Die Arbeit soll sich anhand von vier Betrachtungsweisen der Poetizität, als charakteristische literarische Sprachverwendung, widmen. Die Bestimmung gewisser Kriterien für den Literaturbegriff ist eng verknüpft mit dem Konzept der Poetizität bzw. Literarizität. Die Poetizität/Literarizität gilt als ein aus dem zwanzigsten Jahrhundert resultierendes Phänomen, welches die Selbstreferenzialität von Sprache betrachtet und in der literaturwissenschaftlichen Forschung hinsichtlich mehrerer Perspektiven zugänglich ist. Bis heute gelten Bezug nehmend darauf die Auslegungen von Roman Jakobsen als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung damit.
Die Bestimmung gewisser Kriterien für den Literaturbegriff ist eng verknüpft mit dem Konzept der Poetizität bzw. Literarizität. Die Poetizität/Literarizität gilt als ein aus dem 20. Jahrhundert resultierendes Phänomen, welches die Selbstreferenzialität von Sprache betrachtet und in der literaturwissenschaftlichen Forschung hinsichtlich mehrerer Perspektiven zugänglich ist. Bis heute gelten bezugnehmend darauf die Auslegungen von Roman Jakobsen als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung damit. Die folgende Ausarbeitung soll sich anhand von vier Betrachtungsweisen der Poetizität, als charakteristische literarische Sprachverwendung, widmen.
„Der Begriff Poetizität beruht auf der Annahme, dass es Texte gibt, in denen formale Elemente identifiziert werden können, die als ‚poetisch’ erfahren werden bzw. Poetizität vermitteln und die in anderen Textsorten nicht vorkommen.“1 Dahingehend lässt sich der literarische Begriff der Poetizität als eine Abweichung von der Norm nicht-poetischer Texte verstehen, indem besonders darauf geachtet wird „ob das gewählte Wort ästhetisch im Kontext der Wörter befriedigend ist, mit denen es kombiniert wird.“2 Indem Poetizität eine kreative Dimension der Sprachverwendung in Abgrenzung zur Alltagssprache aufwirft, „ergibt sich somit ein Kontinuum, bei dem das Poetische als Gegenpol zu anderen Sprachvarianten gilt.“3 Dabei wird untersucht, ob gewisse linguistische Phänomene, beispielsweise innerhalb der Phonetik oder Semantik, als zielführende Indikatoren des Poetischen erblickt werden können. Somit werden semantische Spektren hervorbringende Sprachzeichen, also Konnektoren, durch den Vergleich literarischer/poetischer und nicht-poetischer Texte einer genaueren Analyse unterzogen. Beispielhaft für die Untersuchung wird von Ravetto und Ballestracci der potentielle Poetizitätsindikator „also“, „als ein nicht positionsbeschränkter Adverbkonnektor“4, herangezogen, indem der Roman „Der Prozess“ von Franz Kafka und sowohl schriftliche als auch mündliche Teilkorpusse miteinander verglichen werden.
In Kafkas Roman der Prozess profilieren sich eine erhebliche Deutungsvielfalt und unauflösliche Ambiguitäten, die sowohl die inhaltlich-thematische Dimension als auch die sprachliche Ebene betreffen und die sich (...) als konstitutive Aspekte eines poetischen Textes erweisen.
Der Konnektor „also“ nimmt innerhalb des Romans ein breites Gebrauchsspektrum ein. Dahingehend wird er beispielsweise als zusammenfassender, erläuternder oder verknüpfender Konnektor verwendet, kommt aber auch hinsichtlich des Gebrauchs „semantischer Ambiguitäten“ zum Einsatz, welche aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit oftmals schwer eine kausale Interpretation zulassen. Im Gegensatz zum Roman, weist „also“ hinsichtlich dessen syntaktischem und semantischem Potenzial, in nicht-literarischen Texten, ein eher reduziertes Gebrauchsspektrum vor. „Anders als im Text von Kafka verbindet dieses also -Verknüpfungsformat fast immer Konnekte mit derselben Form, [wie beispielsweise, F.H.] zwei dass -Sätze.“5 Zudem lässt der Konnektor zumeist nur die Positionierung an der gleichen Stelle des Satzes zu und dient eher einer konklusiven und erläuternden Funktion, während „Im Prozess“ ein gewisses semantisches Potenzial von „also“ erkannt werden kann. Nicht-literarische Textkorpora weisen demnach eine geringere Variation syntaktischer Funktionen, Formate und Bedeutungen auf.6 Innerhalb der Untersuchung wurde das häufigste Aufkommen des Konnektors innerhalb des mündlichen Teilkorpusses beobachtet, wobei sich aber zeigte, dass „der Gebrauch von also nur im literarischen Text von Kafka einen hohen Variabilitätsgrad aufweist.“7 Ein hoher Variabilitätsgrad verweist in Hinsicht auf poetische Texte auf ein hohes Spektrum an Variation des Sprachgebrauchs. „In ihrem syntaktischen Verhalten, ihrer Funktion und Semantik weisen die Konnektoren nämlich Eigenschaften auf, die mit den für poetische Texte als typisch betrachtenden Merkmalen zusammenfallen (...).“8 Eben solche Eigenschaften bilden sich in der funktional und semantisch-lexikalischen Mehrdeutigkeit und der damit einhergehenden Ambiguität (Jakobson), der Erzeugung vielschichtiger, bisweilen widersprüchlicher Bedeutungen (Dobstadt) oder der funktional hohen Belastung (Breindl / Volodina /Waßner).9 Besonders die mit der Mehrdeutigkeit verbundene Eigenschaft der Ambiguität und die mit der Sinnstiftung gekoppelte Betrachtung der Bedeutungsebenen, bilden für Jakobsen bedeutende Aspekte des komplexen Geflechts poetischer Texte. Anhand der Analyse, haben es sich Ravetto und Ballestracci zum Ziel gesetzt, Konnektoren als sprachliche Indikatoren und somit als Mechanismen poetischer Gestaltung eines Textes herauszustellen.
Zentral für die poetischen Texte sind also die Vernetzungen von evozierten Bildern, die Verknüpfungen von Wörtern, Sätzen und Textausschnitten. Als verknüpfende Einheiten sind Konnektoren wichtige und nützliche Mittel, die dazu beitragen, die Beziehungen bzw. die Relationen zwischen den Texteinheiten explizit herzustellen und so das gesamte poetische Geflecht zu konstituieren und zu entfalten.10
Simone Winko bettet den Begriff der Poetizität in eine literaturwissenschaftliche Diskussion ein, indem sie besonders die hervorgebrachten Auslegungen von Roman Jakobsen thematisiert und diese den Positionen der 1970er bis 1990er Jahren gegenüberstellt. Dahingehend vergleicht Winko die Frage nach einem Kriterium, welches alle literarischen Texte miteinander vereint mit der Suche nach der Weltformel.11 In einer vorangestellten Begriffserklärung, stellt sie zunächst die Bedeutungen von Literarizität und Poetizität in der Vordergrund, welche in der Literaturwissenschaft oft synonym gebraucht werden. „[Im umfassenden Sinne, F.H.] sind >Literarizität< und >Poetizität< austauschbar, so dass die Frage nach den sprachlichen Kandidaten für Literarizität auch als Frage nach den typisch poetischen Merkmalen des Sprechens gestellt werden kann.“12 Oftmals gilt das Poetische eines Textes aber auch als Untergruppierung des Literarischen oder wird, ähnlich wie bei Ravetto und Ballestracci, mit dem Konzept der Ästhetizität kongruent verwendet. Letztlich führen beide Begrifflichkeiten im Sinne literarischer Texte eine gewisse Haltung gegenüber der Praxis des Umgangs mit ihnen herbei. Im Zuge der Betrachtung des Spezifischen der Literatur und der poetischen Funktion der Sprache, wird die wohl bekannteste und wissenschaftsgeschichtlich folgenreichste Auffassung von Roman Jakobsen resultierend aus den 1960er Jahren betrachtet.13 Die poetische Funktion ermöglicht dabei, als dominierender Bestandteil fünf weiterer Funktionen der Sprache, „die unmittelbare Erfahrbarkeit der Zeichen“14 und bewirkt „die viel diskutierte Entautomatisierung der Wahrnehmung.“15 Dabei spricht er von gewissen Äquivalenzbeziehungen auf der Bedeutungsebene, besonders von semantischen Einheiten, in welche das Poetische eines Textes stets eingebettet ist. Indem Übereinstimmung bzw. Similarität als zentrales Element poetischer Texte erblickt wird, fungiert Mehrdeutigkeit/Doppeldeutigkeit, wie auch bei Ravetto und Ballestracci, als „notwendige[s] Merkmal von Texten mit dominanter poetischer Funktion, also von Literatur.“16 Die Literaritätskriterien- bzw. kandidaten, zur Bestimmung eines alle literarischen Texte inkludierenden Faktors, bilden sich für Jakobsen in der Wirkung der Entautomatisierung, der Äquivalenz, der poetischen Sprachfunktion und deren Dominanz, der Mehrdeutigkeit sowie der Konvergenz von Form, Ausdruck und Inhalt.17 Wie bereits erwähnt, bilden besonders die mit der Mehrdeutigkeit verbundene Eigenschaft der Ambiguität und die mit der Sinnstiftung gekoppelte Betrachtung der Bedeutungsebenen für Jakobsen bedeutende Aspekte des komplexen Geflechts poetischer Texte.
Jeder Text, jede sprachliche Äußerung birgt mithin literarisches Potenzial – das ist die überraschende, auf Positionen der Frühromantik verweisende (vgl. Weinrich 1988: 234) Pointe Jakobsons, durch die er die Poetizität/Literarizität der exklusiven Zuständigkeit einer Disziplin entzog und zum Gegenstand eines interdisziplinären Gesprächs machte.18
In Hinsicht auf die Poetizitätskandidaten des Kriteriums poetischer Abweichungen, des Merkmals der Äquivalenz und der dominierenden poetischen Sprachfunktion, wurden in den 1970er Jahren Einwände und Kritiken an Jakobsens Auslegungen vorgenommen. Dahingehend äußert Paul Werth, neben Roland Posner und Jonathan Culler, seine Kritik im Zuge der von Jakobsen aufgezeigten Äquivalenzstrukturen, indem er diese als Charakteristikum der Sprache generell und weniger des literarischen Sprechens erkennt.19 Auch wenn die These des Merkmals der Mehrdeutigkeit literarischer Texte und das Charakteristikum der poetischen Sprachfunktion in keiner Weise zurückgewiesen wurde, herrscht aber eine Kritik hinsichtlich der fehlenden Operationalisierbarkeit der Dominanz des poetischen Effekts in literarischen Texten vor. Die 1969 von Roland Posner postulierte Auffassung von Poetizität fußt auf einem umfangreichen Beitrag von Walter A. Koch und umfasst den Versuch Poetizität im Sinne eines semiotisch-linguistischen Modells zu begreifen.20 „Für Koch beruht Poetizität >>auf Texteigenschaften, die explizit von der Metaphysik oder der Metasprache behandelt werden<<.“21 Dahingehend nimmt er metaphysische, metasprachliche und ästhetische Strukturierungen eines Textes vor, die er um das Kriterium der poetischen Information ergänzt. Auf diese Weise grenzt sich Koch von der Annahme textlicher stilistischer Besonderheiten ab und spricht von „informationellen Strukturen in Form >>konkret-metaphysischer Themen<<, die z.B. Annahmen über die Verfasstheit des Universums oder die Bedingungen des Menschen (...) betreffen.“22 Den funktionalen Aspekt der Poetizität stärker betonend, sprechen sich Hans Ulrich Gumbrecht, Michel Foucault und Siegfried J. Schmidt für ein neues Poetizitätskonzept aus. Dieses soll konkret leseorientierter Beschaffenheit sein. Letztlich lässt sich aber sagen, dass die Diskussionen der 1970er Jahre innerhalb des Suchens notwendiger sprachlicher Kriterien für Poetizität gescheitert zu sein scheint. Indem in den 1980er Jahren eher die generelle sprachliche Ebene betrachtet wird, sprach man von universalen Bedingungen für Sprache und Schreiben. „Sprache zeichne sich demnach durch Eigenschaften aus, die traditionellerweise als >literarisch< bzw. für den besonderen Sprachgebrauch in literarischen Texten typisch angesehen wurden (...).“23 Dahingehend wurde hier nicht von einem die Sprache literarischer und nicht-literarischer Texte unterscheidendem Merkmal gesprochen. Obwohl demnach innerhalb der Texttypen keine hinreichenden Unterschiede erblickt werden, sind diese trotzdem zu unterscheiden. Paul de Man vertritt hierzu eine neubegründete Definition des Literarischen. „Literarische Texte werden dann als solche bestimmt, in denen diese Eigenschaften der Sprache nicht oder weniger stark durch diskursive Vorgaben reglementiert werden.“24 Die rhetorische Form eines literarischen Textes wird dem/der Rezipienten*in dabei erst innerhalb des literarischen Sprechens bewusst. Die Konsequenzen der Auslegungen betrachtend, kann von gegenläufigen Auffassungen gesprochen werden, indem zum Einen das Sprechen in literarischen und nicht-literarischen Texten prinzipiell als gleich dargestellt wird und zum Anderen Literarizität bzw. Poetizität als ästhetisches, wertvolles und Mehrdeutigkeit produzierendes Merkmal von Sprache angesehen wird. „Jeder Text kann nach dieser Auffassung als Literatur wahrgenommen werden, je nachdem, mit welcher Einstellung und unter welchen situativen Vorgaben er gelesen werde.“25 Für das Erkennen eines Textes als literarisch ist es demnach von Bedeutung, individuelle, situative und konventionelle Faktoren der poetischen Textverarbeitung einzubeziehen, um ein Zusammenspiel von Text-, Kontext- und Leser*innenfaktoren schaffen zu können.26 Letztlich sind aber alle Ansätze der Annahme, dass Literarizität/Poetizität keine inhärent nachweisbare Eigenschaft von Texten ist. Besonders in Zuge kognitionswissenschaftlicher Untersuchungen wird sich viel mehr auf das Textverstehen an sich fokussiert. Dahingehend wird auch die Beschaffenheit der Texte und das Verstehen dieser als nicht ausschlaggebend für das Poetische angesehen. Doch für diese zunächst als nichtig angenommene Eigenschaft der Literarizität von Texten sprechen sich David S. Miall und Don Kuiken in den 1990er Jahren aus, indem sie ein Drei-Komponenten-Modell vorschlagen, welches die sprachliche Beschaffenheit von Texten mit einbezieht. Als diese drei Komponenten gelten vordergründig stilistische oder narrative Merkmale, verfremdete Antworten der Leser*innen und die konsequente Änderungen persönlicher Deutungen. Diese Komponenten sollen verdeutlichen, dass die Verarbeitungsprozesse im Lesen durch die sprachlichen Eigenschaften der Texte durchaus mitbestimmt werden.27
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1 Ballestracci, Sabrina, Miriam Ravetto: Spracheliche „Indikatoren“ von Poetizität: das Beispiel von Konnektoren. In: Dobstadt, Michael, Marina Foschi Albert (Hrsg.): Poetizität Interdisziplinär. Poetizität/Literarizität als Gegenstand interdisziplinärer Diskussion: Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Loveno di Menaggio: Villa Vigoni Editore 2019, S. 155-178, hier: S. 155.
2 ebd., S. 156.
3 ebd.
4 ebd., S. 159.
5 ebd., S. 166.
6 vgl., ebd., S. 177.
7 ebd., S. 157.
8 ebd.
9 vgl., ebd.
10 ebd., S. 158.
11 vgl. Winko, Simone: Auf der Suche nach der Weltformel. Literarizität und Poetizität in der neueren literaturtheoretischen Diskussion. In: Jannidis, Fotis, Gerhard Lauer, Simone Winko (Hrsg.): Grenzen der Literatur. Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin: Walter de Gruyter 2009, S. 374-396, hier: 374.
12 ebd., S. 376.
13 ebd., S. 378.
14 ebd.
15 ebd.
16 ebd., S. 379.
17 vgl., ebd.
18 Dobstadt, Michael, Marina Foschi Albert (Hrsg.): Poetizität Interdisziplinär. Poetizität/Literarizität als Gegenstand interdisziplinärer Diskussion: Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Loveno di Menaggio: Villa Vigoni Editore 2019, S. 5.
19 Winko 2009, S. 380.
20 vgl., ebd., S. 382.
21 ebd., S. 382.
22 ebd., S. 383.
23 ebd., S. 385.
24 ebd.
25 ebd., S. 386.
26 vgl., ebd., S. 387.
27 vgl., ebd., S. 388.
- Quote paper
- Helene Fraas (Author), 2020, Die Poetizität der Sprache, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/978222
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