Fanzines sind Printmagazine in Kleinauflagen, die von Fans für Fans produziert werden. Dieser Beitrag behandelt Fanzines einiger Heavy-Metal-Subgenres, vergleicht sie mit kommerziellen Publikationen und geht auf ihre Funktionen, Inhalte und politischen Dimensionen ein.
Typischerweise sind Fanzines Nischenprodukte, die – im gesamtgesellschaftlichen Maßstab betrachtet – eher randständige Interessen bedienen und in Subkulturen zirkulieren. Subkulturen als Teile eines größeren Kulturzusammenhangs lassen sich von ihrem Umgang mit kulturellen Ressourcen her beschreiben: „their unorthodox, even oppositional or illegitimate, use of cultural signs“ (Gelder 2005) bestimmt sie als besondere Ausdrucksformen von Sozialität. Dieser Zeichengebrauch entspricht den Selbstbildern, Interessen, Haltungen und Praxisformen, durch die eine Subkultur sich von anderen kulturellen Formationen unterscheidet. ›Subkultur‹ ist hier also nicht als abwertendes Urteil über die kulturelle Güte, etwa im Gegensatz zu weithin anerkannten Kulturbereichen, zu verstehen, sondern als Teil oder Unterbereich größerer kultureller Formationen, von denen sich die Subkultur durch ihren Zeichengebrauch und faktisch zumeist auch durch die verhältnismäßig geringe Anzahl ihrer Akteure abhebt. Fanzines sind dabei Schnittpunkte in subkulturellen Netzwerken, an denen sich nachvollziehen lässt, wie Sinn und Selbstbilder generiert, Sinngehalte interpretiert, neue Bedeutungsfelder eröffnet und Zeichenvorräte neu kombiniert werden. Wie das geschieht, wird nachfolgend diskutiert, wozu schlaglichtartig verschiedene Facetten von Metal-Fanzines mit Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum vorgestellt werden.
Fanzines! Unterwegs im Blätterwald einiger Metal-Subkulturen
Jan Leichsenring, Universität Erfurt
Was sind Fanzines?
›Fanzine‹ ist eine Zusammensetzung aus ›fan‹ und ›magazine‹, die Magazine von Fans für Fans bezeichnet. Charakteristisch ist, dass solche Publikationen »von nicht-kommerziellen Körperschaften herausgegeben werden und über alternative Distributionswege (Eigenvertrieb, Mailorder, Tonträgerdistributoren, NICHT Postzeitungsvertrieb) ihrem Publikum zugänglich gemacht werden« (Nicolaus 1999, 16; vgl. Shuker 2005, Art. ›Fanzines‹). D.h., sie werden nicht erwerbsmäßig produziert, aber zumeist verkauft. In Einzelfällen werden Fanzines auch getauscht (etwa gegen andere Fanzines oder, zumal bei Musik-Fanzines, gegen Tonträger) oder kostenlos verteilt (indem die Herausgeber die Kosten übernehmen oder sie mit Werbeeinnahmen decken).1 Sie behandeln verschiedenste Themenbereiche wie etwa Comics, Sport, Filme, Rollenspiele, Lyrik oder Musik und werden in Klein- und Kleinstauflagen von weniger als 100 bis – wenn man ihren Herausgebern glauben darf – 1000 Stück und mehr hergestellt. Fanzines können aus einigen kopierten und gefalteten Blättern bestehen, im Offsetverfahren auf Hochglanzpapier gedruckt und geheftet oder in Buchform gebunden sein, und ihr Layout reicht von cut & paste2 bis zu quasiprofessioneller Gestaltung mit entsprechender Software. Es handelt sich mithin um Alternativmedien, die hinsichtlich Inhalt und Vertrieb Vorbedingungen kommerzieller Medien umgehen: Sie sind nicht am Zeitschriftenkiosk erhältlich, weitgehend unabhängig von Anzeigenkunden und können Themenbereiche verbinden und auf eine Art und Weise behandeln, die für Kioskmagazine untypisch ist – dazu gleich mehr. Mitunter werden zu den Fanzines auch Internetmagazine, Blogs usw. gezählt; ich beschränke mich mir hier aber auf gedruckte bzw. kopierte Fanzines von den 1990er Jahren bis 2020.
Typischerweise sind Fanzines Nischenprodukte, die – im gesamtgesellschaftlichen Maßstab betrachtet – eher randständige Interessen bedienen und in Subkulturen zirkulieren. Subkulturen als Teile eines größeren Kulturzusammenhangs lassen sich von ihrem Umgang mit kulturellen Ressourcen her beschreiben: „their unorthodox, even oppositional or illegitimate, use of cultural signs“ (Gelder 2005: 12) bestimmt sie als besondere Ausdrucksformen von Sozialität. Dieser Zeichengebrauch entspricht den Selbstbildern, Interessen, Haltungen und Praxisformen, durch die eine Subkultur sich von anderen kulturellen Formationen unterscheidet. ›Subkultur‹ ist hier also nicht als abwertendes Urteil über die kulturelle Güte, etwa im Gegensatz zu weithin anerkannten Kulturbereichen, zu verstehen, sondern als Teil oder Unterbereich größerer kultureller Formationen, von denen sich die Subkultur durch ihren Zeichengebrauch und faktisch zumeist auch durch die verhältnismäßig geringe Anzahl ihrer Akteure abhebt. Fanzines sind dabei Schnittpunkte in subkulturellen Netzwerken, an denen sich nachvollziehen lässt, wie Sinn und Selbstbilder generiert, Sinngehalte interpretiert, neue Bedeutungsfelder eröffnet und Zeichenvorräte neu kombiniert werden. Wie das geschieht, wird nachfolgend diskutiert, wozu schlaglichtartig verschiedene Facetten von Metal-Fanzines mit Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum vorgestellt werden.
Was beinhalten Fanzines?
Den inhaltlichen Schwerpunkt von Metal-Fanzines bilden zumeist Interviews mit Musikern, aber auch mit anderen Personen, die zu Metal-Netzwerken gehören, z.B. Grafiker, Inhaber von Plattenfirmen (Labels) und Fanzine-Herausgeber. Typischerweise werden Tonträger rezensiert und es wird über Konzerte berichtet. Mitunter werden auch Gedichte und Kurzgeschichten, Satiren und Polemiken sowie Sachtexte zu musikalischen und nichtmusikalischen Themen abgedruckt. Der jeweilige Zusammenhang der behandelten Themen muss sich zumindest für Außenstehende nicht unmittelbar erschließen. Polarlicht #5 enthält u.a. Berichte über Avantgarde Metal, Gothic und Schamanen-Jazz-Rock, ein Nico-Porträt3, einen Artikel über den Dichter Johannes Bobrowski, ein Märchen zu Mittwinter sowie Artikel über Fotografie, Buddhismus, Bären und Sternbilder. Die Passungsverhältnisse solcher Themen sind als eine Familienähnlichkeit zu denken: Ein Artikel über Bären steht in keiner direkten Beziehung zu einem Interview mit einer Gothicband, aber einige Varietäten von Gothic und Metal teilen ästhetische und thematische Merkmale wie etwa Natur- oder mythologische Motive. Ähnlich präsentiert sich das Waldhalla-Fanzine, das neben Rezensionen und Band-Interviews v.a. aus dem Pagan-Metal- und Neofolk-Bereich etwa vegetarische Koch- und Backrezepte, Bierempfehlungen und einen Reisetipp zu den schottischen Glengorm Standing Stones enthält. Solche Themen bilden eine semiotische Familie oder eine Kette, deren Enden ganz unterschiedlich beschaffen, aber durch die Überschneidungen einiger Elemente verbunden sind. Wie die Forschung gezeigt hat, müssen Subkulturen keine Monokulturen sein. Dieser Umstand, »their heterogeneity, their porousness and variability, their transience« (Gelder 2005: 11), der auch die Überschneidung mit anderen Subkulturen ermöglicht, zeigt sich in der Themenwahl von Fanzines.
Die Mehrzahl der hier untersuchten Metal-Fanzines behandelt aber ausschließlich Metal bzw. lässt nur ganz wenige Ausnahmen zu, etwa mit dem Hardrock von Alice Cooper im Hammerheart #4 oder mit sehr wenigen Rezensionen z.B. zu Rock, Folk und Ambient (Valravn, Apoptose und Nihil Novi Sub Sole im selben Heft). Die Vielfalt liegt meist in der Anzahl der vertretenen Metal-Subgenres. Trotzdem zeigt sich im Metal eher ein Interesse an anderen Musikstilen als umgekehrt. Das Polarlicht-Fanzine war eines der wenigen Beispiele für eine Reihe, die Metal berücksichtigt, ohne den Schwerpunkt auf dieses musikalische Genre zu legen. Neofolk- und Darkwave-Fanzines bspw. streifen Metal nur am Rande, z.B. mit einem Kommentar zu Burzum in Zwielicht # 4 oder mit einzelnen Metal-Rezensionen in der Fanzine-Reihe Ikonen. Eher an Metal interessiert sind Fanzines wie das Snowfall, das sich ansonsten mit Hardcore und Punk befasst. Eine quantitative Studie könnte der Frage nachgehen, ob das Interesse einiger Metal-Fanzines an anderen Musiksubkulturen tatsächlich selten auf Gegenseitigkeit beruht, wie die hiesige Stichprobe nahelegte.
Welche Funktionen haben Fanzines?
Metal-Fanzines informieren über zielgruppenspezifische Musik sowie damit verbundene Themen und bilden eine Plattform für die Selbstdarstellung von Szeneakteuren. Dabei sind die Autoren häufig bestrebt, möglichst weithin Unbekanntes zu entdecken, was als eine Erscheinungsweise der Ablehnung von ›Kommerz‹ und Massenkultur gesehen werden kann. Indem wenig bekannte Bands aufgenommen und z.T. sehr ausführlich interviewt werden, heben sich Fanzines inhaltlich von Kioskmagazinen ab.4 Wie diese unterhalten Fanzines natürlich auch ihre Leserschaft. Kommerzielle Medien räumen jedoch selten einer Demoband5 mehrere Seiten ein, auf denen die Musiker ihre persönliche Mythologie ausbreiten können.6 Allerdings nehmen manche Fanzines auch sehr bekannte Bands auf. Im Skull Crusher #7 waren das u.a. Kreator, King Diamond, Dark Funeral und Bolt Thrower, und Streetcleaner #23 hat eine Iced-Earth-Titelstory. Man darf vermuten, dass die Leserschaft es anerkennt, wenn die Herausgeber Interviews gerade mit solchen Musikern zu Wege bringen. Das führt auf die nächste Funktion.
Fanzines verschaffen Distinktion. »Bei Metal ist es so wie beim Jazz«, hieß es in einem Zeitungsartikel. »Man beschränkt sich nicht darauf, die Musik gerne zu hören, sondern wird Experte.« (Hanika 2011, S.Z1.) Fans – hier als Fanzine-Schreiber und -Leser – kommunizieren Metal-Wissen und schaffen damit Distinktion. Fanzines vermitteln solches Wissen, und Fanzines zu kennen ist selbst ein mitteilbares Wissen. Die Kenntnisse, die sich Schreiber und Leser von Fanzines über ihre Subkulturen aneignen, generieren für sie (sub)kulturelles Kapital. Ferner ist der für Fanzines nötige Arbeitsaufwand nach ökonomischen Maßstäben viel zu hoch. Deshalb können Fanzines Distinktion für ihre Autoren generieren, weil der Arbeitsaufwand und die nötigen Kenntnisse »potentiell auf eine tiefere Integration in die Sozialwelt« hinweisen (Winter 1995, 154). Der mit Fanzines verbundene Aufwand und ihr Besonderssein wird auch dadurch hervorgehoben, dass sie häufig handnummeriert werden.7
Fanzines sind eine Möglichkeit der Partizipation am Projekt Metal; ihre Autoren sind als Fans konsumtiv wie auch produktiv beteiligt, sie nehmen die Stellung von »ProsumentInnen« ein (Sandoval 2011, 24). Das Partizipative und Intersubjektive kann Fanzine-Autoren motivieren. So schrieb Claudia Striewe vom Polarlicht-Fanzine, ihr sei daran gelegen, »etwas Eigenes und im Austausch mit anderen Menschen Geformtes und Entwickeltes, zu publizieren und damit weitere interessierte Menschen zu erreichen« (Polarlicht 1 (1999), 3).
Schließlich tragen Fanzines zur Formation von Subkulturen bei, zur Bildung und Ausformung ihrer einzelnen Bereiche. Meinung und Geschmack können beeinflusst und bestimmte Sichtweisen etabliert, entwickelt und fortgeschrieben werden. Wenn Metal-Fanzines auch andere Musikrichtungen behandeln, kann das als eine Geste nicht nur musikalischer Offenheit interpretiert werden: Statt sich auf Metal oder einzelne Metal-Genres zu beschränken, wird dazu angeregt, Wahlverwandtschaften mit anderen Stilen zu entdecken, von wo aus auch Metal neue Bedeutungen gewinnen kann.
Fanzines und kommerzielle Medien im Vergleich
Die Beschreibung von Fanzines als „alternative cultural journalism“ (Atton/Hamilton 2008, 82) legt die Kontrastierung mit einem massenkulturellen bzw. kommerziellen Kulturjournalismus nahe. Mit einigem Recht wird darauf hingewiesen, dass sich professionelle Journalisten als Fans und Amateurjournalisten der Fanzines ähneln, indem ihre Expertise nicht auf einer Ausbildung, sondern auf der Konsumentenperspektive beruht. In Fanzines werde die ›gewöhnliche Stimme‹ ebenso privilegiert wie in einigen kommerziellen Formaten der Film-, Buch- oder Musikkritik. In beiden Fällen wüssten die Journalisten über ihre Gegenstände nicht mehr als ihr Publikum (vgl. Atton/Hamilton 2008, 82). Fan- und Expertenperspektive können jedoch eine Einheit bilden, und das in kommerziellen wie in alternativen Medien. Zwar arbeiten Fanzines selten mit dem begrifflichen Werkzeug und den Perspektiven akademischer Kunstkritik. (Wobei die Ausnahme die Regel bestätigt. Am Pagan Herald waren Kulturwissenschaftler beteiligt, und das (Nicht-Metal-)Fanzine Ikonen (zwölf Printausgaben 2002–2009) war betont medientheoretisch ausgerichtet). Aber auch professionelle Kunstkritiker werden eine gewisse Sympathie für die Gegenstände ihrer Arbeit benötigen, und gibt es wirklich akademische Theaterkritiker, die nicht auch Theaterfans sind?
Fanzines können sich auf kleine Zielgruppen richten, die für kommerzielle Medien noch nicht oder nicht mehr interessant sind. Als sich Periodika für Metal bzw. seine Subgenres gerade etablierten, wurden einige Fanzines kommerzialisiert und schafften den Sprung an den Kiosk: In den 80er Jahren das Rock Hard, in den 90er Jahren Deftone (das heutige Legacy) und Ablaze.
Werden Mitarbeiter kommerzieller Medien vom jeweiligen Unternehmen ausgewählt, entscheiden Fanzine-Herausgeber danach, ob jemandes Beiträge zum Heft passen. In beiden Fällen sind Autoren auf die Akzeptanz der Leserschaft und auf die Reaktionen anderer Medien angewiesen, speziell auf Empfehlungen durch Fanzine-Autoren, die Fanzines rezensieren. Für Fanzines spielen zudem die Empfehlungen von Lesern eine Rolle, die sie in Internetforen äußern – erfahrungsgemäß kann der wohlwollende Forumskommentar eines Lesers zu mehr Verkäufen führen als eine gleich gute Rezension in einem Kioskmagazin.
[...]
1 So wurde im Death-Metal-Fanzine Butchery Experiences erst in der fünften Ausgabe angekündigt, künftig die Erstattung der Portokosten von 3 DM von seinen Lesern zu verlangen. Vgl. Butchery Experiences #5 (2001?), Vorwort. Im ebenfalls kostenlosen The Gate heißt es zu den Herstellungskosten: »Das haben wir bisher ja nicht durch den üblichen Verkauf reingeholt, sondern stets zu einem überwiegenden Teil selbst finanziert. Der Rest wurde dann über die Anzeigen gedeckt.« The Gate #9, S. 3.
2 D.h., die einzelnen Elemente jeder Seite (Text, Fotos, Illustrationen und andere Grafikelemente wie Schmuckrahmen) werden einzeln ausgedruckt, ausgeschnitten und auf einem Blatt Papier aufgeklebt, das als Kopiervorlage für das Fanzine dient.
3 Nico alias Christa Päffgen (1938–1988), Sängerin, Model und Schauspielerin, musikalisch eine Ikone des Dark Wave und Gothic Rock.
4 Vgl. bspw. das achtseitige Interview mit Empyrium in Mørkeskye #11 (2006, o.S.), das zehn Jahre Bandgeschichte rekapituliert und in der Metal-Subkultur den Teil der Dark/Gothic-Metal- und Neofolk-Hörer anspricht. In Soleil Tryste #3 (2012) werden u.a. brasilianische und kanadische Demo-Bands interviewt. Der Schwerpunkt des Heftes liegt auf Black und Doom Metal, wodurch diese Kombination bereits eine bestimmte Nischenzielgruppe umreißt.
5 Demobands sind Bands, die Musik in Eigenregie, also ohne Plattenfirma, aufnehmen und veröffentlichen, oft in der Absicht, aufgrund ihres musikalischen Demonstrationsmaterials einen Veröffentlichungs- und Vermarktungsvertrag mit einer Plattenfirma abschließen zu können. Demos werden nach wie vor mitunter auf Musikkassette veröffentlicht, inzwischen aber auch häufig elektronisch auf Plattformen wie Bandcamp.
6 So aber z.B. die Band Gevurah in Soleil Tryste #3 (2012), S. 34–39.
7 Z.B. Mørkesyke # 16 und Waldhalla # 2.
- Quote paper
- Dr. Jan Leichsenring (Author), 2020, Fanzines! Unterwegs im Blätterwald einiger Metal-Subkulturen., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/973722
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