Welchen Einfluss haben die Auswirkungen der Erziehung nach dem Vorbild Johanna Haarers auf die Bindungsmuster nachfolgender Generationen? Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit in Hinblick auf die Pädagogik des Nationalsozialismus findet meist im Kontext der damaligen Schul- und Freizeitgestaltung statt. Die familiäre, private Erziehung wird selten thematisiert. Aufgrund dieser lückenhaften Auseinandersetzung ist davon auszugehen, dass die nachwirkenden Folgen der frühkindlichen Erziehung zudem weitestgehend unbekannt sind.
Über eine Million verkaufte Exemplare. Eine erstrebenswerte Bilanz für jeden Autor und Schriftsteller. Umso beeindruckender, wenn es sich hierbei nicht um einen fesselnden Roman, sondern um einen Erziehungsratgeber zur Säuglingspflege handelt. "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" wurde 1934 veröffentlicht und hat die Erziehung einer ganzen Generation geprägt. Die Konformität mit den ideologischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Führung des Dritten Reichs verhalf zu einer weitläufigen Verbreitung innerhalb der Gesellschaft. Doch auch nach dem Ende der NS-Zeit wurde das Buch unter neuer Bezeichnung aufgelegt und erzielte weiterhin konstante Absatzzahlen. Der kommerzielle Erfolg der Veröffentlichung ist somit nicht von der Hand zu weisen. Im Anschluss an die erste Publikation folgten noch weitere Ratgeber und Bücher der Autorin, welche jedoch, trotz guter Verkaufszahlen, nicht an den vorherigen Erfolg anknüpfen konnten. Die flächendeckende Verbreitung der Werke in allen Gesellschaftsschichten, in Verbindung mit der Übereinstimmung des pädagogischen Inhaltes mit den politischen Interessen des Staates, ergibt eine interessante Ausgangslage für wissenschaftliche Nachforschungen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Darstellung der Texte von Johanna Haarer
2.1 Historische Einordnung und Biographie Johanna Haarers
2.2 Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind
2.3 Unsere kleinen Kinder
2.4 Mutter, erzähl von Adolf Hitler
2.5 Auseinandersetzung mit den Kernaspekten Johanna Haarers
3. Bindungstheorie
3.1 Ursprung und Grundlagen
3.2 Gängige Forschungsmethoden
3.3 Bindungsmuster und Bindungsrepräsentationen
3.4 Exkurs: Bindungsstörungen
3.5 Einordnung der Erziehung nach Johanna Haarer
4. Die transgenerationale Weitergabe von Bindungsmustern
4.1 Stabilität der Bindungsqualität
4.2 Bindung zwischen Generationen
4.3 Potentielle Folgen der Erziehung nach Johanna Haarer
5. Reflexion
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Über eine Million verkaufte Exemplare. Eine erstrebenswerte Bilanz für jeden Autoren und Schriftsteller. Umso beeindruckender, wenn es sich hierbei nicht um einen fesselnden Roman, sondern um einen Erziehungsratgeber zur Säuglingspflege handelt. Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind wurde 1934 veröffentlicht und hat die Erziehung einer ganzen Generation geprägt. Die Konformität mit den ideologischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Führung des Dritten Reichs verhalf zu einer weitläufigen Verbreitung innerhalb der Gesellschaft. Doch auch nach dem Ende der NS-Zeit wurde das Buch unter neuer Bezeichnung aufgelegt und erzielte weiterhin konstante Absatzzahlen. Der kommerzielle Erfolg der Veröffentlichung ist somit nicht von der Hand zu weisen. Im Anschluss an die erste Publikation folgten noch weitere Ratgeber und Bücher der Autorin, welche jedoch, trotz guter Verkaufszahlen, nicht an den vorherigen Erfolg anknüpfen konnten.
Die flächendeckende Verbreitung der Werke in allen Gesellschaftsschichten, in Verbindung mit der Übereinstimmung des pädagogischen Inhaltes mit den politischen Interessen des Staates, ergibt eine interessante Ausgangslage für wissenschaftliche Nachforschungen. Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit in Hinblick auf die Pädagogik des Nationalsozialismus findet meist im Kontext der damaligen Schul- und Freizeitgestaltung statt. Die familiäre, private Erziehung wird selten thematisiert. Aufgrund dieser lückenhaften Auseinandersetzung ist davon auszugehen, dass die nachwirkenden Folgen der frühkindlichen Erziehung zudem weitestgehend unbekannt sind. Die Forschungsfrage dieser Ausarbeitung lautet aus diesem Grund: Welchen Einfluss haben die Auswirkungen der Erziehung nach dem Vorbild Johanna Haarers auf die Bindungsmuster nachfolgender Generationen? Die Bezugnahme der Frage auf den Begriff der Bindung ist durch das entstehende Band zwischen Mutter und Kind während des Säuglingsalters zu begründen. Bindung entsteht bereits in der frühen Kindheit und ist somit unweigerlich mit der Thematik der Ratgeber verbunden.
Zu Beginn muss jedoch vorerst der Inhalt der grundlegenden pädagogischen Schriften widergegeben werden, da diese die Ausgangslage der weiteren Bearbeitung darstellen. Als literarisches Fundament dienen drei Publikationen von Johanna Haarer, die zunächst inhaltlich zusammengefasst und dargestellt werden. Zuvor wird auf die Biographie der Autorin eingegangen und die Entstehung ihrer Werke beschrieben. Anschließend werden die aus der Aufarbeitung der Texte erkenntlichen pädagogischen Konzepte wiedergegeben und erste Interpretationsansätze vorgestellt.
Im Anschluss an die Bearbeitung der erzieherischen Aspekte folgt die Vorstellung der theoretischen Rahmung der Arbeit. Für die Betrachtung und Bewertung der grundlegenden Literatur wurde die Bindungstheorie gewählt. Den Grundlagen und der Entstehungsgeschichte folgt eine Darstellung der üblichen Forschungsmethoden bezüglich der Untersuchung von Bindungen. Daraufhin werden die unterschiedlichen Formen kindlicher Bindungsmuster thematisiert und die zugehörigen Bindungsrepräsentationen bei Erwachsenen erläutert. Anschließend folgt ein kurzer Exkurs in den Bereich der Bindungsstörungen und der damit verbundenen potentiellen Relevanz für das vorliegende Forschungsinteresse. Abschließend werden die Erkenntnisse der Literaturarbeit mit den Inhalten der Bindungstheorie überarbeitet und eine Einordnung der Erziehungsvorstellungen Johanna Haarers in den bindungstheoretischen Kontext vollzogen.
Um den andauernden Einfluss der Erziehung auf nachfolgende Generationen zu beleuchten, folgt auf die theoretische Darstellung eine Auseinandersetzung mit der Weitergabe von Bindungsmuster zwischen Mutter und Kind. Hierbei wird zunächst auf die Stabilität der Bindungsqualität von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter eingegangen, bevor eine Betrachtung diverser Studienergebnisse in Bezug auf eine transgenerationale Perspektive erfolgt. Die daraus resultierenden Erkenntnisse werden abermals mit den erarbeiteten pädagogischen Eigenschaften der behandelten Bücher abgeglichen.
In der anschließenden Reflexion wird auf die enge Betrachtungsweise dieser Ausarbeitung hingewiesen und mögliche weitere Aspekte aufgeführt, die für die Bearbeitung der Forschungsfrage von Bedeutung sein könnten, jedoch aufgrund der thematischen Rahmung keine größere Erwähnung finden konnten.
Im abschließenden Fazit werden die Form und der Grad der möglichen Beeinflussung der Bindung nachfolgender Generationen evaluiert. Erkennbarer Forschungsbedarf wird hierbei gleichsam mit den Grenzen der Erkenntnisgewinnung behandelt.
2. Darstellung der Texte von Johanna Haarer
Zu Beginn dieser Ausarbeitung werden drei Veröffentlichungen von Dr. Johanna Haarer inhaltlich wiedergegeben und zusammengefasst. Die thematischen Aspekte der unterschiedlichen Werke stellen die Grundlage und das Kernelement dieser Arbeit dar. Auf ihnen beruht die anschließende theoretische Betrachtung und Auseinandersetzung. Die Erziehungsratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, Unsere kleinen Kinder, sowie das Erzählbuch Mutter, erzähl von Adolf Hitler! sind neben ihrer inhaltlichen Darstellung zudem im historischen Kontext zu betrachten. Die Biographie der Autorin spielt hierbei vermutlich eine ebenso entscheidende Rolle wie die politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse jener Zeit. Aus diesem Grund beginnt die Auseinandersetzung mit den Texten von Johanna Haarer zunächst mit einer kurzen historischen Einordnung in Zusammenhang mit ihrem Lebenslauf.
2.1 Historische Einordnung und Biographie Johanna Haarers
Johanna Haarer, geboren am dritten Oktober 1900, stammt aus einer böhmischen Kleinstadt namens Bodenbach, welche als Teil des ehemaligen Österreichischen Kaiserreiches nach dem Ersten Weltkrieg Teil der Tschechoslowakischen Republik wurde (vgl. Haarer 2012:9 f.). Sie wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihre Eltern besaßen einen Schreibwarenladen in ihrem Heimatort. Nachdem Sie die Volksschule absolviert hatte, arbeitete sie kurzzeitig im Familiengeschäft, entschied sich dann jedoch dafür das Abitur machen zu wollen. Diesen Vorsatz erfüllte Sie in einem Landerziehungsheim in der Rhön, in welches Sie als einzige weibliche Schülerin aufgenommen wurde. Ihren Abschluss erhielt sie im Jahre 1920, woraufhin sie ihr Medizinstudium begann. In dieser Zeit lernte Johanna Barsch, damals noch unter ihrem Geburtsnamen, ihren Kommilitonen und zukünftigen Ehemann Hellmut Weese kennen. 1924 wurden die beiden vermählt. Sie legte nach ihrer Dissertation ein obligatorisches praktisches Jahr ab und wurde eine anerkannte Lungenfachärztin. In dieser Zeit ging ihre Beziehung allerdings bereits auseinander und sie wurden kurz darauf geschieden. Anschließend war sie als Ärztin tätig und heiratete im Jahre 1932 erneut, diesmal ihren Arbeitskollegen Otto Haarer. Im darauffolgenden Jahr 1933 brachte sie Zwillinge zur Welt und zog sich beruflich zurück. Die Freiwilligkeit dieses Rücktritts ihrer medizinischen Tätigkeit beschreibt Rose Ahlheim in der Autobiografie Johanna Haarers und ihrer jüngsten Tochter Gertrud als nicht gänzlich geklärt. (vgl. Haarer 2012:10 f.). Schließlich sei in diesem Jahr ein Gesetz in Kraft getreten, welches den Doppelverdienst innerhalb von Familien unterbinden sollte, um der Arbeitslosigkeit entgegen zu wirken und den Frauen die Neuausrichtung ihrer Kräfte auf die Familie und den Haushalt zu ermöglichen.
Trotz allem blieb Haarer jedoch nicht lange untätig und verfasste Artikel über die Pflege von Säuglingen im Völkischen Beobachter. Diese waren durchaus erfolgreich und passten in das ideologische Bild der nationalsozialistischen Zeitung. Nach der Veröffentlichung mehrerer Artikel wurde ihr geraten einen Band zu verfassen, was zu der Entscheidung führte Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind zu verschriftlichen. Der Doktortitel Haarers sei aus strategischen Gründen besserer Vermarktung genutzt worden und habe den Eindruck einer medizinischen Verifizierung des Geschriebenen erweckt (vgl. ebd:13). Diese Intention scheint in Hinblick auf die Verkaufszahlen des Erziehungsratgebers durchaus aufgegangen zu sein. 600.000 Exemplaren seien bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang des Dritten Reichs verkauft worden. Interessant ist hierbei die Tatsache, dass eine Auflage mit etwa der gleichen Anzahl nach 1945 bis zur Einstellung des Verkaufs 1987, unter anderem Namen, Die Mutter und ihr erstes Kind, über die Ladentische gegangen sein soll. Ihr zweiter Ratgeber Unsere kleinen Kinder erreichte zwar nicht die große Auflage des Vorgängers, galt jedoch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 1936 als äußerst einflussreich. 1935 akzeptierte Haarer das ihr angebotene Amt der Gausachbearbeiterin für Rassenpolitik und klärte in Ausübung dieser Tätigkeit werdende Mütter und junge Frauen über rassenideologische Themen und die Reinhaltung des arischen Erbgutes auf (vgl. ebd:14). Ihrer Position, welche sie nach der Geburt ihres vierten Kindes abtrat, folgt 1937 der Eintritt in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Sie verfasste weiterhin Artikel, welche die Stellung der Frau als Mutter und Hausfrau bestärken sollten und die ideologischen Auffassungen des NS-Regimes widerspiegelten. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges veröffentlicht sie das Erzähl- und Vorlesebuch Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Letztlich gelang ihr mit dieser Veröffentlichung gar die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, wodurch sie offiziell als Schriftstellerin anerkannt wurde.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Johanna Haarer mehrmals von der US-Amerikanischen Besatzung interniert und zu ihren Tätigkeiten während des Dritten Reiches befragt. Innerhalb dieser Zeit nahm sich ihr Ehemann Otto Haarer das Leben. Seine Beweggründe sind nicht bekannt und ein letztes Schreiben hat es nicht gegeben. 1947 begann schließlich das Verfahren gegen Haarer, welches durch die Aussagen und Verbürgungen mehrere Zeugen zu ihren Gunsten ausfiel. Sie wurde als Mitläuferin eingeschätzt und konnte zurück zu ihrer Familie (vgl. Haarer 2012:21). Sie durfte weiterhin als Lungenfachärztin praktizieren und veröffentlichte gleichzeitig neue Werke, welche nunmehr keine nationalsozialistischen Inhalte propagierten. Letztlich verstarb sie im Jahre 1988, ohne sich einer merkbaren Schuld ihrer Handlungen bewusst gewesen zu sein. Weitere Einblicke in die Denkweise und das Familienleben von Johanna Haarer bietet ihre Autobiografie, welche aus Manuskripten ihrerseits heraus entstanden ist. Die Darstellungen der Geschehnisse aus der Sicht von Haarer, sowie aus der Sicht ihrer Tochter, bieten zwar neue Perspektiven für den Leser, lassen jedoch keinen tieferen Einblick in die Gedankenwelt und Motivation der größten pädagogischen Einflussperson des Dritten Reiches zu.
Johanna Haarer war eine ambitionierte und auf ihre Weise intelligente Frau, die sich die Umstände ihrer Zeit zunutze machte, um ihre möglicherweise selbst als unliebsam empfundene, auferlegte Situation zu ihrem Vorteil zu verbessern. Sie stellte mehrfach ihre Systemtreue unter Beweis, indem sie in ihren Werken, Schriften und Artikeln die nationalsozialistische Ideologie propagierte. Durch ihre Einflussnahme auf die Erziehung und die frühzeitige Indoktrination von Geburt an, ist sie unstrittig mehr als nur eine opportunistische Mitläuferin gewesen. Welches Ausmaß ihre Arbeit hatte wird nun am Beispiel ihrer drei Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus geschildert.
2.2 Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind
Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind ist ein 1934 erstmals erschienener Erziehungsratgeber, der sich mit der Pflege von Säuglingen sowie den dafür notwendigen Vorkehrungen beschäftigt. Im Folgenden wird der Inhalt dieser Publikation genauer betrachtet und die prägnanten Aspekte der jeweiligen Kapitel chronologisch aufgearbeitet. Die hierbei verwendete Version des Textes stammt aus dem Jahre 1940 und kann folglich aufgrund der verschiedenen Darstellungsweisen der unterschiedlichen Auflagen in Hinblick auf die Angabe der Seitenzahl von anderen Publikationen abweichen. Zudem sind Veränderungen in der Wortwahl und der politischen Positionierung der Autorin zwischen den diverse Auflageversionen möglich. Ein Vergleich mit der Erstauflage stellte sich aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit des Textes als schwierig dar, jedoch sollten die Veränderungen, falls vorhanden, nicht von großer Gewichtung sein.
Zu Beginn ihres Ratgebers richtet Haarer in einer Art Vorwort einen Appell an die Leserinnen des Textes, welchen sie nur An die deutsche Mutter! betitelt. In diesem circa vierseitigen Abschnitt wird auf die wichtige Rolle der Mütter im Kampf gegen den vermeintlich drohenden Volkstod eingegangen (vgl. Haarer 1940:8). Die Sprache, der sie sich hierbei bedient, ist klar erkennbar aus dem militärischen übernommen und untermauert die somit suggerierte Wichtigkeit der mütterlichen Aktionen. Beispiele hierfür sind der „Gang an die Front der Mütter“, sowie die „beglückende Kameradschaft der Mütter“ (ebd.:5,6). Beide Bezeichnungen waren in der Vergangenheit meist dem Militär und somit den Männern vorbehalten, dennoch werden die zukünftigen Mütter nun von Haarer mit in diesen elitären Kreis aufgenommen. Hierbei sollte der kriegerische Kontext des Jahres 1940 und die versuchte Überzeugung der Bevölkerung von der Richtigkeit und Notwendigkeit der Auseinandersetzungen nicht außeracht gelassen werden.
In diesem Zusammenhang wird im Anschluss von einer „heldlichen Lebensauffassung“ und einem aufopfernden Lebensstil gesprochen, sollte sich die deutsche Frau dazu entscheiden ein Kind zu bekommen (ebd.:8). Haarers Auffassung nach sei jedoch die richtige Auswahl des Ehepartners und die somit angestrebte „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in etwa genauso wichtig wie die nachwuchsreiche Ehe mit mindestens vier Kindern (ebd.:8). Abschließend fasst sie die daraus resultierende Aufgabe folgendermaßen zusammen: „[Die Pflicht] der Familie, dem Volk, der Rasse Kinder zu schenken“ (ebd.:9).
Nach ihrer Ansprache an die deutsche Frau widmet sich Haarer der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Zu Beginn des Kapitels stellt sie fest, dass das bisherige Unheil des 20. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, sowie die daraus resultierende Ansteigung der Beschäftigung von Frauen einen „unfreiwilligen Massenversuch“ darstellen (ebd.:13). Die Frauen seien ihrem natürlichen Aufgabenkreis entfremdet und in Folge dessen vermännlicht worden. Ihrer Ansicht nach liege der wahre Sinn der Frau, welcher ihr biologisch zugrunde liege und ihre echte innere Erfüllung darstelle, darin Mutter zu werden und Kinder aufzuziehen (vgl. ebd.:13). In diesem Zusammenhang spricht sich Haarer zusätzlich gegen eine sogenannte „falsche Emanzipation“ aus.
Nach dieser Einleitung des Kapitels folgen mehrere Seiten mit der schlichten Beschreibung der Schwangerschaft und der Geschlechtsorgane, welche aufgrund der wissenschaftlichen Grundlage kaum Platz bieten für eine potentielle ideologische Einflussnahme. Dies geschieht allerdings mit dem letzten Unterpunkt dieses Abschnittes, der Abtreibung.
Haarer sieht die Abtreibung an sich als Gefahr für den Fortbestand des deutschen Volkes und wirft denjenigen Frauen, die in der Vergangenheit haben abtreiben lassen, Bequemlichkeit und Selbstsucht vor (vgl Haarer 190:28 f.). Um den jungen Frauen potentielle Schmerzen und anderweitige Folgen einer Abtreibung zu ersparen, welche als „Sünde wider der Natur“ beschrieben wird, spricht sie das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses an (ebd.:30). Dadurch, dass Personen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit erbkranken Nachwuchs hervorbringen würden, unfruchtbar gemacht werden dürfen, seien ihrer Meinung nach Abtreibungen nicht mehr notwendig. In Folge dessen beschreibt Haarer die Art und Weise der klinischen Sterilisation und betont explizit, dass es sich hierbei nicht um eine Kastration handle.
Weiterhin stellt sie dar, welche Erbkrankheiten laut Gesetz Anlass für eine Sterilisation bieten würden und nennt hierbei unteranderem „angeborenen Schwachsinn […], Epilepsie, [und] schweren erblichen Alkoholmissbrauch“ (ebd.:31). Abschließend wird erwähnt, welche finanzielle Belastung durch die Betreuung von Schwerbelasteten für die Volksgemeinschaft entstünde und wie stark sich eben jene Betroffene im Vergleich fortpflanzen würden. Neben der hier erwähnten Missachtung von Menschenrechten und gängigen Moralvorstellungen wirft dieser letzte Abschnitt zusätzlich die Frage auf, welche vermeintliche Relevanz jene Thematik in einer Gesellschaft innehaben muss, um in einem Erziehungsratgeber thematisiert zu werden.
Das zweite Kapitel des Ratgebers bezieht sich voll und ganz auf die materielle Vorbereitung der Geburt des Kindes. Diese wird von Haarer als Aussteuer für das Kind bezeichnet und soll schon vor der Geburt, bestenfalls noch vor dem siebten Schwangerschaftsmonat, abgeschlossen sein (ebd.:32). Die beschriebenen Vorlagen für alltägliche Gebrauchsgegenstände reichen von Strickvorlagen für Wollkleidung, über die korrekte Art und Weise des Wickelns, bis hin zu der Einrichtung des Schlafplatzes. Hierbei sind vorerst keine nennenswerten Informationen zur Bearbeitung der Forschungsfrage vorhanden, allerdings ist die nahe Verortung handwerklicher Anleitungen mit der vorherigen Auseinandersetzung mit Abtreibung und Sterilisation auffällig. Bei der Beschreibung des kindlichen Schlafplatzes wird Wert auf die richtige Zimmertemperatur gelegt und in diesem Zusammenhang auch das elterliche Schlafzimmer als im Notfall nutzbare Alternative bezeichnet (vgl. Haarer 1940:51). Laut Haarer soll dies jedoch keinesfalls einen Dauerzustand darstellen. Aus „erzieherischen Gründen […], aber auch wegen der mannigfaltigen Störungen, die damit für die Nachtruhe der übrigen Familie verbunden sein können“ wird deshalb davon abgeraten (ebd.:51).
Im dritten Kapitel beschäftigt sich Haarer mit der zweiten Hälfte der Schwangerschaft und geht zu Beginn auf die Beratung der werdenden Mutter durch eine Hebamme ein. Anschließend wird die mögliche Veränderung des persönlichen Befindens sowie des Körpers der Schwangeren thematisiert (vgl. ebd.:57 ff.). Die zu führende Lebensweise in dieser Zeit der Schwangerschaft wird ebenfalls beschrieben und mit den zugehörigen Texten des Gesetzes über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft untermauert. Trotz der gebotenen körperlichen Schonung wird vor einer unverhältnismäßigen Rücksichtnahme gewarnt, da dies zu einer komplizierteren Entbindung führen könne (vgl. ebd.:60). Letztlich beschreibt sie gängige Schwangerschaftsbeschwerden und mögliche Zwischenfälle, wie etwa eine Frühgeburt und die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Mutter und Kind (ebd.:63 f.).
Das vierte Kapitel behandelt ausschließlich die Kleidung der werdenden Mutter in der zweiten Schwangerschaftshälfte und ist aufgrund der geringen thematischen Relevanz somit zu vernachlässigen.
Die Zeit und die Vorbereitung kurz vor der Entbindung wird im fünften Kapitel beschrieben. Zunächst wird auf die Frage eingegangen, ob in einem Krankenhaus oder im eigenen Heim entbunden werden soll. Haarer sieht bei einer ausreichenden Sauberkeit des persönlichen Wohnraumes keinerlei Grund eine Hausgeburt abzulehnen (vgl. ebd.:76). Voraussetzung hierbei sei jedoch die Anwesenheit einer Hebamme und die notfalls schnelle Erreichbarkeit eines Arztes, sowie bestenfalls die Unterstützung der Familie und Angehörigen. Die anwesenden Helfer während der Entbindung werden in diesem Zusammenhang im Rahmen des Reichshebammengesetzes noch genauer vorgestellt. Zusätzlich betont Haarer die Wichtigkeit der Aufklärung der kommenden Mütter über sämtliche Aspekte der Schwangerschaft (vgl. ebd.:78). Anschließend werden die nötigen Vorbereitungsmaßnahmen für eine geplante Entbindung zuhause dargestellt.
Ein Aspekt der Entbindung, den Haarer im weiteren Verlauf ihres Textes, sowie in ihren anderen Publikationen einen äußerst hohen Stellenwert zuspricht, ist die Sauberkeit. Die Sauberkeit der unmittelbaren Umgebung der Entbindung, sowie jeglicher Personen die beim Entbindungsprozess unterstützende Rollen einnehmen, sei von allerhöchster Priorität (vgl. Haarer 1940:83). Der Geschlechtsverkehr mit dem Partner sei spätestens drei Monate vor der Entbindung einzustellen, um möglichen Infektionen oder Geschlechtskrankheiten entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang wird zum wiederholten Male explizit vor Syphilis gewarnt (ebd.: 84). Diese sexuell übertragbare Geschlechtskrankheit kommt im Zusammenhang mit Sauberkeit und Hygiene immer wieder bei Haarers Texten vor und wirkt oftmals seltsam fehlplatziert im Kontext der übrigen Thematik. Hierauf wird jedoch im späteren Verlauf der Ausarbeitung nochmals genauer eingegangen. Zusätzlich warnt Haarer vor der Nutzung öffentlicher Toiletten und Bäder aufgrund der zu hohen Aussetzung von potentiell gefährlichen Keimen (vgl. ebd.:84).
Nach dem kurzen Exkurs über Sauberkeit und die Gefahr durch Keime für die werdende Mutter, widmet sie sich den Vorbereitungen einer Entbindung in einer Anstalt, beziehungsweise eines Krankenhauses. Hierbei zählt sie auf, welche Hygieneartikel und sonstige Gegenstände für den Aufenthalt benötigt werden. Abschließend wird die präventive Vorsorge für die Abwesenheit der Mutter im Haushalt thematisiert, welche hauptsächlich durch Hilfskräfte in der Person von Familienangehörigen oder Haushaltshilfen, sowie Kindermädchen kompensiert werden soll (vgl. ebd.:88 ff.).
Das sechste Kapitel des Ratgebers behandelt die eigentliche Entbindung und beschreibt die zugehörigen biologischen Abläufe im Körper der Frau. Wie bereits in vorherigen Abschnitten erläutert, ist bei dieser eher wissenschaftlichen Beschreibung der Vorgänge vorerst keine einflussnehmende Haltung Haarers erkennbar, jedoch spricht sie in Zusammenhang mit der Versorgung des Neugeborenen nach der Entbindung davon , dass „der neugeborenen Säugling in der Regel keine Schönheit“ sei und der Vater möglicherweise eher betroffen von dem Aussehen seines erstgeborenen wäre (ebd.:97).
Passend zu der anfangs beschriebenen Heldenhaftigkeit der Mutter ist Haarers Auffassung über den Umgang mit Schmerzen während der Entbindung. Trotz ihrer Anerkennung der zu ertragenen Schmerzempfindungen der Mutter spricht sie sich hierbei äußerst strikt gegen die Verwendung von Betäubungs- oder Schmerzmitteln aus (vgl. ebd.:99). Sie spricht gar von der Überwindung „übertriebener Humanitätsduselei“ und der „Abkehr von allem Heroismus“ in der Vergangenheit durch die stark verbreitete Nutzung jener Mittel. „Die Frauen müssen tapfer sein und durchhalten.“ (Haarer 1940:99).
Hieran anknüpfend sind ihre Bezeichnung der Folgen der Entbindung im siebten Kapitel des Ratgebers, in welchem das Wochenbett thematisiert wird. Die Geburt sei gut verlaufen und die Entbindung vorüber, doch die Frau sei nicht ohne Wunden aus dem Kampf hervorgegangen (vgl. ebd.:102). Die junge Mutter sei als Verwundete zu betrachten und in diesem Zusammenhang, trotz vorheriger Warnung vor zu großer Schonung des Körpers, als solche zu behandeln. Dies bedeutet für Haarer vor allem eines: Ruhe für die Mutter und Ruhe für das neugeborene Kind (vgl. ebd.:105). Allerdings sei hierbei darauf zu achten, dass Ruhe in diesem Fall auch eine räumliche Trennung der Mutter vom Kind vorsieht. Ein Zusammenführen der beiden soll bestenfalls nur zum Stillen erfolgen und wird durch eine vermeintlich unnötige Unterbrechung und Ablenkung der benötigten Ruhe der Frau durch ihren Säugling legitimiert. Außerdem sei das Kind somit vor Beunruhigung und Krankheiten geschützt und die Trennung biete erzieherische Vorteile für den späteren Verlauf des Lebens. Immerhin würde die Erziehung schon unmittelbar nach der Geburt beginnen (vgl. ebd.:109). Nach dieser kurzen und vorerst einzigen Beschreibung des Umgangs mit dem Neugeborenen listet Haarer mehrere Aktivitäten für die junge Mutter auf, um ihre körperliche Verfassung vor der Schwangerschaft wiederherstellen zu können. Die sportliche Betätigung der Frau hält Haarer jedoch nur so lange für gut, wie es den Prozess des Stillens nicht beeinflusst. „Leider gibt es hier und da Frauen, die sich aus Liebe zum Sport vom Stillen abbringen lassen. Das kann nicht scharf genug verurteilt werden.“ (ebd.:113).
Ihrer Auffassung zum Stillen widmet Haarer ein ganzes Kapitel und macht bereits im ersten Satz ihren Anspruch an die zukünftige Mutter deutlich: „Deutsche Mutter, du musst dein Kind stillen!“ (ebd.:115). Grund für diese Verpflichtung sei die unvergleichliche Bindung zwischen Mutter und Kind, die aus dem Prozess des Stillens hervorgehen soll, sowie der hohe Nährwert der Muttermilch. Das Stillen wird gar als „rassische Pflicht“ bezeichnet und gilt laut Haarer als Verantwortung für die eigenen Nachkommen und das Fortwähren des Volkes. Schließlich macht sie ihre Meinung noch deutlicher, indem sie ihre eindeutige Abneigung gegen die Ernährung des Säuglings mit der Flasche kundtut: „Wer sein Kind künstlich mit der Flasche ernährt, setzt immer sein Leben aufs Spiel.“ (ebd.:116). Ihre Ablehnung der sogenannten künstlichen Ernährung wird sie noch mehrmals im Verlauf ihrer Arbeit erwähnen und zu begründen versuchen. Das Stillen wird als heilige Mutterpflicht bezeichnet und folglich ist es nicht verwunderlich, dass für Haarer ein nicht funktionieren dessen keine Option darstellt (vgl. Haarer 1940:117).
Wie bereits in anderen Zusammenhängen kennengelernt, legt Haarer auch beim Stillen eine äußerst rational-pragmatische Herangehensweise an den Tag. Sie stellt diverse Grundregeln für die Fütterung des Neugeborenen auf, welche die wenigen bisher bekannten Umgangsweisen mit dem Kind widerspiegeln. Die Dauer der Stillmahlzeiten soll eine Zeitspanne von 20 Minuten nicht überschreiten und täglich zu den gleichen Zeiten angeboten werden. Vom Stillen außerhalb der festen Zeiten wird dringend abgeraten. Das Kind soll zudem außerhalb der Trinkzeiten nicht an die Brust genommen werden, unabhängig davon ob es schreit oder weint. „Die regelmäßig eingehaltenen, täglich gleich pünktlichen Mahlzeiten sind der entscheidende Beginn in der Erziehung deines Kindes.“ (ebd.:120).
Das von Haarer beschriebene Verhältnis der Mutter zu ihrem neugeborenen Kind kann bis zu diesem Zeitpunkt nur als distanziert und auf Erfüllung der Grundbedürfnisse ausgerichtet beschrieben werden. Dies wird beispielsweise bei der außerplanmäßigen Fütterung des Kindes deutlich, bei welcher direkt darauf hingewiesen wird, eine Verwöhnung des Kindes tunlichst zu vermeiden (vgl. ebd.:124). Auffällig ist in diesem Kontext das erneute Verweisen auf Krankheiten, welche zu einem sofortigen Stoppen des Stillens führen sollen, wie etwa Tuberkulose und andere hochansteckende Erkrankungen. In diesem Zusammenhang wird abermals das Sterilisationsgesetz erwähnt, sowie ein Absatz über den Umgang mit Syphilis angeführt (vgl. ebd.:130).
Die wohl prägnantesten Aussagen Haarers zur Thematik des Stillens finden sich zusammengefasst jeweils zu Beginn zweier Teilabschnitte: „Liebe Mutter, es gibt für dein Kind nichts besseres als die Milch aus deiner Brust“, sowie „Deutsche Mutter, stille solange du kannst!“ (ebd.:134 f.).
Nach diesem ausführlichen Darstellen Haarers Vorstellungen über das Stillen handelt das neunte Kapitel schließlich von der Pflege des jungen Säuglings. Gleich zu Beginn wird ein Aspekt als erster Pflegegrundsatz präsentiert, der schon in vorherigen Kapiteln mehrfach Erwähnung gefunden hat: die Reinlichkeit. Für Haarer stellt die Reinhaltung des Kindes aufgrund der Beschaffenheit von Säuglingen ein Problem dar. Das unkontrollierte Entleeren der Blase und des Darms sei eine Herausforderung, der sich „zivilisierte Völker der weissen Rasse“ mit Hilfe von Windeln annehmen (ebd.:143). Zunächst werden auf mehreren Seiten unterschiedliche Wickelmethoden vorgestellt und die Trockenbettlegung aufgrund der vermeintlichen Praktikabilität als mögliche Alternative präsentiert. Anschließend werden weitere alltägliche Aspekte der Pflege des Kindes, wie etwa die Reinigung an sich, das Tragen, sowie das Baden äußerst detailliert beschrieben (vgl. Haarer 1940:158 ff.).
Interessanter ist in Hinblick auf den Umgang mit dem Neugeborenen der zweite Pflegegrundsatz den Haarer in diesem Kapitel aufstellt: die Ruhe. Der Ruhe des Säuglings wird hierbei höchste Priorität zugeschrieben und genau wie bei der oben beschriebenen Schonung der Mutter und des Kindes während des Wochenbettes gilt auch in diesem Fall die räumliche Trennung als oberstes Gebot. „Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen.“ (Haarer 1940:168). Ein Umgang mit dem Kind soll deshalb nie ohne Anlass erfolgen, immerhin seien die genannten pflegerischen Maßnahmen ausreichender Kontakt um Liebe und Zärtlichkeiten auszutauschen. Diese rare Auseinandersetzung mit dem Kind sei auch bei Schreien und Weinen nicht zu verstärken. Solange alle Bedürfnisse abgedeckt zu sein scheinen und keine sogenannten Pflegefehler seitens der Mutter vorliegen, geht Haarer davon aus, dass manche Kinder schlichtweg „zum Zeitvertreib schreien“ (ebd.:170). Außerdem soll dem Kind frühzeitig ein klarer Tagesablauf vermittelt werden, weshalb der Säugling, wenn er beispielsweise vor Hunger weint, jedoch die nächste Mahlzeit noch nicht ansteht, aus erzieherischen Gründen und aufgrund von Verwöhnungsprävention, bis zur Essenszeit ausharren soll. Haarer warnt explizit vor „falscher Nachgiebigkeit“ (ebd.:173). Unnachgiebigkeit scheint für sie die Grundvoraussetzung einer guten Mutter und das Fundament einer guten Erziehung zu sein, sei es nun in Hinblick auf das Essen oder das Schlafenlegen. „Bei großen kräftigen Kindern sei der Mutter abermals der Rat gegeben: Schreien lassen!“ (ebd.:174).
Der dritte und letzte Pflegegrundsatz, der angeführt wird, bezieht sich auf die ausreichende Aussetzung des Kindes mit genug Luft und Licht, sowie auf die gerechte Wärmehaltung. Zu Anfang der Beschreibung wird anhand der Wortwahl erneut deutlich, welche Sicht Haarer auf die Pflege des Kindes einnimmt. Die junge Mutter müsse bei der „Wartung und Pflege“ des Kindes darauf achten, dass dieses genug Licht und Luft bekomme, da diese „unentbehrliche Waffen gegen Krankheiten aller Art“ seien (ebd.:175). Der Begriff der Wartung wirkt in dem pflegerischen Zusammenhang nahezu objektifizierend und lässt erneut eine Distanz zwischen Mutter und Kind entstehen. Diese Verdinglichung wird in diesem Kapitel noch deutlicher, indem bei der körperlichen und geistigen Entwicklung des Säuglings davon gesprochen wird, das Kind reagiere vor dem zweiten Lebensmonat auf äußere Sinneseindrücke „höchstens mit Schreien, wenn sie ihm unbequem werden“ (Haarer 1940:179). Hier kommt die vorher vorgeschriebene Ruhe des Kindes zur Geltung, da eine Reduzierung der Reaktion auf die Umwelt des Neugeborenen auf das Schreien, so wie Haarer es beschreibt, eine räumliche Trennung des Kindes regelrecht alternativlos erscheinen lässt. Auf diesen Aspekt wird in der späteren theoretischen Aufarbeitung der Texte noch genauer eingegangen. Der von Haarer angestrebte Umgang wird folgendermaßen treffend zusammengefasst: „Sein Kind an der Luft ernähren und im Sommer den ganzen Tag im Garten stehen haben – das ist ein Idealzustand“ (ebd.:180).
Das zehnte Kapitel des Ratgebers widmet sich der künstlichen Ernährung des Säuglings im ersten Halbjahr und sei, wie die bereits beschriebene Einstellung Haarers zum Stillen vermuten lässt, keinesfalls die optimale Form der Nahrungszufuhr, allerdings in bestimmten Situationen unvermeidbar. Zunächst werden auf mehreren Seiten die Bestandteile, die Zubereitung und Form der Fütterung künstlicher Nahrung beschrieben (vgl. ebd.:185 f.). Auch bei der Fütterung durch die Flasche lässt Haarer ihre erzieherische Unnachgiebigkeit erkennen, indem sie auch in diesem Fall auf der Einhaltung des Essensplans beharrt und die Fütterungszeiten strikt einzuhalten seien. „Es gilt oft nur einen einmaligen Widerstand zu brechen“ (ebd.:198). Der Hunger sei in diesem Falle immer noch der beste Koch. Das Hinzufügen von Beikost als Ergänzung zur Flaschennahrung in Form von diversen Obst- und Gemüsebreien sei zudem oftmals mit einer „sehr häßlichen[n] Verunreinigung der Wäsche“ verbunden, weshalb eine besondere Fütterungstechnik empfohlen wird (ebd.:199). Diese sieht vor, das Kind halb liegend auf dem Schoß zu tragen und seine Hände festzuhalten, während es mit einem Löffel gefüttert wird. Das Kind ist folglich nicht in der Lage selbst in Kontakt mit der Nahrung zu geraten und sitzt fest fixiert im Schoß der Mutter. Somit wird die gefürchtete Verunreinigung der Kleidung größtenteils vermieden, doch eine Partizipation des Kindes am Essensgeschehen wird so kaum ermöglicht.
Im folgenden Abschnitt des Buches werden weitere Ernährungspläne für das Kind vorgestellt und vorgesehene Tagesrationen, sowie Fütterungsuhrzeiten genannt (vgl. ebd.:200 ff.). Zusätzlich wird auf Gefahren der Über-, beziehungsweise Unterfütterung hingewiesen und auf diverse Variationen des Stuhlgangs eingegangen. Auffällig ist jedoch vor allem die wiederholte Betonung der vermeintlich höheren Anfälligkeit von Flaschenkindern für Krankheiten jeglicher Art im Vergleich zum Brustkind. „Alle in seiner körperlichen Veranlagung begründeten gesundheitlichen Mängel treten bei ihm viel eher ans Tageslicht“ (Haarer 1940:208).
Im elften Kapitel wird auf die Ernährung im zweiten Halbjahr des Kindes eingegangen und der thematische Inhalt deckt sich in vielerlei Hinsicht mit dem des vorherigen Kapitels. Es werden abermals Ernährungspläne vorgestellt, welche nun jedoch an die neuen Nahrungsmöglichkeiten des Kindes angepasst werden und diverse Lebensmittel enthalten, welche vorher noch vermieden wurden. (vgl. ebd.:211 ff.). Auf die eigentliche Interaktion mit dem Kleinkind wird auch in diesem Fall nur äußerst knapp Bezug genommen, allerdings wird ein interessanter und gleichzeitig widersprüchlich wirkender Aspekt der Nahrungszufuhr angesprochen: die Essensverweigerung. Sollte das Kind einmal die Nahrung ablehnen, warnt Haarer davor diese unnachgiebig weiter anzubieten. „Niemals darf man dem Kinde die unwillkommene Nahrung förmlich Aufzwingen. […] Damit erreicht man sein Ziel nicht, im Gegenteil“ (ebd.:221). Aus dieser Aussage lässt sich darauf schließen, dass ein Zwang für sie vollkommen ausgeschlossen ist und dieser gar kontraproduktiv für das zukünftige Essensverhalten zu verstehen ist. Haarer bietet der jungen Mutter in diesem Fall eine andere Alternative, einen anderen Weg an. „Beharrt das Kind trotz allen geduldigen Versuchen in seiner Ablehnung, so bleibt […] gar nichts übrig, als es einmal hungern zu lassen. Das abgelehnte Gemüse wird zur nächsten Essenszeit wieder gereicht und muss unter dem Zwang des Hungers schließlich gegessen werden.“ (ebd.:221). Haarer lehnt also den Zwang im Kontext des Essens vorerst eindeutig ab, um nur einen Abschnitt später ihre eigene Aussage zu revidieren. Letztlich scheint sie nur eine Form des direkten Zwangs mit einer leicht subtilen, jedoch in seiner Natur ebenso unnachgiebig wirkenden Alternative zu ersetzen. Das Ergebnis bleibt schließlich gleich, die ungewollte Nahrung muss gegessen werden. Die Maßnahme, die sie selbst als „grausam erscheinend“ bezeichnet, legitimiert sie mit der Vermeidung einer einseitigen Ernährung und daraus resultierenden Essstörungen und Krankheiten (ebd.:221).
Das zwölfte und letzte Kapitel des Erziehungsratgebers Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind hat den älteren Säugling als Thema. Die bisher bekannten Erziehungsvorstellungen Haarers werden in diesem Textausschnitt noch weiter bestärkt. So wird beispielsweise das Ruhebedürfnis des Säuglings, der nun bereits einen recht hohen Bewegungsdrang zu haben scheint, weiterhin priorisiert. Dies macht sich an der Empfehlung eines Laufstalls bemerkbar, in welchem „Die Mutter […] es mit gutem Gewissen sich selbst überlassen und derweilen ungestört ihrer Arbeit nachgehen [kann].“ (Haarer 1940:235).
Das Tragen des Kindes soll zudem weiterhin vermieden werden, da dies gar auf Dauer zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule führen könne. Außerdem gilt noch immer die Prämisse, jegliche Verwöhnung zu unterbinden: „Das Kind gewöhnt sich an die ständige Nähe und Fürsorge eines Erwachsenen und gibt bald keine Ruhe mehr [.]“ (ebd.:236). Nach dieser Beschreibung des Umgangs mit dem älteren Säugling, welche gewissermaßen nur zu einem minimalen Umgang mit dem Kind aufruft, widmet sich Haarer abermals mehrere Seiten lang Strickanleitungen für den nunmehr größeren Säugling. Anschließend wird erneut auf die Essenssituation und das zu erwartende Verhalten des Kindes eingegangen. „Wir dulden beim Essen kein Spielen und Plappern und vermeiden das Herumtrödeln während der Mahlzeit.“ (ebd.:258). Zusätzlich wird die in Kapitel Zwölf als vermeintlich zwanglose Form der Essenserziehung vorgestellte, kurzzeitige Nahrungsverweigerung erneut beschrieben. Gelinge der Mutter nicht das Verhalten ihres Kindes, welches als Unart bezeichnet wird, in den Griff zu bekommen, habe sie bereits „den ersten schweren Erziehungsfehler begangen.“ (ebd.:259).
Die Einstellung, welche Haarer gegenüber von Säuglingen an den Tag legt, ist wohl an dem folgenden Zitat am besten zu erkennen: „Das Neugeborene und der junge Säugling hatten nichts weiter nötig als regelmäßige Reinhaltung, tägliches Bad und richtige Ernährung. Wir haben gesehen, daß eine besondere „Beschäftigung“ mit ihm nicht nur überflüssig, ja sogar nicht einmal wünschenswert war. Dies hat sich nun allmählich geändert. Das körperliche und geistige sich immer mehr entwickelnde Kind braucht einen gewissen Umgang mit Menschen […], wenn es nicht schwer in seiner Entwicklung leiden soll.“ (ebd.:259 f.). Die Bedeutung des hier gesagten für die Untersuchung des Erziehungsverständnisses von Johanna Haarer kann gar nicht deutlich genug betont werden. Der Säugling, von dem zu einem Großteil des Textes kaum direkt die Rede war, der in räumlicher Isolation von seiner Mutter und anderen Personen bestenfalls nicht gestört werden sollte, stehe nun davor an dem Mangel menschlicher Interaktion zu leiden. Die Ursache für diesen Wandel der sozialen Bedürfnisse nennt sie in diesem Zusammenhang nicht und warnt kurz darauf bereits schon wieder vor einer potentiellen Verwöhnung des Kindes. „[O]bwohl das Kind im zweiten Halbjahr Beachtung von Seiten der Erwachsenen und Beschäftigung mit ihm nötig hat, muß man sich doch dringend hüten, da des Guten zu viel zu tun.“ (ebd.:261). Zugleich wird betont, dass die Mutter Sorge dafür zu tragen hat, die „Führung nicht aus der Hand zu geben“ und die einzigwahre Bezugsperson des Kindes zu sein, unabhängig von anderen Verwandten und Angehörigen (Haarer 1940:260). Zum wiederholten Male erwähnt Haarer hierbei die potentielle Meinungsverschiedenheit mit den Großmüttern, welche oftmals zu nachgiebig mit den Kindern seien und die Erziehung der Mutter zu beeinflussen versuchen.
Ein Aspekt dieser Erziehungsmethodik ist die Erziehung zur Sauberkeit, der nun ebenfalls ein Abschnitt gewidmet wird. Diese soll so früh wie möglich erfolgen. Die Fähigkeit des eigenständigen Sitzens ist für Haarer in diesem Falle keine nötige Voraussetzung für das Beginnen des Übens. „Beginnt man mit dem Abhalten, noch ehe das Kind sitzen kann, so faßt man es von rückwärts an beiden Oberschenkeln unter und hält es über das Töpfchen.“ (ebd.:267). Eine Überforderung der bisher erlangten Fähigkeiten des Kindes scheint somit in Kauf genommen zu werden. Zudem hat sich das Kind nicht an seine eigenen Bedürfnisse zu richten, sondern an die Vorgaben der Mutter. Die jeweiligen Übungssitzungen sollen eine Zeitspanne von 10 Minuten nicht überschreiten und dem Kind soll früh bewusst gemacht werden, dass „die Entleerungen eine Pflicht sind, die es regelmäßig erfüllen soll“ (ebd.:268). Harrer macht ihre Ansprüche an das Kind, auch wenn es in dieser Form noch relativierend klingen mag, eindeutig klar: „Das Kind muß lernen, sich nach dir zu richten – innerhalb vernünftiger und angemessener Grenzen natürlich – und nicht umgekehrt.“ (ebd.:268). Eine Definition dieser Grenzen wird in diesem Zusammenhang nicht geboten.
Der letzte Abschnitt des Kapitels und somit auch die letzten Seiten des Ratgebers befassen sich mit der Erziehung des Kindes. Dieser nur circa fünf Seiten umfassende Teil bietet den Wohl besten und bisher wohl einzigen Einblick in die Erziehungsvorstellungen von Johanna Haarer. Zunächst wird abermals betont, wie wichtig es sei die Erziehungsführung als Mutter einzig und allein innezuhaben, falls zusätzlich andere Personen als sie selbst mit der Betreuung beschäftigt seien. Psychologische Theorien über die Entwicklung und Erziehung von Kindern werden konsequent abgelehnt und lediglich einer vergangenen „modischen Beliebtheit“ zugeschrieben (ebd.:270). Das Kind sei von Anfang an als vollwertiger Mensch zu betrachten und als solcher soll auch mit ihm kommuniziert werden. Eine vereinfachte Kindersprache wird strikt abgelehnt und ein übermäßiger Austausch von Nähe und Zärtlichkeit ebenfalls. „Solche Affenliebe verzieht das Kind wohl, erzieht es aber nicht.“ (ebd.:271). Erzogen würde das Kind stattdessen bei Schreien oder Ungehorsam durch räumliche Trennung von der Mutter und anderen Personen, sowie einer gezielten Nichtbeachtung, bis es sein Verhalten zu den Erwartungen der Mutter hin geändert habe. Letztlich lässt sich die Herangehensweise der Erziehung nach Haarer bisher folgendermaßen beschreiben: Dem Kind soll nicht zu viel Beachtung zuteilwerden, um eine Verwöhnung zu umgehen und „bleibende Charaktermängel“ zu vermeiden. Das Bedauern bei Schmerz oder anderen Unbefindlichkeiten soll auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Das letztliche Ziel der Erziehung sei nicht die Förderung der Persönlichkeit des Kindes, sondern die Vorbereitung darauf, ein nützliches Mitglied der Volksgemeinschaft zu werden (vgl. Haarer 1940:272).
An der Aufteilung der Prioritäten des Textes ist erkennbar, dass die eigentliche Erziehung des Kindes in diesem Ratgeber nicht im Vordergrund stand, dennoch sind die Erkenntnisse aus dieser Aufarbeitung entscheidend für das Gesamtbild der Erziehung Johanna Haarers. In den folgenden Abschnitten dieser Ausarbeitung wird auf andere Publikationen eingegangen, bei welchen weitere, differenzierte Aspekte ihrer Erziehungsvorstellungen beleuchtet werden.
2.3 Unsere kleinen Kinder
Der zweite Ratgeber von Johanna Haarer mit dem Titel Unsere kleinen Kinder erschien zwei Jahre nach Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind im Jahre 1936. Der Text wurde ebenfalls über den J.F. Lehmanns Verlag, München-Berlin, der sich seit 1929 offen zu der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bekannte, vertrieben. Der als medizinischer Fachverlag geltende Vertrieb hat seit dieser Zeit auch vermehrt rassenkundliche und rassenhygienische Schriften in sein literarisches Repertoire aufgenommen. Ähnlich wie bei der ersten Publikation Haarers liegt zur Bearbeitung des Textes erneut eine spätere Ausgabe aus dem Jahre 1943 vor, welche bereits in der neunten Auflage erschienen war und im Gegensatz zur Erstausgabe zusätzliche Abbildungen enthält. Inhaltlich ist kein erheblicher Unterschied der Fassungen zu erwarten.
Die Thematik des zweiten Ratgebers von Johanna Haarer bezieht sich im Unterschied zu ihrem ersten Werk deutlich stärker auf die Erziehung des Kindes über das Säuglingsalter hinaus und weniger auf rein pflegerische Aspekte. Erneut beginnt der Text mit einer Einleitung und einer Ansprache an die junge Mutter. Mahnend spricht Haarer gleich zu Beginn von dem nunmehr bekannten, drohenden Volkstod der Deutschen: „Wenn Deutschland und das deutsche Volk leben und bestehen sollen, dann muß die Kinderarmut der Nachkriegszeit überwunden werden und unser Vaterland wieder Kinderreich werden.“(Haarer 1943:5). Somit knüpft sie zumindest inhaltlich an die Rahmung ihres ersten Buches an und warnt vor der gleichen Gefahr.
Die Mutter wird im Zusammenhang der Beziehung und Wichtigkeit für das Kind als „schützender Hafen“ und „sicherer Anker in den Nöten des Lebens“ beschrieben (ebd.:5). Diese Bezeichnung wird im späteren Verlauf dieser Ausarbeitung im Kontext der Auseinandersetzung mit den Ansichtsweisen der Bindungstheorie erneut aufgegriffen. Die aus dem ersten Ratgeber Haarers hervorgegangene Auffassung, Interaktionen mit dem Kind seien erst nach dem Säuglingsalter sinnvoll und förderlich, wird erneut an der Aussage erkennbar, dass erst mit dem Erreichen des Kleinkindalters das „Entstehen der eigentlichen innigen Beziehung zwischen ihnen und uns“ beginnt (ebd.:5). Im weiteren Verlauf der Einleitung wird auf die abgesehene allgemeine Zugänglichkeit des Ratgebers für alle gesellschaftlichen Schichten eingegangen. Zudem soll ein allgemeiner Überblick über alle Aspekte der frühen Kindheit und Erziehung ermöglicht werden. „Deshalb will das vorliegende Buch den Müttern die Kleinkinderzeit in ihrer Gesamtheit näherbringen und erleichtern.“(ebd.:6).
Der erste Teil des Textes behandelt abermals die Ernährung und das Wachstum des Kleinkindes. Die ausführlichen Beschreibungen der Ernährungslehre und das Aufstellen von Nahrungsplänen für das Kind sind bereits aus Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind bekannt und werden aufgrund des wiederholenden Charakters des Inhalts in diesem Fall nicht näher beleuchtet. Die Auffassungen bezüglich der Regelmäßigkeit des Essens und des unter allen Umständen zu vermeidenden Fütterns zwischen den Mahlzeiten wird ebenfalls erneut aufgeführt (vgl. ebd.:30 ff). Zudem habe diese Angewohnheit laut Haarer noch eine weitere „häßliche Nebenwirkung“: „Die Kinder treten bald jedem Erwachsenen mit der Erwartung entgegen, beschenkt zu werden und werden profitlich und anspruchsvoll.“ (ebd.:30). Hier ist die gewohnte Abneigung gegen jegliche Form von Verwöhnung erkennbar. Die paradoxe Vermeidung des Zwanges bei der Essenssituation wird in diesem Zusammenhang gleichermaßen rekapituliert und verliert nichts von seiner vorherigen Unschlüssigkeit (vgl. ebd.:31). In einem späteren Kapitel wird Haarer auf die Essensverweigerung noch spezifischer eingehen. Anschließend werden die körperlichen Veränderungen des Kleinkindes während des Wachstums erläutert, welche für das Forschungsinteresse dieser Arbeit zu vernachlässigen sind (vgl. Haarer 1943:33 ff.).
Im zweiten Teil der Arbeit wird die Pflege und Kleidung des Kindes besprochen. Auch in diesem Fall werden vorerst Themen behandelt, welche der Leserin des ersten Ratgebers bereits bekannt sein sollten Die Regelmäßigkeit der Essenszeiten sowie des Zubettbringens werden unter der Prämisse des Beibringens von Ordnung regelrecht zu einer Tugend erklärt (vgl. ebd.:39 ff.). Ruhe steht auch in diesem Falle an erster Stelle, denn das Kind soll „von außen nicht unnötig aufgeregt werden.“ (ebd.:41). Unter Ruhe sei in diesem Kontext auch die Abschirmung des Kleinkindes vor zu vielen äußerlichen Eindrücken zu verstehen. Gemeint ist hierbei eine Bewahrung vor „Zank und Streit, vor Äußerungen des Hasses, der Zwietracht und der Mißgunst. Nur in solcher „Ruhe“ kann das Kind gedeihen.“(ebd.:41).
Selbstverständlich ist bei der Pflege des Kindes die Sauberkeit nicht zu missachten, bei welcher Haarer einen Mittelweg als vermeintlich optimale Lösung vorstellt. Der „Kampf um die Sauberkeit“ dürfe das Leben und die Lebensfreude des Kindes nicht einschränken, jedoch dürfe der Verunreinigung nicht der Rücken zugekehrt werden, weshalb der jungen Mutter geraten wird, einen eigenen, für sie und das Kind hinnehmbaren Kompromiss zu finden (vgl. ebd.:45). Zusätzlich wird die Wichtigkeit von frischer Luft und ausreichender Aussetzungen von Sonnenlicht empfohlen. Die zweite Hälfte des Teilabschnittes handelt von der Kleidung für das Kind in diversen Szenarien und zu unterschiedlichen Anlässen, weshalb dieser aufgrund von niedriger Relevanz übergangen wird.
Der dritte Teil des Ratgebers wird im Folgenden genauer beleuchtet und abschnittweise zusammengefasst, da die Entwicklung des Kindes, sowie die Erziehung in den jeweiligen Altersstufen thematisiert werden. Folglich ist es möglich einen tieferen Einblick in die Erziehungsansichten von Johanna Haarer zu erlangen.
Zunächst werden die Ziele und Voraussetzungen der Erziehung präsentiert, bevor auf genaueres eingegangen wird. Das in diesem Zusammenhang angebrachte, oberste Erziehungsziel sei der Beitrag der Mutter dazu, dass das Kind „ein gesunder und gerader Mensch werde, vollwertig an Körper und Seele, ein tüchtiges und nützliches Glied seines Volkes, dem wir es geboren haben.“ (ebd.:116). Die Erfüllung dieser Vorgabe sei die Voraussetzung für die Mutter, ihr Kind glücklich werden sehen zu können. Dies sei ihre Aufgabe und ihre Pflicht, denn nur sie verstehe ihr „Blut von ihrem Blute“ vollkommen, weshalb ihr vorbestimmter Platz im Kreise ihrer Kinder sei (Haarer 1943:117). Die besondere Bindung zwischen Mutter und Kind wird somit hervorgehoben, genau wie die subtile Einordnung der Aufgabenbereiche der Mutter. Die Mutter habe zuallererst für ihre Kinder zu sorgen und diese zu erziehen und zu pflegen, sämtliche anderen möglichen Tätigkeitsbereiche werden somit zweitrangig und nicht erstrebenswert. Die mütterliche Liebe und Zuneigung soll jedoch nicht bedingungslos vorgeführt werden, sondern von gesundem Menschenverstand gelenkt werden. (ebd.:117). Die Selbstreflektion des eigenen Handelns und die potentielle Wirkung auf das Kind seien als Teil dieses gesunden Menschenverstandes zu verstehen. Es wird explizit vor blinder Liebe gewarnt, welche, wie bereits in den vorherigen Aussagen Haarers erkennbar wird, zu einer Verwöhnung des Kindes führen könne. Trotz der vermittelten Kenntnisse über Erziehung und Entwicklung von Kindern spricht Haarer davon, dass das Vorleben dessen, das anerzogen werden soll, die wichtigste Komponente für eine erfolgreiche Erziehung darstelle (ebd.:118). In Verbindung mit erzieherischen Aspekten und als Grenzen eben jener wird die Vererbung körperlicher und geistiger Merkmale erwähnt, welche der Grund für das Fehlen einer beliebigen Formbarkeit des Kindes darstellen sollen. In diesem Kontext wird erneut auf die Fortpflanzung mit einem erbgesunden und artgleichen Ehepartner hingewiesen (ebd.:121).
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- Arbeit zitieren
- Franz Haase (Autor:in), 2020, Der Einfluss der NS-Pädagogik auf die Bindung nachfolgender Generationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/960377
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