Inhalt
Einleitung
1. Beschreibung und Definition von Autoaggression
1.1. Erscheinungsformen
1.2. Definition von Autoaggression
1.3. Auftretenshäufigkeit von Autoaggressionen
2. Erklärungsansätze
2.1. Biologische Erklärungsansätze
2.2. Psychoanalytische Erklärungsansätze
2.3. Entwicklungspsychologische Erklärungsansätze
2.4. Lerntheoretische Erklärungsansätze
2.4.1. Vermeidungshypothese
2.4.2. Hypothese der positiven Verstärkung
2.4.3. Selbststimulations- oder Stereotypien-Hypothese
2.5. Zwei-Prozeß-Theorie
3. Therapieplanung
3.1. Bedingungsanalyse
3.2. Die Verhaltensanalyse
4. Methoden der Autoaggressionstherapie
4.1. Allgemeine Voraussetzungen
4.2. Lerntheoretisch orientierte Methoden
4.2.1. Fixierungen
4.2.2. Konfrontation mit der Autoaggression
4.2.3. Ignorieren
4.2.4. Time-Out (Ausschlußverfahren)
4.2.5. Paradoxe Aufforderung
4.2.6. Bestrafende Verfahren
4.2.7. Erlebens- und handlungserweiternde Verfahren
4.2.8. Überkorrektur/Wiederherstellung
4.3. Auf den Körper bezogene Therapiemethoden
4.3.1. Musik-Körpererfahrungstherapie
4.3.2. Körperzentrierte Interaktion
4.3.2.1. Körperzentrierte Interaktion zum Aufbau inkompatibler Bewegungsabläufe
4.3.2.2. Körperzentrierte Interaktion zur Nutzung natürlicher Reflexe
4.4. Modifizierte Festhaltetherapie
4.5. Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie
Schlußbemerkung
Bibliographie
Einleitung
In einem Praktikum, das ich in einer Einrichtung für geistig Behinderte und psychisch Kranke absolvierte, wurde ich ziemlich unvorbereitet mit dem Phänomen autoaggressiven Verhaltens konfrontiert. Der Behinderte zeigte dieses Verhalten in einer relativ milden Form. Er kratzte sich immer wieder die Beine auf. Die in der Einrichtung beschäftigten Betreuer versorgten die Wunde regelmäßig mit einer Wundsalbe, hatten aber Bedenken, daß die Einreibungen verstärkend auf das selbstverletzende Verhalten wirken könnten. Angestoßen durch diese Erfahrung entschloß ich mich im Rahmen dieses Seminars die vorliegende Hausarbeit über Autoaggression und die Möglichkeiten der Verhaltensmodifikation zu schreiben. Aufgrund der Literaturlage und weil die Behandlung in diesem Bereich eher unter psychoanalytischen als unter verhaltensmodifikatorischen Gesichtspunkten erfolgt, habe ich mich entschieden, suizidales, präsuizidales und depressiv-masochistisches Verhalten auszugrenzen (vgl. Kernberg, 19804, S.38 u. Sachsse, 1994, S.32, S.43 u. S.49ff). Die vorliegende Hausarbeit befaßt sich vorwiegend mit Autoaggressionen, die bei geistig Behinderten und Kindern mit frühkindlichem autistischem Syndrom auftreten, da ein großer Teil der hier angewandten Therapiemethoden verhaltensmodifikatorische Züge aufweist.
In einem ersten Abschnitt versuche ich über Auftretenshäufigkeit und Art zu informieren. Im zweiten Teil werden unterschiedliche Erklärungsansätze vorgestellt. Das dritte Kapitel befaßt sich mit der Planung und das vierte mit der Durchführung der therapeutischen Interventionen.
1. Beschreibung und Definition von Autoaggression
1.1. Erscheinungsformen
Erscheinungsformen von Autoaggression reichen von situationsbezogenem Schlagen des eigenen Körpers, in Situationen der Überforderung, Verweigerung oder Wut, ohne sichtbare Verletzungen, über Kratzen, Kneifen, Beißen, auf den Kopf schlagen, bis hin zu Verhaltensweisen, die lebensbedrohlich sind. Also, z.B. mit dem Kopf gegen Wände und scharfe Kanten schlagen, mit den Fingern in die Augen stechen, bis hin zur Zerstörung, den Kopf in offenes Feuer halten, Fingerkuppen, Lippen oder Zunge abbeißen.
Bei schweren Autoaggressionen findet dieses Verhalten ohne erkennbaren Grund, mit hoher Intensität und so stark automatisiert statt, daß dem Individuum jegliche Selbstkontrolle fehlt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.17)
1.2. Definition von Autoaggression
Rohmann und Hartmann definieren Autoaggression wie folgt:
"Autoaggressionen sind Verhaltensweisen, die sich gegen den eigenen Körper richten, die meist stereotyp und mit hoher Geschwindigkeit ablaufen und dem eigenen Körper physische Schädigung oder extreme Reizung zufügen, wobei, abhängig vom beobachtbaren Grad der Erregung und Spannung, Qualität und Intensität in andersartige stereotype oder aggressive Verhaltensweisen übergehen können."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.17)
Autoaggressionen und Fremdaggressionen wurden von den letztgenannten Autoren nie gleichzeitig beobachtet (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.31).
1.3. Auftretenshäufigkeit von Autoaggressionen
Bei gesunden Kindern konnte Bachmann eine Vorkommenshäufigkeit von 11-17% zwischen dem 9. Lebensmonat und dem 2. Lebensjahr beobachten, 9% waren es noch bei den 2-jährigen und ab dem 5. Lebensjahr sei bei gesunden Kindern autoaggressives Verhalten kaum noch zu finden (vgl. Bachmann, 1972 zit. nach Rohmann u. Hartmann, 1988, S.18).
Die Vorkommenshäufigkeit bei geistig Behinderten scheint erheblich höher zu sein. Die Zahlen in der Literatur schwanken hier zwischen 2,6% und 45% (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.18-20). Für nicht hospitalisierte autistische Kinder und Jugendliche beobachten Rohmann und Hartmann einen Prozentsatz von 74%, für Mehrfachbehinderte mit autistischen Zügen 60%, bei geistig behinderten NichtAutisten hingegen nur 19%. Bei nicht-autistisch geistig behinderten Langzeitpatienten steigt der Anteil auf 38%. 78,4% der Autoaggressionen bei geistig Behinderten sind auf den Kopf bezogen (Schlagen des Kopfes, mit dem Kopf schlagen)(vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S. 26 u. S.29-30).
In ihrer Untersuchung zeigten sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede:"...bei den autistischen Patienten sind weibliche Kinder und Jugendliche häufiger autoaggressiv als männliche. Dagegen sind männliche Patienten vermehrt fremdaggressiv bei den geistig behinderten Langzeitpatienten sind wiederum männliche Patienten häufig autoaggressiv, die weiblichen zeigten aber vermehrt schwere Autoaggressionen." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.31).
2. Erklärungsansätze
2.1. Biologische Erklärungsansätze
Mögliche Ursache von Autoaggressionen können in selten auftretenden Fällen Stoffwechselstörungen (z.B. Lesh-Nyhan-Syndrom) oder ein genetischer Defekt (z.B. Cornelia de Lange Syndrom) sein. Auch eine Störung des Serotoninhaushaltes wird als Grund diskutiert. Weiterhin können vorausgehende Schmerzzustände wie Mittelohrentzündung oder Zahnschmerzen möglicherweise Autoaggressionen bedingen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.33).
2.2. Psychoanalytische Erklärungsansätze
Von psychoanalytischer Seite werden Autoaggressionen u.a. als eine Form von Autoerotik, als symbolische Attacken gegen die Mutter oder als einzige Möglichkeit zur Erreichung und Findung der eigenen Körperrealität gedeutet (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.33).
2.3. Entwicklungspsychologische Erklärungsansätze
In der Entwicklungspsychologie wird Autoaggression als zufälliges Entwicklungsprodukt interpretiert. Burkart und Krech verweisen darauf, daß, aufgrund des stereotypen Charakters autoaggressiver Handlungen ein Zusammenhang mit Piagets Konzept der primären und sekundären Zirkulärreaktion denkbar wäre. Es findet keine Ablösung der in der senso-motorischen Phase auftretenden sich wiederholenden Tätigkeiten durch adaptive Reaktions-Mechanismen statt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.33 u. Burkart u. Krech, 1985, S. 112)
2.4. Lerntheoretische Erklärungsansätze
Die wichtigsten lerntheoretischen Ansätze sind die Vermeidungshypothese, die Hypothese der positiven Verstärkung und die Selbststimulations-oder Stereotypien- Hypothese.
2.4.1. Vermeidungshypothese
Werden an das Kind Anforderungen gestellt, denen es nicht gewachsen ist, oder werden Verbote erteilt, so kann das Kind diese durch autoaggressives Verhalten vermeiden. Werden die Anforderungen oder Verbote daraufhin reduziert oder aufgegeben, wird das selbstverletzende Verhalten dadurch negativ verstärkt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.34).
2.4.2. Hypothese der positiven Verstärkung
Erhält ein Kind Aufmerksamkeit und Zuwendung, wenn es selbstverletzendes Verhalten zeigt, wird es dadurch positiv verstärkt. "Das Kind lernt Autoaggressionen zweckgebunden einzusetzen"(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.35). Es steuert mit seinem Verhalten die Umwelt. Eventuell wird der Schmerz zu einem diskriminativen Reiz für die erwartete Belohnung (vgl. Burkart u. Krech, 1985, S.116.) Häufig wirken beide Mechanismen, Vermeidung und positive Verstärkung zusammen. Die Mutter stellt eine Anforderung, das Kind reagiert autoaggressiv, die Mutter beschützt ihr Kind durch Festhalten, Trösten (positive Verstärkung) und nimmt die gestellte Forderung zurück (negative Verstärkung). Das Verhalten wird also doppelt verstärkt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.35).
2.4.3. Selbststimulations- oder Stereotypien-Hypothese
Grundannahme der Selbststimulationshypothese ist, daß einer Reizdeprivation (Mangel an Reizen) durch eigene Stimulierung begegnet wird. Diese Selbststimulierung kann im Extremfall durch Autoaggressionen bewirkt werden. Durch Aufmerksamkeit der Umwelt wird das Verhalten dann verstärkt. Bei autistischen Kindern ist Selbststimulation im Sinne von stereotypen Handlungen häufig zu beobachten. Sie wedeln mit der Hand oder mit Gegenständen vor dem Gesichtsfeld, erzeugen bestimmte Laute oder Geräusche oder zeigen Körper- und Kopfjaktationen (Kopfschütteln, Schaukeln). Autoaggressives Verhalten wäre dann als extremste Form stereotyper Handlungen zu begreifen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.35-36).
2.5. Zwei-Prozeß-Theorie
Eine weitere "... Sichtweise ist, daß autoaggressive Kinder zwar genügend externen Reizen ausgesetzt sind, diese aber nicht adäquat wahrnehmen (vgl. GOLDFARB, 1958)." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.36). So zeigen Autoaggressive in Phasen erhöhter Autoaggression ein verringertes Ausmaß an Kommunikation und Interaktion mit anderen Personen und sind auch weniger ansprechbar (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.37).
Die Zwei-Prozeß-Theorie besagt, daß ein gestörtes Zusammenspiel zwischen einem wahrnehmungsorientierten und einem handlungsorientierten Prozeß vorliegt. Daraus ergibt sich, daß eine "...durch äußere oder innere Reize ausgelöste Erregung keine angemessene Handlungsabfuhr erfährt. Autoaggressionen können dann als unangemessene, unspezifische und isolierte Reaktionsweisen auf unterschiedlich erregende Situationen..."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.36) aufgefaßt werden. Eine gelungene Kommunikation liegt dann vor, wenn es zu einem symmetrischen Austausch zwischen Wahrnehmungs-(Neuheits-)prozessen und Handlungs- (Bekanntheits-)prozessen kommt. Durch die Entkopplung dieser Prozesse beim Autoaggressiven wird nicht nur die innere Kommunikation gestört, sondern auch die äußere mit einem Interaktionspartner. Dadurch wird die Behandlung des autoaggressiven Verhaltens stark behindert. In Umkehrung kann aber die Verbesserung der kommunikativen Situation zu einer Verminderung des autoaggressiven Verhaltens führen. Oft ist das selbstverletzende Verhalten in Autoaggressionsphasen das einzige Kommunikationsmittel, dessen sich der Patient bedienen kann (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.37 u. S.151).
Der Totalverlust an Handlungssteuerung führt dazu, daß der Patient Außensteuerung seines Verhaltens benötigt. Widersprüchlicherweise führt Körperkontakt, zur Unterbindung des Verhaltens, oft zu verstärkter Autoaggression (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.38).
3. Therapieplanung
Das Vorgehen bei einer Autoaggressionsbehandlung ist immer vom jeweiligen Patienten abhängig. Da es keinen allgemeingültigen Therapieplan gibt, ist es unbedingt notwendig Beobachtungsdaten über möglichst viele Variablen zu sammeln und diese zu analysieren. Man kann unterscheiden zwischen vorausgehenden und aufrechterhaltenden Faktoren und zwischen Umweltvariablen und Patientenvariablen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.44).
3.1. Bedingungsanalyse
Die Bedingungsanalyse betrifft die Voraussetzungen, die in der Institution, im Team, durch die Zeiteinteilung der Station und durch die Krankengeschichte des Patienten gegeben sind. Nach Rohmann und Hartmann korrelieren in den Landeskliniken und Landeskrankenhäusern der Behinderungsgrad und das Personalaufkommen miteinander derart, daß, " ... je schwieriger die Patienten, desto weniger Personal."(Rohmann u. Hartmann 1988,S.46) vorhanden ist. Es wird ein Beispiel einer Langzeitstation angeführt, auf der die Kinder bis zu 58% des Tages allein sind, 0,6% entfallen auf medizinische Versorgung, 7,8% auf Musik-, Beschäftigungs- oder Körpertherapie (Krankengymnastik). Eine fundierte psychiatrisch/psychologische Versorgung erfolgt nicht (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.48-49).
Alle Mitarbeiter einer Station werden an Planung und Durchführung einer Autoaggressionstherapie beteiligt. Es muß eine umfassende theoretische und therapeutische Information der Mitarbeiter erfolgen, moralische und ethische Probleme müssen angesprochen werden. Hierunter fallen z.B. Probleme bei der Konfrontation mit Autoaggression oder die Einstellung der Mitarbeiter zu Fixierungen, Medikamenten und Aversivmethoden (Bestrafung). Es können nur Maßnahmen durchgeführt werden, die von allen Mitarbeitern getragen werden können. Mögliche psychische Belastungen müssen diskutiert und reflektiert werden, wie z.B. Enttäuschung, Trauer und Aggression. Häufig kann es während der Therapie zu Konkurrenzproblemen kommen, das Kind ist beim einen Mitarbeiter weniger autoaggressiv, als beim anderen. Auch kann das autoaggressive Verhalten als unerträglich empfunden werden, was zu einer Flucht in Krankheit führen könnte, was die Personalsituation zusätzlich verschlechtern würde. Ein offener und freier Umgangston sollte unter den Mitarbeitern gepflegt werden und die Zielsetzungen sollten realistisch sein. Weitere Lösungsmöglichkeiten der angeführten Probleme sind die eigenen Grenzen anzunehmen, eventuell ein Bezugspersonenwechsel, Videotraining, Einschätzungsbögen, Rollenspiel und Sculpturing, eine Methode, bei der die Teammitglieder ihre Beziehungen untereinander z.B. graphisch darstellen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.49-53).
Die Mitarbeiterausbildung umfaßt eine Einführung in die Grundsätze der Verhaltenstherapie und Verhaltensmodifikation, Imitation von autoaggressivem Verhalten zur Steigerung des Einfühlungsvermögens, Aufklärung über die Konsequenzen pädagogischen Fehlverhaltens und eine Schulung in freier und systematischer Verhaltensbeobachtung und -analyse (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.53-54).
Um möglichst viel Zeit für das zu behandelnde autoaggressive Kind einplanen zu können, bei möglichst geringem Zeitverlust für andere Kinder, ist es notwendig, den Tagesablauf zu strukturieren. Wer macht wann, was, mit wem. Krisen im Therapieverlauf sollten von vornherein miteingeplant werden. Körpertherapien, die einen hohen Zeitaufwand erfordern, sollten auf mehrere Mitarbeiter verteilt werden (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.55).
Bei der Neuaufnahme eines autoaggressiven Kindes wird ein Elterninterview durchgeführt. Es soll geklärt werden in welchen Situationen die Autoaggression auftritt, wie die Bezugspersonen darauf reagieren und, ob andere Verhaltensauffälligkeiten auftreten (z.B. das Kind ißt nicht alleine, kann sich nicht alleine anziehen, zeigt Anklammerungsverhalten ... ). Diese Verhaltensauffälligkeiten werden gegebenenfalls zuerst behandelt, um ihren Einfluß auf die eigentliche Therapie auszuschließen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.56-58).
Mit Aufnahme der Anamnese soll geklärt werden, welchen Verlauf die Krankengeschichte des Kindes hatte. Liegen körperliche Ursachen zugrunde, welche psychiatrische Diagnose wurde gestellt, sind bereits Folgeschäden der Autoaggression vorhanden, wann trat das Verhalten erstmals auf, welche Ausprägung hat es, sind Ursachen vorstellbar, welcher Art ist die Autoaggression, mit welcher Häufigkeit tritt das Verhalten auf, hat es einen phasenhaften Verlauf, besteht ein Wechsel zwischen Aggression, Autoaggression und stereotypen Verhaltensweisen und besteht Verletzungsgefahr (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.58-60)?
3.2. Die Verhaltensanalyse
Zunächst versucht man sich mit freier Beobachtung ein erstes Bild zu machen. Welche Variablen wirken auf das autoaggressive Verhalten, wie z.B. die Tageszeit, Angst oder Unsicherheit der Mitarbeiter ...? Für die dann folgende gezielte Beobachtung stehen mehrere Methoden zur Auswahl. Bei der isomorphen Deskription wird versucht die Situation in seiner Gesamtheit zu erfassen, möglichst alles sollte wiedergegeben werden. Für die reduktive Deskription bestehen zwei Möglichkeiten: Zeichensysteme, bei denen bestimmte Aspekte eines Verhaltens protokolliert werden, und Kategoriensysteme, hier wird bestimmtes oder jedes Verhalten Kategorien zugeordnet.
Im Stationsbetrieb eignet sich die reduktive Einschätzung (Rating) am besten, weil diese Methode den geringsten Zeitaufwand erfordert. Es werden erfaßt: Stimmung, Körperkontakt, nonverbale Kontaktaufnahme, selbstverletzendes Verhalten, motorische Aktivität Weiterhin werden körperliche Daten gemessen, wie z.B. die Pulsfrequenz, um die Erregung beurteilen zu können. Ist die Häufigkeit des selbstverletzenden Verhaltens sehr hoch, z.B. 100 Schläge in der Minute, empfiehlt es sich autoaggressionsfreie Zeiten zu messen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.61- 67).
Um das interpersonelle Kontaktverhalten beschreiben zu können, werden klar strukturierte Interaktionssequenzen durchgeführt. Hartmann und Rohmann haben dafür eine "...standardisierte Beobachtungsmatrix für autistische Kinder..." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.71) (BEMAUS) entwickelt. Durch den Einsatz dieser Beobachtungsmatrix vor Therapiebeginn und nach dreiwöchiger Behandlungsdauer wird eine diagnostische Abklärung zu Beginn, und eine Therapie- bzw. Erfolgskontrolle möglich. Es wird z.B. ermittelt, ob das Kind Aufmerksamkeit erregen will, an Interaktionen interessiert ist, welche Interaktionsmechanismen es verwendet u.s.w. (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.71 u. S.183-187).
4. Methoden der Autoaggressionstherapie
Die Autoaggressionstherapie ist "...eine Verknüpfung mehrerer am Individuum orientierter therapeutischer Interventionen." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.82). Es soll ein Abbau von Autoaggressionen und ein Aufbau neuer und mit der Autoaggression unvereinbarer Verhaltensweisen erreicht werden (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.82).
4.1. Allgemeine Voraussetzungen
Wichtige Voraussetzungen der Therapie sind Planmäßigkeit, Wiederholbarkeit und Variierbarkeit des Vorgehens. Unter Planmäßigkeit ist zu verstehen, daß die Therapie an den gesammelten Daten orientiert wird und Variation und Veränderung gezielt eingesetzt werden. Da das Kind die Neuerung als Bedrohung auffassen kann, und versucht den bisherigen Zustand aufrechtzuerhalten, sollen festgelegte therapeutische Interventionen, auch bei einer anfänglichen Verschlechterung, über einen gewissen Zeitraum (1-2 Wochen) beibehalten werden. Wiederholbarkeit bedeutet, daß die therapeutischen Interventionen auf andere Tage und auf vergleichbare Situationen und Patienten übertragbar sind. Situationen oder Handlungen der Betreuer werden planmäßig variiert (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.82-84).
Weiterhin spielt die personale und räumliche Umweltgestaltung eine Rolle. Eine Verbesserung der Möglichkeit zur territorialen Abgrenzung für das Kind (z.B. Einzelzimmer) bei gleichzeitigen angemesseneren Kommunikationsangeboten senkt die Autoaggressionsrate. In der Snoezel-Therapie werden unterschiedliche Atmosphären geschaffen, um damit, durch neue Sinneserfahrungen (Hören, Fühlen ...) die Sinnesorgane zu stimulieren. Es werden z.B. farbige Lichteffekte, ruhige Musik, bunte Farben, Teppiche, Kissen und Fühl- und Tastobjekte eingesetzt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.84).
Eine systematisch erfolgende völlig Umstrukturierung der Umgebung und des Tagesablaufes, sowie ein Bezugspersonenwechsel oder eine vorübergehende Isolation von der Bezugsperson können den Therapieverlauf positiv beeinflussen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.85).
4.2. Lerntheoretisch orientierte Methoden
4.2.1. Fixierungen
Die Intensität und Häufigkeit von Autoaggression zwingen in Verbindung mit Personalmangel häufig zu Fixierungen. Zu diesem Zweck werden eingesetzt: "...Schutzhelm, Armmanschetten, Muff(Zwangs)jacken und Hand- bzw. Beinfesseln und Bauchgurte." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.87). Der Einsatz von Fixierungen birgt in sich die Gefahr der Symptomverschiebung. Ein Beispiel: das Kind bekommt wegen Kopfschlagen einen Helm, dann verletzt es sich die Hände, es bekommt Armmanschetten, dann schlägt es mit den Beinen an Gegenstände, es bekommt einen Rollwagen, dann kneift es sich am Körper, es bekommt Handschuhe. Fixierungen sollten größtmögliche Handlungsfreiheit bieten bei gleichzeitiger Gewährung des besten Schutzes (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.88).
Der Abbau von Fixierungen ist oft schwierig und führt zu erhöhter Autoaggression. Er sollte stufenweise erfolgen und auf interaktivem Wege zu erhöhter Selbstbestimmung führen. Möglichkeiten dafür sind Reduzierung der Fixierungen (z.B. das Kind bekommt statt einem Helm ein Stirnband), immer länger werdende Zeitintervalle ohne Fixierung, autoaggressionsinkompatibles Verhalten in fixierungsfreien Zeiten fördern oder Hilfen zur Selbstfixierung geben. Das Kind muß dabei selbst entscheiden, ob es das will. Zur Selbstfixierung bieten sich an: eine Schnur, Hände in die Hosentaschen stecken, Gegenstände tragen oder manchmal reicht es schon aus, wenn das Kind einen Arm über den Kopf legt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.89-91).
4.2.2. Konfrontation mit der Autoaggression
Abhängig von Intensität und Häufigkeit des autoaggressiven Verhaltens kann die Konfrontation mit der Autoaggression eingesetzt werden. Das Kind soll die Konsequenzen seines Handelns wieder wahrnehmen können. Da Bezugspersonen in der Regel das selbstverletzende Verhalten zu schnell unterbrechen, kommt es normalerweise nur zu einer beschränkten Wahrnehmung des Schmerzes. Durch die klar definierte und begrenzte Konfrontation sollen also Selbstwahrnehmungs- und Selbstschutzmechanismen angeregt und aufgebaut werden. Dieses Verfahren wird bei Kindern mit reaktiver Autoaggression eingesetzt, wenn also Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die Selbstverletzung erreicht bzw. Anforderungen oder Verbote vermieden werden sollen. Bei Kindern mit automatisierter Autoaggressivität ist es weniger brauchbar, da bei ihnen eine reduzierte, verzögerte oder wechselnde Schmerzwahrnehmung zu erwarten ist (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.92-93).
4.2.3. Ignorieren
Das Ignorieren von autoaggressivem Verhalten wirkt bei reaktiver Autoaggression als ein Entzug von Verstärkung. Eben genau die erwartete Aufmerksamkeit oder Zuwendung (Festhalten oder Fixieren) wird nicht erteilt. Dem Kind wird dadurch die Möglichkeit zur Neuorientierung gegeben. Anfangs wird das Kind mit Wutreaktionen antworten, sich aber dann an die neue Situation anpassen. Bei automatisierter Autoaggression wird dem Kind durch das Ignorieren die Chance gegeben,"... sein Verhalten wieder bewußt wahrnehmen zu können."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.94) . Eine Erweiterung des Ignorierens ist das Ablenken. Dabei wird das Verhalten bis zu einem gewissen Punkt ignoriert und dann werden Handlungsalternativen vorgegeben (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.93-95).
Abbruchkriterium für das Ignorieren ist, wenn die Gefahr ernsthafter Verletzungen eintritt. Die Belastbarkeit der Betreuer stellt hierbei ein großes Problem dar. Im Sinne der Planmäßigkeit sollten alle Mitarbeiter die Maßnahme mittragen können. Es ist auch eine gute Differenzierungsfähigkeit der Betreuer notwendig. Sie müssen unterscheiden können, ob das Verhalten reaktiv eingesetzt wird, oder, ob es sich um unkontrollierte Zustände handelt, ohne einen Zusammenhang zu externen Faktoren. Weiterhin sollten die Betreuer Erregungs- und Abwesenheitszustände erkennen können, da diese Anzeiger für bevorstehende Autoaggressionen sein können, damit gegebenenfalls vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden können (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.94-96).
4.2.4. Time-Out (Ausschlußverfahren)
Bei der Time-Out-Methode handelt es sich um ein kurzfristiges Einschließen in einen Raum. Ursprünglich war diese Methode wohl eine Notlösung aufgrund des Personalmangels und wurde eigentlich für aggressives Verhalten konzipiert. Autoaggression kann vom Personal als Aggression erlebt werden und Time-Out wird als Bestrafung eingesetzt. Ob diese Methode zu einer Beruhigung des Autoaggressiven führt, ist individuell unterschiedlich (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.97). Im Prinzip ist das Time-Out ein Löschungsverfahren, da positive Verstärker (Zuwendung, Aufmerksamkeit) entzogen werden. Da diese Verstärker aber aktiv und demonstrativ entzogen werden, wirkt Time-Out auch als Bestrafung (vgl. Kuhlen, 1974, S.54 zit. nach Burkart u. Krech, 1985, S.195).
Für die Autoaggressionstherapie sollte der Time-Out-Raum wie folgt beschaffen sein: Er ist relativ klein, verdunkelbar und Wände, Heizung und Boden sind gepolstert. Weiterhin sollte er durch eine Einwegscheibe bzw. mit einer Videokamera einsehbar sein. Eine Person wird in der Nähe der Tür postiert, um eventuell ein schnelles Eingreifen zu ermöglichen.
Das Einschließen sollte nur von kurzer Dauer sein, anfangs 1-2 Minuten, und kann bis zu 10 Minuten gesteigert werden. Der Autoaggressive wird kommentarlos hineingeführt und, auch bei anhaltender Autoaggression wieder ohne Kommentar herausgeführt. Dabei ist es günstig eine Schlagpause zu nützen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.97).
Time-Out ist nur bei reaktiven Autoaggressionen sinnvoll. In der üblichen Praxis wird der Patient oft solange im Time-Out-Raum belassen, bis eine Beruhigung eingetreten ist, also über Zeiträume von Stunden. Im Fall eines aggressiv/autoaggressiven Jungen machte das Time-Out 2/3 des Tages aus. Bei automatisierter Autoaggression kann das Kind das Störverhalten aber kaum von sich aus unterbrechen. Deswegen sollte Time- Out nur eine begrenzte Dauer haben. Außerdem sollte nach entsprechender Übung der Patient selbst entscheiden können, ob er in den Time-Out-Raum gehen will oder nicht. Ein großer Nachteil des Time-Out ist, daß damit keine alternativen Verhaltensweisen aufgebaut werden (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.97-98).
4.2.5. Paradoxe Aufforderung
Diese Methode kann bei leichten und zum Teil mittleren Autoaggressionen eingesetzt werden.
Der Therapeut fordert bei Auftreten der Autoaggression den Patienten auf, eben dieses Verhalten zu zeigen. Voraussetzung ist, daß die Autoaggressivität einen provokativen bzw. reaktiven Charakter hat, das Kind will Zuwendung im Sinne von Festhalten und Trösten. Zunächst wird der Autoaggressive eventuell Wut zeigen, nach kurzer Zeit sollte aber das selbstverletzende Verhalten abnehmen. Ist das nicht der Fall, muß ein anderes Verfahren angewandt werden. Nach Einsetzen der Wirkung werden die Verstärkungsabstände vergrößert. Es ist sinnvoll, gleichzeitig ein alternatives Verhalten als Modell vorzugeben, z.B. mit den Füßen auf den Boden stampfen. Oft wird die paradoxe Aufforderung in Verbindung mit Ignorieren eingesetzt, wobei sich ein intermitterender Wechsel zwischen beiden Verfahren empfiehlt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.98-99).
4.2.6. Bestrafende Verfahren
Zu den bestrafenden Verfahren zählen elektrische Schmerzreize, Nadelstiche, Lärm oder einfach ein leichter Schlag auf die Hand. Aus ethischen Gründen werden sie sehr kontrovers diskutiert. Nicht selten führen solche Verfahren in relativ kurzer Zeit zu einer Abnahme der Autoaggression. Aber es sind auch ziemlich hohe Rückfallquoten zu erwarten. Es ist nur sinnvoll solche Verfahren anzuwenden, wenn andere Verfahren erfolglos bleiben. Meist kann man auf bestrafende Verfahren verzichten. Normalerweise können sie durch die Methode der körperzentrierten Interaktion ersetzt werden.
Die Methoden des Ignorierens, Bestrafens oder Konfrontierens sind nur sinnvoll in Verbindung mit erlebens- und handlungserweiternden Methoden (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.99-100).
4.2.7. Erlebens- und handlungserweiternde Verfahren
Hier können wir zwischen 4 Handlungsebenen unterscheiden. Die erste Ebene betrifft die positive Verstärkung aktuell bestehender erwünschter Verhaltensweisen in autoaggressionsfreien Zeiten. Als Zweites wird eine Veränderung der autoaggressiven Bewegungsmuster hin zu autoaggressionsinkompatiblem Verhalten angestrebt, z.B. Selbstfixierung oder das Tragen von Gegenständen. Auch angemessene Wut- Reduktions-Formen werden geübt. Zum Unterbrechen autoaggressiver Interaktionsmuster wird dabei die Methode der Aufmerksamkeits- Interaktionstherapie eingesetzt, mit der Autoaggression unvereinbares Verhalten wird verstärkt und es werden Verhaltensmodelle vorgegeben. Die dritte Ebene bezieht sich auf den Aufbau neuer, bzw. die Regenerierung von bereits vorhandenen Verhaltensweisen im Sinne komplexerer Interaktionsmuster. Das wird erreicht durch das Verketten mehrerer bzw. durch das Aufgreifen seltener auftretender Verhaltensweisen, indem sie als Modell dargeboten werden. Die vierte Ebene besteht in Sprach- und Kommunikationsanbahnung. Es werden neue Kommunikationsmöglichkeiten gelernt und die kommunikativen Aspekte von Autoaggression subtil genutzt(vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.101-102 u. S.104).
4.2.8. Überkorrektur/Wiederherstellung
Bei dieser Methode soll der Patient lernen, mit Hilfe der Techniken Bestrafung und Übung, wieder Verantwortung für sein Störverhalten zu übernehmen. Im Wiederherstellungsverfahren muß der Patient "...sein Fehlverhalten korrigieren und einen Zustand herstellen, der den vorangegangenen Zustand weit übertrifft." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.107). Dieses Verfahren wird angewandt bei auf die Umwelt wirkendem Verhalten, wie Zerstörungen oder Verschmutzungen, kann aber auch in anderem Kontext eingesetzt werden, z.B. Hygiene oder wenn andere Personen geängstigt werden. Ein weiteres Verfahren ist die positive Übung. Das erwünschte Verhalten wird direkt nach dem Störverhalten geübt, also z.B. nach dem selbstverletzenden Verhalten (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.107-108 u. Burkart u. Krech, 1985, S.238).
Die Wiederherstellung soll einen direkten Bezug zum Störverhalten haben, dadurch wird der bestrafende Charakter abgemildert. Sie wird sofort nach dem Störverhalten durchgeführt, dadurch wird eine Verstärkung durch die Folgen des Fehlverhaltens eingeschränkt. Sie sollte eine gewisse Zeitspanne umfassen, währenddessen sind keine anderen (positiv) verstärkenden Aktivitäten möglich. Wiederherstellung hat also auch Ausschlußcharakter. Die Handlungen werden ohne Pause mit intensiver Aktivität durchgeführt, sie sollen als aversive Konsequenzen das Störverhalten hemmen. Es werden verbale Anweisungen und eine abgestufte manuelle Führung gegeben, dabei sollte man positive Verstärkung vermeiden. Zuerst soll der manuelle Druck bestimmt sein, geht der Patient auf die Maßnahme ein, wird der Druck gesenkt. Es handelt sich hier um negative Verstärkung (vgl. Foxx u. Azrin, 1972, S.16-17 zit. nach Burkart u. Krech, 1985, S.239-240).
Burkart und Krech sehen im Bettruheverfahren eine Form der Überkorrektur, obwohl es deutlichen Ausschlußcharakter hat. Immer nach dem unerwünschten Verhalten wird der Patient für 2 Stunden ins Bett gebracht um die Erregung zu senken. Tritt das Störverhalten in den letzten 15 Minuten auf, wird die Bettruhe um weitere 15 Minuten verlängert, solange bis die letzten 15 Minuten geruht sind (Burkart u. Krech, 1985, S.259 u. Webster u. Azrin, 1973 zit. nach Burkart u. Krech, 1985, S.261).
4.3. Auf den Körper bezogene Therapiemethoden
Da der Körper des autoaggressiven Kindes, vor allem bei geistig Schwerstbehinderten oft das einzige Kommunikationsmittel bzw. der einzig verfügbare Kommunikationskanal ist, ist eine zweite Gruppe von Verfahren auf den Körper bezogen. Besonders kinästhetische und taktile Dimensionen spielen hier eine große Rolle. Autoaggressive Verhaltensweisen werden genutzt, da sie auch interaktiven Charakter haben (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.109).
4.3.1. Musik-Körpererfahrungstherapie
Die Behandlungssituation der Musik-Körpererfahrungstherapie ist, daß das Kind in einem neutralen Raum auf einer Matratze liegt. Die Musik-Körpererfahrungstherapie wird bei Patienten eingesetzt, die über geringste Interaktions- bzw. Kommunikationsmechanismen verfügen. Der Therapeut reagiert auf die Äußerungen des Kindes, z.B. Atmungsfrequenz, Körperkontakt und Bewegungsfrequenz. Eine Instrumentalmusikalische Untermalung wird, überwiegend zur Beruhigung des Therapeuten eingesetzt. Der Oberkörper des Patienten wird entblößt, er liegt auf dem Rücken und der Therapeut setzt sich über ihn, wobei die Atmung nicht eingeschränkt werden sollte. Die Arme werden durch die Knie des Therapeuten am Körper fixiert. Der Therapeut bewegt sich stark verlangsamt, nonverbale Kommunikation steht im Vordergrund. Physischen und verbalen Widerständen des Patienten wird gelassen begegnet. In Widerstandsphasen soll der Oberkörper des Patienten mit den Händen und mit Gegenständen verschiedener Oberflächenbeschaffenheit unter langsamen Bewegungen stimuliert werden. Damit soll eine Erweiterung der Körperwahrnehmung und eine Verarbeitung differenzierter Körperstimulationen erreicht werden. Bei sprechenden Patienten kann man auffordern, die unterschiedlichen Gegenstände bei geschlossenen Augen zu erkennen und zu benennen. Die Musik- Körpererfahrungstherapie wird in einer relativen Beruhigungsphase beendet. Die Dauer der Therapiesitzungen ist 20-60 Minuten pro Tag, wobei sich die Zeit mit sinkendem Widerstand verkürzt (vgl. Facion, 1986 zit. nach Rohmann u. Hartmann, 1988, S.111-113).
4.3.2. Körperzentrierte Interaktion
Die Grundhaltung ist hier eine sitzende Position. Der Autoaggressive sitzt vor dem Therapeuten, den Rücken an dessen Brust gelehnt. Diese Haltung ermöglicht eine größere Handlungsfreiheit, ihr Nachteil ist, daß kein Blickkontakt realisierbar ist. Es empfiehlt sich, dieses Verfahren vor einem Spiegel durchzuführen. Teilweise wird meditative Hintergrundmusik eingesetzt. Die Oberarme des Patienten sind entblößt, geeignete Kleidung ist ein Muscle-Shirt. Der Therapeut paßt seinen Atemrhythmus an den des Kindes oder Jugendlichen an. Er erzeugt dann Körpervibrationen indem er brummt oder summt. Hartmann und Rohmann empfehlen die indische Meditationssilbe "Om". Durch Rhythmusverlangsamung, Lautstärkeregulierung und Tonqualitätsänderung kann eine Art Sprache aufgebaut werden. Atemrhythmus und Körpervibrationen werden dann verbunden, indem der Atemrhythmus durch entsprechende Vibrationen gespiegelt wird. Weiterführend kann der Atem- und Vibrationsrhythmus in eine körperstimulierende Ebene übersetzt werden. Der Therapeut streichelt den Patienten oder führt seine Arme zu einem Selbststreicheln. Auch eine gestische Begleitung der Rhythmen durch Armführung ist möglich. Eine dritte Person kann gegenübersitzend mimische und lautliche Äußerungen des Patienten imitieren bzw. variieren, oder gestische und lautliche Modelle vorgeben, die der Patient mit Hilfe des Therapeuten imitieren soll (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.129-132).
4.3.2.1. Körperzentrierte Interaktion zum Aufbau inkompatibler Bewegungsabläufe
Es sind zwei Formen dieser Methode zu unterscheiden, aggressionsfördernde und harmonisierende Übungen. Bei den aggressionsfördernden Übungen legt der Therapeut seine Arme locker auf die des Patienten und wartet autoaggressives Verhalten ab. Geht die Armbewegung zum Kopf, greift er die Handgelenke und schlägt die Hände des Patienten kräftig auf die Matratze. Lautliche Äußerungen werden dabei mit wütendem Ton verstärkt bzw. sprachlich umgesetzt, z.B. "Peter ist wütend" oder "wir schlagen ganz fest auf die Matratze". Zeigt der Patient Widerstand gegen die Führung, hält der Therapeut kurz inne, dann wird die Handlung aber weitergeführt. Führt der Patient das Schlagen auf die Matratze selbst aus, fordert der Therapeut zu immer heftigeren Reaktionen auf. Tritt nach einer gewissen Einübung Autoaggression auf, fordert der Therapeut zuerst verbal auf, auf die Matratze zu schlagen und gibt erst dann Hilfestellung durch Führung der Bewegung. Bei diesem Vorgehen ist intermittierende Verstärkung sinnvoll. Der gelernte Bewegungsablauf ist aggressionsfördernd und gleichzeitig mit der Autoaggression (auf den Kopf schlagen) unvereinbar. Mehr spielerische Formen dieses Verfahrens sind das Werfen von Bällen, das Schlagen eines Luftballons, der von der Decke hängt, oder das Schlagen einer Trommel. Außerhalb der therapeutischen Situation kann auch mit den Füßen aufzustampfen oder auf einen Tisch zu schlagen geübt werden (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.132-133).
Die harmonisierenden Übungen werden wie folgt durchgeführt. Die Hände des Kindes werden auf dem Bauch festgehalten, Therapeut und Patient kreisen langsam mit dem Oberkörper. Dabei kann der Therapeut leise ein Lied singen oder summen oder man verwendet entsprechende Hintergrundmusik. Weiterhin können weitausgreifende kreisende Armbewegungen geführt werden. Bei einer stehenden Übung werden langsam die Arme des Patienten nach oben geführt, begleitet von einem "hoooch uuuuund", dann kräftig nach unten geschleudert, begleitet von einem schnell gesprochenen "runter". Hier wird eine Verlangsamung der Autoaggression und inkompatibles Verhalten geübt. Eine beschleunigte Variante dieser Übung, in Verbindung mit Händeklatschen soll eine körperliche Aktivierung und damit eine Abnahme körperlicher Verspanntheit hervorrufen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.133-135).
4.3.2.2. Körperzentrierte Interaktion zur Nutzung natürlicher Reflexe
Natürliche motorische Reflexe dienen überwiegend zum Schutz des Körpers, deshalb sind sie schon von Natur aus autoaggressionsinkompatibel. Die Übungen dieses Bereiches versuchen diesen Umstand zu nutzen. Das Kneten der Bauchdecke ist eine dieser Übungsformen. Es wird im Liegen durchgeführt. Wird einem kräftig in die Bauchdecke gegriffen, ist der natürliche Reflex die Beine anzuziehen oder sich zur Seite wegzurollen. Zuerst variiert der Therapeut Stärke und Dauer des in-die- Bauchdecke-Greifens, bis es zu einer Reaktion kommt, und sucht den optimalsten Punkt. Dann versucht er dem ganzen Vorgang eine spielerische Qualität zu geben. Also z.B. langsame Annäherung, die verbal begleitet wird "uuuund ... jetzt" oder "ooooh ... hah". Nach kurzer Zeit reagiert das Kind bereits auf die lautliche Äußerung mit Wegdrehen, Lachen, Ergreifen oder Abwehren der Hände. Ein weiteres Ziel dieser Übung ist es, eine Umkehrung des Prozesses zu erreichen, also, daß das Kind den Therapeuten kitzelt. Diese Technik kann intermittierend im Stationsbetrieb eingesetzt werden. Sie dient dem Interaktionsaufbau und der Unterbrechung von Autoaggression (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.135-136).
Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung der Reflexe ist, das Kind nach vorne fallen zu lassen. Der Therapeut umfaßt das Kind von hinten in Hüfthöhe, hebt es hoch und läßt es nach vorne und unten gleiten. Das Kind muß sich mit den Händen abstützen. Also wird hier ein autoaggressionsinkompatibles Verhalten eingeübt.
Den Streckreflex der Arme kann man ebenfalls für diese Übung verwenden. Schlägt sich das Kind mit der Hand ins Gesicht, umfaßt der Therapeut das Handgelenk und schlägt dieselbe Hand nochmals in Richtung des Gesichtes, ohne dieses zu treffen. Die natürliche Gegenreaktion ist, daß das Kind den Arm streckt. Wird dieses Verfahren intermittierend eingesetzt, kommt es nicht selten vor, daß das Kind zum Schlagen ansetzt, unterbricht, sich umsieht, und wenn keine Reaktion des Umfeldes erfolgt, sich dann schlägt, aber weniger heftig und verlangsamt. Wird das Vorgehen mit sprachlichen Kommandos gekoppelt, so kann nach einiger Zeit ein konsequentes "Nein" genügen, die Autoaggression zu vermeiden oder zu unterbrechen. Diese Übung ist auch auf Schlagen mit dem Kopf anwendbar. Wenn das Kind dabei aber zu nahe an der Wand steht, muß es vorher ein Stück zurückgezogen werden. Das kann aber wieder zu viel Aufmerksamkeit bedeuten und damit als Verstärkung des Störverhaltens wirken. „In diesem Fall ist es sinnvoller den Kopf nicht zur Wand zu drücken, sondern ihn an der Wand zu halten."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.138). Manchmal ist es notwendig bei dieser Technik in die Haare zu greifen, was ein zusätzlicher aversiver Stimulus ist. Nach kurzer Gewöhnung geht man auch hier intermittierend vor (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.137-138).
4.4. Modifizierte Festhaltetherapie
Die Modifizierte Festhaltetherapie ist eine veränderte Form anderer Haltetherapien. Die Mutter hält ihr Kind in einer festen Umarmung, die die Arme fixiert, bzw. kleinere Kinder können auf den Schoß gelegt werden, so, daß Arme und Beine festgehalten werden können. Die Halteposition soll Blickkontakt ermöglichen. Es sind liegende und sitzende Positionen einsetzbar. Die Dauer der täglichen Sitzung liegt zwischen 20 und 60 Minuten. Drückt das Kind Wohlbefinden aus oder äußert sich sprachlich oder lautlich in einer konstruktiven oder sozialen Weise, wird es mit ruhigem freundlichem Ton verbal verstärkt. Körperlicher Widerstand und zumeist stereotype sprachliche Mißfallensäußerungen werden ignoriert (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.146 u. S.148-149).
Theoretische Grundlage dieser Methode ist die Zwei-Prozeßtheorie. Das gestörte Zusammenspiel von Bekanntheits- und Neuheitssystemen führt einerseits zu einer Störung der Interaktion zwischen Mutter und Kind, andererseits kann es eine Über- oder Unteraktivierung eines oder beider Systeme hervorrufen, was eventuell einer Über- oder Untererregung des gesamten Organismus entspricht. Das Andauern der anfangs unangenehmen Situation des Festgehaltenwerdens durch die Mutter soll zu einer Beruhigung des Kindes führen, indem es Selbststeuerungs- und Selbstregulationsmechanismen aktiviert. Dadurch wird im Laufe der Therapie eine zunehmende symmetrische Interaktion zwischen Mutter und Kind ermöglicht. Die Modifizierte Festhaltetherapie sollte anfänglich durch eine Supervision durch einen ausgebildeten Therapeuten begleitet werden, um der Mutter zu helfen Schuldgefühle bzw. Überbehütungstendenzen aufzufangen, mit denen sie eventuell unterschwellige Aggressionen ausgleichen will, und, um sie beim Umgang mit ihren Gefühlen zu stützen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.147-149).
Grundlegende Unterschiede zu anderen Haltetechniken sind die kürzere Dauer der Therapiesitzungen, daß Widerstände nicht provoziert werden, und, daß Trost nur systematisch zu Verstärkungszwecken in Beruhigungsphasen eingesetzt wird. Tröstet man während der ganzen Sitzung, tritt zu der Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Zwang des Festgehaltenwerdens noch ein weiterer Konflikt hinzu, nämlich der zwischen Trost und Zwang. Rohmann und Hartmann halten dieses Vorgehen für zu widersprüchlich, das Kind wird dadurch verwirrt (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.148-149).
4.5. Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie
In einer ersten Behandlungsphase versucht der Therapeut herauszufinden auf welche Weise die Aufmerksamkeit des Kindes erreicht werden kann. Aufmerksamkeit ist die Grundvoraussetzung für adäquate Informationsverarbeitung (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.152). Anfangs imitiert oder spiegelt der Therapeut alle sichtbaren Verhaltensweisen des Kindes, also Gestik, Mimik, Handlungen und Lautäußerungen. Das Kind wird dadurch angeregt, dem Verhalten des Therapeuten Aufmerksamkeit zu schenken, "...einen Bezug zur eigenen (auch stereotypen) Handlung herzustellen und möglicherweise seine eigenen Handlungen zu variieren..." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.152). Die Mutter oder die Bezugsperson übernimmt diesen vom Therapeuten erarbeiteten Handlungsverlauf, im Sinne von Modellernen, wodurch sie lernt, ihr Kind besser zu verstehen und zu symmetrischer Interaktion befähigt wird. Das Kind bestimmt den beidseitigen Handlungsverlauf, Lautäußerungen nehmen sowohl qualitativ als auch quantitativ zu und bekommen immer mehr kommunikativen Charakter. Es kommt also zu einer Ausweitung des Handlungsspielraumes (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.152).
Eine zweite Komponente der Aufmerksamkeits-Interaktions-Therapie ist das Unterbrechen von Handlungssequenzen durch den Therapeuten. "Ziel ist, das Kind zu motivieren mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten Signale zu setzen, mit denen es zur Fortsetzung des gemeinsamen Spiels...auffordert."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.153). Die Interaktionsebenen werden stufenweise erhöht. Reagiert das Kind auf die Unterbrechung z.B. mit Handanfassen und Ziehen der Bezugsperson auf die Unterbrechung, wird die Spielsequenz fortgeführt. Kommen im weiteren Verlauf mimische Reaktionen dazu, werden nur noch diese zur Fortführung akzeptiert. Dieses Vorgehen kann gesteigert werden über Lautäußerungen als Fortführungskriterium bis hin zum Sprechen von Silben und Worten. Bei dem gesamten Vorgehen können räumliche Distanz, Sprachebene und Geschwindigkeit der Interaktion variiert, nicht soziale Aktionen angeregt und indirekt interessante Aktions- oder Interaktionsmuster angeboten werden. Ist so eine Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeit mit dem Kind hergestellt worden, wird versucht, mit Hilfe einer "...handlungsorientierte(n) 'Verknüpfung von Neuheit und Bekanntheit' ..."(Rohmann u. Hartmann, 1988, S.153) , eine "...kommunikative Teilnahme an längeren sinnvollen Handlungsketten..." (Rohmann u. Hartmann, 1988, S.153) zu erreichen (vgl. Rohmann u. Hartmann, 1988, S.153).
Schlußbemerkung
Die Behandlung von Autoaggressionen ist zusammenfassend betrachtet eine multidimensionale Therapie, in der verhaltenstherapeutische und -modifikatorische Elemente wie Verstärkung, Bestrafung, Löschung oder Modellernen eine zentrale Rolle spielen. Das trifft auch auf die hier dargestellten Körpertherapieformen zu. Von großer Wichtigkeit für den Erfolg der Autoaggressionstherapie ist eine sorgfältige Planung und eine zielgerichtete, planmäßige Durchführung der therapeutischen Interventionen.
Bibliographie
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- Citation du texte
- Robert Nastvogel (Auteur), 2000, Autoaggression und Verhaltensmodifikation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96643
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