Definition
Die Evolutionsbiologie untersucht die Entstehung von Arten sowie die Bildung von größeren Organismengruppen und sucht nach den Ursachen für diese Entwicklungsprozesse.
Einführung
Obwohl die Evolutionsbiologie eine der zentralen Fragestellungen der Biologie untersucht, war sie besonders in ihren Anfängen stark beeinflußt durch die vorherrschenden religiösen Vorstellungen. Denn sie berührte Themen, die die Dogmen der christlichen Schöpfungsgeschichte in Frage stellten. So ist nicht verwunderlich, daß die Theorien, die Charles Darwin erstmals 1859 formulierte, erst 1996 von der katholischen Kirche anerkannt wurden.
George Louis Leclerc Buffon war einer der ersten Wissenschaftler, der sich nicht ausschließlich auf die Schöpfungsgeschichte berief. In seinem 36bändigen Werk
"Naturgeschichte", das er zwischen 1749 und 1789 veröffentlichte, führte er naturkundliche Belege für die Erdgeschichte ein. Er förderte auch den Biologen Jean-Baptiste Lamarck. Dieser glaubte wie auch Geoffroy Saint-Hilaire und Georges de Cuvier, daß alle Lebewesen vom niedrigsten Tier bis zum Menschen in kontinuierlicher Form aufeinander aufbauen. Auf dieser scala naturae (Stufenleiter des Lebens) konnten sich einfache Lebensformen weiterentwickeln, indem sie sich den Einflüssen der Umwelt unterwarfen. In Abhängigkeit von der Umwelt entwickelten sich demnach Organe, und der Körperbau veränderte sich durch (Nicht-)Gebrauch der Körperteile. Diese einmal erworbenen Eigenschaften wurden anschließend vererbt. Wenn also eine Giraffe die Blätter eines Baumes fressen wollte, müßte sie ihren Hals häufig verlängern und gäbe diese Information an die Nachkommen weiter. Demgegenüber rückte der einflußreiche George de Cuvier später von der Vorstellung einer Evolution ab. Nach seiner Auffassung bestanden die Arten von Anbeginn der Schöpfung unveränderlich, und einzelne Schöpfungen wurden immer wieder durch Katastrophen ausgerottet. Seine Vorstellungen beherrschten das französische und britische Denken, bis Charles Darwin und Alfred Russel Wallace ihre Theorien veröffentlichten.
Beide Wissenschaftler sammelten ihre Erkenntnisse vor allem auf Forschungsreisen. Hier fanden sie indirekte Indizien, die sie zu der Entwicklung ihrer Theorien führten. So mußte Darwin sich nicht nur auf Fossilfunde stützen, die auch dem Fossilsammler de Cuvier bekannt waren. Seine Forschungsreise mit der "Beagle" führten ihn beispielsweise auf die Galápagosinseln, die isoliert etwa 1.000 Kilometer vor der ecuadorianischen Westküste liegen. Hier waren Finkenarten heimisch, die sonst nirgendwo zu finden waren. Nach der Schöpfungstheorie müßte es mehrere "Schöpfungszentren" geben, um das Vorkommen solcher endemischen Arten zu erklären. Die Annahme einer Evolution, die den Arten einen Wandel erlaubt, konnte dagegen zwanglos das Auftreten endemischer Arten erklären. Auch das Vorhandensein verkümmerter Gliedmaßen wie der flugunfähigen Flügel der Stummelkormorane oder der Hintergliedmaßen der Wale war vor dem Hintergrund einer Evolution erklärbar.
Wallace fand im Verlauf seiner Expeditionen an den Amazonas und nach Malaysia, daß sich die Tierarten Südamerikas und Asiens unterscheiden, und zog eine Trennlinie zwischen den indonesischen Inseln Borneo und Celebes.
Beide machten eine natürliche Selektion als Motor der Evolution aus und veröffentlichten ihre Vorstellungen 1858. Die moderne Evolutionstheorie begründete Charles Darwin 1859 mit einem umfassenden Werk über die Entstehung der Arten, dem er 1871 das Werk "The descent of man" ("Die Abstammung des Menschen") folgen ließ. Diese Selektion führte demnach zu einem Überleben zufällig entstandener Individuen, die sich aufgrund einer Änderung des Erbmaterials in einer geänderten Umweltsituation besser behaupten konnten. Die Theorie Darwins wurde vor allem von Ernst Heinrich Haeckel unterstützt, der die "biogenetische Grundregel" aufstellte, nach der jedes Tier im Verlauf seiner Embryonalentwicklung noch einmal Auszüge seiner Stammesgeschichte durchläuft. Haeckel vermutete , daß sogenannte Moneren - Protoplasmaklumpen ohne innere Gliederung - die ersten Lebewesen bildeten. Er knüpfte auch an Darwins Vorstellungen zur sexuellen Selektion an, die beispielsweise zur Entwicklung von Pfauenrädern oder Brunftgesängen führt.
Darwins Arbeiten erzielten vor allem im 20. Jahrhundert ihren Durchbruch, nachdem die Mendelschen Regeln durch Hugo de Vries wiederentdeckt wurden. De Vries führte auch den Begriff der Mutation in die Evolutionsbiologie ein. Die Weitergabe von Genen als getrennte Einheiten ließ sich durch die Hardy-Weinberg-Regel mathematisch beschreiben, die gleichzeitig aufzeigte, daß einzelne Gene im Genpool einer Art erhalten bleiben, solange sie für das Individuum keine nachteiligen Wirkungen haben. Besonders die Erkenntnisse der Molekularbiologie wie die Entdeckung des genetischen Codes und die Entschlüsselung der Mechanismen der Vererbung und des Stoffwechsels unterstützten die Evolutionstheorie wesentlich. Gegen Ende der sechziger Jahre entwickelte sich die Neutralitätstheorie, die davon ausging, daß die meisten Mutationen von dem Mechanismus der Selektion nicht erfaßt werden. Heute ist bekannt, daß nur ein kleiner Teil der DNA, die auf den Chromosomen liegt, im lebenden Organismus eine Rolle spielt. Manche Gene haben im Lauf der Evolution ihre Funktion eingebüßt und werden nur noch als DNA-Sequenz mitgeführt, andere Gene liegen in mehreren Kopien vor, so daß die Mutation einer Kopie keine Auswirkungen hat. Zufällige Mutationen in diesen Chromosomenabschnitten häufen sich im Lauf der Jahrmillionen an, da sie keinen Nachteil für den Organismus bedeuten. Aufgrund von Sequenzvergleichen der DNA verschiedener Organismen läßt sich eine Art "genetische Evolutionsuhr" aufstellen: Organismen mit wenigen Unterschieden in der DNA-Sequenz sind näher verwandt als solche mit vielen Unterschieden.
Aus heutiger Sicht spiegeln die Organismenreiche keine Stufenleiter wider, die von niederen zu höheren Lebensformen führt. Ein heute lebender Wurm hat sich im Lauf der Evolution ebenso weiterentwickelt wie ein Wirbeltier und paßte sich an seine ökologische Nische durch Mutation und Selektion an. Die Evolution hatte weder zum Ziel, Intelligenz hervorzubringen, noch beabsichtigte sie, Ultraschallortungssysteme bei Fledermäusen oder hochkomplizierte Nesselzellen bei Nesseltieren zu "erfinden". Alle diese Entwicklungen stellen zufällig erworbene Anpassungen an die jeweiligen Lebensbedingungen der Lebewesen dar. Immer wieder wurde die Erde durch geologische Katastrophen nahezu entvölkert und gab so die Bühne frei für Experimente der Natur. Herausragende Meilensteine für die Evolution der Lebewesen waren die Atmung und die Photosynthese, die Entstehung von Eukaryonten, die "Erfindung" der Sexualität und die Entwicklung von Vielzellern. Von besonderer Bedeutung für die heutige Fauna war die sogenannte Kambrische Explosion. In kurzer Zeit entstand eine ungeheure Vielzahl von Bauplänen, die den Ausgangspunkt vieler heutiger Stämme bilden.
Chemische Evolution
Lange Zeit war vollkommen rätselhaft, wie sich auf der unbelebten, jungen Erde aus den vorkommenden anorganischen Verbindungen neues Leben entwickeln konnte. Es war auch nicht zu verstehen, woher selbst einfache Verbindungen wie Aminosäuren, Zucker und Fette stammen sollten, auf denen heutiges Leben aufbaut. Zu komplex ist der Stoffwechsel eines heutigen Lebewesens, als daß man die spontane Entstehung von Leben annehmen konnte. Einen wichtigen Hinweis auf die chemische Evolution gab Stanley Miller. Er war ein Schüler von Harold Urey, der die Überlegungen Aleksandr Oparins über die zufällige Entstehung des Lebens durch Bildung komplexerer organischer Moleküle aufgriff. Miller simulierte die Uratmosphäre der frühen Erde, indem er Methan, Ammoniak und Wasserstoff mit Wasser mischte. Dieses Gemisch unterwarf er einer Behandlung mit elektrischen Entladungen, die auf das Gemisch wie Blitze wirkten. Wenige Zeit später konnte Miller organische Verbindungen wie Aminosäuren, Zucker und Fette nachweisen. Durch Variationen der Versuchsbedingungen ließen sich später auch Purine und Pyrimidine - Bausteine der Nukleinsäuren - darstellen. So konnte in der Frühzeit eine Ursuppe aus organischen Molekülen entstehen, die sich im Laufe der Zeit anreicherte. Die Eigenschaft von Fetten, sich spontan zu Hohlkugeln (Micellen) zusammenzulagern, macht die Vorstellung plausibel, daß sich spontan Vorläufer von Zellen bildeten, in denen ein Stoffwechsel ablief.
Trotzdem erscheint die Bildung einer Zelle, die der Definition von Leben (Erbwandel, Erhaltung, Reizbarkeit und Vermehrung) genügt, extrem unwahrscheinlich, wenn man die Grundprinzipien heutiger Lebewesen zugrunde legt. Heutige Organismen fahren zweigleisig: Sie nutzen einerseits Nucleinsäuren als Informationsspeicher, der mutierbar ist und somit den Mechanismen der Evolution unterliegt. Andererseits dienen Proteine als Bausteine der Zelle, die den Stoffwechsel bewirken und die Zelle reproduzieren. Eine elegante Vereinfachung der Vorstellung zur Entstehung des ersten Lebens bot die Entdeckung von katalytisch wirksamer RNA. So faltet sich ein bestimmter Abschnitt der ribosomalen RNA eines Ciliaten zu einer komplizierten dreidimensionalen Struktur, die ohne das Vorhandensein eines Proteins die
Bearbeitung des eigenen Nukleinsäurestrangs durchführen kann. Ein RNA-Strang, der weitere RNA-Stränge herstellt und dabei unter anderem auch sein Ebenbild reproduziert, könnte die Grundlage für die Entstehung des Lebens gebildet haben und wäre das erste Ziel der biologischen Evolution gewesen.
Jean- Bapiste Lamarck
Jean-Baptiste de Lamarck (geb. 1744, gest. 1829), französischer , begründete eine Theorie (Lamarckismus) über Umwelteinflüsse auf die Entwicklung der Arten und vertrat die Ansicht, daß sich erworbene Eigenschaften vererben. Da bis heute aber auf genetischer Ebene jeder Beweis dafür fehlt, daß Umwelteinflüsse das genetische Material verändern, betrachtet man seine Theorie heute als überholt.
Weiterhin erfand Lamarck 1802 den Begriff "Biologie" (unabhängig von Burdoch) und 1794 die Begriffe "Wirbeltiere" und "Wirbellose". Er klassifizierte letztere erstmalig in einem siebenbändigen Werk.
Da er auch die Ansicht vertrat, daß sich die Arten kontinuierlich auseinander entwickeln, gilt er als Begründer der modernen Abstammungslehre (Deszendenztheorie).
- Arbeit zitieren
- Christian Freier (Autor:in), 1999, Evolutionsbiologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98936
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