Hans Peter HUBER
Der Ochse
2000
Versuch einer kulturgeschichtlichen Darstellung
1.1. Vorwort
Der Ochse: Viel zitiert, zumeist sprichwortlich, ein Nutztier besonderer Art. Denn anders als der GroBteil der heute bekannten Haustiere hat der Ochse kulturgeschichtlich eine wesentlich umfassendere Bedeutung als gemeinhin bekannt.
Diese Arbeit versucht, ein wenig Licht ins Dasein dieses heute eher eine unbedeutende Rolle spielenden Tieres zu bringen. Der Leser moge sich nicht allzuviele Gedanken uber den Nutzen der folgenden Texte machen, eher schon daruber, ob nicht schon im Vorfeld der Themenauswahl fur eine Facharbeit es von Bedeutung ist, sich nicht leichtfertig einer spontanen Idee hinzugeben, sondern vielleicht auch schon vor Festlegung der zu bearbeitenden Thematik Qualitat und Quantitat des eventuell zu Verfugung stehenden Arbeitsmaterials zu prufen.
Denn uber den Ochsen gibt es heute mehr Spruche als Literatur!
Selbst das heute als Informationssystem so hochgelobte World-Wide-Web ist eine wenig ergiebige Quelle fur die vorliegende Arbeit gewesen, wenn man die Vielzahl der erlangten Treffer hinsichtlich der Kochrezepte und Restauranttips auBen vor laBt.
Das ein oder andere Rezept wird der Verfasser dem Leser naturlich nicht vorenthalten. AufschluBreichster Treffer im Internet war eine Arbeit zur Kalkulation der Wirtschaftlichkeit der Ochsenmast im Vergleich zur Bullenmast von der TU Munchen, aber davon spater mehr.
Es wird also uber viele Textpassagen hinweg bei MutmaBungen bleiben, tiefergehende Erkenntnisse bleiben oft versagt, angesichts der Wichtigkeit der Thematik wird das aber zu verschmerzen sein...
Der Ochse: Kulturgeschichtliches Relikt, seit Jahrtausenden Begleiter des Menschen, Opfer- und Nutztier, symboltrachtig und wohlschmeckend.
1.2. Die Frage der Fragen
Eine Kollision von Mathematik, Geschichte und kulinarischer Entdeckung. Oder darf man einfach 2 und 2 zusammenzahlen?
Mathematiker wissen bekanntlich, daB es erlaubt ist, seine eigene Mathematik zu machen; Begrundung ist alles! ?
So trug es sich Anfang des 5. Jahrhunderts vor Christus in Unteritalien zu, berichtet Athenaus (ein griechischer Schriftsteller), daB der aus Samos stammende griechische Philosoph Pythagoras aus Dankbarkeit und Freude uber die Erkenntnis, daB im rechtwinkligen Dreieck die Summe der Kathetenquadrate das Quadrat der Hypothenuse ergibt, mehrere Ochsen geopfert hat.1
Nun hort man aus der Geschichte des Hochmittelalters von einer landwirtschaftlichen Revolution. Da ist es plotzlich moglich, Pferde zu beschlagen, das Kummet wird erfunden, man ist also in der Lage, statt der (vorweggenommen) storrischen Ochsen, die leichteren und schnelleren Pferde fur die Feldbearbeitung in der neu erfundenen und arbeitsintensiveren Dreifelderwirtschaft einzusetzen.
1467 dann schlieBlich, als der Erzbischof von York und Kanzler von England, George Nevell, seine Amtseinsetzung feierte, standen auf dem Einkaufszettel der Kuche unter anderen Delikatessen sage und schreibe 104 Ochsen zur Besorgung aufgefuhrt.2 Was war geschehen, woher dieser Wandel fur den Ochsen?
1.2.1. Die Frage aus der Frage der Fragen
Ist es erlaubt, aus diesen drei innerhalb einer fur heutige MaBstabe relativ groBen geschichtlichen Zeitspanne zugegebenermaBen willkurlich ausgewahlten Sachverhalten, einfach einen nach heutigen DenkmaBstaben vielleicht logisch klingenden RuckschluB zu ziehen?
Darf man einfach sagen: ,Der Ochse hat als Arbeitstier ausgedient, es ist jetzt kein Opfer mehr, ihn zu schlachten, also kann man ihn ruhigen Gewissens verzehren?'
1.2.2. Erste Antwort
Es liegt sicherlich auf der Hand, solch einen RuckschluB zu ziehen, der Verfasser warnt aber vor Schnellschussen. Denn die Geschichte lehrt, wie noch aufgezeigt werden wird, daB Zusammenhange oft schlussig klingen, aber insgesamt in der Realitat kaum so undifferenziert erscheinen, wie in Kapitel 1.2. aufgefuhrt.
Um die Sachverhalte wie oben angefuhrt differenziert betrachten zu konnen ist es notwendig, erstens den Faktor Mensch und damit verschiedene geschichtliche Quellen mit einzubeziehen, und zweitens einige Begriffe zu definieren. Erst wird es moglich sein, der Antwort ein Stuck weit naher zu kommen.
2.1. Begriffsbestimmungen
2.1.1. Allgemein
Der Ochse zahlt in der Zoologie zur Gattung ,Rind', ist also ein Horntier. Es heiBt im Witte- Berufsschullexikon: ,Das Rind ist das alteste und wichtigste Haustier. Es stammt vom Auerochsen ab und liefert Milch, Fett, Fleisch, Haute fur Leder und Knochen fur Leim. Junge Tiere heiBen Kalb, mannliche Tiere Stiere oder Bullen, kastrierte Tiere Ochsen, das weibliche Rind heiBt Kuh.3
Nun sind Definition und Erklarung aus diesem Lexikon eher Allgemeinplatze, deuten aber schon im ersten Teil (altestes und wichtigstes Haustier) auf eine Jahrtausende alte Tradition hin. AuBerdem wird hier schon ein wichtiger Aspekt deutlich: Die Bedeutung des Rindes allgemein fur die primare und sekundare Ernahrung. (Bemerkenswerterweise ist im o.a. Lexikon das Stichwort Ochse selbst uberhaupt nicht aufgefuhrt.)
Auf Grund der zwar umfassenden, aber doch zu ungenauen Definition des zitierten Lexikon wurde ,Der groBe Brockhaus' bemuht, in dem es unter dem Stichwort ,Ochse' schlicht heiBt: ,Kastriertes mannliches Rind.'4
Hier schon wird ein Dilemma deutlich: Der Ochse selbst spielt im eigentlichen Reigen der ,Nutztierfamilie Rind' offensichtlich nur eine Nebenrolle, wenn auch eine recht bedeutende.
Es ist deshalb nicht moglich, den Begriff ,Ochsen' zu definieren, ohne zunachst Allgemeines zum Begriff ,Rind' kennengelernt zu haben. Erst dann kann dargestellt werden, weshalb es Ochsen gibt. Denn der Ochse ist, wie aus der Brockhaus-Definition zu schlieBen ist, ,vom Menschen gemacht'.
2.1.2. Das Rind
Auf zoologische Details und evolutions- bzw. zuchtungsbedingte Entwicklungsformen des Rindes wird hier bewuBt verzichtet, da sie fur die vorliegende Arbeit nur von geringer Bedeutung sind.
Ein Detail jedoch aus dem Kapitel ,Das Hausrind' scheint nicht unwichtig:
,[...] Der Haus-Buffel (d.V.: Eine Rindergattung) wird in den Reislandern, in S- und O-Asien, Vorderindien, S-RuBland, und den Mittelmeerlandern gehalten. Die jahrl. Milchleistungen betragen 1000 - 4000 kg mit hohem Fettgehalt. [...]'5
Dem Kapitel ist weiter zu entnehmen, daB verschiedene andere Gattungen uber die ganze Erde verteilt gezuchtet wurden und zunachst primar der Ernahrung der Menschen dienten. Krankheitsanfalligkeit, Milchleistung, Nahrungsaufnahme, Gewichtszunahme pro bestimmter Zeiteinheiten sowie Fettanteil spielen eine entscheidende Rolle bei Zuchtung und Haltung, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Bullen betragt ca. 10 Jahre, nur etwa 12% der mannlichen Rinder werden alter (Zum Vergleich: Ein Pferd wird bis ca. 40 Jahre alt, im Mittel 16 - 18 Jahre). Das Gewicht eines Tieres wird mit 600 - 700 kg beziffert (Zum Vergleich: Ein Pferd wiegt etwa nur 300kg).
Die Liste der Krankheiten, von der Rinder befallen werden, ist lang. Angefuhrt wird die Aufzahlung von der bekannten Maul- und Klauenseuche und Tuberkulose-Infektionen. Unterschieden werden muB zwischen Nutzungs- und Mastrassen. Dienen die einen Rinder zur primaren Ernahrung (Mast: Schlachtung), so dienen die anderen der sekundaren Ernahrung (Nutzung: Milcherzeugung, Fortpflanzung, Arbeit). 6
2.1.3. Der Ochse
Die groBe Frage! Die Literatur gibt sich beharrlich uninformativ.
Tatsache und unumstoBlich ist: Ein Ochse, so sagt schon die Definition des ,Brockhaus', ist ein kastriertes mannliches Rind. Aber wozu?
Ein RuckschluB gelang mit Hilfe einer Ausarbeitung fur das ,Bayerische Landwirtschaftliche Jahrbuch', erstellt von der TU-Munchen. Dort wurde am Beispiel der Mast die Rentabilitat bzw. Wirtschaftlichkeit der Ochsenmast mit der Bullenmast verglichen. Es stellte sich heraus, daB die Ochsenmast etwas teurer ist als die Bullenmast, die zu erzielenden Preise muBten um 0,30 DM/kg Lebendgewicht hoher liegen als die des Bullen.7
Die entscheidende Erkenntnis aber: [...] Die Gesundheitsprobleme sind geringer als in der Bullenmast und die Tiere verhalten sich ruhiger. [...]8
Nun stammt diese Erkenntnis aus dem Jahr 1991, Ochsen dagegen gibt es offensichtlich schon seit ein paar tausend Jahren...
Wann allerdings zum ersten Mal ein Rind kastriert wurde, mit welcher Motivation und wie das gemacht wurde, bleibt im Dunkel verborgen, es gibt hieruber keine beweisbaren Erkenntnisse, eher folgendes:
Uber die gesundheitlichen Aspekte wurde bereits berichtet, eine Reduzierung des Erkrankungsrisikos ware also offensichtlich ein ungeheurer Gewinn, also Motivation fur die Kastration des Rindes, aber ruhigeres Verhalten?
Das laBt sich schnell erklaren, denn ohne Frage ist es eine allgemeine Erkenntnis, daB der Sexualtrieb bei Tieren, insbesondere bei groBen Rassen, mit Aggressionen verbunden ist, die groBtenteils von der Gruppendynamik herruhren, also mit Herdentrieb und Vorherrschaftsbestreben (Hierarchie in der Herde) verknupft sind.
Einfache MaBnahme, groBer Effekt: Schaltet man den Sexualtrieb aus, sprich kastriert man den Stier, ist das Rind gezahmt, es kann vom Menschen ohne groBere Risiken gebandigt werden. Fur diese Erkenntnis bedurfte es offenbar keiner umfassenden wissenschaftlichen Studien, lebten doch unsere Urahnen ,recht nah' am Objekt und machten die entscheidenden Beobachtungen wohl fur sich selbst.
2.1.4. Domestizierung
Verschiedene Quellen ergeben hier verschiedene Daten uber die beginnende Haltung des Rindes als Haus- und Nutztier. Sicherlich besteht zunachst eine Verbindung mit der beginnenden Sesshaftigkeit der Menschen, die vielen Quellen zufolge um 7000 v.Chr. nachweisbar ist.
Der erste verlassliche Hinweis auf eine primare Nutzung des Rindes als Nahrungsmittel stammt aus dem Gebiet der heutigen Ukraine (s. Kap. 2.1.2.), wo bearbeitete Knochen von mehreren hundert Rindern auf kleinstem Gebiet gefunden wurden, die kurz vor der Eiszeit dort bearbeitet worden sein mussen.9
Eng mit der Sesshaftigkeit der Menschen ist die Art der Ernahrung und der Nahrungsbeschaffung verbunden. Wahrend der Eiszeit zogen die Menschen an den sudlichen Randern der Eismassen einfach mit den Herden, sie griffen zu, wenn ein Tier alt, schwach oder tot war, jagen muBten sie jedenfalls nicht. Zu Ende der Eiszeit aber verschwanden die groBen Herden, weil zuvor endlose Weideflachen sich wieder bewaldeten, die Zeit der Jager und Sammler war gekommen, damit die Steinzeit.
Hinweise fur diesen Prozess ergaben sich aus Funden in der Region des heutigen Iran, wo Archaologen Dorfer mit Ansammlungen von Getreide, Hulsenfruchten, Obst und Nussen aus einer Zeit von 7500 - 6700 v.Chr. fanden.
Allgemein wird dieser Prozess der gesamten mittleren Steinzeit zugeordnet, also der Zeit von 12000 - 8000 v.Chr.10
Und wo gepflanzt und angebaut wird, ubrigens naturlich auch in all den anderen Teilen der Erde, muB Boden bearbeitet werden, bewassert werden, kurz: Man begann, die Rinder fur die sekundare Ernahrung zu nutzen. Dazu muBte naturlich das ein oder andere erfunden werden, wie zum Beispiel der Pflug. Doch hierfur muBte man zunachst die Bronzezeit abwarten, einen tauglichen Pflug gab es bis dahin nicht.
Nach Brockhaus wurden bei Ausgrabungen in der heutigen Turkei Hinweise gefunden, nach denen Rinder vor ca. 6000 Jahren zum ersten Mal gezahmt worden seien (Uber Details schweigt sich das Lexikon aus)11. Aus der gleichen Zeit stammen Hinweise aus dem Indusgebiet, wonach Rinder (vermutlich die ersten Ochsen) Karren gezogen hatten. Ebenfalls aus der gleichen Zeit durfte die Entwicklung von Ziehbrunnen stammen, die von Ochsen betrieben wurden, auch hier sind keine genaueren Hinweise bekannt.
In der jungeren Zeit verdichten sich dann die Anhaltspunkte, beispielhaft durfte der Zug der Israeliten aus Agypten sein, die wie im Buch ,Exodus' (12) beschrieben, ihre Haustiere, namentlich auch die Rinder, mitfuhrten. Dies allerdings schon um etwa 1250 v.Chr.12 Im Buch Exodus sind Rinder namentlich in den Rechtsvorschriften des Bundesbuches erwahnt wo es in 21,28-32 heiBt:
,Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau so stoBt, daB der Betreffende stirbt, dann muB man das Rind steinigen, und sein Fleisch darf man nicht essen; [...] StoBt das Rind einen Sklaven oder eine Sklavin, soll der Eigentumer dem Herrn dreiBig Silberschekel zahlen; das Rind aber soll gesteinigt werden.'—
Um bei der Bibel zu bleiben und am Rande erwahnt: Das Klischee vom Ochsen im Stall zu Betlehem scheint wohl eher eine neuzeitliche Erfindung oder ein ,unzulassiger RuckschluB' zu sein, denn im Lukas-Evangelium werden keine Tiere erwahnt. Es wird lediglich beschrieben, daB der neugeborene Sohn Gottes von Maria mangels anderer Moglichkeiten in eine (Futter-)Krippe gelegt wurde.
Nun ist das Rind also domestiziert. Trotzdem der Verfasser einen zugegebenermaBen groben Uberblick von Eis- uber Steinzeit bis zur Spatbronzezeit gegeben hat, obendrein noch mit recht wenigen Fakten untermauert. Aber die Anzahl der Quellen fur diese Zeit zu dieser Thematik ist leider nicht all zu uppig.
Anmerkung: Man darf den in der Bibel verwendeten Terminus ,Rind' nicht auf die Goldwaage legen, es ist anzunehmen, daB wahrend etlicher Bibelubersetzung im Laufe der Weiterentwicklung der Sprache nicht allzu genau differenziert wurde und der Ochse selbst dabei auf der Strecke blieb.
2.1.5. Opfer
Allgemein beschreibt der Brockhaus: [...] die Darbringung einer Gabe an die Gottheit, auch die Gabe selbst; im weiteren Sinne die Hingabe, der Verzicht auf etwa, was man schmerzlich vermiBt. [...].14
Weiter wird dort definiert, daB das Suhne- bzw. Ersatz-Opfer Tiere, Pflanzen und Gegenstande betrafe. Herausragendstes Beispiel hierfur ist der ,Sunden-Bock', ein mit den Sunden des Volkes beladener Bock, der in die Wuste getrieben wurde (eine alttestamentarische V orgehensweise).
Sinn eines Opfers war es, den Segen einer betreffenden Gottheit zu erlangen, Zorn zu stillen, Gnade zu erwirken, herruhrend vom durch die jeweilige Religion beeinfluBten Abhangigkeitsgefuhl des Einzelnen vom entsprechenden Gott. Fur das Christentum endete der Opferkult erst mit der Deutung des Todes Christi als Suhneopfer.15
Wer nun aber der Meinung ist, daB Opfer gleich Opfer ist, der tauscht gewaltig. Diese Meinung ware eine der Fehlerquellen fur eine vorschnelle Interpretation des in 1.2.1. angesprochenen Ruckschlusses.
Es gibt erstens etliche verschiedene Formen der Opferdarbringung. Im Alten Testament werden Brandopfer, Mahlopfer und Priesteropfer erwahnt, um nur einige Beispiele zu nennen. Die griechische und romische Mythologie kennt noch wesentlich mehr Formen der Opferung, vermutlich liegt das unter anderem an der wesentlich groBeren Anzahl der zur Verfugung stehenden Gotter.16
Zweitens ist die oben angefuhrte Definition eben nur die halbe Wahrheit, weil heutige ethische oder moralische Werte sich vielleicht nicht mit dem Pragmatismus der antiken Volker vereinbaren lassen:
Die Griechen beispielsweise, feierten die Feste, wie sie fielen. So wurden Hochzeiten, gelungene Unternehmungen und sonstige wichtige Anlasse oft dazu genutzt, ein Tier zu opfern. Man hat dann auch tatsachlich Knochen und etwas Fett am Altar zuruckbelassen, das Fleisch freilich wurde von der Gesellschaft verspeist, das Leder sicherlich auch nicht verschmaht. So berichten jedenfalls Homers Epen, allerdings ebenso gefahrlich fur die Vorstellung von der Ernahrung der alten Griechen, wie die Opfer-Definition selbst. Alltagsnahrung bestand in der Regel aus Gerste, Gemuse, Milch und Kase.
Erst zur klassischen griechischen Gesellschaft paBt dieses ,falsche' Bild. Als die Stadte anwuchsen und sich Reichtum und Luxus verbreitet hatten, war nicht mehr das besondere Ereignis ein AnlaB zum Opfern, sondern ein Opfer wurde zum AnlaB fur ein Fest genommen.
Ahnliches hort man von den Romern.17
Man darf nun also nicht davon ausgehen, daB Pythagoras alleine vor seiner Hutte muhselig 5 Ochsen auf einem Altar stapelte, opferte, sich damit also selbst kasteite, und dann tagelang mit der Beseitigung von Kadavern beschaftigt war, man muB vielmehr davon ausgehen, das der Wein in Stromen floB und reichlich Mauler vorhanden waren um dafur zu sorgen, daB die Gotter wirklich nur Knochen und etwas Fett als symbolische Gabe erhielten. Pythagoras wurde ubrigens spater zum Vegetarier.
Eine der ersten Einschrankungen das Opfer betreffend kam aus dem asiatischen Raum:
3.1. Eine Wende
Gautama Buddah (560 - 480 v.Chr.) so ist es uberliefert, setzte sein Prinzip der Gewaltlosigkeit gegen die Brahmanen (Priester) ein und sprach: ,Schlachte nicht den Ochsen, der dein Feld pflügt!`18
Selbst die Massai in Afrika waren von ahnlichem Geist gepragt. Dort ware niemand auf die Idee gekommen, aus Hunger sein Nutz- und Arbeitstier zu schlachten.19
Buddah jedenfalls hatte es auf den Punkt gebracht: Erstens hat er den Ochsen namentlich erwahnt, zweitens hat er dessen primare Aufgabe klar umrissen:
Der Ochse also als Arbeitstier.
3.1.1. Zweite Antwort, Zusammenfassung
Es stehen nun auf den ersten Blick mehrere Interessen gegeneinander.
Die einen wollen arbeiten, die anderen opfern, wieder andere nur essen...
allerdings wirklich nur bei oberflachlicher Betrachtung. Verknupft man die verschiedenen
Kapitel miteinander, der aufmerksame Leser hat dies sicherlich langst getan, stellt man fest, daB sich die Geschichte der menschlichen Entwicklung mit der Entwicklung des Rindes und dessen ,Verwendungszweck' zu einem Zeitpunkt verbindet, der in der Steinzeit liegen durfte. Man entwickelte sich sozusagen miteinander.
ZugegebenermaBen wird es dem Leser angesichts des groben Uberblicks nicht unbedingt leicht gemacht, die Ubersicht zu behalten, eine tiefergehende Einlassung auf Begriffsdefinitionen und geschichtliche Zusammenhange alleine wurde aber schon den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Doch zuruck zum Thema:
Die Vorzuge des Rindes fur den Menschen liegen auf der Hand. Das Rind war das Nahrungsmittelreservoir schlechthin.
Von der zur Verfugung stehenden Menge an Fleisch und Haut pro Rind einmal abgesehen, wurde schon um 1600 v.Chr. in einem agyptischen Papyrus die Ochsenleber als hervorragendes Mittel gegen Nachtblindheit angepriesen20. Vermutlich durfte dies das Resultat der groBen Konzentration des Vitamin A in der Ochsenleber gewesen sein.
Überhaupt enthält Rindfleisch eine groBe Menge fettloslicher Vitamine und im Vergleich zum Schweinefleisch wenig Fett. Die Methoden der Haltbarmachung des Fleisches sind vermutlich so alt wie die Verbindung Mensch - Rind selbst. Trocknen, Dorren, Einsalzen, Methoden, die sich bis zur industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts kaum veranderten21. Es war also auch vor der Zeit des Eisschrankes moglich, die groBe Fleischmenge, die bei der Schlachtung eines Rindes anfiel, haltbar zu machen, also nicht sofort verzehren zu mussen und damit die Ernahrung auch groBerer Gruppen uber langere Zeitraume hinweg sicherzustellen.
Nun war und ist dies sicherlich einerseits die Motivation fur die Haltung von Rindern allgemein. Diese primare Ernahrung durch Schlachtung, also Totung des Tieres. Die Opferung selbst mag dabei als Randerscheinung eine Bedeutung haben, zentrales Thema allerdings ist sie nicht.
Viel wichtiger scheint die sekundare Ernahrung durch das Rind zu sein: Zum einen der Milchertrag, denn dieser erbringt eine unerschopfliche Quelle tierischen EiweiBes, zum anderen die Arbeitsleistung des Tieres an sich.
ZusammengefaBt ergeben sich fur das Rind also folgende Arbeitsaufgaben:
- Das Ziehen von Pflugen
- Das Heben von Lasten (mit der Erfindung des Flaschenzuges)
- Die Betatigung der Ziehbrunnen
- Das Ziehen von Karren
- Der Transport von Lasten
Diese Arbeitsleistung ist Kernpunkt, denn Bullen taugen nicht zur Arbeit, sie sind zu aggressiv, Kuhe haben Milch zu geben, sind im ubrigen auch vermehrt Krankheiten ausgesetzt, was bleibt ist der Ochse!
4.1. Entwicklung seit der landwirtschaftlichen Revolution
Auch hier fehlen groBtenteils zuverlassige Daten. Da bis ins 19. Jahrhundert, bis zur industriellen Revolution allerdings ca. 90% der gesamten Bevolkerung in der Landwirtschaft tatig war, sich die Gesamtbevolkerung mehr als verdoppelt hat und die durchschnittliche Lebenserwartung gleichzeitig auf uber 30 Jahre angestiegen ist, durfte ein SchluB auf der Hand liegen:
Es gab viel zu tun. Damit die doppelte Menge der Bevolkerung versorgt werden konnte (Was oft genug mehr schlecht als recht gelungen war) muBte neues Ackerland geschaffen werden, muBte Vieh zur Ernahrung gezuchtet werden muBten Arbeitspferde in entsprechender Menge und ,Gute' herangezuchtet werden, elementare Dinge, die unter den gegebenen politischen und ,nachrichtentechnischen' Umstanden fur heutige Begriffe unlosbar erscheinen.
Das Kummet war zwar erfunden worden, Pferde konnten beschlagen werden, das Pferd war also fortan fur die Landwirtschaft und dort vor allem als Zugtier einsetzbar (Dies wurde in erster Linie durch das Kummet ermoglicht, jetzt konnten Arbeitsgerate, in erster Linie der Pflug, am Pferd befestigt werden. Das altbewahrte Ochsenjoch namlich hatte am aufstrebenden Hals des Pferdes keinen Halt).
Die Umstellung vom Arbeitstier Ochsen auf das Arbeitstier Pferd allerdings hat sich sicherlich nicht so schnell vollzogen, wie sich heute eine neue Erfindung verbreiten wurde. Der Ochse hatte vermutlich also noch eine Gnadenfrist, die aber spatestens mit Beginn der industriellen Revolution zu Ende war.
Und ubrigens blieben Feste, wie die eingangs erwahnte Feier zu Amtseinsetzung des Kanzlers von England, eher die Ausnahme und nur der vergleichsweise geringen Anzahl Menschen aus Klerus und Adel vorbehalten. Man kann also daraus nicht den SchluB ziehen, daB die Ochsen jetzt massenhaft verspeist worden sind. Auch dieser Aspekt aus Kap. 1.2. ist also mit Vorsicht zu genieBen.
4.2. Der Ochse hat als Arbeitstier ausgedient, es lebe der Ochse (1)!
Erst nachdem sich das Pferd etabliert hatte, ist der Ochse wirklich frei fur den Verzehr durch den Menschen. Nur noch vereinzelt in kleinbauerlichen Betrieben als Zugtier eingesetzt ist er vom Pferd verdrangt, die Verdrangung wurde schlieBlich Anfang des 20. Jahrhundert vom Siegeszug des Traktors besiegelt.
Auch in der Mast spielt der Ochse eher eine untergeordnete Rolle, Ochsenfleisch ist auf Grund verschiedener medizinischer und biologischer Umstande nun mal etwas teurer als das ,herkommliche' Rindfleisch.22
Doch eines bleibt: Schlachter beschreiben das Fleisch des Ochsen heute als feinfaserig, zart, saftig und von kraftigem Aroma. Im Magazin ,Stern' war uber die wieder im Trend liegenden Pastrami-Sandwiches zu lesen: Mastochsenfleisch, in Roggen-Toast eingedeckelt, warm, dunn geschnitten und rosarot angeblich schafft ein durchschnittlicher Mensch davon ein halbes Pfund!? Das hort sich doch versohnlich an, oder.....?23
Fur die Freunde deftiger Kuche allerdings hier ein Kochrezept besonderer Art:
Badisches Ochsenfleisch
Zutaten:
1. Fur das Fleisch: 2 Karotten/1 groBe Stange Lauch/% Sellerieknolle moglichst mit 2 Blattern/1 groBe Zwiebel/500 g Rinderknochen, davon wenigstens ein Markknochen/1 kg Ochsenbrust wie gewachsen (Hochrippe, Brustkern, Brustspitze), Salz
2. Fur die Nudelsuppe: 250 g Fadennudeln/Salz/Pfeffer/Muskat/Schnittlauch
Zubereitung:
a) Fur das Fleisch: Salzwasser mit Gemuse und Knochen in einem groBen Topf zum Kochen bringen. Wenn das Wasser sachte zu sprudeln beginnt, das abgewaschene Fleisch hineingeben. So schlieBend sich seine Poren durch das heiBe Wasser sofort und der Saft lauft nicht aus. Das Fleisch 1 bis 2 Stunden kocheln lassen.
Herausnehmen und einige Minuten ruhen lassen. In Scheiben schneiden und auf einer Platte anrichten. Ein wenig von der Bruhe uber das Fleisch gieBen.
Nach Belieben das Gemuse mit auf der Platte anrichten oder separat.
b) Fur die Nudelsuppe: Fadennudeln in Salzwasser gar kochen. Wenn sie noch ein wenig BiB haben, abgieBen und in die Suppenterrine geben. Die heiBe Fleischbruhe durch ein Haarsieb gieBen. Mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken. Das Mark aus den Markknochen losen und dazugeben. Etwas feingeschnittenen Schnittlauch daruberstreuen.
Wenn die Suppe das Hauptgericht sein soll stellt man das Fleisch mit dem Gemuse in kaltem Wasser auf(die Poren schlieBen sich nicht, das Fleisch gibt seine Kraft an die Bruhe ab). AuBerdem 1 oder 2 Markknochen hineingeben. Das Fleisch so lange kocheln, bis es zu zerfallen beginnt. Aus der Suppe nehmen, ebenso die Knochen.
Gemuse durch den Haarsieb streichen und in die Bruhe geben. Abschmecken, einen Teil des Fleisches und des Marks und die abgekochten Nudeln in jeden Teller geben, die heiBe Bruhe darubergieBen.
Wohl bekomm's!
4.3. Es lebe der Ochse (2)!
Auch verbal ist der Ochse langst nicht ausgestorben. Das beweist die folgende Auswahl von Spruchen und Sprichworten, allesamt uberliefert bzw. mundlich vom Verfasser zusammengetragen. Bleibt nur noch die Frage nach den Grunden. Nun, symboltrachtig ist der Ochse allemal, wenn ihm auch nicht die Attribute seines Ursprungs angedichtet werden, dem Stier: Bildhaft fur Kraft, Mut, Ausdauer, oft in Verbindung mit Gottern gebracht, aber der Ochse?
Er hat halt die Arbeit gemacht, er war Gefahrte der Bauern. Gezahmt durch die Kastration zu einem Leben in Tragheit, stupider Arbeit, Gefolgschaft und Abhangigkeit verdammt. Kein eigener Wille war zu erkennen, hochstens der Wille zum Fressen und zur Sturheit auch Attribute. Attribute, deren Verkorperung im Ochsen ihre Symbolik allumfassend gefunden hat. Wen wundert da noch folgendes:
- Ochsen gehoren auf den Acker, nicht aufs Rathaus (Volksmund)
- Ein rechtschaffener Ochse geht mitten durch den Dreck (Bauernregel)
- Ochse bleibt Ochse, auch wenn er goldene Horner hat (Volksmund)
- Die Polizei sieht auf tausend Schritte, wenn eine Fliege den Honig nascht, aber den Ochsen nicht in Nachbars Korn (Volksmund)
- Ein Stier kann Vater werden, ein Ochse nur Onkel (Volksmund)
- Wie der Ochs vor dem Berg stehen (Redensart)
[...]
1 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens' von Gert v. Paczensky und Anna Dunnebier, erschienen im Albrecht Knaus Verlag GmbH, Munchen, 1. Auflage 9/97, Seite 318
2 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, Seite 166
3 aus ,Witte Berufsschullexikon, erschienen im Verlag Hans Witte, Freiburg/Breisgau 1. Auflage 1954, Seite 957 ,Rind'
4 aus ,Der groBe Brockhaus', Band 8, erschienen im Verlag F.A.Brockhaus, Wiesbaden, 18. Auflage 1979, Seite 344
5 aus ,Der groBe Brockhaus', Band 9, 18. Auflage 1980, Seite 498
6 vgl. ,Der groBe Brockhaus', Band 9, 18. Auflage 1980, Seite 499 - 500
7 vgl. ,Bayerisches Landwirtschaftliches Jahrbuch Online', Internet, URL: http://www.edv.agrar.tu-muenchen.de/actual/iahrbuch/art 1.htm, ,Ochsen statt Bullen?', 1991, von K.Walter und H. Steinhauser
8 aus ,Ochsen statt Bullen?', Seite 5
9 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 23
10 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 22 -24,
11 vgl. ,Der groBe Brockhaus', Band 9, 18. Auflage 1980, Seite 500
12 vgl. ,Die Bibel', erschienen in der Kath. Bibelanstalt GmbH Stuttgart, 1980, ,Das Buch Exodus', Seite 76
13 aus ,Die Bibel, Das Buch Exodus', Seite 84 - 85
14 aus ,Der groBe Brockhaus', Band 8, Seite 393
15 vgl. ,Der groBe Brockhaus', Band 8, Seite 393
16 vgl. ,Der groBe Brockhaus', Band 8, Seite 393
17 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 279 - 280
18 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 301
19 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 281
20 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 547
21 vgl. ,Kulturgeschichte des Essens und Trinkens', Seite 393
22 vgl. ,Ochsen statt Bullen?', Seite 1 - 9
23 vgl. ,Der Stern', Heft Nr. 51 v. 10.12.1998, erschienen bei Verlag GRUNER + JAHR AG & Co Druck- und Verlagshaus, Hamburg, Seite 147, Autor: Ludwig Fienhold
24 aus ,Was die GroBmutter noch wuBte', Internet, URL: http://www.swr- online.de/gros smutter/rezepte/1996/157.htm
- Arbeit zitieren
- Hans Peter HUBER (Autor:in), 2000, Der Ochse. Versuch einer kulturgeschichtlichen Darstellung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97704
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