Wolfgang Reithoffer
Armut und soziale Ausgrenzung - Definitionen und Konzepte Begriffserklärung - Definitionen
Bei dem Versuch Armut zu definieren kommt man unweigerlich zu ganz verschiedenen Armutsdefinitionen. Diese Tatsache ist leicht erklärt, wenn man sich überlegt, daß es verschiedene Blickwinkel gibt, unter denen man den Zustand ,,Armut" sehen kann. Ist man nun arm, weil man Hunger leidet?
Ist man arm, weil man sich Dinge nicht leisten kann, die sich andere leicht leisten können? Ist man arm, weil man sich selbst als arm empfindet?
Ist man arm, weil der Staat feststellt, daß man Sozialleistungen empfangen sollte?
Obige Fragen zeigen, daß man Armut von ganz verschiedenen Perspektiven sehen kann.
Welche Perspektive ist nun aber die richtige? Im folgenden wollen wir zeigen, wie schwierig es ist, Armut nur einer Perspektive zuzuteilen.
Versucht man nun diese verschiedenen Definitionsansätze unter einen Hut zu bringen, d.h. zu kategorisieren, so kann man zu folgender Einteilung gelangen:
1. Absolutes Armutskonzept
2. Relatives Armutskonzept
3. Subjektives Armutskonzept
4. Politisches Armutskonzept
Absolute Armut
Die absolute Armut liegt dann vor, wenn ,,objektiv" meßbare Mindeststandards unterschritten werden. D.h.: wenn jemand zu wenig Mittel für Essen, Trinken, Wohnen... hat. · Man gilt als arm, wenn man nicht über jenes Mindestmaß an Gütern verfügt, das in der jeweiligen Gesellschaft Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein ist.
Dieses Konzept zielt im Prinzip auf die Lebensnotwendigkeit bestimmter Güter, aber auch auf die Menschenwürde ab. Erreicht man diese zwei Faktoren nicht, so wird man als arm bezeichnet.
Mißt man Armut mit diesem Konzept, so kann man sich u.a. folgender Mittel bedienen, um
Armutsgrenzen festzulegen:
- Ernährungsstandards: Historisch ältester Ansatz. Der Grundkalorienbedarf eines Menschen (in Geld bewertet) legt die Grenze des Existenzminimums fest.
- Warenkorbmethode: Hier werden verschiedene Bereiche erfaßt, die ein Mensch zum Leben braucht. Z.B.: Ernährung, Energiekosten, Körperpflege, u.s.w. Auch diese Faktoren werden in Geld bewertet und stellen eine absolute Armutsgrenze dar.
Dem Konzept der absoluten Armut kann man nicht nur ein Objektivitätsproblem vorwerfen (Bewertung); das Konzept der absoluten Armut ist in Europa außerdem zeitlich nicht mehr passend (Kalorienwerte, Überlebenschancen).
Relative Armut
Hier liegt das Erreichen von typisch gesellschaftlichen Standards im Vordergrund. Arm ist der, der hinter allgemein anerkannten minimalen Konsumstandards zurückbleibt. Der Arme steht bei diesem Ansatz immer in Relation zur übrigen Bevölkerung. Bei diesem Konzept besteht sogar die Möglichkeit, daß die relativ armen vom absoluten Armutsbegriff nicht erfaßt werden.
Das bekannteste Maß, um die relative Armutsgrenze festzulegen, sind die
Einkommensverteilungsmaße. Das Hauptaugenmerk liegt hier nicht mehr auf minimalen Erfordernissen, sondern auf Verteilungsgerechtigkeit.
Relative Einkommensarmut liegt dann vor, wenn jemand weniger verdient, als sein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen.
Das relative Armutskonzept tritt in zwei Varianten auf:
1. Ressourcenkonzept: relativer Mangel an Einkommen, Vermögen und Transferleistungen.
2. Lebenslagenkonzept: relativ schlechtere Versorgung in Bereichen wie: Wohnung, Arbeit, Hausrat.
Subjektive Armut
Einbeziehung des Betroffenen: hier bestimmt der Betroffene selbst, ob er nun arm ist oder nicht. Er wird nach jenem Einkommen gefragt, das nach seiner Meinung für ihn selbst zum Leben notwendig ist.
Politische Armut
Der Staat legt gewisse Kriterien vor, nach denen jemand arm ist. Erfüllt ein Bürger in weiterer Folge letztere Kriterien, so werden ihm Sozialhilfen zuteil.
Politische Armutsgrenzen werden meist aus einem festgesetzten Mindesteinkommen abgeleitet. Dieser Mindeststandard ergibt sich meistens aus den Richt- und Leistungssätzen der Sozialhilfe.
Es ist klar, daß sich diese verschiedenen Armutskonzepte überschneiden.
Wer absolut arm ist, ist auch relativ arm. Wer relativ arm ist, muß aber nicht absolut arm sein. Wer subjektiv arm ist, kann absolut arm, relativ arm und politisch arm sein oder auch nicht.
Will man also Armut beschreiben, so muß man sich vorher genau überlegen, mit welchem Konzept man am besten zum Ziel kommt.
Will man beschränkte Lebensverhältnisse aufdecken, so muß man mit dem relativen Armutskonzept arbeiten.
Andererseits wird man dieses Konzept nicht verwenden, wenn man eine Armutsgrenze (Einkommensgrenze) festlegen will. In diesem Fall wird man das absolute Armutskonzept verwenden.
Armutskonzepte - eine Gegenüberstellung Bevor wir die verschiedenen Konzepte von Armut gegenüberstellen, müssen wir festlegen, was wir von ihnen eigentlich erwarten.
Welche Anforderungen sollte ein Armutskonzept erfüllen, damit es gut ist?
1. Alle sollen das Konzept auch verstehen können · Alltagsverständnis
2. Dasselbe Konzept soll bei verschiedenen Gesellschaften passen und auf die dortige Vorstellung von Armut zutreffen
Wie erfüllen die jeweiligen Armutskonzepte obige Anforderungen?
Das absolutes Armutskonzept
Nachteile:
Das Subsistenzminimum beim absoluten Armutskonzept ist nicht eindeutig bestimmbar (z.B.: Der eine ißt mehr als der andere; 1.60 m und 2.10 m) und außerdem in verschiedenen Gesellschaften nicht vergleichbar (Österreich - Afrika: Wer ist ärmer? Der, der seine Suppe nicht erhält, oder der, der seinen Fernseher nicht bekommt?)
Relatives Armutskonzept
Vorteile gegenüber dem absoluten Armutskonzept:
Eine Möglichkeit der relativen Armutsmessung stellt die Lorenzkurve dar.
Hier sieht man wieviel % des Volkseinkommens auf wieviel % der Bevölkerung aufgeteilt wird.
Solche Messungen kann man in jeder Gesellschaft durchführen und in weiterer Folge kann man verschiedene Gesellschaften vergleichen.
Ein weiterer Vorteil dieser Methode liegt darin, daß man die Umverteilungswirkungen von Sozialleistungen erkennen kann.
Nachteile:
Die Methode ist vom Durchschnittsmenschen schwer zu verstehen (Nicht-Wissenschaftler verstehen kaum die komplizierte Berechnungen des gewichteten Pro-Kopf-Einkommens). Weiters ist die globale und historische Reichweite des Konzeptes eingeschränkt, da man unterschiedlich entwickelte Gesellschaftsformen (Geldwirtschaft - Tauschwirtschaft) mit dieser Methode kaum vergleichen kann. In einer Tauschwirtschaft kann man sehr schwer das Volkseinkommen messen.
Politisches Armutskonzept
Vorteil:
Die Alltagsverständlichkeit bei diesem Konzept ist gegeben · Als arm gilt der, der Anspruch auf öffentliche Unterstützung hat. Würden sich alle melden, die unterstützungsberechtigt sind, so hätte man eine Totalerhebung aller Armen.
Nachteil:
Vergleichbarkeit mit Staaten, in denen es keine politische Armutsunterstützung gibt, ist nicht möglich.
Weiters kommt es zu Verzerrungen, wenn die Bedarfssätze angehoben oder gesenkt werden (Bsp.: Familie mit einem Kind braucht 11.000.- oder 15.000.-; liegt der Bedarfssatz bei 15.000.-, so gibt es mehr Arme als bei einem 11.000.- Bedarfssatz).
Oft ist es so, daß Sozialhilfeempfänger nur kurzfristig Sozialhilfe empfangen (Überbrücker). Dadurch kommt es ebenfalls zu erheblichen Verzerrungen.
Subjektives Armutskonzept
Vorteil:
Die Alltagsverständlichkeit bei diesem Konzept ist gegeben · Als arm gilt der, der angibt arm zu sein.
Der Befragte muß auf die Frage antworten, wieviel Geld er braucht, um das Leben zu bestreiten.
Nachteil:
Bei diesem subjektiven Ansatz kann es leicht zu Meßproblemen kommen, da der eine Befragte weniger angibt als der andere. · A kommt noch mit 10.000.- über die Runden, während B 12.000.- braucht.
Zuletzt kann man noch anmerken, daß subjektives Empfinden und Fremdeinschätzung oft nicht übereinstimmen.
Armut als Unterstützt-Werden
In der Armutsforschung findet man häufig Untersuchungen über versteckte oder verschämte Armut. Als Ursache für das Nicht-Bekanntgeben von Armut wird meist Peinlichkeit der Sozialhilfeberechtigten angegeben, was wiederum auf ein Versagen des Sozialstaates zurückgeführt wird.
In einer Befragung, die 1991 bei Personen durchgeführt wurde, die bei den Caritasberatungsstellen Hilfe suchten, stellte sich heraus, daß ¾ der Sozialhilfeberechtigten auf Sozialhilfe verzichten.
Von diesen waren mehr als die Hälfte jünger als 40 Jahre.
Gründe die für das Verstecken der Armut angegeben wurden:
- Peinlichkeit zum Sozialamt zu gehen
- Dem Staat nicht zur Last fallen
- Meinung, daß das eigene Einkommen zu hoch sei
- Unwille, daß Eltern oder Kinder Geld an Sozialamt zahlen
- Mangel an Rechtskenntnissen
Eine weitere Befragung im selben Jahr ergab, daß es auch einem Großteil der Sozialhilfebezieher peinlich ist, die staatliche Unterstützung anzunehmen.
Am unangenehmsten empfinden die Sozialhilfeempfänger das Wissen der anderen um ihren Status und die ihnen zuteil werdende Geringschätzung (Nichtstuer, Asozialer...). Es entsteht ein Gefühl der Minderwertigkeit und der Unterlegenheit.
Auch bei ehemaligen Sozialhilfeempfängern ergab eine Befragung über die erlebte Situation als Sozialhilfeempfänger, daß Peinlichkeit und Scham noch immer die Erinnerung an staatliche Unterstützung begleiten.
Armutssoziologie: Ein Armutskonzept, das Scham- und Peinlichkeitsgefühle integriert Nach Georg Simmel wird Armut durch Hilfe nicht beseitigt sondern aufrechterhalten. Wer Hilfe erhält ist unfreiwillig abhängig, und das verletzt das Selbstwertgefühl des Betroffenen. Simmel vergleicht Sozialhilfen mit Geschenken. Bei Geschenken hat der Beschenkte ein unangenehmes Gefühl der Abhängigkeit. Dieses Gefühl wird um so schlimmer, je stärker man dieses Geschenk benötigt und je weniger man es sich leisten kann.
Der Sozialhilfeempfänger sieht, daß er es sich nicht leisten kann, ohne Hilfe bestimmte Dinge zu erlangen.
Hier wird sichtbar, daß die auf Unterstützung angewiesenen, bei Annahme dieser, eine Dankesverpflichtung empfinden. Das wiederum führt zu einer Einschränkung der persönlichen Freiheit.
Dieses Konzept unterscheidet Armut von Einkommensschwäche, Unterversorgung und anderen Formen der Benachteiligung.
Armut ist demnach eine Lebenssituation, in der man gegen seinen Willen auf Hilfe angewiesen ist und ein Anrecht auf Unterstützung hat.
Armut wird auf diese Art und Weise unabhängig von der Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Erst wenn der Mangel an Ressourcen dazu zwingt um Unterstützung zu bitten, wird er armutssoziologisch bedeutungsvoll.
Wer glaubt, daß man zur empirischen Umsetzung dieses Konzeptes nur die Zahl der Unterstützungsberechtigten erfassen muß, also das politische Armutskonzept anwenden muß, der irrt:
- die staatlichen Unterstützungssätze könnten geringer sein als es als allgemein notwendig angesehen wird - Es könnten Personen vom Bezug ausgeschlossen werden, die aber nach obigen Gesichtspunkten dazugehörten.
- Es könnten Personen unterstützt werden, die nach Allgemeinverständnis nicht unterstützt würden.
Das Recht auf Unterstützung
Mit dem Recht auf Unterstützung kann sowohl auf der Empfängerseite als auch auf der Geberseite eine sehr unterschiedliche Haltung eingenommen werden. Schon die Geschichte zeigt obiges, obwohl das Recht auf Unterstützung damals kein gesetzliches Recht, sondern eher ein moralisches war.
Um zu demonstrieren welch guter Christ man war, war es früher Usus den Armen vor den Kirchenportalen ein Almosen zu geben.
Aus dieser moralischen Verpflichtung, so wußte der ein oder andere Bettler, konnte sich leicht etwas über die Linderung der Not dazuverdient werden.
Die Abwehr der Geber war, diesen ,,unverschämten" oder ,,unwürdigen" Armen die jetzt nicht mehr moralische Verpflichtung zu verweigern.
Rechten gegenüber wird immer eine rationale, kalkulierende oder instrumentelle Haltung eingenommen.
Es gibt eine Gruppe von Personen, die trotz negativen Images der Sozialhilfe diese nutzen, ohne dabei einen Verlust des Selbstwertgefühls zu verspüren.
-Besser von Sozialhilfe abhängig als das Leid zu ertragen.
Andere wiederum, verzichten auf den Anspruch auf Sozialhilfe, weil von ihnen Unterstützung als negativ empfunden wird und dem eigenen Selbstbild widerspricht. Auch diese Haltung kann rational sein, wenn man die bereits oben erwähnten Gründe für versteckte Armut in Betracht zieht und außerdem die etwaigen ,,Kosten des Unterstüzt-Werdens" berücksichtigt. Denn Bezug von Sozialhilfe bringt nicht nur Gewinn mit sich, sondern kann auch mit erheblichen Kosten verbunden sein, die oft über dem Gewinn des Bezuges von Sozialhilfe liegen: Zeitaufwand, Statusverlust, Ausfüllen umständlicher Formulare oder Offenlegung der finanziellen Verhältnisse.
Ein Verzicht auf Sozialhilfe, aus welchen Gründen auch immer, ist natürlich nur dann möglich, wenn überhaupt irgendwelche Einkünfte vorhanden sind.
Leicht in Anspruch genommen werden Unterstützungen im Falle von Krankheit, Behinderung, Alter oder Alleinerziehung - in diesem Fall handelt es sich um traditionell ,,würdige" Arme. Schließlich trägt man keine Schuld, wenn man krank oder behindert ist.
Erwähnenswert ist auch das Verhältnis zwischen Sozialhilfeempfänger und Sachbearbeiter am Sozialamt. Während der Sachbearbeiter wesentlich mehr Macht in der gemeinsamen Beziehung hat, fühlt sich der Empfänger von Sozialhilfe automatisch unterlegen. Der Sachbearbeiter hat einen großen Ermessensspielraum und erwartet für gewährte Sozialdienste bewußt oder unbewußt Freundlichkeit und Dankbarkeit. Wie bereits erwähnt stellt Simmel eine Verbindung zwischen Armutssoziologie und Soziologie des Geschenkes her. Das Gefühl der Unterlegenheit durch diese Beschenkung führt mitunter sogar zu Aggressionen.
Theoretische Armutskonzepte
Zur gesellschaftlichen Verortung der neuen Armut in der Bundesrepublik Deutschland.
In der Auseinandersetzung mit theoretischen Armutskonzepten kann man Systematisierungen in verschiedene Richtungen treffen. Die theoretischen Armutskonzepte werden in bezug auf Entstehungszeitpunkt, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, qualitative Inhalte und quantitative Belegbarkeit unterschieden. Schlagwörter aus diesem Themengebiet sind neue Armut, Zweidrittelgesellschaft, Risikogesellschaft und Verzeitlichung von Armut.
Neue Armut
Im Gegensatz zur ,,alten Armut", die breite soziale Schichten betraf und hier besonders die Arbeiter und das industrielle Proletariat, betrifft nun die ,,neue Armut" vorwiegend Randgruppen. Somit kann man nicht mehr ausschließlich von der ,,typischen Armut" sprechen, sondern auch von vielen verschiedenen Lebenslagen auf Zeit.
Armut und Arbeitslosigkeit
Der erste Ölpreisschock im Jahre 1973 und die darauf folgende Rezession machte deutlich, daß die Armut wieder zunahm. Durch die Stagnation der Beschäftigung bei gleichzeitigem Wachstum und Veränderung der Familien- und Haushaltsstrukturen kommt es zu einer Entwicklung zur Zweidrittel- oder Dreiviertelgesellschaft und zur Spaltung des Sozialstaates in Arbeitsplatzbesitzer auf der einen und Arbeitslose auf der anderen Seite. Auch durch den Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze ab 1983 ließ sich die anhaltende hohe Arbeitslosigkeit nicht senken, da der Anstieg nicht von einem Anwachen des Arbeitsvolumens begleitet war. Ursachen für die neuen Arbeitsplätze waren der Rückgang der Arbeitszeit (35-Stundenwoche, mehr Urlaub), Zerstückeln von ,,Normalarbeitsplätzen", Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen und geringfügigen Beschäftigungen.
Seit 1992 kann in Deutschland wieder ein Zurückgehen der Erwerbstätigen verzeichnet werden, wobei vor allem die neuen Bundesländer betroffen sind.
Indikatoren der Armut
Das Einkommen ist der wesentlichste Indikator um die Armut zu definieren, wobei das um den unterschiedlichen Bedarf von Einkommens- und Verbrauchseinheiten bereinigte Periodeneinkommen für eine kurzfristige Periodenbetrachtung am geeignetsten ist. Die bedarfsdifferenzierten Merkmale von Haushalten werden in Äquivalenzskalen berücksichtigt, wobei dies durch die Heterogenität der Haushalte immer schwieriger wird. Für eine langfristige Betrachtung empfiehlt sich das ,,permanente" Einkommen, wobei das laufende Einkommen im Lebenszyklus, sowie vergangene Ersparnismöglichkeiten und künftige Einkommensperspektiven eine Rolle spielen.
Eine besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Lage von Haushalten und Personen kommt den Realtransfers, ihre Verfügbarkeit und die Modalität ihrer Nutzungsmöglichkeit zu. Bei den Realtransfers kann man zwischen zwei Zugangsbarrieren unterscheiden:
- nicht - ökonomische Barrieren (kein Wohnsitz) und
- ökonomische Barrieren (Einkommensgrenzen).
Ein Problem stellen die starren Einkommensgrenzen, bei deren Unterschreitung man berechtigt ist, eine Leistung in Anspruch zu nehmen, dar.
Eine knappe Überschreitung dieser Grenze führt oft zu einer Schlechterstellung in der Gesamtbetrachtung als bei Personen, die diese Grenzen unterschreiten. Beispiele für Realtransfers sind Kindertageseinrichtungen, Wohngeld, usw..
Ökonomische Armut im Wandel Ausmaß der relativen Einkommensarmut
Das Ausmaß der relativen Einkommensarmut wird durch Armutsgrenzen von 40 %, 50 % oder 60 % des bedarfsdifferenzierten
Durchschnittseinkommens definiert. Nach dieser Berechnung gab es in Deutschland 4,4 % bis 18,6 % Arme im Jahr 1992 in den alten Bundesländern und 7,9 % bis 31 % Arme in den neuen Bundesländern.
Jedoch sind diese Zahlen nur bedingt zu vergleichen, da bei Verwendung des Durchschnittseinkommens der neuen Bundesländer der Anteil der Armen zwischen 2,3 % und 10,8 % liegt. Neben dem Problem des gewählten Durchschnittseinkommens gibt es auch zu wenig Informationen aus Haushaltsbefragungen und Steuerstatistiken über sehr reiche bzw. sehr arme Haushalte.
Eine alternative Definition der relativen Armutsgrenze stellt die Zugrundelegung der jeweiligen Einkommensgrenzen für die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt dar. Die Armen werden in Sozialhilfestatistiken erfaßt, wobei man bei diesen Personen von ,,bekämpfter" Armut sprechen kann. Die ,,verschämten" Armen, die in dieser Statistik nicht aufscheinen, werden teilweise gleich hoch wie die Bezieher der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt geschätzt. Diese Zahl ist jedoch im Abnehmen begriffen.
Die Zahl der Armen nach laufender Hilfe zum Lebensunterhalt:
1991 alte Bundesländer in Deutschland 3 % der Bevölkerung 1991 neue Bundesländer in Deutschland 1,5 % der Bevölkerung Diese Zahlen sind Stichtagsdaten. Da die durchschnittliche Bezugsdauer unter einem Jahr liegt, ist der Prozentsatz am Jahresende geringer als bei einer Betrachtung der Personen, die während des Jahres Hilfe empfangen haben. Die hohen Zugangs-, aber auch Abgangszahlen von Sozialhilfeempfängern zeigen, daß die armutsbedrohte bzw. von Armut betroffene Bevölkerung kein gleichbleibender Personenkreis ist. Längsschnittsanalysen und Paneldaten zeigen auf, daß der Sozialhilfebezug oft kurzfristig, vorübergehend und wiederholt erfolgt. Auch der Umfang der Armut nahm sprunghaft von 1980 - 1991 zu: Die Gesamtzahl aller Hilfeempfänger wuchs in diesem Zeitraum um etwa 130 %. Ausschlaggebend hierfür ist die siebenfache Zunahme von ausländischen Empfängern für laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und das Ansteigen von Empfängern von 25 - 50 Jahren.
Querschnittsanalysen, die über die Veränderung der Struktur Auskunft geben, und Längsschnittuntersuchungen, die über die Dauerhaftigkeit von Armut informieren, können hilfreiche Informationen für die Sozialpolitik enthalten.
Sozio-ökonomische Charakteristika und Ursachen der Armut In den frühen 70er Jahren wurde Armut als Randgruppenproblem angesehen. Betroffen waren vor allem Alte, Obdachlose und Einelternfamilien. Es kam jedoch zu Veränderungen in der Armutsgefährdung; die Gesamtzahlen der Hilfeempfänger im Kinder- und Jugendalter ist dramatisch angestiegen.
Armut tritt auch in Summe häufiger bei Frauen auf, jedoch wurden alleinlebende Frauen seit 1989 von alleinlebenden Männern zahlenmäßig überflügelt. Ausschlaggebend ist hier der hohe Ausländeranteil, der auch teilweise für die Zuwächse bei den Ehepaaren mit Kindern eine bedeutende Rolle spielt.
Die Lage der alleinerziehenden Mütter hat sich nicht verbessert, ihre Armutsgefährdung ist im ein Vierfaches angestiegen. Einzig bei Rentnern und Ehepaaren ohne Kinder ist die Armutshäufigkeit zurückgegangen. Die Hauptgruppen der neuen Armut sind somit Arbeitslose, Überschuldete und Migranten.
Eine zentrale Rolle in der Verhinderung von Armut spielen nach wie vor Arbeitschancen und Arbeitseinkommen. Die Folgen der Arbeitslosigkeit, insbesonders bei Haushaltstypen mit männlichem Vorstand sind meist Hauptursache von Armut.
Besonders wichtig ist die kontinuierliche Teilnahme am Erwerbsleben, da durch Unterbrechungen nicht nur aktuelle, sondern auch künftige Einkommensausfälle (Folgearmut) berücksichtigt werden müssen. Erwähnenswert ist der Rückgang von Armen bei Pensionistinnen, was auf eigene Pensionsansprüche und auf Hinterbliebenenansprüche zurückgeht.
Entwicklung der Armutsdeterminanten
Als wichtigste Determinate der neuen Armut zeigt die Entwicklung der Arbeitsplätze und der Arbeitslosigkeit eine deutliche Strukturverschiebung auf. Die Zunahme von Arbeitsplätzen von 1983 - 1992 ist nicht nur auf gute wirtschaftliche Verhältnisse zurückzuführen, sondern auch auf die Miterfassung von geringfügigen Beschäftigungen im Mikrozensus und einem hohen Anteil an Teilzeitarbeitsplätzen. Die Teilzeitarbeitsplätze lassen auch die Zunahme von Frauenerwerbstätigkeit, insbesondere von verheirateten Frauen und Müttern erklären, wobei die Erwerbsbeteiligung von Männern fast unverändert blieb.
Dieser Anstieg an Arbeitsplätzen führte vorerst zu einem Absinken der männlichen
Arbeitslosigkeit. Erst durch die hohen Arbeitslosenquoten in den 90er Jahren kam es zu einer Angleichung der Arbeitslosenquote von Männern und Frauen. Besonders drastisch zurückgegangen ist die Quote jener Arbeitslosen, die wieder in die Arbeitswelt integriert werden konnten.
Diese Entwicklung ist sowohl bei Frauen, als auch bei Männern zu beobachten. Von der Arbeitslosigkeit sind zunehmend unterschiedliche Gruppen betroffen und nicht ausschließlich jene, die direkt aus der Arbeitslosigkeit kommen (Jugendliche ohne Lehrstellen).
Eine besondere Auswirkung hat die Arbeitslosigkeit auf die Einkommenssituation, sodaß 38 % der Arbeitslosen auf Hilfen (Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe) angewiesen sind. Außerdem gibt es Schätzungen wobei ca. 11 - 25 % der Arbeitslosen oder Einkommenslosen an oder unter der Armutsschwelle leben. Das Erwerbseinkommen sinkt auch meist nach längerer Arbeitslosigkeit ab. Nicht nur jene, die arbeitslos sind, sind von der Armut gefährdet, sondern auch jene Personen, die ungelernt bzw. wenig qualifiziert sind. Ihr Arbeitsplatz erwirtschaftet teilweise kein Einkommen über der Armutsgrenze.
Die Einkommenssituation der Frauen wurde einerseits durch die Akzeptanz der
Frauenerwerbstätigkeit verbessert, jedoch wird oft auf unverheiratete Frauen mit Kleinkindern keine Rücksicht genommen. Die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie führt zur Teilzeitbeschäftigung und zu geringfügigen, sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen. Hauptgrund sind fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Solche Beschäftigungsformen decken den Lebensunterhalt nicht ab und sind nicht ausreichend für die soziale Absicherung. Eine negative Folge der Zunahme von geringfügig Beschäftigten ist auch die überproportionale Belastung von normalen Arbeitsplätzen mit Kosten aus Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Auch verheiratete Frauen können die Ehe nicht mehr als soziale Sicherung ansehen; daher wird eine eigene Versicherungsrente immer wichtiger, um der Altersarmut zu entkommen.
Sozialstaat und neue Armut
Maßnahmen zur Armutsbekämpfung betreffen die vertikale Verteilung zwischen Einkommens- und sozialen Gruppen, somit soll es zu einer Verstetigung von Einkommen sowie zu einer Kompensation von Nachteilen kommen. Eine Spaltung des Sozialstaates führt zu einer Sicherung der gehobenen Schicht und zu einer Verfestigung von Armut der unteren Schicht. Eine Tendenz in diese Richtung kann am Arbeitsmarkt mit der Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien bei der Arbeitsvermittlung beobachtet werden, d.h. Annahme des unzumutbaren Arbeitsplatzes oder Leistungsverzicht. Besonders betroffen sind hier wieder Frauen. Wenig ausgebildete, weibliche, ausländische Arbeitskräfte haben oft ein Einkommen unter Armutsgrenze, insbesondere wenn sie Kinder haben.
Da die Sozialhilfe nicht nur mehr in Ausnahmefällen die letzte Sicherung ist, wird vermehrt das Subsidiaritätsprinzip zur Anwendung kommen. Da ein immer größerer Anteil von Menschen auf Leistungen angewiesen sind, werden immer mehr eigene Mittel gefordert, oder Einschränkungen auf den Kern der Armen erfolgen müssen. Die an Einkommensgrenzen gebundenen Leistungen außerhalb der Sozialversicherung könnten auch auf strengere Bedürftigkeit ausgerichtet werden und dadurch Gruppen in die Dauerarmut drängen.
Zusammenfassend ist die Hauptursache für die neue Armut Erwerbslosigkeit. Armut dringt auch in soziale Gruppen ein, die früher noch wenig gefährdet waren (Facharbeiter, Männer, usw.). Neben diesen sind auch ältere Arbeitnehmer durch Arbeitslosigkeit, Mütter, ältere Frauen und Pflegebedürftige von Armut bedroht. Die neue Armut entsteht bei Wegfall des normalen Netzes der sozialen Sicherung (Erwerbstätigkeit und Familie). Die Umverteilung von Erwerbschancen und Einkommen, sowie der erhöhte Familienlastenausgleich sind die Hauptforderungen zur Linderungen oder auch Verhinderung der neuen Armut.
Ein kurzer geschichtlicher Überblick über die verschiedenen Betrachtungsweisen von Armut.(1)
Die nachmittelalterliche Gesellschaft mit der klassischen Schichtung Adel-Klerus-Bürger- Bauern endete Anfang des 19.Jahrhunderts mit dem Aufkeimen von demokratischen Tendenzen und der folgenden industriellen Revolution. Mit der Entwicklung des organisierten Kapitalismus von den Merkantilisten über die Physiokraten bis hin zum Ökonomischen Liberalismus ergaben sich immer wieder einschneidende gesellschaftliche Veränderungen und andere Sichtweisen von Krisen und deren Folgen. Die Folge solcher Krisen war immer Armut, doch die Betrachtungsweise der Armut änderte sich über die Jahre hinweg.
Die Szenarien von Thomas Malthus(2), die Übervölkerung und Hungersnöte voraussagten haben sich nur in begrenzten Maße ereignet, sind aber aus heutiger Sicht, bei einer globalen Betrachtung wieder hochaktuell. Nach der Theorie, das sich die Wirtschaft immer wellenförmig in bezug zur Zeit bewegt, es Wellentäler aber auch Maxima gibt, spielt der Faktor Zeit bei der Betrachtung von Krisen eine wichtige Rolle(später: Ableitung auf Längsschnittbetrachtung der neuen Armutsforschung).
Nach dem ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution, kam es zur politischen Spaltung der Welt in Form von kapitalistischer versus kommunistischer Weltanschauung, welche sich nach dem zweiten Weltkrieg in verstärktem Maße fortsetzte. Nach dem Wiederaufbau und der Herausbildung einer großen gesellschaftlichen Mittelschichte, nach der längsten kriegsfreien Zeit, die Europa je erlebt hat, ist der Begriff Armut in Vergessenheit geraten. Grund dafür war, daß man die existenziellen Ängste der Menschen durch institutionelle Einrichtungen in den Griff bekommen hat. Durch die Ausprägung von Wohlstandsgesellschaft und der Überflußgesellschaft war Armut kein Problem von gesamtgesellschaftlicher Relevanz mehr. Der Begriff Armut wird je nach gesellschaftlicher Entwicklung anders interpretiert.
Um sich ein relativ simples Gedankengerüst in der Diskussion über Armut schaffen zu können müssen wir einen Ausflug in die Tradition der humanistischen Psychologie machen.
Abraham H. Maslow(3) brachte menschliche Bedürfnisse in Form von einer Pyramide in eine hierarchische Reihenfolge.
Dieses Modell stammt zwar aus der Motivationsforschung, kann aber durchaus auf die Betrachtungsweise von Armut in Relation zur Zeit und der Gesellschaftsveränderung, speziell in den letzten 50 Jahren, bezogen werden.
Maslow reiht folgende Bedürfnisse hierarchisch: Physiologische, Sicherheits-, Soziale, Ich(Anerkennung), Selbstverwirklichung.
Armut, als Form von Deprivation betrachtet, bewegt sich zwischen den ersten vier Etagen von Maslows Pyramide.
Die gesellschaftliche Veränderung innerhalb der letzten 50 Jahre könnte man einteilen in(4): Armut des Volkes(40er und50er), nivellierte Mittelstandsgesellschaft(60er), breiter Mittelstand(70er), Zweidrittelgesellschaft und Risikogesellschaft(80er). Es wird bei dieser Systematisierung allerdings nur die kapitalistisch orientierte west- und mitteleuropäische Welt betrachtet.
Der dritte wichtige Faktor, bei der Schaffung einer generellen Systematik über das Phänomen Armut, ist die jeweilige Politik und ihre Ziele. Eine solche Einteilung, mit der speziellen Berücksichtigung von Österreich und Deutschland könnte folgendes Aussehen haben. Sozialmarktwirtschaftliche Politik gegen Armut(50er), moderne Sozialstaatpolitik mit dem Bewußtsein, daß es Armut nur in gesellschaftlichen Randgruppen sogenannten Problemgruppen gibt(70er), Zweidrittelgesellschaft mit dem Bewußtsein, das Armut sich auch durch die breite Mittelstandsgesellschaft zieht(80er).
Zeidrittelgesellschaft - Strukturtheoretisches Fundament von Peter Glotz (1984,1985) ,,Es handelt sich um eine Gesellschaftsdiagnose, die darauf abzielte das sozioökonomische Paradoxon der 80er Jahre zu erklären oder doch zumindest zu beschreiben, das darin bestand, daß ein erkennbar großer Teil der Bevölkerung in wachsendem Wohlstand lebte, während gleichzeitig die Armut anstieg. Auch im Konzept der Zweidrittelgesellschaft finden wir die Doppelstruktur ökonomischer und politischer Verortung von Armut."(5)
Glotz sieht die Zweidrittelgesellschaft als klassenpolitisches Instrument. Die Klassen repräsentieren Interessenslagen im ökonomischen Strukturwandel. Doch die Abgrenzungslinien unter den Klassen können nicht mehr klar gezogen werden. Die Spaltungslinien wurden in der entstandenen Mittelstandsgesellschaft, auch durch den arbeitsinhaltlich bedingten Wandel von der Industrie- über die Dienstleistungs- bis hin zur Informationsgesellschaft, immer undeutlicher und schwerer nachzuvollziehen. Wenn auch der alte Dualismus, Kapital gegen Arbeit, nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, so nahm aber auch noch Glotz eine hierarchische Problem- und Akteurstruktur an. Bei einer solchen Annahme gibt es immer folgende Gegenpole: Starke und Schwache, Gewinner und Verlierer, Täter und Opfer.
Auch Natter/Riedelsperger sehen in der Zweidrittelgesellschaft ein ausdrücklich politisches Programm, bei dem es um die, "Verteidigung der eigenen gesellschaftlichen Position durch in Kauf genommene oder mitunter auch beabsichtigte Ausgrenzung anderer Bevölkerungsgruppen"(6), geht.
Die Ursachen für die Erscheinung, daß bei steigenden Wohlstand manche Bevölkerungsteile völlig verarmen werden in klassenspezifische Schuldzuteilungen an die Begünstigen gesucht. ,,Der Weg der modernen Industriegesellschaft geht in die Segmentierung,...das Einfrieren der gesellschaftlichen Bewegung in neue Quasiklassen".(7)
Glotz trifft zwei grundlegende Annahmen, die Stabilitäts- und die Marginalisierungsannahme. Die Stabilitätsannahme postuliert, daß sich die betroffenen Menschen längerfristig oder dauerhaft in Deprivation befinden. Die Marginalisierungsannahme besagt, daß die Betroffenen kumulative Abstiegsprozesse durchlaufen, die soziale Ausgrenzung und psychosozialen Abbau zur Folge haben.
Die Risikogesellschaft
Die Risikogesellschaft zielt nicht auf die oben erwähnten klassenspezifischen Schuldzuteilungen ab, sondern ist ein Versuch die entstandenen neuen Probleme einer postindustriellen Gesellschaft qualitativ zu erfassen.
Ulrich Beck(1986), gilt als gedanklicher Vater des Begriffs. Er geht davon aus, daß das alte Versorgungsproblem für die Masse der Gesellschaft durch Technik gelöst wurde, und sich die neuen Probleme als ökologische und technische Risiken zu erkennen geben. Beck entfernt sich vom gesellschaftlichen Klassengedanken und folgert eine Strukturänderung der Gesellschaft, durch die Individualisierung von Arbeit, Familie und Lebensweisen. Er sieht Armut als erstrangiges gesellschaftliches Problem der industriellen Moderne an, ist jedoch davon überzeugt, daß man sich heute von anderen Blickwinkeln, der Armut nähern muß. Er legt mit seinen Annahmen 1986 bereits das Fundament für die erst 1990 diskutierte dynamische Armutsforschung .
Grundsätzlich läßt sich Becks Armutsdefinition ebenfalls als sozialstrukturell verankert darstellen, jedoch ist das Verhältnis zwischen Armut und Sozialstruktur abstrakter geworden.
Becks Verdienst für die in den 90ern aufgekommene dynamische Armutsforschung, läßt sich stark simplifiziert in zwei Punkte zusammenfassen. Die Individualisierung von Ungleichheit und die Verzeitlichung von sozialer Ungleichheit.
Er operiert mit den drei Begriffen alte Armut, neue technisch- naturwissenschaftlichen Risiken und neuer Armut (individuell , verzeitlicht).
Der Unterschied zwischen der alten und der neuen Armut läßt sich mit den Indikatoren Eingrenzbarkeit , Zurechenbarkeit und Kompensierbarkeit beschreiben.
- Eingrenzbarkeit: Kann man Armut klassen- oder schichtspezifisch eingrenzen?
- Zurechenbarkeit: Wer ist Verursacher bzw. Wer hat die Pflicht etwas gegen Armut zu unternehmen(Unfallversicherung...)?
- Kompensierbarkeit: Wie sind Armutsrisiken zu versichern, bzw. wie ist im Armutsfall vorzugehen(Pensionsversicherung...)?
Grundsätzliche Punkte die hier angesprochen werden sind die Expansionsdynamik des Wohlfahrtsstaats und dessen Finanzierbarkeit (Gesundheit, Pflege, Wohnung...).
Die neue Armutsforschung oder die dynamische Armutsforschung der 90er Methodisch aufgebaut ist diese Betrachtungsweise auf den Ergebnissen empirischer Studien über Armut. Sie geht davon aus, daß diese Studien mit einer geringen Abweichung einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Die dynamische Armutsforschung beruht auf Längsschnittanalysen über einen gewissen Zeitraum(wird deshalb auch lebenslauftheoretische Armutsforschung genannt). Der Vorteil darin besteht, daß man Armut nicht nur als dauerhaft statistischen Querschnitt auf Problemgruppen beziehen kann, sondern über dieses Problemgruppendenken hinausgeht und dadurch reellere Ergebnisse erlangt. Es ergibt sich eine episodenhafte Darstellung von Armut, die den Weg in die Armut aber auch den Weg aus der Armut beschreibt.
Die Ergebnisse lassen sich grob vereinfacht in den drei Punkten Verzeitlichung , Biographisierung und soziale Entgrenzung zusammenfassen.
- Verzeitlichung: Langzeitarbeitslose stellen eine Minderheit dar. Armut erweist sich als komplexe Konfiguration von Armutsphasen, Unterbrechungen, Wiedereinsteigen und z.T.
endgültigen Aussteigen. Pauschale Vorstellungen von Arbeitskarrieren sind insoweit
relativiert.
- Biographisierung: Es wird die Frage nach der Bedeutung kurzfristiger Armut gestellt.
Übergänge im Leben der Betroffenen werden untersucht. Schicksalsschläge wie Scheidung, Krankheit, Arbeitsplatzverlust, aber auch andere Ereignisse wie Auszug aus dem Elternhaus, Karenz, Übergang von der Ausbildung zur ersten Berufstätigkeit, haben direkten oder indirekten Bezug zur Armut.
Zweiter Faktor durch den längerfristige Deprivation relativiert werden kann ist die subjektive Zeitorientierung. Dieser Faktor betrifft die bewußten Langzeitarmen, die sich auf ein Leben auf niedrigen Niveau und abgesichert durch soziale Netze eingestellt haben. Einerseits kann man generell in mißglückte subjektive Überbrücker, denen es nicht gelingt aus der Armutsphase herauszukommen, und hoffnungslosen Langzeitarmen unterscheiden, wobei die Grenzziehung nicht einfach ist.
Soziale Entgrenzung: Sie ist die Folge der ersten zwei beschriebenen Erscheinungen und kommt zum Ergebnis: Armut reicht als zeitweise erlebte Lage und mehr oder weniger latentes Risiko in mittlere Schichten hinein, ist nicht beschränkt auf traditionelle Randschichten der Gesellschaft.
Die verwendeten Studien sind das SOEP und die Bremer Studie(8).
Allgemeine Indikatoren für die Studien sind Sozialhilfebezug, Arbeitsmarktsituation und Wohnungsmarkt.
Eine wichtige Aussage der neuen Armutsforschung ist es, daß der Sockel von Arbeitslosigkeit vorwiegend statistische Ursachen hat, da die Personen die diesen Sockel bilden nicht einer spezifischen Gruppe angerechnet werden können, sondern im Rahmen einer sich steigernden Umfelddynamik, laufend wechseln.
1) vgl.: Fußfeld, Daniel R., Anfänge der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstheorien, in Schüllein, Johann August, Ökonomie und Soziologie, Kap.5
2) vgl.:Wandlungen im Denken über wirtschaftliche Krisen, w.o., Kap.15
3) Maslow, A.H., Psychologie des Seins, S.41, München 1973
4) vgl.: Leiserling, L., Zweidrittelgesellschaft oder Risikogesellschaft? Zur gesellschaftlichen Verortung der ,,neuen Armut" in der Bundesrepublik Deutschland, in Bieback K.-J. und Milz, Neue Armut, S.60, Frankfurt/New York
5) Zitat, Leiserling, w.o., S.62
6) Zitat, w.o., S.63
7) Zitat, w.o., S.67
8) Studien, w.o., S.68,69
Konzeption der Armut
Was ist Armut?
Je entwickelter die Gesellschaft ist um so höhere Hierarchieebenen in der Bedürfnispyramide beschreiben Armut Zeitliche Einordnung Mittelalter, Industrialisierung, Weltkriege, Aufbaugeneration, Wohlstandsgesellschaft, Überflußgesellschaft.
Gesellschaftliches Bewußtsein
Gibt es überhaupt Armut? Ist Armut ein gesellschaftsrelevantes Problem?
Betrachtungsweise der Armut
Zweidrittelgesellschaft: Armut ist ein politisch motiviertes Konzept mit den Antipolen Starke - Schwache, Gewinner - Verlierer, Täter - Opfer
Stabilitätsannahme: Menschen befinden sich in dauerhafter Deprivation
Marginalisierungsannahme: Menschen schlittern schrittweise in die Armut, ein Schritt nach unten folgt dem nächsten
Risikogesellschaft: Grundlage für die Dynamische Armutsforschung
Individualisierung von Ungleichheit, Verzeitlichung von sozialer Ungleichheit
Unterschied zur alten Armut: Eingrenzbarkeit, Zurechenbarkeit, Kompensierbarkeit
Dynamische Armutsforschung:
Methode: Empirische Längsschnittanalysen über die Zeit
Ergebnisse: Verzeitlichung, Biographisierung, soziale Entgrenzung
- Quote paper
- Wolfgang Reithoffer (Author), 1997, Armut und soziale Ausgrenzung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/97647
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