Die Explosion der Farben
Arles 1888-1889
1888 flüchtete Vincent vor der triste Melancholie des Pariser Winters nach Arles. Kurz nach seiner Ankunft schreibt Vincent an seine Schwester :"Ich habe hier japanische Kunst nicht nötig, denn ich stelle mir vor, daß ich in Japan bin und nur meine Augen zu öffnen und zu nehmen brauche, was ich vor mir habe." Danach richten sich auch einige Bilder mit japanischen Motiven, wie zum Beispiel ,,Blühender Pfirsichbaum" (siehe Seite 20), entstanden im März 1888. Es zeigt einen blühenden Baum, der durch Zäune vorm Mistral des Mittelmeers geschützt ist. Dabei symbolisiert der blühende Baum Vincents Optimismus und ist zugleich Symbol seiner eigenen Wünsche und Projektionen.
Neben japanischen Motiven malt Vincent vor allem Bildmotive aus Lebensräumen in und um Arles. Eines dieser Bilder ist die ,,Brücke von Langlois" (siehe Seite 21 unten), von der mehrere Versionen entstehen. Diese Version entstand im Mai 1888 und zeigt eine große Fläche Himmel, eine kleine Wasserfläche und nur wenige Gegenstände, die durch die Farbexperimente van Goghs zusätzlich unter Spannung gesetzt werden. Man betrachtet die Brücke mit einem distanzierten Blick und nimmt die Passanten nur als Schattenwesen war. Die Farbgebung ist viel mit Weiß untersetzt, was auf den Impressionismus hindeutet. Trotzdem weist das Bild auch auf den Expressionismus hin, da die Farben durch ihre expressive Ausstrahlung den Blick des Betrachter auf die konkreten Gegenstände zwingt. Außerdem ist die Komposition übersichtlich und die einzelnen Motive sind klar voneinander zu trennen. In einer früheren Fassung vom März des Jahres (siehe Seite 21 oben) gibt es große Wasser- und Himmelflächen. Die Bildgegenstände wurden hier gestochen scharf gemalt und scheinen selbst zu leuchten, dass durch den Rotton, der in allen Farben enthalten ist, verursacht wird. Der Betrachter wird dabei verbindlich und teilnahmslos auf die konkreten Gegenstände gerichtet, was bei Vincents späteren Werken immer häufiger auftritt. In Arles entdeckt Vincent eine neue Form der Tonmalerei, bei der Tonmalerei und Farbautonomie eins sind. Die Farbeautonomie wird dabei durch den Koloritaufbau und über Variationen einer Farbe und deren Töne erreicht, die Farbe entspricht dabei nicht der
Wirklichkeit. Mit dieser Technik ist Vincent jetzt sogar besser als sein Meister Delacroix. Für Vincent ist die Farbe Ausdruck des individuellen Malers, einer Vorstellung von der Wirklichkeit in der Psyche des Malers. Dabei werden Licht, Schatten, Reflexe und Brechungen der Farbe unterdrückt, da sie ihren Ursprung in der Wahrnehmung und nicht in der Vorstellung haben. Es gibt keine bestimmende Farbe, weil sie Wirklichkeit nicht angemessen abbildet, sondern weil sie die Vehemenz der Aussage verstärkt. Die Farbe kann auch nicht objektiv nachgeprüft werden, da sie nur subjektiv zu erklären ist. Dies prägt sich aber erst später deutlicher bei Vincent aus und ist jetzt nur in Ansätzen zu erkennen, wie bei dem Bild ,,Ansicht der Ebene Crau", das im Juni 1888 entsteht (siehe Seite 20). Dabei legt Vincent sein ganzes Interesse auf Erscheinung und voller Intensität der Farben, aber mit der Abschwächung zum zarten Blau ist die Abbildung an der Wirklichkeit orientiert. Durch eine Zigeunerwanderung in Saintes-Maries-de-la-Mer im Juni 1888 wird Vincent zu dem Gemälde ,,Boote von Saintes-Maries" inspiriert. Bei dem Bild wird das Meer an den Rand gedrückt und dient nur für Exaktheit der Dinge, dabei ist das Meer fast identisch mit dem Himmel. Bei diesem Bild, was von den Lebensraum an der Küste handelt, gestaltet Vincent ein Panorama des Sichtbaren und legt vor allem Wert auf die Beschaffenheit der Dinge.
Die Autonomie der Farbe geht also nicht mit der Autonomie der Form einher. Formen, Konturen und Oberflächenbeschaffenheit haben einen Bezug zur Wirklichkeit. Zitat von Vincent :,,Zwar wende ich der Natur absolut den Rücken zu, wenn ich eine Skizze zu einem Bild umarbeite, die Farbe bestimme, vergrößere oder vereinfache, aber was die Form anbetrifft, habe ich Angst, vom Wirklichen abzuweichen, nicht genau zu sein.", weiter ,,Ich erfinde eben nicht das ganze Bild, im Gegenteil, ich finde es fertig vor, aber es muß aus der Natur herausgelöst werden.". Um das zu erreichen nähert sich Vincent den Dingen mit Skizzen von exakten Detailaufnahmen, dabei sind konkrete Motive stets Grundlage und Korrektiv seiner Darstellung. Die Farbe zieht sich aber nur wie eine Folie über das Bild, da sie rein nach ihrer Wirkung im Bild gewählt ist.
Im Sommer 1888 beschäftigt sich Vincent sehr oft mit dem Problem der Nachtmalerei und ganz eng damit verbunden, mit dem Farbtonproblem. Vincent wird auf dieses Problem durch ein Schlüsselerlebnis bei einem Nachtspaziergang ans Meer aufmerksam. Zitat vom ihm dazu :"Es war nicht heiter, es war nicht trauchig, es war schön." Diese Stimmung mit spärlichen vor dunklen Horizont Licht, stellt später oft in seinen Gemälden dar.
Um sich an Arbeiten mit künstlichen Licht zu gewöhnen, schlief Vincent eine halbe Woche nur tagsüber für das Gemälde ,,Nachtcafé an der Place Lamartine", welches im September 1888 entstand (siehe Seite 22). Es zeigt Betrunkene, die einsam am Tisch sitzen, einen Billardspieler und in einer Ecke ein verstohlenes Liebespaar, also alle Personen der Hoffnungslosigkeit, Außenseiter wie er. Die Farben Rot und Grün spiegeln die menschliche Leidenschaft im Bild wieder. Die nächtliche Stimmung wird dabei nur durch Assoziation von Einsamkeit, Leid und Verzweiflung dargestellt, nur die gelblichen Aureolen der Lampen erinnern noch an die Nacht. Deshalb gilt das Nachtcafé nur als Zwischenschritt der Nachtmaler von Vincent.
Mit dem Gemälde ,,Nachts vor dem Café an der Place du Form in Arles", September 1888 (siehe Seite 22), wagt Vincent den Schritt ins Freie. Das Bild zeigt die unter dem Sternenhimmel hell erleuchtete Caféterrasse, die mit ihrem rötlichen Gelb im Komplemtentärkontrast zum nächtlichen Dunkelblau steht. Ein starker Tiefsog in die schwarze Mitte des Bildes entsteht durch nahezu parallel leuchtende Linien über den Türsturz im Vordergrund, dabei setzen sich die Pergola und das Häusergebiet durch ihre einladende Helligkeit zusätzlich von dem dunklen Ambiente ab. Die nächtliche Szenerie wird durch die spotartig beleuchtete helle Stelle, Sterne am Himmel und dazu den Komplementärkontrast erreicht.
Nachts mit Kunstlicht zu malen ist Vincent eigene Erfinden und ein krasser Gegensatz zur Lichtmalerei des Impressionismus. Er betont die Präzision des Blickes auf schummrige Gegenstände, wo die Luftmalerei eigentlich ihr Aufgehen in diesiger Atmosphäre schätzt. Vincent sagt dazu:" Die Nacht ist lebendiger und reicher an Farben als der Tag." Durch unklar erkennbare Dinge werden erst darstellende Genauigkeit und Phantasie von Vincent angespornt. Die Nachtmalerei wird Vincent bis zu seinem Tode begleiten, aber der Höhepunkt wird ,,Die Sternennacht" (siehe nächstes Kapitel und Seite 31) sein.Keine nächtliche Aufnahme, aber in den selben Farbengehalten, ist das ,,Gelbe Haus", das Vincent im September 1888 malt (siehe Seite 23). Für Vincent ist Gelb die wichtigste und symbolbeladenste Farbe, deshalb läßt er auch das ,,Gelbe Haus", ihn dem er wohnt, wie in seinem Gemälde gelb anstreichen.
Ganz anders ist dagegen ,,Die Rhonebrücke bei Trinquetaille" (siehe Seite 23), das er im Oktober 1888 fertig stellt. Dabei verzichtet Vincent nämlich fast vollständig auf Farbe. Bei der Betrachtung des Bilde zeigt sich ein gegensätzliches Spiel aus dem linearen Geflecht auf der linken Seite und dem übergeordneten großen und ruhigen Flächen rechts. Das Bild weist dabei die spärlich Farbgebung der frühen holländischen Werke auf, das Motiv stammt aber aus der Pariser Zeit und die extreme Verzerrung des Raumes und die wirre Perspektive zeigt den Weg den Vincent in den nächsten Jahren bei seinem Gemälden gehen wird. Die Treppe im Vordergrund wirkt wie ein unwiderstehlicher Tiefensog in ein Loch für die Unterführung.
Es bildet den Kontrast zu dem schwankenden Gleichgewicht der Stahlbrücke, die nach unten zu kippen droht. Diese Expressivität steht für den zerbrechlichen Ruhestand und die fragile Balance. Vincent malt wie ein Expressionist in Bezug auf die Behandlung des Raumes, die Behandlung der Farbe läßt ähnliche Schlüsse zu, denn sie ist hauptsächlich Träger des Ausdruckswillens.
Bei dem ,,Sämann", der im Juni (siehe Seite 24) und November (siehe Seite 24) entsteht, gibt es keine Parallelen in Intensität der Farben, in Kühnheit der Farbgebung und in Vehemenz des Farbauftrags. Die riesige pastose Scheibe, die die Sonne symbolisiert, taucht denn ganzen Hintergrund in ein sattes Gelb. Der Vordergrund ist für die bestimmte Kontratswirkung dunstig blau und schimmernd violett gemalt, was der exakten Vertauschung der Realität gleichkommt. Diese Bild kann man aber trotzdem nicht als abstrakt bezeichnen, da die konkrete Wirklichkeit als Grundlage dient. Die Farbe zieht sich nur als Ausdrucksmittel über das Bild, was die eigentliche Expressivität Vincents widerspiegelt. Vincent zeigt hier einen Ausschnitt aus Wirklichkeit, aber interpretiert gleichzeitig mittels der Farbe und Komposition. Diese Interpretation im Kontrast zur konkreten Erscheinung zeigt Vincents Ausdruckswillen und gibt seine temperamentvollen malerischen Gesten preis. Dabei zieht sich die 2.Wirklichkeit, die rein subjektiv ist, über die 1..Van Gogh malt diese Bilder nur wegen der Vorfreude auf Gaugin für seinen Künstlerzirkel. Diese Abhängigkeit wird ihm später zum Verhängnis.
- Arbeit zitieren
- Dirk Plotzki (Autor:in), 1999, Vincent; Explosion der Farben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97847
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