Tom Morris, Was ist dran am Tod?
1. Die Angst und die Leere
Warum haben wir so schreckliche Angst vor etwas, das nicht anders als andere Geschehnisse auch Teil des Kreislaufs der Natur ist? Es gibt vier verschiedene Arten der Angst vor dem Tode: die Angst vor dem Prozess des Sterbens, die Angst vor einer Strafe im Jenseits, die Angst vor dem Unbekannten und die Angst vor dem Nichts.
Die Angst vor dem Prozess des Sterbens
Wenn manche Leute behaupten, sie fuerchteten den Tod, so fuerchten sie nicht eigentlich den Tod selbst, sondern vielmehr den physischen und psychischen Prozess des Sterbens. Sie haben Angst, dass sie vor dem Tod schrecklich leiden muessen. Sie fuerchten die Schmerzen, die mit dem Sterben verbunden sind, und es aengstigt sie der Gedanke, dass sie alles, was ihnen lieb und teuer ist, zuruecklassen muessen.
Die Menschen fuerchten den Tod, so wie Kinder die Dunkelheit fuerchten. Und so, wie die
natuerliche Furcht des Kindes mit Geschichten waechst, die man ihm erzaehlt, so waechst auch die Furcht des Erwachsenen... Francis Bacon
- Der Tod als ein natuerlicher Teil des Lebens: Zu allen Zeiten haben Philosophen und andere Gelehrte uns davon zu ueberzeugen versucht, dass der Tod ein natuerlicher Vorgang sei, den man als solches akzeptieren muesse und den man nicht zu fuerchten braeuchte:
- Zu sterben ist genauso natuerlich wie geboren zu werden. Francis Bacon
- Sobald wir geboren werden, fangen wir an zu sterben; und das Ende ist mit dem Anfang verbunden. Minilius Astonomica
- Denn das Leben naehert sich dem Tod jeden Tag etwas mehr. Phaidros
- Jeder Augenblick des Lebens ist ein Schritt in Richtung Grab. Crébillion
- Du wirst nicht deswegen sterben, weil du krank bist, sondern weil du lebst. Seneca
- Unser ganzes Leben ist ein Hinschreiten zum Schafott - dem Tod. John Donne
- Ich, als ich geboren wurde, wurde zum Sterben geboren. William Drummond
Die Angst vor einer Strafe im Jenseits
Manche Menschen, die angeben, sie fuerchteten den Tod, haben in Wirklichkeit Angst vor bestimmten Dingen und Geschehnissen, die moeglicherweise nach ihrem Tod mit ihnen passieren. Diese Menschen glauben meist an ein Leben nach dem Tod und haben Angst vor einem jenseitigen Juengsten Gericht und davor, dass dieses sie fuer ihre Taten im Leben bestrafen wird. Oft sind es die gewoehnlichsten Menschen, Leute, die niemals in ihrem Leben etwas Kriminelles getan haben, die derartige Aengste hegen. Der Grund fuer ihre Furcht ist dann meistens in ihrer (religioes gepraegten) Erziehung zu suchen.
Es gibt keine Erloesung von der Hoelle. Papst Johannes Paul III.
Die Angst vor dem Unbekannten
Eine der verbreitesten Aengste ist die Angst vor dem Unbekannten. Diese Angst hat mit unserem Beduerfnis zu tun, die Dinge unter Kontrolle haben zu muessen, weil wir glauben, unsere Umwelt und unser Geschick einigermassen unter Kontrolle zu haben. Oft ist es so, dass die Menschen am Tod nur das mit ihm verbundene Unbekannte fuerchten. Wird der Tod wie der Schlaf sein, oder werde ich in einen bodenlosen Abgrund fallen? Wird er schrecklich oder wunderbar werden, der Tod? Ist er das Ende von allem, oder ist er erst der Anfang? Selbst die, die schon ihre feste Meinung ueber den Tod haben, fragen sich manchmal, ob sie auch wirklich recht haben. Tief im Inneren sind sie unsicher - sie koennten sich ja auch irren. Man weiss es einfach nicht, ob man recht hat. Also fuerchtet man sich.
Der Mensch glaubt, es sei der Tod, der ihm Angst mache; in Wirklichkeit aber fuerchtet er das Unbekannte ... Saint-Exupéry
Die Angst vor dem Nichts
Diese Art der Furcht ist fuer die naechtlichen Alptraeume der Menschen verantwortlich, die ploetzlich erkennen, dass sie unweigerlich sterben muessen und dass das, was ihnen bevorsteht, die totale Aufloesung des Individuums als Person bedeuten koennte. Von der Endgueltigkeit einer solchen unentrinnbaren Leere koennen sich die Menschen keine Vorstellung machen. Sie ruft ein Gefuehl in uns wach, das man nur als Horror beschreiben kann, die Angst der Aengste. Der Tod ... ist einfach der groesste Schrecken im Leben. Jean Giraudeaux
2. Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Philosophische Zweifel und Ablehnungen
Von der Antike bis in unsere Zeit haben sich die Philosophen eine Reihe von Argumenten einfallen lassen, die darlegen sollen, warum wir unseren physischen Tod nicht ueberleben koennen:
Das Argument, dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod aus unserer Psyche abgeleitet werden kann
Die Menschen glauben an ein Leben nach dem Tod nur deswegen so stark, weil sie daran glauben wollen (Wunsch). Wuensche sind jedoch kein verlaesslicher Weg zur Wahrheit. Daher sollten wir dem Glauben an ein Leben nach dem Tod immer skeptisch begegnen. Aus diesem Grund sollte jede Ueberzeugung, die auf einen Wunsch zurueckgefuehrt werden kann, vermieden werden.
Dieses Argument versucht nicht, Gruende dafuer zu finden, warum wir unseren Tod nicht ueberleben koennen, sondern unseren Glauben an ein solches Leben nach dem Tode in Zweifel zu ziehen.
Die Menschen glauben freiwillig an das, an das sie zu glauben wuenschen. Caesar
Das Argument des Schweigens der Toten
Dieses Argument ist kurz, direkt und interessant. Wenn Millionen von Menschen vor uns gelebt haben und gestorben sind und sie ausserdem ueber ihren Tod hinaus weiter existiert haben, warum verfuegen wir dann ueber so wenig Beweise fuer das Weiterleben nach dem Tod? Warum nehmen die Toten keinen Kontakt mit uns auf und lassen es uns wissen? Ganz sicher waere ihnen bewusst, wie wichtig den Hinterbliebenen eine solche troestliche Nachricht waere. Warum also schweigen die Toten? Und warum gibt es keine glaubhaften Beweise fuer ein Weiterleben nach dem Tod? Dafuer gibt es drei Gruende:
1. Wenn Menschen nach dem Tod weiterleben koennten, so wuerden die vielen schon Gestorbenen diese Tatsache an uns uebermittelt haben.
2. Bisher gab es noch keine derartige Mitteilund der Toten an die Lebenden. Daraus folgt:
3. Menschen leben nach dem Tod nicht weiter.
Diejenigen, die die Behauptung, es gebe ein Leben nach dem Tod, anzweifeln, benutzen haeufig dieses Argument, um die andere Seite darauf aufmerksam zu machen, dass es noch immer keine echten Beweise dafuer gibt. Wie dem auch sei, wir sind letzlich nicht imstande, ueber die Wahrheit oder Falschheit dieses Arguments zu urteilen. Folglich kann uns das Argument als Ganzes auch nicht richtig ueberzeugen. Viele hat es jedoch zum Nachdenken angeregt.
In der Stille liegt genauso der Keim zu Geist und Wissen verborgen wie im unbehauenen Marmor die grosse Plastik. Aldous Huxley
Das Argument des Gehirnschadens
Dieses Argument ist das vielleicht ueberzeugendste Argument des Materialismus gegen die Idee von einem Leben nach dem Tod. Auch dieses ist einfach zu verstehen.
Die Zerstoerung eines kleinen Bereiches des Gehirns eines Menschen z. B. durch einen Unfall, beraubt diesen Menschen eines Teils seiner Gehirnfunktionen, etwa des Sprechens, der Gefuehle oder seiner Wahrnehmungsmoeglichkeit. Daraus folgt, dass der dauerhafte Tod des gesamten Gehirngewebes auch zu einem dauerhaften Ende aller Gehirnfunktionen fuehrt. Dies ist gleichbedeutend mit dem Ende der personalen und bewussten Existenz eines Menschen, d. h., dass keiner von uns den Tod ueberleben wird.
Argumente fuer das Weiterleben nach dem Tod
Platos Argument der Unzerstoerbarkeit
Plato schien es, dass die Dinge in dieser Welt dadurch zerstoert oder vernichtet werden, dass sie sich in ihre Bestandteile zerlegen oder zerlegt werden. Eine Vase zerspringt in kleine Teile und hoert auf zu existieren. Uebrig bleiben nur einzelne Splitter, die mit dem urspruenglichen Gefaess fast nichts mehr gemeinsam haben. Plato behauptet, dass dies die einzige Art und Weise sei, wie Dinge in dieser Welt zerstoert werden koennten. Nach Plato hat die Seele jedoch keine Bestandteile. Man kann sie daher auch nicht in kleinere Teile zerlegen. Sie ist unzerstoerbar und muss daher unsterblich sein.
Das Wunsch-Argument
Dieses Argument beginnt mit einer Unterscheidung zwischen angeborenen und kuenstlichen, d. h. erlernten Wuenschen, bzw. Verlangen. Ein angeborenes Verhalten ist ein Verlangen, mit dem wir schon auf die Welt kommen. Ein solches Verlangen erscheint spontan bei einem Menschen, ohne dass es eines aeusseren Anlasses oder Einflusses beduerfte. Ein erlerntes Verlangen tritt dagegen nicht spontan auf. Das Verlangen nach einem teuren Schmuck ist ein gutes Beispiel fuer erlerntes Verlangen, ein Beduerfnis nach Luft zum Atmen fuer angeborenes. Das Verlangen nach einem Leben nach dem Tod ist erstaunlich weit verbreitet, es laesst sich in beinahe jeder Kultur und jeder Epoche der Geschichte finden. Jeder moechte gerne moeglichst lange leben. Man kann also argumentieren, dass das Verlangen nach einem Leben nach dem Tode ein angeborenes Verlangen ist.
Es gibt kein Verlangen nach dem Unbekannten. Ovid
Moralische Argumente
Immanuel Kant (1724-1804) ist neben vielen anderen Dingen dafuer bekannt, dass er ein
Argument in die Diskussion eingebracht hat, das von der Sittlichkeit auf die Unsterblichkeit des Menschen schlussfolgert:
1. Kant glaubte, dass das Sittengesetz von uns verlangt, dass wir immer nach dem Guten streben und als Endziel sittliche Perfektion zu erreichen versuchen. Da wir aber in diesem Leben sittliche Perfektion nicht erreichen koennen, muss es ein anderes Leben geben, in welchem wir die Forderung des Sittengesetzes schliesslich erfuellen koennen.
2. Die Wuerde und Geschlossenheit des Sittengesetzes verlangt, dass die Gerechtigkeit am Ende ueber die Ungerechtigkeit siegen muesse. Jeder von uns weiss aber, dass die Gerechtigkeit in unserer Welt nur selten triumphiert. Wir muessen daher folgern, dass es einen anderen Ort gibt, an dem die Gerechtigkeit ueberwiegt.
Die Sterblichkeit hat ihren Ausgleich. Der eine ist, das alles Boese nur voruebergehend ist; der andere besteht darin, dass bessere Zeiten irgendwann vielleicht kommen moegen. George Santayana
- Arbeit zitieren
- Susanne Liu (Autor:in), 2000, Was ist dran am Tod?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/99104
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