Tanja Speckbruck
Die Absetzung Kaiser Friedrichs II. auf dem Konzil von Lyon 1245
Einleitung
Am 17. Juli 1245 berief Papst Innozenz IV. in Lyon ein allgemeines Konzil ein. Rund 150 Teilnehmer aus dem gesamten Bereich der lateinischen Kirche, größtenteils aus Frankreich, Italien und von der Iberischen Halbinsel, waren erschienen, um über Kaiser Friedrich II. Gericht zu halten. Zum einen hatte die Kirchenversammlung die Funktion eines Gerichtshofes, zum anderen repräsentierte sie die lateinisch-römische Kirche, vertreten durch den Papst. Dem Konzil vorangegangen waren zahlreiche und lang andauernde Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Papst Gregor IX. sprach am 20. März 1239 die zweite Exkommunikation über Friedrich II. aus. Mit fadenscheinigen Argumenten begründet, wurde der eigentliche Grund - der Konflikt mit den lombardischen Städten - eher verschleiert. Damit war die letzte Phase in diesem Kampf zwischen Kaiser und Kurie entfacht.
Friedrich II. reagierte mit verstärkten militärischen Aktivitäten in Oberitalien und reorganisierte die Verwaltung in Italien und dem Königreich Sizilien. Im Februar 1240 marschierte der Kaiser in den Kirchenstaat ein, im Juni versuchte er ein zweites Mal, Rom zu erobern, beziehungsweise durch militärischen Druck den Papst zum Frieden zu bewegen.
Inzwischen hatte sich die politische Lage zugespitzt. Gregor IX. berief für Ostern 1241 ein allgemeines Konzil nach Rom ein, um wichtige, die Kirche betreffende Angelegenheiten, zu beraten. Schon dieses Konzil sollte dazu dienen, den Kaiser abzusetzen.
Mit allen Mitteln versuchte Friedrich II., das Stattfinden des einberufenen Konzils zu verhindern. Eine temporäre Lösung fand er, als er am 3. Mai 1241 bei der Insel Montecristo die auf dem Seeweg anreisenden Konzilteilnehmer angriff und die genuesische Flotte besiegte. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und andere Geistliche ließ er einkerkern. Nachdem am 22. August 1241 Papst Gregor IX. verstarb, war dennoch keinesfalls ein Sieg für das weltliche Oberhaupt in Aussicht, vielmehr mußte die erneute Papstwahl abgewartet werden. Der in Rom herrschende Kardinal Orsini trieb die Papstwahl an, indem er die noch vorhandenen Kardinäle in ein Konklave einsperrte und zu einer Einigung zwang. Ende Oktober wurde Coelestin IV. gewählt, der allerdings nach 17 Tagen verstarb. Während der ein Jahr und acht Monate andauernden Sedisvakanz stieß Friedrich II. noch zweimal bis in die Nähe Roms vor.
Am 25. Juni 1243 wurde einstimmig der Genuese Sinibald Fiesco zum Papst gewählt, der sich Innozenz IV. nannte. Da der neue Papst, wenn auch nicht als Freund, so zumindest nicht als Feind des Kaisers gegolten hatte, begrüßte Friedrich II. die Wahl. Die nun folgenden Friedensverhandlungen endeten zunächst in einem vorläufigen Friedensvertrag, der am 31.
März 1244 geschlossen wurde und Friedrichs Lösung vom Kirchenbann beinhaltete sowie seine Räumung des Kirchenstaates, Kirchenbuße, Wiedergutmachung für die gefangenen Prälaten und Straflosigkeit für Anhänger der Kirche. Die Lombardenfrage blieb jedoch nach wie vor ungelöst und spitzte sich weiterhin zu.
Am 28. Juni 1244 flüchtete Papst Innozenz IV. von Sutri nach Civitavecchia. Über Genua gelangte er im Oktober nach Lyon, wo er für den 24. Juni 1245 ein allgemeines Konzil einberief. Noch am 6. Mai 1245 ordnete Innozenz IV. Friedrichs Lösung vom Kirchenbann an. Schließlich wurde in der letzten Sitzung des Konzils am 17. Juli 1245 die Absetzung Friedrichs II. beschlossen. In der Bulle ,,Ad Apostolicae Dignitatis" führt Innozenz IV. die Anklagepunkte, das Urteil und die Strafen auf und begründet die Absetzung des Kaisers.
Gleichzeitig gibt er eine Rechtfertigung sowie eine Legitimation für sein Handeln an.
Im folgenden soll untersucht werden, auf welchen Vorwürfen die Anklage basiert sowie welche Gründe und Beweise der Papst für die Absetzung Friedrichs II. anführt und wie er sie legitimiert. Eine kurze Gliederung und inhaltliche Darstellung der Bulle soll einen Überblick über den Gehalt geben. Danach wird explizit auf die einzelnen Punkte eingegangen. Die Anklagepunkte gegen Friedrich II. werden separat beleuchtet, schließlich das Urteil und die Strafen herausgestellt. Im Anschluß stellt sich die Frage nach der Legitimation Innozenz IV. und den Folgen für Kirche und Kaiser.
1. Die Bulle ,,Ad Apostolicae Dignitatis"
Die Bulle ,,Ad Apostolicae Dignitatis" ist in drei Abschnitte unterteilt. Der erste enthält neben einer allgemeinen Rechtfertigung die Vorgeschichte in Form eines Rückblicks auf die Vergehen Friedrichs, die ihm vorgeworfen werden und die zur Beweisführung dienen sollen. Im zweiten Abschnitt werden die einzelnen Anklagepunkte aufgeführt: Eidbruch, Friedensverletzung, Sakrileg und Häresieverdacht. Auffallend ist hierbei, daß sich die Punkte teilweise überschneiden oder wiederholen. Im letzten Teil folgt schließlich das Urteil und die dem Kaiser auferlegten Strafen.
Zu Beginn der Urkunde stellt Innozenz IV. eine allgemeine Rechtfertigung für sein Handeln heraus. Als Papst sei er von Gott eingesetzt über ,Gunsterweisen' oder ,Züchtigung' in der
christlichen Welt zu entscheiden. In rückblickender und chronologischer Form wird die Vorgeschichte zum Konzil beleuchtet, beginnend mit der Seeschlacht bei Montecristo und der Gefangennahme der geistlichen Prälaten durch Friedrich II. im Mai 1243. Dabei werden die Friedensverhandlungen betont, die der Papst angestrengt, Friedrich II. jedoch vehement abgelehnt hätte. Der am 31. März 1244 (Gründonnerstag) vom Kaiser abgelegte und nicht befolgte Eid, sich den Weisungen der Kirche zu fügen, kommt ebenfalls im ersten Abschnitt zur Sprache. Im folgenden werden die Vergehen des Kaisers dargestellt, die anschließend im einzelnen spezifiziert werden. Zum Abschluß wird das Urteil verkündet und auch die Strafen werden noch einmal separat dargestellt. Prägnant ist, daß Innozenz IV. den Kaiser an keiner Stelle beim Namen nennt, sondern nur als Fürsten bezeichnet. Daraus läßt sich schon zu Beginn der Bulle folgern, daß der Papst ihm seine Titel aberkennt und wie das Urteil schließlich ausfallen wird.
2. Anklagepunkte
2.1 Eidbruch
Als ersten Anklagepunkt führt die Bulle mehrfachen Eidbruch auf. Allerdings erweist es sich als kompliziert, Klarheit über die Häufigkeit dieser Vorwürfe zu gewinnen. Zunächst ist in der Bulle von mehrfachen Eidbrüchen die Rede, am Ende des Abschnitts, der diesen Anklagepunkt behandelt, heißt es ,,drei Eide"1. Innerhalb dieses Abschnitts werden aber nur zwei Eidbrüche Friedrichs aufgeführt, die jeweils wiederholt werden. Daher muß die Suche nach dem dritten vorgeworfenen Eidbruch an anderer Stelle erfolgen. Der erste angeführte Eidbruch wird noch im Bereich der Vorgeschichte erwähnt und bezieht sich auf den Friedensvertrag vom 31. März 1244, den Friedrich II. durch seine Gesandten, den Grafen von Toulouse, Petrus von Vinea und Thaddeus von Suessa, abgelegt hatte. Dieser Vertrag beinhaltete, daß Friedrich II. sich des Papstes ,,und der Kirche Weisungen zu fügen"2 hatte. Im Gegenzug zu seiner Lösung vom Kirchenbann sollte Friedrich II. den Kirchenstaat räumen, Kirchenbuße in Form von Entschädigungen leisten, außerdem sah der Vertrag eine Wiedergutmachung für die gefangenen Prälaten vor. Diesen Eid hatte Friedrich trotz der Fristenregelung für die Beilegung der ersten Exkommunikation laut römischem Recht nicht befolgt: ,,Denn ein Jahr und mehr verstrichen, ohne daß er zur Einheit mit der Kirche hätte zurückgerufen werden können."3 Offensichtlich wiegt für den Papst dieses Vergehen so schwer, daß er es laut Bulle separat abhandelt und nicht mit den anderen Delikten Friedrichs II. aufzählt.
Erst im zweiten Abschnitt spezifiziert die Bulle die Anklagepunkte. Der an dieser Stelle
zuerst aufgeführte Eidbruch bezieht sich auf den Lehnseid für Sizilien am 1. April 1212. Dieser wiegt um so schwerer, als Friedrich II. ihn bei seiner Wahl zum römischen König am 5. Dezember 1212 in Frankfurt wiederholt hatte. Es folgt schließlich der dritte Eidbruch in Form der Nichteinhaltung seiner Anerkennung aller kirchenpolitischen Forderungen Innozenz` III. am 12. Juli 1213 in Eger, die Friedrich II. bei seiner Kaiserkrönung in Rom am 22. November 1220 ebenfalls erneuert und bestätigt hatte.
2.2 Verletzung des Friedens
Nach einem Einschub, der sich auf ein von Friedrich begangenes Sakrileg bezieht, auf das noch näher eingegangen wird, wird in der Bulle ,,Ad Apostolicae Dignitatis" im nächsten Abschnitt der Vorwurf einer Friedensverletzung behandelt. Gemeint ist der Frieden von San Germano-Ceprano im Juli 1230. Dieser Friedensschluß hatte die Aufhebung des Kirchenbanns zum Inhalt. Im Gegenzug unterstand die sizilische Geistlichkeit nicht mehr der staatlichen Gerichtsbarkeit und war befreit von allen Steuern. Des weiteren sollte der Kaiser auf das Recht der Zustimmung bei Bischofswahlen verzichten. Vorgeworfen werden Friedrich II. außerdem Verstöße gegen Anhänger der Kirche und des Papstes im sizilischen Königreich und gegen Rechte der Kirche in Sizilien wie zum Beispiel die Verhinderung der Wiederbesetzung von Kirchen, Klöstern und Abteien.
2.3 Sakrileg
Als erstes Sakrileg führt der Papst von Friedrich versandte Drohbriefe an Gregor IX. und diverse Kardinäle an. Wie bereits in der Vorgeschichte erwähnt, habe Friedrich II. die Legaten, die auf dem Weg zum vom Papst einberufenen Konzil waren, gefangen nehmen lassen4. Päpstliche Territorien, im speziellen die Mark Ancona und Benevent und andere in der Lombardei und Toscana, habe der Kaiser besetzen lassen und außerdem habe er einen neuen Treueeid von seinen Untertanen verlangt.
Als schwerwiegender Anklagepunkt in diesem Zusammenhang kann auch Friedrichs Mißachtung der Schlüsselgewalt der Kirche, beziehungsweise des Papstes, gewertet werden. Die Stellung des Papstes als Nachfolger Christi habe der Kaiser nicht anerkannt. Dieses Privilegium unterstreicht Innozenz IV. mit einem Zitat aus dem Matthäus-Evangelium 16,19, mit dem er seine von Gott gewollte Stellung betont. Friedrichs Ignorieren seiner Exkommunikation fällt ebenfalls unter diesen Punkt, was Innozenz IV. noch vorher als Eidbruch tituliert hat. An dieser Stelle wird besonders deutlich, inwieweit die einzelnen Anklagepunkte sich überschneiden.
Nach dem Einschub, der sich auf die Verletzung des Friedens bezieht, wird in der Bulle weiter auf den Anklagepunkt des Sakrilegs eingegangen. So führt Innozenz die Beschlagnahmung kirchlicher Güter seitens Friedrichs II. an5 . Friedrich habe sakrale Gegenstände beschlagnahmt und von der Kirche zurückkaufen lassen. Darüber hinaus habe er Steuern von Geistlichen erhoben. Im Anschluß werden die Geschehnisse bei Montecristo am 2. Mai 1241 noch einmal detailliert beschrieben6.
Dieser Anklagepunkt des Sakrilegs, im katholischen Kirchenrecht das Entweihen gottgeweihter Personen, Gegenstände und Orte kann als der gravierendste aufgefaßt werden. Auffallend ist, daß zwar schon an vorheriger Stelle Vergehen solcher Art beschrieben werden, aber erst beim Erwähnen der Geschehnisse bei Montecristo explizit als Sakrileg benannt werden: ,,Sicher ist auch, daß er ein Sakrileg begangen hat"7. Dieser Umstand erweckt den Eindruck, daß die Kirche Sakrilege als schwerwiegend betrachtet, als spezifizierten Anklagepunkt aber nur vage formulieren kann. Zumal sich die Vorwürfe im Grunde wieder auf die Verletzung des Friedens von San Germano-Ceprano beziehen.
2.4 Häresieverdacht
Mit den vorgenannten Punkten geht der Häresieverdacht einher, der Friedrich II. auf dem Konzil abschließend vorgeworfen wird. Von Innozenz III. konstruiert wurde die Häresie des Ungehorsams, derer sich der Kaiser schuldig gemacht habe. Unter den Häresieverdacht fällt auch die oben angeführte Mißachtung der kirchlichen Schlüsselgewalt und seiner Exkommunikation. Im folgenden werden seine Beziehungen zu den Moslems aufgeführt.
Dieser Punkt wird explizit dargestellt und reicht von der Freundschaft zu den Sarazenen, ihren Philosophen, über die Sarazenengarde, die sich in seinem Haus aufhält, bis hin zu seinem Vertrag mit dem Sultan Al Kamil von 1244, der für die Christen von Nachteil sein sollte, und der Verheiratung seiner Tochter Konstanze-Anna mit Johannes Ducas Vatatzes, dem griechischen Kaiser von Konstantinopel. Außerdem wird ihm vorgeworfen, er habe den Herzog Ludwig von Bayern im Jahre 1213 durch Assassinen umbringen lassen.
Der Häresieverdacht wird im weiteren dadurch begründet, daß Friedrich II. ,,keinen Wert darauf legte, gute Werke zu leisten"8, wie es vage formuliert wird, sondern er habe eher als Tyrann geherrscht. Diesem Vorwurf steht Friedrichs Ketzerpolitik gegenüber. Mit den Ketzergesetzen glaubte er offensichtlich, den päpstlichen Ansprüchen auf Glaubensgehorsam zu genügen. Vor allem mit den Gesetzen von Februar und März 1232 stellte der Kaiser sich vermeintlich auf die Seite der Kirche. Allerdings legte er die Gesetze anders aus, als es der Papst tat. ,,Als er dann dem Papst von seinem Eifer gegen die Ketzer im regnum Mitteilung machte und von ihm Hilfe für ein gleichermaßen konsequentes Vorgehen in Italien wie im Imperium erbat, [...] da antwortete der Papst ihm voll Ironie und Bitterkeit, er warte seit langem leidenschaftlich darauf, daß den schönen Worten Taten folgen möchten, und verwies es ihm, daß er unter dem Vorwand der Häresie Gläubige, die vielleicht mit Beleidigung des Königs geirrt hätten, aber darum noch lange keine Ketzer gewesen seien, verbrannt habe; das sei Beleidigung der Majestät Gottes und schände den Kaisernamen."9
Die Aufzählung der einzelnen Vergehen abschließend wird noch ein weiterer Punkt erwähnt, der sich nicht in die anderen Anklagen einreihen läßt. Nicht einzuordnen ist der Vorwurf der Tyrannei über Sizilien, der einher geht mit dem von Friedrich nicht bezahlten Lehnstribut für Sizilien an die Kirche. Durch den Konjunktiv in der Formulierung ,,Man könnte ihm auch noch mit Recht vorwerfen"10 entsteht der Eindruck, daß dieser unkonkrete Vorwurf, der schließlich nur vage angedeutet wird, unterstreichen soll, inwieweit der Kaiser seine Stellung mißbraucht habe.
3. Urteil und Strafen
Der letzte Abschnitt der Bulle enthält das Urteil und die auferlegten Strafen. Kraft seiner päpstlichen von Gott gewollten Stellung als Vertreter Jesu Christi setzt Innozenz IV. Friedrich II. als Kaiser und als König von Sizilien und Jerusalem ab. Der Vasalleneid und der Untertaneneid werden aufgehoben. Als weitere Strafen sieht die Bulle die automatische Exkommunikation der Anhänger und Getreuen Friedrichs II., beziehungsweise aller, die ihm gehorchen, vor. Außerdem setzt der Papst Neuwahlen des römischen Königs an. Einzig ungeklärt bleibt die Frage nach dem sizilischen Königreich. Eine Entscheidung über Sizilien wird auf unbestimmte Zeit aufgeschoben.
4. Fazit: Legitimation Innozenz' IV. und Folgen der Absetzung
Nachdem der Papst seinen Urteilsspruch vor der Kirchenversammlung verkündet hatte, herrschte seitens der Anhänger Friedrichs große Bestürzung. ,,Der Herr Papst aber und die anwesenden Prälaten verfluchten mit angezündeten Kerzen den Kaiser, der nicht mehr Kaiser genannt werden soll, auf schreckliche Weise, ließen sodann ihre brennenden Kerzen sinken und löschten sie aus, während sich die Sachverwalter des Kaisers bestürzt entfernten. Der Papst aber sagte vor allem Volke: ,Was meine Aufgabe war, habe ich getan; jetzt möge Gott in diesen Dingen tun und die Sache weiterführen, wie es ihm beliebt!'"11 Dieser Ausspruch Innozenz` IV. ist bezeichnend für seine Legitimation. Als Stellvertreter Jesus Christi auf dem Apostolischen Stuhl sieht er seine Aufgabe darin, die kaiserliche Würde alstranslator imperii zu vergeben und schließlich zu nehmen, sollte das weltliche Oberhaupt sich als nicht würdig erweisen, wie es bei Friedrich II. offenkundig der Fall sein sollte. Doch ob es tatsächlich ihm oblag, darüber zu entscheiden, ist fragwürdig. Vielmehr entsteht anhand der Bulle der Eindruck einer päpstlichen Willkür, was die vage Erwähnung einer möglichen Schuld Friedrichs am Tod Ludwig des Bayern unterstreicht. Sollte dieser Umstand der Wahrheit entsprechen oder beweiskräftig genug sein, stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum Friedrich II. dann nicht wegen Mordes oder zumindest Beihilfe zum Mord angeklagt wird.
Der Investiturstreit, der seit 1056 währte, sollte theoretisch durch die Goldbulle von Eger vom 12. Juli 1213 endgültig beigelegt werden. Friedrich II. verzichtete auf sein Regalien- und Spolienrecht, auf die Anwesenheit des Königs bei Bischofswahlen, auf sein Vetorecht bei strittigen Wahlen und erkannte alle kirchenpolitischen Forderungen Innozenz` III. an Otto IV. an. Die ,,Confoederatio cum principibus ecclesiasticis" vom 26. April 1220 manifestierte das mittelalterliche, von Gott gegebene Herrschaftsverhältnis zwischen Papst und Kaiser, das eine Gleichrangigkeit der zwei Gewalten beinhaltete. Diese Vorstellung sah die Zwei-Gewalten- Lehre vor, der ein Nebeneinander von geistlicher und weltlicher Gewalt zugrunde lag. Wie es im Sachsenspiegel formuliert wurde, bestand die mittelalterliche Staatstheorie darin, daß der Kaiser mit weltlichem Recht manifestieren sollte, daß dem geistlichen Oberhaupt Gehorsam geleistet wurde. Natürlich war diese Theorie ein Wunschbild, dennoch war die ,Confoederatio cum principibus ecclesiasticis" ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Gleichrangigkeit beider Herrscher. De facto versuchten Kirche und Reich immer noch mit allen politischen Mitteln dem anderen die Entscheidungsgewalt abzuringen. Die Theorie von der Zwei- Gewalten-Lehre nutzte Innozenz IV. dahingehend aus, daß Friedrich II. seinen Aufgaben in geistlicher Hinsicht nicht nachgekommen sei. Mit der Absetzung des Kaisers gewann der Papst einen entscheidenden Sieg im Investiturstreit, der zu dem Zeitpunkt offensichtlich keinesfalls beigelegt war.
Innozenz IV. legitimiert sich selbst in der Bulle ,,Ad Apostolicae Dignitatis" als von ,,Gottes Majestät [...] zur Höhe der apostolischen Würde erhoben".12 Dies führt er noch weiter aus, indem er sein Privileg als Nachfolger Petri durch Zitieren aus dem Matthäus-Evangelium 16,19 unterstreicht:
,,Was immer du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was immer du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein" (Mt 16,19)13. Noch einmal am Ende der Bulle aufgeführt, gewinnt dieses Zitat zunehmend an Gewicht für die Legitimation Innozenz IV., den Kaiser abzusetzen. Dieses Zitat ist als Gelenkstelle zu sehen, womit der Papst seine Befugnis, den Kaiser abzusetzen, darlegt. Innozenz setzt damit sein Recht zur Einsetzung des Kaisers mit dem Recht zur Absetzung desselben gleich. Daß die Krönung im ursprünglichen Sinne die feierliche Einführung des von Gott auserwählten in sein Amt bedeutete, wird dabei außer Acht gelassen.14 Durch das Konzil von Lyon gewinnt der Papst an einer Superiorität gegenüber der weltlichen Herrschaft, die nicht ohne Folgen geblieben sein dürfte. Als wesentlicher Punkt verwirft der Papst mit der Absetzung Friedrichs II. von allen seinen Ämtern die unmittelbare Trennung von Kaiser und deutschem Königstum.
Gleichzeitig befiehlt er die Neuwahl, allerdings ist es fraglich, ob eine freie Wahl durch die deutschen Fürsten dann noch gewährleistet sein kann.
Die Folgen für Friedrich II. liegen auf der Hand, wurden die ihm auferlegten Strafen in der Bulle doch klar formuliert. Seine erste Reaktion, als er von dem Urteil hörte, war Zorn und wenig Akzeptanz. ,,,Dieser Papst hat mir meine Krone geraubt. [...] Laßt uns sehen, ob Meine Kronen verloren sind!' Als er aber eine gefunden hatte, setzte er sie auf sein Haupt, und, so gekrönt, erhob er sich und sprach drohenden Blickes und mit furchtbarer Stimme, unersättlichen Herzens laut und öffentlich: ,Noch habe Ich Meine Krone nicht verloren und werde sie weder durch die Anfeindung des Papstes noch durch den Beschluß der Kirchenversammlung ohne blutigen Kampf verlieren.'"15 Seine Krone hatte Friedrich II. tatsächlich verloren, doch den Kampf gegen die Kirche nahm er auf. In Italien und vor allem im Königreich Sizilien fand er genügend Anhänger. Doch seine militärischen Aktionen waren trotz aller Brutalität nicht von Erfolg gekrönt.
Die Verschwörung im März 1246 unter der Führung des Tibaldo Francesco, der die Ermordung Friedrichs II. und seines Sohnes Enzo geplant hatte, konnte Friedrich vereiteln. Allerdings mußte er hinnehmen, daß sein langjähriger Generalvikar und engster Vertrauter abtrünnig war. Nachdem im Mai 1247 auch Parma abgefallen war, war die endgültige Niederlage Friedrichs II. vorprogrammiert. Schließlich wurde im Februar 1249 Petrus de Vinea, langjähriger Logothet, wegen Verrats verhaftet, Friedrich überstand einen Giftmordversuch und drei Monate später wurde sein Sohn Enzo gefangengenommen.16 Bis zu seinem Tod am 13. Dezember 1250 in Castel Fiorentino führte der abgesetzte Kaiser seinen Kampf gegen die Kurie unerbittlich, aber vergeblich fort.
Literaturverzeichnis
Domeier, Victor: Die Päpste als Richter über die deutschen Könige von der Mitte des 11. bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, Aalen 1969
Kaiser Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, hrsg. u. übersetzt v. Klaus J. Heinisch, 6., unveränd. Aufl., Darmstadt 1978
Schaller, Hans Martin: Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt, Zürich 1991
Selge, Kurt-Victor: Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Probleme um Friedrich II., hg. v. Josef Fleckenstein (Vorträge und Forschungen, Bd. 16), Sigmaringen 1975
Wolter, Hans und Holstein, Henri: Lyon I/ Lyon II. Aus dem Französischen übersetzt v. Hans Wolter bzw. Ansgar Ahlbrecht. (Geschichte der ökoumenischen Konzilien, Bd. 7) Mainz 1972
[...]
1 Wolter, Hans und Holstein, Henri: Lyon I/ Lyon II. Aus dem Französischen übersetzt v. Hans Wolter bzw. Ansgar Ahlbrecht. (Geschichte der ökoumenischen Konzilien, Bd. 7) Mainz 1972, S. 283.
2 Ebd., S. 282.
3 Ebd., S. 281.
4 Ebd., S. 282.
5 Vgl. ebd., S. 284.
6 Vgl. ebd., S. 285.
7 Ebd.
8 Ebd., S. 286.
9 Selge, Kurt-Victor: Die Ketzerpolitik Friedrichs II., in: Probleme um Friedrich II., hg. v. Josef Fleckenstein (Vorträge und Forschungen, Bd. 16), Sigmaringen 1975, S. 336.
10 Wolter, Hans und Holstein, Henri: Lyon I/ Lyon II. Aus dem Französischen übersetzt v. Hans Wolter bzw. Ansgar Ahlbrecht. (Geschichte der ökoumenischen Konzilien, Bd. 7) Mainz 1972, S. 286.
11 Kaiser Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, hrsg. u. übersetzt v. Klaus J. Heinisch, 6., unveränd. Aufl., Darmstadt 1978, S. 601.
12 Wolter, Hans und Holstein, Henri: Lyon I/ Lyon II. Aus dem Französischen übersetzt v. Hans Wolter bzw. Ansgar Ahlbrecht. (Geschichte der ökoumenischen Konzilien, Bd. 7) Mainz 1972, S. 280.
13 Ebd., S. 283.
14 Vgl. Domeier, Victor: Die Päpste als Richter über die deutschen Könige von der Mitte des 11. bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, Aalen 1969, S. 78.
15 Kaiser Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, hrsg. u. übersetzt v. Klaus J. Heinisch, 6., unveränd. Aufl., Darmstadt 1978, S. 601 f.
16 Vgl. Schaller, Hans Martin: Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt, Zürich 1991, S. 78 ff.
- Citar trabajo
- Tanja Speckbruck (Autor), 1999, Die Absetzung Kaiser Friedrichs II. auf dem Konzil von Lyon 1245, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97907
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