Was ist Chancengleichheit und wie kann sie in der Schule umgesetzt werden?
Um die Ungleichheit in der Schule zu bekämpfen, werden unterschiedliche Methoden und Lösungsansätze erarbeitet. Im Folgenden wird sich auf das Konzept der (offenen) Ganztagsschule beschränkt.
Was ist Chancengleichheit und wie kann sie in der Schule umgesetzt werden?
Vorangestellt eine kurze Definition zur Ungleichheit. Ungleichheit ist keine bloße Eigenschaft der Personen, sie ist „vielmehr ein Prozess, und zwar ein Prozess der Zuweisung, Ausgrenzung, Sortierung, der Anerkennung oder Ablehnung, Belohnung oder Bestrafung“ (Bargel, 1995, S. 4).
Dieser Prozess entscheidet darüber, wie viel Geld für eine Arbeit gezahlt wird, welche Note für welche Leistung vergeben wird, welche Berechtigungen damit verbunden sind, welche Wege noch offenstehen und welche endgültig verbaut sind. Die Schulen sind an diesem Prozess selbst beteiligt, obwohl sie es oft übersehen oder gar verdrängen (vgl. Bargel, 2003).
Um die Ungleichheit in der Schule zu bekämpfen, werden unterschiedliche Methoden und Lösungsansätze erarbeitet. Im Folgenden wird sich auf das Konzept der (offenen) Ganztagsschule beschränkt.
Was sind überhaupt Ganztagsschulen?
Das Konzept der Ganztagsschule ist kein neues Konzept. Es wurde schon 1968 in einem Gutachten des deutschen Bildungsrates erwähnt, welches darauf basierte, den individuellen Möglichkeiten der einzelnen Schüler besser zu entsprechen und die Chancen schwächerer zu erhöhen (vgl. Nordt, 2013). Die Entwicklung der Ganztagsschule ruhte jedoch lange Zeit und wurde erst durch die Veröffentlichung der PISA1 -Studienergebnisse Anfang des 20. Jahrhunderts vorangetrieben (vgl. Nordt, 2013). In dieser Studie wurde unter anderem deutlich, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund und Eltern aus bildungsfernen Schichten schlechtere Schulnoten haben, größtenteils die Hauptschule besuchen und seltener die Fachhochschulreife abschließen (vgl. Altert et al., 2001).
Die damit zusammenhängenden sozialen Ungleichheiten sind auf vier Erfassungsebenen erkennbar:
Erstens ist wie oben bereits erwähnt, deutlich geworden, dass Schülerinnen und Schüler aus bildungsfemeren Schichten oft andere, zum Teil schlechtere weiterführende Schulen besuchen und dadurch einen niedrigeren Schulabschluss erreichen. Zweitens sind schulinterne Leistungen schlechter, Schülerinnen und Schüler werden häufiger zurückgestuft und haben häufigere Fehlzeiten. Ebenso schneiden sie schulextern bei Vergleichsstudien wie PISA oder TIMMS2 schlechter ab. Auch erkennt man an ihren Interessen, welche häufig nicht das Lesen oder Geschichten schreiben betreffen, dass im Elternhaus nicht auf genannte Aktivitäten geachtet wird oder derartige vorgelebt werden. Durch die oft schlechten oder fehlenden Schulabschlüsse der Eltern und das scheinbar „gut funktionierende Leben zu Hause“, haben diese Schülerinnen und Schüler keine Motivation, höhere Schulabschlüsse zu erreichen und den damit verbundenen Mehraufwand zu leisten (vgl. Nordt, 2013).
Unwesentlich welche Kriterien zum Vergleich herangezogen werden: Fakt ist, dass die sozialen Ungleichheiten im Schul- und Bildungserfolg groß sind: „Es hängt im starken Maße davon ab, aus welchen Familien und Milieus die Kinder stammen, ob sie in der Schule erfolgreich sind“ (Bargel, 2003, S. 2).
Wie erkennt man als Lehrperson, welche Schülerinnen und Schüler von der Ungleichheit betroffen sind?
Es werden nun diverse Kriterien genannt, welche darüber Aufschluss geben, ob Schülerinnen und Schüler schwierig oder schwach sind.
Merkmale sind zum Beispiel schlechtere Sprachkompetenzen und schriftliche Ausdrucksfähigkeiten, unterschiedliche Interessen im Gegensatz zu den anderen Schülerinnen und Schülern, Lernschwierigkeiten, Umgang mit schulischen Anforderungen (Stören im Unterricht oder die Nicht-Einhaltung der Regeln) oder auch die Motivation überhaupt zur Schule zu gehen. Schülerinnen und Schüler, welche diese oder ähnliche Kriterien erfüllen, sind oft von der Chancenungleichheit betroffen und deren „Chancen an der Schule auf Erfolg, Lemgewinn und Bildung sind geringer“ (Bargel, 2003, S. 3).
Welche Ziele sollen mit dem Konzept der (offenen) Ganztagsschule erreicht werden?
Das Ziel des Bildungsministeriums undjeder einzelnen Schule sollte sein, dem oben genannten Problem entgegen zu wirken. Jedoch gewinnt man in Deutschland den Eindruck, dass das Schulsystem die Ungleichheiten nur verstärkt anstatt sie zu verringern.
Kann die (offene) Ganztagsschule zu diesem Ziel beitragen?
Die (offene) Ganztagsschule im Primarbereich wurde in NRW mit Beginn des Schuljahres 2003/04 eingeführt und beinhaltet ein ganztägiges Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsprogramm für Grundschulkinder auf freiwilliger Basis (vgl. Nordt, 2013). Der Begriff offen wird auf zwei Seiten umgesetzt:
Auf der einen Seite bieten Schulen das Angebot, die Ganztagsschule für ein Jahr zu buchen und einen Beitrag dafür zu zahlen. Es besteht also keine Verpflichtung, dieses Angebot zu nutzen. Auf der anderen Seite arbeiten Grundschulen mit anderen Vereinen, beispielsweise Musikschulen und Sportvereinen zusammen, um so die Integration der Kinder auf mehreren Ebenen zu unterstützen (vgl. Beher et al., 2005)
Zentrale Gestaltungselemente der (offenen) Ganztagsschule sind das Mittagessen, die Hausaufgaben, ein vielfältiges Angebot und freies Spiel (vgl. Beher et al., 2007).
Ziel der Ganztagsschule ist es, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern, die Bildungsqualität zu erhöhen und die Chancengleichheit zu unterstützen. Auf Schülerinnen- und Schülerebene soll dabei die individuelle Förderung unterstützt und die Bildungschancen aller Schülerinnen und Schüler verbessert werden. Hier wird der Fokus auf Schülerinnen und Schüler gelegt, welche aus bildungsfernen Schichten stammen. Dabei sollen Erziehung und Bildung nicht voneinander getrennt werden, sondern als ganzheitliches Konzept durchgeführt werden (vgl. Nordt, 2013).
Weitere Erwartungen an die Ganztagsschule sind beispielsweise aus Hausaufgaben, Schulaufgaben zu machen. Dies bedeutet, dass die Aufgaben in der Schule mit der Unterstützung von Lehrkräften, das heißt in der Ganztagsschule erledigt werden sollen. Hier soll vor allem der Chancenungleichheit entgegengewirkt werden, da manche Eltern durch die Hausaufgaben zeitlich überfordert sind und Schülerinnen und Schüler mit Eltern aus bildungsfernen Schichten oft keine Unterstützung von zu Hause bekommen können. Viele Schülerinnen und Schüler haben zu Hause das Problem, dass sie ihr Zimmer mit anderen Familienmitgliedern teilen müssen oder keinen eigenen Schreibtisch haben, um die Hausaufgaben ungestört und konzentriert zu bearbeiten. In der (offenen) Ganztagsschule wird für die Schülerinnen und Schüler eine Lemumgebung geschaffen, an die sie gewöhnt sind. Außerdem bekommen sie Unterstützung von Fachpersonal, welches die Lernentwicklungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler kennt (vgl. Bargel, 1995).
Können diese Ziele überhaupt umgesetzt werden? Oder überwiegen hier die Nachteile der (offenen) Ganztagsschule?
Amos (2008) kritisiert, dass das damalige Ziel der Ganztagsschule und der damit verbundenen Umsetzung der Chancengleichheit nicht mehr ein solidarisches ist. Heute geht es viel mehr „um Wettbewerb, um Leistung, Wissen und Können, um die optimale Entwicklung individueller Begabungen“ (Amos, 2008, S. 37).
Ebenso wird kritisch angefragt, ob Kinder, die Lemschwierigkeiten haben und von der Chancenungleichheit am stärksten betroffen sind und dessen Teilhabe an diesem Angebot am dringendsten ist, überhaupt an dem kostenpflichtigen Angebot teilhaben können.
Ergebnisse einer Umfrage zeigten, dass die Kosten für das Angebot der Ganztagsschule von Familien der unteren Schicht nicht getragen werden können und das Angebot hauptsächlich von der mittleren und oberen Schicht wahrgenommen wird, um Familie und Beruf zu vereinbaren (vgl. Beher et al., 2007).
Von Eltern negativ bewertet wird vor allem die Einschränkung der außerschulischen Freizeit und die Länge des Schulalltags, welcher für Grundschüler aufgrund des Alters sowieso schon oft als anstrengend angesehen wird (vgl. Holtapples, 2006).
Des Weiteren wird ein kritischer Blick darauf geworfen, ob das schlechte Abschneiden von Deutschland bei den PISA-Studien durch die (offene) Ganztagsschule verbessert wird und ob die „Ganztagsschule als angemessene und erfolgsversprechende Antwort auf die als dringend notwendig erachtete Leistungssteigerung der Schülerinnen und Schüler“ (Nordt, 2013, S. 13) gilt. Zu Beginn des Ausbaus der Ganztagsschulen gab es noch keine empirischen Befunde zur Leistungssteigerung durch Ganztagsschulen. Aufgrund der Tatsache, dass nur Befragungsstudien durchgeführt worden sind, können auch her keine Nachweise erbracht werden, ob die Ganztagsschule eine Steigerung der Lerneffekte darstellt, oder ob es dafür einen anderen Grund gab (vgl. Nordt, 2013).
Wirft man einen Blick zurück auf die Anfangsfrage, so lässt sich meiner Meinung nach resümieren, dass die Ganztagsschule zwar einen ersten Beitrag dazu leistet, die Chancenungleichheit in der Schule zu verbessern, jedoch müssten weitere Maßnahmen ergriffen werden. So besteht das größte Problem darin, dass das Angebot kostenpflichtig ist und sich viele Eltern von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund oder Familien aus niedrigeren Schichten diesen „Luxus“, die Kinder die Hausaufgaben in der Schule erledigen zu lassen und bestmögliche Chancen zu bekommen, nicht leisten können. Das Angebot sollte deshalb für alle Schülerinnen und Schüler vom Staat unterstützt oder die spgar in vollem Maße getragen werden. Nur damit ist es möglich, die Ganztagsschulen weiter zu verbessern und die Chancenungleichheit in der Schule zu überwinden.
Außerdem sollte meiner Meinung nach das Angebot und die Ziele der (offenen) Ganztagsschule transparenter gestaltet werden. Aus eigenen Erfahrungen in Praktika ging die Meinung hervor, dass das Ganztagsangebot nur für Schülerinnen und Schüler vorgesehen ist, deren Eltern am Mittag nicht zu Hause sind und daher eine Betreuung für ihre Kinder brauchen.
Ebenso sollte es ein einheitliches Konzept geben, nach dem Ganztagsschulen arbeiten. An zwei unterschiedlichen Schulen ist mir aufgefallen, dass sie schon im Kern verschiedene Ziele haben. So war es bei Grundschule A der Fall, dass die Schülerinnen und Schüler bei den Hausaufgaben oft nur durch Elternteile unterstützt wurden, welche selber wenig bis keine Kenntnis in diesem Bereich hatten. Auch kannten sie den Lernstand und die -entwicklung der einzelnen Kinder meist gar nicht, was ein großes Problem darstellt. In Schule B hingegen war es so, dass viel zu viele Schülerinnen und Schüler in einem Raum untergebracht wurden. So konnten sich die Lehrpersonen kaum Zeit für einen einzelnen Schüler oder eine einzelne Schülerin nehmen.
Abschließend lässt sich also sagen, dass die Ganztagsschule zwar ein gutes Grundkonzept zur Umsetzung von Chancengleichheit darstellt, esjedoch noch stark überarbeitet und an wirklich alle Schülerinnen und Schüler der einzelnen Schulen und ihren individuellen finanziellen und sozialen Voraussetzungen angepasst werden muss.
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1 Internationale Studie, in der Schülerleistungen verglichen werden (Dudenverlag, 2020).
2 International vergleichende Schulleistungsuntersuchung (Dudenverlag, 2020).
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2019, Heterogenität in der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/981502
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