Horst Wessel wurde 1907 als ältester Sohn eines Pfarrers geboren. Schon als Jugendlicher war Wessel Mitglied im Bismarck-Bund, dem paramilitärischen Jugendverband der DNVP. Nach seinem Abitur begann Wessel im Jahre 1926 ein Studium der Rechtwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Unmittelbar danach trat Horst Wessel, genauso wie sein jüngerer Bruder Werner, der Sturmabteilung bei, in der er schnell zum Sturmführer aufstieg. Obwohl Wessel in den kommunistischen Arbeiterkreisen immer als provokatives und brutales Mitglied der SA berüchtigt war, erreichte seine Person niemals überlokale Bekanntheit. Doch das Jahr 1929 stellt einen radikalen Bruch in dem Leben des jungen SA Mannes dar. Er verließ sein bürgerliches Elternhaus und bezog mit seiner Geliebten ein einfaches Zimmer in einem Proletarierviertel. Außerdem unterbrach er sein Studium und musste sich als Hilfsarbeiter durchschlagen. Zudem geriet Wessel in eine tiefe psychische Krise, nachdem sein jüngerer Bruder Werner Ende des Jahres durch einen Unfall ums Leben kam. Diese Rahmenbedingungen sollten nach seinem Tode am 23. Februar 1930, nachdem Wessel am 14. Januar des Jahres vermutlich von Albrecht Höhler, einem aktiven Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, angeschossen wurde und fünf Wochen später seinen Verletzungen erlag, hervorragende Voraussetzungen für die NS-Propaganda darstellen, die mit ihrem propagierten Totenkult um die Person des Horst Wessels den wohl berühmtesten „Blutzeugen“ der nationalsozialistischen Bewegung und zugleich einen Prototyp des nationalistischen Märtyrertums schuf.
Einleitung
Anhand des folgenden Nachrufes von Joseph Goebbels soll untersucht werden, wie das nationalsozialistische Gedenken um den toten SA Sturmführer Horst Ludwig Wessel einen heroischen Totenkult formte.
Horst Wessel wurde 1907 als ältester Sohn eines Pfarrers geboren. Schon als Jugendlicher war Wessel Mitglied im Bismarck-Bund, dem paramilitärischen Jugendverband der DNVP. Nach seinem Abitur begann Wessel im Jahre 1926 ein Studium der Rechtwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Unmittelbar danach trat Horst Wessel, genauso wie sein jüngerer Bruder Werner, der Sturmabteilung bei, in der er schnell zum Sturmführer aufstieg.1 Obwohl Wessel in den kommunistischen Arbeiterkreisen immer als provokatives und brutales Mitglied der SA berüchtigt war, erreichte seine Person niemals überlokale Bekanntheit. Doch das Jahr 1929 stellt einen radikalen Bruch in dem Leben des jungen SA Mannes dar. Er verließ sein bürgerliches Elternhaus und bezog mit seiner Geliebten ein einfaches Zimmer in einem Proletarierviertel. Außerdem unterbrach er sein Studium und musste sich als Hilfsarbeiter durchschlagen.2 Zudem geriet Wessel in eine tiefe psychische Krise, nachdem sein jüngerer Bruder Werner Ende des Jahres durch einen Unfall ums Leben kam.3 4 5 Diese Rahmenbedingungen sollten nach seinem Tode am 23. Februar 1930, nachdem Wessel am 14. Januar des Jahres vermutlich von Albrecht Höhler, einem aktiven Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, angeschossen wurde und fünf Wochen später seinen Verletzungen erlag, hervorragende Voraussetzungen für die NS-Propaganda darstellen, die mit ihrem propagierten Totenkult um die Person des Horst Wessels den wohl berühmtesten „Blutzeugen“ der nationalsozialistischen Bewegung und zugleich einen Prototyp des nationalistischen Märtyrertums schuf.4,5
Inhalt
Der Nachruf „Bis zur Neige“ von Joseph Goebbels erschien am sechsten März 1930 in der Gauzeitung der Berliner NSDAP „Der Angriff“ und beschreibt den heroischen Lebenslauf des verstorbenen Christsozialisten Horst Wessel.
Goebbels beginnt den Nachruf mit der Geburt Wessels und seiner Heranreifung zum jungen Manne. Er betont seine ausgeprägte Willensstärke, die über sein junges Alter hinausgehe und dass Wessel bis zum Äußersten bereit sei für seine Überzeugung einzustehen, jedoch erntete er für seine Überzeugung nur Hass, Verfolgung und Missgunst. Doch Wessel klage nicht und verließ sein Elternhaus für ein einfaches Leben in einem Arbeiterviertel und stelle sich seinen Widersachern. Er versuche die Arbeiter durch Taten zu überzeugen und für sich zu gewinnen, denn er sei durch etwas Göttliches in ihm prädestiniert so zu handeln und nicht von seinem Weg abzuweichen. Zuerst suche die Trauer nach dem Tod seines Bruders ihn heim und danach der heimtückische Tod durch die Menschen, die sich nicht von ihm erlösen lassen wollten. Goebbels beendet den ersten Teil des Nachrufs, der mit dem Tod Wessels endet, indem er beschriebt, wie die Ungläubigen den Christsozialisten zu Grabe tragen. Im letzten Teil fordert Goebbels die Deutschen auf sich ein Beispiel an dem Toten zu nehmen, der die Schmerzen und den Tod bereitwillig für sein Vaterland hinnahm und das sich ein neues und junges Deutschland erheben werde. Er beendet den Nachruf indem er beschreibt, dass der Tote auf ein in dämmernder Ferne gelegenes und über Gräber zu erreichendes neues Deutschland weise.
Analyse
Der Gauleiter von „Groß-Berlin“ und spätere Reichspropagandaleiter der NSDAP sowie Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Paul Joseph Goebbels, veröffentlichte am sechsten März 1930 in der Gauzeitung der Berliner NSDAP „Der Angriff“, dessen Herausgeber er seit dem Juli 1927 war, den Nachruf „Bis zur Neige“ auf den 22 Jahren jungen verstorbenen Sturmführer der SA, Horst Wessel.6,7 Das NS-Blatt, das ursprünglich eine Wochenzeitung war, erschien aufgrund der rasant steigenden Leserschaft später zweimal wöchentlich, dann täglich und ab Oktober 1932 sogar zweimal täglich. Das zutiefst antisemitisch wie rassistisch geprägte und offensiv ausgelegte NS-Blatt „Der Angriff“ betrieb erfolgreich auf lokaler Ebene nationalsozialistische Propaganda, die sich vor allem gegen die Weimarer Republik richtete.6 7 8 Mit dem veröffentlichten Nachruf versuchte der Verfasser Joseph Goebbels der Leserschaft der Wochenzeitung „Der Angriff“ eine Stilisierung der Person Horst Wessels zum Christus-Sozialisten und Parteihelden zu schaffen, der zugleich einen „neuen Menschen“ verkörpere und damit eine Vorbildfunktion für das „wahre“ Deutschland und dessen Deutsche einnähme.9
Der Verfasser des Nachrufes „Bis zur Neige“ war Dr. Paul Joseph Goebbels, geboren am 29. Oktober 1897 in Mönchengladbach. Goebbels stammte aus einem kleinbürgerlichen, katholisch geprägten Elternhause und zeichnete sich schon früh als hervorragender Schüler aus. Seine rhetorische und schriftliche Begabung vertiefte er in seinen Studien der Germanistik und Geschichte. Aufgrund einer Knochenmarksentzündung im Kindesalter verkümmerte sein rechter Unterschenkel und ein Klumpfuß entstand. Als er den Nachruf veröffentlichte, war er 32 Jahre jung und bereits Gauleiter von „Groß-Berlin“. Einen Monat später sollte er zum Reichspropagandaleiter der NSDAP ernannt werden. Sein unglaubliches demagogisches Geschick sowie sein Ehrgeiz sollten ihn ab 1926 zu einer Schlüsselfigur des Aufstiegs des Nationalsozialismus machen. Aufgrund seiner Funktion als Gauleiter von „Groß-Berlin“ war die zeitliche sowie örtliche Nähe zum Tode Horst Wessels gegeben. Goebbels sah in seiner Funktion als Gauleiter der NSDAP in Berlin in den Kommunisten erbitterte Feinde, obwohl vor allem der junge Goebbels sich als Sozialist verstand und bis zuletzt den Arbeiter verherrlichte und sich mit ihm verbunden fühlte. Die Verbundenheit zum Arbeiter kann man auch in seinem Roman „Michael“, „Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern“, das starke semiautobiografische Bezüge enthält, an der Figur des „Michaels“ und seinem freiwilligen Wunsch Bergmann zu werden, erkennen.10,11 Da es sich bei der zu untersuchenden Quelle um einen Nachruf handelt, werden dem Verfasser bestimmte inhaltliche Rahmenbedingungen gesetzt. Hierbei ist es interessant zu beobachten, dass Goebbels den Nachruf, inhaltlich betrachtet, in zwei Teile teilt. Der erste Teil beginnt mit der Geburt Wessels und endet mit seiner Beerdigung. Hierbei wird, wie es für einen Nekrolog üblich ist, das Lebenswerk des Verstorbenen gewürdigt. Der zweite Teil ähnelt mehr einem politischen Aufruf als einem Nachruf. Auf morphologischer Ebene ist der zweite Teil fast durchgehend vom Imperativ durchdrungen, wie z.B. hebt, zeigt, ruft, gebt, werdet und tragt. Auch auf der semantischen Ebene wird offensichtlich, dass er nicht nur die Würdigung Horst Wessels beabsichtigt, sondern den Leser zu bestimmten Einstellungen und Handlungen auffordert, wie z.B. „ Hebt ihn hoch, den Toten und zeigt ihn allem Volk. Und ruft und ruft: Seht [...]“ Die inhaltlichen Grenzen, die einen Nachruf ausmachen, werden hier eindeutig überschritten, um eine politische Botschaft, wie Goebbels sie formulierte, zu transportieren. Die Wortwahl ist durch zahlreiche Bibel Anlehnungen, wie z.B. Er geht als Prediger in die Wüste, Er muß tragen, was ein vor ihm verschuldetes Geschlecht sündigte und fehlte, Er hat den Kelch der Schmerzen bis zur Neige getrunken oder auch „Kommt zu mir, ich will euch erlösen!“, geprägt und geben vor allem dem ersten Teil des Nachrufes eine starke christliche Note. Auch semantisch betrachtet, wird dem Leser hier offensichtlich eine Anlehnung an die Passionsgeschichte Christi präsentiert. Der Satzbau ist überwiegend einfach gestaltet und es werden keine schwer verständlichen Wörter verwendet, wie z.B. Fachwörter oder Fremdwörter. Dies führt insgesamt dazu, dass der Sprachinhalt, der einen Umbruch des herrschenden Systems de facto beinhaltet, klar und verständlich dargestellt wird. Die Vorrausetzungen dafür bilden seine stark bildbehaftete Ausdrucksweise, wie z.B. „ Eine deutsche Mutter hat ihn unter Schmerzen geboren “, „ Und über seine Wangen rinnen zwei Ströme heißen Weinens “, „ Er steht am Grabe des... jüngeren Bruders “ oder „ Der Tote, der mit uns ist, hebt seine müde Hand und weist in die dämmernde Ferne: Über Gräber vorwärts!“ und die Verwendung eines Inhaltes, den vermutlich zu jener Zeit jeder Deutsche kannte, nämlich die Leidensgeschichte Jesu Christi. Ein auffälliges stilistisches Mittel ist das häufig auftretende Personalpronomen „sie“ in der Verwendung der 3. Person Plural. Es taucht insgesamt sechs Mal in dieser Funktion auf, dabei kein einziges Mal im zweiten Abschnitt. Interessant dabei ist, dass semiotisch nicht eindeutig hervorgeht, wen Goebbels damit bezeichnet. Das Schlüsselwort des Textes ist zweifelsohne das aus zwei lexikalischen Morphemen bestehende Wort „Christsozialist“. Ähnlich wie bei einem politischen Kampfbegriff klingt hier „Ein Christsozialist“ kurz und einprägsam. Die Komposition schafft es, die politische Botschaft, die Goebbels in diesem Nachruf zu transportieren versuchte, in einem einprägsamen Wort zu bündeln. Unmittelbar vor und nachdem Schlüsselwort „ Christsozialist “ befinden sich markante Substantive wie z.B. „ Proletarierviertel “, „ Mansardenstube “, „ Mietskaserne “ „(schmales) Dasein “ und „ Taten “. Diese aussagekräftigen Substantive sind allesamt von ihrer Konnotation her mit dem Arbeiterstand eng verbunden und untermauern den sozialistischen Charakter, den Goebbels versucht, ähnlich wie bei seiner Romanfigur „Michael“, dem Toten Horst Wessel zuzuschreiben. Am Anfang benutzt Goebbels inhaltlich verbundene abstrakte Substantive, wie z.B. „ Haß als Dank “ und „ Verfolgung als Anerkennung “, die für den Leser in eine unerwartete Relation gesetzt werden und dadurch emotional stärker vom Leser wahrgenommen werden. Eine ähnliche Funktion übernimmt die Klimax im darauffolgenden Satz. „ Sie lachen ihn aus, verhöhnen ihn, speien ihn an [...]“. Auffallend ist auch, obwohl es bei der Quelle sich um einen Nachruf zum Tode Horst Wessels handelt, dass nicht ein einziges Mal der Eigenname des Verstorbenen fällt, sondern fast nur Personalpronomen für seine Person genannt werden, deswegen erhalten die verwendeten Synonyme für seinen Eigennamen nochmal eine viel stärkere Bedeutung. Das erste Synonym, das für ihn genannt wird, ist das Schlüsselwort des Textes „Christsozialist“, das zweite ist der „Tote“ und das letzte ist „Deutschland“. „ Er muß tragen, was ein vor ihm verschuldetes Geschlecht sündigte und fehlte. Er weiß darum und nimmt es schweigend auf sich. Er ist zum Letzteren bereit “. Bei diesen aufeinanderfolgenden drei Sätzen fällt immer wieder der gleiche Satzanfang auf. Dies hat zur Folge, dass das Personalpronomen „Er“ verstärkt und hervorgehoben wird. „ Es steht ein anderes Deutschland auf.“ Hier handelt es sich um eine Personifikation, die primär eine Überhöhung des Vaterlandes schafft. Die Nähe der Quelle an den geschilderten Ereignissen ist hier kein Garant für die Wahrheit, denn Goebbels erfindet zwar keine neue Lebensgeschichte, jedoch veränderte er die Reihenfolge von Ursache und Folge einiger beschriebener Lebensabschnitte. Zudem erwähnte er Wessels Freundin, ein einfaches Arbeitermädchen, die wahrscheinlich wesentlichen Anteil an Wessels Entscheidungen, wie z.B. aus dem Elternhause auszuziehen und in eine Mansarde in einem Arbeiterviertel zu ziehen oder auch, dass Wessel seine Studien unterbrach um zu arbeiten, hatte. Der Erkenntniswert der historischen Forschung sollte deswegen weniger auf Wessels Leben, als vielmehr auf die NSRhetorik und wie es Goebbels gelang, einen Christsozialisten aus Wessel zu machen, abzielen.
[...]
1 Lazar Imre, Der Fall Horst Wessel, S. 63ff.
2 Siemens Daniel, Horst Wessel, S. 13-104.
3 Behrenbeck Sabine, Kult um die toten Helden, S. 120.
4 Behrenbeck Sabine, Kult um die toten Helden, S. 126.
5 Vierkant Maica, Märtyrer und Mythen, S. 56ff.
6 Behrenbeck Sabine, Kult um die toten Helden, S. 121.
7 Longerich Peter, Joseph Goebbels, S. 111ff.
8 Richter Simone, Joseph Goebbels, S. 329-333.
9 Behrenbeck Sabine, Kult um die toten Helden, S. 121ff.
- Quote paper
- Anonymous,, 2017, Nationalsozialistische Mythenbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/972695
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