Die vorliegende wissenschaftliche Abschlussarbeit wurde mit dem Ziel verfasst, eine qualitative Forschung in Form einer Kundenbefragung zu Kompositversicherungen durchzuführen. Hierbei werden gewünschte Produkt- und Prozessinnovationen sowie Alltagserfahrungen adressiert. Dadurch werden Erkenntnisse geliefert, welche Innovationen Kunden sich in den entsprechenden Themengebieten, insbesondere im Kontext der Kompositversicherung, wirklich wünschen. Was sind die Pain Points der Kunden? Was funktioniert aus ihrer Sicht bislang überdurchschnittlich gut?
In der gesamten Versicherungsbranche werden seit Jahren Innovationen in diversen Bereichen vorangetrieben und damit versucht den zuvor oft verpassten Fortschritt wettzumachen. Dies hat mitunter zur Folge, dass oftmals in vielen Abteilungen und Bereichen eines Konzerns gleichzeitig an Innovationen gearbeitet wird, die aus Unternehmenssicht zwar als sinnvoll und erstrebenswert angesehen werden können – doch wo findet der Kunde mit seinen Wünschen und Bedürfnissen bei all‘ diesen Anstrengungen seinen Platz? Es erscheint so, als würde die Kundensicht und besonders der Kundenwunsch zu selten in strategische Innovationsentscheidungen eingebunden.
Einige der Erkenntnisse erscheinen auch übertragbar auf andere Sparten der Assekuranz. Es wird deutlich, dass sowohl „alte Probleme“ der Branche vielen Kunden immer noch Kopfzerbrechen bereiten, aber auch die fehlenden digitalen Möglichkeiten hinsichtlich konsolidierter Übersichten etc. werden moniert. Die Arbeit enthält sowohl mikro- als auch makroökonomische Handlungsempfehlungen für die Assekuranz in der Praxis und fokussiert die Kundensicht durch ihre empirische Analyse. Aufgrund der Priorisierung der Kunden in der Analyse kann zudem festgestellt werden, welche Innovationen Kunden tendenziell favorisieren und als besonders sinnvoll bewerten würden.
Insgesamt blickt die Arbeit auch „über den Tellerrand“ hinaus und diskutiert die Ergebnisse zudem im makroökonomischen Umfeld der Assekuranz. Auch Themen rund um die Digitalisierung, den Datenmonopolismus und Plattform-Ökosysteme werden in dieser Arbeit diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit
2. Aktuelle Herausforderungen in der Versicherungsbranche
3. Theoretische Grundlagen und Forschungsverlauf
3.1 Theoretische Aufarbeitung des Themas
3.2 Verlauf der Forschung
4. Empirische Forschung zum Innovationspotenzial aus Kundensicht
4.1 Art und Strukturierungsgrad der Forschungsmethode
4.2 Entwurf des Fragebogens
4.3 Durchführungsbeschreibung der Forschung
5. Vorstellung und Diskussion der Forschungsergebnisse
5.1 Präsentation der Forschungsergebnisse
5.2 Diskussion der Ergebnisse im Kontext des aktuellen Forschungsstandes
5.3 Praktische Handlungsempfehlungen
6. Fazit und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Umfrage zum Online-Abschluss einer Versicherung
Abbildung 2: Global Consumer Survey 2020
Abbildung 3: Ich-Alles-Überall-Sofort-Erwartung aus Kundensicht
Abbildung 4: Ergebnisse F4 – Inhaltlich optimale Versicherung
Abbildung 5: Ergebnisse F5 – Bewertung von Zusatzservices
Abbildung 6: Ergebnisse F6 – Akzeptanz höherer Beiträge oder längerer Laufzeiten
Abbildung 7: Ergebnisse F7 – Idealer Vertragsabschlussprozess
Abbildung 8: Ergebnisse F8 – Gewünschte Verwaltungsform
Abbildung 9: Ergebnisse F9 – Idealer Schadenabwicklungsprozess
Abbildung 10: Ergebnisse F10 – Merkmale positiver Erfahrungen
Abbildung 11: Ergebnisse F11 – Pain Points im alltäglichen Umgang
Abbildung 12: Ergebnisse F12 – Primär gewünschte Innovationen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zusammensetzung des Samples
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
Aufl. Auflage
AVB Allgemeine Versicherungsbedingungen
B2B Business-to-Business
B2C Business-to-Consumer
CEM Customer Experience Management
CEO Chief Executive Officer
d.h. das heißt
et al. et alii (und andere)
F Frage
f. folgende
ff. fort folgende
ggf. gegebenenfalls
Hrsg. Herausgeber
IDD Insurance Distribution Directive
IoT Internet of Things
IPA Intelligent Process Automation
Jg. Jahrgang
KI Künstliche Intelligenz
o. D. ohne Datum
o. J. ohne Jahr
o. O. ohne Ort
o. S. ohne Seite
RPA Robotic Process Automation
s. siehe
S. Seite
sog. sogenannt/-e/-r/-s
u. a. und andere
VersVermV Versicherungsvermittlerverordnung
Vgl. / vgl. vergleiche
VU Versicherungsunternehmen
Abstract
In der gesamten Versicherungsbrache werden seit Jahren Innovationen in diversen Bereichen vorangetrieben und damit versucht den zuvor oft verpassten Fortschritt wettzumachen. Dies hat mitunter zur Folge, dass oftmals in vielen Abteilungen und Bereichen eines Konzerns gleichzeitig an Innovationen gearbeitet wird, die aus Unternehmenssicht zwar als sinnvoll und erstrebenswert angesehen werden – doch wo findet der Kunde mit seinen Wünschen und Bedürfnissen bei all‘ diesen Anstrengungen seinen Platz? Es erscheint so, als würde die Kundensicht und besonders der Kundenwunsch zu selten in strategische Innovationsentscheidungen eingebunden.
Aus dieser Perspektive wurde die vorliegende wissenschaftliche Abschlussarbeit mit dem Ziel verfasst, eine qualitative Forschung in Form einer Kundenbefragung dazu durchzuführen. Hierbei werden gewünschte Produkt- und Prozessinnovationen sowie Alltagserfahrungen adressiert. Dadurch werden Erkenntnisse geliefert, welche Innovationen Kunden sich in den entsprechenden Themengebieten, insbesondere im Kontext der Kompositversicherung, wirklich wünschen. Was sind die Pain Points der Kunden? Was funktioniert aus ihrer Sicht bislang überdurchschnittlich gut?
Einige der Erkenntnisse erscheinen auch übertragbar auf andere Sparten der Assekuranz. Es wird deutlich, dass sowohl „alte Probleme“ der Assekuranz vielen Kunden immer noch Kopfzerbrechen bereiten, aber auch die fehlenden digitalen Möglichkeiten hinsichtlich konsolidierter Übersichten etc. werden moniert. Die Arbeit enthält sowohl mikro- als auch makroökonomische Handlungsempfehlungen für die Assekuranz in der Praxis und fokussiert die Kundensicht durch ihre empirische Analyse. Aufgrund der Priorisierung der Kunden in der Analyse kann festgestellt werden, welche Innovationen Kunden tendenziell favorisieren und als besonders sinnvoll bewerten würden.
Insgesamt blickt die Arbeit aber auch „über den Tellerrand“ hinaus und diskutiert die Ergebnisse auch im makroökonomischen Umfeld der Assekuranz. Auch Themen rund um die Digitalisierung, den Datenmonopolismus und Plattform-Ökosysteme werden in dieser Arbeit diskutiert.
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Der hinlänglich diskutierte technologische Wandel befindet sich gesamtwirtschaftlich bereits seit Jahren im Gange. Die Branche der traditionellen Versicherungsgesellschaften gilt unterdessen als nicht sonderlich innovationsfreudig.1 Dies hat in den vergangenen Jahren diverse Start-Ups und Scale-Ups auf den Markt gerufen, welche das nicht ausgeschöpfte Innovationspotenzial für sich nutzen wollen. Die traditionellen Gesellschaften sehen sich daher in einem Spannungsfeld zwischen neuen Wettbewerbern mit oftmals agilen Strukturen, und wiederum eigenen und historisch gewachsenen Konzern-Hierarchien mit klassischen Prozessorganisationen. Schnell auf neue Situationen zu reagieren, fällt traditionellen Versicherungskonzernen daher nicht leicht. Die Entscheidung zur Umsetzung von Innovationen wird innerhalb dieser Strukturen oftmals aus der Nutzensicht der Gesellschaften getroffen.2 Damit werden insbesondere Effizienzsteigerungen, Kostensenkungen und teilweise auch die Kundenzufriedenheit adressiert. Versicherungen streben diese Ziele beispielsweise mit Hilfe künstlicher Intelligenz oder Chatbots an.3
Das Risikogeschäft stellt unverändert den Kern der Geschäftstätigkeit im Komposit-Versicherungsmarkt dar.4 Der (End-) Kunde5 sollte daher den Mittelpunkt aller Entscheidungen und Ausrichtungen darstellen. Dies gilt sowohl für InsurTechs als auch für klassische Versicherer.6 Innovationen sollten stets an den Kundenbedürfnissen ausgerichtet werden.7 Die traditionellen Konzerne stehen vor der Herausforderung, dabei ähnlich agil wie die jungen Unternehmen am Markt zu agieren. In diesem Zusammenhang gilt es historische Vorgehensweisen und Strukturen aufzubrechen, sowie neue Wege in der Kommunikation und im Service zu gehen. Globale Player, wie Apple, Amazon, Airbnb und Co. haben verstanden, die Kundenorientierung in den vergangenen Jahren zu perfektionieren. Sie sind in dieser Hinsicht das Maß der Dinge.8 Daran müssen sich sowohl klassische Versicherungsunternehmen als auch Start-Ups der Branche messen lassen, um langfristig konkurrenzfähig bleiben zu können. Das gilt auch und insbesondere in der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie.9
1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Kundenorientierung und Innovationen im Komposit-Versicherungssektor weiter voranzutreiben. Die Innovationen werden üblicherweise im klassischen „Top-Down“-Ansatz entwickelt. Das Management gibt dafür entsprechende Strategien vor. Viele Studien befassen sich dafür mit der ökonomischen Betrachtung aus Unternehmenssicht. Hierfür werden beispielsweise Manager und leitende Angestellte der Branche befragt.10 Die Kundensicht wird offenbar häufig aus quantitativen Daten hergeleitet und als zusätzliche Messgröße gegen die Effekte der Maßnahmen gelegt. Durch die vorliegende Arbeit wird die Kundensicht auf diverse Produkt- und Prozessfragen zum Thema herausgearbeitet. Damit können Innovationen im „Bottom-Up“-Stil – d.h. vom Kundenwunsch zur Lösung – entwickelt werden. Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit kann wie folgt zusammengefasst werden: Welche Innovationen und Veränderungen wünschen sich Kunden im Umgang mit ihren Komposit-Versicherungen? Die Fragestellung wird auf die Komposit-Versicherung begrenzt, da Kunden hiermit vermeintlich regelmäßigeren Umgang haben im Vergleich zu Lebensversicherungen.11
Zur Forschungsfrage wird eine Primärerhebung durchgeführt, welche damit verbundene Erkenntnisse direkt aus Kundensicht liefert. Aus den Ergebnissen werden im Verlauf der Arbeit dann konkrete Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet. Der Primärerhebung vorausgehend werden zunächst in Kapitel 2 die aktuellen Herausforderungen der Branche diskutiert. Dabei wird auch der aktuelle Forschungsstand herausgearbeitet und folglich die Problemstellung ausführlich diskutiert. Kapitel 3 liefert die relevanten theoretischen Grundlagen für die vorliegende Arbeit. Außerdem wird in Kapitel 3 der weitere Verlauf der Arbeit und der Forschung präzisiert.
2. Aktuelle Herausforderungen in der Versicherungsbranche
Im Zuge der oft diskutierten Disruption in der Branche werden diverse Prozesse analysiert und versucht, diese „smarter“ zu gestalten. Treiber dafür sind insbesondere InsurTechs, welche mit ihren agilen (Entwicklungs-) Prozessen und digitalem Knowhow die Konkurrenzfähigkeit bestehender Geschäftsprozesse gefährden. Ein generelles Ziel der Transformation liegt in der Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Auch die Kreation einer Customer Experience spielt eine wesentliche Rolle. Kunden erwarten heute einen nahezu grenzenlosen Service und Flexibilität im Dienstleistungssektor. Eine ganzjährige Erreichbarkeit, digitale Informationsangebote und einfache Kommunikationswege ohne lange Warteschleifen sind gefragt. Gleichzeitig darf eine Dienstleistung auch heute dennoch nicht gänzlich die persönliche Note verlieren.12 Auch Versicherungsgesellschaften sehen sich selbst nicht mehr als reine „Absicherungsunternehmen“. Die Dienstleistung reicht heute über den finanziellen Ausgleich eines Schadens hinaus. Versicherungen haben den Auftrag, ihren Kunden bei der Lösung komplexer Probleme zu helfen – und das ist nicht mit einer einfachen Zahlung erledigt. Dies erklärt auch das Vorstandsmitglied der Zurich Versicherung, Horst Nussbaumer in einem Interview.13
Im Jahr 2013 führte die Unternehmensberatung Bain & Company eine Studie durch, in der rund 2.500 Versicherungskunden befragt wurden. Damals wurde festgestellt, dass der Kunde zunehmend ins Zentrum rückt und jede Digitalisierungsstrategie auf einer entsprechenden Kundenstrategie basieren muss. Im Rahmen dieser Studie gaben beispielsweise rund 60 % der Kunden an, dass sie die webbasierten Kommunikationskanäle zukünftig bei Interaktionen mit Versicherungsunternehmen als am wichtigsten ansehen.14 Dies verdeutlicht, wie wichtig die digitale Weiterentwicklung generell bereits seit Jahren aus Kundensicht erscheint, da die Kommunikation mit den Versicherungsgesellschaften einen zentralen Bestandteil des Geschäftsmodells darstellt.
Die traditionelle Versicherungsbranche gerät unterdessen in den letzten Jahren nicht nur durch die veränderten Kundenerwartungen unter Druck. Globale Player wie Amazon, Google oder Apple (sog. „BigTechs“) bringen ebenfalls Veränderungsdruck in den Markt. Auch vermeintlich kleine und junge Unternehmen wollen die Kraft der Digitalisierung nutzen, um bestehende Märkte zu innovieren. Hierbei ist die Rede von sog. „InsurTechs“.15 Bei dem Begriff handelt es sich um einen Neologismus aus den Begriffen „Insurance“ (übersetzt: Versicherung) und „Technology“ (Technologie). InsurTechs sind zumeist hyper-agile Unternehmen, die sich auf einen bestimmten Prozess oder eine bestimmte Dienstleistung spezialisiert haben. Hervorzuheben im Rahmen der InsurTechs sind noch die sog. „Neocarrier“. Hierbei handelt es sich um zumeist junge Unternehmen, die selbst als Assekuradeure auf dem Markt vertreten sind und somit das versicherte Risiko entweder selbst tragen, oder über einen Rückversicherer abwickeln.16
Insbesondere InsurTechs haben zumeist den Vorteil vollautomatisierter bzw. volldigitaler Prozesse, die besonders effizient und kundenfreundlich gestaltet sind. Etwaige anfängliche Angriffe von InsurTechs auf traditionelle Versicherungsunternehmen sind heute überwiegend einem Kooperationsgedanken gewichen. Die Versicherungswirtschaft ist ein hochkomplexes Business, welches nicht ohne weiteres adaptierbar ist. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch bei den InsurTechs gereift.17 Aus Kooperationen können innovative Symbiosen entstehen, die am Ende den beiderseits größten Nutzen hervorbringen. Davon profitieren schlussendlich nicht nur die beteiligten Unternehmen, sondern auch die Kunden.
Die fortschreitende Digitalisierung schöpft in ihrer Anwendung unterdessen große Datenmengen. Schon 2017 kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass sich die Datenmengen weltweit im Vergleich zu 2016 bis 2025 verzehnfachen werden. Allerdings wird der Großteil der Daten dann nicht mehr von Privatnutzern, sondern von Unternehmen generiert.18 Dass Unternehmen wie Facebook, Google und Co. ihre Dienste für die Nutzer weitgehend gratis anbieten können, basiert auf ihrem Geschäftsmodell mit Daten und Werbung. Die globalen Player sammeln gigantische Datenmengen, die effizient ausgewertet und miteinander in Beziehung gebracht werden. Auch darum spielen Daten heute eine stets zunehmende Rolle.
In der Versicherungsindustrie ist der Einfluss von Big Data schon heute messbar. In der Vergangenheit war zu beobachten, wie herkömmliche Modelle sukzessive anpassungsfähiger wurden, indem Maßnahmen für die stetig steigenden Datenflüsse getroffen wurden. Insbesondere die großen Datenmengen aus den Bereichen Telematik, Wearable Computing und dem Internet der Dinge (IoT) beeinflussen die Versicherungswelt schon heute.19 Versicherungsunternehmen können dort erhobene Daten nutzen, um beispielsweise personalisierte Werbung zu schalten oder auch Modelle der Aktuare besser zu adaptieren. Um digitale Versicherungslösungen kreieren und bereitstellen zu können, müssen die etablierten Unternehmen zunächst überhaupt die internen Fähigkeiten dafür auf- und ausbauen. Dazu sind entsprechende Mitarbeiter nötig, welche die generische (IT-) Infrastruktur entsprechend gestalten. Eine zeitgemäße IT-Infrastruktur ist heute insbesondere durch offene Schnittstellen gekennzeichnet. Daten müssen interdisziplinär verwendbar werden, um systemübergreifend den größten Wert liefern zu können. Dafür sind datengetriebene Modelle nötig, die sich mithilfe neuer Daten stetig verbessern lassen und diese sinnvoll auswerten. An dieser Stelle wird neben analytischem Know-how auch organisatorische Anpassungsfähigkeit benötigt.20
Dass insbesondere die Generationen Y und Z – die sog. „Digital Natives“ – besondere Anforderungen an Versicherungsgesellschaften und Dienstleister aller Art stellen, beobachtet auch der Vorstandsvorsitzende der Nürnberger Versicherung, Dr. Armin Zitzmann. Er macht klar, dass die (deutschen) Versicherungskonzerne auch eine sozial-politische Verantwortung, insbesondere der jungen Generation gegenüber, haben. Eine reine Digitalisierung bereits bestehender Angebote ist nicht ausreichend, um die Kunden von Morgen als Versicherungskunden zu gewinnen. Dr. Zitzmann stellt fest, dass es gilt, die Generation der Digital Natives überhaupt verstehen zu lernen, um ihnen eine wirklich passgenaue Dienstleistung anbieten zu können.21 Dieses Verständnis kann auch durch datengetriebene Modelle entstehen. Amazon kennt diese Generation mittlerweile vermutlich besser, als sie sich selbst – weil sie sämtliche ihrer Daten auswerten und sinnvoll miteinander verknüpfen. Die Assekuranz steht vor der Herausforderung, ihre Bestandskunden und die Kunden von Morgen gleichermaßen zu verstehen. Dies kann als iterativer Prozess verstanden werden. Nur so gelingt es, das Geschäftsmodell stetig an die sich verändernden Anforderungen der Kunden anzupassen.
Die Vermutung liegt nahe, dass insbesondere junge Zielgruppen eine große Onlineaffinität besitzen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt, dass sich insgesamt 69 % der Befragten vorstellen können, eine Versicherung komplett online abzuschließen.22 Von diesen 69 % der Befragten haben jedoch nicht die 18 – 34-Jährigen, sondern die Probanden ab 55 Jahren am häufigsten auch tatsächlich schon einmal eine Police komplett online abgeschlossen (vgl. Abb. 1). Dies impliziert, dass Kunden insgesamt eine grundsätzlich hohe Onlineaffinität besitzen, auch über die Generation Y und Z hinaus. Daher bedarf es über alle Generationen auch stetig intensiver Innovationen und Verbesserungen.
Abbildung 1: Umfrage zum Online-Abschluss einer Versicherung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Adcubum, Digitale Versicherung, 2019, S. 12.
In der Verwaltungsfrage gaben 2020 rund 33 % der Teilnehmer an, dass sie sich schon heute vorstellen könnten, ihre gesamten Versicherungen ausschließlich online zu verwalten (vgl. Abb. 2). Wird hier die technologische Entwicklung in die Betrachtung mit einbezogen, so kann davon ausgegangen werden, dass die Bereitschaft in den kommenden Jahren stets steigen wird.
Abbildung 2: Global Consumer Survey 2020
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statista, Statista Global Consumer Survey, 2020, o. S.
Dass jedoch bisher nur rund 7 % der Befragten auch dazu bereit wären, alle ihre Versicherungen von Konzernen wie Apple oder Google zu beziehen, gibt der Assekuranz bisher (noch) ein relatives Sicherheitsgefühl. Somit geben die Technologieriesen bislang „nur“ die Standards hinsichtlich der Kundenorientierung und Benutzerfreundlichkeit vor. Daran hat sich die Assekuranz in der Neuausrichtung ihrer Dienstleitungen zu orientieren. Jedoch ist auch hier Vorsicht geboten aus Sicht der Assekuranz: Zwar gaben in dieser Befragung (Abb. 2) die Probanden überwiegend an, nicht alle Versicherungen von BigTechs beziehen zu wollen – doch eine weitere Studie, welche während der Corona-Pandemie durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass im April 2020 bereits 44 % grundsätzlich dazu bereit wären, eine Versicherung bei einem BigTech abzuschließen. Im Januar 2020 lag dieser Wert noch bei 36 %.23 Bei einer relativen Steigerung von 22 % innerhalb weniger Monate kann festgehalten werden, dass die Pandemie einen signifikanten Einfluss auf die Konsumenten zu haben scheint. Eine grundsätzlich positive Haltung liegt immerhin bei über einem Drittel der Gesellschaft vor. Amazon und Co. konnten sich in den Monaten der Corona-Pandemie als zuverlässiger Versorger und Partner positionieren. Das Vertrauen in die BigTechs wächst infolgedessen weiter. Außerdem können sie diese Vorteile mit ihrem Datenmonopol, ihrer Finanzkraft und ihrer Nähe zur Gesellschaft perfekt kombinieren. Somit erscheint die latente Gefahr von Markteintritten der BigTechs realer, als die Umfrageergebnisse aus Abb. 2 im ersten Moment vermuten lassen.
Innovationen auf verschiedenen Ebenen können der Assekuranz helfen, ihre Marktposition auch für die Zukunft zu sichern. Produktinnovationen, wie beispielsweise Telematik-Tarife, werden von den Kunden bislang nicht in der Breite nachgefragt. In diesen Tarifen sammeln Versicherer automatisch Daten über das Fahrverhalten des Versicherungsnehmers und ermitteln anhand dessen einen individuellen Score. Damit wird dann entschieden, ob der Kunde aufgrund besonders umsichtiger Fahrweise einen Rabatt auf seine Prämie erhält. Die Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft der Kunden, Daten automatisiert an den Versicherer zu übertragen.
Auf Seiten der Versicherer nimmt das Interesse am Angebot von Telematik-Tarifen allerdings zu. Von besonderem Interesse sind die dabei generierten Daten. Hierzu hat sich mittlerweile sogar das Bundeskartellamt eingeschaltet, da die Frage der Datenhoheit noch nicht geklärt ist. Wer darf über die Daten verfügen – die Versicherer, nur eine Art Treuhänder, oder auch andere Steakholder, wie die Autobauer? Diese Fragen gilt es in der Zukunft generalistisch zu klären, um auch dem strengen Datenschutzgedanken der deutschen Gesellschaft gerecht zu werden.24 Diese Frage muss branchenübergreifend geklärt werden. Die BigTechs isolieren ihre Daten bislang erfolgreich gegenüber Dritten (Stichwort: Informationsasymmetrie). Dabei werden Daten wertvoller, je öfter sie genutzt werden.25 Eine Zurverfügungstellung der Daten für andere Unternehmen und Wirtschaftszweige ist bislang insbesondere aus Sicht der BigTechs, aber wohl auch aus Sicht der Datenschützer und Politik, undenkbar. Dieser (Daten-) Schutzgedanke läuft den Innovationsgedanken jedoch regelmäßig zuwider. Datenschutz wird bei den amerikanischen Tech-Riesen nach europäischem Verständnis oftmals nicht sonderlich streng gehandhabt. Dieses Verhalten führt hierzulande häufig zu öffentlichen Diskussionen. Da jedoch bereits eine relative Abhängigkeit in der Gesellschaft von diesen Diensten besteht, wird der vernachlässigte Datenschutz regelmäßig von den Konsumenten in Kauf genommen. Willigen Nutzer nicht in die Datennutzung ein, können sie Dienste wie Google oder Facebook schlicht nicht mehr nutzen.
Deutsche und europäische Datenschutzrichtlinien können Innovationen und Entwicklungen für ansässige Unternehmen mitunter erschweren oder sogar gänzlich blockieren. Die erhobenen Daten aus den Telematik-Tarifen sind hierfür ein gutes Beispiel. Der Datenwert wäre für Versicherungsgesellschaften umso größer, wenn sie diese untereinander austauschen oder an andere Steakholder anonymisiert verkaufen könnten. Sofern dies rechtlich unterbunden wird, können die Daten und Datenmodelle nicht ansatzweise mit denen von Google und Co. konkurrieren.
Die breit angelegte Umfrage mit Probanden im Alter von 18 – 64 Jahren hat außerdem ergeben, dass sich nur 47 % der Befragten über ihre persönlichen Versicherungen gut informiert fühlen (vgl. Abb. 2). Demnach ist dies bei über der Hälfte der Probanden nicht gegeben. Dieser Zustand kann kaum im Interesse der Assekuranz sein. Im Widerspruch dazu steht die Zustimmung der Probanden zu den Aussagen „Ich mache mir Sorgen, dass ich vielleicht nicht die richtigen Versicherungen habe“ und „Es könnte für mich Vorteile haben, wenn ich mich von einem Versicherungsexperten beraten ließe (…)“. Daraus kann geschlossen werden, dass das Interesse der Kunden begrenzt ist, sich mit den Themen der Versicherung aktiv zu beschäftigen. Über 50 % fühlen sich vermeintlich nicht gut informiert, Sorgen wegen eines etwa falschen Produktes machen sich dennoch gerade einmal 12 % und nur 22 % glauben einen Vorteil aus einer Beratung ziehen zu können. Diese Angaben können insofern interpretiert werden, dass für viele Menschen Versicherungen mitunter zur lästigen Pflicht zählen und sich eher geringer Beliebtheit erfreuen.
Immerhin rund 94 % der weltweiten und 88 % der deutschen Versicherungskonzerne halten die Erzeugung eines hervorragenden Kundenerlebnisses – insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie – mittlerweile für die zentrale Herausforderung.26 (Noch) hat die Assekuranz einen vermeintlichen Vertrauensvorteil gegenüber InsurTechs und BigTechs, auch durch ihre Markenstärke. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Kunden müssen daher insgesamt noch besser verstanden und die Innovationen an ihren Bedürfnissen ausgerichtet werden. Das Ziel muss darin bestehen, jedem Kunden seine individuell gewünschte Customer Journey und eine außergewöhnliche Experience ermöglichen zu können. Hier setzen auch diverse InsurTechs mit ihren Geschäftsmodellen an, da das Potenzial als keineswegs ausgeschöpft anzusehen ist.
Die InsurTechs werden stetig mehr und mit immer mehr Finanzierungskapital ausgestattet. Auch traditionelle Versicherungsunternehmen investieren mittlerweile in einzelne InsurTechs. Die weiter voranschreitende Disruption der Branche beschreibt Daniel Schreiber, CEO vom größten US-InsurTech „Lemonade“, wie folgt: „Die nächsten führenden Firmen in der Versicherungsbranche werden Bots nutzen, nicht Makler”.27 Es ist fraglich, ob es der Assekuranz gelingt, ihre klassischen Modelle und Prozesse im dafür nötigen Tempo aufzubrechen. Die Transformation ist im vollen Gange – es ist wettbewerbsentscheidend für die Assekuranz, sich dem damit einhergehenden Tempo bewusst zu sein. Infolge des gegenwärtigen Veränderungsdrucks kann es künftig auch auf dem deutschen Versicherungsmarkt mittel- und langfristig zu Konsolidierungen kommen. Für die langfristige Konkurrenzfähigkeit können diese marktwirtschaftlichen Vorgänge jedoch als grundsätzlich zuträglich angesehen werden.
3. Theoretische Grundlagen und Forschungsverlauf
In diesem Kapitel werden unter 3.1 zunächst relevante theoretische Grundlagen für die vorliegende Arbeit erläutert. Hierbei werden verschiedene Begrifflichkeiten und deren Ursprung erklärt. Diese dienen dem tieferen Verständnis und der korrekten Einordnung des Fortgangs dieser Arbeit. Des Weiteren wird unter 3.2 dann der nachfolgende Forschungsverlauf konkretisiert und beschrieben.
3.1 Theoretische Aufarbeitung des Themas
Zunächst sei das Grundmodell der Versicherung zu erläutern. Das klassische Geschäftsmodell von Versicherungen fußt auf einem Risikotransfer. Der Versicherungsnehmer überträgt gegen Zahlung einer Versicherungsprämie ein bestimmtes Risiko auf ein Versicherungsunternehmen. Es ist festzuhalten, dass das Versicherungsunternehmen regelmäßig insbesondere die finanziellen Folgen des Versicherungsnehmers im Schadenfall trägt. Das generische Risiko, dass beispielsweise das Haus eines Versicherungsnehmers abbrennt, trägt der Versicherungsnehmer selbst. Lediglich die Finanzierung des Wiederaufbaus wird durch das Versicherungsunternehmen gesichert. Daher wird auch regelmäßig von versicherten Gefahren gesprochen. Dieses System funktioniert auf Basis einer Versichertengemeinschaft. Versicherer fassen viele Versicherungsnehmer in homogene Interessengruppen zusammen und können durch die Vereinnahmung der Prämien bei Eintritt einer versicherten Gefahr bei einem Versicherungsnehmer – hier beispielsweise das Abbrennen eines Hauses – die finanziellen Folgen tragen und als Versicherungsleistung an den Geschädigten auszahlen.28
Innerhalb von Versicherungskonzernen gibt es unzählige interne und externe Prozesse, die sich über Jahre etabliert haben, um das Geschäftsmodell voranzutreiben. Als Prozess im Allgemeinen, ist eine zielgerichtete Aneinanderreihung bzw. Abfolge von mindestens zwei Aktivitäten zu verstehen. Dies geschieht mit der Maßgabe, ein definiertes Ziel oder Ergebnis zu erreichen. Es dabei ist unerheblich, ob die Aktivitäten von Menschen oder Maschinen durchgeführt werden. Einzelne Aktivitäten können in diesem Kontext als Prozessbestandteil angesehen werden.29
Die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt einer bestimmten Gefahr ist ein elementarer Prozess in der Assekuranz. Hierfür werden insbesondere zuverlässige Daten benötigt. Daher wurden bereits deutlich vor der Erfindung des Computers schon Daten – auch zu Versicherungszwecken – verarbeitet. So wurden beispielweise im Jahr 1710 von einem britischen Feuerversicherer detaillierte Daten über weltweite Stadtbrände gesammelt.30 Damit konnten entsprechende Wahrscheinlichkeiten berechnet werden. Versicherer aus Deutschland setzten frühzeitig auf technische Unterstützung im Rahmen von Prozessen. Der erste maschinell geschriebene Brief geht ins Jahr 1895 und auf die Historie der 1890 gegründeten „Allianz“ zurück.31 Prozesse wurden seither stetig weiterentwickelt und automatisiert. Als aktuelle Transformation im Prozessumfeld der Versicherung gilt die Intelligent Process Automation (IPA), sowie die Robotic Process Automation (RPA). RPA hat den besonderen Vorteil, auch auf bestehende Alt-Systeme (sog. Legacy Systeme) aufgesetzt werden zu können. Dadurch entsteht bei der Verwendung kein Integrationsaufwand. Dies schafft für die gesamte Assekuranz übergreifend großes Potenzial, da auch die eigene Agilität damit kurzfristig gesteigert werden kann.
Die Automatisierungen haben auch direkte Auswirkungen auf Kunden. Durch die Anwendung von IPA und RPA werden beispielsweise Chatbots als virtuelle Assistenten programmiert, welche auch in der Endkundenkommunikation zum Einsatz kommen. Somit entsteht ein neues Interaktionserlebnis von Kunden.32 Interaktionserlebnisse werden heute mit „Customer Experience“ überschrieben und sind bereits seit Jahrzehnten Bestandteil der Forschung.
Der Ursprung der Customer Experience geht zurück ins Jahr 1982. Hier heben die Autoren Morris Holbrook und Elizabeth Hirschman in ihrem Beitrag hervor, dass auch Emotionen im Rahmen von Konsum relevant sind. Schon einige Jahre zuvor begannen einzelne Forscher am Prozess der rein rationalen Entscheidungsfindung zu zweifeln.33 Kunden werden nicht mehr ausschließlich als rationale Entscheidungsträger angesehen. Die "erlebnisorientierte Perspektive" gewinnt stets an Bedeutung. Diese Perspektive geht nicht allein vom rationalen Nutzen aus, sondern bezieht auch symbolische und hedonistische Motive mit ein.
In diesem Zusammenhang wird auch vom sog. "Erlebnisphänomen" gesprochen. Dieses prägte sich in den 1980er Jahren im Rahmen des Wertewandels weiter aus. Durch die steigende Relevanz von Selbstverwirklichung, und dem Abwerten der klassischen Werte, wurden Begriffe wie "Experience Economy" oder "Erlebnisgesellschaft" geprägt.34 Seit 1982 beschäftigten sich diverse Forschungen mit Kundenerfahrungen. Dennoch ist der Begriff nicht eindeutig und interdisziplinär definiert.35 Als generalistische Teildefinition wird in der Empirie weitgehend anerkannt, dass Kundenerlebnisse auf der Interaktion mit dem jeweiligen Unternehmen basieren. Kundenerlebnisse implizieren einen subjektiven Charakter und basieren auf einer ganzheitlichen Betrachtung.36 Die persönliche Wahrnehmung und Reaktion auf einen direkten oder indirekten Kontakt mit einem Unternehmen gewinnen empirisch an Bedeutung im Rahmen der Customer Experience. Der direkte Kontakt entsteht regelmäßig durch einen Kauf, die Verwendung oder den Service rund um ein Produkt - während der indirekte Kontakt beispielsweise durch Werbung zustande kommt, welche der Konsument ungeplant wahrnimmt.37
Im Jahre 1998 wurde die Kreation von Kundenerlebnissen bereits als die nächste große Herausforderung für Unternehmen definiert – unabhängig davon, ob sie im B2C oder B2B-Business aktiv sind.38 Das Ziel besteht darin, für Kunden eine ganzheitliche Customer Experience zu kreieren – also im gesamten direkten und auch indirekten Kontakt. In diesem Kontext wird auch vom sog. „Customer Experience Management“ (CEM) gesprochen. Hier werden keine einzelnen Prozesse analysiert und verbessert, sondern ein holistisches Erlebnis angestrebt. Kunden sollen über alle Touchpoints mit dem Unternehmen eine individuell würdigende, wertschaffende und kohärente Erfahrung erleben. Durch das CEM wird dabei zunächst kein originärer und unmittelbar messbarer Wert geschaffen. Das CEM soll die Erreichung von Unternehmenszielen unterstützen, die Kundenbindung stärken und damit in letzter Konsequenz dabei helfen, den Customer Lifetime Value zu maximieren.39
Wie schon in Kapitel 2 festgehalten, sind die Anforderungen und Erwartungen der Kunden für Unternehmen stets herausfordernd. Kurz umschrieben lassen sich die heutigen Kundenerwartungen mit „Ich, alles, überall und sofort“ als Oberbegriffe zusammenfassen. Abbildung 3 konkretisiert die Inhalte der jeweiligen Oberbegriffe.
Abbildung 3: Ich-Alles-Überall-Sofort-Erwartung aus Kundensicht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: In Anlehnung an Kreutzer, R. T., Customer Experience Management, 2018, S. 101.
Die Treiber und Erfolgsfaktoren des CEM lassen sich schlussendlich in der sog. 7-R-Regel zusammenfassen:
1. „die richtige Information,
2. zum richtigen Zeitpunkt,
3. am richtigen Ort,
4. in der richtigen Menge,
5. in der richtigen Qualität,
6. zu den richtigen Kosten und
7. über den richtigen Kanal“
Dem Konsumenten muss angeboten werden. Somit wird gewährleistet, dass das Kundenerlebnis auch als relevant wahrgenommen wird.40 Kann die 7-R-Regel im Kontext der Kundenerwartungen aus Abb. 3 in allen Touchpoints erfüllt werden, lässt sich daraus die kundenindividuell beste Customer Experience kreieren.
Einzelne Kundenerlebnisse können – isoliert betrachtet – auch durch Innovationen geschaffen werden. Im Kontext der vorliegenden Arbeit kann es Versicherern damit gelingen die Erwartungen der Kunden zu übertreffen. Der Begriff „Innovation“ wird im heutigen Sprachgebrauch regelmäßig sehr breit interpretiert und verliert infolgedessen seine eindeutige Definition. Sprachgeschichtlich ist „Innovation“ auf das lateinische Wort „innovatio“ zurückzuführen. Dieses wird aus „novus“ (übersetzt: „neu“) abgeleitet. Innovatio kann im Deutschen mit Neuerung oder Neugestaltung übersetzt werden.41 Joseph Schumpeter trug mit seiner Arbeit „Theorie zur wirtschaftlichen Entwicklung“ aus dem Jahre 1911 wesentlich zur empirischen Begriffsdefinition bei.42 Weiter wird Innovation in der Literatur wie folgt definiert: „An innovation is an idea, practice, or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption. (…) If an idea seems new to the individual, it is an innovation.“43 Diese Definition erweist sich literaturübergreifend als weitgehend übereinstimmend. Eine Innovation beschreibt folglich eine Neuerung, welche subjektiv als solche wahrgenommen wird.
Diese Neuerungen sind nicht auf Produkte beschränkt, die sich durch eine haptische Wahrnehmbarkeit auszeichnen. Neuerungen können beispielsweise auch durch Prozesse, Vertragsformen, Werbeaussagen oder durch eine neue Corporate Identity realisiert werden.44 Innovationen von Unternehmen zielen in der ökonomischen Betrachtung regelmäßig auf eine Steigerung des eigenen wirtschaftlichen Erfolgs am Markt ab. Weiterhin können Innovationen auch in qualitativer Form unternehmensintern eingeführt werden und dort regelmäßig auf eine Effizienzsteigerung abzielen.45
Empirisch lässt sich die Innovation prägnant in folgender Formel ausdrücken: „Innovation = Erfindung + Nutzbarmachung“.46 Damit wird die Innovation explizit von der reinen Erfindung abgegrenzt. Innovationen resultieren aus neuartigen Zweck-Mittel-Kombinationen, die sich in der Wahrnehmung deutlich von einem Vergleichszustand unterscheiden. Weiterhin beinhalten Innovationen regelmäßig eine Marktverwertungsabsicht, womit die Nutzbarmachung als essenzieller Bestandteil von Innovationen identifiziert wird.47
In der Praxis wird gewöhnlich zwischen drei Innovationsarten differenziert:48
1. Prozessinnovation – gekennzeichnet durch originäre Faktorkombinationen, wodurch die Produktion eines Gutes entweder kosteneffizienter, schneller, oder zuverlässiger wird. Auch eine Kombination – d.h. beispielsweise schneller und günstiger – ist als Prozessinnovation anzusehen. Das Primärziel von Prozessinnovationen liegt demnach in der Effizienzsteigerung.49
2. Produktinnovation – verfolgen primär Effektivitätsziele, die durch Erneuerungen von marktfähigen Gütern und Dienstleistungen charakterisiert werden.50
3. Strukturinnovationen – dienen einer Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation und haben damit Einfluss auf die Organisationsstruktur eines Unternehmens.51
Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind insbesondere die Prozess- und Produktinnovationen aus Kundensicht von Interesse.
3.2 Verlauf der Forschung
Die Forschung wird als Hauptbestandteil der vorliegenden Arbeit in den Kapiteln 4 und 5 behandelt. Kapitel 4 dient insgesamt der Vorbereitung und Durchführung der Forschung. So wird in Kapitel 4.1 die Art und der Strukturierungsgrad der Forschung hergeleitet und erläutert. Damit erhalten Leser konkrete Hintergrundinformationen, um die Grundlagen der Forschung einordnen und bewerten zu können. In Kapitel 4.2 wird die Entwicklung des Fragebogens thematisiert und einzelne Fragen in ihrem Analysekontext erläutert. Kapitel 4.3 wird die Durchführung der Forschung beschreiben. Hierdurch wird sichergestellt, dass Leser einen transparenten Überblick über die Durchführung erhalten und in der Lage sind, einen Soll-Ist-Vergleich aus der Planung und den Zielen aus Kapitel 4.1 zu ziehen. Kapitel 4 legt folglich die Wissenschaftlichkeit der Methode und deren Durchführung dar.
In Kapitel 5 werden anschließend die Ergebnisse präsentiert (Kapitel 5.1) und im Kontext zum aktuellen Forschungsstand diskutiert (Kapitel 5.2). Hiervon werden dann Handlungsempfehlungen für die Praxis abgeleitet. Leser erhalten somit als Quintessenz praxisrelevante Empfehlungen, die sich ausschließlich aus Kundensicht und Kundenerfahrungen begründen. Damit wird dem Ziel der Arbeit – Innovationen und Änderungen im „Bottom-Up-Stil“ hervorzubringen – Rechnung getragen.
4. Empirische Forschung zum Innovationspotenzial aus Kundensicht
4.1 Art und Strukturierungsgrad der Forschungsmethode
Um über die Art und den Strukturierungsgrad der Forschungsmethode objektiv entscheiden zu können, seien zunächst grundsätzliche Arten der Forschung erläutert. Klassischerweise wird in der Forschung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung unterschieden. „Qualitativ“ und „quantitativ“ beschreiben zunächst lediglich ihre jeweilige Datenform – nicht aber eine Methode.52 Qualitative Daten fußen auf sinnlich wahrnehmbaren Seiten der Wirklichkeit, d.h. auf Erfahrungen und Wahrnehmungen aus der Alltagswelt. Die qualitativen Daten entstehen, indem einzelne Wahrnehmungen aus den Alltagsinformationen entnommen bzw. abstrahiert werden.53
Die qualitative Forschung hat in diesem Kontext das Ziel, den Sinn der Dinge und deren inneres Wesen zu erfassen und zu verstehen. In der Literatur wird die qualitative Forschung unter anderem wie folgt beschrieben: „(…) qualitative research involves an interpretative naturalistic approach to the world. This means that qualitative researchers study things in their natural settings, attempting to make sense of, or interpret, phenomena in terms of the meanings people bring to them.“54 Durch die qualitative Forschung werden keine sog. „All-Aussagen“ getroffen. Vielmehr dient sie beispielsweise dem Verständnis von quantitativen Forschungsergebnissen oder der Hypothesensuche für quantitative Validierungen. In diesem Zusammenhang wird auch von „theoretical sampling“, also einer gezielten Stichprobenauswahl gesprochen. Die Größe der Stichprobe (Sample) fällt deutlich keiner aus, als in der quantitativen Forschung. Die qualitative Forschung kommt regelmäßig im Rahmen der Sozialforschung zum Einsatz.
Quantitative Daten entstehen, indem Mengen und Häufigkeiten aus den Alltagsinformationen entnommen werden. „Die Welt“ mit ihren Zuständen wird in diesem Kontext zweckmäßig auf Zahlen reduziert. Durch die mit Zahlen verbundene Ordnung können große Mengen an Daten ausgewertet werden. Hierüber können dann statistische „All-Aussagen“ getroffen werden, die empirisch als repräsentativ gelten.55 Dies wird mit Hilfe großer, repräsentativer Stichproben („statistical sampling“) erreicht.
Die Arbeit hat das Ziel, wie in Kapitel 1.2 beschrieben, von Kunden gewünschte Innovationen im Zusammenhang mit der Komposit-Versicherung zu erarbeiten. Um individuelle Wahrnehmungen und Meinungen von Kunden erheben zu können, erscheint im Kontext der vorliegenden Arbeit die qualitative Forschung als zielführend. Daher wird im weiteren Verlauf auch ausschließlich darauf Bezug genommen.
Aus den üblichen qualitativen Methoden bieten sich insbesondere zwei an, welche für die Forschungsfrage als zielführend angesehen werden können:56
1. Qualitatives Interview
2. Qualitative Inhaltsanalyse
Als Erhebungseinheit wird das Individuum und keine Haushalte o.Ä. herangezogen. Die Probanden werden demnach einzeln befragt. Die Zielgruppe wird ab einem Alter von 18 Jahren festgelegt. Ein Höchstalter gibt es nicht. Die Forschungsfrage soll mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse aufgearbeitet und das Material der Erhebung ausgewertet werden. Diese Form wird im deutschsprachigen Raum mit am häufigsten verwendet.57
Für die Erhebung des auszuwertenden Materials wird eine qualitative Umfrage online durchgeführt. Diese Umfrage enthält überwiegend offene Fragen, welche die Probanden mit freien Texteingaben beantworten. Dies erscheint auch in der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie als sinnvoll.
Das Sample wird in seiner Quantität aufgrund der Komplexität der Antworten auf mindestens 30 bestimmt. Wie im folgenden Kapitel 4.2 beschrieben wird, ist das Sample in insgesamt 5 Altersklassen unterteilt. Um ein gut variiertes Sample zu erhalten, soll die Anzahl der Probanden innerhalb einzelner Altersklassen im Gesamten möglichst gleich verteilt sein, sowie eine Ausgewogenheit des Geschlechts erreicht werden. Jeweils 10 Probanden innerhalb einer Altersstruktur können als Optimal-Ziel definiert werden, sodass in Summe 50 Antworten je Frage zustande kommen. Diese Anzahl sollte nicht signifikant überschritten werden, da diese Art Samples ab 50 – 60 Probanden für den Auswertenden an ihre Grenzen des Händelbaren stoßen.58
[...]
1 Vgl. Müller-Peters, H., Völler, M., Innovation Versicherungswirtschaft, 2014, S. 5.
2 Vgl. Hiendlmeier, S. u. a., Studie: Kundenverhalten verstehen, 2019, S. 5.
3 Vgl. AssCompact, Digitaler Versicherungsvertrieb, 2020, S. 106.; Stauch, M., Digitale Neandertaler, 2018, S. 944.
4 Für eine Definition von „Risikogeschäft“ siehe Wagner, F., Versicherungslexikon, 2017, S. 761.
5 Geschlechtsspezifische Wortformen werden in der gesamten Arbeit aus Gründen der Lesefreundlichkeit nicht im Maskulinum und Femininum gleichzeitig ausgeführt. Es werden jedoch ausdrücklich immer alle Geschlechter hiermit angesprochen und eingeschlossen.
6 Vgl. Köhne, T., Melashenko, I., Produktinnovationen in der Versicherung, 2019, S. 282.
7 Vgl. AssCompact, Versicherung neu erleben, 2020, S. 26.
8 Vgl. Oster, O., Customer Experience, 2019, S. 171.
9 Vgl. Capgemini, Efma, World InsurTech Report, 2020, o. S.
10 Vgl. Lünendonk GmbH, Versicherungen 2020, 2013, S. 43.
11 Für eine Definition der „Komposit-Versicherung“ siehe Wagner, F., Versicherungslexikon, 2017, S. 805.
12 Vgl. Stauch, M., Digitale Neandertaler, 2018, S. 944.
13 Vgl. Kaspar, A., Veränderungen im Schadenmanagement, 2019, o. S.
14 Vgl. Bain & Company, Digitale Herausforderungen, 2013, S. 6.
15 Vgl. Cortis, D. u. a., InsurTech, 2019, S. 72.
16 Vgl. Oliver Wyman, Insurtech-Radar, 2019, S. 13.; Detaillierte Informationen und einen entsprechenden Marktüberblick erhalten Leser im InsurTech-Radar.
17 Vgl. ebd., S. 7.
18 Vgl. Kroker, M., Weltweite Datenmengen, 2017, o. S.
19 Vgl. Cortis, D. u. a., InsurTech, 2019, S. 73.
20 Vgl. Stöckli, E. u. a., Auswirkungen von InsurTech, 2019, S. 200 f.
21 Vgl. Zitzmann, A., Gesellschaftliche Verantwortung, 2018, S. 585.
22 Vgl. Adcubum Deutschland GmbH, Digitale Versicherung 2019, 2019, S. 5.
23 Vgl. Capgemini, Efma, World InsurTech Report, 2020, S. 2.
24 Vgl. Volz, M., Telematiktarife, 2020, o. S.
25 Mayer-Schönberger, V., Ramge, T., Machtmaschinen, 2020, S. 18 ff.
26 Vgl. Capgemini, Efma, World InsurTech Report, 2020, S. 2.
27 Vgl. Herz, C., Schnell, C., Assekuranzprobleme, 2019, S. 30.
28 Vgl. Cortis, D. u. a., InsurTech, 2019, S. 72.
29 Vgl. Urlaß, F., Daten- und Prozessmodellierung, 2019, S. 143.
30 Vgl. Reich, M., Braasch, T., Prozessautomatisierung, 2019, S. 294.
31 Vgl. ebd., S. 294.
32 Vgl. ebd., S. 291.
33 Vgl. Holbrook, M. B., Hirschman, E. C., Aspects of Consumption, 1982, S. 132.
34 Vgl. Bruhn, M., Hadwich, K., Customer Experience, 2012, S. 5.
35 Vgl. Carù, A., Cova, B., Consumption Experience, 2003, S. 270.
36 Vgl. Bruhn, M., Hadwich, K., Customer Experience, 2012, S. 5.
37 Vgl. Meyer, C., Schwager, A., Customer Experience, 2007, 118 f.
38 Vgl. Pine, II, B. J., Gilmore, J. H., Experience economy, 1998, 97 f.
39 Vgl. Kreutzer, R. T., Customer Experience Management, 2018, 96 f.
40 ebd., S. 112.
41 Vgl. Möller, K. u. a., Innovationscontrolling, 2011, 2 f.
42 Vgl. Schumpeter, J. A., Theorie wirtschaftliche Entwicklung, 1987, 100 ff.
43 Rogers, E. M., Diffusion of innovations, 2003, S. 11.
44 Vgl. Hauschildt, J., Salomo, S., Innovationsmanagement, 2007, S. 3.
45 Vgl. Gerpott, T. J., Strategisches Innovationsmanagement, 2005, S. 37.
46 Roberts, E. B., Technological Innovations, 1987, S. 3.
47 Vgl. Hauschildt, J., Salomo, S., Innovationsmanagement, 2007, S. 7.
48 Vgl. Brockhoff, K., Forschung und Entwicklung, 1999, S. 37.; Möller, K., Janssen, S., Produktinnovationen, 2009, S. 90.
49 Vgl. Hauschildt, J., Salomo, S., Innovationsmanagement, 2007, S. 9.
50 Vgl. ebd., S. 9.
51 Vgl. Möller, K., Janssen, S., Produktinnovationen, 2009, S. 90.
52 Vgl. Naderer, G., Balzer, E., Qualitative Marktforschung, 2007, S. 197.
53 Vgl. ebd., S. 198.
54 Denzin, N. K., Lincoln, Y. S., Handbook of qualitative research, 2009, S. 3.
55 Vgl. Naderer, G., Balzer, E., Qualitative Marktforschung, 2007, S. 198.
56 Für eine Übersicht qualitativer Methoden Vgl. Lamnek, S., Krell, C., Methoden der Sozialforschung, 2016, 1 f.
57 Vgl. Mey, G., Ruppel, P. S., Qualitative Forschung, 2018, S. 225.
58 Vgl. Naderer, G., Balzer, E., Qualitative Marktforschung, 2007, S. 200.
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