Distanz, Bindungslosigkeit und die negative Freiheit „im Sinne einer Freiheit von ‚allem realen und idealen Interesse‘“.30 Durch die Distanz als relative Gleichgültigkeit und Nicht-ganz-ernst-Nehmen wird das für die Ironie typische „Spiel mit dem Schein“ ermöglicht.31
2.3. Abgrenzung der Ironie von Humor, Witz und Satire
Um den Begriff der Ironie noch besser fassen zu können, erscheint es sinnvoll, diesen von Humor, Witz und Satire abzugrenzen, wobei zudem die Komik erneut thematisiert wird.
Eine ergänzende Definition der Komik bezeichnet diese als „eine Eigenschaft, die Gegenständen (Äußerungen, Personen, Situationen, Artefakten, etc.) zugeschrieben wird, wenn sie eine belustigende Wirkung haben“.32 Umgekehrt ist jedoch nicht jedes Lachen das Erzeugnis von Komik (beispielsweise Lachen hervorgerufen durch Freude, durch Kitzeln oder Hysterie). Verallgemeinert gilt: Komisch wird etwas erst, wenn eine Kollision mit den eigenen Erwartungen vorliegt, etwas also vom Gewöhnlichen und Gewohnten abweicht und dadurch seltsam wird. Wie bereits erwähnt gilt die Ironie als Grenzphänomen des Komischen, zählt also ebenso wie Humor, Sprachwitz und Satire zu den Wesensformen des Komischen.33 Darum ist es von Vorteil, die Ironie in einem weiteren Schritt von diesen abzugrenzen, um sie so noch konkreter zu definieren.
Zunächst lässt sich Humor als Eigenschaft von Personen, die dem Komischen gegenüber aufgeschlossen sind, definieren.34 Der Sinn für Humor impliziert eine Aufgeschlossenheit für das harmlos Belustigende im Leben und ein rezeptives Sehen-Können sowie ein produktives Erschaffen-Können von sowohl phantasievollen Situationen und Gestalten, als auch lustig-humorvollem Ausdruck.35 Als Witz bezeichnet man zum einen die Fähigkeit zum überraschenden (evtl. komischen) Einfall und zum anderen eine „knappe scherzhafte Äußerung, meist in Form einer komischen (Kürzest-) Geschichte, die mit einer Pointe endet“.36 Hierbei lässt sich zwischen dem Witz in der Sache und dem Witz im Wort bzw. in der Sprache unterscheiden. Der Sprachwitz beschreibt hierbei die Inkongruenz zwischen der sprachlichen Äußerung und den Normen der Sprache, verletzt also die Regeln der Sprache um zu belustigen bzw. lächerlich zu machen. Satire stellt vereinfacht einen empörten Angriff auf Laster und Torheit dar, die beide nicht als harmlos, sondern relativ gefährlich eingeschätzt werden und der Lächerlichkeit preisgegeben werden.37 Auch die Satire gilt als Grenzphänomen des Komischen und kann durch die Formel „komische Form, ernster Inhalt“ zusammengefasst werden, denn je ausgeprägter der negative Aspekt, desto weniger komisch ist die Äußerung.38 Über drei der vier Teilbereiche schreibt Behler zusammenfassend:
Witz, Ironie und Humor operieren demnach alle in demselben Bereich eines „Widerstreites des Unbedingten und Bedingten“ […] und suchen diesen auf je eigene Weise zu überbrücken: der Witz auf punktuelle Weise […]; die Ironie auf prozeßhafte Weise […] und der Humor auf gemütvolle Weise.39
Sie unterscheiden sich demnach in Art und Weise sowie Intention der Äußerung. Speziell die Unterscheidung zwischen Humor und Ironie erscheint in dieser Arbeit als sehr bedeutsam, da man Werke, die den Humor in Kafkas Texten thematisieren viel zahlreicher vorfindet als solche, die die Ironie darin herausarbeiten. Eine prägnante Unterscheidung von Humor und Ironie liefert Jean Paul, wobei er den Humor als „die wärmere und gleichzeitig umfassendere Art des dichterischen Ausdrucks bestimmt, die Ironie dagegen als eine scharfe, kalte, intellektualistische Haltung“.40
3. Theoretische Grundlagen: Franz Kafka
Um im weiteren Verlauf diverse Ironieaspekte aus dem Urteil herauszuarbeiten, erweist es sich zunächst als wichtig, auf die Person Franz Kafka näher einzugehen, um dadurch seine Beweggründe und Gedankengänge während des Schreibprozesses besser nachvollziehen zu können und um den Einfluss seines Lebens auf seine Werke zu erkennen. Vor allem der Aspekt der Selbstironie wird durch die Parallelen in Leben und Werk verdeutlicht. Anschließend erfolgt eine Einführung in das zu bearbeitende Werk Das Urteil sowie ein Einblick in die germanistische Forschung den ‚humorvollen Kafka‘ betreffend.
3.1. Der Einfluss von Kafkas Leben auf seine Werke
Franz wird als erstes Kind der Familie Kafka geboren. Die zwei nachfolgenden Brüder sterben an Kinderkrankheiten, er wächst mit drei jüngeren Schwestern auf. Das Bild der Eltern Kafkas ist ein eher negatives: Kaul schreibt über eine zurückgezogene Mutter und einen herrischen Vater, der durch ständiges Herumkommandieren und Befehle erteilen als die wirkungsmächtigste Person in Kafkas Leben gilt.41 Doch Zimmermann zufolge „kümmerte sich die Mutter sehr um ihn [Kafka]“42, ebenso habe dieser seinen Vater als „erfolgreichen Selfmademan“43 geliebt und bewundert. Vieles, das man heutzutage über die Familie Kafka und speziell die Eltern weiß, wurde vom Sohn Franz in seinen Briefen und Tagebüchern subjektiv und keineswegs authentisch geschildert, wodurch sich vor allem das eher negative Bild des Vaters erklären lässt.44 Obwohl Kafka ein guter und geschätzter Schüler ist, plagen ihn während der Schulzeit Versagensängste und eine generelle Angst vor der Schule, welche jedoch als Erzeugnis einer überzogenen Wahrnehmung erscheinen.45 Ein weiterer wichtiger Punkt in Kafkas Leben sind seine Beziehungen zu Frauen. Mit Felice Bauer führt er intensiven Briefkontakt, wobei dieser ihm offenbar lieber ist als die leibhaftigen Treffen, wodurch sich auch das Scheitern der beiden Versuche einer Eheschließung erklären lässt.46 Es folgt Julie Wohryzek, mit der er eine recht heitere und unkomplizierte Beziehung führt, sein Vater allerdings die Eheschließung verhindert, da er das Verhältnis als „sozialen Abstieg in die Unterschicht“ bewertet.47 Von ihr trennt sich Kafka, als er ein Liebesverhältnis mit Milena Pollak beginnt, die zu ihm Kontakt aufnimmt, weil sie den Heizer übersetzen will. Doch diese Liebe ist nur von kurzer Dauer und endet nach einem halben Jahr. Sein letztes Lebensjahr verbringt er mit Dora Diamant, die er bei einem Erholungsaufenthalt an der Ostsee kennenlernt.48 Für sie verlässt er Prag und zieht gemeinsam mit ihr nach Berlin. Ein Resümee von Kafka-Biograph Alt fasst Kafkas Frauengeschichten folgendermaßen zusammen:
Felice Bauer hatte zu ertragen, daß ihr Kafka ein Rätsel blieb, Milena Pollak mußte hinnehmen, daß er den endgültigen Schritt zu ihr nicht wagte. Beide scheiterten, weil sie den Sohn zum Ehemann bekehren und dabei – ohne es zu wissen – seine Identität zu zerstören suchten. Mit Dora Diamant teilt Kafkadagegen sein Leben frei von der Angst, seine Freiheit zu verspielen.49
Diamant ist demnach die einzige, der sich Kafka komplett öffnet. Kafka erkrankt an Tuberkulose und stirbt an den Folgen.50
Mit Blick auf die soeben geschilderten einschneidenden Erfahrungen in Kafkas Leben wird erkennbar, dass einige Bestandteile seines Lebens als zentrale Motive in seinen Werken auftreten. Zunächst spielt der Vater-Sohn-Konflikt in vielen Werken Kafkas, unter anderem in Das Urteil, eine große Rolle. Die Macht des Vaters über den Sohn Georg Bendemann geht so weit, dass sich Georg als Reaktion auf das Todesurteil seines Vaters tatsächlich das Leben nimmt.51 Wie das Verhältnis von Kafka und seinem Vater tatsächlich war, ist schwer zu sagen. Jedoch vermittelt Kafka selbst ein eher schlechtes Verhältnis wie in Brief an den Vater erkennbar wird:
Liebster Vater,Du hast mich letzthin einmal gefragt warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir. Ich wußte Dir, wie gewöhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begründung dieser Furcht zu viele Einzelheiten gehören, als daß ich sie im Reden halbwegs zusammenhalten könnte.52
[...]
1 Vgl. Max Brod: Über Franz Kafka. Frankfurt am Main 1966, S. 42.
2 Vgl. Oliver Jahraus: Das Urteil. In: Bettina von Jagow/Oliver Jahraus (Hg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Göttingen 2008, S. 408.
3 Vgl. Marika Müller: Die Ironie. Kulturgeschichte und Textgestalt. Würzburg 1995, Einleitung.
4 Vgl. ebd., S. 5.
5 Ebd., S. 8.
6 Ebd., S. 8f.
7 Vgl. Wilhelm Köller: Perspektivität und Sprache. Zur Struktur von Objektivierungsformen in Bildern, im Denken und in der Sprache. Berlin 2004, S. 757f.
8 Uwe Wirth (Hg.): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2017, S. 16.
9 Vgl. ebd., S. 16f.
10 Vgl. Ernst Behler: Ironie und literarische Moderne. Paderborn 1997, S. 7.
11 Vgl. ebd., S. 8, S. 40.
12 Ebd., S. 8.
13 Köller: Perspektivität und Sprache, S. 761.
14 Ebd.
15 Vgl. Müller: Die Ironie, S. 81.
16 Dudenredaktion (Hg.): Ironie. www.duden.de/rechtschreibung/Ironie (16.01.2020).
17 András Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung. Würzburg 1988, S. 230.
18 Vgl. ebd., S. 231, S. 233.
19 Vgl. ebd., S. 234.
20 Ebd., S. 235.
21 Ebd., S. 239.
22 Ebd., S. 241.
23 Vgl. ebd., S. 243, S. 245-247.
24 Vgl. ebd., S. 247.
25 Ebd. Hervorhebung durch mich, Sarah Wahl.
26 Vgl. ebd., S. 249.
27 Vgl. ebd., S. 250, S. 13.
28 Ebd., S. 247.
29 Ebd.
30 Ebd., S. 250. Nach Thomas Mann, Lukian, Kierkegaard und Schlegel.
31 Ebd., S. 251.
32 Wirth: Komik, S. 2.
33 Vgl. Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur, S. 13, S. 18, S. 10.
34 Vgl. Wirth: Komik, S. 7.
35 Vgl. Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur, S. 198.
36 Wirth: Komik, S. 11.
37 Vgl. Horn: Das Komische im Spiegel der Literatur, S. 251-253, S. 208.
38 Ebd., S. 209, S. 250.
39 Behler: Ironie und literarische Moderne, S. 198.
40 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. Hg. von Norbert Miller. München 1963, S. 471.
41 Vgl. Susanne Kaul: Einführung in das Werk Franz Kafkas. Darmstadt 2010, S. 14. Kafkas Geburtstag ist der 3. Juli 1883, seine Eltern sind Hermann und Julie Kafka.
42 Hans Dieter Zimmermann: Kafka und seine Geschwister. In: Bettina von Jagow/Oliver Jahraus (Hg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Göttingen 2008, S. 46f.
43 Pavel Petr: Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik. (= Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft 108), S. 45.
44 Vgl. Zimmermann: Kafka und seine Geschwister, S. 46.
45 Vgl. Kaul: Einführung in das Werk Franz Kafkas, S. 15.
46 Vgl. ebd., S. 17.
47 Ebd.
48 Vgl. ebd.
49 Peter-André Alt: Franz Kafka. Der ewige Sohn. Eine Biographie. München 2005, S. 624.
50 Vgl. Kaul: Einführung in das Werk Franz Kafkas, S. 18. Franz Kafka stirbt am 2. Juni 1924 im Sanatorium Wienerwald in Niederösterreich im Alter von 40 Jahren.
51 Vgl. ebd., S. 44.
52 Franz Kafka: Brief an den Vater. Mit einem Kommentar von Peter Höfle. Frankfurt am Main 2008, S. 9.
- Quote paper
- Anonymous,, 2020, Die Ironie in Franz Kafkas "Das Urteil", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/991106
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