Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Wut, Angst und Schuldgefühle als normal Scheidungsreaktionen
3. Die psychische Entwicklung vor der Scheidung
3.1. Die frühe Objektbeziehung
3.2. Die Triangulierung
3.2.1. Die unvollständige Triangulierung
3.2.2. Die aggressive Triangulierung
3.2.3. Die kompensatorische Triangulierung
3.3. Die ödipale Entwicklung
4. Schluß
5. Literaturverzeichniss
1. Einleitung
Die Zahl der Familien, die von Scheidung und Trennung betroffen sind steigt, so endeten 1994 in Deutschland 166.000 Ehen vor dem Familiengericht. Man kann davon ausgehen, daß der Zeit etwa 1,5 Millionen Kinder in Einelternfamilien aufwachsen, wobei die Hauptgründe dafür Trennung und Scheidung sind. (Vgl. Kardas / Langenmayr, S.6)
Eine Scheidung betrifft alle Familienmitglieder. Sie erschüttert die Selbstkonzepte und die Familienmitgliedern können in schwere Lebenskrisen stürzen. Viele Scheidungen werden begleitet von Wut, Trauer und starken Verlustängsten. Hinzu kommen noch die Veränderungen der materiellen und sozialen Lebensumstände. Empirische Untersuchungen zeigen das die Eltern ihre Kinder während der Trennung bzw Scheidung in die Trennungskonflikte mit einbeziehen. (Vgl. Stein-Hilbers, S. 100-101)
Aus psychologischer Sicht ist die Scheidung ein Prozeß von Veränderungen, an dem sich die einzelnen Familienmitglieder anpassen müssen. Der Prozeß beginnt schon lange vor dem eigentlichen Ereignis der Scheidung. (Vgl. Suess, S. 167)
Auf welche Art und Weise die Kinder die Scheidung erleben und wie sie sich auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Kinder auswirkt ist abhängig von äußeren Variabeln (wie zum Beispiel die ehelische Konstellation vor der Trennung, die spezifischen Umstände der Scheidung, die Nachscheidungsphase u.s.w.).
Auf den nun folgenden Seiten versuche ich darzustellen, wie sich die eheliche Konstellation und die psychische Entwicklung des Kindes, auf das jeweilige Scheidungserleben auswirken.
2. Wut, Angst und Schuldgefühle als „normale“ Scheidungs- reaktionen
Die Erkenntnis, daß sich die Eltern trennen, daß ein Elternteil auszieht, führt bei fast allen Kindern zu Trauer und Angst. Jede Scheidung bringt Veränderungen Lebensumstände mit sich und die haben etwas bedrohliches an sich. Das Kind macht die Erfahrung, daß es keine Kontrolle über das hat was geschieht.
Zu der Trauer und der Angst, den Vater ganz zu verlieren, kommt der Schmerz hinzu, nicht liebenswert und nicht wichtig zu sein. Denn der Vater hat nicht nur die Mutter verlassen sondern auch das Kind. Das Gefühl des Kindes nichts gegen die Trennung unternehmen zu können und in der Liebesbeziehung der Eltern nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, bringen die Trauer der Wut näher. Dabei kann sich die Wut gegen beide Elternteile richten, aber sie kann sich auch auf nur ein Elternteil beziehen, dem Elternteil, dem das Kind die Schuld an der Scheidung gibt. Wem die Kinder die Schuld zuweisen und wie stark diese Schuldzuweisungen ausfallen, hängt von den unbewußten Bedeutungen ab, die die Scheidung für die Kinder hat, d.h. von den Objektbeziehungen und den Arten der Konflikabwehr.
Eine andere Art der Schuldzuweisung ist die Schuld, die sich die Kinder selbst an der Scheidung geben. Sie sind dann nicht mehr Opfer sondern Täter. Eine Vielzahl der Kinder versucht schon vor der Scheidung die Eltern miteinander zu versöhnen. Die Scheidung ist dann ein Ausdruck ihrer mißglückten Versöhnungsversuche. Je jünger die Kinder sind, umso größer sind ihre Omnipotenzphantasien und umso eher geben sie sich die Schuld an der Scheidung.
Auch die Egozentrik der Kinder, der Glaube sie seien der Mittelpunkt der Welt und alles drehe sich nur um sie, führt zu Schuldgefühlen seitens der Kinder. Da sich alles nur um sie dreht, können auch nur sie es sein, der Schuld an der Scheidung hat. Es entsteht das Gefühl als Liebespartner versagt zu haben. Desweiteren kommt hinzu, daß sich die ehelichen Konflikte oft um Erziehungsfragen drehen und so erlebt sich das Kind als Anlaß der Streitigkeitigen und der Scheidung.
Kinder reagieren also immer auf Scheidung, sie müssen sogar reagieren. Wut Angst, Schuldgefühle u.s.w. kann man zu den normalen Scheidungreaktionen zählen. „ Sie stellen nicht nur eine Ersch ü tterung des seelischen Gleichgewichts dar, sondern sind zugleich ein Mittel, die Ersch ü tterung zu bew ä ltigen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. “ 1 Es gibt jedoch auch Kinder, bei denen die Scheidung psychische Reaktionen hervorruft, die über die normale Reaktionen hinausgehen. Dabei hängen die psychischen Reaktionen der Kinder eng mit der psychischen Entwicklung vor der Scheidung zusammen.
(Vgl Figdor, 1991, S. 34 - 39)
3.Die psychische Entwicklung vor der Scheidung
Ein Teil der psychischen Vorgänge, die durch die Scheidung hervorgerufen werden, kann man nicht allein der Scheidung zuschreiben, sondern auch und insbesondere der beeinträchtigten psychischen Entwicklung des Kindes vor der Trennung. Die nun folgenden Abschnitte sollen den Zusammenhang zwischen der Vorscheidungs- Geschichte und den Scheidungsreaktionen der Kinder näher erläutern.
3.1. Die frühe Objektbeziehung
Figdor fand in seinen Untersuchungen heraus, daß bei einer Vielzahl von jüngeren Scheidungskindern, die ersten Lebensmonate von Konflikten belastet wurden und das sie so ihre weitere Entwicklung auf einer gestörten Objektbeziehung aufbauen mußten. Eine gute Objektbeziehung, die Erikson auch als „Urvertrauen“ bezeichnet, ist ein bedeutendes Fundament für die spätere Entwicklung des Kindes.
Ein Neugeborenes kann noch nicht zwischen einen „ICH“ und einem „DU“ unterscheiden. Zum ersten „ICH“ des Kindes (3-4 Lebensmonat) gehört die ganze Umgebung. Dies wird in der Psychoanalyse als frühe Mutter-Kind- Symbiose bezeichnet. Während dieser Zeit muß die Mutter dem Kind die Illusion lassen, daß es mit der Welt eins ist. Gleichzeitig fühlt sich die Mutter in starkem Maße mit dem Kind identifiziert und bestätigt somit die symbiotische Illusion des Kindes. Die symbiotische Beziehung geht nach 3 - 4 Monaten in einen Prozeß der Ablösung über, der im dritten Lebensjahr des Kindes seinen Höhepunkt erreicht. Der Ablösungsprozeß geschieht über mehrere Etappen. Der Individuationsprozeß beginnt damit, daß der Säugling erkennt was zu ihm gehört und was nicht. Die Objekte der Differenzierungsphase sind akustische, visuelle und taktille Eindrücke, die „Nicht-Ich“ sind. Mit dem 6 - 8 Monat entwickelt sich die Mutter für das Kind zu einer Person, zum ersten Liebesobjekt. In der Übergangsphase, zwischen dem 12 und 18 Monat lernt das Kind gehen und sprechen und erhält damit eine neue Ebene der Selbständigkeit. Hat das Kind eine positive Objektbeziehung aufgebaut, so erhält es eine ungeahnte Selbständigkeit, denn es fürchtet sich vor nichts, empfindet kaum Schmerz und zieht die Eroberung des Neuen der Zweisamkeit mit der Mutter vor. Doch die neue Selbständigkeit wird von Verboten von außen (z.B. berühre nicht die heiße Herdplatte) und von den eigenen Möglichkeiten (z.B. kann das Kind noch keine Tür öffnen) gebremst. Dadurch wird sich das Kind seiner Abhängigkeit bewußt und sucht wieder die Nähe der Mutter. So beginnt mit ca. 18 Monaten eine Wiederannäherungsphase. Während dieser Zeit weiß das Kind zwar, daß die Mutter eine Person ist, aber es hat immer noch die Illusion, daß die Mutter alle seine Wünsche und Bedürfnisse erfüllt (auch die der Selbständigkeit), so wie sie es während der Mutter-Kind-Symbiose tat. Wenn die Mutter dies nicht tut, wird sie für das Kind von der völlig guten Mutter zur völlig bösen Mutter. Mit etwa dem dritten Lebensjahr erlangen die Kinder die emotionelle Objektkonstanz. Erst dann macht das Kind die Erfahrung, daß es ein unabhängiges existierendes Subjekt ist.
In einer Vielzahl der Ehen, die sich während den ersten sechs Lebensjahren der Kinder scheiden lassen, hat die Geburt des Kindes Konflikte ausgelöst, die dann in der Scheidung endeten. Die Eltern überschätzten die Veränderungen, die eine Geburt eines Kindes mit sich bringt. Durch das Kind haben die Eltern zum Beispiel weniger Freiraum und die Unzufriedenheit wirkt sich dann auf die Partnerschaft aus. Das Kind bleibt von diesen Unzufriedenheiten nicht verschont. Die Aggressionen werden zwar nicht bewußt am Kind ausgelebt, aber sie können auch auf unbewußtem Wege befriedigt werden ( indem die Eltern zum Beispiel das Schreien falsch interpretieren: als Äußerung von Hunger, während das Kind nur gehalten werden möchte). „ Ü bersteigern die unbewu ß ten Aggressionen jedoch ein gewisses Ma ß , weil die Eltern die aufgen ö tigten Verzichte (auf Unabh ä ngigkeit, gesellschaftliches Leben, berufliche Karriere oder einfach auf Ruhe und Zeit f ü r sich selbst) schlecht ertragen k ö nnen, vermag das (gew ö hnlich nur vereinzelt vorkommende) Auseinanderklaffen zwischen den Bed ü rfnissen des Kindes und den Handlungen der Eltern zu einem Beziehungsmuster zu werden. “ 2 Solche Beziehungsmuster können sich negativ auf das Selbstbild und das Mutterbild des Kindes auswirken und folglich die Entwicklung des Urvertrauens beeinträchtigen.
Kommt es in einer Ehe zu Konflikten und zieht sich der Vater aus der MutterKind-Dyade zurück, so kann die Folge sein, daß die Mutter die Bedürfnisse die sie normal an ihren Partner stellt, auf das Kind überträgt. Es ist zwangsläufig so, daß das Kind diese Funktion nicht erfüllen kann und die Beziehung der Mutter zum Kind wird weiteren Aggressionen ausgesetzt.
Kinder, deren Entwicklung der frühen Objektbeziehung durch auftretende Konflikte gestört wurden, leiden später eher an Verlustängsten, an Ängsten für schlimme Taten und Phantasien bestraft zu werden u.s.w.. Wie schon erwähnt löst gerade eine Scheidung bei Kindern Ängste, Wut u.s.w. aus. Diese fallen bei Kindern mit gestörter Objektbeziehung besonders stark aus, da durch die eintretende Scheidung frühere traumatische Erlebnisse aktiviert werden.
(Vgl. Figdor, 1991, S. 76 - 87)
3.2.Die Triangulierung
Die Kinder können langsam ihre Objektbeziehungen differenzieren. Das Kind kann zwischen der Person des Vaters und der der Mutter unterscheiden und stellt an beide unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen. Es gibt nun drei Objektbeziehungen: die zur Mutter, die zum Vater und die zwischen Vater und Mutter. Dabei nimmt das dritte Objekt, meist der Vater, eine konfliktentlastende Funktion an. Wenn zum Beispiel ein Kind mit seiner Mutter streitet, haßt es sie in diesem Moment. Es hat dann das Gefühl nicht mehr von ihr geliebt zu werden. In solchen Situationen hat das Kind die Möglichkeit sich dem Vater zuzuwenden und die Wut auf die Mutter flacht dann sehr schnell ab. Indem das Kind sich einem Dritten Objekt abkehren oder zuwenden kann, kann sich die gestörte Objektbeziehung zur Mutter regenerieren. So wird durch die Veränderung der einen Objektbeziehung auch immer die andere Objektbeziehung beeinflußt.
Die Triangulierung spielt eine wichtige Rolle während der Wiederannäherungsphase und es ist die Phase, in welche vor allem jüngere Kinder, wenn sie von der Scheidung betroffen sind, oft regredieren. (Vgl. Figdor, 1991, S. 88 - 94)
3.2.1. Die unvollständige Triangulierung
Das Dasein eines Vaters beeinflußt den konfliktreichen Individuationsprozeß des Kindes (2-3 Lebensjahr) positiv. Durch den Vater hat das Kind die Möglichkeit alternativer Objektbeziehungen und es kann sich so als ein von der Mutter getrenntes Wesen wahrnehmen. Wie schon erwähnt wird durch den Vater auch die Objektbeziehung zur Mutter entlastet. Desweiteren ist für das Gelingen eines Individuationsprozesses, die Objektbeziehung zwischen den Eltern wichtig. Anhand dieser Beziehung erhält das Kind ein Modell einer nicht symbiotischen Liebesbeziehung. Ist nun diese Beziehung zwischen den Eltern mit Konflikten belastet, hat das Kind kein Modell einer libidinösen Beziehung und die Entwicklung seiner Objektbeziehungen verläuft asynchron. Da der Vater noch im Haushalt wohnt, steht er dem Kind zwar in Konfliktsituatiionen mit der Mutter als entlastendes Objekt zur Verfügung, aber dadurch das das Modell einer nicht symbiotischen Beziehung fehlt, erscheint dem Kind die Loslösung von der Mutter gleich einer Beziehungslosigkeit. „ Solche Kinder sind dann mitunter in der Lage, zum Vater eine reife, nicht-symbiotische, ambivalente Liebesbeziehung aufzubauen, bringen jedoch den Individuationsproze ß in der Objektbeziehung der Mutter zu keinen Abschlu ß . “ 3
Kinder deren Objektbeziehung asynchron verlief, erleben die Scheidung als besonders dramatisch, denn das entlastende dritte Objekt, der Vater, fällt weg und die Kinder fühlen sich der Mutter total ausgeliefert, denn sie hatten nicht die Möglichkeit sich von der Mutter loszulössen, da dies der Verlust der Mutter als Liebesobjekt bedeuten würde.
(Vgl. Figdor, 1991,S. 96-102)
3.2.2. Die aggressive Triangulierung
Solange der Vater also noch zur Verfügung steht sind die Kinder in der Lage eine gewisses psychisches Gleichgewicht zu erlangen. Wie schon zuvor beschrieben, liegt das zum Teil daran, daß die konfliktbelastete Beziehung zur Mutter durch den Vater entlastet wird und so das Kind die Möglichkeit hat, seine Distanz zur Mutter selbständig zu regeln. Neben der unvollständigen Triangulierung (asynchrone Objektbeziehung) gibt es die aggressive Triangulierung, die den Kindern hilft ihr seelisches Gleichgewicht beizubehalten. Wie auch bei der unabgeschlossenen Triangulierung wird dem Kind durch die Eltern kein Modell einer nicht symbiotischen Liebesbeziehung vermittelt. Mehr noch, das Kind bekommt mit wie sich die Eltern gegenseitig bekämpfen und so verbindet das Kind die Loslössung der Mutter mit Aggressionen. In solchen Fällen, in denen die Objektbeziehung zur Mutter mit Konflikten belastet ist und eine dem Alter des Kindes nicht entsprechende symbiotische Beziehung zur Mutter, sind die Kinder in der Lage, mit Hilfe der Streitigkeiten zwischen den beiden Elternteilen, ihre Aggressionen gegenüber der Mutter auszuleben. Indem die Kinder sich mit den aggressiven Anteilen des Vaters idendifizieren, die sich gegen die Mutter richten, räumen die Kinder so die bösen Anteile der Mutter für sich aus dem Weg. Die Folge ist, daß das Kind nur die Beziehung zur guten Mutter auslebt und die bösen Anteile der Mutter mit Hilfe der Aggressionen des Vaters, gegenüber der Mutter rächt. So verdrängt das Kind seine Aggressionen. Lassen sich nun die Eltern scheiden, so kann das Kind seine Aggressionen nicht mehr durch den Vater ausleben, sondern muß sie nun unmittelbar gegenüber der Mutter ausleben.
Eine weitere Form der aggressiven Triangulierung kommt dann zustande, wenn sich das Kind (während dem zweiten und dritten Lebensjahr) sich die konfliktbelastete, aggressive Beziehung der Eltern als Modell für seine Ablösung von der Mutter nimmt. Während der Wiederannäherungsphase identifiziert sich das Kind stark mit dem Vater und benutzt die Aggressionen um sich von der zu lösen. Bei diesen Kindern ist die Aggression ein wichtiger Bestandteil ihres Seelenlebens. „ Freilich um den Preis, da ß die Trennung von Selbst- und Objektrepr ä sentanzen sowie von guten und b ö sen Objektimagines immer wieder von neuem durch aggressive Handlungen hergestellt werden mu ß und die damit einhergehenden Aggressivierung der Objektbeziehung zur Mutter den Abschlu ß des Individuationsprozesses- und damit die Separierung und Integration der pr ä ambivalenten (gespaltenen) Selbst- und Objektrepr ä sentanzen - verz ö gert oder gar verhindert. “ 4 Die Aggressionen dienen desweiteren der Bewältigung der Angst, die die Kinder vor der Wiederverschmelzung mit der Mutter haben. Eine Scheidung kann in diesen Fällen zu erhöhter Identifizierung mit dem Vater führen und die Aggressionen noch stärker ausfallen lassen. Es kann aber auch sein, daß diese Kinder kaum Reaktionen auf die Scheidung zeigen. Es kommt statt dessen zu einer Festlegung von neurotischen Abwehrfunktionen.
(Vgl. Figdor, 1991, S. 102 - 106)
3.2.3. Die kompensatorische Triangulierung
Bei der aggressiven und der unvollständigen Triangulierung stehen konfliktbelastete Vater - Mutter - Beziehungen im Mittelpunkt. Es gibt aber auch eine Form der Triangulierung, die kompensatorische Triangulierung, bei der die Qualität der elterlichen Beziehung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wie schon erläutert hat der Vater während der Wiederannäherungsphase, die Funktion, in Konflikten des Kindes mit der Mutter, diese Objektbeziehung zu entlasten. Das Kind kann sich die notwendige Zuwendung und Befriedigung durch den Vater beschaffen und die Objektbeziehung zur Mutter kann sich so regenerieren. Es kann nun sein, daß die Mutter (aufgrund ihrer Einstellung, ihrer persönliche Situation oder ihrer psychischen Situation, wie zum Beispiel durch die Geburt eines weiteren Kinder oder durch ihre berufliche Situation bedingt) einzelne Erwartungen, Bedürfnisse des Kindes, die sie eigentlich zu erfüllen in der Lage wäre, nicht erfüllt. In diesen Fällen kann nun der Vater (wenn er in der Lage ist) diese mangelnde Befriedigungsfähigkeit der Mutter kompensieren. Indem der Vater nicht nur als entlastendes Objekt vom Kind genutzt wird, sondern er ständig Bedürfnisse zu erfüllen hat, die eigentlich die Mutter zu erfüllen hätte, wird er so zu einem primären Objekt des Kindes. Es kommt so zu einer „ Verschiebung der ü blichen Gewichtung zwischen (prim ä rer) m ü tterlicher und (sekund ä rer) v ä terlicher Objektbeziehung. “ 5
Zieht nun der Vater, in Folge einer Trennung, aus dem Haushalt aus, so verliert das Kind nicht nur den Vater, sondern auch die psychologische Mutter und die Scheidung wird für das Kind zu einer Katastrophe.
3.2.Die ödipale Entwicklung
Im dritten Lebensjahr können die Kinder also (unter günstigen Bedingungen) zwischen den Objekten, Vater und Mutter, unterscheiden und die Beziehungen zu ihnen gleichzeitig aufrecht erhalten. Zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr werden nun die Weichen für die künftige psychische Entwicklung der Kinder gestellt. Mit etwa vier Jahren findet bei den Kindern eine Verschiebung der triangulierten Objektbeziehungsstruktur statt. Die Jungen richten ihre sexuellen, zärtlichen Bedürfnisse auf die Mutter und die Mädchen ihre auf den Vater. Haben die Eltern untereinander eine Liebesbeziehung, so empfindet das Kind den gleichgeschlechtlichen Elternteil als Rivalen. Dadurch wird die Ambivalenz der Beziehung des Mädchens zur Mutter verstärkt. Die Jungen richten dagegen einen Teil der Aggressionen, die vorher gegen die Mutter gingen, gegen den Vater. So kommt es in der gleichgeschlechtlichen Objektbeziehung zu seelischen Konflikten, „ welche f ü r die narzi ß tischen und die Sicherheitsbed ü rfnisse des Kindes eine eminente Gefahr bilden. “ 6 Indem die Kinder sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifizieren können sie einen Teil ihrer ödipalen Ängste abwehren, umso eine Sicherheit in ihrer Beziehung zum ödipalen Objekt zu finden. Dabei werden jedoch ihre sexuellen Phantasien und Wünsche verdrängt. Wie auch schon bei der frühen Triangulierung, in welcher die Identifizierung mit dem Vater dem Kind verhilft eine neue Art der Beziehung zur Mutter zu erlangen (loslössung aus der symbiotischen Beziehung), so ermöglicht auch die Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, während der ödipalen Entwicklung, dem Kind eine neue Qualität von einer Liebesbeziehung. Indem das Mädchen sich mit der Mutter identifiziert kann es auf den unangemessenen sexuellen Kontakt mit dem Vater verzichten. „ Die Identifizierung erm ö glicht ihnen, die narzi ß tische Kr ä nkung ü ber die eigene erotische Minderwertigkeit wettzumachen, indem sie zu einer geschlechtlichen Identit ä t finden, deren letzte Erf ü llung zwar auf die Zukunft verschoben werden mu ß , daf ü r jedoch - im Gegensatz zu dein ö dipalen Frustrationen - m ö glich erscheint. “ 7
Indem die Kinder den Ödipuskomplex überwinden, können sie die Überlegenheit der Eltern, für sich von Nutzen machen, denn sie können dann die Sicherheit und die Geborgenheit, die von den Eltern ausgeht, genießen. Die Kinder sind nun in der Lage ihre Aufmerksamkeit auf die „Welt-draußen“ zu richten, damit ist die „Anders-als-die Eltern-Welt“ gemeint, also Objektbeziehungen zu Gleichaltrigen u.s.w.. Wird der Ödipuskomplex nicht überwunden so gestaltet sich die Entdeckung der „Welt-draußen“ als schwierig, denn die Objektbeziehungskonflikte des Kindes zu den Eltern werden auf die Beziehungen zu anderen übertragen und führen so zu Verzerrungen der Realität.
Der Höhepunkt der ödipalen Identifizierung ist die Errichtung des Über-Ichs. Das Kind empfindet nun seine seelischen Konflikte nicht mehr von außen, sondern es nimmt sie als innere Konflikte wahr. Der Verlauf der ödipalen Konflikte ist von großer Bedeutung für die weitere psychische Entwicklung des Kindes, denn die Abwehr von Affekten, Triebregungen und Vorstellungen des Selbst stellen das dynamische Unbewußte, deren „ Inhalte von der weiteren kognitiven und emotionellen Entwicklung weitgehend ausgeschlossen bleiben und in ihrer infantilen Gestalt das gesamte Seelenleben auch des Erwachsenen dynamisch mitgestalten. “ 8
Ist die eheliche Beziehung von Konflikten beherrscht und wenn keine Liebesbeziehung zwischen den Eltern besteht, so kommt es nicht zu einem triangulären Beziehungssystem, sondern eher zu zwei Zweierbeziehungen (Mutter - Kind, Vater - Kind). Dadurch kommt es zwar bei den Kindern zu keinen Rivalitätskonflikt, aber die Kinder bemerken trotzdem, daß sie für den gegengeschlechtlichen Elternteil kein vollwertiger Partner sein können und es entsteht die Angst das Liebesobjekt zu enttäuschen und dessen Liebe zu verlieren. Die Kinder empfinden zwar keinen Rivalitätskonflikt, aber sie sind der Rivalität, die von den Eltern ausgeht, ausgesetzt. Der eine Elternteil empfindet Eifersucht auf die Liebe des Kindes zum anderen Elternteil. Ist zwischen den Eltern ein Liebesband, so können sie dies leichter ertragen. Durch die Eifersucht der Eltern kommt das Kind in einen Loyalitätskonflikt. Indem sich das Kind der Liebe eines Elternteils hingibt, steht es in Gefahr die Liebe des anderen Elternteils zu verlieren. Da die Objektbeziehungen dieser Kinder von Loyalitätskonflikten überschafttet werden, kann sich dies auf ihr späteres Leben übertragen, so das sie ständig das Gefühl haben, sich zwischen zwei oder mehreren Personen, Beziehungen entscheiden zu müssen.
Bei einer konfliktbelasteten Elternbeziehung kommt es bei den Kindern nur selten zu einer Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Denn indem zum Beispiel sich das Mädchen mit der Mutter identifiziert, würde es den Vater genauso ablehnen, wie es die Mutter tut. Um das ödipale Liebesobjekt wenigsten irgendwie zu erhalten, kann es zu einer teilweisen Identifizierung mit ihm kommen. Dies kann zu dazu führen, daß die Entwicklung der sexuellen Identität der Kinder beeinträchtigt wird. Wenn die Kinder sich ganz mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifizieren, so würden sie damit auch den Haß und die Ablehnung verinnerlichen, den dieser Elternteil auf den anderen Elternteil hat und somit würde die Liebe zum ödipalen Objekt zerstört. Es wäre zu bedrohlich für die Kinder diesen Haß dann auszuleben, so wird er verdrängt.
Kinder deren ödipale Entwicklung aufgrund von ehelichen Konflikten verzerrt und gestört wurde, hatten nicht die Chance sich für eine Scheidung zu wappnen, um sie so progressiv zu bewältigen. Wie schon erwähnt geben sich eine Vielzahl der Kinder, selbst die Schuld an der Scheidung. Bei Jungen, zum Beispiel, „ spielen dabei aktivierte ö dipale Schuldphantasien eine gro ß e Rolle “ . 9 Bei den Mädchen sind es eher Loyalitätskonflikte (Ich bleibe bei der Mama), die auch Ängste vor der Rache des enttäuschten Liebesobjekts (dem Vater) hervorrufen.
(Vgl. Figdor, 1991, S. 110 - 122)
4. Schluß
Wie auch, zum Beispiel, der Eintritt ins Berufsleben oder der Verlust eines Partners, ist die Scheidung nur ein Anlaß, an welchem sich die psychische Stabilität der Betroffenen sich bewähren muß. Ein großer Teil der Reaktionen, die durch die Scheidung in Gang gesetzt werden, sind nicht allein der Scheidung zuzuschreiben, sonder, wie wir gesehen haben, eher der gestörten psychischen Entwicklung vor der Scheidung, die durch das konflikttbelastete Familiensystem bedingt wurde. Durch die Scheidung wurden frühere Entwicklungsstörungen sichtbar.
Damit das Kind die Scheidung einigermaßen überstehen kann ist die Nachscheidungsphase von großer Bedeutung. Es wäre von Vorteil, wenn die Eltern über die psychischen Vorgänge, die im Kind ablaufen, bescheid wüßten, um den Kind dann bei der Bewältigung der Scheidung angemessen zu helfen. Oft sind die Eltern, aber dazu selbst nicht in der Lage, denn sie müssen mit der neuen Situation selbst erstmal fertig werden. In manchen Fällen, wäre es gut, wenn sich die Eltern Hilfe von außen holen.
Wichtig für das Kind, ist auch nach der Scheidung, ein intensiver Kontakt zum Vater. Dadurch besteht die Möglichkeit, daß die Ängste des Kindes vor Verlust eines Objektes sich verringern. Diese Ängste wirken sich ja nicht nur auf den getrennt lebenden Vater aus, sondern bestimmen auch die Beziehung des Kindes zur Mutter. Desweiteren würden dadurch die Schuldgefühle und Kränkungen (der Vater hat mich verlassen) gemildert.
5. Literaturverzeichniss
Figdor, H., (1991) Kinder aus geschiedenen Ehen: Zwischen Trauma und Hoffnung. Mainz; Mathias- Grünewald-Verlag.
Figdor, H., (1990) „Sorgepflicht“, „Besuchsrecht“ aber was hilft dem Kind, In:Büttner, C. und Ende, A. (Hrsg.), Trennungen (S. 11 - 32). Weinheim und Basel; Beltz-Verlag.
Kardas, J. und Lagenmayr A. (1996) Familien in Trennung und Scheidung. Stuttgard; Enke-Verlag
Stein-Hilbers, M., (1993) Ihr die Sorge und ihm die Rechte, In: Menne, K., Schilling, H. und Weber, M. (Hrsg.), Kinder im Scheidungskonflikt (S. 95 - 115) Weinheim und München; Juventa-Verlag
Suess, G.J. (1993) Das Kindesinteresse im Scheidungsverlauf, In: Menne, K., Schilling, H. und Weber, M. (Hrsg.), Kinder im Scheidungskonflikt (S. 167 - 175) Weinheim und München; Juventa-Verlag
[...]
1 Figdor, 1991, S. 38
2 Figdor, 1991, S. 83
3 Figdor, 1991, S. 97
4 Figdor, 1991, S. 105
5 Figdor, 1991, S. 109
6 Figdor, 1991, S. 110
7 Figdor, 1991, S. 111
8 Figdor, 1991, S. 112
9 Figdor, S. 186
- Citation du texte
- Tanja Stemmler (Auteur), 1999, Die Auswirkung der psychischen Entwicklung vor der Scheidung auf das Scheidungserleben von Kindern im Alter von 0-6 Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98561
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