INHALTSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 VON DER "DREIKLASSEN-GESELLSCHAFT" ZUM SOZIALEN MILIEU.
2.1 Wertewandel
2.1.1 Ursachen des Wertewandels 3
2.2 Die freie Wahl des Milieus
2.3 Bilanz
3 DAS SINUS-MILIEUMODELL
3.1 Datenlage
3.2 Milieu- Bausteine vom Sinus-Institut:
4 DAS MILIEU SCHULZES > DIE ERLEBNIS-GESELLSCHAFT<
4.1 Datenlage
4.2 Milieu- Bausteine von Schulze
5 DIE EINZELNEN MILIEUS
5.1 Der horizontale Aspekt
5.2 Werte versus Alter
5.3 Die Vertikale Achse Schulzes
6 FAZIT
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit sollen zwei Milieuansätze miteinander verglichen werden.
Der theoretische Milieuansatz von Gerhard Schulze, den er in seinem Buch "Die Erlebnisgesellschaft" beschreibt, wird mit dem seit einiger Zeit in der Praxis verwendeten Ansatzes des Sinus-Institutes konfrontiert. Dabei stehen die Gemeinsamkeiten der Ergebnisse im Vordergrund, aber auch deren unterschiedlich theoretische Grundlagen.
B. Flaig, der mit J. Ueltzhöffer in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre das Sinus- Milieumodell entwickelt hat, ist Geschäftsführer des Sinus-Institutes in Heidelberg. Das Modell eignet sich laut Spiegel u.a. besonders zur Früherkennung und Lokalisierung von Einstellungsveränderungen und zur gezielten Positionierung von Produkten und Dienstleistungen1. Das Sinus-Institut arbeitet für die freie Wirtschaft in der Markt- und Marketingforschung, aber auch für politische Stiftungen. Der Entwickelte Milieuansatz hat ebenso einen soziologischen Anspruch, wie der von Schulze, der unterschiedlich genutzt wird.
Im ersten Abschnitt der Arbeit soll die Notwendigkeit der Milieuansätze erläutert werden, im zweiten deren wissenschaftliche Entwicklung näher gebracht werden, um im dritten die einzelnen Milieus näher zu charakterisieren.
2. Von der "Dreiklassen-Gesellschaft" zum Sozialen Milieu.
Der Begriff "Dreiklassen Gesellschaft", der sich bis auf die Antike zurückführen läßt, wurde historisch geprägt. Die Gesellschaft wird heute noch in Ober-, Mittel- und Unterschicht eingeteilt und hat sich in den letzten Jahrtausenden, obwohl sie in ihren Grundzügen gleichblieb, verändert. So wurde die Sklaverei abgeschafft und eine Arbeiterschicht etabliert. Aber auch diese unterliegt Veränderungsprozessen, wie auch die Zugehörigkeit zur Oberschicht nicht mehr nur der Aristokratie vorbehalten ist.
Der Begriff, der Klasse oder Schichtzugehörigkeit spielt heutzutage jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Im Vordergrund wird heute die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Milieus, mit deren Lebensstilen gesehen. Die Alltagspraxis, der Konsumgeschmack und das Partizipationsverhalten wird in vieler Hinsicht als stärker prägend befunden, als bestimmte Klassen- oder Schichtzugehörigkeiten2.
Die Zuordnung zu einer Klasse erfolgt "fremdbestimmt", d.h. als Zuschreibung von außen, nach ökonomischen, wissenschaftlichen Kriterien oder objektive Interessen. Die Zugehörigkeit zu Milieus dagegen ist "selbstbestimmt", sie wird also als frei wählbar beschrieben3. Inwieweit soziale Milieus wirklich für das Individuum frei wählbar sind, ist in der Forschung stark umstritten und bleibt in dieser Arbeit Thema.
Soziale Milieus fassen Menschen zusammen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln4. Sie sind Lebensstil Gemeinschaften, in denen sich Menschen wiedererkennen, die Vorlieben und Abneigungen in der Lebensführung, im Ausdruck der eigenen Person, in ihren Gewohnheiten, in ihrer Sicht der Dinge und ihren Kommunikationsgewohnheiten teilen, also in ihrer Alltagsästhetik.5 Unter Alltagsästhetik wird verstanden, was der Mensch im täglichem Umfeld als schön empfindet, woraus sich sein Stil entwickelt (was ist "in", was ist "out"). Diese alltagsästhetischen Stile werden in den Untersuchungen über soziale Milieus, zusammengefaßt und den einzelnen Milieus zugeschrieben. Es handelt sich hier um ein Cluster-Verfahren, welches ständigen Veränderungen aufgrund des "Objektes Mensch", unterworfen ist.
2.1 Wertewandel
Aufgrund von neuen sozialen und kulturellen Entwicklungen, dem sogenannten Wertewandel, wurde das übliche Dreiklassen-Modell, in den achtziger Jahren immer mehr von der Sozialwissenschaft in Frage gestellt.
Nach Vester vollzieht sich der Wertewandel in den einzelnen Milieus, um dann eine evtl. gesamtgesellschaftliche Auswirkung zu erfahren. Denn materielle, moralische und politische Bewältigung sozialstruktureller Wandlungsprozesse sind maßgeblich abhängig von den in sozialen Milieus praktizierten Gesellschaftsformen und Beziehungsnetzen der Menschen.6 Horst Nowak vom Sinus- Institut definiert Wertewandel als die Erosion traditioneller Werte. Aus dieser Erosion ergeben sich neue Ansprüche an den Verbraucher. "Er muß lernen, sich im Alltag neu zu orientieren, damit er sich in einem veränderten System zurechtfinden"7 Hier sei beispielsweise an die Auflösung der DDR zudenken, nach der sich 17 Mio. Deutsche innerhalb kürzester Zeit in das System der freien Marktwirtschaft hineingepreßt sahen.
2.1.1 Ursachen des Wertewandels
Nach Ansicht des Spiegels sind die wichtigsten Veränderungstendenzen in der Gesellschaft Modernisierung, Regression und Segregation8.
- Modernisierung: Als Folge von Modernisierungsentwicklungen kann die Öffnung des sozialen Raumes (u.a. durch höhere Bildungsqualifikationen) bezeichnet werden, von der vor allem Frauen und Kinder aus den mittleren Schichten profitieren. Auch die wachsende Mobilität und damit erweiterte Entfaltungspielräume sind hier zu nennen Die Ausdifferenzierung von Familien- und Gesellungsformen in den letzten zwanzig Jahren - nicht nur die Familienformen, sondern auch die Familiennormen haben sich enttraditionalisiert - ist als weiterer Entwicklungspunkt zu betrachten; dazu gehört die Frauenerwerbsarbeit als wichtiger Punkt (In der DDR waren 90% der Frauen erwerbstätig).
- Regression: Wachsende soziale Deklassierungsprozesse; Orientierungslosigkeit, Sinn- und Werteverlust und dadurch verstärkt autoritäre und aggressive Neigungen, sollen hier als Beispiel für Regression genannt sein. Weiterhin ist die starke Individualisierung der Gesellschaft, die ein ernst zunehmender Gesichtspunkt ist, zu nennen. Heitmeyer9 spricht von einem Individualisierungs-Theorem, welches u.a. möglich geworden ist, durch die Ausweitung von Konkurrenzbeziehungen auf dem Arbeitsmarkt, ein kontinuierliches Sinken der Erwerbsarbeit, aber auch durch eine zunehmende soziale und geographische Mobilität, die zur Folge hat, daß Menschen aus ihrer Herkunftsfamilie herausgelöst und durcheinandergewirbelt werden. Dadurch können einerseits neue Beziehungen entstehen, die sich andererseits aber nicht selbständig weiterentwickeln und in der Regel nicht dauerhaft sind.
- Segregation: Als Segregation bezeichnet wird das Auseinanderdriften der Lebens- und Wertewandel in den einzelnen Milieus (z.B. verschiedenste Lebensformen der Freizeit; vom Museumsbesuch bis hin zum Sky-jumping), die sozialhierarchische Differenzierung und zunehmende Abschottung der sozialen Milieus gegeneinander sind aktuelle Punkte, die genannt werden müssen. Der private Wohlstand ist nicht nur bei den Reichen gewachsen. Die meisten Menschen müssen anteilig weniger für das Lebensnotwendige ausgeben (Engelsche Gesetz) , haben mehr Geld für Freizeit, Urlaubsreisen, Luxuskonsum zur Verfügung. Dazu kommt, daß viele jüngere Leute große Geldsummen und Immobilien erben. Gleichzeitig ist eine Tendenz zur Verelendung eines wachsen Anteils von Menschen, die aus dem Wohlfahrtsmodell herausfallen, bemerkbar.
2.2 Die freie Wahl des Milieus
Auf Wertewandel basieren die Differenzierungen einzelner Milieus. Er ist auch verantwortlich für die Nichtplanbarkeit der Lebensläufe. Diese drückt sich u.a. auch in neuen Konsumstilen aus. Die Unplanbarkeit der Lebensläufe macht das Prinzip einer "flexiblen Selbststeuerung" für die einzelnen immer wichtiger. Eine Kompetenz für diese flexible Selbststeuerung zeigt sich in der Fähigkeit zu einer gezielten, möglichst sichtbaren "sozialen Positionierung". Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit zu einer schnellen Anpassungen neue Sozialkontexte und die Fähigkeit zur sichtbaren Abgrenzung gegen andere soziale Milieus.10 Wenn diese Fähigkeit gegeben ist, bedeutet dies die Möglichkeit der freien Wahl des eigenen Milieus.
Wenn die Wahl des eigenen Milieus mit seinem Lebensstil und dessen Alltagsästhetik frei entscheidbar ist, hat die Wahl einen Doppelcharakter. Der Lebensstil gewinnt für die Selbstinterpretation der Person sowie ihre Fremdinterpretation durch andere die Bedeutung einer Selbstenthüllung des eigenen Wesens. Für den einzelnen wird der alltagsästhetische Stil damit in der Tendenz zu einem symbolischen Korsett, das die prekären Suchbewegungen des Ich zusammenhält11. Nach Schulze dient der Lebensstil zur Symbolisierung der Lebensphilosophie und zur Distinktion, d.h. der Abgrenzung, von den anderen Lebensstilen. "Distinktion ist immer >anti<, sie setzt voraus, daß man sich von den anderen ein Bild macht, das als Vermeidungsimperativ in die eigene Alltagsästhetik umgesetzt wird."12 Die These von der freien Milieuwahl ist in der Forschung sehr umstritten. Während Schulze von einer absoluten Freiheit ausgeht und versucht, dieses in seinem Buch zu belegen, sieht Vester ökonomische Grenzen. Auch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, der Gleichheit der Menschen und ihren persönlichen Dispositionen.
2.3 Bilanz
Es handelt sich hier um eine brisante und notwendige Diskussion, die auch eine politische Dimension hat. Schließlich entwickeln sich nicht nur der Konsumentengeschmack unterschiedlich, sondern auch die sozialen Kompetenzen der einzelnen Milieuangehörigen, auf Grund des verschiedenen Such- und Vermeidungsverhalten. Wenn aufgrund eines ausdifferenzierten Fernsehverhaltens, die einzelnen Milieus ein unterschiedliches Wissen über spezielle Themen erhalten, ist dieVorstellung, daß Mehrheitsentscheidungen z.B. bei Gemeindefragen gefährdet sind, ist auch das Demokratische Prinzip, nicht abwegig.
3. Das Sinus-Milieumodell
Ausgangspunkt für die Formulierung des ersten Milieumodells war nicht, wie vielfach gemutmaßt, die Marktforschung, sondern die Politforschung. Ursprung der Überlegung war, daß eine zureichende Rekonstruktion der sozialen Wirklichkeit von Menschen nur über die Erfassung ihres Alltagsbewußtseins gelingen kann. Lebenswelten sollten möglichst unverfälscht erfaßt werden. "Lebenswelten meint - in Anlehnung an Husserl und Schütz - das Insgesamt subjektiver Wirklichkeit eines Individuums, also alle bedeutsamen Erlebnisbereiche des Alltages ( Arbeit, Familie, Freizeit, Konsum usw.), die bestimmend sind für die Entwicklung und Veränderung von Einstellungen, Wertewandel und Verhaltensmustern; aber auch Wünsche, Ängste, Sehnsüchte, Träume usw. zählen dazu."13
Um ein feststehendes Milieumodell zu entwickeln, werden keine kurzzeitigen aktuellen Livestyle- Typolgien benötigt, die sich an modeabhängigen Oberflächenphänomenen orientieren, sondern real existierende Differenzen sozialer Unterschiede. Dieses Milieumodell wird von dem Sinus-Institut stetig aktualisiert und verändert sich laufend. Selbst in der Literatur zu dieser Arbeit wurden mehrere unterschiedliche Modelle besprochen.
3.1 Datenlage
Die Entwicklung und Formulierung des Milieuansatzes basierte zunächst auf qualitativen Befunden, die allerdings durch eine außergewöhnlich große Stichprobe abgesichert wurden. 1981 erfolgte dann die quantitative Überprüfung und Validierung. Dieses Instrument, eine Statementbatterie aus 41 Items, der sogenannte Milieu Indikator, wurde und wird seither in repräsentativen Erhebungen eingesetzt, um beispielsweise festzustellen, welche Autotypen in verschiedenen Milieus präferiert werden. Ziel ist es, neue Konsumorientierungen und neue Zielgruppen zu erforschen14.
3.2 Milieu- Bausteine vom Sinus-Institut:
Das Sinus-Institut hat um ihre Milieus zu entwickeln, folgende Kriterien verwendet15:
- Lebensziel: Hier wird die Lebensphilosophie mit ihrer Lebensstrategie gekennzeichnet, aber auch Werte und Lebensgüter werden empirisch erfaßt.
- Soziale Lage: Unter diesem Punkt wird festgehalten, wie groß der Anteil der einzelnen Milieus an der Grundgesamtheit ist, somit auch die soziodemografische Struktur erfaßt.
- Arbeit / Leistung: Einstellungen zur Arbeit und zur materiellen Sicherheit werden unter dieser Kategorie untersucht. Ebenfalls wird die Zufriedenheit der Probanden mit ihrer Lebenssituation registriert.
- Gesellschaftsbild: Das politische Interesse, Systemzufriedenheit, Wahrnehmung und Verarbeitung gesellschaftlicher Interessen der Milieus sind hier von Bedeutung.
- Familie / Partnerschaft: Wie stehen die Untersuchten zu Partnerschaft, Rollenbilder, wie wird privates Glück definiert, wurde unter diesem Baustein getestet.
- Freizeit: Wie gestalten die einzelnen Milieus ihre Freizeit, welche Motive haben sie. Weiterhin wurde die Kommunikation und das soziale Leben beleuchtet.
- Wunsch: und Leitbilder: Identifikationsobjekte, Vorbilder, Sehnsüchte standen bei dieser Untersuchung im Vordergrund.
- Lebensstil: Ästhetische Grundbedürfnisse, milieuspezifische Stilwelten war die letzte Kategorie.
Nach diesen acht Bausteinen wurden die empirischen Untersuchungen geführt. Das Ergebnis war eine Clusterung von erst acht Milieus, später zehn in den alten Bundesländern und neun Milieus in den neuen Bundesländern. Diese Arbeit beschäftigtt sich jedoch ausschließlich mit den Milieus der alten Bundesländer.
4. Das Milieu Schulzes > Die Erlebnis-Gesellschaft<
Schulze versucht mit seiner Milieustudie ein Bild der Gesellschaft zu schaffen. Ihm geht es dabei ebenfalls um die Abbildung sozialer Wirklichkeit. Seine Milieustudie verwendet er, um eine "Erlebnis-Gesellschaft" zu entwickeln. Dabei geht er auf das Konsumverhalten aber auch auf Kulturpolitik ein. Für ihn ist es wichtig, deutlich zumachen, daß der Mensch sein Milieu frei wählt und die Milieus nicht hierarchisch betrachtet werden können, demnach vertikal liegen.
Schulzes Milieutheorie beruht auf einer Dreiteilung des ästhetischen Raumes in das Hochkulturschema, Trivialschema und dem Spannungsschema. Diese Schemata sind als Zusammenhänge von ästhetischen Wahlmöglichkeiten zu sehen, die den einzelnen Menschen in ihren Milieus entsprechen; wie die Vorliebe für klassische Musik und den Besuch von Ausstellungen.
- Das Hochkulturschema: zeichnet sich, wie der Name schon sagt, durch Kultur der alten Norm aus. Klassische Musik, Lektüre "guter" Literatur und Museums besuche sind als typische Zeichen zu verstehen. Schöngeistigkeit definiert dieses Schema treffend; aber auch Ambitioniertheit und Harmlosigkeit.
- Das Trivialschema: manifestiert sich durch deutschem Schlager, Fernsehquiz und Arztromane. Kitsch, Spießigkeit und schlechter Geschmack sind Charaktereigenschaften dieses Schemata.
- Das Spannungsschema:ist historisch das jüngste. Rock, Thriller, Ausgehen in Kneipen und Discos sind als Zeichen dieses Schemas anzuerkennen. Aktion, unkonventionell sein, sind seine Attribute.
Diese drei Schemata sind keine Alternativen, sondern werden kombiniert, um den eigenen Stil zu entwickeln.16
Der dimensionale Raum der Alltagsästhetik, den diese drei Schemata bilden, stellt den Menschen nun in ein komplexes Zeichensystem (die Zeitung unter dem Arm, die Kleidung, der momentane Aufenthaltsort), eine Sprache zur Verfügung, in welcher sie ihre unterschiedlichen Grundorientierungen zum Ausdruck bringen. Diese Grundorientierung manifestiert sich als milieuspezifische Erlebnisorientierung. Das bedeutet, daß das Individuum sich durch dieses Zeichensystem von Milieus distanzieren oder in sie integrieren kann.
4.1 Datenlage
In verschiedenen Varianten hat Schulze seine Probanden untersuchen lassen. Durch mündliche Befragung, wie zu dem Themen Alltagsästhetik, Sozialkontraste, Lebenssituation. Weiterhin wurden schriftliche Zusatzbefragungen in Form eines Persönlichkeitstestes durchgeführt. Psychosoziale Dispositionen wurden so überprüft. Interviewerfragebogen klärten Dialekt, Gesamteindruck, Beobachtungen der Wohnung und Umgebung ab.
4.2 Milieu- Bausteine von Schulze
Schulze baut seine Milieus folgendermaßen auf17:
- Evidente Zeichenkonfiguration:Lebensalter, Bildung, Stiltypus und das Schema des ästhetischen Raumes werden hier untersucht.
- Manifestation in der Alltagserfahrung: Das Milieu in der Alltagserfahrung wird hier definiert. Milieuspezifische existentielle Anschauungsweisen und Sinnkonstruktionen, wie Ich-Welt-Definition, oder existentielle Problemfindung und deren Bedeutung werden maßgebend interpretiert.
- Alltagsästhetik: In den folgenden Schritten werden empirische Materialien vorgestellt, Verhaltensmerkmale der Milieus, von denen die wissenssoziologische Interpretation wesentliche Impulse bezogen hat, aufgeteilt in:
- Zeichen und deren Bedeutung, wie welcher Stil wird bevorzugt und warum;
- Subjekt, wie wirkt der Mensch; und
- Situation, in welchem Umfeld befindet er sich.
- Wissensoziologische Interpretation: Hier entwickelt er einen integrativen Überblick der wesentlichen Elemente.
5. Die einzelnen Milieus
Die fünf Milieus von Schulze lassen sich als "Obermilieus" gebrauchen um die zehn Sinus Milieus als "Untermilieus" zu definieren, da letztere detaillierter sind. Überschneidungen sind, da sich die Milieueigenschaften überlappen,18 weder auszuschließen noch negativ zu deuten. Durch diese Vereinbarkeit der Studien, die sich gegenseitig ergänzen, wird die soziale Wirklichkeit sichtbar und beschreibbar.
Eine Gegenüberstellung soll dieses Verdeutlichen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
5.1 Der horizontale Aspekt
Schulze versteht sein alltagsästhetisches Schema als horizontal. "Im mehrdimensionalen Raum ist oben und unten nicht mehr eindeutig bestimmbar." Weiterhin vertritt er die Ansicht, daß die typische Dreiklassen-Gesellschaft mit ihrer Definition von Ober-, Mittel- und Unterschicht sich auflöst, was sich anhand der Alltagsästhetik nachvollziehen läßt. In diesem Zusammenhang beobachtet Schulze eine Ausdünnung existentiellen Wissens mit hohen Kollektivitätsgrades bei gleichzeitiger Bedeutungszunahme milieuspezifischen Wissens19. Im Gegensatz hierzu steht der Sinus Ansatz. Das Sinus-Institut positioniert seine Milieus auf zwei Achsen. Vertikal dreigeteilt in Ober-, Mittel- und Unterschicht; und Horizontal in fließenden Übergängen von Materieller Grundorientierung bis hin zum Postmaterialismus. Vom konservativ gehobenem Milieu bis zum Hedonistischem.
Dieses Modell ist begründet im theoretischem Ansatz des Sinus-Institutes, der die freie Wahl des Milieus, nicht uneingeschränkt gelten läßt, sondern das Problem des Materiellen beachtet. Trotz des horizontalen Anspruches Schulzes, ist sein Niveaumilieu, dem Konservativ gehobenem Milieu von Sinus, welches der Oberschicht zugeordnet wird, fast deckungsgleich. Es stellt sich demnach die Frage, inwieweit Schulze seinem Anspruch genüge tut; ist er doch der Ansicht die Milieus seien frei wählbar.
5.2 Werte versus Alter
Die horizontale Achse des Sinus Ansatzes von Materiellen Grundorientierungen bis zum Postmaterialismus, läßt sich definieren als eine Achse des Akzeptanzgrades des Wertewandels. So ist das Kleinbürgerliche Milieu ein strenger Bewahrter alter traditioneller Werte, das Hedonistische Milieu dagegen ein aktiver Part in der Beschleunigung des Wertewandels.
Schulze trennt seine Milieus mit einer Vierzig-Jahres-Linie und unterteilt sie in zwei Kategorien. Den älteren Milieus (Niveaumilieu, Integrationsmilieu, Harmoniemilieu), und den jüngeren (Selbstverwirklichungsmilieu und Unterhaltungsmilieu).
Auffallend ist, daß die Alltagsästhetik, der jüngeren Milieus mit den Postmateriellen Milieus des Sinus-Instituts, stark deckungsgleich ist; ebenso die der älteren Milieus Schulzes und den Materiellen Grundorientierten von Sinus.
5.3 Die Vertikale Achse Schulzes
Hier soll versucht werden, die fünf Milieus auf einer horizontalen Achse anzuordnen, um zu verdeutlichen, wie ähnlich sie der vertikalen Achse des Sinus-Institutes sind20. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen wird jeweils nur ein Beleg gebracht.
Während es dem Unterhaltungsmilieu darum geht, wie es der Name ausdrückt, sich zu unterhalten bzw. unterhalten zu werden; geht es dem Selbstverwirklichungsmilieu, um seine Selbstverwirklichung, die aktiv erworben werden soll. Demnach liegen das Selbstverwirklichungsmilieu und das, ebenfalls aktiv an der Gesellschaft beteiligte Niveaumilieu eng aneinander. Das Niveaumilieu versteht sich, auch bei Schulze, als Bewahrer traditioneller Werte und befindet sich häufig als Elite in Politik und Wirtschaft. Das Unterhaltungsmilieu bewegt sich neben dem Harmoniemilieu, da beide den Hang zur Trivialität haben. Sie wollen nicht aktiv gestalten, sondern sind eher Passiv, so bevorzugen beide die Bildzeitung und das Fernsehen vor Literatur.
Das Harmoniemilieu und das Integrationsmilieu unterscheiden sich nur gering von einander. Während Schulze das Integrationsmilieu in ungebildet und gebildet unterteil, kommt der ungebildete Teil des Integrationsmilieu dem Harmoniemilieu sehr nahe, auch dadurch, daß beide Milieus das gleiche Genußschema, die Gemütlichkeit, haben. Mit dem Genußschemas definiert Schulze den alltäglichen Lebenssinn. Der gebildete Teil des Integrationsmilieus rückt einen Schritt Richtung Niveaumilieu, sie teilen sich das Genußschema Kontemplation. Das Integrationsmilieu liegt demnach Mittig zwischen den beiden Niveaumilieu und Harmoniemilieu.
Demnach bildet sich folgende Horizontalachse: Niveaumilieu, Selbstverwirklichungmilieu, Integrationsmilieu, Harmoniemilieu und Unterhaltungsmilieu. Auf dieser Achse ist ein abnehmendes Verlangen nach Bewahren von Werten zu bemerken; welches parallel mit der Sinus Achse verläuft.
6.Fazit
Durch den beschleunigten Wertewandel in den achtziger Jahren hat sich unsere Gesellschaft stark verändert, so daß die alte soziologische Dreiklassen-Gesellschaft in ihrer alten Form nicht mehr existiert. Beide Milieuansätze arbeiten dies heraus und präsentieren mit ihren sozialen Milieus ein Abbild der Sozialen Wirklichkeit. Diese wird durch die starken Parallelen der Ansätze sichtbar, die weder durch die an Forschungspersönlichkeiten gebundene Anschauungsweisen verwischt werden, noch durch die Unschärfe des Gegenstandsbereiches an sich.
Schulze, der von einer Erlebnis-Gesellschaft spricht, in der das Erlebnis an sich im Vordergrund steht und in der der Ausspruch "weil es mir Spaß macht" als ernstzunehmende Begründung für persönlichen Stil steht, und der damit den Aspekt der sozialen Ungleichheit ausblendet. Vester dagegen spricht, aufgrund seiner Analyse der sozialen Milieusegmentierung auf der Grundlage des Sinus-Modells von einer "pluralistischen Klassengesellschaft". Diesen Ansatz halte ich für realistischer. Nicht nur die ökonomischen Differenzen in unserer Gesellschaft lassen Grenzen entstehen, sondern auch z.B. die begrenzte Möglichkeit der Inanspruchnahme von Bildung, sei diese durch Zugangsbeschränkungen oder persönliche Dispositionen verweigert. Demnach ist der Anspruch Schulzes eine absolut freie Milieuwahl, nicht gegeben.
Weiterhin bedarf es auf Grund des weiter fortschreitenden Wertewandel einer kontinuierlichen und aktuellen Forschung über die sozialen Milieus, auf deren Analysen man gespannt sein darf.
Literaturverzeichnis
Flaig, Berthold u.a.; Alltagsästhetik und politische Kultur; Bonn: Dietz 1993.
Heitmeyer, Wilhelm u.a. Die Bielefelder Rechtsextremismus- Studie; Weinheim und München 1992.
Nowak, Horst; Becker, Ulrich; "Es kommt der neue Konsument"; in: Form Zeitschrift für Gestaltung; 3-1985; S. 111-17.
Schulze; Gerhard; Die Erlebnis- Gesellschaft; Frankfurt/ Main 1992.
Schulz/ Willer; Nachhaltige Konsummuster und postmaterielle Lebensstile; Berlin 1997.
Spiegel; Mengenlehre für Medienplaner; Hamburg 1997.
Vester, Michael; Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel; Köln 1993.
Gegenüberstellung der einzelnen Milieus*
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
*Die Daten stammen aus den im Literaturverzeichnis angegebenen Büchern und Eigeninterpretationen.
[...]
1 Vergl. Spiegel; Mengenlehre für Medienplaner; Hamburg 1987.
2 Verg. Vester, M.; Soziale Milieus im gesellschaftlichen Wandel; Köln;1993; S.124.
3 Vergl. Vester; S. 73.
4 Vergl. H. Nowak, U. Becker; "Es kommt der neue Konsument"; in: Form Zeitschrift für Gestaltung; 111-1985; S.14.
5 Vergl. Flaig, B.; Alltagsästhetik und politische Kultur; Bonn 1993; S.23.
6 Vergl. Vester; S. 124.
7 Nowak; S.13.
8 Vergl. Spiegel; S 9.
9 Vergl. Heitmeyer, W, u.a.; Die Bielefelder Rechtsextremismus- Studie; München 1992;S.16ff.
10 Vergl. Schulz/ Weller; Nachhaltige Konsummuster und Postmaterielle Lebensstile; Umweltamt Berlin;1997; S.142.
11 Vergl. Flaig; S.23.
12 12.Schulze, Gerhard; Die Erlebnis-Gesellschaft; Frankfurt/Main 1992; S.111.
13 Flaig; S.53 ff.
14 Vergl. Nowak; S. 14.
15 Vergl. Flaig; S.71
16 Vergl. Schulze; S.141ff.
17 Vergl. Schulze; S. 279ff.
18 Vergl. Anhang, Übersicht der Milieus.
19 Vergl. Schulze; S.167.
20 Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen wird jeweils nur ein Beleg gebracht.
- Arbeit zitieren
- Wiebke Bötefür (Autor:in), 1999, Soziale Milieus - Ein Vergleich zwischen dem Modell von Gerhard Schulze und Sinus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/96389
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