Im Rahmen der Ausbildung zum Psychotherapeuten oder Paar- und Familienberater(in) bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Dieser Text setzt sich mit Selbstbildern von frisch ausgebildeten Psychotherapeuten und Beratern/ Beraterinnen auseinander. Der Text beruht auf einem Vortrag in der Fachhochule Fulde in einem Seminar über Kommunikation(1984)D
Einleitung: Heilen gehört zum Selbstverständnis Psychologischer Psychotherapeuten. Heilung zielt auf die Befreiung von seelischen Einschränkungen, die sich u.a. in Form von seltsamen Gedanken und Gefühlen, der verzerrten Wahrnehmung von sich selber und anderen Menschen, tiefen Unsicherheiten, Vereinsamung und einem Verlust an Lebenskraft manifestieren. Welche Voraussetzungen braucht ein Heiler, um heilen zu können.
Märchen, Mythen und Geschichten weisen einen Weg hin zur Reflexion über die eigenen Kräfte und Fähigkeiten, aber auch die Anforderungen und die Erfordernis zum eignen Wachstum. In diesem Text besinne ich mich auf die Anfänge einer kleinen langen Reise, die Überraschungen für mich bereit hielt über mich selber, die Menschen die mir begegneten. Wie beim Blick auf den Tod (Yalom 2008) sind wir Menschen auch im Leben Gefährten, manchmal nur für eine kurze Zeit und einen entscheidenden Moment. Die Rollen, in denen wir erscheinen, wechseln und verändern sich. So tritt auch der Heiler in verschiedenen Gestalten auf.
Heilen: Ich weiß nicht, was heilen objektiv bedeutet. Für mich bedeutet heilen, auf mich zu schreiten, mich sehen, wie ich bin, meine unangenehmen Seiten nicht beiseite drücken, damit sie mich nicht einholen und mich meiner Geschichte stellen. Manches ist zufällig in meiner Geschichte, aber es ist mir zugefallen und ich kann es nicht ausloschen ohne Kraft. Heilen bedeutet für mich erst einmal Selbstheilung. Dabei schaue ich, wie ich bin und wie ich mich verändere, wenn ich auf andere Menschen treffe. Für mich persönlich heißt heilen, mich meinen Gefühlen stellen, ja, sie erst einmal zu spüren und zu merken, was ich will. Nicht immer fallt es mir leicht und andere lasse ich noch in meiner Geschichte, wie ich jetzt versuche zu leben herumpfuschen. Heilen heißt für mich auch, das zu tun, was ich früher nie gelernt habe. Dazu gehört für mich Kämpfen. Heilen heißt für mich, das früher verbotene Terrain zu betreten: dort liegen die verborgenen Quellen meiner Kraft.
Das eigene Leben: Ich spreche von mir, aber wie soll ich andere heilen, wenn ich heilen nicht an mir und in mir erlebt habe? Helfen kann ich nur, wenn ich bereit bin, selber mit zu pilgern. Ich lerne jetzt langsam, dass ich als Kind nicht so geliebt wurde, wie ich es brauchte, löse mich von denen, die mich erstickend liebten und noch lieben wollen, werfe meine Gurus, die ich auf der Suche nach Liebe und Anerkennung suchte, aus meinem Leben heraus. Solange der Guru den Weg zeigt, versperrt er dem Pilger den seinen (Leeds 1977, S. 316).
Wissen um die Geschichten des Lebens: Wenn ich andere heilen soll, so heißt dies für mich erst einmal, ihre Geschichte kennenlernen. Die Suchenden kommen, um ihre eigene Geschichte zu erzählen, manchmal ohne Worte in der Sprache ihres Körpers. Sie kommen, um das eigene Leid zu lindern, um sich unter der Gefahr der schmerzhaften Selbstöffnung mitzuteilen. Ich will da nicht stumm dabei sitzen, wenn mich ihre Geschichte berührt. Denn wenn wir einander gegenüber sitzen, dann ist ihre Geschichte auch ein Teil meiner Geschichte und ich will mich nicht vergessen. Die Suchenden kommen, um nach Menschen zu suchen, die ihnen vertrauensvoll und stark genug erscheinen, ihre Geschichte anzuhören, zu ertragen, vielleicht auch ein wenig mit zu tragen, zu helfen.
Wenn ich mich und meine Geschichte vergesse, schlage ich die Vertrauensbeweise der anderen in den Wind. Ich müsste sagen: jetzt bin ich eine Zeitlang nicht Ich, wenn ich zuhöre. Meine Gedanken und Gefühle sind jetzt nicht mir, sondern meiner Berufsrolle zugehörig. Dies geht natürlich nicht. Wenn ich meine Geschichte auch nur einen Augenblick vergäße, gliche ich dem Geschichtenerzähler, der keine Geschichte mehr zu erzählen wusste: erneut musste er auf Reisen gehen, denn eine jede Geschichte, die erzählt wird, ist eine eigene. Sonst gilt sie nicht.
Sich berühren lassen: Die Suchenden suchen einen Menschen, dem sie sich anvertrauen können, nicht in erster Linie einen Psychologen oder einen Sozialarbeiter. Das heißt, ich muss fähig sein, mich berühren zu lassen. Wenn wir einander gegenüber sitzen, berührt sich unser Leben.
Die Geschichte vom Umhang
Hierzu gibt es chassidische Geschichten. Ich will mit einer beginnen:
Eine Frau kam zu Rabbi Israel, dem Maggid von Kosnitz, und weinte vor ihm? Ein Dutzend Jahre sei sie vermählt und habe noch keinen Sohn. Was willst du tun? fragte er. Sie wusste nichts zu antworten. Meine Mutter, erzählte nun der Maggid, ist alt geworden ohne ein Kind zu haben. Da hörte sie, dass der heilige Balschem auf einer Reise in ihre Stadt Apta weilte. Sie lief zu ihm in die Herberge und flehte ihn an, ihr einen Sohn zu erbeten. Was willst du tun, fragte er. Mein Mann ist ein armer Buchbinder, antwortete sie, aber etwas Gutes habe ich doch, das will ich dem Rabbi geben. Stracks lief sie heim und holte den sorgsam verwahrten Umhang, die Katinka, aus der Truhe. Als sie aber damit in die Herberge kam, erfuhr sie, dass der Balschem bereits wieder nach Mesbiz abgereist sei. Sie machte sich ohne Verzug auf den Weg und ging, da sie kein Geld zum Fahren hatte, mit ihrer Katinka von Stadt zu Stadt, bis sie nach Mesbiz kam. Der Balschem nahm die Katinka und hing sie an die Wand. Es ist gut, sagte er. Meine Mutter ging wieder von Stadt zu Stadt, bis sie nach Apta kam. Im Jahr darauf wurde ich geboren. - Auch ich will, rief die Frau, euch einen guten Umhang von mir bringen, dass ich einen Sohn bekomme. - Das gilt nicht, erwiderte der Maggid, Du hast die Geschichte gehört. Meine Mutter hatte keine Geschichte gehört. (Buber 1949, S. 439 f.).
Schlecht beraten bin ich, wenn ich mich auf fremde Geschichten verlasse. Mein Leben ist erst einmal mein Leben. Wie ich heile, hängt mit mir und meiner Heilung zusammen.
Der ängstliche Heillose Heiler: Der Heillose Heiler vertraut auf die Heilsprüche anderer, während der Geschichtenerzähler auf Suche ging und eine neue Geschichte erlebte, verlässt sich der Heillose Heiler auf die Weisheiten anderer. Selbstverständlich kennt er den genauen Unterschied zwischen Gesund und Krank - für die anderen, nicht für sich. Er besinnt sich nicht lange und sucht in seiner Methodenkiste nach dem rechten Heilungsweg, den andere ihm erzählt haben. Er will mit den Metaphern fremder Geschichten zaubern, die er selber nicht mit seinem Herzen begriffen hat, und für die der Heilsuchende nicht bereit ist. Ratschläge hat er parat, noch und nöcher. Sich selber hält er hübsch raus. Heilung ist doch nicht sein Thema, oder? Eher doch des Hilfesuchenden. Und schnell wird er zum Pfleger und der Heilsuchende zum Pflegling. Von sich überzeugt, erblindet der Heillose Helfer und übersieht, dass seine Geschichte mit der des anderen verknüpft ist. So geraten sie schnell aneinander und aneinander vorbei: enttäuscht und verwirrt kehrt der Heilsuchende immer und immer wieder, in der Überzeugung, dass sein Guru sein Glück schon in den Händen hält - nur rückt er halt noch nicht damit heraus. Und so treffen sich beide immer und immer wieder: heillos heilt der heillose Helfer, dabei hat die Reise beider vorläufig hier ihr Ende gefunden.
Zaubertränke: Wachsam ängstlich schaut der Heillose Heiler, der sich nicht kennt, um. Niemand ihn von seiner eben erst erlangten Heilfähigkeit, an die er seine ganze Existenz und Jahre seiner Ausbildung und seines Lebens gehängt hat, in die kaum Gefilde der Unsicherheit und des Zweifels zurückstoßen. ,,Dies ist es", sagt er ? So stolz, und merkt nicht, dass dies schon wieder vorbei ist. Nichts lässt sich halten, was man nicht jeden Augenblick wieder weggeben kann. Die Heilfähigkeit gilt es Moment neu zu erhalten, im Aufgeben sich schenken zu lassen, aus der Tiefe der Begegnung. Kaum kommt der Heillose Heiler auf den Gedanken, dass er sich auch auf der anderen Seite wiederfinden könnte; wenn dieser Gedanke in ihm aufblitzt, dann sehr zu seiner Beunruhigung. Kaum beschleicht ihn die Ahnung, dass seine Lehrer ihm keinen Zaubertrank verkauften, kein Elixier der Wahrheit oder des Heilens. Vielleicht waren seine Lehrer nur heimlich ZEN - Meister, die ihn mit ihren Lehren befähigen wollten, später selber um den Rechten Weg des Heilens zu kämpfen. Er begriff sie nur wörtlich. Aber das Geheimnis liegt in ihm verborgen, er braucht es sich nur heraufzuholen.
Der Heillose Heiler gleicht dem Mann, der ins Land der Narren kam und diesen dass das Ungeheuer auf ihrem Felde ...
Aber ich will die Geschichte lieber erzählen:
Das Melonenfeld
Es war einmal ein Mann, der sich verirrte und in das Land der Narren kam. Auf sei einem Weg sah er Leute, die voller Schrecken von einem Felde flohen, wo sie Weizen ernten wollten. Im Felde ist ein Ungeheuer, so erzählten sie ihm. Er blickte hinüber und sah, dass es eine Wassermelone war. Er erbot sich, das Ungeheuer zu töten schnitt die Frucht von ihren, Stiel und machte sich sogleich daran, sie zu verspeisen. Jetzt bekamen die Leute noch größere Angst vor ihm, mehr fürchteten sie sich vor ihm als vor der Melone. Sie schrien: als nächstes wird er uns töten, wenn wir ihn nicht schnellstens Loswerden. Und sie jagten ihn davon.
Wieder verirrte sich eines Tages ein Mann ins Land der Narren und auch er begegnete Leuten, die sich vor einem vermeintlichen Ungeheuer fürchteten. Aber statt ihnen seine Hilfe anzubieten, stimmte er ihnen zu, dass es wohl sehr gefährlich ,sei, stahl sich vorsichtig mit ihnen von dannen, bis er ihr Vertrauen gewinnen konnte. Lange Zeit lebte er bei ihnen, bis er sie schließlich Schritt für Schritt die einfachsten Tatsachen lehren konnte, die sie befähigten, nicht nur die Angst vor Wassermelonen zu verlieren, sondern sie sogar selber anzubauen (Kopp 2012, S. 1).
Soviel zum Unterschied zwischen dem Heillosen Heiler und dem hilfreichen Trickser Der hilfreiche Trickser kennt die Hintergründe seiner Geschichte und der Geschichte der anderen. Langsam führt er sie zu sich selber hin. Erbaut auf dem auf, was sie ihm anbieten: ihre falschen Lösungswege sind eine gute Basis.
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- Arbeit zitieren
- Dipl.-Psych. Andreas Schulz (Autor:in), 2011, Der Heillose Heiler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98796
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