Die Arbeit zeigt die unterschiedlichen Maßnahmen des Classroom Managements unter dem Fokus von Scham und Beschämung genauer auf und beleuchtet welche Aspekte scham- bzw. beschämungsvorbeugend und welche, genau das Gegenteil, jeweils auf welcher Seite (d. h. ADHS Schüler / Schülerin vs. Lehrkraft) bewirken können und was daraus resultiert.
Um sich dem Konstrukt „Classroom Management“ zunächst einmal zu nähern, wird als erstes eine Begriffsklärung vorgenommen. Im weiteren Verlauf sollen die historische Entwicklung, wichtige Forschungsergebnisse und die verschiedenen Ansätze des Classroom Managements aufgezeigt werden, um die Veränderungen in der Auffassung und dem Verständnis sowie die empirische Validität zu verdeutlichen.
Danach wird das Classroom Management auf der Grundlage einer Tabelle von Syring (2017) in drei Dimensionen eingeteilt und die jeweiligen Maßnahmen detailliert vorgestellt. Da sich das Konzept des Classroom Managements speziell auf die Auswirkungen bei ADHS Kindern beziehen soll, werde ich weiterhin erklären, wie das Erscheinungsbild der ADHS aussieht und welche Klassifikationen durch die „International Classification of Diseases“ (ICD-10) (World Health Organisation 1992; deutsch: Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort 2004) und das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-V) (American Psychiatric Association 2013; deutsch: Falkai & Wittchen 2015) vorgenommen werden. Weiterhin soll die Komorbidität bei ADHS Kindern erläutert und auf die Häufigkeit von ADHS eingegangen werden.
Um verstehen zu können, welche therapeutischen Ansätze bei ADHS Kindern verfolgt werden, werden vorweg die Ursachen und Ursachenmodelle vorgestellt. Anschließend werden therapeutische Maßnahmen und Ansätze genauer erläutert.
Da der Leser an diesem Punkt der Masterarbeit einen guten Überblick über beide Begrifflichkeiten erlangt hat, findet dann meine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen Dimensionen des Classroom Managements im Hinblick auf positive, wertzuschätzende Aspekte und im Gegensatz dazu auf schamauslösende bzw. beschämende Maßnahmen statt, nachdem zuvor die Begriffe Scham und Beschämung näher erläutert wurden. Abschließend folgt ein Fazit aus meiner theoretischen Untersuchung mit einem kurzen Ausblick auf weiterführende, empirische Forschungsmöglichkeiten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Classroom Management
2.1 Begriffsklärung Classroom Management
2.2 Historische Entwicklung und Ansätze des Classroom Managements
2.3 Wichtige Forschungsergebnisse zu Classroom Management
2.4 Kategorien und Maßnahmen des Classroom Managements
2.4.1 Verhaltenssteuerung
2.4.2 Zusammenfassung Verhaltenssteuerung
2.4.3 Beziehungsförderung
2.4.4 Zusammenfassung Beziehungsförderung
2.4.5 Unterrichtsgestaltung
2.4.6 Zusammenfassung Unterrichtsgestaltung
3 ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung
3.1 Klassifikation und Erscheinungsbild der ADHS
3.2 Komorbidität
3.3 Häufigkeit
3.4 Ursachen
3.4.1 Ursachenmodelle von ADHS
3.4.2 Biologische Faktoren
3.4.3 Psychosoziale Faktoren
3.4.4 Umwelteinflüsse
3.5 Diagnostik
3.6 Therapie
3.6.1 Umweltzentrierte Interventionen
3.6.2 Kindzentrierte Interventionen
4 Positive und kritische Elemente des Classroom Managements in Zusammenhang mit Kindern mit ADHS
4.1 Scham und Beschämung
4.2 Positive und negative Aspekte von Classroom Management bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS
4.2.1 Verhaltenssteuerung
4.2.1.1 Routinen, Rituale und Regeln
4.2.1.2 Konsequenzen
4.2.1.3 Überlappung und Allgegenwärtigkeit
4.2.1.4 Reibungslosigkeit und Schwung
4.2.1.5 Orientierungssicherheit
4.2.1.6 Klarheit, Verständlichkeit und unterschiedliche Arbeitstempi
4.2.1.7 Gruppenaktivierung
4.2.1.8 Zusammenfassung
4.2.2 Beziehungsgestaltung
4.2.2.1 Beginn des Schuljahres
4.2.2.2 Gemeinschaftsförderung
4.2.2.3 Verantwortlichkeit der Lernenden
4.2.2.4 Mitbestimmung
4.2.2.5 Selbstinstruktionen und Selbstmanagementmethoden
4.2.2.6 Haltung der Lehrkraft
4.2.2.7 Humor
4.2.2.8 Kommunikation
4.2.2.9 Zusammenfassung
4.2.3 Unterrichtsgestaltung
4.2.3.1 Unterrichtsstruktur
4.2.3.2 Material und Medien
4.2.3.3 Sozialformauswahl
4.2.3.4 Zusammenfassung
5 Fazit und Ausblick
6 Literaturverzeichnis
7 Anhangsverzeichnis130
Abbildungsverzeichnis:
Abb.1: Führungsstilkonzepte nach Tausch / Tausch
Abb.2: Die drei Dimensionen des Lehrerverhaltens nach Nickel
Abb.3: Wirkungsgeflecht der Klassenführung
Abb.4: ARZZ-Modell nach Keller
Abb.5: Schülermitbestimmungsstufen
Abb.6: Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun
Abb.7: Diagnostik ADHS im schulischen Kontext
Abb.8: Entscheidungsbaum für eine medikamentöse Behandlung von ADHS nach Döpfner et. al. (2013)
Abb.9: Negativer Kreislauf von ADHS und Scham / Beschämung
Tabellenverzeichnis:
Tab.1: Dimensionen und Merkmale von Classroom Management
Tab.2: KIGGS Welle 2 – ADHS Diagnosen
Tab.3: Komplexität des Unterrichts nach Doyle (2006)
Tab.4: Positive / negative Verstärkung und ihre Auswirkungen
Tab.5: Prinzipien von Klassenführung nach Kounin (1970)
Tab.6: Klassenführungskompetenzen nach Weinert und Helmke (1997)
Tab.7: Attributionsmuster
Tab.8: Das AVIVA - Modell
Tab.9: TARGET – Modell nach Ames (1990)
Tab.10: ADHS – Differentialdiagnosen
Tab.11: Operante Verstärkung nach Mackowiak, Lauth & Spieß (2008)
„Scham ist die Hüterin der menschlichen Würde.“ (Wurmser 2008), denn „Scham ist das Gefühl, in der erlebten Wirklichkeit seine Selbstachtung verloren zu haben.“ (Neckel 1991, S. 16)
1 Einleitung
Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) werden von Lehrkräften und Mitschülern / Mitschülerinnen meist nur mit unruhigem Verhalten, Störung des Unterrichts oder Unaufmerksamkeit in Verbindung gebracht. Sie halten sich nicht an Regeln und werden darum von anderen stigmatisiert, bloßgestellt und ausgeschlossen. Leider werden dabei häufig die positiven Seiten der Kinder außer Acht gelassen oder finden keine Erwähnung.
Gerade in dem Zusammenhang mit Unterrichtsstörungen wird das Konstrukt Classroom Management in der („Ratgeber“-) Literatur vielfach als entscheidende und hilfreiche Methode dargestellt, um diesen präventiv und reaktiv begegnen zu können sowie um „guten Unterricht“ zu gewährleisten. Bei Classroom Management handelt es sich um ein Konzept der Unterrichtsgestaltung und -vorbereitung, das gerade ab den 1960er Jahren in den Blickpunkt der Unterrichtsforschung gerückt und heute noch aktuell ist. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde viel zu dem Thema Classroom Management geforscht, wobei die Effektivität in Bezug auf optimale Lernzeitnutzung und dadurch bedingte Leistungssteigerung, Verringerung von Unterrichtsstörungen und die Schaffung eines guten Klassenklimas betont wurden.
Da die Forschung aber immer nur die Effektivität des Classroom Managements in Bezug auf „normale“ Schüler / Schülerinnen beschreibt und untersucht, habe ich mir die Frage gestellt, ob die positiven Ergebnisse des Classroom Managements genauso übertragbar auf Kinder mit ADHS sind oder ob es vielleicht sogar bestimmte Elemente im Classroom Management gibt, die sich negativ auf die Symptomatik der ADHS Kinder auswirken können und wenn ja, welche, in welcher Form und wodurch. Um die möglichen negativen Folgen von Classroom Management ein wenig einzugrenzen, möchte ich in dieser Masterarbeit die unterschiedlichen Maßnahmen des Classroom Managements unter dem Fokus von Scham und Beschämung genauer beleuchten und aufzeigen, welche Aspekte scham- bzw. beschämungsvorbeugend und welche, genau das Gegenteil, jeweils auf welcher Seite (d. h. ADHS Schüler / Schülerin vs. Lehrkraft) bewirken können und was daraus resultiert.
Um sich dem Konstrukt „Classroom Management“ zunächst einmal zu nähern, wird als erstes eine Begriffsklärung vorgenommen. Im weiteren Verlauf sollen die historische Entwicklung, wichtige Forschungsergebnisse und die verschiedenen Ansätze des Classroom Managements aufgezeigt werden, um die Veränderungen in der Auffassung und dem Verständnis sowie die empirische Validität zu verdeutlichen.
Danach wird das Classroom Management auf der Grundlage einer Tabelle von Syring (2017) in drei Dimensionen eingeteilt und die jeweiligen Maßnahmen detailliert vorgestellt.
Da sich das Konzept des Classroom Managements speziell auf die Auswirkungen bei ADHS Kindern beziehen soll, werde ich weiterhin erklären, wie das Erscheinungsbild der ADHS aussieht und welche Klassifikationen durch die „ International Classification of Diseases “ (ICD-10) (World Health Organisation 1992; deutsch: Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort 2004) und das „ Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders “ (DSM-V) (American Psychiatric Association 2013; deutsch: Falkai & Wittchen 2015) vorgenommen werden. Weiterhin soll die Komorbidität bei ADHS Kindern erläutert und auf die Häufigkeit von ADHS eingegangen werden.
Um verstehen zu können, welche therapeutischen Ansätze bei ADHS Kindern verfolgt werden, werden vorweg die Ursachen und Ursachenmodelle vorgestellt. Anschließend werden therapeutische Maßnahmen und Ansätze genauer erläutert.
Da der Leser an diesem Punkt der Masterarbeit einen guten Überblick über beide Begrifflichkeiten erlangt hat, findet dann meine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen Dimensionen des Classroom Managements im Hinblick auf positive, wertzuschätzende Aspekte und im Gegensatz dazu auf schamauslösende bzw. beschämende Maßnahmen statt, nachdem zuvor die Begriffe Scham und Beschämung näher erläutert wurden.
Abschließend folgt ein Fazit aus meiner theoretischen Untersuchung mit einem kurzen Ausblick auf weiterführende, empirische Forschungsmöglichkeiten.
Damit leite ich nun über zu meinem ersten Kapitel, dem Classroom Management, denn dort erfolgt zunächst die Begriffsklärung von Classroom Management, mit der die Grundlage für meine weitere Masterarbeit geschaffen wird.
2 Classroom Management
In dem Kapitel Classroom Management wird zunächst eine Begriffsklärung vorgenommen, um danach näher auf die historische Entwicklung und wichtige Forschungsergebnisse einzugehen. Abschließend erfolgt eine Einteilung des Classroom Managements in drei übergeordnete Dimensionen, Verhaltenssteuerung, Beziehungsförderung und Unterrichtsgestaltung, sowie einer Vorstellung der jeweils dazugehörigen Maßnahmen auf Grundlage einer Tabelle von Syring (2017).
2.1 Begriffsklärung Classroom Management
Der Begriff des Classroom Managements ist in der Literatur sehr vielseitig beschrieben und hat zudem in den letzten Jahrzehnten eine große Wandlung erfahren (s. Kap.2.2). In Deutschland wurde lange Zeit der Begriff „Klassenführung“ verwendet, welcher aber durch die Bezeichnung „Führung“, aufgrund der geschichtlichen Vergangenheit, eher negativ besetzt war und somit in der deutschsprachigen Forschung und Lehrerbildung zunächst wenig Beachtung fand (vgl. Syring 2017, S. 11). Meist wurde der Begriff „Führung“ in der Pädagogik mit einem autoritärem Erziehungsstil, Machtmissbrauch in Schule und Familie (vgl. Klaffke 2013, S. 26), sowie Gehorsam und Unterordnung der Schule der Nachkriegszeit (vgl. Bohl / Kucharz 2010, S. 111) in Verbindung gebracht. Allerdings ähnelt der Begriff „Führung“ auch sehr stark der Bedeutung von „managen“ bzw. „Management“ als „handhaben, führen, leiten, verwalten, vorstehen, beaufsichtigen, dirigieren, regulieren, bewerkstelligen…“ (Toman, H., S. 1) bzw. „sich kümmern um, organisieren, …, regeln, verantwortlich sein etc.“ (Dollase 2012, S. 6). Daher hat sich seit den grundlegenden Ausarbeitungen des amerikanischen Forschers Kounin (1970, 1976) und der umfangreichen Zusammenstellung von Evertson und Weinstein (2006) sowie der deutschsprachigen Veröffentlichung von Eichhorn (2008) der Begriff des Classroom Management dann auch im deutschsprachigen Raum etabliert.
Da die meisten inhaltlichen Punkte „wie die Schüler-Lehrer Beziehung, die selbstregulierte Verantwortungsübernahme sowie die individuelle und kultursensitive Ansprache von Kindern und Jugendlichen“ (Kopmann / Zeinz 2015, S. 26), sowohl in der Definition „Klassenführung“ als auch in der des „Classroom Managements“ zu finden sind, wird im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung auf eine begriffliche Trennung verzichtet. Die Begriffe „Klassenführung“ und „Classroom Management“ werden daher in der weiteren Darstellung synonym verwendet.
In Bezug auf „Klassenführung“ wird in der Definition nach Seidel (2009) der Schwerpunkt auf eine unterstützende Lernbegleitung der Schüler und Schülerinnen gelegt, z. B. durch Beteiligung der Schüler / Schülerinnen an Entscheidungen, Aushandlungsprozessen oder Verantwortungsübernahmen, sowie individuelles Feedback der Lehrer an sie, wodurch die Beziehung zwischen Lehrer / Lehrerinnen und Schüler / Schülerinnen einen wesentlichen Schwerpunkt erfährt.
Allerdings umfasst Classroom Management „wesentlich mehr als das klassische »Führen« einer Klasse.“ (Syring 2017, S. 11). Bei Classroom Management geht es um einen „flüssigen und störungsfreien Unterricht…[einem] lerndienlichen Klassenklima und … einem belastbaren Arbeitsbündnis zwischen der Lehrkraft und den Schülern“ (Ophardt / Thiel 2013, S. 45). Diese Definition greift u. a. den verhaltenstheoretischen Ansatz des Behaviorismus auf, der auf reaktive Intervention beim Auftreten von Störungen, sowie dem Ergreifen von präventiven Maßnahmen zum Unterbinden von Unterrichtstörungen, ausgerichtet ist. Im zweiten Teil der Definition, sprich dem „lerndienlichen Klassenklima und …einem belastbaren Arbeitsbündnis“ (ebd.), werden die Schaffung eines optimalen Lernumfelds und die Lehrer / Lehrerinnen - Schüler / Schülerinnen Beziehung in den Fokus der Betrachtung von Classroom Management gesetzt, welche auch in der historischen Entwicklung des Begriffs eine zunehmende Bedeutung erfuhr. Durch den Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Konstruktivismus fand in den 1980er Jahren eine zunehmende Orientierung an den Lernenden statt (vgl. Syring 2017, S. 23), wobei Begriffe wie „Aktivität, Selbstregulation, Selbstverantwortung, sozialer und persönlicher Kompetenzförderung“ (Syring 2017, S. 23) immer mehr in Zusammenhang mit Classroom Management gebracht wurden.
Klaffke (2013) setzt sich in seinem Buch „Klassen führen – Klassen leiten“ detaillierter mit den reinen Begrifflichkeiten „Klassenführung“ und „Classroom Management“ auseinander. Dabei arbeitet er heraus, dass „ Klassen führung“ seiner Meinung nach eher verdeutlicht, dass es bei dem Thema um die Personen in dem Kontext Klasse geht und nicht wie das Wort „Classroom Management “ eher den "Schwerpunkt auf Organisation und Effektivität setzt“ (Klaffke 2013, S. 27). Zudem ist für ihn das Wort „Classroom“ unpassend, da es nicht um den „Klassenraum“, sondern um die zusammenarbeitenden Personen sowie die sozialen Gefüge in diesem Konstrukt geht. Daher würde Klaffke den Begriff „Klassenmanagement“ bevorzugen, da er beide Dimensionen gut vereint (vgl. ebd., S. 26 f.).
Weiterhin wird in vielen empirischen Forschungen nachgewiesen, dass Classroom Management im Sinne des Angebots-Nutzungs-Modells nach Helmke ein Merkmal guten Unterrichts ist (vgl. Helmke 2017, S. 176 f.), indem es dafür sorgt, dass die aktive Lernzeit, also die „Zeit, in der sich die Schüler mit den zu lernenden Inhalten engagiert und konstruktiv auseinandersetzen“ (Helmke 2017, S. 173), gesteigert wird. Weinert fasst das wie folgt zusammen: „Je mehr Unterrichtszeit für die Reduktion störender Aktivitäten verbraucht bzw. verschwendet wird, desto weniger aktive Lernzeit steht zur Verfügung. Je häufiger einzelne Schüler im Unterricht anwesend und zugleich geistig abwesend sind, umso weniger können sie lernen. Der Klassenführung kommt deshalb eine Schlüsselfunktion im Unterricht zu“ (Weinert 2000, S.15). Auch die Metaanalyse von Wang et. al. (1993) bestätigte, dass keine andere Einflussgröße „so stark mit dem Leistungsniveau und dem Leistungsfortschritt von Schulklassen verknüpft [ist], wie das Klassenmanagement“ (Hasselhorn / Gold 2017, S. 374).
Klassenführung bzw. Classroom Management zielt aber auch auf eine Verhaltensregulation ab, bei der durch optimale Lernumfeldgestaltung ein lernförderliches Klima geschaffen wird, so dass adäquate Arbeitshaltung und Verhaltensweisen der Lernenden eingeübt (vgl. Syring 2017, S. 24), „Selbstständigkeit und Selbstregulation beim Lernen sowie Partizipation der Lernenden“ (Kopmann / Zeinz 2015, S. 27) und „Interaktionsprozesse im sozialen System Schulklasse“ (Ophardt / Thiel 2013, S. 7) gesteuert werden können, wodurch erfolgreiches Lernen stattfinden kann. Zu dem lernförderlichen Klima gehört u. a. das Verhältnis von Lehrer / Lehrerin und Schüler / Schülerin zueinander, welches durch Fürsorge, Akzeptanz, gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen gekennzeichnet sein sollte. Damit kommt dem Classroom Management auch eine wichtige Aufgabe im Bereich der Beziehungsgestaltung zu (vgl. Syring 2017, S. 25), wie bereits oben kurz erwähnt.
Im Folgenden möchte ich zwei Definitionen als Grundlage für meine weitere Ausarbeitung heranführen, die die Komplexität der Begriffe, meiner Meinung nach, sehr gut zusammenfassen, da sie sowohl Elemente des Behaviorismus in Form von Vermeidung von Unterrichtsstörungen enthalten, als auch die neueren Auffassungen der Beziehungsgestaltung in den Blick nehmen.
„ Der Begriff Classroom Management […] weist einen Kern auf, in welchem der präventive und interventive Umgang mit Unterrichtstörungen und Interaktionen im Klassenzimmer thematisiert wird. Darüber hinaus weist er ein weiteres Verständnis auf […]: Der Begriff umfasst instruktionale und didaktische Maßnahmen sowie die Beziehungsstruktur zwischen Lehrkraft und Lernenden […n] Es geht schlicht darum, die Basis für wirksame Lernprozesse zu legen.“(Bohl 2010, S. 22)
„ Klassenführung steht für eine Interaktion im institutionalisierten Rahmen einer Schulklasse, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit und Komplexität geprägt ist. Klassenführung will Unsicherheit und Komplexität strukturieren und reduzieren, um einerseits Lernarbeit zu ermöglichen und andererseits einen Rahmen für die Entfaltung und den Schutz eines Einzelnen zu etablieren. Beides, das Ermöglichen von Lernarbeit und die Etablierung eines geschützten Rahmens, geschieht wesentlich dadurch, dass Störungen durch präventive oder interventive Maßnahmen unterbunden werden. “(Kiel, Frey & Weiß 2013, S. 16)
Es wird deutlich, dass beide Definitionen der präventiven und interventiven Auseinandersetzung von Disziplinproblemen im Rahmen von Classroom Management, welche zu Beginn im Behaviorismus eine entscheidende Rolle spielte, einen großen Stellenwert einräumen. Die Definition von Bohl nimmt zudem die heutigen Gedanken zu Classroom Management auf, welche die Beziehungsebene näher in den Blick nehmen und als Grundlage für gelingende Lernprozesse sehen. Lernprozesse, die nicht nur auf Gehorsam und Disziplin beruhen, sondern durch Interaktion und individuelle, didaktische Prävention und Intervention gekennzeichnet sind.
Kiel, Frey & Weiß fügen ergänzend hinzu, dass es sich bei der gemeinsamen Interaktion, um eine im institutionalisierten Rahmen stattfindende Beziehungsgestaltung handelt, welche durch Unsicherheit und Komplexität des Geschehens geprägt ist. Die Komplexität erfährt durch diese Definition eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, sondern hebt hervor, dass Unterrichtsgestaltung von vielen Einflussfaktoren und Unsicherheiten abhängig ist. Doyle (2006) beschreibt diese Komplexität des Unterrichts sehr gut mit den folgenden Begriffen (genaue Beschreibung der Begriffe s. Anhang A):
Multidimensionality, Simultaneity, Immediacy, Unpredictability, Publicness und History.
Classroom Management soll bei der zweiten Definition als ein didaktisches Instrument dienen, um die aufgezeigte Komplexität zu reduzieren, wodurch Lernarbeit und gelingende Interaktion, zwischen den im Unterricht beteiligten Personen, ermöglicht und gefördert wird.
Evertson und Weinstein (2006, S.4) formulieren es wie folgt:
„[…] we define classroom management as the actions teachers take to create an environment that supports and facilitates both academic and social-emotional learning.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Classroom Management das komplexe und unsichere Unterrichtsgeschehen so strukturieren will, dass die aktive Lernzeit erhöht wird, indem Unterrichtsstörungen präventiv und interventiv begegnet wird und eine gegenseitig wertschätzende, vertrauensvolle, fürsorgliche, akzeptierende Beziehungsgestaltung durch „innere Haltung und situativ angepasstes Handeln“ (Schönbächler 2008, S. 210) stattfindet. Ferner wird den Schülern / Schülerinnen eine selbstregulierende Verantwortung übertragen und ein lernförderliches Klima in der Klasse geschaffen, um soziale und persönliche Kompetenzen des Einzelnen zu unterstützen und zu fördern.
2.2 Historische Entwicklung und Ansätze des Classroom Managements
In den letzten beiden Jahrhunderten war das Thema Funktion von Unterricht und die Gestaltung des Unterrichts, um einen maximalen Nutzen für die Schüler und Schülerinnen zu erlangen, schon immer Gegenstand des Forschungsfeldes Unterrichtsentwicklung bzw. -forschung.
Aufgrund des vorgegebenen Umfangs dieser Arbeit wird im Folgenden nur die historische Entwicklung ab Mitte des 20. Jahrhunderts genauer aufgezeigt, da erst ab diesem Zeitpunkt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Classroom Management stattfindet. Allerdings sollen kurz einige wichtige Personen der beiden vorherigen Jahrhunderte genannt werden, da sie Einfluss auf die Unterrichtsentwicklung und die Auffassung von Unterricht hatten, ohne dass näher auf die einzelnen Erkenntnisse eingegangen wird. Zu den Vertretern jener Zeit gehören Herbart (1806) mit seinem Werk über „Allgemeine Pädagogik“ mit der Vorstellung des „erziehenden Unterrichts“ (vgl. Haag / Streber 2012, S.37; Keck 2004, S. 17; Einsiedler 1994, S. 4), Wilhelm Münch (1905), der die Vorteile der Klassengemeinschaft erkennt und eine „Technik des Klassenunterrichts“ fordert, die diese zu tragen bringt (vgl. Apel 2002, S. 16 f.), John Dewey (1933) und Peter Peterson (1937), die beide einen lehrerzentrierten Fokus setzen und Elemente wie effektive Lernzeitnutzung , Eigenverantwortlichkeit der Lernenden und Störungsvermeidung in Form von Grenzen setzen neu mit ins Spiel bringen (vgl. Apel 2002, 17 + 19; Dewey 1933, S. 273).
Damit komme ich zur eigentlichen historischen Entwicklung des Classroom Managements. Die Unterrichtsführung der Nachkriegszeit ist noch stark von der nationalsozialistischen Zeit geprägt, die „Führung, Autorität, Disziplin, Ordnung und das Prinzip von Belohnung und Bestrafung“ (Haag / Streber 2012, S. 40) als Prinzip der lehrerzentrierten Unterrichtspädagogik ansah. Viele Lehrkräfte führen diesen Unterrichtsstil fort. Im Unterricht gibt es strenge Ordnungsregeln, wie Ruhe und Disziplin beim Arbeiten, um den Lernerfolg sicherzustellen. Nach vorherrschender Meinung stelle sich der Lernerfolg nur dann ein, wenn die Lehrkraft verstünde, sich durchzusetzen und über geeignete Strategien verfüge, um unerwünschten Unterrichtsstörungen entgegenzutreten, womit erwünschtes Schüler- / Schülerinnenverhalten erzeugt würde. Das erwünschte Verhalten sollte dabei in Form von Konditionierung (Lob, Belohnung, Tadel oder Sanktionen) hervorgerufen werden (vgl. Eikenbusch 2009, S. 6 ff.).
Auf dieser Grundlage entsteht im Zuge der 60er und 70er Jahre der erste Ansatz der /des heutigen Klassenführung / Classroom Managements: der behavioristische Ansatz .
Der Behaviorismus aus lernpsychologischer Sicht, dessen Gründer John B. Watson ist, beschäftigt sich mit dem zu beobachtenden Verhalten. Alle mentalen Prozesse gelten als nicht beobachtbar und damit nicht wissenschaftlich nachweisbar. Für die Behavioristen ist der Mensch ein Produkt seiner Umwelt und somit ist auch jegliches Verhalten erlernt und nicht angeboren. Sie gehen davon aus, dass ein Reiz aus der Umwelt zu einem beobachtbaren Verhalten beim Menschen führt.
Daher zielt der behavioristische Ansatz in der Pädagogik auch darauf ab, dass Disziplinproblemen im Unterricht mit Lob, Belehrungen, Sanktionen von positiven sowie Bestrafung durch Zuführen von negativen Reizen begegnet werden sollte. Diese Form der Konditionierung soll das Verhalten der Lernenden insofern beeinflussen, als dass die Bestrafung bzw. das Lob zu einer Verhaltensänderung in Form von Erhalten und Wiederherstellen von Disziplin führen soll, so dass ein reibungsloses, effektives Lernen möglich wird. Dieser verhaltenstheoretische Ansatz verlangt zudem klare Regeln, die von der Lehrperson zu kontrollieren und einzufordern sind (vgl. Syring 2017, S. 29 f. und vgl. Haag / Streber 2012, S. 64 f.). Empirische Untersuchungen jener Zeit bringen wichtige Erkenntnisse zur Steuerung im Klassenzimmer, in Form von Verstärkung und Bestrafung, zu Tage, welche in Anhang B eingesehen werden können.
Diese Form des Verstärkungslernens dient der positiven Beeinflussung des Schüler-/ Schülerinnenverhaltens zu einem gewünschten Ziel und ist zur damaligen Zeit ein fester Bestandteil des Classroom Managements. Aber auch heute hat dieser Ansatz noch Einfluss auf die Klassenführung. Elemente, wie die Belohnung erwünschten Verhaltens und die Wegnahme eines angenehmen Reizes, sind weiterhin Bestandteile des Classroom Managements und wurden z. B. durch Kauffmann (2005, zit. n. Syring 2017, S. 29 f.) zum Thema Bestrafung erneut untersucht und bestätigt.
Ende der 1980er wandelt sich die Auffassung zu Classroom Management und es findet eine Wandlung weg von der reinen reaktiven Sanktionierung, wie im Behaviorismus, hin zu einer präventiven Vermeidung von Unterrichtsstörungen und Disziplinproblemen statt.
„… Classroom Management[ist] kein Selbstzweck …, sondern Voraussetzung, damit im Unterricht überhaupt gelernt werden kann. Gutes Classroom Management konzentriert sich zudem nicht nur auf den Umgang mit störenden Schülerinnen und Schülern, denn die Störungen werden eher als Folge eines schlechten Classroom Managements betrachtet. Das heißt im Umkehrschluss, dass bei gutem Classroom Management die Wahrscheinlichkeit eines störungsarmen Unterrichts erhöht wird“ (Syring 2017, S. 25).
Zudem wird der Blick in Bezug auf Störung des Unterrichts zunehmend auf die Schüler / Schülerinnen – Lehrer / Lehrerinnen Interaktion gerichtet und nicht wie im Behaviorismus, wo allein der Lernende als Grund für Unterrichtsstörungen galt. Eine positive Beeinflussung dieser Interaktion durch präventive, proaktive Maßnahmen dient der Vermeidung von Unterrichtsstörungen und einer Erhöhung von Kooperation und Engagement bei der Mitarbeit durch die Lernenden (vgl. De Boni / Lauper 2017, S. 16 f. und Syring 2017, S. 31). Entscheidende Erkenntnisse in dieser Hinsicht gewinnt Jacob Kounin durch seine Forschungsarbeiten mit Hilfe von Videoanalysen. Auf die exakten Ergebnisse wird im folgenden Kapitel über den Forschungsstand genauer eingegangen (s. Kap. 2.3.). Vorwegzunehmen bleibt allerdings, dass dieser beziehungsorientierte Ansatz und der Einfluss von Kounins Forschungsergebnissen auch heute noch in den Beschreibungen von Classroom Management zu finden sind.
Der ökologische Ansatz , der in den 1990er Jahren zunehmend Einzug erhält, richtet seinen Blick verstärkt auf unterschiedliche Ebenen der Lehrer / Lehrerinnen – Schüler / Schülerinnen Beziehung und sieht den Grund für ein Fehlverhalten oder eine Störung in einer Vielzahl von Aspekten und nicht in einem kausalen Ereignis oder einer bestimmten Interaktion. Dabei wird der Fokus von einzelnen Personen oder Interaktionen weggenommen und eine ganzheitliche Betrachtung des Geschehens rückt in den Mittelpunkt. Zudem sollen die Schüler / Schülerinnen lernen, Verantwortung für ihre Konflikte und deren Lösung zu übernehmen. Ferner sollen sich die Schüler / Schülerinnen aneignen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, selbstreguliert zu lernen und mehr am Unterrichtsgeschehen zu partizipieren.
Die Rolle der Lehrkraft im Kontext der Unterrichtsgestaltung ist, das Lernumfeld zu arrangieren, so dass „kognitives, soziales und emotionales Lernen“ (Syring 2017, S. 31) ermöglicht wird. Dazu zählen u. a. die Aufbereitung und Auswahl von Lerninhalten, der Aufbau von Ordnungsstrukturen und die Auswahl und der Einsatz von Materialien im Unterricht. Geschickte Lernarrangements sollen die Motivation steigern und somit Ablenkungen und Störungen verhindern. „Der Fokus liegt auf dem Lernthema und entfernt sich von steuernder Lenkung [Behaviorismus (Anm. d. Verf.)] und (übermäßiger) Beziehungsorientierung. Die Emotionalisierung geschieht im Zusammenhang mit dem Stoffinhalt und weniger personengebunden“ (De Boni /Lauper 2017, S. 17).
Die aktuelle Auffassung von guter Unterrichtsgestaltung mit Hilfe des Classroom Managements entspricht einer Symbiose aller drei Ansätze.
Demnach soll Classroom Management…
1. die Lehrperson unterstützen / befähigen, Ordnungs- und Interaktionsstrukturen zu errichten und aufrechtzuerhalten
2. die aktive Nutzung der Lernzeit und die Partizipation der Schüler / Schülerinnen anzuregen und
3. Beziehungsstrukturen zwischen Lehrern / Lehrerinnen und Schülern / Schülerinnen aufbauen, welche durch Vertrauen, Wertschätzung und Fürsorge gekennzeichnet sind (vgl. Syring et. al. 2013, S. 77; zit. n. Syring 2017, S. 25).
Bei dem ersten Punkt erkennt man, dass er sich auf eine Verhaltenssteuerung durch Regulation und Organisation von Unterricht, wie z. B. klare Unterrichtstrukturen in Form von Regeln oder Ritualen, sowie die Kommunikation, z. B. im Rahmen der Interaktion, bezieht. Der nächste Unterpunkt beschreibt die Unterrichtsgestaltung, zu der der proaktive und reaktive Umgang mit Unterrichtsstörungen zur Nutzung der aktiven Lernzeit, sowie Konfliktlösungen, Lernumfeldgestaltung und eine individuelle Lernbetreuung der Schüler / Schülerinnen durch die Lehrkraft, um Partizipation aller Lernenden zu ermöglichen, gehört. Dabei ist die Lehrkraft aufgefordert, wie in Punkt 3 beschrieben, Beziehungen und Aktivitäten in einem geschützten Rahmen und auf einer vertrauensvollen Basis zu ermöglichen und zu fördern (vgl. Syring 2017, S. 25).
2.3 Wichtige Forschungsergebnisse zu Classroom Management
Im Folgenden gehe ich auf wichtige Forschungsergebnisse in Bezug auf Klassenführung / Classroom Management ein und werde darauf aufbauend im nächsten Kapitel wichtige Merkmale / Kategorien von Klassenführung festhalten.
Als Erstes möchte ich die Forschungsarbeiten von Lewin, Lipitt und White aus dem Jahre 1939 im Rahmen der Erziehungsstilforschung vorstellen. In Freizeitbastelgruppen untersuchen sie die Wirkung von Führungsstilen in Bezug auf Gruppenatmosphäre, Produktivität, Zufriedenheit, Gruppenzusammenhalt und Effizienz durch Verhaltensbeobachtungen. Als Ergebnis stellt sich heraus, dass die Gruppe bei demokratischer Führung kooperativer arbeitet als bei den anderen Führungsstilen, aber dafür nicht so effektiv. Beim Verlassen des Raumes durch den Gruppenleiter arbeiten sie allerdings allein weiter. Bei der autokratischen Führung wird zwar leistungsbezogen gut gearbeitet, aber auch nur, solange der Gruppenleiter anwesend ist. Die Laissez-faire Führung zeigt abschließend die geringste Produktivität (vgl. Apel 2002, S.24 f. und Haag / Streber 2012, S. 40 f.).
Nachdem in der Nachkriegszeit der Fokus von Erziehung im Rahmen von Klassenführung auf dem Umgang mit Unterrichtsstörungen durch das Prinzip von Belohnung und Bestrafung liegt, findet in den 60er Jahren, geprägt durch die 68er Bewegung, ein Umdenken in der Erziehungsstilforschung statt.
Das Ehepaar Annemarie und Reinhard Tausch bringt in dieser Zeit wichtige Forschungsergebnisse hervor, in denen es das Sprachverhalten von Lehrkräften als Ausdruck von Klassenführung untersucht. Auf Grundlage von Tonbandbandaufnahmen untersuchen die beiden was, wie und wie lange der Lehrer / die Lehrerin im Unterricht spricht. Die Einteilung des Führungsverhaltens aufgrund der Sprachäußerungen erfolgt in zwei Dimensionen. Zum einen die Lenkungsdimension (hohe vs. keine Lenkung) und zum anderen eine affektive Dimension (Wertschätzung vs. Geringschätzung). Die Zusammenführung beider Dimensionen in einem Koordinatensystem bringt drei Hauptinteraktionstypen hervor, die von den Tauschs als autokratischer, „Laissez-faire“ und sozial-integrativer Führungsstil bezeichnet werden. Der autokratische Führungsstil wird mit einer hohen Lenkung und Geringschätzung, der „Laissez-faire“ Führungsstil mit keiner Lenkung und affektiver Wertneutralität und letztendlich der sozial-integrative Führungsstil mit mittlerer Lenkung und positiver Wertschätzung in Verbindung gebracht (s. Anhang C) (vgl. Tausch / Tausch 1970, Haag / Streber 2012, S. 40 f. und Apel 2002, S. 25 ff.).
Natürlich ist davon auszugehen, dass es neben diesen drei Haupttypen noch unzählige weitere variierende Dimensionen und daraus resultierende Führungsstile gibt, die aber in den Arbeiten der Tauschs vernachlässigt werden. Die Forderung der Tauschs aufgrund ihrer Forschungsergebnisse ist letzten Endes, dass sich das Führungsverhaltens der Lehrkräfte weg von einem autokratischem, hin zu einem sozial-integrativen Führungsstil entwickeln müsse, da er durch die mittlere Lenkung noch immer dem Führungsanspruch gerecht würde, aber der Lehrer, durch eine positive Wertschätzung, auf das Schülerverhalten eingehen könne (Apel 2002, S. 27).
Da die Arbeiten der Tauschs nicht unumstritten waren, hat Nickel (1974) in seinen Forschungsarbeiten eine dritte Dimension, die des Anleitens und Anregens, mit in die Untersuchung der Wirkung und die Beschreibung des pädagogischen Handelns aufgenommen. Diese Dimension beschreibt neben der Anregung des Wissenserwerbs, auch die der Interessen und der Lernbereitschaft der Schüler / Schülerinnen. Damit definiert Nickel das Führungsverhalten der Lehrkräfte über die Umgangsform im Unterricht, bei der didaktische und interaktive Aspekte zusammenwirken (vgl. Apel 2002, S. 27 f. und Haag / Streber 2012, S. 27 ff.). Die schematische Darstellung kann in Anhang D eingesehen werden.
Nach dem Konzept von Nickel muss Klassenführung, je nach Thema, Ziel und medialen Möglichkeiten situativ beurteilt werden und daraus resultierend ein Zusammenspiel zwischen mal mehr bzw. weniger Lenkung / Kontrolle, einfühlsamer, sozial-emotionaler Zuwendung und didaktischen Anregung sein. Trotz der relativ komplexen und ziemlich fortschrittlichen Ausführungen setzt sich das Konzept von Nickel im Gegensatz zu dem der Tauschs nicht nennenswert durch. Vermutlich, weil die strukturelle Beschränkung auf einen „autokratischen“ und „demokratischen“ Typ bei den Tauschs auf Grundlage von nur zwei Dimensionen, ein sehr einfaches und schnell begreifbares Konstrukt darstellt (vgl. ebd., S. 29).
Kurz vor Nickel veröffentlicht einer der prägendsten Klassenführungsforscher Kounin (1970, deutsch 1976) seine Studie zu „Techniken der Klassenführung“. Ursprünglich will er „untersuchen, wie erfolgreiche Lehrer / Lehrerinnen effektiv mit Unterrichtstörungen umgehen“ (Haag / Streber 2012, S. 66). Da die Ergebnisse trotz unterschiedlicher Institutionen und Methoden kein Ergebnis bringen, startet er einen neuen Versuch in Form von Videoaufzeichnungen. Er meint, nur durch Untersuchungen des Lehrerverhaltens in realen Schulsituationen, eine Erkenntnis über die Lehrer / Lehrerinnen – Schüler / Schülerinnen Beziehung bekommen zu können. Sein vorrangiges Ziel besteht darin, festzustellen, welche Zurechtweisungsmethoden welche unterschiedliche Wirkung im Schüler- / Schülerinnenverhalten zeigen. Allerdings findet er keine effektive Methode, um erfolgreich zu ermahnen, so dass klar ist, dass es keinen Zusammenhang „zwischen Qualitäten der Zurechtweisungsmethoden eines Lehrers und dem Erfolg dieses Lehrers im Umgang mit Fehlverhalten“ (Kounin 1976, S. 81) gibt. Daher formuliert er, dass „Methoden des Umgangs mit schlechtem Betragen als solche keine signifikante Determinanten sind dafür, wie gut oder schlecht sich Kinder in der Klasse aufführen“ (Kounin 1976, S. 82). Entscheidender sei es zu erforschen, wie man Störungen präventiv vermeiden könne. Da Klassenführung als Auseinandersetzung des Lehrers / der Lehrerin mit dem sichtbaren Verhalten der Schüler / Schülerinnen auf Grundlage von Mitarbeit und gezeigtem Störverhalten definiert wird, zeichnet laut Kounin (1976) erfolgreiche Klassenführung hohe Mitarbeit der Schüler / Schülerinnen bei geringem Fehlverhalten aus.
Seine Videoaufzeichnungen weisen bestimmte Verhaltensweisen der Lehrkräfte auf, die, je besser umgesetzt, desto mehr dafür sorgen, dass die Schüler / Schülerinnen erfolgreich mitarbeiten und weniger den Unterricht stören. Daraus resultierend leitet Kounin verschiedene präventive Handlungsweisen / „Techniken“ ab, die dafür sorgen sollen, ein Fehlverhalten bzw. Störungen bereits vor ihrem Auftreten zu verhindern, so dass die Lernziele erreicht werden können. Diese Techniken beeinflussen bis heute die Auffassungen von Classroom Management, auch wenn sie um den ein oder anderen Aspekt ergänzt wurden. Beispielhaft seien hierfür die Ausarbeitungen von Evertson und Weinstein aus dem Jahre 2006 oder die Scholastik Studie genannt, die später noch Erwähnung erfahren werden. Dabei weist die Scholastik Studie z. B. sehr ähnliche Ergebnisse wie die Studie von Kounin auf, auch wenn die Kategorien dort anders benannt wurden. Die Aktualität zeigt sich zudem darin, dass das Buch „Techniken der Klassenführung“ 2006 erneut aufgelegt wurde (vgl. Haag / Streber 2012, S. 66 – 74; Kiel / Frey & Weiß 2013, S. 23 f. und Syring 2017, 33 f.). Die von Kounin proklamierten, präventiven Klassenführungstechniken sind in Anhang E tabellarisch aufgeführt und können dort eingesehen werden.
Kritisch sei bei den Resultaten anzumerken, dass sich die Ergebnisse aus heutiger Sicht auf eine quantitativ sehr geringe Anzahl von Fällen stützt und die statistischen Analysen nicht den mittlerweile vorherrschenden Anforderungen an Validität entsprechen. Unumstritten allerdings bleibt seine Vorreiterrolle in der empirischen Erforschung der Klassenführung und der Verdienst, dass sich seitdem weniger mit dem reaktiven und stattdessen mehr mit dem präventiven Verhalten im Umgang mit Unterrichtsstörungen auseinandergesetzt wird. Zudem rückt die Klasse aufgrund der „Techniken zur Klassenführung“ als Ganzes in den Fokus und nicht wie davor einzelne Lernende (vgl. Haag / Streber 2012, S. 74 und Kiel, Frey & Weiß 2013, S. 24).
Im Jahre 1991 werden dann die Ergebnisse einer Studie von Mayr, Eder und Fartacek vorgestellt. Es wird untersucht, inwiefern disziplinierende Handlungsstrategien in Bezug auf vier zuvor ermittelte Dimensionen von Unterrichtsstörungen (aggressives Verhalten, mangelnder Lerneifer, motorische Unruhe, verbales Störverhalten) Wirkung entfalten. Dabei zeigt sich eine hohe Korrelation zwischen Handlungsstrategie und Unterrichtsstörung aus Lehrer- / Lehrerinnensicht. Sozialpädagogische Strategien, wie z. B. Wertschätzung, weisen im Gegensatz zu „Techniken der Klassenführung“ hohe Korrelationswerte auf, was die Forscher auf eine relativ homogene Lehrkraftgruppe in Bezug auf ihre Unterrichtsstrategien zurückführen. Befragungen von Schülern / Schülerinnen bringen dann ein eindeutigeres Ergebnis in Bezug auf erfolgreiche Klassenführung. Daraus werden vier Typen von Lehrer- / Lehrerinnenhandeln abgeleitet:
1) Typ 1 erreicht hohe Werte bei den sozialpädagogischen Strategien - Kommunikativ-beziehungsorientiertes Handeln
2) Typ 2 gibt dem fachlichen Lernen ein besonderes Gewicht – Fachorientiertes Handeln
3) Typ 3 bedient sich erfolgreich der Techniken der Klassenführung - Disziplinierendes Handeln
4) Typ 4 weist ein Profil ohne markante Kompetenzen und Defizite auf Neutrales Handeln (vgl. Haag / Streber 2012, S. 48 f. und Syring 2017, S. 36).
Aufgrund des umfangreichen Datenmaterials entwickeln Mayr, Eder und Fartacek den Linzer Diagnosebogen (2002) für verschiedene Schulformen und Klassenstufen als Evaluationsinstrument des eigenen Unterrichts. Der Fragebogen enthält sowohl Bögen für die Rückmeldung der Schüler / Schülerinnen als auch Selbsteinschätzungsbögen für die Lehrkräfte. Er setzt sich mittlerweile aus 24 (ursprünglich 21) pädagogischen Handlungsstrategien zusammen, die aufgrund der Studien als bedeutsam für die Mitarbeit, das Ausmaß an Unterrichtsstörungen und die Einstellungen zum Unterrichtsfach herausgearbeitet wurden. Jede Strategie wird durch ein Item dargestellt und je ursprünglich sieben Strategien zusammen ergeben eine Dimension pädagogischen Handelns, so dass insgesamt drei Dimensionen entstehen, welche wie folgt benannt sind: Unterrichtsgestaltung, Beziehungsförderung und Verhaltenskontrolle (Syring 2017, S. 36 f. und Haag / Streber 2012, S. 49 ff.). Die neuesten Versionen enthalten ergänzende Nebenskalen zur Erfassung der Berufsmotivation der Lehrkraft und der Einstellung zur Klasse (vgl. Mayr 2019).
Mayr führt 2006 eine erneute Studie durch, bei der er versucht, die eben beschriebenen Ergebnisse zu reproduzieren. Wiederum wird das Führungsverhalten der Lehrkräfte auf Lehrer / Lehrerinnen- und Schüler- /Schülerinnenseite, welches sich an den drei Dimensionen des Linzer Fragebogens orientiert, sowie das Arbeits- und Störverhalten untersucht. Eine Clusteranalyse repliziert das vorangegangene Ergebnis und bestätigt die Zusammenhänge zwischen der Klassenführung und der Mitarbeit bzw. dem Störverhalten in Klassen (vgl. Mayr 2006, S. 232). Dafür wird die Ausprägung der Lehrkräfte in den drei Dimensionen des Linzer Diagnosebogens einer der Handlungsstrategien zugeordnet. Zu den herausgearbeiteten, erfolgreichen Strategien des Lehrerhandelns gehören
1) ein anregender, kognitiv aktivierender Unterricht,
2) die Förderung sozialer Beziehungen und
3) wirkungsvolle Kompetenzen bei der Verhaltenskontrolle.
Regeln in Bezug auf Ordnung, Ruhe und soziale Beziehungsgestaltung gelten außerdem als wirkungsvolle Strategien. Allerdings lässt sich auch feststellen, dass ein flexibles Handeln und Anwenden der Strategien durch die Lehrkraft im Unterricht wichtig sind, da eine Vernachlässigung bestimmter Faktoren durch die stärkere Berücksichtigung anderer Faktoren scheinbar kompensiert werden kann (vgl. Syring 2017, S. 38 und Haag / Streber 2012, S. 51 f.). Dabei stellt Mayr heraus, dass eine permanente Selbstreflexion des eigenen pädagogischen Handelns wichtig sei und es bei jeder Klasse einer individuellen Klassenführung bedürfe: „Es gibt kein Idealbild der Klassenführung, das es zu erreichen gilt – wir haben es vielmehr mit einem breiten Spektrum an Handlungsoptionen zu tun“ (Mayr 2009, S. 34).
Die Studie von Schönbächler (2008) nimmt direkten Bezug zu der Studie der Gruppe um Johannes Mayr und versucht herauszufinden, welche Komponenten die Klassenführung umfasst und welche äußeren Rahmenbedingungen, Merkmale der Klasse und der Lehrkraft ausschlaggebend für ein gutes Classroom Management sind. Ihre ausgewerteten Ergebnisse zeigen, dass Klassenführung verschiedene Aspekte umfasst und nicht unabhängig von einer ökologischen Perspektive betrachtet werden kann. Darunter ist zu verstehen, dass sowohl die Klasse (Zusammensetzung der Klasse – besonders der Anteil verhaltensauffälliger Schüler), als auch das soziale Umfeld (Austausch der Lehrkräfte untereinander) Einfluss und eine positiv wirksam wahrgenommene Ausgestaltung auf Klassenführung haben.
Aus Schülersicht ist die Beziehungsebene von zentraler Bedeutung. Zudem wirkt das Classroom Management auf die Persönlichkeitsentwicklung der Lehrkräfte, im Sinne einer positiven Quelle der Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrern / Lehrerinnen, zurück (vgl. Schönbächler 2008, S.191 ff. und Haag / Streber 2012, S. 53 f.).
Als eine wichtige Metaanalyse sei die von Wang, Haertel und Walberg (1993) anzuführen. Das Ergebnis dieser Analyse ist, dass proximale Faktoren (Nahfaktoren) von Unterricht und Schule eine größere Wirkung zeigen, als distale Faktoren, „d. h. politischen, administrativen und sozialen Faktoren“ (Dollase 2012, S. 15). Der deutlich führende Faktor hierbei ist das Classroom Management. Es folgen nicht beeinflussbare Faktoren wie metakognitive und kognitive Voraussetzungen der Schüler / Schülerinnen, Unterstützung der Eltern und schließlich die Bildungsnähe. Danach kommen die durch die Lehrkräfte beeinflussbaren Größen wie „Klassenklima, Quantität der Instruktionen, soziale, motivatorische und affektive Charakteristika des Unterrichts, sowie die soziale Interaktion zwischen Lehrern und Schülern“ (ebd.). Nach dieser Metaanalyse erscheint Classroom Management die wichtigste Determinante in Bezug auf Mitarbeit im Unterricht, Vermeidung von Fehlverhalten und gleichzeitig, guten Lernergebnissen zu sein (vgl. Dollase 2012, S. 15).
Die Scholastik Längsschnittstudie (1997) (Leistungsentwicklung in Mathematik über ein Schuljahr hinweg) von Weinert und Helmke bestätigt, dass der Lernerfolg der Schüler / Schülerinnen vor allem von vier Kompetenzen des Lehrerhandelns, neben Komponenten auf Klassen- und Schüler- / Schülerinnenebene, abhängt, welche sind: die „Klassenführungskompetenz, die diagnostische, die unterrichtsmethodische und die fachliche Kompetenz“ (Haag / Streber 2012, S. 47). Dabei wird Klassenführung, als Organisation und Sicherung des Unterrichtsgeschehens gesehen, um effektive Lernarbeit zu möglichen. Zu den Klassenführungskompetenzen der Lehrkräfte zählen für die Forscher drei Fähigkeiten: Motivieren, Störungen vorbeugen und Regulieren (s. Anhang F) (vgl. Haag / Streber 2012, S. 47 f.).
Dabei betonen Weinert und Helmke genau wie Mayr (2006), dass „es …eine Reihe sehr unterschiedlicher Wege zum Ziel zu geben [scheint]. Dies zeigt, wie problematisch es wäre, in präskriptiver Absicht von ˃Schlüsselmerkmalen˂ oder notwendigen Bedingungen eines erfolgreichen Unterrichts zu sprechen“ (Weinert / Helmke 1997, S. 251).
Auch die MARKUS-Studie (Ma thematik-Gesamterhebung- R heinland-Pfalz: K ompetenzen, U nterrichtsmerkmale, S chulkontext) unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Helmke bestätigt, dass Klassenführung ein entscheidendes Unterscheidungskriterium zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Klassen ist, unabhängig von der Schulform. Bei allen betrachteten Merkmalen des Unterrichts korreliert die Klassenführung am stärksten mit der Leistung der Klassen (vgl. Mägdefrau 2010, S. 59).
Prof. Helmke veröffentlicht 2009 in einem Buch weitere wichtige Forschungsergebnisse zum Thema Merkmale von Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität.
Dabei stellt Klassenführung neben neun weiteren Aspekten ein wesentliches Kriterium für guten Unterricht dar. Er stellt heraus, dass Klassenführung wichtig in Bezug auf das Leistungsniveau, den Lernerfolg und die Anstrengungsbereitschaft der Lernenden ist (vgl. DESI [Deutsch Englisch Schülerleistungen International] - Studie: Klieme et. al. 2006; zit. n. Helmke 2017, S. 174).
Die Zusammenhänge zwischen Klassenführung und Unterrichtsqualität hat er in einem schematischen Modell zusammengestellt, das in Anhang G eingesehen werden kann.
Aus dem Modell wird deutlich, dass u. a. motivierender Unterricht, Aktivierung der Lernenden z. B. durch Mitgestaltung des Unterrichts und gute Passung (weder Unter- noch Überforderung), dafür sorgen, dass keine Probleme mit der Klassenführung zu erwarten sind. Und andersherum lässt es sich in einer Klasse mit guter Klassenführung leichter und besser unterrichten.
Zudem wird bei guter Klassenführung die Lernzeit (Quantität der Lernzeit) optimal genutzt und „signalisiert auch die überragende Wichtigkeit und Wertigkeit, die die Lehrperson dem Lernen zuschreibt; insofern wirkt sie [die Klassenführung; (Anm. d. Verf.)] sich nicht nur direkt (auf die Lernzeit), sondern auch mittelbar (über die Unterrichtsqualität) aus“ (Helmke 2017, S. 176). Ferner ist die Qualität des Lernens von den fachlichen, didaktischen und methodischen Kompetenzen der Lehrkraft abhängig. Daraus resultierend ist eine gute Klassenführung zwar notwendig für erfolgreiches Lernen, aber nicht alleinig. Des Weiteren nimmt die Lehrerpersönlichkeit neben der Unterrichtsqualität auch Einfluss auf die Klassenführung.
Ein gutes Klassenklima wirkt sich, in Form von Unterstützung, Freundlichkeit und wechselseitigem Respekt, wesentlich auf eine gute Klassenführung aus und nimmt somit auch Einfluss auf die Unterrichtsqualität. Andererseits können eine geringe Motivation unter den Lernenden und schlechte kognitive Voraussetzung der Schüler / Schülerinnen die Klassenführung und den Unterricht erschweren (vgl. Helmke 2017, S. 168 - 177).
Bereits ein Jahr zuvor 2008 veröffentlicht John Hattie sein Buch „Visible Learning“, in dem er das Ergebnis seiner Metastudie vorstellt, die ihrerseits mehr als 800 Metastudien mit ca. 52.000 Einzelstudien, an denen ca. 83 Millionen Schülern / Schülerinnen teilnahmen, enthält. Sie ist damit eine der größten empirischen Metastudien zur Klassenführung. In seiner Studie untersucht Hattie, welche der 138 von ihm formulierten Einflussfaktoren sich positiv auf das Lernen auswirken. Dabei legt Hattie „ein Lernmodell zugrunde…, das auf anspruchsvolles, vertieftes, intellektuell herausforderndes und ganzheitliches Lernen Wert legt“ (Klaffke 2013, S. 107). Der prägende Begriff in Zusammenhang mit den Ergebnissen der Hattie-Studie ist das „Visible Learning“, welches Hattie wie folgt beschreibt:
„Visible teaching and learning occurs when learning ist the explicit and transparent goal, when it is appropriately challenging, and when the teacher and the student both (in their various ways) seek to ascertain whether and to what degree the challenging goal is attained. Visible teaching and learning occurs when there is deliberate practice aimed at attaining mastery oft the goal, when there is feedback given and sought, and when there are active, passionate, and engaging people (teachers, students, peers) participating in the act of learning. It is teachers seeing learning through the eyes of the students, and students seeing teaching as the key to their ongoing learning. The remarkable feature of the evidence is that greatest effects a student learning occur when teachers become learners of their own teaching, and when students become their own teachers. When students become their own teachers, they exhibit the self-regulatory attributes that seem most desirable for learners (self-monitoring, self-evaluation, self-assessment, self-teaching“ (Hattie 2012, S.14).
Im Kern zusammengefasst muss das aktive Lernen Ziel eines / einer jeden Schülers / Schülerin sein, welches zudem angemessen herausfordernd sein soll. Dabei sollen Lehrkräfte und Lernende jeder Zeit überprüfen, ob und in welchem Ausmaß die Ziele erreicht werden. Gegenseitiges Feedback soll gegeben und eingefordert werden. Die am Lernprozess beteiligten (Lehrkräfte, Lernende, Peers) sollen sich engagiert und motiviert in den Prozess mit einbringen. Die Lehrer / Lehrerinnen sollen den Unterricht durch die Augen der Schüler / Schülerinnen sehen und die Lernenden sollen den Unterricht als Weg zum Lernziel sehen, sowie „Lehrkräfte zu Schüler(innen) des eigenen Unterrichts und Schüler(innen) ihre eigenen Lehrkräfte werden“ (Klaffke 2013, S. 108). Wenn Lernende zu ihren eigenen Lehrkräften werden, erlangen sie Fähigkeiten zur Selbststeuerung (vgl. ebd., S. 107 f.). Für die Lehrperson ist es wichtig, diese Selbstwirksamkeitsüberzeugung ihrer Schüler / Schülerinnen kennenzulernen und ihr Selbstwertgefühl im Rahmen von Klassenführung zu stärken (vgl. ebd., S. 111), wofür eine gute Beziehung (Fürsorge, Vertrauen, Respekt, Teamfähigkeit) und Kommunikation Grundvoraussetzung sind, so dass ein angenehmes Klassenklima entsteht. Respekt und Vertrauen der Lernenden unter- einander wirken sich weiterhin positiv auf das Lernklima aus (vgl. ebd.).
Damit setzt Hattie den Schwerpunkt eines erfolgreichen Lernens auf eine wechselseitige Schüler / Schülerinnen – Lehrer / Lehrerinnen Interaktion, in der die Lehrkraft die „Selbstkonzepte, Selbstwirksamkeitserwartungen und Lernstrategien“ (Klaffke 2013, S. 114) der Lernenden herausfinden soll und auf einen transparenten, herausfordernden, dem Leistungsniveau entsprechenden Unterricht und einer engagierten und motivierten Einstellung aller Beteiligten aufbauen soll. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei der Verantwortung der Lehrperson für den Lernprozess der Schüler / Schülerinnen zu (vgl. Steffens / Höfer 2011, S. 2 f. und vgl. Klaffke 2013, S. 114).
Bei der Auflistung der verschiedenen Einflussfaktoren ist interessant, dass die Klassenführung nur im oberen Mittelfeld (Platz 42) landet. Eine wichtige Einflussgröße auf die Lernentwicklung ist allerdings, neben den oben beschriebenen Faktoren, die Prävention von Unterrichtstörungen (vgl. Mägdefrau 2010, S. 58).
Hatties Studie bleibt nicht ohne Kritik (vgl. Klaffke 2013, S. 112 f.), wobei die genauen Kritikpunkte in Anhang H zusammengefasst sind.
Einen weiteren wichtigen Einfluss auf die Klassenführungsforschung hat Forschergruppe um Carolyn M. Evertson . Das von ihr und Carol S. Weinstein 2006 herausgebrachte 1.346 Seiten umfassende „Handbook of Classroom Management“ gehört auch heute noch zu einem der Standardwerke in der Forschung zu Classroom Management.
Über 20 Jahre lang forscht Evertson in umfangreichen Studien in verschiedenen Klassen- und Schulformen zu dem Thema Klassenführung und entwickelt zusammen mit ihrem Forscherteam elf, in Anhang I dargestellte, aufeinander bezogene Handlungsdimensionen für effektives Classroom Management.
Bei den aufgeführten Dimensionen geht es in vielen Punkten um Verbindlichkeit in Form von Regeln und Konsequenzen. Allerdings spielt auch die Verantwortung der Schüler / Schülerinnen für der Lern- und Arbeitsprozess eine wichtige Rolle. Dabei ist die Lehrkraft verantwortlich für „das Geschehen im Klassenzimmer…, aber [sie ist; (Anm. d. Verf.)] nicht allein dafür verantwortlich…, ob die sozialen Prozesse im Klassenzimmer gelingen“ (Mägdefrau 2010, S. 57). Bei diesem personenzentrierten Modell wird ein Teil der Verantwortung auf die Lernenden übertragen. Zudem geht es hierbei, um einen präventiven, handlungsorientierten Ansatz durch eine gute Planung des Unterrichts und Bedenken des Umgangs mit Störungen bzw. Problemen, um einen störungsfreien Ablauf zu gewährleisten (vgl. Kiel / Frey & Weiß 2013, S. 25 und vgl. Mägdefrau 2010, S. 57). Dabei sollte der gesamte Lernprozess in ein unterstützendes und gemeinschaftliches Klassenklima eingebettet sein (vgl. Syring 2017, S. 35).
Als letztes möchte ich auf die Forschungsergebnisse von Ophardt und Thiel aus dem Jahre 2008 eingehen. Ophardt und Thiel trennen in ihren Forschungen die Förderung der individuellen Lernprozesse als instruktionale Ebene und Klassenmanagement als Handlungsebene, um soziale Ordnung und Kooperation im sozialen System Schulklasse zu etablieren und aufrechtzuerhalten, voneinander ab. Dabei stellen sie drei Anforderungsbereiche an Lehrer / Lehrerinnen auf: Etablierung von Verhaltenserwartungen, Gestaltungshandlungen im Unterricht und unterrichtsflankierende Maßnahmen (vgl. Ophardt / Thiel 2008, S. 274, Abb. 1).
Dabei legen Ophardt und Thiel einen Fokus in Bezug auf das Lehrer-/ Lehrerinnenhandeln auf die Verbindlichkeit in Form von Regeln, die Etablierung von Prozeduren und Routinen, die Bearbeitung und Lösung von Konflikten und Disziplinarmaßnahmen in Form von Konsequenzen bei unerwünschtem Verhalten. Unter „sozialpädagogischen Maßnahmen“, als Unterpunkt zu unterrichtflankierenden Maßnahmen, verstehen Ophardt und Thiel im Übrigen über den Unterricht hinausgehende Maßnahmen, die präventiv und proaktiv Störungen im Unterricht begegnen (vgl. Ophardt / Thiel 2008).
Zusammenfassend lässt sich aus den dargestellten Forschungsergebnissen festhalten, dass Klassenführung bzw. Classroom Management zur Sicherung des Unterrichtsgeschehens beiträgt, indem es sich mit den präventiven und reaktiven Interventionsmöglichkeiten bezüglich Unterrichtsstörungen / Fehlverhalten auseinandersetzt und dadurch eine hohe und effektive Mitarbeit gewährleistet und zu einer guten Unterrichtsqualität beiträgt. Des Weiteren regt eine gute Klassenführung den Wissenserwerb an und trägt zur Erreichung der Lernziele bzw. des Lernerfolgs bei. Zudem steigen die Interessen und die Lernbereitschaft der Schüler / Schülerinnen an.
Dabei ist Classroom Management dann besonders erfolgreich, wenn eine mittlere Lenkung seitens der Lehrkraft vorgenommen wird und neben einem aktivierenden, fachlich anspruchsvollen, didaktisch wie methodisch gut vorbereiteten Unterricht, die Beziehungsebene eine große Beachtung erfährt. Eine wechselseitige Lehrer / Lehrerinnen –Schüler / Schülerinnen Interaktion durch sozial-emotionale Zuwendung in Form von Wertschätzung, Respekt, Vertrauen, guter Kommunikation und beidseitiger(m) Selbst-reflexion bzw. Feedback, beeinflussen das Classroom Management positiv. Gerade die Arbeit auf der Beziehungsebene bewirkt ein gutes Klassenklima, wodurch das Wohlbefinden der Schüler / Schülerinnen steigt und sie leistungsfähiger und motivierter sind. Verbindlichkeit durch klare Regeln mit aufgezeigten Konsequenzen ist weiterhin förderlich für eine gute Klassenführung.
Verschiedene personelle Voraussetzungen bei den Lehrkräften und Lernenden müssen vorhanden sein, damit Classroom Management gelingen kann. Die Lehrkraft sollte Kompetenzen wie Motivations- und Organisations- bzw. Planungsfähigkeit besitzen und über Strategien zur Aktivierung und Regulation verfügen, sowie sicher im Umgang mit den „Techniken zur Klassenführung“ und der Konfliktlösung sein. Ferner ist nachweisbar, dass die Lehrerpersönlichkeit einen Einfluss auf die Klassenführung nimmt. Umgekehrt trägt ein gutes Classroom Management zu einer positiven Lehreranstrengungsbereitschaft bei, welche sich ihrerseits wiederum rückwirkend förderlich auf die Klassenführung auswirkt.
Die Schüler / Schülerinnen ihrerseits müssen eine aktive Lernbereitschaft mitbringen und Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen. Gute Klassenführung ermöglicht eine Selbstregulation /-steuerung auf Seiten der Schüler / Schülerinnen und eine Verantwortungsübernahme für soziale wie fachliche Prozesse. Die Klassenzusammensetzung hat einen großen Einfluss darauf, ob Klassenführung gelingen kann oder nicht.
Insgesamt bedeutet gutes Classroom Management aber immer die Arbeit auf der Beziehungsebene und eine gute wechselseitige Interaktion zwischen Lehrkräften und Lernenden.
2.4 Kategorien und Maßnahmen des Classroom Managements
Resultierend aus den Forschungsergebnissen zu Klassenführung bzw. Classroom Management lassen sich die folgenden, aufgeführten Dimensionen von Classroom Management mit ihren konkreten Handlungsmaßnahmen ableiten, welche einen guten Unterricht und erfolgreiches Classroom Management begünstigen. Auf Grundlage der vorherigen Ausführungen lassen sich dementsprechend die Anforderungsbereiche der Klassenführung in Unterrichtsgestaltung, Verhaltenssteuerung und Beziehungsebene definieren und diese stellt Syring (2017) in seinem Buch mit den dazugehörigen Merkmalen beruhend auf den Beschreibungen von Kounin (K), Evertson et. al. (E) und Mayr (M) wie folgt dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Dimensionen und Merkmale von Classroom Management
(Quelle: Syring et. al. 2013; zit. n. Syring 2017, S. 27)
Diese Tabelle wird im Folgenden als Grundlage genutzt, um sich detaillierter mit den einzelnen Dimensionen und ihren dazugehörigen Maßnahmen auseinanderzusetzen.
2.4.1 Verhaltenssteuerung
Jede Interaktion, ganz egal in welchem Kontext, bedarf implizierter und explizierter Regeln und Verfahrensweisen, um das Zusammenleben/ -arbeiten zu strukturieren und möglich zu machen. Auch im Unterricht bedarf es klarer Routinen, Rituale und Regeln, die den Schülern / Schülerinnen im Rahmen des proaktiven Classroom Managements von Beginn an beigebracht und mit ihnen trainiert werden müssen.
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