Interpretation ,,Die drei dunklen Könige"
Wolfgang Borchert, der bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gelebt hat, macht in der Kurzgeschichte ,,Die drei dunklen Könige" mit sehr bildreicher Sprache die Leiden der Menschen in der Nachkriegszeit deutlich.
Nachdem ein Vater mit einem Stück Holz zu seiner Frau und dem Baby zurückgekehrt ist, bitten drei kriegsgeschädigte Männer um Einlass, damit sie sich kurz aufwärmen können. Bevor sie gehen, schenken sie der Familie Tabak, Bonbons und einen holzgeschnitzten Esel. Schon im ersten Abschnitt erkennt man, dass der Text zur Trümmerliteratur gehört. Borchert lässt ein Bild der Armut und Einsamkeit entstehen. Der Mann ,,tappt[] durch die dunkle Vorstadt", in der ,,[d]ie Häuser [ ] abgebrochen gegen den Himmel [stehen]. Da ,,[d]er Mond fehlt[ ]", bewegt er sich nur sehr langsam und unsicher an den Ruinen vorbei. Die Stille wird nur durch den ,,späten Schritt [ ], über den das Pflaster erschrocken [ist]" und durch die klagend ,,seufzen[de]"Latte, die ,,mürbe und süß" riecht, unterbrochen. ,,Durch die Vorstadt tappt[] er zurück. Sterne [sind] nicht da." Die Wiederholung des unsicheren Tappens und die erneute Betonung der Dunkelheit, die sich auch auf das Fehlen des Mondes bezieht, runden den ersten Abschnitt ab. Er beschreibt die Not und Trauer in der Zeit nach dem Krieg, ohne eines dieser Worte direkt zu nennen.
Es handelt sich bei diesem Text um eine Kurzgeschichte, die aus der Sicht eines auktorialen Erzählers geschildert wird. Die Handlung stellt einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben einer Familie dar und ist durchaus realistisch, sie könnte sich wirklich abgespielt haben. Da am Anfang genauere Angaben über den Ort fehlen und die Geschichte mit der Feststellung, dass es Weihnachten ist, aufhört, ist eine Einleitung und ein Schluss, bei dem keine Fragen offen bleiben, nicht vorhanden. Die Personen bleiben anonym. Es werden keine genauen Beschreibungen oder Namen bekannt gegeben.
Das Haus oder die Hütte, in der die Familie wohnt, ist sehr klein und besteht vermutlich nur aus einem Raum, da ,,die blassblauen Augen [der] Frau [dem Mann sofort]" entgegen [sehen]", als dieser die Tür öffnet. ,,[Die Augen] k[om]men aus einem müden Gesicht", sie spiegeln zusammen mit dem ,,knochige[n] Knie" Angst, Hunger und Elend wieder. Das ,,süße [ ] Holz" wird hier als Motiv wieder aufgegriffen und [r]iecht beinahe wie Kuchen". Die Wärme und somit auch der Luxus, den das Holz bringen wird, erinnert den Mann an etwas eben so Seltenes wie Kuchen. ,,Nicht, sag[]en die Augen der Frau [bei diesem Gedanken], nicht lachen. Er schläft." Beide sprechen nicht viel, sie verstehen sich fast ohne Worte und der Vater weiß, dass er leise sein soll. Damit die wörtliche Rede nicht zu sehr in den Vordergrund gerückt wird und auf ihr eine weniger starke Bedeutung liegt, wird sie nicht in An- und Ausführungszeichen gesetzt. Das Kind wird dem Leser ganz langsam vorgestellt. Man kann anfangs nur eine Vermutung aufstellen, da es heißt ,,[e]r schläft". Durch einen Strahl des Feuers wird der Leser dann zu dem ,,winzige[n] runde[n] Gesicht [, das] erst eine Stunde alt [ist]" geführt. Borchert bezeichnet es nicht als Kind oder Baby, da diese Begriffe einen Neuanfang und gleichzeitig Hoffnung bedeuten würden. [E]s hat[] aber schon alles, was dazugehört: Ohren, Nase, Mund und Augen." Es kann also überleben. Der Vater ist sehr stolz auf seinen Sohn, es ist seine Aufgabe Holz zu besorgen und er hat ,,eine Handvoll warmes Licht", was nicht viel ist, aber trotzdem Geborgenheit repräsentiert, bekommen. Dieser Schein beweist nun, dass sein Kind lebt. ,,[D]er Mund [ist] offen und es pustet[] leise daraus. Nase und Ohren [sind durch die Kälte] rot."
Als dem Vater die verzweifelte Situation, in der sich seine Familie befindet, wieder klar wird, er bemerkt, dass seine Frau frieren muss und dass sie ,,noch Haferflocken", also einen kleinen Rest haben, ,,hat [ ] er keinen, dem er dafür die Fäuste ins Gesicht schlagen k[ann]." Er ist verärgert, von sich selbst enttäuscht und muss diese Wut ständig mit sich herumtragen. Es gibt noch nicht einmal jemandem, dem er die Schuld zuweisen kann. Dieses Motiv, welches Verzweiflung darstellt, zieht Borchert neben dem ,,süße[n] [ ] Holz", der ,,Handvoll Licht" und dem ,,Gesicht" durch den ganzen Text hindurch, nur dass es, da es dem Leser schon bekannt ist, jedes Mal ein bisschen kürzer gefasst wird.
Die Besucher werden zuerst negativ, anonym und um Spannung aufzubauen als ,,welche" bezeichnet. Diese negative Beurteilung wird durch ihr Eintreten trotz der Erwähnung eines Kindes noch verstärkt. Erst als sie ,,ganz leise" sind und ,,die Füße hoch[heben] und schließlich ,,das Licht auf die [fällt]", ist dieses Urteil aufgehoben. ,,Drei waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer einen Sack, und der dritte hatte keine Hände." Borchert zählt die Behinderung ganz normal mit auf. Gerade da keine weitere Erklärung abgegeben wird, ist die Wirkung sehr emotional. Der Fremde, der wie die anderen offensichtlich Soldat gewesen ist, kann damit umgehen. ,,Erfroren, sagt[] er, und h[ä]lt die Stümpfe hoch." Alle drei haben ihr schweres Schicksal angenommen. Sie kommen im Gegensatz zu dem Vater mit ihrer Situation zurecht. Ohne zu überlegen oder zu zögern, bietet der Handlose seinen kostbaren Tabak an, er ,,dreht[] [ ] dem Mann die Manteltasche hin" und ,,die vier [gehen] vor die Tür und ihre Zigaretten [sind] vier Punkte in der Nacht." Da der Vater nicht extra genannt wird, erkannt man, dass er zu den Männern gehört und sie in ihrer Situation als Einheit zusammenhalten. Die drei kennen sich schon länger, da der Handlose seinen Tabak auch mit ihnen teilt und er auf ihre Hilfe angewiesen ist. Draußen werden die Zigaretten durch ihr Leuchten betont und der ungeheure Reichtum dieses Besitzes deutlich. Die anderen zwei haben ebenfalls teure Geschenke, die sie aus Dankbarkeit für das kurze Gefühl von Geborgenheit und Wärme abgeben. ,,Er [nimmt] ein Stück Holz aus seinem Sack. Ein Esel, sagt[] er". Hier wird das schon bekannte Holzmotiv, welches bisher immer für Wärme steht, wie bei einem Geschenk mit Freude erweitert. ,,Der Zitternde n[immt] aus seinem Pappkarton zwei [in diesen Zeiten ebenfalls wetvolle] gelbe Bonbons und sagt[] dazu: für die Frau sind die." Eine komplette Familie mit Vater, Mutter, Kind ist für sie etwas ganz Besonderes. Sie schenken jedem von ihnen, was er braucht und hoffen die Familie erhalten zu können.
Als sich die drei ,,Dunklen über das Kind []beug[en][, ] stemmt[] das Kind seine Beine gegen ihre Brust und schr[eit] so kräftig, dass die drei Dunklen die Füße aufh[e]ben und zur Tür schl[ei]chen." Es ist nun plötzlich munter und wird in das Geschehen der Handlung mit einbezogen. ,,Kuck mal, wie lebendig es ist, sagt[] sie stolz. Das Gesicht macht[] den Mund auf und schr[eit].[ ] [I]ch glaube, er lacht, antwortet[] die Frau." Das Baby hat keine Angst, es ist aufgewacht, als ob die drei es erst richtig zum Leben erweckt haben. Die Mutter ist überglücklich und meint, es lache. Die Eltern müssen jetzt auch nicht mehr flüstern, sondern können normal reden.
,,[An der Tür] nick[]en sie noch mal, dann st[ei]gen sie in die Nacht hinein." Bis sie uns mit ihren Behinderungen und den Geschenken genauer vorgestellt werden, bezeichnet Borchert sie erst als ,,welche" und dann als ,,drei". Im Zusammenhang mit dem Kind heißen sie, da nun das wenige Licht aus dem Ofen verloschen und die Frau ihnen gegenüber noch misstrauisch ist, ,,die drei Dunklen". Die Frau konnte nicht die Verbundenheit mit ihnen fühlen, als diese draußen rauchen und ist deshalb sehr scheu. Ihr ist der Besuch immer unangenehmer gewesen, als ihrem Mann. Nachdem sie nun als Fremde aus der Dunkelheit aufgetaucht, in dem Zimmer beleuchtet und schließlich von der Nacht wieder verschluckt worden sind, nennt der Mann sie ,,[s]onderbare Heilige". Sie sind geheimnisvoll und eigenartig gewesen, vermutlich wird die Familie sie nie wieder sehen.
,,Beinahe wie Kuchen, sagt[] der Mann und r[iecht] an dem Holz,wie Kuchen." Bei diesen Gedanken fällt der Frau ein, dass ,,[h]eute [ ] ja auch Weihnachten [ist]".Das Fest steht aber nicht im Vordergrund. Die Geburt ihres Kindes ist wichtiger, es ist nebenbei aber ,,auch Weihnachten". Das Holz riecht nun, da das Baby wirklich am Leben ist ,,[g]anz süß."
Die Handlung weist viele Parallelen zu der Geburt Jesu in der Bibel auf. Die ,,Dunklen" werden wie die drei heiligen drei Könige vom Licht in eine kleine Hütte geführt, in der eine arme Familie mit ihrem Neugeborenen ihre Geschenke entgegennimmt. Das Kind wird durch den Vergleich mit Jesus etwas ganz besonderes. ,,Die drei dunklen Könige" haben den Vater für eine kurze Zeit sein Elend vergessen lassen. Erst als sie gegangen sind, taucht seine Wut wieder auf, er kehrt zum Alltag zurück und ,,s[ieht] nach den Haferflocken. Aber er hat[] kein Gesicht für seine Fäuste." Es ist ein ganz besonderer Moment für alle gewesen. Die Fremden haben als namenslose, ,,dunkle Könige" und Helden der Handlung ihre Verletzungen für einen Moment bedeutungslos werden lassen.
,,Ja, Weihnachten, brummt[] er und vom Ofen her f[ällt] eine Handvoll Licht hell auf das kleine schlafende Gesicht." Die Motive werden in diesem letzten Satz vereinigt und so eine selige, positive Stimmung erzeugt. Alles schläft, es ist heilige Nacht.
Durch die bildreiche Sprache gelingt es Borchert die schwierige Zeit damals zu beschreiben, ohne, dass er dabei direkt Wörter wie ,,Angst" oder ,,Trauer" verwendet und so Mitleid erweckt. Er zwingt den Leser sich intensiv mit dem Text zu beschäftigen, sich mit ihm auseinander zu setzen und ihn zu übersetzen.
- Citation du texte
- Anne Femmer (Auteur), 2000, Borchert, Wolfgang - Die drei dunklen Könige #, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98643