Kindheit und Jugend unter Hitlers Herrschaft
1. Einleitung
Nach Hitlers Machtergreifung erfolgte eine gravierende Reformierung des Erziehungswesens durch die Nationalsozialisten, die erhebliche Auswirkungen auf das Leben der Kinder und Jugendlichen hatten. Diese sollten insbesondere zur Beeinflussung der Kinder und Jugendlichen dienen. Deshalb veränderten sie das Leben der Kinder und Jugendlichen in der Schule, Familie und in ihrer Freizeit.
Der Grund für diese Reformen war, dass Hitler eine Jugend nach seinen Vorstellungen „heranziehen“ wollte, die sich bedingungslos in sein Sys- tem einfügen und somit seine Macht absichern würde. Diese oft verkannten Absichten werden besonders in seiner folgenden Aussage deutlich: „Das wesentliche einer Revolution ist nicht das Erringen der Macht, sondern die Erziehung des Menschen“1. Im Rahmen seiner Propaganda gab er jedoch auch das angebliche Versagen der intellektuellen Regierenden der Weimarer Republik an.2
In der vorliegenden Arbeit sollen die Konsequenzen , die diese Reformmaßnahmen für die Jugend hatten, dargestellt werden. Sie möchte einen Eindruck vermitteln, was es bedeutete unter der Herrschaft der Nationalsozialisten aufzuwachsen. Im 2. Kapitel werden deshalb zunächst die Erziehungsziele der Nationalsozialisten erläutert werden, um ihre grundlegenden Zielsetzungen in der Erziehung zu verdeutlichen. Daraufhin wird auf Auswirkungen für das Leben der Kinder in Schule und Familie eingegangen werden.
Mit der Einführung des Gesetzes der Hitlerjugend kam 1936 eine wie- tere Erziehungsinstanz - die Hitlerjugend - hinzu, die insbesondere die Freizeitgestaltung der Jugendlichen beeinflusste. In den nachfolgenden Kapiteln werden deshalb Hintergründe zu Aktivitäten, Eintrittsgründen, und Zielsetzungen der männlichen Hitlerjugend und dem Bund deutscher Mädel erläutert werden.
2. Die Erziehung
Hitler wollte durch seine Erziehung alle Generationen von klein auf in ihrem Verhalten zu beeinflussen und unter Kontrolle zu halten, um seine Macht abzusichern. Somit führte er auch Nachschulungen für Erwachsene ein, um auf alle Altersbereiche Einfluss ausüben zu kön- nen. Des weiteren sollten alle öffentlichen Einrichtungen Aufgaben zur „Volkserziehung“ übernehmen3. Die Unterschiede von Erziehung, Pro- paganda und Indoktrination verwischten. Aufgrund dieser Aspekte wurde das deutsche Reich auch häufig als „Erziehungsstaat“ bezeichnet4.
Eine der gravierendsten Erziehungsreform war die besondere Förde- rung der körperlichen Leistungsfähigkeit und bestimmter charakter- licher Eigenschaften, wie z.B. die der Willens- und Entschlusskraft. Intellektuelle Fähigkeiten, wie kritisches oder eigenständiges Denken wurden jedoch nicht gefördert, da die Menschen sich anstandslos in die Rolle einfügen sollten, die ihnen vom Staat zugedacht wurde.
2.1 Erziehungsziele
Das Ziel der nationalsozialistischen Erziehung war es, Schichten bzw. klassenspezifische Unterschiede abzubauen, um eine „Volksgemein- schaft“ entstehen zu lassen. Außerdem sollte durch die Erziehung ge- wisse Eigenschaften bei den Kindern und Jugendlichen hervorgebracht werden, die ohnehin schon im „deutschen Menschen“ angelegt seien5. Jedoch wurde die Bedeutung bestimmter Eigenschaften in einem anderen Sinne definiert als heute. So war z.B. mit „Verantwortungs- bewußtsein“ nicht gemeint, eine Entscheidung zu treffen, nachdem alle Umstände erörtert und die Konsequenzen für andere Meschen bedacht wurden. Der verantwortungsbewusste Mensch sollte nicht ruhig analysierend handeln, sondern das fast Aussichtslose wagen.
Für viele der auf der folgenden Seite dargestellten Eigenschaften ist allerdings auch ein starkes Selbstbewußtsein nötig. Hitler meinte deshalb, dass die gesamte Erziehung darauf angelegt werden müsse, den Menschen die Überzeugung zu geben, anderen unbedingt überlegen zu sein6.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Des weiteren sollte die gesamte Erziehungs- und Bildungsarbeit ihre Krönung darin finden, den Rassensinn und das Rassegefühl instinktiv- und verstandesgemäß in der Jugend zu verankern7.
Weitere Erziehungsziele, die das Äußere sowie die persönliche Einstel- lungen der Menschen betrafen, werden in folgender Graphik dargestellt.
„Ich bin nichts - mein Volk ist alles“ „Deutschland, Deutschland über
2.2 Das Schulsystem
Die Reformen im Schulsystem sahen u.a. wesentliche Beschränkungen und Vereinheitlichungen vor. So z.B. 1936 die Abschaffung der konfessionellen Schulen. Ein Jahr später wurden die vielen verschiedenen Gymnasienformen abgeschafft. Hitler reduzierte sie auf 3: das humanistische Gymnasium, die naturwissenschaftliche und die neusprachliche Oberstufe.
Mit dem Reichsschulpflichtgesetz wurde die 8-jährige Schulpflicht beginnend mit dem 6. Lebensjahr eingeführt. Die öffentliche Grundschule umfasste die ersten 4 Schuljahre und war ein Teil der Volksschule. Anschließend folgten entweder 4 weitere Volksschuljahre, sechs Jahre Mittelschule oder acht Jahre Höhere Schule. Im Anschluß an die Volksschule unterlagen alle 14 - 18jährigen Jugendlichen, sofern sie nicht auf andere Schulen gingen, der zwei bis dreijährigen Berufsschulpflicht.8
Des Weiteren führte Hitler die Deutschen Heimschulen, für Kinder von Vätern, die häufig versetzt wurden, ein. Außerdem wurden spezielle Internate - AdolfHitler-Schulen und Nationalpolitische Erziehungsanstalten - zur Ausbildung einer Nachwuchsgeneration für NSDAP und Verwaltung gegründet9.
In „Mein Kampf“ sprach Hitler bereits das Problem der Stoffülle an, welches von je her ein Problemen an den Schulen ist. Hitler sagte, es sei gefährlich, dass jugendliche Gehirn mit einer Flut von Eindrücken zu überschwemmen, da dadurch häufig das Wichtigste vernachlässigt werden würde10.
Diese pädagogischen Kenntnisse stammen jedoch nicht von Hitler, sondern wurden von Ihm nur aufgegriffen und mit eigenen Definitionen ergänzt, indem er z.B. die Rassenkunde und die körperliche Leistungskraft als wichtiger bezeichnete als die wissenschaftliche Bildung, welche nach der weltanschau- lichen und charakterlichen Bildung an letzte Stelle trat11. Wie wichtig die körperliche und politische Ausbildung geworden war, ist auch daran zu erkennen, dass die Möglichkeit bestand, den Samstgsunterricht durch Körperliche Ertüchtigungen und Wehrsportübungen zu ersetzen.
Indem er auch begabte Arbeiterkinder einen Besuch auf Höheren Schulen ermöglichte und Gelder für Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen zur Verfügung stellte, verschaffte er sich für seine Bildungsreformen Rückhalt im Volk. Jedoch hat sich der Anteil der Arbeiterkindern an der Gesamtzahl der Studierenden nicht wesentlich verändert: Nach einem Rückgang von 1911 bis 1931 von 3 auf 2%, stieg er bis 1939 erneut wieder auf 3 % an12.
Unterstützung bekam Hitler auch, da viele Menschen seine Meinung teilten, dass die körperliche Förderung besonders in städtischen Gebieten vernachlässigt würde. Aber Ausdrücke wie „Heranzüchten kerngesunder Körper“ lassen vermuten, dass Hitler nicht die körperlichen Fähigkeiten des Individuums fördern wollte, sondern eher rassistische Zwecke verfolgte.
Außerdem wurde auch die Bildung einer „Volksgemeinschaft“ in den Schulen gefördert. So sollte auf schwächere Schüler von Lehrern und Schülern Rücksicht genommen werden. Allerdings wurden körperlich leistungsschwache Schüler benachteiligt, indem sie häufig von höheren Schulen verwiesen wurden. Außerdem spielte die körperliche Leistungsfähigkeit auch bei Aufnahme und Abschlussprüfungen oft eine sehr wichtige Rolle.
Die Turnstunden wurden zunächst auf 3 und später sogar auf 5 Sportstunden angehoben und auch das Boxen aufgenommen, da es laut Hitler Angriffsgeist und blitzschnelle Entschlußkraft fördere13.
Neben der körperlichen Ertüchtigung spielte allerdings auch der Geschichts- unterricht eine bedeutende Rolle. Er sollte dazu dienen, die Wehrgedanken und das Rassenbewußtsein zu fördern, indem insbesondere immer wieder auf die Erfolge der Deutschen und der NSDAP eingegangen wurde. Ausländische Politik wurde hingegen kaum berücksichtigt. Im Erdkundeunterricht wurde der Schwerpunkt auf Geopolitik, Lebensraum, demographische Bewegungen, rassistische Expansion und Kolonialgebiete verlegt. Außerdem versuchte man zu verdeutlichen, dass eine Rassenmischung zum Kulturverfall führe. Die Ein- führung der Unterrichtsbereiche „Vererbungs- und Rassenkunde14 “ im Fach Biologie sollte das Rassenbewußtsein der Kinder und Jugendlichen weiter aus- prägen. Viele Lehrer erkannten jedoch, dass besonders die rassistischen Unter- richtsinhalte Blödsinn waren und wurden verunsichert.15 Mit dieser Verunsi- cherung kam die Ungewissheit. Diese Ungewissheit führte zu einem Absinken des Unterrichtsniveaus, welches dadurch verstärkt wurde, dass mit Beginn des Krieges viele Schultage für das Sammeln von Altmetall verwendet wurden.
Wenn man allerdings die rassistisch - biologischen Aussagen („nur die arische Rasse ist zu höherer Intelligenz fähig“16 ) nicht berücksichtigt, waren Hitlers Forderungen an das Erziehungssystem in damaliger Zeit nichts, was auf die
Bevölkerung einen verwerflichen Eindruck machte. Später sollte es sich allerdings als großen Fehler erweisen, dass gerade die rassistischen Hintergründe häufig nicht ernst genommen wurden.
2.3. Die Familie
In der Zwischenkriegszeit gingen die Kinderzahlen besonders in Familien von Angestellten, Beamten und Freiberuflern sowie von Selbstständigen in Industrie und Gewerbe zurück, da besonders diese Personengruppen erst heirateten, wenn sie ihre Familienexistenz materiell absichern konnten. Das durchschnittliche Heiratsalter lag damals selbst in Arbeitserfamilien bei 26,7 %.17 Auch die Anforderungen an eine richtige Ernährungs- und Gesundheitsfürsorge wurden gesteigert.
Dem Bürgertum fehlten jedoch häufig finanziellen Mittel, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Um Mängel der häuslichen Erziehung auszugleichen, wurden bereits in der Weimarer Republik Kindergärten errichtet. Die Nationalsozialisten bauten dieses System weiter aus und förderten Familien mit vielen Kindern. Somit waren Familien mit 6 oder 7 Kinder trotz enger Wohnverhältnisse durchaus keine Seltenheit. Die Kinder mussten häufig mit mehreren Geschwistern ein Zimmer teilen und Kleidungsstücke an jüngere Geschwister weitergeben. Auch sonst lebte man eher in einem bescheidenen Stil.
Dennoch legte der Staat viel Wert darauf, dass die Kinder zu Ordnung, Sauberkeit , Regelmäßigkeit und absoluten Gehorsam erzogen werden.
Durch Erfahrungsberichte ist es belegt, dass diese Erziehungsaufgaben häufig von der Mutter übernommen wurden. Dadurch war sie auch häufig die Bezugsperson der Kinder, wenn diese Probleme hatten. Der Vater wurde meistens als autoritär und streng geschildert, zu dem zwar hin und wieder auch tiefe Beziehungen entstanden, diese aber selten die innige Beziehung zur Mutter übertrafen.
Durch die Erziehungsreform wurde den Nationalsozialisten die Möglichkeit gegeben, die Kindererziehung in Schule und Hitlerjugend selbst in die Hand zu nehmen. Die Einflussmöglichkeiten der Eltern auf die Erziehung wurden auf die Vorschulzeit begrenzt. Durch die zahlreichen Aktivitäten sollte die Jugend allmählich völlig vom Elternhaus isoliert werden. Außerdem waren die Eltern einem enormen
Erziehungsdruck ausgesetzt, da der Staat die Erfüllung der Erziehungsaufgaben leichter kontrollieren konnte.
2.4. Die Kinderlandverschickungen
Der Krieg bot der Hitlerjugend zusätzliche Gelegenheiten, in das Schul- und Familienleben einzugreifen. Eine davon war die Kinderlandverschickung. Insgesamt wurden 2, % Millionen Stadtkinder aufs Land in etwa 9000 Lagern untergebracht.18 Ursprünglich war das KLV Projekt als Ferienaufenthalt für gesundheitdgefährdete Kinder aus Stadtgebieten geplant worden. Mit Beginn des Krieges umfasste das Projekt allerdings auch die Kinder, die in der Nähe der Reichsgrenzen und in Gebieten ohne Luftschutzkeller lebten19. Die KLV hatte für die Nationalsozialisten allerdings auch den Vorteil, dass die Kinder in den Lagern (Schullandheime, Zeltlager; Pensionen, Jugendherbergen) häufig über Monate oder Jahre hinweg leichter zu beeinflussen waren, da sie von Familien- und Bekanntenkreis isoliert wurden. Mit Beginn der Bombenoffensive 1943 wurden sogar ganze Schulen aus den Städten in die KLV-Lager verlegt, was die Verschmelzung von Schulunterricht und HJ-Dienst vervollständigte
3 Die Hitlerjugend
Die Hitlerjugend wurde am 2. Reichsparteitag der NSDAP am 3./4. Juli 1926 in Weimar gegründet. Sie blieb während der Weimarer Republik eine eher unbedeutende Jugendorganisation20.
Als Brüning alle uniformierten Verbände der NSDAP verbot, nannte sich die HJ zwischenzeitlich Nationalsozialistischer Jugendbund, um einem allgemeinen Verbot der NSDAP zu entgehen. Mit dieser Namensände- rung bekam die Hitlerjugend zusätzlich noch Anziehungskraft durch ihre Illegalität. Zugleich wurde sie so unabhängig von der SA. Mit der Machtübernahme Papens wurde 1932 das Uniformverbot auf- gehoben, da Papen sich dadurch Stimmen der NSDAP im Reichstag und somit eine Absicherung seiner Macht erhofft habe21. Tatsächlich wurde die Macht der HJ jedoch mit einem Anstieg der Mitglieder gestärkt
Eine wichtige Aufgabe der „Hitlerjungen“ war es zunächst, Propagandamate- rial zu verteilen. Vor den ersten erfolgreichen Wahlen 1932 waren dies 20 Millionen Broschüren und Zeitschriften.22 Des Weiteren störten sie häufig Filmvorführungen wie z.B.: „Im Westen nichts neues“ und lieferten sich blutige Straßenschlachten mit anderen Jugendorganisationen. Zwischen 1932 und 1933 starben bei diesen Straßenschlachten 23 Jungen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren23. Mit welchem Kampfeswillen die Hitlerjungen damals in diese Schlachten zogen wird besonders im folgenden Liedtext deutlich, den die Hitlerjungen auf ihren Märschen und Paraden sangen:
„Wir marschieren für Hitler durch Nacht und durch Not unsere Fahne ist mehr als der Tod Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot...“
Durch das Gesetz der Hitlerjugend 1936 wurde der Einfluss der NSDAP auf die Jugend weiter vergrößert.24 In diesem Jahr wurden die Aufgaben der Erziehung der gesamten deutschen Jugend dem Reichsjugendführer Baldur Schirach übertragen. Dadurch konnte die NSDAP ihren Einfluss auf die Jugend vergrößern. Des weiteren übte der in Propagandamärschen und Paraden deutlich werdende Idealismus und Elan sowie die Geschlossenheit der Gruppen auf viele Jugendliche eine ungeheure Anziehungskraft aus.
Viele Stadtkinder und Kinder aus ärmlichen Bevölkerungsschichten wurden sicherlich auch von den zahlreichen Aktivitäten im Freien und den Ferien- und Freizeitfahrten mit geselligen Lagerleben angezogen25. Mit diesen Fahrten wollten die HJ sowohl eine Mobilisierung, Militarisierung und Disziplinierung der Jugend erreichen, als auch das Gruppenbewußtsein und Gemeinschaftssinn stärken. In der HJ galten schließlich keine sozialen oder Klassenunterschiede unter den Mitgliedern.
Viele Hitlerjungen hatten das Gefühl eine gewisse Stärke und Bedeutung zu haben26. Dieses Gefühl wurde durch Reden Schirachs bestärkt in denen er versicherte, wer in der HJ marschiere, sei keine Nummer unter Millionen, sondern Soldat einer Idee.27
Um möglichst alle Jugendliche begeisterte Anhänger der Hitlerjugend werden zu lassen, versuchte die Hitlerjugend, so viele Aufgaben in der Jugendarbeit zu übernehmen, wie möglich. Deshalb wurden auch kulturelle Betätigungen in Chören, Musikzügen und Spielscharen angeboten und an Kundgebungen, Feiern und Festen teilgenommen28.
Ein weiterer Eintrittsgrund für viele Jugendliche war wohl außerdem die Mög- lichkeit in Sonderabteilungen, wie Flieger HJ, Marine HJ oder Motor HJ tätig zu werden. Dies waren Hobbys, die viele sonst nicht hätten ausüben können. Auch das Schlagwort „Jugend wird von Jugend geführt“ gab den Jugendlichen das Gefühl, etwas Wichtiges zu sein.29 Durch diese Verantwortungsübertra- gung wurde die frühe Selbständigkeit der Jugend gefördert. Die Nationalsozia- listen propagierten letzteres Schlagwort als "Innovation". Außerdem sollte die scheinbare Selbstführung dem Volk vortäuschen, dass es sich nicht um eine „Staatsjugend“ in einem „totalitärem Staat“ handele. Tatsächlich aber hatte der Staat die volle Macht über die Jugend und wollte die Hitlerjugend zu Soldaten rekrutieren, indem sie das soldatische Denken und Handeln auf nationalisti- scher Grundlage stärken wollten.30
So kam es auch zur Zusammenarbeit von Hitlerjugend und und Reichswehr. 31 Bei den Turnabenden wurden die Jugendlichen neuerdings im Boxen unterrichtet und mussten an Wochenenden lange Märsche durchs Gelände unternehmen. Außerdem wurden die Jugendlichen in Kartenlesen und Kleinkaliberschießen trainiert.
Den Zweck, den diese Kriegsspiele erfüllen sollten, erkannten viele erst zu spät, da solche Spiele nicht gerade als unüblich galten. Die Übungen im Kleinkaliber- schießen wurden außerdem als „Dienst am Volk“ verharmlost. Der wichtigste Inhalt der wöchentlichen Heimabende war die „weltanschauli- che Schulung“. Die Jugendlichen sollten politisch beeinflusst und ihr National- und Rassengefühl gestärkt werden. Dies sollte so intensiv betrieben werden, dass sie bereit sein würden, für die Ideale des Nationalsozialismus in den Tod zu gehen.
Ab 1938 wurde die militärische Ausbildung verstärkt betrieben. In speziell eingerichteten Wehrtüchtigungslager sollten die Jugendlichen auf den Wehrdienst in der Wehrmacht von frontbewährten Soldaten vorbereitet werden. Das Ziel dieser Erziehung war es, die Jugendlichen vor Erfüllung ihrer Wehrpflicht mit 16 Jahren in bestimmten Lehrgängen der Wehrtüchtigung auszubilden32, so dass die Jugendlichen im Falle eines Krieges kampfbereit sein würden. Ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung der HJ als Nachwuchsorga- nisation der NSDAP kam mit der Verbindung von speziellen Sportarten mit wehrsportlicher Ausbildung in den Sondereinheiten zum Ausdruck.
Um die Jugend zu Höchstleistungen anzutreiben und auch um Mängel des Schulungssystems aufzudecken wurden Wettkämpfe, wie z.B. der „Reichs- berufswettkampf“ oder „Reichssportwettkampf“ einberufen, bei dem die Jugendlichen in ihren verschiedenen Fächern, bzw. Sportarten beurteilt und mit
Leistungsabzeichen belohnt wurden. 1939 nahmen an den „Reichsberufswettkapf“ 3 500 000 Jungen und Mädchen teil.33 Die Sieger wurden von Hitler persönlich empfangen. Im Jahr 1939 stieg die Zahl der Mitglieder in der Hitlerjugend auf 8,7 Millionen34 was sicherlich auch auf die Einführung der Jugenddienstpflicht zurückzuführen ist, die es vorschrieb, Mitglied in der Hitlerjugend in der entsprechenden Organisation zu werden. Ab sofort drohten Strafen bis 150 Reichsmark oder Haftstrafen, wenn man seine Kinder nicht rechtzeitig bis zum 15.03. eines Jahres bei der Hitlerjugend anmeldete.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit einem Eintritt betrachtete Schirach die Erziehung als beendet.35
Andere Jugendorganisationen und - verbände wurden angeglichen oder verboten.36 Durch diese Maßnahme innerhalb der Gleichschaltung wurde die Parteijugend zur Staatsjugend.
Die in der HJ organisierten Jugendlichen hatten außerdem zu festen Dienstzeiten zu erscheinen, die einen großen Teil ihrer Freizeit beanspruchten. In der Regel war dies Mittwochs, Sonnabends und an jedem zweiten Sonntagmorgen37.
Jedoch verstärkte der Zwangscharakter der Hitlerjugend auch die Jugendopposition. Deshalb wurde schon bald ein HJ Streifdienst eingesetzt, der illegale Widerstände niederschlug und gegen Widerständler polizeiähnliche Aktivitäten ausübte, die denen der SA und SS ähnelten.
Die Aufgaben der Hitlerjungen hatten sich mit Beginn des 2. Weltkrieg auf Aufräumaktionen, Luftschutzdienste und Sammelaktionen für Kleider und Altmetall fürs Winterhilfswerk ausgeweitet. Bei Kriegsdiens- ten (z.B. als Flakhelfer) kamen jedoch weitaus mehr Hitlerjungen ums Leben als angegeben38.
4 Der Bund Deutscher Mädel
Wichtige Unterabteilung der HJ bildete Der Bund Deutscher Mädel. Er umfasste Mädchen im Alter von 10-14 Jahren in der Organisation der Jungmädel und die Mädchen im Alter von 14-18 im Bund deutscher Mädel. Die Mädchen im BDM trugen wie auch die männliche Hitlerjugend eine Uniform, die aus einem dunkelblauem Rock, einer weißen eingeknöpften Bluse und einem Fahrtentuch bestand. Das Fahrtentuch war ein schwarzes Tuch, das am Kragenrand wie eine Krawatte zusammengebunden war. Diese Uniform machte viele Mädchen stolz und wurde von ihnen häufig als „schick“ empfunden.
Die politischen Schulungen an Heimabenden und die „Kulturarbeit“ des BDM ähnelte der, der Hitlerjugend. Zusätzlich wurden die Mädchen jedoch noch in Handarbeiten unterrichtet.
Im BDM - Werk „Glaube und Schönheit“ welches für die 17-21jährigen Mädchen geschaffen wurde, wurde die hauswirtschaftliche Arbeit vertieft, welche die Mädchen auf die spätere Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereiten sollte. Es fanden jedoch auch häufig Fahrten und sportliche Veranstaltungen statt. Z.B. wurden die Mädchen auch in „rhythmischer Gymnastik“, wie auf dem nebenstehendem Bild dargestellt, unter- richtet. Und für viele Mädchen waren die freiwilligen Eintritts- gründe, wie auch bei den Jungen der Spaß an den Freizeitangeboten, wie z.B. den 1 bis 1 ½ Tage dauernden Fahrten. Diese Fahrten gehörten zum Pflichtprogramm. Auf freiwilliger Basis konnten die Mädchen auch an mehrtägigen und mehrwöchigen Fahrten teilnehmen. Ganz besonders beliebt war allerdings der Sport. Mädchen hatten zudem im BDM die Möglichkeit, für sie sonst schwer erreichbare Sportarten, wie Tennis oder Skilaufen auszuüben. Die Ausbildung im BDM bestand Hitlers Vorgaben ge- mäß, wie in der männlichen HJ aus 1/3 geistiger Schulung und 2/3 körperli- cher Ertüchtigung.39 Der Sport im BDM wurde für viele als Befreiung vom reg- lementierenden und autoritärem Elternhaus empfunden. 1931 stieg die Zahl der Mitglieder sogar überproportional im Verhältnis zur männlichen Hitlerjugend40 Ende 1939 war die Anzahl der Mitglieder im BDM auf 1,5 und im Jungmädelverband auf 1,9 Millionen angestiegen.41
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Großstatd waren allerdings für viele Mädchen Schminke, Tanzveran- staltungen, Kinobesuche und Kleidung oft attraktiver als der Dienst im BDM und viele versuchten sich in der Anonymität der Großstadt sich vor einem Eintritt in den BDM zu drücken.42
Bis 1936 noch standen der Sport und die Fahrten im Mittelpunkt der Aktivitäten im BDM. Ab 1936/1937 wurden die Schwerpunkte allerdings auf hauswirtschaftliche Schulungen gelegt. In Haushaltungsschulen sollten die jungen Frauen und Mädchen ressourcensparende Haushaltsführung lernen. Diese Maßnahme zeigt, dass die Mädchen nicht nur auf eine Rolle als Hausfrau und Mutter, sondern ebenso auf eine tragende Rolle im Krieg vorbereitet werden sollten. Neben den Fähigkeiten, einen Haushalt ressourcensparend zu führen, sollten sie auch in der Lage sein, im Krieg die Arbeitsplätze der an der Front kämpfenden Männer zu übernehmen. So wurden die jungen Frauen und Mädchen im Gesundheitsdienst und Luftschutz auf den kommenden Krieg vorbereitet. Als 1936 der Facharbeitermangel eintrat, wurde die Berufsberatung für das weibliche Geschlecht auch auf Tätigkeiten im Handel, Handwerk sowie in der Landwirtschaft und der Leichtmetallindustrie ausgeweitet43. Dadurch versprachen sich viele Mädchen von einer Mitgliedschaft im BDM bessere Berufsaussichten44. Außerdem wurde das Selbstwertgefühl vieler von ihnen gestärkt und auch die Aussichten auf eine Führerinnenpositionen gaben ihnen das Gefühl wichtig und ernst genommen zu werden. Allerdings betonte Schirach, dass der BDM sich in allen politischen Fragen der HJ-Führung bedingungslos unterzuordnen hatte. Und auch die Führerinnen waren vom Willen der männlichen Führung abhängig und dieser untergeordnet.
Lisa Kock erwähnt in ihrem Werk, dass Schirach 1934 das Leistungsabzeichen des BDM in Bronze und Silber einführte, welches die Mädchen bekamen, die besondere Leistungen in Leichtathletik, Schwimmen, Erster Hilfe, oder Karten lesen erbracht hatten. Auch besondere Wissensnachweise über die Geschichte der Nationalsozialisten wurden so „belohnt“ 45.
5 Schlußwort
Die Erziehung in der Hitlerjugend und dem Bund deutscher Mädel hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Jugend politisch zu beeinflussen und sie in ihrem Sinne zu lenken. Tatsächlich bestätigen viele Zeitzeugen, dass sie enthusiastisch die Lieder der Hitlerjugend mitgesungen haben und dass sie bereit gewesen wären für ihr „Vaterland“ in den Tod zu gehen. Aber viele begriffen sicherlich nicht, was der Inhalt der Lieder genau bedeutete. Die Jugendlichen wuchsen damals mit Kriegsspielen und Waffen auf, ohne jemals über die schrecklichen möglichen Folgen für andere Menschen nachzudenken. Für viele blieb der Krieg eine Art Spiel. Sie wurden nicht dazu erzogen, an Versprechungen der Nazis, wie z.B. Hitlers Versprechung auf den „Endsieg“ zu zweifeln und konnten die Kriegsniederlage lange nicht begreifen.
Hitler hat mit seinem Erziehungswesen bewiesen, dass es tatsächlich möglich ist, Menschen in gewisse Bahnen zu lenken und sie zu beeinflussen. Diese Tatsache sollte einen zum Nachdenken bringen, wie weit eine Regierung in die Erziehung eingreifen darf, sodass eine eigenständige individuelle Entwicklung der Kinder und Jugendlichen trotzdem gewährleistet ist. An den fatalen Folgen des 2. Weltkriegs wird allerdings auch deutlich, wie gefährlich es ist, wenn sich viele Menschen derart beeinflussen lassen, dass ihre Individualität beeinflusst, wenn nicht gar zerstört wird. Wir alle sollte aus der Geschichte lernen und anfangen die Individualität eines jeden Menschen zu schätzen und sei sie auch noch so ungewöhnlich.
Allerdings zeigt die Arbeit auch, wie wichtig eine gute Ausbildung für einen Staat ist. Schließlich handelt es sich bei den häufig als minderwertig angesehenen Kindern und Jugendlichen um die nächste Generation. Deswegen muss besonders deren Entwicklung zu selbständig denkenden, kritischen Individuen gefördert werden.
[...]
1 vgl. Schneider, Michel: unterm Hakenkreuz,1999,S.349
2 vgl. Koch, Hansjoachim W.: Geschichte der Hitlerjugend, 1975, S.247
3 vgl. Giesecke, Hermann: Hitlers Pädagogen, 1993, S.21
4 vgl. Schneider, Michel, S. 351,
5 vgl. Koch, Hansjoachim W., S.247ff
6 vgl. Hitler: Mein Kampf, S.456
7 vgl. Hütting, Werner: Rassenpolitische Erziehung, in: R. Benze u. G.Gräfer (Hrsg.): Erziehungsmächte, 1940, S. 320-328
8 vgl. Schneider, Michael: Unterm Hakenkreuz, 1999, S. 360
9 vgl. Geiss, Immanuel: Epochen und Strukturen, 1996, S. 345 ff.
10 vgl. Giesecke, Hermann, S. 19f
11 vgl. ebd, S. 22 / Pfeiffer, Lorenz: Turnunterricht im dritten Reich, 1987, S 23f
12 vgl. Petzina, Dietmar u.a.: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III, S. 127
13 vgl. Giesecke, Hermann, S.23 / Koch Hansjoachim W., S. 246
14 vgl. Schneider, Michael, S. 359
15 vgl. Koch, Hansjoachim W., S, 263 15 vgl. ebd., S. 25
17 vgl. Schneider, Michael, S. 354
18 vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/alltagsleben/KIV/index.html
19 vgl. ebd./ Zeitzeugenbericht von Heinz Schreuder/ Koch W. Hansjoachim, S. 256
19 vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/jugend
20 vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/jugend
21 vgl. Koch, Hansjoachim W, S.137ff.
22 vgl ebd. S. 139
23 vgl. ebd, S.126f
24 vgl. Giesecke Hermann, S.183ff
25 vgl. Schmidt, Helmut: Kindheit und Jugend unter Hitler, S. 11f
26 vgl. u.a. Geiss, Imanuel, S.344f, S. 377 / Giesecke, Hermann, S.188f
27 vgl. Koch, Hansjoachim W., S. 158
28 vgl. Schmidt, Helmut: Kindheit und Jugend unter Hitler, 1992, S. 11
29 vgl. Giesecke, Hermann, S. 20f; Koch, Hansjoachim, S. 246
30 vgl. Aussage von Hitler im Führerhaptquartier, den 04.Sept. 1943. NS 26/v.358
31 vgl. Koch, Hansjoachim, S.137 / Holzträger, Hans: Die Wehrtüchtigungslager der HJ,1990, S.5/16
32 vgl. Holzträger, Hans, 1990, S.16f
33 vgl. Koch, Hansjoachim W., S.158ff
34 vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/jugend
35 vgl. Schirach, Baldur von : Die Hitler-Jugend. Idee und Gestalt, 1934, S.87
36 vgl. Kock, Lisa: „Man war was und man konnte was“,1994, S. 31
37 vgl. Keim Wolfgang: Erziehung unter der Nazidiktatur. Kriegsvorbereitung, Krieg und Holocaust, 1997, S. 60
38 vgl. http://www.dhm.de/lemo/html./documente/hjtote/rindex.html
39 vgl. Schirach, Baldur von: Die Hitler-Jugend. Idee und Gestalt, 1934, S. 19
40 vgl. Fischer, Josepha: entwicklungen und Wandlungen in den Jugendverbänden im jahre 1932. In: Das junge Deutschland, Jg 27 (1933), Heft 2, S. 52
41 vgl. Kinz, Gabriele: Der Bund deutscher Mädel. Ein Beitrag über die außerschulische Mädchenerziehung im Nationalsozialismus, 1991, S. 25
42 vgl. Schneider, Michael: Unterm Hakenkreur, S. 386
43 vgl. ebd, 1999, S. 384ff
44 vgl. Kock, Lisa, S. 23
44 vgl. ebd, S. 23f.
- Citation du texte
- Kathrin Niemeyer (Auteur), 2000, Kindheit und Jugend unter Hitlers Herrschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96958
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