Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, welcher Status den weiblichen Berufsbezeichnungen (BBZ) in der ukrainischen Sprache zukommt. Hierbei wird folgende These vertreten: Die meisten neuen weiblichen BBZ sind im Ukrainischen nicht neutral und werden dementsprechend nicht mit den männlichen BBZ gleichgesetzt. Daraus ergeben sich folgende Leitfragen: Haben sich die neuen weiblichen BBZ bereits durchgesetzt oder sind diese immer noch fremd in der ukrainischen Sprache? Gehören diese Bezeichnungen zur Standardsprache? Welche Suffixe bzw. welche BBZ werden als neutral eingestuft? Bereichern die weiblichen BBZ die ukrainische Sprache? Beeinflussen sie positiv oder verschlechtern sie die ukrainische Sprache? Wie wird der Status der Frauen durch BBZ beeinflusst? Um die These zu überprüfen, werden verschiedene wissenschaftliche Werke analysiert und eine empirische Studie durchgeführt.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen zu den weiblichen BBZ erarbeitet. Im zweiten Teil wird die von der Verfasserin in der Ukraine durchgeführte Online-Befragung dargestellt. Dabei werden die unterschiedlichen Einstellungen zu den weiblichen BBZ der Frauen und Männer sowie der verschiedenen sozialen Gruppen (Studenten, Schüler, Dozenten, Wissenschaftler) und Regionen der Ukraine untersucht.
Inhaltsverzeichnis
I Theoretische Grundlagen
1 Begriffserklärung
1.1 Die Unterscheidung zwischen Sexus und Genus
1.2 Der Begriff Gender
2 Forschungsüberblick
2.1 Forschungsfragen und Forschungsentwicklung
2.1.1 Defizitkonzeption und Neue Defizitkonzeption
2.1.2 Differenzkonzeption
2.1.3 Das Konzept des Doing Gender
2.2 Genderlinguistische Studien in der Slavistik
2.3 Genderlinguistische Studien in der Ukrainistik
3 Die Wortbildung der weiblichen Berufsbezeichnungen
3.1 Movierung durch Komposition
3.2 Movierung durch Derivation
4 Sprachliche Bewertung durch die Wortbildung
4.1 Lexikalische Asymmetrien
4.2 Semantische Asymmetrien
5 Verwendung von weiblichen Berufsbezeichnungen
5.1 Verwendung weiblicher Berufsbezeichnungen bei Frauen
5.2 Verwendung weiblicher Berufsbezeichnungen bei Männern
II Empirische Studie
1 Methodischer Ansatz
1.1 Methoden
1.2 Struktur der Befragung
1.3 Vorstellung der Teilnehmer
2 Zentrale Ergebnisse der empirischen Studie
2.1 Frage 1
2.2 Frage 2
2.3 Frage 3
2.4 Frage 4
2.5 Frage 5
2.6 Gesamtergebnisse
Zusammenfassung
Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang A: Umfrage zu weiblichen BBZ im modernen Ukrainischen
Anhang B: Rücklauf-Statistik
Anhang C: Auswertungstabelle – Allgemein
Anhang D: Auswertungstabelle – Schüler
Anhang E: Auswertungstabelle – Studenten
Anhang F: Auswertungstabelle – Dozenten
Anhang G: Auswertungstabelle – Wissenschaftler
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Найбільше і найдорожче добро в кожного народу – це його мова, ота жива схованка людського духу, його багата скарбниця, в яку народ складає і своє давнє життя, і свої сподіванки, розум, досвід, почування. Панас Мирний
D иректор чи директорка ? Професор чи професорка? Кер і вник чи керівниця ? – Diese und andere weibliche Berufsbezeichnungen (BBZ) sind ein in letzter Zeit in den Medien viel diskutiertes Thema. Da Frauen heutzutage verschiedene Berufe ausüben, ist es notwendig geworden weibliche Entsprechungen einzuführen. Diese weiblichen Formen, die früher vor allem in der Alltagssprache verwendet wurden, durchdringen in alle Bereiche der ukrainischen Sprache. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit neuen weiblichen BBZ, wie докmореса, педагожка , фотографка, менеджерка , шефиня , філоложка , керівниця, президентка , про ф есорша, автореса u.a. Des Weiteren wird teilweise auf Titel und Funktionsbezeichnungen eingegangen.
Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, welcher Status den weiblichen BBZ in der ukrainischen Sprache zukommt. Hierbei wird folgende These vertreten: Die meisten neuen weiblichen BBZ sind im Ukrainischen nicht neutral und werden dementsprechend nicht mit den männlichen BBZ gleichgesetzt. Daraus ergeben sich folgende Leitfragen: Haben sich die neuen weiblichen BBZ bereits durchgesetzt oder sind diese immer noch fremd in der ukrainischen Sprache? Gehören diese Bezeichnungen zur Standardsprache? Welche Suffixe bzw. welche BBZ werden als neutral eingestuft? Bereichern die weiblichen BBZ die ukrainische Sprache? Beeinflussen sie positiv oder verschlechtern sie die ukrainische Sprache? Wie wird der Status der Frauen durch BBZ beeinflusst? Um die These zu überprüfen, werden verschiedene wissenschaftliche Werke analysiert und eine empirische Studie durchgeführt.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Teil werden die theoretischen Grundlagen zu den weiblichen BBZ erarbeitet. Dieser Theorieteil besteht aus fünf Kapiteln. Kapitel eins widmet sich der terminologischen Klärung. Dabei werden die Begriffe Sexus, Genus und Gender erläutert und voneinander abgegrenzt.
Im zweiten Kapitel wird ein Forschungsüberblick gegeben. Zu Beginn werden die Forschungsfragen und die Forschungsentwicklung dargestellt. Im Anschluss werden die Konzeptionen von geschlechtsspezifischem Sprachgebrauch beschrieben: die Defizit- und Neue Defizitkonzeption, die Differenzkonzeption sowie das Konzept des Doing Gender. Abschließend werden die genderlinguistischen Studien aus der Slavistik und der Ukrainistik dargelegt.
Im Fokus des dritten Kapitels steht die Wortbildung der weiblichen BBZ. In diesem Kapitel wird auf die Wortbildungsart Komposition eingegangen und anschließend auf die Movierung durch Derivation. Dabei werden die wichtigsten Movierungssuffixe analysiert.
Kapitel vier beinhaltet eine sprachliche Bewertung durch die Wortbildung. Dabei wird auf lexikalische und semantische Asymmetrien eingegangen. Im fünften Kapitel wird die Verwendung von weiblichen Berufsbezeichnungen bei Frauen und Männern in den ukrainischen Medien veranschaulicht.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf dem zweiten Teil, der empirischen Studie. In diesem Teil wird die von der Verfasserin in der Ukraine durchgeführte Online-Befragung dargestellt. Dabei werden die unterschiedlichen Einstellungen zu den weiblichen BBZ der Frauen und Männer sowie der verschiedenen sozialen Gruppen (Studenten, Schüler, Dozenten, Wissenschaftler) und Regionen der Ukraine untersucht. Im ersten Kapitel wird auf die Methoden und Struktur der Befragung eingegangen und die Teilnehmer der Studie werden vorgestellt. Im zweiten Kapitel werden die zentralen Ergebnisse der empirischen Studie dargelegt. Dabei wird zuerst auf jede Frage einzeln eingegangen und anschließend aus den Gesamtergebnissen ein Gesamtfazit gezogen.
I Theoretische Grundlagen
1 Begriffserklärung
Die terminologische Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht, welches eine weiblich-männliche Dualität aufweist, dem sozialen Geschlecht, das mit bestimmten, sozial bedingten geschlechtsspezifischen Rollen verbunden ist sowie dem grammatischen Geschlecht ist eine wichtige Grundlage der Genderlinguistik1 (vgl. Bußmann/Hof 1995: VIII; Tafel 1997: 49).
Das Geschlecht „eines Lebewesens ist ein zentrales Merkmal, und dem Geschlecht eines Menschen kommt eine ganz besondere – soziale – Bedeutung zu“ (Tafel 1997: 49).
1.1 Die Unterscheidung zwischen Sexus und Genus
Der Begriff Sexus (engl. ‚sex’) bezeichnet „das natürliche, das biologische Geschlecht, d.h. die Unterscheidung zwischen weiblichen und männlichen Menschen und Tieren“ (Tafel 1997: 65). Dabei „spiegeln sich diese, vor allem bei den Menschen offensichtlichen (sichtbaren), biologischen Unterschiede [...] in den Systemen von Sprachen wieder“ (ebd.).
Dem Sexus kommt eine wichtige Rolle in der Sprache zu: „Der Sexus einer oder mehrerer spezifischer menschlich-belebter Referenzeinheiten stellt ein wichtiges Identifikations- und Orientierungskriterium dar und muss somit im Kommunikationsprozess verbalisiert werden“ (Tafel 1997: 65). Wenn auf eine konkrete Einzelperson referiert wird, muss ihr Sexus genannt werden (vgl. ebd.). Die Sexus-Markierung „kann dabei über eine Vielzahl verschiedener, ko(n)textabhängiger Mittel (u.a. auch über das Genus) erfolgen“ (ebd.). Tafel weist darauf hin, dass „sich die außersprachlichen, sprachlichen und kognitiven Kategorien Sexus, Genus und soziales Geschlecht [überschneiden können]“ (ebd.).
Unter dem Begriff Genus (engl. ‚gender’) wird im engeren Sinne das grammatische Geschlecht verstanden (vgl. Tafel 1997: 49, 66). Das grammatische Geschlecht ist „ein inhärentes Merkmal eines jeden Substantivs und damit auch ein Klassifikationsmerkmal, nach dem die Substantive einer Sprache […] in verschiedene Klassen eingeteilt werden“ (Tafel 1997: 66).
Im weiteren Sinne wird unter Genus nicht nur das grammatische, sondern auch das lexikalische (semantische), referentielle und soziale Geschlecht verstanden (vgl. Bußmann 2005: 486-487; Hellinger/Bußmann 2001: 6; Kroll 2002: 149).
Das lexikalische (semantische) Geschlecht bezieht sich auf die „inhärente semantische Spezifizierung belebter Nomina“ (Kroll 2002: 149). So unterscheidet man im Bereich der Personenbezeichnungen geschlechtsspezifische Ausdrücke (z.B. брат, сестра, пись менник, пись менниця) und geschlechtsindefinite Ausdrücke (z.B. дитина, людина), die sowohl auf Männer als auch auf Frauen referieren können (vgl. ebd.).
Das referentielle Geschlecht verweist auf das natürliche Geschlecht einer bezeichneten Person und identifiziert eine Referentin bzw. einen Referenten als weiblich, männlich oder genus-indefinit (vgl. Bußmann 2005: 487; Hellinger/Bußmann 2001: 8; Kroll 2002: 149). So kann z.B. das grammatische Maskulinum юрист auf eine männliche oder weibliche Person verweisen.
Das soziale Geschlecht bezieht sich auf die Verknüpfung von Personenbezeichnungen mit stereotypen Eigenschaften, Geschlechterverhältnissen oder sozialen Rollen (vgl. Bußmann 2005: 487-488; Hellinger/Bußmann 2001: 11; Kroll 2002: 149). Im Ukrainischen zeigt sich diese Kategorie vor allem bei sozial höherstehenden Berufsbezeichnungen, wie z.B. дипломат , адвокат u.a.
1.2 Der Begriff Gender
Der Begriff Gender 2 bezeichnet im Gegensatz zum biologischen oder natürlichen Geschlecht das soziale bzw. kulturelle Geschlecht (vgl. Tafel 1997: 50). Im Allgemeinen werden unter diesem Terminus „die mit dem jeweiligen Geschlecht verbundenen Rollenbilder, Statusvorstellungen usw. verstanden“ (ebd.). Dabei sind „die unterschiedlichen Geschlechterrollen das Ergebnis historischer, kultureller, sozialer und psychologischer Prozesse […]“ (ebd.: 51).
Das soziale Geschlecht eines Menschen als ein zentrales Merkmal der Identifikation und der Selbstidentifikation bestimmt sein/ihr eigenes Verhalten und das auf ihn/sie gerichtete Verhalten anderer, es spielt eine Rolle bei der Strukturierung unserer Gesellschaft, beim Sozialisierungsprozess, kurzum: es ist in allem, was wir tun, in mehr oder weniger starkem Maße präsent. (Tafel 1997: 56)
Die Geschlechtsidentität wird nicht angeboren, sondern mit der Sozialisation eines Kindes in dessen alltäglichen Interaktionen erworben (vgl. Goffman 1977; Günthner 1997: 133). Dabei muss „[z]ur Herstellung einer stabilen Geschlechtsidentität [...] das soziale Geschlecht und damit auch die Geschlechtsidentität immer wieder in verschiedenen Situationen von den Interaktionsteilnehmer/innen bestätigt werden“ (Günthner 1997: 133).
2 Forschungsüberblick
2.1 Forschungsfragen und Forschungsentwicklung
Cache und Geschlecht“ gab es bereits im 17. Jahrhundert (vgl. Baur 2005: 15; Jespersen 1925: 220; Günthner/Kotthoff 1991: 8; Samel 2000: 24). Dabei wurden geschlechtsspezifische Unterschiede in den „exotischen Sprachen“ untersucht (vgl. ebd.). Jespersen beschrieb in seinem Buch „Sprache, ihre Natur, Entwicklung und Entstehung“ (1925) im Kapitel „Die Frau“ neben exotischen Frauensprachen auch die Unterschiede im Sprachgebrauch westeuropäischer Frauen und Männer (vgl. Jespersen 1925: 220-238). Diese früheren Arbeiten sind „vom Standpunkt der heutigen Forschung eher als unwissenschaftlich zu charakterisieren“ (Motschenbacher 2006: 23).
Im Zuge der Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre in den USA und Westeuropa entstand ein großes wissenschaftliches Interesse zum Themenkomplex „Sprache und Geschlecht“ (vgl. Baur 2005: 15; Kirilina 2005: 15; Kotthoff 2006: 2494; Tafel 1999: 499; Günthner 1997: 122, 2006: 35; Günthner/Kotthoff 1991: 14; Samel 2000: 20). Im Vordergrund der Bewegung stand „die Benachteiligung von Frauen in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens“ (Baur 2005: 15). Dabei wurde „nicht nur das politische Geschehen diskutiert und analysiert, sondern auch das Verhältnis der Geschlechter zueinander“ (Samel 2000: 15).
Die Frauen versuchten herauszufinden, was Weiblichkeit ist, was also die weibliche Identität konstituiert. Sprache und Sprechen wurden dabei ins Zentrum der weiblichen Selbstfindung gerückt. Das Thema „weibliche Identität“ verknüpfte sich mit dem Thema „Sprache der Frauen“. (Samel 2000: 18-19)
Als Folge ist die Feministische Linguistik entstanden (vgl. Günthner/Kotthoff 1991: 14; Kirilina 2005: 15), die sich mit der Frage beschäftigt, „ob bzw. wie sich die ungleiche soziale Stellung von Frauen und Männern in patriarchalisch strukturierten Gesellschaftssystemen in der Sprache als ein soziales Phänomen niederschlägt” (Tafel 1999: 499). Dabei wurden sowohl das Sprachsystem als auch das Sprachverhalten analysiert (vgl. Günthner/Kotthoff 1991: 14).
Robin Lakoff, Vertreterin der feministischen Linguistik, beschreibt in den Aufsätzen „Language and Woman’s Place“ (1973, 1975) die Sprache der amerikanischen Frauen. Die von Lakoff postulierten Thesen dienen zur Ausrichtung und als Rahmen für weitere linguistische Untersuchungen (vgl. Baur 2005: 16). Lakoff hat „die linguistische Genderforschung sämtlicher Ausrichtungen nachhaltig und bis heute beeinflusst […]“ (Motschenbacher 2006: 23).
Im Rahmen der Genderlinguistik sind verschiedene Konzepte entstanden, die sich mit dem weiblichen und männlichen Kommunikationsverhalten beschäftigen: die Defizit- und Neue Defizitkonzeption, die Differenzkonzeption, die Code-Switching-Hypothese sowie das Konzept des Doing Gender (vgl. Günthner 1997: 126; Thielemann 2010: 23). Dabei wird weibliches Kommunikationsverhalten in den Pionierarbeiten zur Genderlinguistik als „Frauensprache“3 bei Jespersen (1925) und bei Lakoff (1973, 1975) sowie als „weibliches Register“ (auch „Frauensprache“) bei Trömel-Plötzt (1990; 1997) bezeichnet (vgl. Thielemann 2010: 23).
2.1.1 Defizitkonzeption und Neue Defizitkonzeption
In Dominanz- bzw. Defizitansätzen gilt die Männersprache als Norm und die Frauensprache wird als defizitär bewertet, weil sie von dieser Norm abweicht (vgl. Baur 2005: 58; Motschenbacher 2006: 23). Jespersen (1925), der klassische Vertreter dieser Hypothese, geht davon aus, dass „die Frauensprache keine eigenständige Sprache, sondern eine minderwertige Variante der Männersprache [ist]“ (Samel 2000: 30). Jespersen beschreibt die Grammatik, den Wortschatz und die Syntax der Frauensprache (vgl. Jespersen 1925: 226-236). Dabei stellt er fest, dass der wortschatz einer frau […] in der regel weit weniger umfassend als der eines mannes [ist]. Die frauen bewegen sich vorzugsweise auf dem mittelfelde der sprache, wobei sie alles abseits des weges liegende oder seltsame vermeiden, die männer dagegen prägen oft entweder neue wörter und ausdrücke oder nehmen altmodische auf […]. Die frauen folgen regelmäßig der landstraße der sprache, die männer aber geben häufig der neigung nach, einen schmalen seitenpfad einzuschlagen oder sogar sich einen neuen weg erst zu bahnen. (Jespersen 1925: 231-232)
Nach Jespersen sei die Syntax der Frauensprache primitiver als die der Männersprache (vgl. Klann-Delius 2005: 4): während die Männer die Hypotaxe bevorzugen, präferieren die Frauen die Parataxe (vgl. Jespersen 1925: 236). Die sprachlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede basieren nach Jespersen auf den sozialen und kulturellen Bedingungen und sind biologisch vorgegeben (vgl. Baur 2005: 58; Samel 2000: 30).
In den Neuen Defizitansätzen wird die Frauensprache bzw. das weibliche Sprachverhalten als Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung, mangelnden Selbstbewusstseins und weiblicher Zurückhaltung gesehen (vgl. Baur 2005: 58; Günthner/Kotthoff 1991: 22).
Die Frauensprache wird folgendermaßen beschrieben (vgl. Lakoff 1975: 53-56; Trömel-Plötz 1990: 45-47, 1997: 246-248; Samel 2000: 34-35):
- Der Wortschatz der Frauen, der von ihren traditionellen Rollen, unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Interessen abhängig ist, beinhaltet vor allem Wörter aus den Bereichen Kinderpflege, Haushalt und Mode.
- Frauen verwenden öfter als Männer Formen der Verniedlichung, z.B. Diminutiva und Euphemismen, um Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit auszudrücken.
- Frauen sprechen korrekter als Männer, sie passen sich der Standardsprache an.
- Der Sprechstil der Frauen ist unsicher und indirekt durch die Verwendung von Rückversicherungsfragen (‚ tag-questions‘) wie z.B. ne, gell, oder und Unschärfemarkierer (‚ hedges‘) wie z.B. irgendwie, oder so, finde ich.
- Frauen benutzen häufiger als Männer bestimmte Intensivierungsmittel, wie z.B. so oder wirklich, weil sie ihren Aussagen Gewicht verleihen wollen.
- Frauen verwenden keine oder andere Vulgärausdrücke, Zweideutigkeiten oder Flüche als Männer. Frauen benutzen überhöfliche Formen und harmlose Ausdrücke, weil sie schön und höflich sprechen sollen. Frauen erzählen keine Witze.
Die Frauensprache, als defizitäre Sprache, wird von Lakoff (1975) und Trömel-Plötz (1990) abgelehnt (vgl. Samel 2000: 35). Im Unterschied zu Defizithypothese wird in Neuen Defizitansätzen
vor allem die soziale Situation der Frau als Ausgangspunkt für ihre defizitäre Sprache gesehen […]: Nicht weil die Frau so ist, wie sie ist, benutzt sie […] eine sogenannte Frauensprache, sondern weil die gesellschaftlichen Verhältnisse sie dazu zwingen, ihr Sprachverhalten darauf abzustimmen, dass sie trotz ihrer untergeordneten Stellung Gehör findet. (Samel 2000: 36)
Das weibliche Kommunikationsverhalten hat seine Ursache in der untergeordneten und machtlosen gesellschaftlichen Stellung von Frauen (vgl. Samel 2000: 36; Gottburgsen 2000: 24). Um die soziale Position der Frauen zu verbessern, kam die Forderung auf, Frauen sollen den männlichen Stil übernehmen (vgl. Lakoff 1975; Baur 2005: 58; Gottburgsen 2000: 24; Günthner/Kotthoff 1991: 22).
Günthner kritisiert an den Dominanz- bzw. Defizitansätzen, dass „Frauen (und Männer) […] in der Regel als homogene soziale Gruppe betrachtet und die zahlreichen Unterschiede (ethnische, soziale, kulturelle, generationsspezifische, etc.) vernachlässigt [werden]“ (Günthner 1997: 127-128).
2.1.2 Differenzkonzeption
Den Defizitansätzen folgt der Differenzansatz bzw. Zwei-Kulturen-Ansatz, in dem die Andersartigkeit des weiblichen Sprachverhaltens betont wird (vgl. Thielemann 2010: 24; Samel 2000: 37). Die Theorie der zwei Kulturen basiert auf Studien zur interethnischen Kommunikation von Gumperz (1982) und sieht Frauen und Männer als Angehörige unterschiedlicher Subkulturen mit spezifischen Kommunikationsstilen (vgl. Maltz/Borker 1991: 52; Günthner 1992a: 94, 1992b: 123; Samel 2000: 160). Die weibliche Sprache wird im Zwei-Kulturen-Ansatz nicht mehr negativ bewertet, sondern „im Gegenteil bewiesen die Zurückhaltung und die Höflichkeit im Sprechen von Frauen ihre Stärke“ (Samel 2000: 37).
Der Zwei-Kulturen-Ansatz wurde von Maltz/Borker (1991) entwickelt und von Tannen (1992, 1993, 1997) weiterverarbeitet. Maltz/Borker und Tannen gehen davon aus, dass Männer und Frauen unterschiedliche Interaktionsregeln und Diskursstrategien in ihrer Jugend in gleichgeschlechtlichen Gruppen von Gleichartigen erwerben (vgl. Maltz/Borker 1991: 58-59, 68; Tannen 1992: 40-41; Thielemann 2009: 1094, 2010: 25). Dabei werden diese Diskursstrategien, die kulturell determiniert sind, von Männern und Frauen unterschiedlich eingesetzt und interpretiert (vgl. Maltz/Borker 1991: 71; Thielemann 2009: 1094, 2010: 25). So scheinen Frauen nach Maltz/Borker
- Fragen als ein Mittel zu verstehen, die Gespräche in Gang zu halten, und Männer sehen sie primär als Mittel der Informationselizitierung.
- mehr Wert auf explizite Anerkennung des Gesagten zu legen und auf Anschluss daran. Männern scheinen dergleichen Regeln nicht so wichtig […].
- offene Aggressionen als gegen sich persönlich gerichtet zu interpretieren und bewerten sie deshalb als negativ und zerstörerisch. Männer sehen sie tendenziell eher als eine Art, Konversationen voranzutreiben. (Maltz/Borker 1991: 68-69)
Nach Günthner können die „Kommunikationsstrategien von Frauen und Männern […] nicht losgelöst von der betreffenden Aktivität analysiert werden, da soziale Strukturen, Sprechstrategien und Stilelemente von Aktivität zu Aktivität variieren“ (vgl. Günthner 1992b: 130). Deswegen lassen sich die von Maltz/Borker beschriebenen kommunikativen Merkmale „keineswegs als kategorische von […] dem Kommunikationsziel losgelöste, allen Frauen stets anhaftende Kommunikationsmuster beschreiben“ (ebd.).
Auch bei Tannen werden die sprachlichen Unterschiede auf kulturelle Differenz zurückgeführt (vgl. Tannen 1992: 40). Nach Tannen wird das Gespräch zwischen Männern und Frauen zur interkulturellen Kommunikation, wenn „Frauen eine Bindungs- und Intimitätssprache, Männer aber eine Status- und Unabhängigkeitssprache sprechen und verstehen“ (ebd.). Tannen unterscheidet zwischen Beziehungssprache (rapport-talk) und Berichtssprache (report-talk), öffentlichem und privatem Sprechen (ebd.: 78-79):
Für die meisten Frauen ist die Sprache der Konversation in erster Linie eine Beziehungssprache: eine Möglichkeit, Bindungen zu knüpfen und Gemeinschaft herzustellen. […] Frauen haben ihre engsten Beziehungen zu Hause [...]. Für die meisten Männer sind Gespräche in erster Linie ein Mittel zur Bewahrung von Unabhängigkeit und zur Statusaushandlung in einer hierarchischen sozialen Ordnung. [...] Sie fühlen sich […] wohler, wenn sie in großen Gruppen sprechen […]. Aber selbst die privatesten Situationen lassen sich wie ein öffentliches Gespräch behandeln, so, als ginge es eher um eine Berichterstattung als um die Festigung von Beziehungen. (Tannen 1992: 79)
Die von Tannen eingeführte dichotomische „rapport-report“ Zuordnung reduziert laut Günthner „weibliches Interaktionsverhalten auf traditionelle Stereotypen, wie die der ständigen Suche weiblicher Interagierenden nach Nähe und Intimität, des Harmoniestrebens, des Desinteresses an politischen Belangen [...]“ (Günthner 1992b: 130). Günthner liefert eine ausführliche Kritik des Zwei-Kulturen-Ansatzes:
Im Gegensatz zu Angehörigen verschiedener Kulturen, die ihre Kommunikationsregeln und Kontextualisierungskonventionen innerhalb ihrer eigenen kulturellen Umgebung erwerben und nur eingeschränkten bzw. keinen Kontakt mit anderen kommunikativen Systemen haben, stehen Frauen und Männer […] in ständigem Austausch, gehören meist denselben sozialen Netzwerken an und müssten somit zumindest über passive Kenntnisse des ‚anderen Codes’ verfügen. (Günthner 1997: 129)
Nach Günthner behandelt die Theorie der Zwei-Kulturen das Geschlecht „als ständig präsente, relevante, alle anderen Identitätsparameter […] dominierende Kategorie“ (Günthner 1992b: 131), während andere soziale Bedeutungen, wie Status, ethnische, kulturelle Zugehörigkeit, Alter, kommunikative und institutionelle Rolle, außer Acht gelassen werden (vgl. Günthner 1992a: 95, 1992b: 131, 1997: 130).
2.1.3 Das Konzept des Doing Gender
Das Konzept des Doing Gender geht davon aus, dass das Geschlecht in zwischenmenschlichen Interaktionen durch bestimmte verbale (nonverbale) Handlungen erzeugt wird (vgl. Goffman 1997: 303; Günthner 1992a: 92, 1997: 133, 2006: 39; Samel 2000: 167). In diesem Sinne wird das Geschlecht bzw. die Geschlechterdifferenz nicht als biologische Gegebenheit, sondern als etwas von Individuen in der Interaktion performativ Hervorgebrachtes aufgefasst (vgl. Gottburgsen 2000: 11, 25; Günthner 2006: 39; Kotthoff 2002: 1; Thielemann 2009: 1096, 2010: 16; West/Zimmerman 1987: 126; West/Fenstermaker 1995: 9).
Die soziale Geschlechtszugehörigkeit wird in der Interaktion mit kommuniziert und bestätigt (vgl. Baur 2005: 61; Günthner 1997: 133). So können die Sprecherinnen „[i]m Sinne von Doing Gender […] verschiedene performative Verfahren und Techniken einsetzen, um ihr Geschlecht in der Interaktion zu inszenieren bzw. relevant zu setzen“ (Thielemann 2009: 1096). Dabei „variiert die interaktive Herstellung bzw. Inszenierung von Geschlecht je nach Kommunikationssituation in Ausmaß und Stärke“ (Gottburgsen 2000: 11). Nach Günthner/Kotthoff bietet [j]ede Interaktionssituation […] die Gelegenheit, Geschlechterrollen zu perpetuieren, aber auch zu verändern, d.h., wir kreieren den Geschlechtsunterschied permanent durch Andersbehandlung der Geschlechter mit oder wir heben ihn durch Gleichbehandlung vorübergehend auf. (Günthner/Kotthoff 1991: 8)
Dabei sind „[g]esellschaftliche Strukturen, wie beispielsweise männliche Dominanz oder weibliche Unterlegenheit, [...] nicht einfach gegeben, sondern ein kultiviertes Konstrukt, das wir in Interaktionssituationen aktualisieren können“ (Günthner/Kotthoff 1991: 8).
Die Idee des Undoing Gender geht auf Hirschauer (1994) zurück (vgl. Kotthoff 2002: 7). Nach Hirschauer wird unter Doing Gender eine Aktualisierung und unter Undoing Gender eine Neutralisierung der Geschlechterdifferenz verstanden:
Im Verlauf von Interaktionen ‚verwandeln’ Teilnehmer einander nun in Frauen oder Männer, indem sie sich nicht nur als solche erkennen, sondern in ihrer Erkennbarkeit adressieren. […] In diesem Sinn wird z.B. eine Frau zur Existenz gebracht, sobald eine Äußerung, eine Geste oder ein Blick eines der Stereotypen aktualisiert, die eine anwesende Person in die Position einer ‚Frau’ versetzt. […] Ohne eine solche Aktualisierung der Geschlechterdifferenz, die aus Gelegenheiten situative Wirklichkeiten macht, ereignet sich eher ein praktiziertes ‚Absehen’ von ihr, eine Art soziales Vergessen […]. (Hirschauer 1994: 678)
Unter Aktualisierung und Neutralisierung der Geschlechterdifferenz wird laut Hirschauer „das Aufgreifen oder ‚Ruhenlassen’ von […] Geschlechterunterscheidungen zu anderen Zeitpunkten und an anderen Orten [verstanden]“ (Hirschauer 1994: 678). Undoing Gender wird als „Gegenstrategie zu Sexuierungsprozessen“ gesehen (ebd.: 679).
Das gorien, wie Status, ethnische oder soziale Zugehörigkeit, Alter, Bildung, situativer und kultureller Kontext, inszeniert (vgl. Gottburgsen 2000: 25; Günthner 1992a: 92-93, 95; Günthner/Kotthoff 1991: 36, 38; Thielemann 2009: 1096). Dabei interagieren diese verschiedenen Faktoren miteinander (vgl. Günthner/Kotthoff 1991: 38; Thielemann 2009: 1096). Geschlechtsspezifische Unterschiede im Kommunikationsverhalten „können somit nicht losgelöst vom kulturellen Kontext, dessen integraler Bestandteil sie sind, betrachtet werden“ (vgl. Günthner/Kotthoff 1991: 36).
2.2 Genderlinguistische Studien in der Slavistik
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann keine detaillierte Beschreibung von allen genderlinguistischen Studien in der Slavistik erfolgen. Es wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Studien gegeben. In der Slavistik etablierte sich die Genderlinguistik erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts als eigenständige Forschungsrichtung (vgl. Thielemann 2009: 1093) .
Im Russischen verfassten Yokoyama (1992), Strewe (1993) sowie Zemskaja/Kitajgorodskaja/Rozanova (1993) die ersten Arbeiten zum weiblichen Sprachgebrauch. Seit 1993 sind zahlreiche Publikationen zum Themenkomplex „Sprache und Geschlecht“ erschienen: Tafel (1997, 1999), Grenoble (1999), Yokoyama (1999, 2002, 2003), Doleschal (2002, 2003, 2004), Potapov (1997, 2002a, 2002b), Kirilina (2003, 2005), Baur (2005), Thielemann (2009, 2010) u.a.
Tafel (1997) verschafft einen Überblick über das Thema „Frau und Geschlecht“ im Russischen. In ihren Arbeiten (1997, 1999) untersucht sie die Verbindung der grammatischen Kategorie des Genus mit dem biologischen Geschlecht. Doleschal (2003) beschäftigt sich mit den Ausdrucksmöglichkeiten der Kategorie Geschlecht im Russischen und Slowenischen. Weiss (1985, 1988, 1991, 1993) behandelt diese Problematik am Beispiel des Russischen und des Polnischen. Im Polnischen sind auch die Arbeiten von Jaworski (1986) und Miemietz (1993) zu nennen. Schwarz (1999) beleuchtet die Kategorie der Weiblichkeit im Tschechischen. Rajilić analysiert die gendergerechte Sprache in Kroatien sowie Serbien (vgl. Rajilić/Kersten-Pejanić 2010). Kersten-Pejanić beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischem Fluchen in Bosnien und Herzegowina (vgl. ebd.).
2.3 Genderlinguistische Studien in der Ukrainistik
In diesem Kapitel werden die genderlinguistischen Studien in der Ukrainistik vorgestellt, die sich mit den weiblichen BBZ beschäftigen. Das Themengebiet „weibliche BBZ“ hat in den letzten Jahren im Ukrainischen verstärkt das wissenschaftliche Interesse auf sich gezogen, was sich an einer Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zeigt: Archanhel's'ka (2011a, 2011b, 2011c, 2013, 2014, 2015), Puzyrenko (2004), Valjuch (2005), Brus (2007, 2009), Fedurko (2010), Maljuha (2015) u.a. In der ukrainischen Sprache werden verschiedene Begriffe in Bezug auf die weiblichen BBZ verwendet: назви осіб жіночої статі, назви жінок (Archanhel's'ka 2011a, 2013; Kočukova 2012, 2017), nomina feminin a (Archanhel's'ka 2011a), фемінітив , фемінатив 4 (Archanhel's'ka 2011a, 2011c, 2013; Fedurko 2010; Brus 2007, 2009; Valjuch 2005; Maslova 2011) u.a. (vgl. Kysljuk 2013: 114-115; Archanhel's'ka 2015: 91).
In der ukrainischen Sprache wurde die Verwendung von weiblichen BBZ aufgrund bestimmter außersprachlicher Faktoren lange Zeit vermieden (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 68-69; Hizburh 2012: 19-20). Die wichtigsten Faktoren sind:
1) штучне нав'язування nереваги прикладкової моделі творення назв жінок (жінка-майстер , жінка-кравець , жінка-лікар) і водночас обмеження використання готових словотвірних відповідників (майстриня, кравчиня, лікарка); 2) визначення і стилістичне маркування активних в українській мові формантів творення назв жінок як розмовних і в такий спосіб обмеження-звуження використання самих дериватів; [...] 3) дотримання штучно визначених і встановлених правил приєднання (прив'язаності) словотвірних формантів до твірних основ без будь-яких можливостей новотворчості [...]; 4) масове спустошення іменникових парадигм [...]; 5) у загальномовній практиці називання жінок знехтувано надбаннями діалектів, жаргонів, просторіччя. (Archanhel's'ka 2011a: 68-69; Hervorh. im Original)
Im Ukrainischen gibt es dagegen keine linguistischen Gründe, die gegen eine Bildung weiblicher BBZ sprechen:
В української мови жодних власне лінгвальних системотвірних обмежень для фемінінного словотворення немає, є лише лжестримувачі, і саме у зв’язку з таким здебільшого штучним станом у системі „жіночого словотворення“ сформувалася небезпідставна думка про неможливість творення назв жінок від низки іменників на позначення чоловіків. На цій ланці українська мова не виявляє жодної словотвірної недостатності. (Archanhel's'ka 2013: 31).
Der berühmte Linguist Vinokur schrieb: „будь-яке суфіксальне утворення на позначeння чоловіка передбачає паралельне утворення на позначeння жінки»“ (Vinokur 1959: 439; zit. nach Archanhel's'ka 2011a: 74). Auch Horpynyč hat eine ähnliche Meinung vertreten: „Кожна лексема, з’являючись у мові, виявляє тенденцію до породження похідних, у ній закладено потребу і можливість мотивувати семантично і структурно нову одиницю; будь-яке слово може бути твірним“ (Horpynyč 1999: 92, 93; zit. nach Archanhel's'ka 2011a: 74).
Archanhel's'ka (2013) hat die Werke aus der Zeit der Ukrainisierung der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, die in der Sowjetzeit unterdrückt wurden, untersucht. Sie hat herausgefunden, dass nur wenige Autoren weibliche BBZ beschrieben haben (vgl. ebd.). So schreibt Sulyma, dass Maskulinisierung typisch für die russische und nicht für die ukrainische Sprache ist:
Професійні й інші подібні до них назви в українській мові бувають здебільшого осібні для чоловіків і осібні для жінок. Українська мова взагалі уникає вживати в спільному роді тих слів, що означають посаду, професію […] й надавати тим словам ознак граматичного (формального) чоловічого роду без огляду на стать. У російській мові, як відомо, такі слова, як от автор, композитор, писателъ […] однаково можуть стосуватися до осіб жіночої статі, як і чоловічої. В українській фразі буває інакше: він – автор, вона – авторка; він – композитор, вона – композиторка; він – письменник, вона – письменниця, він – лікар, вона – лікарка, він – професор, вона – професорка й т. ін. (Sulyma 1988: 11; Hervorh. im Original)
Es wird aber nicht impliziert, um welchen Sprachstil es sich handelt (vgl. Archanhel's'ka 2013: 36). In der Zeit der Ukrainisierung gab es keine einheitliche Meinung in Bezug auf die weiblichen BBZ und es wurden sowohl weibliche BBZ als auch generische Formen verwendet (vgl. Archanhel's'ka 2013: 39-40): […] коли зміст фрази стосується не до самих жінок, а й до чоловіків, взагалі – до людей, то ми вживаємо чоловічих назов і для жінок. Наприклад: Леся Українка – один із найкращих поетів ; коли б ми були сказали тут „одна з найкращих поеток“, то цим би ми підкреслили вагу Лесі Українки лише серед жінок-поеток, а не серед усіх поетів взагалі. (Sulyma 1988: 11-12; Hervorh. im Original)
Aus dem oben genannten Beispiel wird ersichtlich, dass weibliche Formen nur verwendet werden, wenn die Rede von Frauen ist, d.h. Lesja Ukrajinka ist nur unter den Frauen eine der besten Dichterinnen. Wenn aber die Qualifikation der Frau mit der männlichen Qualifikation gleichgesetzt werden soll, wird das generische Maskulinum5 verwendet, d.h., dass Lesja Ukrajinka eine der besten unter allen Dichtern ist (vgl. Sulyma 1988: 11-12; Čak 1998: 6; Hinzburh 2012: 13). Auch im heutigen Ukrainischen ist diese Tendenz geblieben: Je prestigeträchtiger der Beruf ist, desto mehr tendieren Männer als auch Frauen dazu, die männlichen Formen zu verwenden, da die meisten femininen Formen sich nur auf einen Kreis von Frauen beschränken.
Čak betont, dass die weiblichen Formen und das generische Maskulinum in verschiedenen Kontexten verwendet werden und einander nicht ersetzen können: […] слід пам'ятати, що […] коли йдеться про офіційну назву звання, посади або про ознаку чи вимогу, що стосується всіх, хто виконує цю роль чи роботу, треба вживати відповідне слово в чоловічому роді. Наприклад: „Учора ми познайомилися з молодою професоркою Kиївського медуніверситету Іриною Шульженко“. Але: „Як професор (а не „як професорка“) і керівник (а не „керівниця“) кафедри вона проводить велику наукову роботу“. (Čak 1998: 6; Hervorh. im Original)
Es soll betont werden, dass „die sogenannten movierten Feminina, d.h. mit Suffixen abgeleitete Wortbildungsderivate wie [...] [ лікарка, вчителька ] nur weibliche Wesen bezeichnen können; d.h. die Feminina sind hier sexusspezifisch markiert, die Maskulina unmarkiert“ (Panzer 1999: 197). Im Plural wird „[d]ie morphologisch-syntaktische Geschlechtsspezifizierung [...] aufgehoben: [s]obald mindestens ein Mann beteiligt ist, sind nur die Endungen belebter Maskulina normgerecht (gener. Maskulinum)“ (Schwarz 1999: 14). Das bedeutet, dass die maskulinen Bezeichnungen eine generalisierte Funktion haben, die weiblichen Formen dagegen nur eine spezifische Bedeutung (vgl. Čak 1998: 6): [п]рофесійні чоловічі назви, опріч свого спеціяльно-чоловічого значіння, мають ще й загальну силу, характеризуючи всіх людей якоїсь професії чи стану без огляду на натуральний рід, на стать. А жіночі назви мають завжди обмежене, специфічно-жіноче значіння. […] Отже значіння чоловічих назов – ширше, а жіночі назви – індивідуалізовані, обмежені на змісті. (Sulyma 1988: 12)
Im offiziellen und wissenschaftlichen Stil werden in der Regel männliche Formen (generisches Maskulinum) verwendet, selbst wenn es dafür eine weibliche Entsprechung gibt (vgl. Čak 1998: 6; Ponomariv 1992: 145). In anderen Sprachstilen werden die weiblichen BBZ gebraucht (vgl. ebd.). So schreibt Ponomariv in seinem Buch „Kul'tura slova“: У засобах масової інформації досить часто можна почути й прочитати: перед мікрофоном журналіст Леся Чорна; гостей привітала вчитель української мови; ваша кореспондент взялась перевірити ці факти; Софія Русова — письменник, історик, педагог, викладач, громадський діяч. [Hervorh. im Original] Такі конструкції суперечать морфолого-стилістичним нормам української мови. [Hervorh. d. Verf.] Вони є наслідком невмотивованого перенесення рис офіційно-ділового стилю (де підкреслюється не стать людини, а її службове чи суспільне становище) на художнє, публіцистичне та розмовне мовлення. (Ponomariv 2001b: 164)
In Bezug auf den offiziellen Sprachstil betont Ponomariv: „щодо вживання в офіційно-діловому мовленні найменування чоловіка на позначення жінки, то тут настав час ламати традицію“ (Ponomariv 2001a: 185; zit. nach Archanhel's'ka 2011a: 70).
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die meisten Frauen in der Familie oder in „typisch weiblichen“ Berufen tätig, während die meisten prestigeträchtigen Berufe von Männern ausgeübt und dementsprechend mit männlichen Formen bezeichnet wurden, wie z.B. президент, міністр, академік, ректор, хірург, енергетик u.a. (vgl. Hinzburh 2012: 8; Ponomariv 2001b: 164). Außerdem sind „traditionell in den meisten Kulturen die Handlungs- und Aufgabenbereiche von Frauen und Männern verschieden [...], sodass es unter Umständen nur sehr selten notwendig war, sich auf gemischtgeschlechtliche Gruppen mit einem Wort zu beziehen“ (Doleschal 1992: 14). Erst mit der Emanzipation der Frauen im öffentlichen Leben und der Zunahme ihres Einflusses auf soziale Prozesse ist es notwendig geworden, die meisten BBZ auch geschlechtsspezifisch zu verwenden (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 67; Doleschal 1992: 14; Kysljuk 2013: 114, 117; Kočukova 2017: 37):
Наявність категорії „жіночість“ в українській мові є природною й гармонійною. Зміна ролі жінки в суспільстві, що передбачає набуття нею освіти, обіймання керівних посад аж до найвищих посад в управлінні державою, професійна діяльність жінок потребують і називання їх за професійною належністю, соціальним становищем. (Kysljuk 2013: 117)
Während die weiblichen BBZ früher im publizistischen, künstlerischen Stil, in der gesprochenen Sprache und mündlichen Fachsprache verwendet wurden, durchdringen sie die moderne ukrainische Sprache in alle Richtungen, sogar die offizielle und wissenschaftliche Sprache ist davon betroffen (vgl. Archanhel's'ka 2013: 32; Kočukova 2017: 38; Stušov 2011: 14). Ponomariv betont die Notwendigkeit der Verwendung von weiblichen BBZ: [с]лова авторка, аспірантка, дописувачка, журналістка, контролерка, лекторка, редакторка та інші зафіксовані в словниках, цілком нормативні. Отже, їх можна і треба вживати: перед мікрофоном журналістка Леся Чорна, ваша кореспондентка взялася перевірити ці факти; Софія Русова — історик, педагог, письменниця, викладачка, громадська діячка і т. д. (Ponomariv 2001b: 164; Hervorh. im Original)
Auf der Suche nach einer nationalen Identität werden die Sprachprozesse sowie Bezeichnungen im Ukrainischen aus der Zeit der Ukrainisierung der 20er und 30er Jahren aktiviert und gleichzeitig werden auch die bereits existierenden, in den Wörterbüchern mit der Anmerkung „розм., рідко, заст.“6 markierten BBZ, wie z.B. філософка, літератка, інженерка, stilistisch umstrukturiert (vgl. Archanhel's'ka 2013: 29). Diese werden außerdem so oft in den Medien verwendet, dass sie den Status von „umgangssprachlich“ verlieren und als neutral angesehen werden, wie z.B. продавчиня, плавчиня, борчиня, членкиня, ковалькиня (жiнка-коваль) (vgl. Stušov 2011: 14, 39; Archanhel's'ka 2013: 32).
Archanhel's'ka (2014) führte eine weitreichende Umfrage zu den neuen weiblichen BBZ durch. Teilnehmer waren Studenten (im Alter vom 18 bis 25 Jahren) der westlichen, zentralen und östlichen Regionen der Ukraine, Beamte, Dozenten, Lehrer, Journalisten, Unternehmer u.a. Insgesamt ergab die Umfrage unter 676 Testpersonen, dass es unterschiedliche Meinungen zu den weiblichen BBZ gibt (vgl. Archanhel's'ka 2014: 50). Die meisten Teilnehmer/innen sehen in den weiblichen Bezeichnungen keine Notwendigkeit und keine Bedeutung. Ein großer Teil kann seine Einstellung nicht konkret begründen (vgl. ebd.). Die Ergebnisse von Archanhel's'ka (2014) werden mit den Ergebnissen der empirischen Studie in dieser Arbeit im praktischen Teil verglichen (vgl. Teil II, Kapitel 2.1, 2.4).
Die Dynamik der ukrainischen Sprache sowie der aktive Prozess der Wortbildung der neuen weiblichen BBZ werden durch die allgemeinen Tendenzen der Demokratisierung und Liberalisierung der sozialen und sprachlichen Normen sowie durch den Sprachpurismus7 beeinflusst (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 68, 2011b: 147-148, 2013: 27, 29).
Im Folgenden wird versucht, eine deutsche Tendenz auf die ukrainische Sprache zu übertragen. In der deutschen Sprache gibt es sowohl das generische Maskulinum (der Mensch, der Gast) als auch das generische Femininum (die Person, die Fachkraft). Nach Pusch (1990: 94) soll das generische Maskulinum abgelehnt und durch weibliche Formen ersetzt werden8. Laut dieser Hypothese werden nur weibliche BBZ verwendet: so soll beispielsweise das generische Femininum Professorinnen die beiden BBZ Professoren und Professorinnen ersetzen (vgl. Pusch 1990: 95). Diese Tendenz ist aber kulturspezifisch. In der Ukraine wird diese Erscheinung stören bzw. schockieren. Wenn im Ukrainischen nur weibliche Formen existieren würden, dann würde ein doppeltes Femininum entstehen: erstens ein Suffix, das das weibliche Geschlecht bereits bezeichnet, wie z.B. - k -, -иц-, - ин - (vgl. Teil I, Kapitel 3.2), und zweitens die weibliche Endung - a -9. Es soll angemerkt werden, dass im Ukrainischen auch einige Wörter männlichen Geschlechts mit der Endung - a - existieren: владика , воєвода , бурлака , гайдамака 10 .
3 Die Wortbildung der weiblichen Berufsbezeichnungen
3.1 Movierung durch Komposition
Die Movierung ist ein „Wortbildungsprozess, der explizit Substantive des anderen Geschlechts von einer Basis ableitet, die eine Personen- oder Tierbezeichnung darstellt“ (Doleschal 1992: 22). Daraus folgt, dass „die Ableitungsbasen semantisch für ein Geschlecht spezifiziert sein müssen und nicht geschlechtsneutral sein können [...]“ (ebd.).
Im Ukrainischen werden Komposita des Typs жі нка - л і кар , жі нка - адвокат , жінка-юрист 11 , жінка-академік, жінка-канцлер, жінка-політик, жінка-президент , жінка-автор 12 , жінка-міліцейський / жінка - м і л і ц і онер , жінка-політолог, жінка-економіст 13 , жінка - генерал , жінка - директор , жінка - суддя , жінка - пожежник , жінка - кер і вник , жінка - ф і лолог, жінка - кард іо х і рург u.a. verwendet (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 75, 97; Kysljuk 2013: 117; Maslova 2011: 54-55, 60). Bei der Movierung durch Komposition wird eine Berufsbezeichnung mit einem Substantiv mit der Bedeutung ‚Frau‘ zusammengesetzt:
(1) Велика кількість жінок-лікарів працює в галузі спорту й лікувальної фізичної культури (Фізичне виховання жінки, 1954, 9).14
(2) Жінка -м і л і ц і онер проб ігає тисячу метрів за чотири хвилини. 15
Diese weiblichen Formen, die den Normen der ukrainischen Sprache entsprechen, scheinen für viele Linguisten unpräzise oder ein Einfluss des Russischen zu sein (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 75).
3.2 Movierung durch Derivation
Die Movierung femininer von maskuliner BBZ erfolgt im Ukrainischen traditionell mit Hilfe von verschiedenen Suffixen (vgl. Kysljuk 2013: 115). Im Vergleich zur deutschen Sprache, bei der feminine von maskulinen BBZ hauptsächlich mit Hilfe des stilistischen Suffixes -in- abgeleitet werden, werden im Ukrainischen einige Suffixe nicht als stilistisch neutral bewertet, d.h. sie tragen nicht nur das semantische Merkmal [+weiblich] (vgl. Keller 2001: 66).
In der ukrainischen Sprache gibt es verschiedene Movierungssuffixe, die wichtigsten davon sind - k -, -иц-, - ин -, - и с-, -ес-, -их-, -ш- (vgl. Valjuch 2005: 119-121; Tafel 2009: 225-226; Horpynyč 2004: 53; Fedurko 2010: 434; Archanhel's'ka 2011a: 76; Hinzburh 2012: 14, 17).
Das produktivste Suffix bei der Bildung femininer BBZ ist in der ukrainischen Literatursprache frei von den emotionalen Schattierungen das Suffix -k-, z.B.: бібліотекар – бібліотекарка, викладач – викладачка, лікар – лікарка, перекладач – перекладачка, учитель – учителька (vgl. Valjuch 2005: 119-120; Tafel 2009: 225-226; Hinzburh 2012: 14):
(3) Колись молоденькою вчителькою вона приїхала в село, що привітно мружилось у пучках сонця і нитях павутиння (М. Стельмах).16
Das Suffix -k- ist im Ukrainischen für die weiblichen Formen reserviert, die von den männlichen Formen abgeleitet werden (vgl. Rudnyc'kyj 1992: 10). Das Suffix -k ist jedoch homonym, d.h. es existieren bereits Bezeichnungen mit einer anderen Bedeutung (vgl. Archanhel's'ka 2011a: 94, 2011b: 221; Tafel 2009: 224; Hinzburh 2012: 21): „ жінка-пілот, бо слово пілотка позначає різновид головного убору; жінка-матрос, бо назву матроска закріплено за різновидом одягу […]“ (Kysljuk 2013: 117).
Der zweite Platz in der Produktivität belegt das Suffix -иц-, z.B.: льотчик – льотчиця, килимник – килимниця, жнець – жниця, в’язальник – в’язальниця (vgl. Valjuch 2005: 120; Tafel 2009: 225-226):
(4) Без внутрішнього посміху не могли чабани дивитись, як ця льотчиця, високо підібравши спідницю, ходить тепер, мов журавлиха по колу, місить і місить після гарячих пляжних пісків холодну в замісі глину (О. Гончар).
Die femininen BBZ auf - k -, -иц- und - ин - werden im modernen Ukrainischen als stilistisch neutral bewertet (vgl. Archanhel's'ka 2011b: 220, 224; Hinzburh 2012: 14, 24). Diese Suffixe hatten ursprünglich die Bedeutung ‚die Ehefrau von X‘, z.B.: бакалійниця – ‚дружина бакалійника; жінка, що торгує бакалійними товарами‘ (vgl. Valjuch 2005: 121):
(5) І мати, погамувавши кипіння радості, терпляче жде, поки син здоровкається з чабанами та чабанками (О. Гончар).
Die Suffixe -их-, -ес-, -ис-, -ш- sind im heutigen Ukrainischen wenig produktiv, z.B.: кравець – кравчиха, двірник – двірничиха, мельник – мельничиха, сторож – сторожиха, агроном – агрономша, ліфтер – ліфтерша, актор – актриса, директор – директриса (vgl. Valjuch 2005: 120; Stušov 2011: 17; Hinzburh 2012: 17):
(6) Словом, війна надійшла саме тоді, коли перед кравчихою допіру потихеньку почали розгортатись добрі обрії довгожданого щасливого життя (М. Хвильовий).17
Die meisten umgangssprachlich konnotierten Feminina sind Movierungen mit den Suffixen -их- und -ш-, die sich in der ukrainischen Sprache unter dem Einfluss des Russischen verbreitet haben (vgl. Valjuch 2005: 121; Sulyma 1988: 11). Die Feminina auf -их- und -ш- hatten auch ursprünglich die Bedeutung ‚die Ehefrau von X‘, z.B.: лікарша – ‚дружина лікаря‘; учительша – ‚те саме, що вчителька‘, ‚дружина вчителя‘; ковалиха – ‚дружина коваля‘, кравчиха – ‚жінка, яка шиє вбрання‘‚ ‚дружина кравця‘ (vgl. Valjuch 2005: 121; Rudnyc'kyj 1992: 112, 117; Čak 1998: 6; Fedurko 2010: 440):
(7) Це ширило між перекупками, колишніми купчихами й казначейшею всякі непевні чутки (Б. Антоненко-Давидовоч).18
In der empirischen Studie wird untersucht, ob die Suffixe -их- und -ш- bei einigen BBZ neutral sind und ob diese als Einfluss des Russischen eingestuft werden können (vgl. Teil II, Kapitel 2.2).
Zu den Bezeichnungen бакалійниця, лікарша, кравчиха soll angemerkt werden, dass diese früher die Bedeutung ‚die Ehefrau von X‘ getragen haben, weil diese Berufe nur von Männern ausgeübt wurden. Heutzutage sind auch Frauen in diesen Bereichen tätig. Aus diesem Grund werden die Begriffe als weibliche Entsprechungen zu männlichen Formen verwendet. In den meisten Fällen jedoch mit verschiedenen stilistischen Konnotationen.
Das Suffix - ин -, das in der Sowjetzeit unproduktiv war, wird im heutigen Ukrainischen bei der Bildung von weiblichen BBZ wieder verwendet (vgl. Archanhel's'ka 2011b: 224; Stušov 2011: 14):
(8) Через півгодини нашого вибору продавчиня простягнула невеличкий пакетик, який оцінила у 109 гривень. (Катерина Денисюк. Iнтернет – газета „Укранїська правда“, 10.09.2010)19
So schreibt Ponomariv in seinem Blog: „ фотографиня - незвично, але відповідає законам українського словотвору, і до цього слова можна звикнути“20. Die mit diesem Suffix gebildeten Wörter ersetzen allmählich die Russizismen aus der Zeit der Sowjetunion, z.B. продавчиня „розм.“ statt продавщиця (vgl. Stušov 2011: 14). In der empirischen Studie wird untersucht, welche der beiden Bezeichnungen als neutral eingestuft wird und ob das Suffix - ин - als neutral bewertet wird (vgl. Teil II, Kapitel 2.3).
Aufgrund dieser Varietät von Suffixen haben sich im Ukrainischen verschiedene konkurrierende Formen von weiblichen BBZ herausgebildet. So gibt es beispielsweise bei einigen Bezeichnungen vier Varianten: директорка, дuректорша, директриня, директриса; докmорка, докmореса, докmорuха, докториця; bei anderen – drei Varianten: авторка, автореса, авториня; педагогиня, nедагогеса, педагожка; професорка, про ф есорша, nрофесориця; філософка, філософеса, філософиня; фотографеса, фотографка, фотографиня; продавчиня , продавниця, продавщиця; bei den meisten – zwei Varianten: шефка, шефиня; психоложка, психологиня; філологиня, філоложка; керівниця, керівничка; видавиця, видавчиня u.a. (vgl. Archanhel's'ka 2011b: 218; Kysljuk 2013: 116) . Es stellt sich die Frage, welche der folgenden Varianten den aktuellen Normen der ukrainischen Sprache entsprechen, welche stilistisch neutral sind und welche der Umgangssprache zugerechnet werden. Im empirischen Teil werden verschiedene Varianten weiblicher BBZ analysiert. Es wird untersucht, ob diese konkurrierenden Formen gleichgesetzt werden können (vgl. Teil II, Kapitel 2.3).
4 Sprachliche Bewertung durch die Wortbildung
4.1 Lexikalische Asymmetrien
Es gibt BBZ, die nur feminine oder maskuline Berufe bezeichnen bzw. keine Entsprechungen haben. Im Ukrainischen zählen hierzu beispielsweise die weiblichen Bezeichnungen праля, покоївка, медсестра (vgl. Čak 1998: 6; Mykytjuk 2015: 156):
(9) Полоще Зінька батькову сорочку… Не викручуючи, кидає її на потемнілий, добре вичовганий попередніми пралями лід і. . . починає старанно виминати її чоботом (Анатолій Шиян, Баланда, 1957, 19).21
(10) За Юзею йшла покоївка з кошиком, повним стрічок (Леся Українка, III, 1952, 674).
Diese Berufe wurden früher nur von Frauen ausgeübt, weshalb es hierzu keine maskulinen Entsprechungen gibt. Die meisten BBZ existieren jedoch nur in männlicher Form, da diese Berufe nur von Männern ausgeübt wurden, z.B. академік, токар, слюсар, інженер, монтер, механік, п i лот, столяр u.a. (vgl. Čak 1998: 5-6; Kysljuk 2013: 115; Mykytjuk 2015: 156; Hinzburh 2012: 20). Eine wichtige Rolle spielt hierbei das Verbot vieler Berufe für Frauen22.
4.2 Semantische Asymmetrien
Bei manchen paarigen BBZ „bezeichnen Feminina und Maskulina unterschiedliche Berufe, oder die feminine Bezeichnung entspricht nur einer der Bedeutungen des Maskulinums“ (Keller 2001: 69). So bedeutet z.B. кравчиха – „жінка, яка шиє вбрання“ und „дружина кравця“ (Čak 1998: 6):
(11) Господиня хотіла показати нову спідницю, яку вона пошила сама – знайома кравчиха тільки допомогла їй викроїти (Семен Журахович, Опов., 1956, 158).23 Швачка – „шиє не взуття як швець, а плаття або білизну“ und „дружина шевця – не швачка, а шевчиха “ (Čak 1998: 6):
(12) Що б то був за швець, коли б усім на один копил чоботи шив! (Українські народні прислів'я та приказки, 1955, 61).
(13) Я була надворі та підмазувала призьбу, коли вгляділа, що до нас йде шевчиха Меланка (Агатангел Кримський, Вибр., 1965, 382).
(14) Бідна швачка взяла роботу — й перед самим святом, та ще мусить і за малу плату бути вдячна! (Леся Українка, III, 1952, 473);
Die BBZ акушерка bedeutet „жінка з середньою медичною освітою, що має право самостійно подавати медичну допомогу під час пологів“, die BBZ акушер aber – „лікар-фахівець з акушерства“ (VTS 2003: 12):
(15) Чи приїхала врешті вже Ліза? Якщо і досі не приїхала, то звернися.. до другої акушерки та поспитай у неї, що тобі робити (Михайло Коцюбинський, III, 1956, 143);
Interessant ist auch die BBZ рах i вник – „фахiвець iз рахiвництва“; aber das Wort рах i вниця bedeutet „простий лiчильний прилад“ (VTS 2003: 1016). Oder die BBZ друкар „[ф]ахiвець друкарської справи, полiграфiчного виробництва; [т]ой, хто працює в друкарнi“ und друкарка – „жiнка, що друкує на друкарськiй машинцi“ (VTS 2003: 250):
(16) Дріботливе стукання друкарок чути було ще на вулиці в розчинені вікна (Іван Ле, Міжгір'я, 1953: 380).
Wenn von einer Typografin und nicht von einer Schreibkraft die Rede ist, dann wird das generische Maskulinum verwendet:
[...]
1 Die Genderlinguistik beschäftigt sich „mit dem Zusammenhang von Sprache und Geschlecht und teilt sich in einen systemlinguistisch und einen pragmatisch-gesprächsanalytisch orientierten Flügel“ (Thielemann 2009: 1091). Systemlinguistisch orientierte Arbeiten wenden sich der Untersuchung „[der] im Sprachsystem vorhandenen Ausdrucksmöglichkeiten der außersprachlichen Kategorie ‚Geschlecht’ [zu]“ (ebd.). Pragmatisch-gesprächsanalytische linguistische Arbeiten untersuchen den geschlechtsspezifischen Sprachgebrauch bzw. das Kommunikationsverhalten (vgl. ebd.: 1092).
2 Für den englischen Begriff Gender im Sinne von sozialem Geschlecht gibt es im Deutschen bislang keine Entsprechung (vgl. Bußmann/Hof 1995: VIII; Kotthoff 2006: 2494). Der englische Terminus Gender bezog sich ursprünglich nur auf das grammatische Geschlecht der Substantive (vgl. ebd.).
3 Der Terminus „Frauensprache“ hat seinen Ursprung in Reiseberichten vom Dominikaner Breton und von Rochefort, die auf den karibischen Inseln im 17. Jahrhundert die Unterschiede in der Sprache der Männer und der Frauen beobachteten: die Männer benutzten verschiedene Ausdrücke, die die Frauen verstanden aber niemals gebraucht haben; andererseits verwendeten Männer keine Wörter und Redensarten von Frauen, um nicht lächerlich auszusehen (vgl. Jespersen 1925: 220; Günthner/Kotthoff 1991: 7, 8-9; Samel 2000: 23-24). Die Sprache der Männer wurde als die eigentliche „Sprache“ betrachtet, während die Variante der Frauen als abweichende „Frauensprache“ aufgefasst wurde (vgl. Günthner/Kotthoff 1991: 9). Der Begriff „Frauensprache“ wurde nach der Frauenbewegung aufgegriffen und auf die europäischen Sprachen übertragen (vgl. Samel 2000: 23).
4 Фемінітиви (фемінативи) – „це слова жіночого роду, альтернативні або парні аналогічним поняттям чоловічого роду […]: льотчик – льотчиця, письменник – письменниця, професор – професорка, директор – директриса тощо“. (URL: http://a-z-gender.net/ua/feminitivi.html)
5 Die BBZ sind im Ukrainischen in der Regel männlichen Geschlechts (vgl. Amir-Babenko 2007: 45; Archanhel's'ka 2013: 28-29). Sie können aber in der Gegenwartssprache sowohl in Bezug auf weibliche als auch auf männliche Personen verwendet werden (vgl. Amir-Babenko 2007: 45; Panzer 1999: 197; Anhalt-Bösche 1996: 59, 169-170). Das heißt, dass im Ukrainischen die maskuline (bzw. männliche) Form bei BBZ im generischen Gebrauch verwendet wird.
6 розм. – розмовне слово, заст. – застаріле слово
7 Unter dem Begriff „Purismus“ (Sprachreinigung) werden „die Bestrebungen verstanden, eine Sprache von (vor allem lexikalischen) Einflüssen einer, mehrerer oder aller anderen Sprachen zu ‚reinigen‘“ (Glück/Rödel 2016: 548).
8 Laut Pusch ist der Gebrauch des umfassenden Femininums, und zwar die „Totale Feminisierung“, der Weg zur Bildung einer „für beide Geschlechter gerechten und bequemen Sprache“ (Pusch 1990: 96).
9 Das grammatische Geschlecht des Substantivs wird im Ukrainischen an der Endung des Nominativs Singular markiert (Oleschko 2010: 24; Tafel 2009: 129; Amir-Babenko 2007: 3; Anhalt-Bösche 1996: 59; Rudnyc'kyj 1992: 10). Meistens sind Substantive, die auf einen harten Konsonanten, - о, - й enden, männlich, die auf - а, - я weiblich, und die auf -o, - е endenden sächlich (vgl. Amir-Babenko 2007: 4; Anhalt-Bösche 1996: 61, 170; Rudnyc'kyj 1992: 11).
10 Ohne Verfasser: Klasyfikacija imennykiv za rodamy. In: Internet pomoščnik. Online verfügbar unter URL: http://helpiks.org/2-118873.html
11 Bojko, Volodymyr: Žinka-juryst u sučasnomu sviti. In: Jurydy č na gazeta . Online verfügbar unter URL: http://yur-gazeta.com/publications/practice/inshe/zhinkayurist-u-suchasnomu-sviti.html
12 Zabužko, Oksana: Žinka-avtor u kolonial'nij kul'turi, abo znadoby do ukrajins'koji hendernoji mifologiji. In: Exlibris. Online verfügbar unter URL: http://exlibris.org.ua/zabuzko/r05.html
13 Paran'ko, Juliana (2014): Žurnalistka čy žurnalist, abo jak varto vykorystovuvaty feminityvy. In: Povaga. Online verfügbar unter URL: http://povaha.org.ua/zhurnalistka-chy-zhurnalist-abo-yak-varto-vykorystovuvaty-feminityvy/
14 Beispiel (1) ist aus SUM entnommen. Online verfügbar unter URL: http://sum.in.ua/
15 Beispiel (2) ist aus Maslova (2011: 55) entnommen.
16 Beispiel (3) ist aus Valjuch (2005: 120) entnommen.
17 Beispiele (4) - (6) sind aus Valjuch (2005: 120-121) entnommen.
18 Beispiel (7) ist aus Valjuch (2005: 121) entnommen.
19 Beispiel (8) ist aus Archanhel's'ka (2011c: 227) entnommen.
20 Ponomariv, Oleksandr: Bloh profesora Ponomareva. In: BBC. Online verfügbar unter URL: http://www.bbc.co.uk/blogs/ukrainian/ponomariv/2011/05/-----2.html
21 Beispiele (9) - (10) sind aus SUM entnommen.
22 In dem Erlass 256 vom 29 Dezember 1993 waren 450 Berufe für Frauen verboten, von denen vermutet wurde, dass sie der Frau gesundheitlich schaden könnten (Online verfügbar unter URL: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z0051-94). So hatte „[d]as Dokument [...] den Frauen faktisch die Freiheit der Wahl geraubt und für ihre ungleiche Stellung gegenüber Männern gesorgt“ (Online verfügbar unter URL: https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20171223318822183-berufsverbote-liste-frauen/). Erst am 13. Oktober 2017 hat das ukrainische Gesundheitsministerium die Liste der Berufsverbote für Frauen aufgehoben (Online verfügbar unter URL: https://espreso.tv/news/2017/12/21/zhinka_mozhe_vse_moz_skasuvav_obmezhennya_na_profesiyi_dlya_zhinok). Nach der Abschaffung dieses Gesetzes sind auch typische „Männerberufe“ für Frauen zugänglich geworden.
23 Beispiele (11) – (16) sind aus SUM entnommen.
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