Gliederung
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Die Geschichte des Strukturalismus
2. Parallelen zu den Sprachwissenschaften
3. Die Einzelmythenanalyse
4. Mythenvergleich
4.1.Mythos als Re-Präsentation der Realität?
4.2.Abschwächung und Transformation in der Nass- Version
5. Kritiken an der strukturalen Mythenforschung
III. Schluß
I. Einleitung:
Die folgende Hausarbeit handelt von der strukturalen Mythenanalyse des Claude Lévi- Strauss, einem Vertreter des französischen Strukturalismus. Lévi- Strauss gilt als der Hauptbegründer des Strukturalismus. Bekannt wurde er vor allem durch seine Mytheninterpretationen, die ich im folgenden vorstellen werde. Seine Arbeiten verzeichneten gerade durch seine den Naturwissenschaften anlehnende Methodik viel Aufsehen und Kritik. Er setzt sich mit seiner Mytheninterpretation sowohl methodisch wie auch inhaltlich sehr stark von seinen Vorgängern ab. Seine Inspiration erhielt er von den strukturalen Sprachwissenschaften, die zu dieser Zeit große Erfolge verzeichneten. Durch diese Methoden versucht er, die Mytheninterpretation vom rein Inhaltlichen des Mythos abzutrennen. Er suchte nach den streng logischen Gesetzen, nach denen unsere Gesellschaft funktioniert. Die Struktur unserer Gesellschaft findet man, so Lévi-Strauss nur auf der Ebene des Unterbewußten und nicht auf der Ebenen des unmittelbar beobachtbaren. Die These, daß alle existierenden Gesellschaften auf einer gemeinsamen, universellen Struktur basieren( und zwar unabhängig von den fluktuierenden, sich ändernden sozialen Realitäten), läßt sich seiner Meinung nach vor allem in den Mythen belegen, da diese jeder Population bekannt sind. Diese unterbewußten Kategorien unseres Verstandes bestehen aus binären Oppositionspaaren. Der Mensch versucht erfolglos, diese überall vorhandenen Gegensatzpaare, zu überwinden. Gerade hier sieht er die Funktion der Mythen: Sie stellen die Gegensätze dar, die wir wahrnehmen, von denen wir aber wissen, daß sie unüberwindbar sind. In den Mythen bekennen wir ihre Existenz. Durch die Darstellung der unüberwindlichen Urkonflikte der Menschen, kommt man dem Konstanten und Fundamentalen der menschlichen Natur nahe.
Neben den methodischen Einwänden der Kritiker von Lévi-Strauss, kritisieren seine Gegner vor allem diesen universellen Anspruch, wie die unter Punkt 5 der Hausarbeit aufgeführten Kritikpunkte aufzeigen werden.
Um jedoch zunächst einen kleinen Einblick in die Geschichte des Strukturalismus zu geben, werde ich auf die Relationen zwischen Strukturalismus und Sprachwissenschaften eingehen, die die Basis der Methodik von Lévi-Strauss aufzeigen.
In einem nächsten Schritt fasse ich die Einzelmythenanalyse anhand der Geschichte von Asdiwal zusammen. Um jedoch die Gesamtheit eines Mythos zu erfassen, müssen alle Versionen eines Mythos analysiert und in Relation zueinander gebracht werden. Diesen Prozeß erläutere ich im vierten Kapitel meiner Hausarbeit, wo ich auch auf den Transformationsprozeß einer der Versionen eingehen werde, bevor ich mit den Auslegungen der Kritiker abschließe.
II. Hauptteil
1. Die Geschichte des Strukturalismus
Die Stellung der Anthropologie in der Mythenforschung war von Enthaltsamkeit geprägt. Es gab keine konstruktiven, neuen Erkenntnisse. Weit aktiver wurde in der Religionsethnologie geforscht. Die Begründer der Religionsethnologie Tylor, Frazer und Durkheim waren die ersten, die den bewußtseinspsychologischen Aspekt in ihre Analyse einbezogen haben. Generell jedoch brachte auch die Religionsethnologie keine neuen Erkenntnisse ein. Vorherrschend waren immer noch die überalterten Interpretationsansätze: Mythen stellen Träumereien des alten Kollektivbewußtseins dar, historische Gestalten werden vergöttlicht oder umgekehrt. Die kosmologischen und naturalistischen Interpretationen verstehen den Mythos als Erklärungsversuch der Menschen, nicht verständliche astronomische oder naturalistische Phänomene zu erklären1. Eine dritte Interpretationsvariante wird von den Vertretern des soziologischen und psychologischen Ansatz repräsentiert: die Mythen sind als Reflex der Sozialstruktur und der sozialen Beziehung zu sehen. Mythen basieren nach dieser These auf unterdrückte, verdrängte Gefühle. Es muß nun Mittel geben, diese wahren Gefühle durch den Mythos klarwerden zu lassen. Genau an diesem Punkt unterscheiden sich die alten Erkenntnisse von denen Lévi- Strauss`2.
Seine These sucht die Basis der Mythen an anderer Stelle. Seiner Meinung nach obliegt die Reihenfolge der Ereignisse in einem Mythos keiner Regel, die Reihenfolge scheint beliebig zu sein. Jedes Subjekt eines Mythos kann einem beliebigen Prädikat zugeordnet werden. Und doch müssen die Mythen eine gemeinsame Basis haben, etwas, daß alle Mythen auf der Welt gemein haben. Dies können allerdings nicht kollektiv geteilte verdrängte, unterdrückte Gefühle sein. An dieser Stelle kommt man an die Ausgangsfragestellung, die den Anstoß zu Lévi-Strauss Mythenforschung darstellt: Die Subjekte und Prädikate scheinen zwar beliebig austauschbar zu sein, signifikant ist allerdings, daß die selben Charakterzüge und Ereignisse in den verschiedensten Mythen aus allen Teilen der Welt wiederzufinden sind. Wieso also ähneln sich die Mythen in der Welt so, wenn der Inhalt doch zufällig erscheint? Wieso werden Mythen in der Welt von allen als solche erkannt? Diese Gemeinsamkeit läßt sich sicherlich nicht auf der rein sprachlichen Ebenen oder durch oberflächliche Interpretationen finden.
Lévi- Strauss fand in den Sprachwissenschaften eine Analysemethode, von der er sich Antworten zu diesen Fragen versprach. Im Gegensatz zur Anthropologie verzeichneten die Sprach- und Naturwissenschaften dieser Zeit große Entwicklungserfolge. Im Grunde genommen war die Anlehnung an die Sprachwissenschaften keine neue oder revolutionäre Idee. Die meisten Theorien der Vorgänger des Strukturalismus basierten auf Erkenntnissen der Sprachwissenschaften. Welch bedeutende Basis die Sprachwissenschaftler und vor allem der geistige Vater der strukturalen Sprachanalyse Saussure für die Arbeiten Lévi- Strauss darstellte, werde ich im folgenden Kapitel ausführen.
2. Parallelen zu den Sprachwissenschaften
Das die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse sich in der Geschichte bereits des öfteren auf die Religionsethnologie ausgewirkt haben, habe ich bereits angedeutet. Eine kurze Zusammenfassung schafft einen groben Überblick über die Entwicklung dieser Erkenntnisse: In der Antike ging man noch davon aus, daß gewisse Lautgruppen bestimmten Sinngehalten entsprechen. Später wurde diese These durch folgende ersetzt: Die Bedeutung der Sprache ist nicht direkt an die Laute selbst gebunden, sondern abhängig von der Kombination der Laute. Wie Lévi- Strauss sah zum Beispiel auch C.G. Jung3 parallelen zwischen seiner Mythenanalyse und den damals vorherrschenden Spracherkenntnissen: Jung vertrat die These, daß gewisse mythologische Themen, sogenannte Archetypen, mit genauen Bedeutungen behaftet sind. Zum Vergleich eine analoge These in den Sprachwissenschaften: Verschiedene Laute haben eine natürliche Affinität zu diesem oder jenem Sinngehalt ( danach erinnern zum Beispiel liquide Halbvokale an eher liquide Materie).
Da eine ähnliche Beziehung zwischen Strukturalismus und Sprachwissenschaften besteht, gilt Ferdinand de Saussure auch als der geistige Vater des Strukturalismus: Er definiert die Sprache als ein System von Zeichen. Die Aufgabe der Strukturalisten liegt nun darin, die Struktur des sprachlichen Zeichens sowie die Relationen, die zwischen Zeichen bestehen, auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems zu beschreiben und allgemeine Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Sprache herauszuarbeiten. Um auf diese Strukturen zu stoßen, muß man zwischen zwei Sprachebenen unterscheiden: ´langue` und ´parole`. ´Langue` bezeichnet das System von Zeichen einer Sprache, ´parole` dagegen, ist die Verwendung von Sprache, also das ´Gesprochene`.
Was heißt dies übertragen auf die Mythenanalyse? Mythos ist zunächst einmal ein Bestandteil der Sprache, durch die Sprache ist er uns bekannt, erhängt mit der Rede zusammen. Doch so wie der Mythos mit der Sprache zusammenhängt, so ist er auch jenseits der Sprache. Sprache hat zwei Ebenen, eine strukturale (umkehrbare Zeit) und eine statische ( nicht mehr umkehrbar). Mythen beziehen sich sowohl auf die Vergangenheit (strukturale Struktur): „Vor Erschaffung der Zeit“, „Vor langer Zeit“, als auch auf eine statische Struktur, eine Dauerstruktur, die sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen bezieht. Lévi-Strauss geht hier noch einen Schritt weiter als Ferdinand de Saussure, er unterscheidet noch eine dritte Ebene, den Charakter des absoluten Objekts. Um diese Ebene einzuführen, führt er das Beispiel der Poesie ein: Poesie ist nur schwer in andere Sprachen zu übersetzen, wenn man sie aber doch übersetzt, so ist sie immer deformiert. Der Wert eines Mythos dagegen bleibt immer bestehen, ein Mythos wird in der ganzen Welt als solcher erkannt.
Er gehört also zur Ordnung der Sprache, sie bildet den integrierenden Teil, allerdings zeigt die Sprache im Mythos spezifische Eigenschaften. Diese Eigenschaften können nur über dem normalen Niveau liegen, sie sind komplexerer Art.
Zusammenfassend kann man sagen, daß der Mythos aus konstitutiven Einheiten, ähnlich dem Sprachgebilde besteht. Diese Teileinheiten setzen das Vorhandensein von solchen Einheiten voraus, die normalerweise in der Struktur der Sprache vorhanden sind: Phoneme, Morpheme und Semanteme. Die Elemente, aus denen ein Mythos besteht, sind große konstitutive Einheiten. Jede konstitutive Einheit ist ihrer Natur nach eine Beziehung.
Die äußere Struktur eines Mythos habe ich hiermit erläutert, doch wie wird diese in der praktische Mythenanalyse umgesetzt? Die Analyse eines Einzelmythos erläutere ich im nächsten Abschnitt.
3. Die Einzelmythenanalyse
Der erste Schritt der Analyse ist die Isolierung und der Vergleich der Ebenen im Mythos. Jeder Satz eines Mythos wird auf eine Karte geschrieben. Jede Karte steht in ihrer Zuweisung eines Prädikats zu einem Subjekt. Dieser Schritt zeigt allerdings erst den synchronischen Aspekt. Um den diachronischen Aspekt herauszuarbeiten, müssen diese Einheiten miteinander in Verbindung gebracht werden. Lévi-Strauss vergleicht dies mit dem lesen einer Orchesterpartitur: die Noten von links nach rechts gelesen ergeben die Melodie ( synchronisch). Um das Lied als Ganzes zu erfassen und zu verstehen, muß man das Ende auch mit dem Anfang der Partitur vergleichen ( diachronisch). Einzelne Notengruppen ergeben allein keinen Sinn. Daher kommt Lévi- Strauss zu dem Schluß, daß die wirklichen Einheiten des Mythos keine isolierten Beziehungen sind, sondern Beziehungsbündel und diese erhalten nur in Form von Kombinationen solcher Bündel eine Bedeutungsfunktion. Folglich darf ein Mythos auch nicht nur von links nach rechts, also der Reihenfolge nach, gelesen werden, sondern die Elemente müssen miteinander in Verbindung gebracht werden, also vertikal gelesen werden.
Wenn man diese Schritte ausführt, gliedert sich der Mythos von Asdiwal4 in 4 Ebenen: geographische, ökonomische, soziologische und kosmologische Ebene.
1. Geographische Ebene: Diese beinhaltet reale Stätten und Populationen, Orte und deren Bewohner sind real.
2. Ökonomische Ebene: Diese Ebene ist ebenso real wie die geographische Ebene. Die winterliche Hungersnot, die Zeit des „ Kerzenfisches“ und des „Lachses“, sind reale Ereignisse im Leben der Tsimshian- Indianer.
3. Soziologische Ebene: Gewöhnlich ist die Erblinie der Indianer matrilinear und der Wohnort patrilinear. Diese Regel wird in diesem Mythos mehrmals durchbrochen. Ein zweiter zuzuordnender Aspekt dieser Ebene ist, daß der Mythos mit der Vereinigung von Mutter und Tochter beginnt und mit der Vereinigung von Vater und Sohn endet.
4. Kosmologische Ebene: Hier sind zwei Gegensätze zu erkennen: die ´realen` Wanderungen Asdiwals gegenüber seinen ´übernatürlichen` Reisen. Zudem ergibt sich eine weitere Erkenntnis: aus der ersten übernatürlichen Reise ergibt sich eine matrilokale Heirat mit einem maximierten exogamen Abstand ( „Irdischer“ mit „Himmlischer“ ). In der zweiten übernatürlichen Reise wird diese Tendenz wieder neutralisiert, die Frau wird von ihren Brüdern, der Held von seiner Frau, ihr Sohn von seiner Mutter getrennt, einzig die Beziehung von Vater und Sohn bleibt bestehen.
Das ersichtliche Ergebnis ist hier, daß die erste und die zweite Ebene der Realität entsprechen, die vierte Ebene liegt außerhalb der Realität und die dritte Ebene vermischt schließlich Realität und Imaginität. Lévi- Strauss behauptet, daß die Eingeborenen diese Vermischung nicht erkennen. Somit scheint der Mythos alle Codes zu liefern, die die Eingeborenen je nach Lebenslage benötigen. Es stellt sich die Frage, welche Botschaften übermittelt werden. Daher taucht Lévi-Strauss tiefer in die Analyse ein. So wie wir hier den Gegensatz zwischen Realität und Imaginität vorfinden, finden sich im folgenden Abschnitt der Analyse noch weitere offensichtliche Gegensatzpaare, beginnend mit der Ausgangssituation:
Mutter - Tochter
älter - jünger
flußabwärts - flußaufwärts Westen - Osten
Süden - Norden
Da das Treffen von Mutter und Tochter auf halben Weg erfolgt, wird die Patrilokalität neutralisiert und eine Matrilokalität realisiert.
Das erste Abenteuer Asdiwals erschafft ein weiteres Gegensatzpaar: Himmel - Erde. Der Held kann zwar zunächst durch übernatürliche Hilfen diesen Gegensatz überwinden, scheitert jedoch letztlich, da er seine irdischen Wurzeln nicht abstreifen kann. Es entstehen eine Reihe von ungelösten Gegensätzen:
unten - oben
Erde - Himmel Mann - Frau
Endogamie - Exogamie
Ebenso verhält es sich mit der zweiten Heirat Asdiwals: Jagd im Gebirge - Jagd auf dem Meer
Erde - Wasser
Auch diese Gegensätze sind unüberwindlich. Die Unüberwindbarkeit der Gegensätze spielt in der strukturalen Mythenanalyse eine elementare Rolle, wie sich im Verlauf der Arbeit noch zeigen wird. Die Gegensätze sind zwar unüberwindlich, nähern sich jedoch in ihrer Termini an, wie man sehen kann, wenn man die verschiedenen, zuvor aufgeführten Ebenen differenzierter betrachtet. Dazu betrachtet man die Abenteuer Asdiwals mit seinen Schwägern bei der Jagd. Fand die Jagd bisher entweder auf dem Wasser oder auf der Erde statt, findet sie nun gleichzeitig statt ( auf der Klippe auf dem Meer). Zuvor beschritten seine Schwäger und er gegensätzliche Wege, nun folgen gehen sie gemeinsame. Seine Schwäger lassen ihn, gedemütigt und allein auf der Klippe zurück. Asdiwal, ein an die Erde gebundenes Wesen, befindet sich am westlichsten Punkt seiner Reisen. Dies zur geographischen und ökonomischen Ebene, auf der räumlichen Ebene zeigt sein Scheitern einen maximalen Abstand in Bezug zu seinem Ausgangspunkt. Auf der logischen Ebene ist er ebenfalls gescheitert, da er durch sein ungeniertes ausnutzen seiner magischen Gegenstände, seine Schwäger in Verlegenheit bringt. Dies obwohl der Gegensatz zwischen Jagd auf dem Meer und Jagd auf dem Meer dort auf ein Minimum reduziert ist. Sein Scheitern wird um so deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß Asdiwal, der „Bergbezwinger“ hilflos auf einer Klippe sitzt, der Bärentöter von einer Maus gerettet wird, die ihn zu einer unterirdischen Reise zwingt. Um diese Situation noch zu verschärfen, so Lévi-Strauss müßte die Maus sich nur noch in eine Frau verwandeln und ihn heiraten. Man weiß, daß die Maus bei den Indianern dieser Region eine Fee ist und zwar eine zeugungsunfähige, also eine ´umgekehrte` Frau. Letztlich veranlaßt diese Episode Asdiwal sogar dazu, Tiere zu heilen statt zu töten und seine Rettung im Robbenmagen beendet seine Reise in den Westen, die von nun an Richtung Osten verläuft. Zurückgekehrt in seine heimatliche Umgebung verliert er durch ein Fehlverhalten sein Leben, wo er versteinert wieder auf seine „ erdhafte Natur“ reduziert ist.
Diese Analyse war, so Lévi-Strauss, noch zu oberflächlich um die Codes, die die eigentliche Botschaft des Mythos verschlüsseln, herauszuarbeiten. Daher führt er einen neuen Begriff ein: Schemata. Die Schemata liegen auf einer noch tieferen Ebene des Mythos und trennen sich weiter vom puren Ereignisablauf des Mythos ab. Diese Schemata sind übereinandergelagert und simultan organisiert. Lévi-Strauss vergleicht dies mit einer mehrstimmigen Melodie5. Diese Abfolge von Ereignissen, wie sie chronologisch erzählt werden, die Sequenzen, spielen in der nachfolgenden Analyse keine Rolle mehr. Die Schemata erinnern in ihrer Termini stark an die vorausgegangenen Ebenen.
Zunächst zum geographischen Schema:
1. Geographisches Schema: Asdiwal gelangt auf seinen Wanderungen zunächst von Ost nach West und wieder zurück. Gemäß den jahreszeitlichen Gegebenheiten dieser Region wandert er ebenfalls von Süd nach Nord und von Nord nach Süd6.
2. Kosmologisches Schema: Dieses befaßt sich mit den drei übernatürlichen Besuchen Asdiwals: Das Ende Asdiwals neutralisiert die mittlere Mediation, die durch Asdiwals Geburt gelungen war, ihn aber nicht in die Lage versetzte, zwischen den zwei Extremen zu vermitteln: Himmel - Erde, Meer - Land, Osten - Westen. Beide vorherigen Schemata werden im folgenden integriert:
3. Integrations- Schema: Dieses Schema zeigt die binären, unüberwindlichen Gegensätze, mit denen Asdiwal konfrontiert ist [ sieheEbd.]: Ausgangs- und Endgegensätze sind „vertikal“ und gehören zum kosmologischen Schema. Die mittleren Gegensätze (Wasser - Erde, Jagd auf dem Meer - Jagd auf dem Land) sind “horizontal“ und gehören zum geographischen Schema.
Der letzte Gegensatz ( Gipfel - Tal ) verbindet die beiden vorherigen Schemata: es ist vertikal in seiner Form aber geographisch in seinem Inhalt. Das Scheitern Asdiwals erhält dreifache Bedeutung: eine geographische, eine kosmologische und eine logische. Den komplementären Charakter der drei Schemata erkennt man, wenn man die Umrisse reduziert und nur die Ordnung und Amplitude der Gegensätze betrachtet:
Schema 1 besteht aus einer Reihe von Schwingungen konstanter Amplitude: Ost - West - Süd - Ost.
Schema 2 geht von einem Nullpunkt aus und setzt sich in einer Schwingung mit mittlerer Amplitude sodann in Schwingungen maximaler Amplitude fort, die am Nullpunkt zur Ruhe kommen.
Das dritte Schema beginnt mit einer Schwingung maximaler Amplitude, die sich in einer Reihe von Schwingungen mit mittlerer Amplitude abschwächt7.
4. Soziologisches Schema: Dem zuerst patrilokalen Wohnsitz folgt der matrilokale Wohnsitz, der sich vom zunächst mörderischen zum feindseligen wird. Dieser feindliche Wohnsitz schwächt sich sodann ab und kehrt sich schließlich ins Gegenteil und endet im patrilokalen Wohnsitz. Dieses Schema weißt im Gegensatz zum geographischen Schema keine geschlossene Struktur auf: das Schema beginnt mit Mutter und Tochter und endet mit Vater und Sohn8.
5. Technisch- ökonomisches Schema: Dieses Schema beginnt mit einer Hungersnot, folgt sodann dem jahreszeitlichen Lebenszyklus und endet in einer ertragreichen Jagd: Hungersnot - Kerzenfischfang - Lachsfang - ertragreiche Jagd.
6. Globale Integration: Dies ist das letzte aufgeführte Schema. Stellt man nun den Anfang des Mythos in Korrelation zum Ende des Mythos ergeben sich folgende Gegensätze:
weiblich männlich
Ost - West Oben - Unten
Hungersnot Überfluß
Bewegung Reglosigkeit
Zusammenfassend hat Lévi-Strauss aus dem Mythos die verschiedenen Ebenen
( geographische, soziologische, kosmologische und ökonomische) herausgelöst und ihnen thematische Ereignisse zugeordnet. Aus diesem Schritt ergab sich die Feststellung, daß der Mythos aus unüberwindlichen Gegensatzpaaren besteht. Um jedoch die Struktur der Mythen sichtbar zu machen, unterschied er die einzelnen Codes ( geographisches, kosmologisches, integratives, soziologisches und technisch-ökonomisches Schema), aus denen der Mythos besteht und die die eigentliche Botschaft übermitteln. Welchen Inhalt hat diese Botschaft?
Um nun die Gesamtheit eines Mythos zu erfassen, ist es unablässig, alle Versionen eines Mythos miteinzubeziehen. Hier ist aber geboten, alle Versionen mit gleicher Aufmerksamkeit zu beachten. Durch diese Methode, so Lévi-Strauss, läßt sich das bisherige Problem der Forscher, nach einer authentischen und ursprünglichen Version, nach einem Urmythos zu suchen, umgehen. Er ist der Ansicht, daß nicht identische Motive, wie sie in verschiedenen Versionen vorkommen, dazu werden im Verlauf Beispiele genannt, das Korrelat des Mythos nicht verändern, sondern ihn im Gegenteil bestätigen.
4. Der Mythenvergleich
Für den Vergleich zieht Lévi-Strauss eine Mythenversion von Franz Boas aus dem Jahre 1916 heran9. Da dieser Mythos neben den uns bekannten Figuren auch noch einen Sohn Asdiwals ( Waux) enthält, scheint es auf den ersten Blick so, als wäre diese Version eine Ergänzung des vorherbesprochenen. Doch im weiteren Verlauf dieser Version zeigt sich, das sie folgenden Sequenzen und Schemata sowohl homolog aber auch expliziter sind als diese. Es scheint so, als ob sich die Sequenzen am Schluß des Mythos den Schemata annähern würden.
Doch zunächst zu den offenkundigen Unterschieden und Umwandlungen dieser zwei Versionen: Zu allererst fällt auf, daß Asdiwal nur einen Sohn hatte im Gegensatz zu seinem Sohn Waux, dessen Frau Zwillinge bekommt. Gab es in der zuerst analysierten Version nur einen Vermittler, so tritt in dieser Version ein Dioskurenpaar auf. Das Dioskurenpaar verbindet für die nordamerikanischen Indianer Gegensätze ohne dabei ihren individuellen Charakter einzugrenzen ( im Gegensatz zum Messias, der sie vereint und dem trickster, der diese nebeneinander stellt). Verstärkt wird diese Abschwächung durch die Tatsache, daß die Zwillinge schnell sterben, ohne eine Funktion innerhalb der Ereignisse des Mythos zu erfüllen.
Eine weitere Abschwächung findet sich in den Vermittlungsinstrumenten. Waux Speer ist eigentlich ein stärkeres Instrument als Asdiwals Schneeschuhe. Asdiwals Schneeschuhe können Berge überwinden, Waux Speer dagegen kann Berge spalten. Es ist aber dennoch eine Abschwächung, da Waux trotz des stärkeren Vermittlungsinstrumentes stirbt. Der schwächere Vermittler verliert das stärkere Vermittlungsinstrument, daher ist seine Wirksamkeit doppelt herabgemindert. Durch diese „ neue“ Version ließ sich ein Aspekt erschließen, der zuvor nicht beachtet wurde oder werden konnte.
Ein weiterer Unterschied läßt sich nicht übersehen, wenn man den Nahrungsaspekt genauer betrachtet. Waux` Frau stirbt am Ende des Mythos an Überfüllung. Der „ ursprüngliche“ Mythos beginnt mit der hungernden Mutter Asdiwals. Durch ihren Hunger verläßt sie ihr Dorf und macht sich auf den Weg zu ihrer Mutter. Der Hunger läßt sie in Bewegung kommen. Die Überfüllung von Waux` Frau läßt diese im Gegensatz zu Asdiwals Mutter erstarren. Letztendlich sind aber beide gleichermaßen „ gelähmt“.
In den Ausgangssequenzen sehen wir zwei Frauen außerhalb einer Paarbildung ( unverheiratet), die nicht genährt und in Bewegung waren, in der Schlußsequenz der zweiten Version dagegen sehen wir ein Ehepaar, der Mann ein Ernährer ( unverstandener) und eine Frau, die zu sehr genährt war ( weil sie ihren Mann nicht verstand).
Als die wichtigste Transformation sieht Lévi-Strauss allerdings die Heiraten der zwei Helden. Es ist daher angebracht, der folgenden Analyse einiges vorwegzunehmen. An diesem Aspekt zeigt sich die Beziehung zwischen Mythos und Realität. Denn hier trennen sich, divergieren sich die Ansichten von Franz Boas und Lévi-Strauss stark. Boas sah in den Mythen ein Abbild der realen Gesellschaft. Nach Lévi-Strauss dagegen hat der Mythos zwar einen Bezug zur Realität, ist aber keine Repräsentation. Es ist also auch möglich, daß das Gegenteil von der Realität dargestellt ist.
Nun zunächst zurück zur Analyse: Asdiwal heiratet mehrmals in seinem Leben, ausnahmslos jede Ehe scheitert ( er wird verlassen, er verläßt seine Frau oder er kann sich nicht zwischen seiner „himmlischen“ Ehefrau und einer Landsmännin entscheiden). Waux dagegen hat nur eine Frau, die ihm treu ist, welche ihm aber kein Glück bringt, da er durch sie stirbt. Asdiwal trifft seine Frauen im Laufe seiner Abenteuer, Waux wird verheiratet. Es ist eine arrangierte Hochzeit mit seiner Kusine, der Tochter des Bruders seiner Mutter.
Dieser Aspekt wird von Lévi-Strauss intensiver bearbeitet. Er ist für die Unterscheidung zwischen strukturaler Mythenanalyse und anderer ( wie zum Beispiel die unter Punkt 1 erwähnten) von großer Wichtigkeit. Boas geht davon aus, das den Mythen ein Abbild der realen Gesellschaft zu Grunde liegt. Dazu ist es wichtig, die im Mythos darstellten Heiraten und Ehen mit der „idealen“ Heirat der Tsimshian- Indianer zu vergleichen.
4.1. Mythos als Repräsentation der Realität?
Die bevorzugte Erblinie bei den Tsimshian- Indianern war die matrilineare10. Die Kinder wachsen patrilokal heran, wenn sie jedoch die Jagdgründe und Titel erben wollten, mußten sie in Verbindung mit dem Bruder der Mutter treten. Daher galt als ideal, wenn der Sohn seine Kusine, die Tochter des Bruders der Mutter heiratet. Dieses System löste zweierlei Probleme: Erstens blieb dadurch das Erbe (Jagdgründe, Titel etc.) im engen Familienkreis, zum anderen konnte es einen Konflikt zwischen Geberfamilie und Nehmerfamilie neutralisieren. „Geber“ und „Nehmer“ beziehen sich auf die Ansicht, daß eine Heirat zwischen zwei Familien ein Tauschgeschäft ist: eine Partei nimmt (Tauschobjekt ist die Frau), die andere gibt. Die Familie, die gibt, nimmt zwangsläufig an, das sie später dafür eine Frau zurück bekommt. Dies ist zwar nicht vollkommen abgesichert, schafft aber ein relatives Gleichgewicht, da jede Familie früher oder später in diese Situation kommt. Die nordamerikanischen Indianer wollten sich mit diesem Gleichgewicht nicht abfinden. Lévi-Strauss zitiert einen Informanten Franz Boas`11, wonach Häuptlinge ihre Töchter mit ihren Neffen verheiratet haben, damit dieser seine Nachfolge antritt. Diese Ehe soll auch unter Zwang realisiert worden sein. Abschließend setzten beide Familien des Brautpaares sich in Bewegung und kämpften gegeneinander. Die resultierenden Narben sollen den Vertrag dargestellt haben. Beide Tauschgeschäfte, wo bei das letztere radikaler ist, beziehen sich nicht nur auf den Austausch von Frauen, sondern auch auf den Austausch von Gütern (Titel, Jagdgründe, Häuptlingspositionen ). Durch jeden Austausch änderte sich das Verhältnis von Überlegenheit und Unterlegenheit und war zugleich eine Möglichkeit ältere Konflikte zu beseitigen. Warum sich die Tsimshian Indianer ein eher blutiges Bild von diesem Heiratsarrangement machen und sich nicht für diese Form entscheiden können, versucht Lévi-Strauss durch andere Tsimshian-Mythos12 darzustellen.
Diese unüberwindlichen Gegensätze, die das Denken der Tsimshian Indianer bestimmen, zeigen sich nicht nur in den Gegensätzen, wie sie bei der Heiratsform bestehen, sondern auf allen Ebenen, die Lévi-Strauss in seiner Analyse differenziert hat (geographische, soziologische, ökonomische, kosmologische). Die Gegensätze dieser Ebenen sind jedoch der Antimonie der vergeblich zu überwinden versuchten „Kusinen-Heirat“ angeglichen. Dieses, so Lévi-Strauss, bekennen die Mythen und darin besteht ihre Funktion. Um dies zu verdeutlichen geht er zurück zur Anfangssequenz:
Durch die Hungersnot sterben die Ehemänner der beiden Anfangsheldinnen. Sie verlassen ihren patrilokalen Wohnsitz begegnen sich auf halber Strecke und kehren in das Heimatdorf der jüngeren Frau zurück. Ihr Sohn wächst somit an einem patrilokalen Wohnsitz auf. Der Nahrungsmangel wird somit mit dem Export der Töchter in Bezug gesetzt und diese kehren, wenn Nahrungsmangel entsteht, zu ihrer Ursprungslinie zurück. Die verschwindende Nahrung wird im Mythos anschaulich durch die Wanderung des Kerzenfisches und des Lachses verdeutlicht. Diese Fische kommen von Westen und Süden aus dem Meer und ziehen in Richtung Osten den Fluß hinauf. Ähnlich diesem Ereignis, setzt Asdiwals Mutter ihre Wanderung Richtung Westen und Meer fort, wo Asdiwal seine erste Ehe eingeht und zwar mit einem himmlischen Wesen.
Nahrung spielt in diesem Aspekt eine große Rolle, daher geht Lévi-Strauss genauer auf diesen Punkt ein13. Diese Sequenz beinhaltet auch die Korrelation weiblicher Himmel - männliche Erde: Asdiwal wird von einer Bärin aufgefischt, welche ihn in den Himmel lockt. Der Bär erhält in den Mythen oft den Namen Lachsfischer. Wie ein Lachs wird Asdiwal nun von der Bärin und später von der Sonne ( als Asdiwal stirbt) aufgefischt. Der Vergleich Asdiwal gleich Nahrung erscheint auch auf seiner zweiten übernatürlichen Reise, der Reise ins Unterirdische Reich der Robben. Er unternimmt die Reise im Magen, also wie Nahrung (wie der Kerzenfisch), eines Tieres. Diesmal geht Asdiwals Reise in die entgegengesetzte Richtung und zwar von Westen nach Osten und nicht von Osten nach Westen, wie die zurückgehende Nahrung. Dieser Wechsel ist von einem Wechsel des Wohnsitzes begleitet: der Wohnsitz ist nicht mehr matrilokal sondern patrilokal. Seine Position ändert sich von Erde, männlich, beherrscht, in Erde, männlich, beherrschend. Doch auch der patrilokale Wohnsitz funktioniert nicht, er bekommt zwar seinen Sohn zurück, verliert aber seine Frau und deren Verwandten. Mit dem Richtungswechsel änderte sich nicht nur die Art des Wohnsitzes, auch die Nahrung kehrte zurück. Mit der zurückkehrenden Nahrung hat er seine Bewegungsfreiheit verloren, da der Hunger, der bisher zur Bewegung veranlaßte, nicht mehr existiert. Statt dessen kam die Fülle und somit die Lähmung ( Asdiwal versteinert, da er durch die vergessenen magischen Schneeschuhe nicht mehr nach Hause zurückkehren kann.). Lévi-Strauss sieht hier den Grund für die Heirat Waux mit seiner matrilateralen Kusine. Die Tsimshian Indianer sahen hierin die letzte Möglichkeit, die Widerspüche ihrer Gesellschaft zu überwinden. Doch auch diese Möglichkeit ist vergeblich, Waux Ehe scheitert an einem Mißverständnis zwischen den Eheleuten und dem Vergessen Waux ( der seinen magischen Speer nicht auf der Jagd dabei hat). Er hat zwar geschafft, bei seinen mütterlichen Verwandten zu bleiben und gleichzeitig das Erbe seines Vaters zu behalten und das Erbe der Familie seiner Mutter zu erhalten, doch er und seine Kreuzkusine bleiben sich fremd. Die Heirat von Kreuzvettern sind in einer feudalen Gesellschaft ein Linderungsmittel und ein Irrtum. In diesen Gesellschaften tauscht man zwar seine Frauen aus, doch man kämpft auch um Güter.
Wie man sehen konnte, stellt der Mythos nicht die reale Eheinstitution der Tsimshian dar. Das Gegenteil ist eher der Fall: weder Waux väterliches Erbe noch Asdiwals matrilokale Heiraten repräsentieren die Realität. Es scheint daher so, als ob die Mythen immer dann das Gegenteil der Realität repräsentieren, wenn es sich um eine negative Wahrheit geht. Die Tsimshian versuchen gar nicht, die reale Eheinstitution darzustellen, sondern ihren schlechten Zustand zu rechtfertigen. Die geschilderten Extreme ( eben Waux Erbe und Asdiwals matrilokale Heiraten) zeigen nur, daß diese unhaltbar sind. Sie zeigen, daß der Heiratspraxis ein unüber- windlicher Gegensatz inne ist. Diese Aussage steht stellvertretend für alle Darstellungen im Mythos.
Der Mythos stellt die unüberwindlichen Urkonflikte der Menschen dar. Folglich kann der Mythos weniger als ethnographische Quelle dienen. Lévi-Strauss sieht die Mythen daher eher als Mittel, um zu den unbewußten Kategorien des Menschen vorzustoßen. Zur Vertiefung der Beweisgrundlage geht er zurück zu seiner Analyse und betrachtet die Beziehung zwischen Wohnsitz und Reisen Asdiwals. Asdiwals Reisen standen immer in Bezug zum Wohnsitz: Die Reise von Osten nach Westen war geprägt von der Matrilokalität. Die Rückkehr von West nach Ost wurde gleichzeitig von der Rückkehr zur Patrilokalität begleitet. Die Richtung von West nach Ost ist also folglich die einzig reale. Unterstützt wird dieser Aspekt durch die Rückkehr Asdiwals zu seinem Element, seiner Erde und seinem Geburtsort. Zu Anfang des Mythos war er der Ernährer, als er sich auf die Reise Richtung Westen begab, der Richtung der abwandernden Fische. Wenn er schließlich im Magen der Robben ( in entgegengesetzter Richtung) reist, wird er automatisch mit Nahrung identifiziert und bewegt sich gleichzeitig in die Richtung, in die die Nahrung jährlich zurückkehrt.
Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung die West - Ost Richtung für die Tsimshian hat. Wenn man diese Richtung mit dem Weg der Lachse und des Kerzenfisches vergleicht, die jährlich diese Wanderung unternehmen, so könnte man sich fragen, ob dies nicht auch die Richtung ist, die die Tsimshian einschlagen müssen, um ein konkretes Bild von ihrer sozialen Realität zu erhalten. Wenn man dies tut, vergleicht man sie dann nicht mit den Fischen? Lévi- Strauss fand hierzu verschiedene Riten und Mythen, die seine Hypothese untermauern14. All die Riten und Verbote scheinen darauf abzuzielen, daß die Beziehung zwischen Mensch und Fisch „ unmittelbar“ wird, daß heißt, daß alle menschlichen Kulturerrungenschaften ( wie zum Beispiel Messer) nicht erlaubt sind. Die einzig reale Beziehung zwischen Fisch und Mensch besteht in der Nahrung. Diese Beziehung kann weder verändert noch ihre Grenzen überschritten werden. Es bleiben allein zwei Alternativen: entweder man ißt wie Lachse obwohl man Mensch ist oder man ißt Lachse obwohl sie wie Menschen sind15. Die zweite Alternative ist die Richtige, wenn man die Riten des Fischfangs und deren Zubereitung einhält. Wer sich mit der ersten Alternative identifiziert wird, entweder wie der Prinz in Boas Mythos, in eine Wurzel verwandelt oder wie Asdiwal versteinert. Damit wurde er zur Reglosigkeit verdammt und mit der Erde unwiderruflich verbunden. Wenn man von einer Anfangssituation ausgeht, die von nicht unterdrückbarer Bewegung gekennzeichnet ist, die sich jedoch in der Endsequenz zu endgültiger Leblosigkeit wandelt, so kann man sagen, daß der Mythos auf seine Weise einen grundlegenden Aspekt der Eingeborenenphilosophie mit einbringt. Die Fehlende Nahrung ist vor allem gesetzt und alles Vorhergehende läßt vermuten, daß Asdiwal als Ernährer in einer Negation dieser Abwesenheit besteht, die alles andere als Anwesenheit ist. Wenn die Anwesenheit schließlich unter dem Aspekt Asdiwal gleich Nahrung und nicht mehr als Ernährung, erreicht worden ist, endet sie in einem Zustand der Leblosigkeit.
Doch nun zum letzten Problem:
4.2. Abschwächung und Transformation in der Nass-Version
An dieser Stelle komme ich zum letzten Analysepunkt der Arbeit. Auf den letzten Seiten wurden zwei Mythenversionen im Vergleich analysiert. Dabei handelte es sich um zwei Mythen- Versionen des Skeena. Im folgenden soll ein Mythos der Nass- Region, der am Skeena- Fluß spielt, in die Analyse einbezogen werden16. Wenn man diese Mythen- Version betrachtet, so scheint sie im Vergleich zu den zuvor bearbeiteten Versionen in einigen Sequenzen ärmer zu sein oder vertauscht. Lévi-Strauss beginnt zunächst damit, die Gemeinsamkeiten und die transformierten, sprich veränderten Elemente dieser Version mit den vorherigen aufzuführen. Der Mythos beginnt in beiden Versionen ähnlich: es ist Winter, eine Hungersnot bricht aus und zwei miteinander verwandte Frauen beschließen, sich wegen der Hungersnot zusammenzutun. Doch bereits hier ergeben sich einige Unterschiede:
Ort der Handlung Nass Skeena
Zustand des Flusses ? zugefroren
Situation der beiden Dörfer wenig entfernt „sehr entfernt“
Verwandtschaftsgrad der Schwestern Mutter u. Tochter
beiden Frauen
Personenzustand 1Verheiratet 2 Witwen
1 Unverheiratet
Alle Gegensätze in der Nass- Version sind abgeschwächt. In der Skeena- Version handelt es sich um Mutter und Tochter, die weiter entfernt voneinander weg leben wie die Schwestern in der Nass- Version. Diese Schwestern differenzieren sich nur durch ältere- jüngere Schwester und sind räumlich nicht so weit voneinander getrennt wie Mutter und Tochter. Mutter und Tochter erleiden einen radikalen Schicksalsschlag, ihre Ehemänner sterben beide. Von den Schwestern ist nur bekannt, daß eine unverheiratet und die andere verheiratet ist, wo sich allerdings ihr Gatte aufhält ist nicht bekannt.
Das die Nass- Version eine Abschwächung der Skeena- Version ist und nicht eine Verstärkung, wird durch die Übertragung der Mutter - Tochter Beziehung (zumindest Überreste davon) in die Nass- Version deutlich. Die ältere der Schwestern ist Mutter einer Tochter, die sie begleitet. Die Funktion dieser Beziehung ist in dieser Mythos- Version nicht relevant. Diese Aussage ergibt folgendes Schema:
a) [Mutter:Tochter] : : [(Mutter+Tochter) : Nicht-Mutter]
Das konstante Element ist hier der Gegensatz zwischen retrospektiver und prospektiver Fruchtbarkeit.
Doch es lassen sich im Vergleich zu diesem Gegensatz weit stärkere Umkehrungen erkennen. In der Skeena- Version zum Beispiel kommt die Tochter, die jüngere, von oben und die Mutter von unten. In der Nass- Version verhält es sich genau umgekehrt, die jüngere, unverheiratete Schwester kommt von unten und die ältere Schwester von oben. Ein anderes Beispiel stellen die Vorräte dar, die die Frauen in der Eingangssequenz zur Verfügung hatten. Die Frauen in der Skeena- Version haben nichts bis auf eine verfaulte Beere, die Frauen in der Nass- Version besitzen eine Handvoll Beeren und Laich:
Skeena- Version: O faule Beere O
Nass- Version: Beeren Laich
Es ist hinzuzufügen, daß Fäulnis in diesem Kulturkreis als Grenze zwischen Nahrung und Exkremente gilt. Die Nahrung der beiden Frauen der Skeena- Version haben also qualitativ (da verfault) und quantitativ ( da nur eine Beere) einen sehr geringen Nährungswert. Die Beere wird also eher mit einem Nahrungsmangel assoziiert denn mit der Art der Nahrung. Die Frauen werden also mit Nahrungsabwesenheit assoziiert. Sie werden im Mythos allerdings auch mit dem Osten bzw. dem Westen, mit der Erde bzw. dem Meer verbunden. Innerhalb des Mythos gibt es einen ähnlichen Gegensatz, Jäger im Gebirge - Jäger auf dem Meer, der ebenfalls mit den gleichen Himmelsrichtungen und dem Elementen verbunden ist. Es gibt folglich einen doppelten Gegensatz zwischen tierischer Nahrung - pflanzlicher Nahrung und Meerestier ( Westen) - Landtier ( Osten). Dies läßt sich wie folgt veranschaulichen:
Pflanzliche Nahrung: Mitte nicht markiert
Tierische Nahrung (Meer) (Erde) markiert
(Westen) (Osten)
Umgesetzt in eine analoge Formel wie a) sieht es wie folgt aus: b) [Erde : Meer] : : [(Meer + Erde) : Mitte]
In der Nass- Version finden wir geschwächte Gegensätze vor. Die Frauen in der Nass- Version verfügen über wenig Nahrung, sowohl pflanzliche als auch tierische. Die pflanzliche Nahrung steht der tierischen Nahrung also nicht mehr so gegensätzlich gegenüber. Die Nahrung selbst ist sowohl qualitativ als auch quantitativ besser als die in der Skeena- Version. Man muß allerdings beachten, daß die tierische Nahrung in der geringsten Ausführung vorhanden ist und zwar ist es Fisch und kein Fleisch, es ist Fischlaich und nicht Fisch und es steht nur eine geringe Menge, sprich ein fingerdickes Stück, zur Verfügung. Es entsteht daher ein schwach markierter Gegensatz:
Meer Erde
Westen schwach markierter Osten
Pflanzliche Nahrung Gegensatz tierische Nahrung
(relativ reichlicher) (relativ kärglicher)
Diese beiden Varianten lassen sich in einer Formel zusammenfassen:
C1) [(-Fleisch) - (Fisch)] : : [dx (Fleisch + Fisch) : dx (pflanzliche Nahrung)] Die Einheit dx, die für kleine Quantität steht, kann auch weggelassen werden:
C2) [Fleisch : Fisch] : : [(Fleisch + Fisch) : (pflanzliche Nahrung) (Fleisch und Fisch ergeben hier die tierische Nahrung)
Auch hier können wir die Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Formeln a,b,c erkennen.
Die Nahrung der Frauen in der Nass- Version besteht also aus Beeren ( welche die eine Frau, die von flußabwärts kommt, mitbringt) und Laich ( welcher von flußaufwärts mitgebracht wird). Der Laich ist ein tierisches Produkt aus dem Fluß, die Beeren eine pflanzliche Nahrung von der Erde. Beeren findet man gewöhnlich an den Flußufern. Durch den Übergang von einer Version zur anderen realisiert sich folgende Transformation:
d) [ Westen : Osten] : : [Meer : Erde) : : [Wasser : Festland] : : [Fluß : Ufer]
Der Gegensatz Fluß - Ufer ist nicht nur eine Abschwächung der grundlegenden Antinomien, wie Ost- West, Festland- Wasser oder des stärksten Gegensatzes Meer- Erde, sondern er ist auch eine Funktion des zuletzt genannten Gegensatzes. Wenn man den Gegensatz zwischen Ufer und Fluß im Landesinnern betrachtet, so ist er stärker als in den Küstenregionen. Hier hat in der Kategorie Wasser das Meer Vorrang vor dem Fluß und in der Kategorie Erde die Küste Vorrang vor dem Flußufer. Flußaufwärts ergibt sich daher folgende Formel:
d) [ Wasser : Festland] : : [ Fluß : Ufer)
Flußabwärts ergibt sich dagegen eine andere Formel, da sich die Sichtweise ändert:
e) [ Wasser : Festland] : : [ Meer : ( Fluß + Ufer)]
( hier wird die Summe aus Fluß und Wasser mit der Erde ausgetauscht)
Zusammengefaßt ergibt sich eine gemeinsame Formel: f) [Erde : Wasser] : : [(Fluß + Ufer) : Meer]
Diese Formel ließ sich aus den Formeln d und e zusammenfassen, welche wiederum mit den Formeln a, b und c vergleichbar waren.
Es wurde ersichtlich, wie eine Mythentransformation (von Skeena zur Nass- Version) Gleichwertigkeiten ausdrücken kann obwohl sie zunächst extrem unterschiedlich erscheint. Tatsächlich nimmt im letzten Stadium der Umwandlung die Position <flußabwärts, Westen> eine pflanzliche, also irdische Nahrung ein, während die Position < flußaufwärts, Osten> tierische Nahrung einnimmt, da diese aus Fischlaich bestehend, Fluß- also Wassernahrung ist. Die beiden Frauen, in ihrem Zusammenhang von Älterer zu Jüngerer, sind also auf zusammenhängender Weise bezüglich des Unten und des Oben vertauscht17.
In der Skeena- Version ist der schwache Gegensatz Fluß- Ufer (der Fluß ist zugefroren, ist begehbar) zu Gunsten des starken Gegensatz Meer- Erde neutralisiert.
In der Nass- Version wird der stärkere Gegensatz ( Meer- Erde) durch Abschwächung und Umkehrung zu Gunsten des schwächeren Gegensatzes (Fluß- Ufer) neutralisiert18.
Eine recht ähnliche Transformation findet man, wenn man den Blick auf den übernatürlichen Beschützer wendet. In der Skeena- Version versorgt er die Frauen nur mit Fleisch in größer werdender Menge, in der Nass- Version dagegen liefert er sowohl Fleisch als auch Fisch in großen Mengen. In der Skeena- Version vergrößert sich das Nahrungsangebot erst in Asdiwals dritter Ehe, wo er mit seinen Schwägern Lachs und Fleisch verkauft. Dieser Zustand ist nur von vorübergehender Natur.
Anders verhält es sich mit den magischen Gegenständen, die sowohl Asdiwal als auch Asihwil von ihrem Vater erhalten. Im Skeena- Mythos sind die magischen Gegenstände sofort einsatzfähig und vervollkommnet, im Nass- Mythos dagegen müssen die Gegenstände erst noch vervollkommnet werden.
Eine Gemeinsamkeit besteht in der Endsequenz, beide Helden kehren von Ost nach West zurück, wie die wiederkehrende Nahrung. Beide reisen in den Gedärmen der Robben zurück an Land. Doch Asdiwal reist im Gegensatz zu Asi-hwil ( wie er in der Nass- Version genannt wird), der im Darm reist, im Magen zurück. Lévi-Strauss vermutet hier, daß man Nahrung im Darm mit fortgeschrittener Fäulnis assoziieren kann19. Fäulnis ist in der Nass- Version eher ein Endthema denn ein Ausgangsthema, wie es in der Skeena- Version der Fall ist ( die verfaulten Beeren, die in der Anfangssequenz die Nahrung darstellen).
Lévi-Strauss fügt abschließend hinzu, daß der Kerzenfisch, der Sicherheit vor der Hungersnot darstellt, bei seiner Zubereitung bis zur Fäulnis ertragen werden muß, sonst würde der Kerzenfisch nicht wiederkehren, da er sich gedemütigt fühlt.
Dieser Abschnitt der strukturalen Mythenanalyse bewies nicht nur die Existenz von Abschwächungen und Transformationen, wie sie zwischen zwei Mythenversionen zweier Regionen ( hier zwischen Nass uns Skeena) auftreten können sondern erläuterte ebenso ihren Zusammenhang. Beispielartig erläuterte Lévi-Strauss wie sich eine mythologische Transformation durch eine Folge von Gleichwertigkeiten ausdrücken kann, obwohl deren beide Extreme radikal umgekehrt erscheinen. Eine letzte Frage blieb dabei offen: Wie kommt es zu diesen Umkehrungen? Wo findet sich ihr Ursprung?
Eine Antwort fand Lévi-Strauss in der unterschiedlichen geographischen Verortung, in der der Mythos entstand. Die Nass- Region befindet sich geographisch gesehen im Norden der Skeena- Region.
Um sich im fremden Land zu verheiraten, geht der Held der Nass- Version in das Gebiet des Skeena und der Held der Skeena- Version in die Nass- Region. Jede Population bildet also spontan umgekehrt symmetrische Bilder ein und des selben Landes. Jede Region wird automatisch mit ihren ökonomischen Tätigkeiten, die mit dem jeweiligen Fluß zusammenhängen, in Verbindung gebracht: daß heißt der Skeena mit dem Lachs und der Nass mit der Wanderung des Kerzenfisches20. Wie wir bereits sahen, ist die Umkehrung der Korrelationen selbst Funktion einer allgemeinen Abschwächung aller Gegensätze. Eine einfache Ersetzung des Nordens durch den Süden und umgekehrt ist hier allerdings nicht der einzige ausschlaggebende Punkt.
Generell teilen die Menschen des Skeena und des Nass fast die selbe Sprache und weisen die selbe soziale Ordnung auf. Doch die Lebensweise unterscheidet sich stark voneinander. Die Bewohner des Skeena müssen jahreszeitlich bedingt zwischen Skeena und Nass hin und her wandern, um ihre Nahrungsversorgung zu gewährleisten. Von den Menschen des Nass ist dies nicht bekannt. Die Wanderungen dieser Population scheint sich auf den Nass begrenzt zu haben ( sie scheinen nur zur Nass- Mündung gewandert zu sein). Die Skeena- Population bewohnte somit beide Täler, wogegen die Nass- Population nur das Nasstal bewohnte. Beide Populationen kennen daher zwar wahrscheinlich den Gegensatz Kerzenfisch- Lachs. Doch dieser Gegensatz ist nicht für beide Populationen von gleicher Wichtigkeit. Die Menschen des Skeena mußten damit leben, die Menschen vom Nass kannten diesen Wechsel nur, mußten sich aber in ihrem Leben nicht danach richten.
An dieser Stelle kommt Lévi-Strauss zu einem , seiner Meinung nach, grundlegenden, Merkmal des mythischen Denkens. Dieses Mythenbeispiel kann in anderen Mythen an anderen Orten beliebig wiedergefunden werden.
Seine These ist, daß wenn ein mythisches Thema von einer Population zu einer anderen Population übergeht und zwischen den beiden Populationen Schwierigkeiten in der Sprache und der sozialen Organisation ergeben, dann wird die ursprüngliche Mythenversion verarmen und unklar werden. Dies war der Fall als der Mythos des Skeena zum Mythos des Nass übergegangen ist, da die Kommunikation nicht stimmig war. Durch seine vorangegangene Analyse glaubt Lévi- Strauss diese Schwierigkeit überwunden zu haben. Denn, so argumentiert er, wenn die Kommunikation auf ein Minimum reduziert ist, kehrt sich die Situation um und alles wird wieder klar erkennbar. Ein Vergleich mit der Optik soll dies verdeutlichen: Ein Lichtstrahl, der durch eine angemessene Öffnung fällt, wird als Bild richtig wahrgenommen. Verkleinert sich dagegen die Öffnung, verschwimmt das Bild fast zur Unkenntlichkeit. Jedoch kurz bevor es nicht mehr sichtbar ist, weil es sich auf einen winzigen Punkt reduziert, wird es plötzlich wieder deutlich.
5. Kritiken an der Strukturen Mythenforschung
Angesichts eines so umfangreichen und revolutionären Forschungsansatz konnte eine breit gefächerte Kritik nicht ausbleiben. Wenn man die Menge der Mythenanalysen von Lévi- Strauss ( von der Mythensammlung Mythologiques einmal abgesehen) mit den Arbeiten vergleicht, die andere über ihn geschrieben haben, so sind letztere in der Überzahl. Es ist allerdings nicht sehr verwunderlich. Eine so komplexe These bietet auch viel Angriffsfläche.
In diesem Kapitel greife ich vor allem auf Michael Opitz21 und Edmund Leachs`22 Zusammenfassung zurück. Da die Bandbreite der Kritiker und deren Inhalte sehr groß ist, kann ich leider an dieser Stelle nicht auf alle Kritiken eingehen. Die folgenden Kritikpunkte sollen einen Überblick über die geläufigsten geben.
Michael Opitz gliedert die Kritikansätze in drei Felder: methodologische, philosophische und allgemeine Textkritiken. Zunächst jedoch zu den Textkritiken:
Textkritiken:
Diese Kritiken wenden sich an das Analysematerial, auf welches Lévi-Strauss zurückgreift. Die Mythen, die Lévi-Strauss behandelt sind größten Teils keine Originale sondern Nacherzählungen von Ethnologen ( wie zum Beispiel von Franz Boas) in europäische Sprachen. Diese Nacherzählungen sind häufig Kurzfassungen des Originals. Dies sind Eingriffe, die es schwierig machen, nachzuvollziehen, inwiefern das Original dadurch verunstaltet wurde und letztlich nur die Absicht des Interpreten vertreten23. Dies ist zunächst
eine Tatsache. Jedoch läßt sich einwenden, daß es eine unmögliche Aufgabe für einen Ethnologen wäre, alle Mythen selbst zu übersetzen (vor allem wenn man die umfangreiche Mythensammlung von Lévi-Strauss betrachtet).
Des weiteren wendet Lévi-Strauss ein, daß ein Mythos wesentlich durch die Geschichte geprägt ist, die erzählt wird, weniger durch die sprachliche Form, die es hat. Daher kann eine Übersetzung durchaus die essentiellen Züge vermitteln, die für eine Analyse nötig sind. Wenn man von einem transformatorischen Charakter des Mythos ausgeht, ist ein Mythos ohnehin immer eine Übersetzung.
Methodologische Einwände:
Ein weit verbreiteter Vorwurf bezieht sich auf die Abstraktion der Mythenübersetzungen in mathematisch- logische Formeln24. Lévi-Strauss hat dadurch die Mythen in einer egozentrischen Weise umformuliert. Auch hier führt Opitz Argumente an, die diese Kritik in gewisser Weise abschwächen. Nach Opitz abstrahieren sozialwissenschaftliche Modelle immer bis zu einem bestimmten Grad die Realität. Abstraktionen dienen im Allgemeinen als Mittel, Erkenntnisse kurz und verständlich auszudrücken, die sonst nur tautologisch sagbar sind. Daher ist es nach Lévi-Strauss sogar gefährlich und unhistorisch, grundlegend verschiedene Typen des Denkens gegeneinander ausspielen zu wollen.
Abgesehen von der starken Abstraktion durch mathematisch- logische Formeln werden diese Formeln an sich kritisiert, da sie nicht in ihrer sonst gebräuchlichen Verwendung genutzt werden. Auch hier läßt sich einwenden, daß Lévi-Strauss nicht ohne vorherige Erklärung auf diese Formeln zurückgreift. Er warnt die Leser davor, diese mathematischen Formeln zu ernst zu nehmen, da sie für ihn eher eine Art stenographische Kurzzeichen darstellen, um Gesagtes zusammenzufassen. Ferner sind diese Formeln selbst keine Beweismittel, da die Beweisführung sprachlich erfolgt25.
Der letzte von Opitz angeführte methodologische Einwand bezieht sich auf das Mythensystem an sich. Auf der einen Seite behauptet Lévi-Strauss, daß die Mythen und ihre Analyse unabschließbar, also unendlich fortführbar sind, auf der anderen Seite verweist Lévi-Strauss immer wieder auf das geschlossene System des Mythos hin. Lévi-Strauss verweist hier auf seine von Saussure übernommene Unterscheidung zwischen ´langue` und ´parole`. Die Rede ( ´parole`) des Mythos sei stets offen und unabschließbar, seine Sprache ( ´langue`) dagegen formt ein geschlossenes System.
Letztlich fehlen noch die philosophischen Einwände:
Philosophische Einwände: Diese eher allgemeineren Einwände werden, so Opitz, meist vom humanistischen Canto erhoben26. Lévi-Strauss wird vorgeworfen, die lebendige Substanz des Mythos in eine tote Form umzuwandeln, in der das Gefühlsleben der Menschen zu kurz kommt. Dies ist nostalgischer Mystizismus von Wissenschaftlern, die hinter einem Mythos einen Sinn wahrnehmen können, diesen aber nicht explizit benennen können, so der Einwand Lévi- Strauss.
Zu guter letzt führt Opitz eher allgemeine Kritiken von ethnologischer und anthropologischer Sicht an27. D.H. Salmann zum Beispiel bezweifelt, ob es möglich ist einzelne Mythen, die aus einem abgegrenzten, soziologischen, ökonomischen und geographischen Milieu kommen, zum Mythos schlechthin zu machen. Für ihn gibt es nur Mythen, nicht den Mythos schlechthin28.
Leach. 1971. S. 61f.
In die selbe Richtung tendieren auch Leachs Einwände. Er kann sich nicht mit dem Gedanken des menschlichen Geistes anfreunden, da es sich um eine überempirische Größe handelt. Konkreter sind die Kritiken, die sich gegen den Transformationsbegriff richten29. Sie unterstellen, daß Transformationen eine Erfindung des Forscher sind und nicht in den Mythen selbst stecken. Sicherlich, so Opitz, kann man davon ausgehen, daß die Population, die einen Mythos schreibt, nichts von den Übereinstimmungen in anderen Mythen anderer Populationen weiß. Dies ist jedoch noch kein Beweis, daß es die Transformationen nicht gibt. Diese Einwände verweisen noch auf grundlegendere Kritiken: Selbst wenn die Transformationen, wie sie Lévi-Strauss in seinen Mythologiques darstellt, nachvollziehbar sind, sagen sie jedoch nichts über die umgewandelten Mythen selbst aus. Durch Lévi-Strauss Methodik wird die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion eines Mythos nicht berücksichtigt. Man kann jedoch die Frage dagegenstellen, ob sich hinter der Tatsache, daß ein Mythos einen anderen transformiert, nicht selbst schon eine gesellschaftliche Funktion steckt?
Dieser Frage stellt Opitz folgende Fragen voran: Wenn tatsächlich jeder Mythos unwiderruflich auf einen nächsten verweist, wie kann man diesen Mythos dann noch auf die Bedeutung beschränken, die in ihm selbst liegt? Welche Berechtigung bleibt der Einzelanalyse wenn der transformatorische Charakter des mythischen Systems erwiesen ist? Dies ist ein Widerspruch zweier Aussagen, der sich auch in umgekehrter Weise ausdrücken läßt: Wenn man also glaubt, nachweisen zu Können, daß ein einziger Mythos voll und ganz aus sich selbst und seinem ethnographischen Kontext heraus erklären läßt, wozu braucht man dann noch den Transformationsbegriff zwischen den Mythen? Opitz ist der Ansicht, daß eine konstruktive Entwicklung in der Mythenanalyse sich diesen Fragen stellen muß.
Ich muß an dieser Stelle anmerken, daß Opitz in diesem Kapitel noch expliziter auf weitere Kritikpunkte eingeht, die jedoch zu erläutern, den Rahmenumfang dieser Arbeit sprengen würden.
Die Kritiken umfassen, wie bereits erwähnt, umfangreiche Arbeiten. Inwiefern diese Kritiken der Wahrheit näher kommen als die strukturale Mythenanalyse Lévi-Strauss, ist vom individuellen Standpunkt abhängig, ob man diese für reine Spekulation hält oder ihr mehr entnehmen kann. Daher schließe ich dieses Kapitel mit einem Zitat von Edmund Leach30, indem er Parallelen zwischen der Psychoanalyse Freuds und Lévi-Strauss strukturaler Mythenanalyse zieht. Leach merkt an, daß die Ausführungen von Lévi-Strauss ebenso faszinierend zu lesen sind, wie die Traumdeutung Freunds. Beide Arbeiten klingen auf den ersten Blick so überzeugend, daß man zuerst annimmt, daß sie richtig sein müssen. Doch bei beiden kommen Zweifel hinzu. Jedoch : >>Wenn Freuds gesamte Überlegungen über die Symbolverbindungen und die Schichten des Bewußten, Unbewußten und Unterbewußten gänzlich falsch wären, - könnte man jemals beweisen, daß sie falsch sind?<<.Wenn man davon ausgeht, daß dies nicht möglich ist, muß man auch einräumen, daß es nicht sicher ist, ob Freuds Theorien jemals mehr als nur Spekulationen sein werden. Daher kann man auch der strukturalen Mythenanalyse von Lévi-Strauss weder mit absoluter Gewißheit zustimmen noch sie eindeutig widerlegen.
III. Schluß
Diese Hausarbeit konnte leider nicht detailliert auf alle Aspekte der strukturalen Mythenanalyse eingehen, da ihr Umfang dadurch zu groß geworden wäre. Vor allem die Geschichte des Strukturalismus und seine Abgrenzung gegenüber anderen Theorien müßten gesondert noch einmal intensiver betrachtet werden. Saussures strukturale Sprachwissenschaften beinhalten eine so große Zahl von Details, die wiederum in LéviStrauss Arbeiten wieder zu finden sind, daß es eine große Anzahl von Arbeiten darüber gibt. So revolutionär der Zugriff Lévi-Strauss auf die Ergebnisse der Sprachwissenschaften auch auf den ersten Blick erscheint, so ist er doch auf den zweiten Blick nur eine Fortführung der Tradition ( wie zum Beispiel Jung).
Seiner Meinung nach konnte nur durch die Methodik der Sprachwissenschaften die Strukturen, die allen Dingen inne ist, herausstellen. Die Unterscheidung der verschiedenen Sprachebenen ist hierfür maßgeblich: `statische`, ´strukturale` Ebene und die Ebene des ´Charakter des absoluten Objekts`. Auf der letzten Ebene hebt sich der Mythos vom integrierenden Teil der Sprache ab und begibt sich auf eine Ebene höheren Niveaus.
Der Mythos selbst besteht aus konstitutiven Einheiten, durch deren Beziehungen zueinander ein Beziehungsbündel entsteht. Soweit zur äußeren Struktur des Mythos. Die Einzelmythosanalyse differenziert die unter dem offensichtlichen liegenden Ebenen: geographische, ökonomische, soziologische und kosmologische Ebene. Signifikant ist hier, daß nicht alle Ebenen der Realität entsprechen oder sich mit ihr vermischen. Die Gegensatzpaare, die sich daraus aufstellen lassen, erweisen sich in der nachfolgenden Analyse als unüberwindlich. Diese scheinen den Eingeborenen nicht bewußt zu sein, daher müssen sie folglich durch Codes verschlüsselt sein, die den Eingeborenen auf der unterbewußten Ebene ihres Verstandes eine Botschaft, einen Sinn vermitteln. Diese Codes lassen sich, so Lévi- Strauss, erst durch eine Intensivierung der Analyse durch eine größere Abstraktion (Schemata) erkennen. Die reine Abfolge der Ereignisse in der Geschichte (Sequenzen) wird untergeordnet. Folgende Schemata arbeitet Lévi-Strauss heraus: geographisches, kosmologisches, integratives, technisch-ökonomisches und globales Schema. Um jedoch die Gesamtheit des Mythos und den Inhalt des Mythos herauszuarbeiten, ist ein Vergleich zwischen den verschiedenen Mythen- Versionen nötig. Zuerst erscheint es so, als würden die Mythen- Versionen keine weiteren Informationen liefern können, da sie als eine abgeschwächte und transformierte Version erscheinen. Dies erweist sich jedoch als falsch. Die Transformationen und Abschwächungen weisen auf Aspekte hin, die in der Einzelanalyse nicht aufgefallen sind oder auffallen konnten. Wenn man die unterschiedlichen Lebensweisen der Populationen betrachtet, die die Mythen übernommen haben, berücksichtigt, bestätigen diese Transformationen die vorherigen Ergebnisse.
In einer gesonderten Analyse widmet sich Lévi-Strauss der Abgrenzung zwischen Realität und Mythos. In diesem Punkt unterscheidet er sich stark von den Thesen anderer Wissenschaftler, die auf den Mythos als ethnographische Quelle zurückgreifen. Nach den Ergebnissen Lévi- Strauss jedoch setzen sich die Tsimshian Indianer in den Mythen nur mit ihrer Realität und ihren Möglichkeiten auseinander. Mythen repräsentieren nicht die Realität, ihre Funktion besteht in der Auseinandersetzung mit den unüberwindlichen Urkonflikten der Menschheit.
Das diese Thesen von Lévi-Strauss nicht auf allgemeine Zustimmung trafen, habe ich im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt und möchte an dieser Stelle nicht noch einmal auf die formalen, methodischen und philosophischen Kritikansätze eingehen. Inwiefern sich seine Theorien bewahrheiten, wird sich herausstellen. Daher schließe ich mit einem Zitat von Lévi- Strauss meine Hausarbeit ab:<<Ich mache mir, was das Weiterleben meiner Bücher angeht, keine Illusionen. In dreißig Jahren werden meine Beweisführungen völlig überholt sein.>>
Quellenverzeichnis:
Lévi-Strauss, Claude. 1958. Die Struktur der Mythen. In Lévi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie I. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Lévi-Strauss, Claude. 1959/1992. Die Geschichte von Asdiwal. In Lévi-Strauss, Claude: Strukturale Anthropologie II. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 169-224.
Leach, Edmund. 1971. Claude L é vi-Strauss. Hrsg. Kermode, Frank, Moderne Theoretiker. München: dtv.
Oppitz, Michael. 1975. Notwendige Beziehungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. 177-327.
[...]
1 siehe Die Naturmythenschule, Opitz. 1975, S. 180f.
2 siehe Lévi-Strauss, Die Struktur der Mythen, S.228. und Opitz,1975, S.180ff.
3 Vertreter der Naturmythenschule, siehe Opitz,1975 S. 195f.
4 Lévi-Strauss, Die Geschichte von Asdiwal,1959/1992, S.175ff
5 siehe Lévi-Strauss. Die Geschichte von Asdiwal, S. 186.
6 siehe Schema Ebd. S. 187.
7 Siehe Schema, Lévi-Strauss. Die Geschichte von Asdiwal. 1959/1992. S.188
8 Siehe Schema, Ebd.S. 189
9 Nacherzählung siehe: Die Geschichte von Asdiwal, 1959/1992, S. 190f.
10 siehe Die Geschichte von Asdiwal, S. 194.
11 siehe Die Geschichte von Asdiwal, S. 195 f.
12 Ebd. S. 195.
13 Ebd. S. 198f.
14 siehe Nacherzählung Die Geschichte von Asdiwal,1959/1992, , S. 171 1. Abschnitt, S.202,2.Abschnitt
15 Ebd.,S. 202f
16 Ebd., S.204f
17 Siehe Die Geschichte von Asdiwal, 1959/1992, S. 210, Fußnote 56
18 Ebd. S. 210, 3. Abschnitt
19 Ebd. S. 211,
20 siehe eingefügter Mythos Ebd. S. 212
21 Opitz, Michael. 1975. Notwendige Beziehungen.
22 Leach, Edmund.1971. Moderne Theoretiker.
23 Opitz, 1975.S. 295.
24 Opitz. 1975. S. 297.
25 Ebd.S.297f.
26 Ebd.S.298f.
27 Ebd.S.299f
28 siehe hierzu auch Leach.1971.S.66
29 Opitz.1975.S. 300
30 Leach,1971.S.59
- Citation du texte
- Isabell Schmitjes (Auteur), Werner Schiffauer (Auteur), 1998, Claude Lévi-Strauss - Die strukturale Mytheninterpretation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96505
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