Hausaufgaben Sonntag, 03. September 2000
Der österreichische Dramatiker Peter Turrini hielt seine Mahnrede „Liebe Mörder“, die ursprünglich als Festrede gehalten werden sollte, am 26. April 1995 zum Anlass der Republikgründung in Österreich vor 50 Jahren. Er bezieht sich auf im Februar 1995 verübte Bombenanschläge im Burgenland, bei denen 4 Roma uns Leben kamen. In seiner Rede versucht der Verfasser Ursachen für diese Taten zu finden um damit aufzeigen, dass es keine nachvollziehbare bzw. „begründete“ Ursachen für diese Tat gab. Veröffentlicht wurde diese Rede in der Wochenzeitung „Die Zeit“ am 5. Mai 1995.
Der erste gedankliche Abschnitt dieser Rede umfasst die Zeilen 1-4. Peter Turrini nennt den Anlass und die Adressaten seiner Mahnrede: Er richtet sich anlässlich der österreichischen Republikgründung vor 50 Jahren an die Attentäter, die wenige Monate vorher (Februar 1995) bei einer Bombenexplosion 4 Roma umbrachten. Aus diesem Grunde ist ihm nicht nach Geburtstag feiern zu Mute. Sprachlich fällt die Wortkreation „Menschensprenger“ auf, durch die der Verfasser Aufmerksamkeit beim Zuhörer bzw. Leser erzeugen will. Turrini erläutert, dass er sich mit dem äußert, „was ihm zur Verfügung steht: mit Worten.“ (Z. 3). Er verurteilt also den Sprengstoff als Methode, seine Vorhaben zu äußern und grenzt seine Methode, also die Worte, dagegen ab.
Der nächste Abschnitt reicht von Zeile 5-10. Er beginnt mit der Anrede „Liebe Mörder!“ (Euphemismus; Z.5). Hierin sind mehrere Absichten des Verfassers verborgen. Es dient einmal der Erzeugung von Aufmerksamkeit sowie der Provokation der Attentäter. Zum andern wird aber ebenso die Emotionalität des Verfassers deutlich, er zeigt sich von der Attentatsserie sehr erschüttert. Darüber hinaus klingt diese Anrede auch recht ironisch. Er fährt fort, dass er diese Mahnrede nicht verfasst hätte, wenn die Attentäter „nur ein paar vereinzelte Verrückte“ (Z.7) seien. Außerdem fürchtet er, dass seine Landsleute an dieses Problem keine Gedanken verschwenden. Turrini möchte also die Österreicher darauf aufmerksam machen, dass sie dieses Attentat nicht einfach verdrängen sollen, denn es besteht die Gefahr, dass diese Gewalt ausufert und unkontrollierbar wird. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Verfasser die Haltung seiner Landsleute als „gleichgültig“ (Z. 8) darstellt. Schließlich wird der Bevölkerung durch die Behauptung „Ihre vielen stillen und halblauten Zustimmer“ (Z. 9/10) indirekt unterstellt, die Attentäter in ihrem Handeln gegen die Zigeuner zu unterstützen.
Im folgenden Abschnitt (Z. 10-17) versucht Turrini, die Motive der Bombenleger für ihr Attentat zu finden. Er wendet sich direkt an die Mörder („Liebe Mörder“, Z. 10) und legt einen möglichen Grund dar: Die Hautfarbe der Roma, oder ihr andersartiges Verhalten. Angefügt fragt er, ob das die Bombenleger „unendlich reizt“ (Z. 12). In diesem „unendlich“ ist eine Angst Turrinis versteckt, dass die Gewalt gegen die Zigeuner wohl zu keinem Ende kommen wird, gleichzeitig wird abermals die Bevölkerung kritisiert, die sich außer Stande sieht, sich um das Problem zu kümmern. Die folgenden Ausführungen des Verfassers wirken ein wenig philosophisch. Er erläutert, dass genau das, was die Bombenleger an den Romas stört, „in ihrer eigenen Familie“ (Z. 13/14) sein kann, sie könnten es von „Großeltern oder Eltern“ (Z. 14) geerbt haben. Damit wird das, was die Attentäter zu vernichten gedenken, nicht weniger, letztlich vernichten sie nämlich sich selbst. Hiermit möchte der Verfasser den Mördern deutlich machen, dass sie mit ihren Bomben letztlich nur Gewalt gegen sich selbst anwenden. Die wichtigste Aussage ist aber, dass alle Menschen, egal woher sie kommen und wie sie aussehen, gleich sind.
Der nächste gedankliche Abschnitt reicht von Zeile 18-28. Turrini fährt mit der Motivsuche fort, jetzt aber in einem anderen Umfeld. Er bleibt seinem philosophischen Stil treu. Eine mögliche Ursache könnte die Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft sein. Daher sei „vielleicht alles taub“ (Z. 21) in den Attentätern und nur ein „großer Knall“ (Z. 21) könne vielleicht ein Weg zurück in die Gesellschaft sein. Diesen möglichen Wunsch der Mörder charakterisiert Turrini mit den Worten „Hoffnung“ und „Sehnsucht“ (Z. 23). Dies ist eigentlich ein Gegensatz. Denn: Menschen, deren Inneres taub ist, können keine Hoffnungen und Sehnsüchte haben. Den Attentätern soll also klar werden, dass sie mit ihrem Tun dieses Ziel nicht erreichen können, eher noch weiter aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Da ihren Mittätern dieses gleiche Schicksal widerfahren wird, stehen sie am Ende noch einsamer da.
Auch im nächsten Abschnitt (Z. 29-33) wird die Motivsuche fortgeführt. So könnten die Attentäter einen „Hass auf diesen Staat“ (Z. 29), also auf eine „wankelmütige demokratische Einrichtung“ (Z. 30) haben. Um den Mördern die Sinnlosigkeit ihres Denkens zu beweisen, bedient sich Turrini eines geschichtlichen Rückgriffs, nämlich des „Dritten Reichs“. Dieses System ist am Ende kläglich gescheitert. Dies verstärkt Turrini durch die Verwendung der Adjektive „still, zerstückelt, getötet“ (Z. 32/33), ferner soll dadurch das große Leid in der damaligen Zeit dargestellt werden. In Bezug auf das „Dritte Reich“ verwendet Turrini auch die Nominalisierungen „Starkes, Großes, Einmaliges“, die darlegen sollen, dass dieses System seine Daseinsberechtigung eindeutig verfehlt hat.
Der nächste gedankliche Abschnitt (Z. 35-40) ist der letzte, in dem nach Motiven gesucht wird. Zunächst räumt Turrini ein, dass seine zuvor vermuteten Gründe falsch sein könnten. Denn der Hass der Attentäter könnte sich gegen die Privilegierten richten. Dies versucht er an Hand eines Bildes zu erläutern: Der Privilegierte ist ein Bootsfahrer, der das andere Ende des Flusses erreicht hat und hinter sich eine Tür zusperrt. Die Attentäter seien dann „Ausgeschlossene, ohne Arbeit, ohne Platz, ohne Wohnung.“ (Z. 38/39). Es schließt sich die Frage des Verfassers an, warum die Bombenleger dann Romas umbringen, die also auf gleicher sozialer Stufe mit ihnen stehen. Turrini legt den Mördern also einmal mehr die Sinnlosigkeit ihres Anschlags gegen die Zigeuner dar, es gibt hierfür absolut keine nachvollziehbaren Gründe.
Der letzte Abschnitt der Mahnrede umfasst die Zeilen 41-50. Der Verfasser zieht ein Fazit seiner gehaltenen Rede. Er habe versucht, das Unfassbare dieses Attentats in Worte zu fassen. Seine Worte wirkten gegenüber der Gewalt der Attentäter „lächerlich“ (Z. 42). Doch letzten Endes führten nur Worte zu Fortschritten, deshalb beharre er darauf. Turrini schließt noch einmal an seine vorherige Motivsuche an und zeigt zum wiederholten Male auf, dass die Mörder keines ihrer möglichen Ziele erreicht haben: „Keinen neuen Staat und keine [Freundschaft mit] neuen Menschen.“ (Z. 45/46). Letztlich vernichten sich die Attentäter mit ihren Bomben selbst, da sich das, was sie hassen, in ihnen selbst befindet. Mit seinem letzten Appell „Reden Sie zurück!“ (Z.49/50) fordert Turrini von den Attentätern, sich von ihrer Gewalt zu distanzieren und mit Worten auf Turrinis Mahnrede zu antworten.
Mit dieser Rede richtet sich der Verfasser sicherlich nicht nur an die Attentäter selbst, sondern an alle Gewaltanwender allgemein. Obwohl diese Mahnrede bereits vor 5 Jahren gehalten wurde, kann die Aktualität als uneingeschränkt gegeben bezeichnet werden.
Nun erfolgt die Auseinandersetzung mit einem Zitat des Dramatikers Turrini: „Letztlich bringen uns nur die Worte weiter, das Reden und nicht das Zuschlagen, das Streiten und nicht das Sprengen.“ (Z. 43/44).
Zunächst einmal möchte ich Turrini widersprechen. Denn insbesondere die Staatsgewalt ist unvermeidlich. Hierfür lassen sich Beispiele aus der aktuellen deutschen Politik anführen. Würde man bei Aufmärschen von rechten und linken Gruppierungen tatenlos zusehen, würden diese sich prügeln und Sachschaden verursachen, also Gewalt anwenden. In diesem Fall wird also mit Polizeigewalt vorgebeugt. Darüber hinaus wird diskutiert, ob man die rechtsextreme NPD auf Grund ihrer möglichen Verstöße gegen die Verfassung, also auch einer Art Gewalt, verbieten soll. Dazu kann man sagen, dass in diesem Fall die Worte des Verbietens wenig weiter helfen würden. Denn: Es besteht die Gefahr, dass diese Partei ihre Aktivitäten in den Untergrund verlagert und somit unkontrollierbar wäre. Eine Gewaltanwendung wäre im folgenden also zu befürchten bzw. gar zu erwarten.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gründe, die These des Verfassers zu unterstützen. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich der Staat zur Durchsetzung seines Gewaltmonopols zwielichtiger oder gar illegaler Mittel bedient. In einem solchen Fall kann dann die Demokratie schnell in Frage gestellt sein und der Schritt zur Diktatur ist nicht mehr weit. Ein anderes Argument ist, dass in aller Regel allein der Stärkere einen Vorteil aus dem „Zuschlagen“ zieht. Um das zu veranschaulichen, braucht man sich nur einmal ein totalitäres Regime (z.B. Irak) vor Augen zu führen: Nur den Machthabern geht es gut, die Bevölkerung hingegen wird unterdrückt, gequält und muss mit großen Leiden kämpfen. Im übrigen kann die Gewaltanwendung als eine Art Teufelskreislauf betrachtet werden. Derjenige, dem Gewalt widerfährt, gibt diese an einen anderen weiter, der wiederum an einen anderen, usw.. Hat man es sich zum Ziel gesetzt, eine dauerhafte Abwesenheit von Gewalt zu erreichen, so ist das einzig und allein auf dem Weg der Diplomatie, also mit Worten möglich.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich weitgehend die Einschätzung des Verfassers teile.
- Arbeit zitieren
- Philipp Schneider (Autor:in), 2000, Turrini, Peter - Liebe Mörder!, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/98235